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Das Prostituiertenschutzgesetz Die Umsetzung in Mecklenburg-Vorpommern und die Auswirkungen auf die Soziale Arbeit

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Academic year: 2021

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Fachbereich Soziale Arbeit, Bildung und Erziehung

Studiengang Soziale Arbeit

Das Prostituiertenschutzgesetz

Die Umsetzung in Mecklenburg Vorpommern

und die Auswirkungen auf die Soziale Arbeit

BACHELORARBEIT

vorgelegt von: Peggy Fuchs

Erstgutachterin: Fr. Prof. Steckelberg

Zweitgutachterin: Fr. Prof. Sparschuh

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Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung... 1

2 Prostitution als Beruf...2

3 Reglementierungen der Prostitution in Deutschland...6

3.1 Das Prostitutionsgesetz ...6

3.1.1 Situation vor dem Gesetz...6

3.1.2 Auswirkungen des Prostitutionsgesetzes...8

3.1.3 Einschätzungen des Prostitutionsgesetzes aus der Perspektive von verschiedenen Akteuren ...10

3.2 Das Prostituiertenschutzgesetz...13

3.2.1 Die Umsetzung in Mecklenburg Vorpommern...16

3.2.2 Einschätzung des Gesetzes aus Sicht der Akteure im Prostitutionsmilieu ...19

4 Die Soziale Arbeit im Handlungsfeld der Prostitution ...21

4.1 Historische Entwicklung...21

4.2 Methoden der Sozialen Arbeit ...22

4.3 Kompetenzen eines Sozialarbeiters im Berufsfeld der Prostitution...26

5 Soziale Arbeit in Mecklenburg Vorpommern ...29

5.1 Fachberatungsstelle für Menschen in der Sexarbeit - SeLA...30

5.2 Umgang mit dem Prostituiertenschutzgesetz in der Beratungsarbeit...33

6 Zusammenfassung...35

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1 Einleitung

„Nicht mein Beruf ist das Problem, sondern die bürgerliche Moral“ lautete die Schrift auf einem Plakat einer Sexarbeiterin beim Protest anlässlich des Internationalen Hurentags 2013 in Berlin. Obwohl Prostitution in Deutschland legal ist, besteht innerhalb der Gesellschaft noch immer die Ansicht, dass der Verkauf des eigenen Körpers schmutzig ist. Prostituierte werden stigmatisiert und sozial ausgegrenzt. Dabei ist Sexarbeit harte Arbeit, die dem Körper sowohl physisch als aus psychisch viel abverlangt, so wie ein jeder andere Job auch. Geht man von einem vollen S-Bahn-Abteil aus, kann man grob sagen, dass jeder zweite Mann in Deutschland regelmäßig sexuelle Dienstleistungen in Anspruch nimmt. Auch in Mecklenburg Vorpommern findet Prostitution vor allem in

sogenannten Terminwohnungen, außerhalb der Sichtbarkeit statt.

Mit der Einführung des Gesetzes zum Schutz von in der Prostitution tätigen Personen wird neben dem Prostitutionsgesetz eine weitere Reglementierung des Milieus geschaffen. Die nachfolgende Arbeit soll aufzeigen ob und in wie weit die neue rechtliche Regelung zum Schutz und Wohl der Prostituierten beiträgt. Zwangsberatungen und eine Ausweisbescheinigung sind wichtige Kernpunkte des Gesetzes. Kann Zwang überhaupt zu einem vertrauensvollen Gespräch zwischen Berater und Prostituierten führen? Ist die Datenerhebung und somit die Weitergabe der persönlichen Daten vor Dritten gesichert? Werden die

Grundrechte weiterhin beachtet? Bedeuten zahlreiche im Gesetz verankerte Pflichten gleichzeitig Schutz? Wie wird das Prostituiertenschutzgesetz im

Bundesland Mecklenburg Vorpommern umgesetzt und wie wirkt sich das Gesetz auf die Soziale Arbeit aus?

Im ersten Teil der Arbeit soll geklärt werden, ob Prostitution bzw. Sexarbeit als Beruf anerkannt wird oder nicht. Hierbei wird unterschieden, ob die sexuellen Dienstleistungen freiwillig oder unter Zwang angeboten werden. Im weiteren Verlauf werden die Reglementierungen in Deutschland, dem „größten Bordell Europas“ nähe beleuchtet. Dazu ist es wichtig die Entstehung des

Prostitutionsgesetz historisch zu betrachten, die Auswirkungen auf die Tätigkeit und die Sichtweise der Betroffenen des Milieus aufzuzeigen. Der Fokus meiner

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Arbeit liegt bei dem Prostituiertenschutzgesetz. Hierbei habe ich ein Fragebogen zur Umsetzung an das Landesamt für Gesundheit und Soziales in Mecklenburg Vorpommern (MV) gesandt und anschließend ausgewertet. Wichtig war mir auch hier die Einschätzungen der verschiedenen Akteuren innerhalb der Prostitution deutlich zu machen. Im Anschluss wird eine Verbindung der Sozialen Arbeit zum Berufsfeld der Prostitution gestellt, die historische Entwicklung sowie Methoden herausgearbeitet und die Kompetenzen, die ein Sozialarbeiter mitbringen muss, aufgezeigt. Zu guter Letzt, berichte ich über die aktuelle Sozialarbeit in MV und stelle die Beratungsstelle „SeLA“ in Rostock vor, mit deren Beraterinnen ich ein persönliches Interview geführt habe.

