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Epidemiologie,Klinik und Prävention der humanen Pocken (Variola vera) – Teil 1

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Gesundheitspolitik

132 Ärzteblatt Sachsen 4/2003

Einleitung

Durch die Ereignisse der jüngsten Zeit ist die Möglichkeit der Bedrohung durch bioterroris- tische Anschläge auch für eine breite Öffent- lichkeit deutlich geworden. Unabhängig der Wahrscheinlichkeit der derzeit diskutierten Gefahren muss sich die Ärzteschaft mit den möglichen Erregern und deren medizinischen Folgen auseinandersetzen und fortbilden, da das Spektrum der bioterroristisch einsetzba- ren Erreger und deren Krankheitsbilder in der alltäglichen Praxis nicht vorkommt und damit weitgehend unbekannt sein dürfte. Derzeit wird seitens der politisch Verantwortlichen besonders die Gefahr durch das Pockenvirus konkretisiert. Daher sollen im folgenden die wesentlichen Punkte der Epidemiologie, Kli- nik und Vorbeugung der Erkrankung durch das humane Pockenvirus dargestellt werden.

Der letzte natürlich aufgetretene Pockenfall wurde im Oktober 1977 von der WHO in So- malia registriert. Die letzte akzidentelle Aus- breitung des Pockenvirus erfolgte in einem virologischen Labor 1978 in Birmingham.

1980 deklarierte die WHO die Eradikation der Pocken.

Derzeit verfügen nur noch zwei Labors (CDC Atlanta, USA und Vector Institut, Novosibirsk, Russland) weltweit über vermehrungsfähiges humanes Pockenvirus. Es ist nicht auszuschlie- ßen, dass über diese beiden Laboratorien hin- aus weitere Personen Zugang zum Variola- Virus haben; einen Beweis gibt es bis heute dafür nicht.

Kontagiosität und Verbreitung

Zur Kontagiosität der Pocken gibt es wider- sprüchliche Daten. Untersuchungen aus Gross- britannien belegen, dass in der Umgebung von Hospitälern mit Erkrankten in Isolierung vermehrt Pockenerkrankungen auftreten kön- nen [Power, 1886; Buchanan, 1905]. Ande- rerseits gibt es epidemiologische Daten [Fee- mster, 1932], die bei engen Haushaltskon- takten Unvakzinierter eine „attack rate“ von 81,5%, in der Gesamtbevölkerung der betrof- fenen Städte jedoch nur eine von <1% (bei Nicht-Vakzinierten <3,4%) angeben.

Wichtigste Route für die Mensch-zu-Mensch- Transmission ist der Aerosolweg, für die en- demische/epidemische Verbreitung der Pocken scheint jedoch der Pustelschorf von wesentli- cher Bedeutung. Dieser Weg würde durch die Quaratänisierung der Erkrankten unterbrochen werden können. Wie sich diese und andere

antiepidemische Maßnahmen auf die Ausbrei- tung der Pockenerkrankung unter heutigen Bedingungen auswirken können, ist jedoch völlig unklar und wird kontrovers diskutiert.

Die Infektiosität des Pustelschorfs kann unter ausgewählten Bedingungen über mehrere Wochen bis Monate oder sogar Jahre erhalten bleiben [Downie und Dumbell, 1947; Wolff und Croon, 1968].

Klinisches Krankheitsbild

Die Pockenerkrankung läuft regelhaft in drei voneinander abgrenzbaren Stadien ab: Inku- bations-, Initial- und Eruptionsstadium (Ta- belle 1). Die Inkubationszeit wird mit 5 bis maximal 19 Tagen, das Initialstadium mit eine Dauer von zwei bis vier Tagen angegeben.

Der Verlauf des Eruptionsstadiums kann in Abhängigkeit von Schwere und Ausprägungs- grad der Pusteln völlig different zwischen ca.

einer Woche und bis zu mehr als sechs Wo- chen liegen. Schwere und Dauer der Erkran- kung müssen nicht miteinander korreliert sein.

Purpura variolosa (sehr hohe Letalität) aber auch die milde Verlaufsform Variolois haben häufig sehr kurze Krankheitsverläufe (Joch- mann, 1913).