Für meine Bachelor Arbeit ist es wichtig zu klären, ob von Sexarbeitern oder von Prostituierten die Rede ist. Es ist an dieser Stelle notwendig, die eigene Position zum Thema transparent zu machen. Ich entscheide mich für beide

Begrifflichkeiten, da sie für mich beide in gleichem Maßen die Erbringung sexueller Dienstleistungen beschreiben und ich keines der Worte negativ bewerte. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in der vorliegenden Arbeit die gewohnte männliche Sprachform bei personenbezogenen Substantiven und Pronomen verwendet. Dies impliziert jedoch keine Benachteiligung des

weiblichen Geschlechts, sondern soll im Sinne der sprachlichen Vereinfachung als geschlechtsneutral zu verstehen sein.

2 Prostitution als Beruf

Es besteht eine weitreichende politische Diskussion darüber, ob Prostitution als Beruf wie jeder andere oder als Menschenrechtsverletzung angesehen werden soll. 2013 forderte ein breites Bündnis, dass die Prostitution vermehrt

zurückgedrängt werden soll, bis sie schließlich ganz abgeschafft werden kann. Die Forderung besteht auch auf europäischer Ebene. Es wird argumentiert, dass sowohl die freiwillige Prostitution als auch die Zwangsprostitution eine erkaufte Vergewaltigung sei und mit der Sklaverei gleichzustellen ist, da die

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Menschenwürde stark verletzt wird (vgl. Wersig 2017, S.216). Die staatliche Akzeptanz, den Körper als käufliches Objekt „bereitzustellen“, wird als

schädigend für die Gesellschaft gewertet (ebd., S.222). Prostitution wird zudem von radikalen Feministen als vehementen Ausdruck sexueller Gewalt gegenüber Frauen kritisiert. Auf der anderen Seite fordern Berufsverbände der Sexarbeiter und die Hurenbewegung, dass Prostitution als offizieller Beruf anerkannt wird. Auch die liberalen und sozialistischen Feministen fordern die Akzeptanz der Tätigkeit als Beruf, da Prostitution von vielen Frauen der letzte Ausweg ist, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können. Sie sehen das Angebot von käuflich sexuellen Dienstleistungen und die Nachfrage von Freiern als gegeben an. Ein Verbot dessen würde zudem die Frauen diskriminieren, die der Tätigkeit freiwillig nachgehen (vgl. Euchner 20015, S.7f).

Deutschland unterstützt eine sehr liberalere Handhabung und erkennt Prostitution weitestgehend als berufliche Tätigkeit an (vgl. Wersig 2017, S.224).

Es muss allerdings ein Unterschied zwischen freiwillig ausgeführter und

gezwungener Prostitution gemacht werden. Die Praxis hat jedoch gezeigt, dass eine Unterscheidung nicht eindeutig nachvollziehbar ist. Unter Zwangsprostitution versteht man die Ausübung der sexuellen Tätigkeit in Abhängigkeit von anderen Personen, zum Beispiel Zuhältern und Bordellbetreiber sowie das Ausnutzen von Menschen in einer Zwangslage, z.B. die Hilflosigkeit von Migranten sowie von Minderjährigen. Gezwungene Prostitution ist menschenrechtswidrig und muss strafrechtlich verfolgt werden. Die Freiwilligkeit seine sexuellen Dienste

anzubieten, wird hingegen als autonome Berufsentscheidung jedes Einzelnen nach dem Artikel 12 des Grundgesetzes anerkannt, sofern keine rechtlich geschützten Interessen der Mitmenschen verletzt werden. Frei bedeutet, dass man sich aus freien Stücken dazu entschieden hat sich zu prostituieren und dass man selbst entscheidet wem und unter welchen Bedingungen man sexuelle Dienste anbietet. Ein sehr wichtiger Aspekt der ungezwungenen Prostitution ist, dass man jederzeit aus dem Milieu aussteigen kann. Bei der völlig

selbstbestimmten Ausübung kann man davon ausgehen, dass man selbst entscheiden kann wann, wo und ob überhaupt eine sexuelle Begegnung

zustande kommt. Es sollte nicht die Aufgabe des Staates sein Menschen vor den Folgen ihrer selbst getroffenen Lebensentscheidungen zu bewahren oder

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Was die Tätigkeit einer Sexarbeiterin von den meisten anderen Berufen

unterscheidet, ist das noch immer bestehende gesellschaftliche Stigma, das mit ihrer Tätigkeit verknüpft ist (vgl. Wersig 2017, S.223). Ferner sollte die Ausübung dieser Tätigkeit nicht als Beruf wie jeder Andere angesehen werden, denn im Vergleich zu anderen Berufen ist das Gefahren- und Risikopotenzial sehr hoch. Hierzu zählen sowohl physische als aus psychische Auswirkungen auf die Person. Sie müssen sich unheimlich selbst kontrollieren und sich vor Augen halten, dass es nur ihr Beruf ist und kein Sex, wie er gesellschaftlich mit Liebe verbunden wird. Diese innere aufgebaute Distanz kann dazu führen, dass Prostituierte beziehungsunfähig werden. Des weiteren sind sie aufgrund ihrer vielen Kontakte zu zunächst fremden Personen, den Freiern, einer hohen Gefahr sexueller Gewalt und Missbrauch ausgesetzt, die meist in einem kriminellen kaum kontrollierbaren Umfeld stattfindet. Darüber hinaus birgt die Ausübung der Prostitution eine große Gefahr sich an einer sexuell übertragbaren Krankheit anzustecken. Sexarbeiter arbeiten zudem oft unter schlechten

Arbeitsbedingungen, denn nur die wenigsten unterliegen keinen Organisatoren der Sexindustrie. Es wird verlangt in kürzester Zeit viel Geld zu verdienen, was sich in der Hinsicht nicht von anderen Berufszweigen großartig unterscheidet. Die herrschenden Bedingungen des Marktes bestimmen demnach die Gefahren, die sich die Prostituierten aussetzen. Die Ausübung muss zum Schutz in einem festgesetzten rechtlichen Rahmen erfolgen. Es müssen nicht nur die

Rechtsbeziehungen zwischen den Bordellbetreibern und den Prostituierten geregelt werden, sondern auch die rechtliche Stellung zwischen den Freiern und den Prostituierten. Nach §§ 1 bis 3 des Prostitutionsgesetzes haben Prostituierte einen Anspruch auf ihr Entgelt vom Freier und können ein legales

Beschäftigungsverhältnis mit den Betreibern eines Bordells abschließen. Somit wird die Ausübung der Prostitution und das Betreiben eines Bordells als Beruf anerkannt, denn sonst könnten in diesem Milieu keine

sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze geschaffen werden.

Die Arbeitsvermittlung in Beschäftigungsverhältnisse im Feld der Prostitution kann nach §36 Abs. 1 SGB III ohne weiteres nicht mehr abgelehnt werden, da das Sittenwidrigkeitsurteil mit dem ProstG aufgehoben wurde. Dennoch wird anhand der Weisung der Bundesagentur für Arbeit vom 08. Februar 2005

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nehmen keine Stellenangebote aus dem Prostitutionsmilieu in ihr System auf und vermitteln nicht in die Prostitution, da sie die Prostitution damit fördern würden und dazu keinerlei verpflichtet sind. Auch entsprechende Selbstanzeigen, die virtuell im Arbeitsmarktportal geschaltet werden, werden gelöscht. Es soll sicher gestellt werden, dass Arbeitslose nicht ungewollt mit derartigen Angeboten konfrontiert werden und in das Milieu rutschen. Die Agentur für Arbeit soll eher dahingehend vermitteln, dass Prostituierte aus dem Bereich aussteigen können (vgl. Renzikowski 2007a, S.29f). Die Legalisierung von

Beschäftigungsverhältnissen innerhalb des Feldes führt demnach nicht

automatisch dazu, dass Prostitution mit jedem anderen Beruf gleichgestellt wird. Vielmehr unterliegt sie vielfachen Reglementierungen.

3 Reglementierungen der Prostitution in Deutschland

3.1 Das Prostitutionsgesetz

3.1.1 Situation vor dem Gesetz

In Deutschland herrschte in der Nachkriegszeit eine eher christlich-konservative Wertevorstellung. Das Thema Sexualität wurde öffentlich tabulisiert, nicht

diskutiert und war eine sehr private Angelegenheit (vgl. Gebhardt 2012, S.126). Es gab also keinen Anlass dazu, dass die Politik in den ersten Jahrzehnten nach 1960 über das Thema Prostitution diskutieren musste. Den rechtlichen Rahmen bildete das Gesetz zur Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten im Jahr 1953, ein Urteil des Reichsgerichts (RG) sowie die §§ 180 ff. des Strafgesetzbuches (StGB). Prostitution wurde zwar als legale Tätigkeit angesehen, unterlag aber dennoch dem Werturteil der Sittenwidrigkeit. Die Rahmenbedingungen der Ausübung von Prostitution waren sehr stark eingeschränkt, sodass es schwierig war die Tätigkeit tatsächlich auf legalem Weg auszuüben. Einen rechtlichen Schutz erfuhren Prostituierte kaum. Sämtliche Verträge, in denen ein

Zusammenhang mit der gewerblichen Unzucht vermutet wurde, wurden als nichtig erklärt. Dazu zählten Vereinbarungen zwischen den Prostituierten und

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Kunden sowie Bordellbetreibern. Folglich konnten Prostituierte ihren Lohn nicht einklagen, waren aber zeitgleich verpflichtet ihren Verdienst der Einkommens- und Umsatzsteuer zu unterziehen (vgl. Euchner 2005, S.113). Es wurde ihnen auch meist den Einstieg in die freiwillige Krankenversicherung verwehrt. Sie erhielten bei Krankheit, Berufs- und Erwerbsunfähigkeit sowie Arbeitslosigkeit keine Sozialleistungen wie Personen in anderen Berufszweigen. Einen Anspruch auf Rente hatten sie nur, wenn sie sich freiwillig versichert hatten. Prostitution wurde als gemeinschaftsschädlich eingestuft und mit Berufsverbrechern auf eine Ebene gestellt. (vgl. Galen 2004, S.2)

In den 1970er Jahren reformierte sich die Einstellung gegenüber der Prostitution in der Gesellschaft allmählich. Der Wunsch nach sexueller Freizügigkeit und mehr Selbstbestimmung innerhalb der Bevölkerung wurde größer. Es entstanden immer mehr Bordelle in den großen Städten. Mit der Abschaffung des