Inkubationsphase

Klinische Beschwerden bestehen hier nicht, gegen Ende der Inkubationsphase ist im Ra- chenspülwasser oder in Nasopharyngealab- strichen Variola-Virus kulturell nachweisbar (Fenner, 1988).

Initialstadium

Die Krankheit beginnt mit hohem Fieber und charakteristischen starken lumbosakralen Schmerzen. Daneben bestehen eine katarrha- lische Symptomatik mit hämorrhagisch-vesi- kulärem Enanthem, gastrointestinale Sympto- me (Übelkeit, Erbrechen, Leibschmerzen) so- wie ein im Verlauf sich entwickelnder, stamm- betonter, erythematös bis makulös kleinfleckig- konfluierender Rash, welcher als Variola-spe- zifisches Charakteristikum das genitale Schen- keldreieck ausspart (Stüttgen, 1982). Nach zwei bis vier Tagen sinkt das Fieber wieder und es kommt zur einer scheinbaren kurzfris- tigen Besserung des Allgemeinzustandes.

Eruptionsstadium

In den ersten Tagen des eigentlichen Efflore- szenzenstadiums finden sich die typischen Pockenbläschen vor allem im Gesicht, der be- haarten Kopfhaut, der oropharyngealen Mu- kosa und den Extremitäten. Erst im Verlauf kommt es dann zur Ausbreitung über das ge- samte Integument. Die Bläschen sind initial nicht immer im gleichen Entwicklungsstadium, die Synchronisation erfolgt oftmals erst ab Tag 2 bis 3. Bei geimpften Erkrankten und solchen mit Variolois oder Variola minor kann diese Synchronisation noch später oder sogar gar nicht auftreten. Der Lokalbefund imponiert mit relativ grossen, prall gefüllten z.T. auch druckdolenten Läsionen auf geröte- tem Grund (Abb. 1). Einzelne Bläschen können eine zentrale Nabelung aufweisen. Das Sekret der Vesikeln verfärbt sich im weiteren Verlauf Th. Grünewald, B. R. Ruf

Epidemiologie, Klinik und Prävention

der humanen Pocken (Variola vera) – Teil 1

Tabelle 1: Klinischer Verlauf der Pockenkrankheit.

Stadium Dauer (Tage) Kontagiosität klinische Symptome

Inkubationsphase 6 - 19 gering bis mittel* keine

Initialstadium 2 - 4 hoch** unspezifisch, „rash“

Eruptionsstadium 21 - >28 hoch bis mittel Effloreszenzen

* zum Ende der Inkubationszeit als Aerosolübertragung

** Aerosolübertragung

Tabelle 2: Klinische Verlaufsformen der Pocken.

Klassische Erkrankung milde Verläufe schwere fulminante Formen Variola vera pustulosa Variola discreta Variola incompleta

Variola vera confluens Variola minor Variola haemorrhagica Alastrim-Pocken

Variola vera (confluens) Variolois Purpura variolosa

haemorrhagica Variola bei Geimpften

Variola sine exanthemate (Variola bei Immunsupprimierten)

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Gesundheitspolitik

Ärzteblatt Sachsen 4/2003 133

Sächsisches Staatsministerium für Soziales Die Staatsministerin

Vorsorge vor bioterroristischen Aktivitäten mit Pockenviren Offener Brief an alle Ärztinnen und Ärzte im Freistaat Sachsen

Sehr geehrte Damen und Herren,

die Aktivitäten zur Vorsorge wegen möglicher bioterroristischer Anschläge mit Pockenviren haben in den Medien ein hohes Echo gefun- den. In der Tat setzt sich die Bundesrepublik Deutschland und natürlich auch der Freistaat Sachsen mit der ernst zu nehmenden Bedro- hung durch einen denkbaren bioterroristischen Anschlag auseinander und bereitet sich auf eine mögliche Abwehr vor. Obwohl derzeit die konzeptionellen Vorarbeiten noch nicht abge- schlossen sind, wende ich mich bereits heute an Sie, um Sie für dieses Thema zu sensibilisieren.

Der Bund beschloss gemeinsam mit den Mi- nisterpräsidenten der Länder, eine Vollver-

sorgung der Bevölkerung mit Pockenimpf- stoff zu gewährleisten. Dieser Impfstoff soll bei einer konkreten Gefahr, also bei einem Anschlag in Deutschland, zur Massenimpfung der Bevölkerung eingesetzt werden.