Tatbestands der Kuppelei im Jahre 1973 war es nicht mehr illegal Zimmer an volljährige Prostituierte zu vermitteln und vermieten. Für die Umsetzung und Einhaltung der Richtlinien waren kommunale Ordnungsbehörden verantwortlich. Erst als Ende 1980 die HIV-Debatte bestand, wurde das Thema Regulierung von Prostitution wieder in die parlamentarische Agenda aufgenommen. Besonders die Grünen und die Linken waren sehr bemüht sich dem Thema anzunähern. In der 13. Legislaturperiode (1994-1998) brachten die Grünen ihren zweiten

Gesetzesvorschlag ein, nachdem der erste 1990 keiner großen Beachtung geschenkt wurde. Sie forderten unter anderem die Aufhebung von

Sperrgebietsverordnungen, die Abschaffung des Werbeverbots und eine liberalere Handhabung in Anbetracht der Bordellbetreiber. Die SPD forderte in einem eigenen Gesetzesvorschlag die Abschaffung der Sittenwidrigkeit der Prostitution. Beide Gesetzesentwürfe wurden im Bundestag unter den

verschiedensten Moralvorstellungen der Abgeordneten diskutiert und schließlich abgelehnt (vgl. Euchner 2015, S. 14-16). 1998 gelang es der rot-grünen Koalition die Wahl zu gewinnen und somit ein Durchbruch in der Reglementierung der Prostitution. Es wurde 2001 nach einer sehr langen Aushandlung zwischen den Koalitionspartnern ein Gesetzentwurf vorgestellt. Dieser hatte das Ziel die

Sittenwidrigkeit von Prostitution abzuschaffen. Mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten, dem Prostitutionsgesetz, am 01. Februar 2002 hatten Prostituierte in Deutschland das erste mal das Recht

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sich im Sozial-, Kranken- und Rentensektor zu versichern und ihren Verdienst einzuklagen (ebd. S.17). Es war außerdem nicht mehr strafbar sexuelle Dienstleistungen, die freiwillig angeboten werden, zu fördern, in dem z.B. Kondome oder Handtücher zur Verfügung gestellt werden. Aus diesem Grund wurder der § 180a Abs. 1 Nr. 2 StGB gestrichen. An die Stelle der Strafbarkeit der Förderung von Prostitution trat die Strafbarkeit der Ausbeutung von Prostituierten. Insbesondere ist nach § 181a Abs. 1 Nr. 2 StGB das Weisungsrecht des

Arbeitgebers stark eingeschränkt. Prostituierte dürfen frei entscheiden, ob sie mit einer Person eine sexuelle Bindung eingehen oder nicht. In der Literatur wird von einem Paradigmenwechsel gesprochen. Deutschland wurde im internationalen Vergleich zu einem führenden Vertreter des liberalsten Prostitutionsregimes. (dies., S.117)

3.1.2 Auswirkungen des Prostitutionsgesetzes

Im folgenden soll aufgezeigt werden welche Auswirkungen das

Prostitutionsgesetz in der Praxis hat. Dabei soll geklärt werden, ob es dem Gesetzgeber gelungen ist ein rechtlich durchsetzbaren Entgeltanspruch zu schaffen, in wie weit Prostituierte davon rückblickend Gebrauch gemacht haben und ob sich die Vorstellungen bezüglich der Frage der Sittenwidrigkeit

bewahrheitet hat. Erkenntnisse über die Auswirkungen liefert vor allem die Befragung von Prostituierten im Rahmen der empirischen Untersuchung von 2007 (SoFFI 2005). Diese hat gezeigt, dass die vom Gesetzgeber beabsichtigten Wirkungen nur teilweise eingetreten sind. Es sind keine

sozialversicherungspflichtigen Anstellungen in Bordellen entstanden, da Prostituierte ihre Tätigkeit auch künftig weitestgehend selbstständig ausüben wollen, was unterschiedliche Gründe hat. Zum Einen möchten sie selbstbestimmt arbeiten und sehen ihre prostitutive Tätigkeit oft nur als vorübergehende Arbeit an, bei der man sich langfristig nicht absichern muss. Außerdem bedeuten die gesetzlichen Versicherungen, dass ihr Entgelt versteuert werden müsste und ihre Einnahmen sinken würden (vgl. Wersig 2017, S.219). In der Evaluation wurde zudem deutlich, dass die Möglichkeit der gerichtlichen Durchsetzung nach §1 ProstG bisher kaum genutzt wurde. Ein wesentlicher Grund ist die gängige Praxis

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der Vorkasse, aber auch die Anonymität der Kunden. Das Klagen und das damit verbundene Gerichtsverfahren würde zudem die eigene Anonymität aufdecken. Außerdem sind bisher nur ein Bruchteil der Prostituierten über ihre Rechte

aufgeklärt. Das Wissen über ihre eigene rechtliche Stellung, kann jedoch bei den ausübenden Personen zu mehr Selbstbewusstsein gegenüber den Kunden führen, denn allein der Hinweis auf eine Klage kann zahlungsunwillige Kunden zur Einsicht bringen (vgl. Renzikowski 2007a, S.13). Durch den Wegfall des § 180a Abs. 1 Nr. 2 StGB besteht die Möglichkeit im Bereich des Arbeits- und Gesundheitsschutzes völlig straflos annehmbare Arbeitsbedingungen in der Prostitution zu ermöglichen, was auch in Einzelnen Bereichen der Prostitution versucht wurde. Die Evaluation hat jedoch festgestellt, dass sich die Umsetzung bessere Arbeitsbedingen zu schaffen stark nach Tätigkeitsort und Lebenslage der Prostituierten unterscheidet. Schwierig ist es vor allem in Bereichen der

Armutsprostitution, auf dem Straßenstrich sowie bei illegalen Migranten die Situation zu verbessern. Es wird außerdem bemängelt, dass die bestehenden Arbeitsschutzgesetze in der Prostitution nicht gelten, da hier die Selbstständigkeit dominiert. Demnach fehlen innerhalb des Milieus Richtlinien, die die

Arbeitsbedingungen von Prostituierten unmittelbar betreffen. (vgl. Wersig 2017, S.220) In der Begründung des ProstG geht der Gesetzgeber davon aus, dass Prostitution nicht mehr pauschal als sittenwidrige Tätigkeit anzusehen ist und die rechtliche Bewertung aufgehoben ist, da sie schwerwiegende Folgen für die materielle und soziale Existenzsicherung der Betroffenen hat. Jedoch hat das ProstG diese gewünschte Abwendung vom Sittenwidrigkeitsurteil bisher nicht eindeutig bewirkt. Dennoch kann man sagen, dass der Gesetzgeber mit dem Gesetz ein Umdenken und einen gesellschaftlichen Wandel bewirkt hat, denn die Tätigkeit im Milieu wird nicht mehr automatisch als gemeinschaftsschädlich bzw. unsittlich bewertet. Laut der empirischen Untersuchung SoFFI wurde die

Möglichkeit, dass Prostituierte Arbeitsverträge abschließen und sich somit sozial versichern können, kaum genutzt. In der Befragung hatte keiner einen

Arbeitsvertrag, der eindeutig die Tätigkeit Prostitution angab. Stattdessen waren sie beispielsweise verdeckt als Aushilfe, Bar- oder Telefonkraft angemeldet oder arbeiteten selbstständig. Der Abschluss eines Arbeitsvertrages ist nur von sehr wenigen Prostituierten erwünscht und wird häufig von den Arbeitsbedingungen abhängig gemacht. Der gesetzgeberische Gedanke sich durch ein abhängiges

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Beschäftigungsverhältnis sozial abzusichern, wie in anderen Berufen auch, stößt sowohl bei den Prostituierten als auch bei den Bordellbetreibern eher auf

Ablehnung, denn die damit verbundenen finanziellen Abzüge erscheinen wenig attraktiv. Bordellbetreiber gaben an, dass ein Arbeitsvertrag sie zu einem Gehalt verpflichten würde, obwohl sie dem eingeschränktem Weisungsrecht unterliegen und sie somit ihren Angestellten keine Anordnungen machen können, wie sie die Kunden zu bedienen haben. Das betriebswirtschaftliche Risiko würden sie allein tragen. Außerdem bestanden bei den Betreibern auch Unklarheiten bezüglich der Auslegung der Gesetzeslage zur Strafbarkeit der Ausbeutung von Prostituierten sowie Zuhälterei. Sie konnten es nicht eindeutig zuordnen, ob und unter welchen Konditionen die Vorgabe von Arbeitsort, Arbeitszeiten und bestimmten Preise für verschiedene Dienstleistungen unter den strafbaren Handlungen fallen würden. 2003 hat eine Entscheidung des Bundesgerichtshof diese Prämisse rechtlich geklärt. Der Bordellbetreiber darf die Art und das Ausmaß der sexuellen Gefälligkeit nicht vorgeben, aber feste Arbeitszeiten, Einsatzorte sowie Preise bestimmen, da freiwillig Beschäftigte einer Organisationsstruktur unterliegen (vgl. Renzikowski 2007a,S.16 ff).

3.1.3 Einschätzungen des Prostitutionsgesetzes aus der Perspektive von verschiedenen Akteuren

Für die Evaluation, die vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) in Auftrag gegeben wurde, wurden Prostituierte und

Mitarbeiter von Fachberatungsstellen sowie Gesundheitsämtern von Barbara Kavemann und Beate Leopold befragt. Thema war die die Einschätzung der neuen Gesetzeslage in Deutschland aus Sicht der im Feld aktiven Akteure. Bei der Befragung von Prostituierten wurden insgesamt 323 aktive sowie ehemalige Prostituierte, sowohl männliche als auch weibliche, schriftlich und mündlichen unter anderem zu folgenden Themen interviewt: eigener

Informationsstand über das Gesetz, Erfahrungen mit Ämtern und Behörden, mögliche Auswirkungen auf ihre Zukunft, Erwartungen an das ProstG und Vorschläge zur Gesetzesänderung (vgl. Kavemann/Rabe 2008, S.93). Mit Einführung des Prostitutionsgesetzes sollte sich die rechtliche Lage der

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Prostituierten verbessern, jedoch kann dieses Ziel nur erfolgen, wenn die im Prostitutionsmilieu tätigen Personen vom Gesetz Kenntnis haben. Bei der

Befragung stellte sich heraus, dass die Mehrheit von der Existenz des Gesetzes wusste oder zumindest schon einmal davon gehört hatten. Es war zudem

entscheidend, ob die Tätigkeit haupt- oder nebenberuflich ausgeführt wurde. Nebenberuflich Tätige wussten deutlich weniger über das Gesetz als

hauptberuflich ausführende Prostituierte. Auch die Nationalität der Interviewten war von Bedeutung. So hatten Deutsche einen signifikant hören