Die Durchführung dieser Impfkampagne ist eine große logistische Herausforderung, der sich nicht nur der Öffentliche Gesundheits- dienst, sondern eine Vielzahl niedergelassener und angestellter Ärzte und medizinisches Pfle- gepersonal stellen müssen.

Gemäß § 12 Sächsisches Katastrophenschutz- gesetz (SächsKatSG) sind die niedergelasse- nen Ärzte verpflichtet, sich im Rahmen ihrer Fortbildungspflicht auch auf die besonderen Anforderungen einer Hilfeleistung bei der Be- kämpfung von Katastrophen vorzubereiten.

Sie können verpflichtet werden, an Übungen teilzunehmen. Gemäß § 22 Abs. 1 und 2 SächsKatSG können alle Personen, die älter als 16 Jahre sind und keine unzumutbare ge- sundheitliche Schädigung befürchten müssen, zur Katastrophenbekämpfung herangezogen

werden, also auch Angehörige aller Berufe des Gesundheitswesens.

Ich bitte Sie deshalb, jede Gelegenheit zu nutzen, sich mit den seltenen Krankheitsbil- dern auf Grund eventueller bioterroristischer Angriffe, vor allem natürlich mit den klini- schen Erscheinungen einer Pockeninfektion, vertraut zu machen.

Darüber hinaus werden die Gesundheitsämter eine Vielzahl von Ärzten zu einer Schulung über Klinik, Diagnose, Therapie und Impf- technik mit den einzusetzenden Bifurkations- nadeln einladen, damit im Falle einer Kata- strophe auf ausreichend vorbereitete Ärzte zurückgegriffen werden kann.

Ich bitte Sie um Ihre aktive Unterstützung, damit auch in Sachsen alle notwendigen Vor- bereitungen zur Bewältigung einer solchen Katastrophe getroffen werden können.

Mit freundlichen Grüßen

Christine Weber, Staatsministerin für Soziales Albertstraße 10, 01097 Dresden

weisslich, es können Hämorrhagien auftreten, die Läsionen können konfluieren und schließ- lich bildet sich der charakteristische Pustel- schorf (Abb. 2).

Die Prognose hängt in diesem Krankheitssta- dium wesentlich von der Wirtsantwort auf den Erreger ab: als günstig sind ein klassischer Verlauf mit nur einzelnen Hämorrhagien und gut abgrenzbaren nicht befallenen Hautarea- len (Variola discreta) anzusehen, während die unvollständige Ausbildung der Pusteln (Variola incompleta) oder ausschließlich flache hämor- rhagische Bläschen ohne wesentliche inflam-

matorische Umgebungsreaktion (Variola hae- morrhagica, Abb. 3) eine ungünstigen Verlauf indizieren. Die schwerste Form einer anergen Wirtsreaktion stellt dann die fast immer fatale Purpura variolosa dar.

Die klassischen Krankheitsbilder (Tabelle 2) sind bei vollständiger Ausprägung leicht zu diagnostizieren, die Abgrenzung der schwe- ren (anergen) Verlaufsformen zu anderen ful- minanten Erkrankungen (Meningokokken- Sepsis, toxisches Schock-Syndrom, septischer Schock) kann jedoch ebenso wie die Differen- tialdiagnose bei Variolois oder Variola minor

Schwierigkeiten machen. Die im Verlauf mög- lichen Komplikationen der Pockenerkrankung sind in Tabelle 3 im folgenden Heft (ÄBS 5/2003) kursorisch zusammengefasst.

Literatur bei den Verfassern Anschrift der Verfasser:

Prof. Dr. med. habil. Bernhard Ruf Dr. Thomas Grünewald Klinikum St. Georg Leipzig 2. Klinik für Innere Medizin Delitzscher Straße 141, D-04129 Leipzig Fortsetzung folgt im Ärzteblatt Sachsen 5/2003

Offener Brief

Abbildung 1: Reife Pockeneffloreszenzen. Abbildung 2: Pustelschorf Abbildung 3: Haemorrhagische (anerge) Läsion („hemorrhagic flat smallpox“).

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