Informationsstand als Befragte anderer Nationen. Zum Kenntnisstand trugen vor allem die Mitarbeiter von Fachberatungsstellen sowie Arbeitskollegen bei, aber auch Printmedien oder Broschüren zum Thema. Inhalte des Gesetzes waren weniger bekannt und beschränkten sich wenn dann nur auf die Möglichkeiten, die die Arbeitssituation direkt betreffen. Mehr als die Hälfte der Befragten wussten, dass sie gesetzlich krankenversichert werden, einen Arbeitsvertrag abschließen und sozial- und rentenversicherungspflichtig arbeiten können. Ein wichtiger Punkt war auch, dass sie zahlungsunwillige Kunden nun verklagen können. Betreffende Gesetzesänderung bezüglich das Betreiben eines Bordells waren weniger

bekannt und für die Befragten nicht relevant (ebd., S.97f).

Die Einschätzung über Auswirkungen, die das Prostitutionsgesetz auf die berufliche Zukunft hat, waren sehr unterschiedlich. Ein Großteil der

hauptberuflich Tätigen sehen eine Möglichkeit sich nun einen Anspruch auf Arbeitslosengeld und Rente, wie jeder andere Arbeitnehmer auch, zu erarbeiten. Den größten Zuspruch erhielten die rechtlichen Möglichkeiten. Fast die Hälfte der Befragten gaben an, dass sie in der Zukunft mehr von ihren Rechten Gebrauch machen möchten. Ein minderer Teil fühlt sich durch das ProstG bestärkt und möchte die prostitutive Tätigkeit nicht mehr in der Öffentlichkeit verheimlichen. Allein das Bewusstsein, als Sexarbeiter Rechte zu haben und diese auch einfordern zu können, kann einen großen Einfluss auf das Selbstbild und Selbstbewusstsein haben (ebd., S.98f). Ob sie ihre Rechte einklagen würden, hängt mit der Marktlage, den Verdienstmöglichkeiten und der generellen

Lebenssituation zusammen. Es besteht allerdings der Verdacht, dass durch das Gesetz eher die bereits selbstbewussten Prostituierten bestärkt wurden anstatt die Schwächeren (ebd., S.104). Bei der Einschätzung des Gesetzes wurde vor allem die Abschaffung des Sittenwidrigkeitsurteil begrüßt. Alle Befragten waren

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sich einig, dass das Prostitutionsgesetz ein Schritt in die richtige Richtung ist. Ein dominierendes Thema war die gesellschaftliche Anerkennung der Prostitution. Die Prostituierten erhoffen sich durch das Gesetz nicht mehr gesellschaftlich ausgegrenzt und stigmatisiert zu werden. Vor allem Mütter erhoffen sich nicht mehr so ein ausgeprägtes Doppelleben führen zu müssen. Es besteht außerdem die Erwartung, dass das Milieu entkriminalisiert wird, denn nicht jeder

Prostituierte ist gleichzeitig kriminell. Die Befürworter des Gesetz, was der Mehrheit der Befragten entsprach, empfinden vor allem die Absicherung als fortschrittlich und positiv. Das man sich nun gesetzlich versichern kann und einen Renten- sowie Arbeitslosengeldanspruch erarbeiten kann, sei vor allem für die, die hauptberuflich der Prostitution nachgehen sehr wichtig, um ihre Existenz dauerhaft zu sichern. Wichtig ist dies besonders für diejenigen, die aus einer Notlage und Verzweiflung in die Branche gegangen sind und für die es schwierig ist den Ausstieg zu schaffen. Einige der Befragten forderten konkrete Regelungen am Arbeitsplatz, z.B. normale Mieten im Gewerbe und Kondompflicht, die im Gesetz verankert werden sollten. Kavemann beschreibt, dass die physischen und psychischen Belastungen, die Prostituierte in ihrem Arbeitsalltag zu bewältigen haben, bei den durchgeführten Interviews sehr deutlich wurden und der Wunsch nach einer Verbesserung der Lebens- und Arbeitssituation sehr stark war, was in der Politik berücksichtigt werden sollte.

Anlässlich der Untersuchung wurden zudem Experten aus Fachberatungsstellen für Prostituierte und Beratungsstellen für sexuell übertragbare Krankheiten (STD-Beratungsstellen) vorwiegend in Großstädten schriftlich befragt. Fast alle der Befragten führen, neben den niederschwelligen Beratungsstellen, auch

Streetwork bzw. aufsuchende Arbeit in Bordellen oder bordellähnlichen Betrieben, Studios und Wohnungen durch. Sie haben demnach nicht nur Kontakt zu

Personen, die sich Rat suchen sondern auch zu Prostituierten, die sich selbst nicht als beratungsbedürftig ansehen. Mehr als die Hälfte der Mitarbeiter der Beratungsstellen verfügten bei der Befragung über eine Berufserfahrung von mehr als 10 Jahren und kannten sich somit mit der gesetzlichen Entwicklung weitestgehend aus. Über das Prostitutionsgesetz hatten sich die Mitarbeiter überwiegend selbst informiert und angeeignet. Das Gesetz wird zudem in Teamsitzungen, Weiterbildungen und Fachveranstaltungen weiter thematisiert. Die STD-Beratungsstellen gaben an, dass sie ihre Kenntnisse hingegen häufig

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aus den Medien entnahmen. Bei Beratungen wird vor allem besprochen, wie die Klienten in die gesetzliche Krankenkasse eintreten können und wie die Steuern zu regeln sind. Nach den Aspekten des Arbeitsvertrages, der Altersvorsorge oder der Absicherung bei Arbeitslosigkeit wurde kaum gefragt. Generell ist das ProstG zu 70% kein Thema der Beratungen. Dennoch kamen seit Inkrafttreten vermehrt auch Prostituierte, die sich nur über ihre rechtliche Stellung erkundigen wollten und nicht wegen psychosozialer Unterstützung. Das Klientel hat sich verändert. Die Berater sind der Ansicht, dass sich das ProstG positiv auf das

Selbstbewusstsein ausgeübt hat und zum Abbau von Vorurteilen innerhalb der Behörden geführt hat. Ein Problem sahen die Beratungsstellen bei den

Behörden, da verbindliche Richtlinien fehlten und sie ihre eigenen Auslegungen des Gesetzes vornehmen konnten, was oft zum Nachteil des Prostituierten geschah. Prostituierte ohne legalem Aufenthaltsstatus haben es durch das Gesetz noch schwerer und werden durch Kontrollen noch weiter in eine schlechtere Situation gedrängt. Die Berater sehen auch Probleme bei die Möglichkeit das Entgelt einzuklagen, denn das würde bedeuten, dass sie Sexarbeiter ihre Anonymität aufgeben und sich offenbaren müssten, was die Mehrheit nicht möchte. Außerdem würde aufgrund der vermehrten Konkurrenz das Gesundheitsbewusstsein sinken und die Bereitstellung des eigenen Körpers unter schlechten Bedingungen steigen (ebd., S. 108ff).

3.2 Das Prostituiertenschutzgesetz

Nach Inkrafttreten des ProstG zeigte sich in den darauf folgenden Jahren, dass die Bedingungen, die innerhalb der Ausübung der Prostitution bestehen, mehr reglementiert werden müssen. Bereits 2013 wurde im Koalitionsvertrag vereinbart gesetzlich festgelegte Maßnahmen zu schaffen, die zum einen zur Regulierung des Prostitutionsgewerbes führen und zum anderen bessere

Kontrollmöglichkeiten durch die Ordnungsbehörden gewährleisten sollen. Das Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG), das am 01. Juli 2017 in Kraft getreten ist, ist das Ergebnis dieser Vereinbarung. Das neue Gesetz zur Regulierung des Prostitutionsgewerbes sowie zum Schutz von in der Prostitution tätigen Personen

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soll gemeinsam mit dem ProstG die rechtliche Situation sowie das Selbstbestimmungsrecht von Frauen und Männern, die der Prostitution

nachgehen, verstärken (vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2017. (Internetquelle)).

Nach § 1 und § 2 fällt unter das Gesetz jegliche Art von sexueller

Dienstleistungen von Prostituierten ab 18 Jahren mit anwesenden Personen gegen Entgelt. Als Prostitution werden also das Arbeiten in Bordellen, der Escortservice, BDSM-Angebote (Abkürzung für eine gewisse Sexualpraktik: Bondage & Discipline, Dominance & Submission, Sadism & Masochism),

Straßensexarbeit sowie erotische Massagen angesehen. Es ist irrelevant, ob die ausgeübte Dienstleistung regelmäßig oder nur gelegentlich, haupt- oder nur nebenberuflich ausgeübt wird (vgl. Herter/Fem 2017, S.5).

Prostituierte müssen sich nach § 3 Absatz 1 des Prostituiertenschutzgesetzes nun persönlich bei den jeweils zuständigen Behörden des Bundeslandes, in der die Tätigkeit vorwiegend ausgeübt werden soll, registrieren. Bei der Registrierung sind nach § 4 Abs. 1 zwei aktuelle Lichtbilder abzugeben und Angaben zum Klarnamen, Geburtsdatum sowie -ort, Staatsangehörigkeit und zur aktuellen Meldeadresse zu machen. Ausländische Staatsangehörige müssen nachweisen, dass sie eine Beschäftigungserlaubnis haben, sofern sie nicht

freizügigkeitsberechtigt sind. Die Anmeldepflicht soll bewirken, dass sie bei einem vertraulichen Informations- und Beratungsgespräch Informationen über ihre Rechte, Pflichten und Unterstützungsangebote erhalten. Bei ausländischen Prostituierten kann auf Wunsch zum Zwecke der Sprachermittlung ein Übersetzer anwesend sein. Liegen während des Beratungsgesprächs tatsächliche

Anhaltspunkte vor, die darauf schließen lassen, dass die Ausübung der

Prostitution im hohen Maße fremdbestimmt wird, Minderjährige zur Prostitution gezwungen werden oder Beratungsbedarf hinsichtlich der gesundheitlichen oder sozialen Situation besteht, sollen gemäß § 9 unmittelbar Maßnahmen zum Schutz der Person veranlasst werden. Bei der ersten Anmeldung sind Prostituierte verpflichtet eine gesundheitliche Beratung, die durch einer

zuständigen Behörde des öffentlichen Gesundheitsdienstes durchgeführt wird, innerhalb der vorangegangenen drei Monate nachzuweisen. Laut § 10 Abs. 2 soll die Beratung an die Lebenssituation der Prostitution ausübenden Person

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Empfängnisregelung, Schwangerschaft und Drogen- bzw. Alkoholmissbrauch besprochen werden. Des Weiteren ist es wichtig über sexuell übertragbare Krankheiten aufzuklären. Den Prostituierten soll in einem vertraulichen,

geschützten Raum die Gelegenheit gegeben werden sich zu offenbaren, wenn sie in einer Notsituation oder Zwangslage geraten sind. Die verpflichtende gesundheitliche Beratung müssen Prostituierte nach § 10 Abs. mindestens alle 12 Monate wiederholen. Für Prostituierte unter 21 gelten kürzere Fristen. Hier muss die Beratung nach mindestens 6 Monate erfolgt sein. Eine regelmäßige Wiederholung der gesundheitlichen Beratung soll sicherstellen, dass die Sexarbeiter dauerhaft Zugang zu den wichtigsten Informationen und Unterstützungsangebote erhalten und ist bei einer Verlängerung der

Anmeldebescheinigung stets nachzuweisen. Sie erhalten eine Bescheinigung, dass sie die gesundheitliche Beratung wahrgenommen haben und müssen diese bei der Ausübung ihrer Tätigkeit stets mitführen. Wenn alle Voraussetzungen stimmen und alle Nachweise zur Anmeldung nach § 4 erbracht sind, stellt die zuständige Behörde der anmeldepflichtigen Person innerhalb von 5 Werktagen eine Anmeldebescheinigung aus. Die Regelungen der räumlichen Gültigkeit der Bescheinigung können je nach Bundesland voneinander abweichen. Die

Bescheinigung ist nach § 5 Abs. 4 für Personen über 21 Jahre zwei Jahre und für Personen unter 21 Jahren ein Jahr gültig. Der § 6 des ProstSchG regelt den Inhalt der Anmeldebescheinigung. Neben einem Lichtbild der ausübenden Person enthält die Bescheinigung folgende Angaben: Vor- und Nachname, Geburtsdatum sowie -ort, Meldeadresse, Staatsangehörigkeit, angemeldete Tätigkeitsorte, die Gültigkeitsdauer und Angaben über die ausstellende Behörde. Äußert die anmeldepflichtige Person den Wunsch die Anmeldebescheinigung anonymer zu halten, stellt die Behörde eine sogenannte Aliasbescheinigung aus, die einen selbstgewählten Decknamen des Prostituierten enthält. Sowie die Anmeldebescheinigung als auch die Aliasbescheinigung und der Nachweis über die gesundheitliche Beratung sind laut Gesetz bei jeglicher Ausführung einer prostitutiven Tätigkeit mitzuführen. Bei Nichterfüllung der Auflage sich persönlich mit den geforderten Nachweisen bei der Behörde zu registrieren, wird den

Prostituierten nach § 11 Abs. 1 und 2 eine angemessene Frist gewährt der Forderung nachzukommen. Wer seine Tätigkeit gar nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig anmeldet, handelt laut dem Paragraphen 33

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Absatz 1 Nummer 1 des Prostituiertenschutzgesetzes ordnungswidrig und kann mit einer Geldbuße bestraft werden. Ebenso wird eine Geldbuße erhoben, wenn der Kunde der Prostituierten oder der Prostituierte selber der Kondompflicht nach § 32 Abs. 1 nicht nachkommt. Dies kann mit einer Strafe mit bis zu

fünfzigtausend Euro geahndet werden.

Nach § 12 ProstSchG benötigen Betreiber von Bordellen, Laufhäusern,

Appartements sowie Kollegen, die zusammen arbeiten wollen eine Erlaubnis der zuständigen Behörde. Voraussetzung für die Erteilung einer Erlaubnis ist die Vorlage eines Konzeptes, das die Mindestanforderungen aufzeigt. Nach § 24 müssen die Räumlichkeiten so gestaltet werden, dass sowohl die Gesundheit als auch die Sicherheit der Personen nicht gefährdet sind. Die Räume müssen beispielsweise mit Notrufsystem ausgestattet sein, jegliche Türen müssen von Innen zu öffnen sein und den Prostituierten ist es untersagt in den

Räumlichkeiten gleichzeitig zu wohnen und zu arbeiten. Zudem dürfen Betreiber nach § 26 Abs. 2 den Angestellten keine Weisungen erteilen und Art, Dauer sowie Ausmaß der sexuellen Dienstleistung nicht vorschreiben. Des weiteren sind die Betreiber dazu verpflichtet nur Personen mit Anmeldebescheinigung zu beschäftigen. Sie sind für die Einhaltung der Kondompflicht mitverantwortlich und müssen genügend Kondome bereitstellen. Beim Verstoß gegen die Auflagen, kann ein Bußgeld bis zu 10.000 € erhoben werden.

3.2.1 Die Umsetzung in Mecklenburg Vorpommern

Zur Ermittlung der Informationen über die Umsetzung des ProstSchG in Mecklenburg-Vorpommern hat sich Frau Neutzling, eine Mitarbeiterin des Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGuS) bereit erklärt mir per E-Mail Fragen zum Thema zu beantworten. Die nachfolgenden Informationen

entstammen aus den Antworten des Fragenkatalogs. Am 15. Februar 2018 ist die „Verordnung zum Vollzug des

Prostituiertenschutzgesetzes in Mecklenburg-Vorpommern“ in Kraft getreten. Laut dieser Verordnung ist das LAGuS für die Aufgaben, die in den §§ 3 bis 11

ProstSchG aufgeführt sind, zuständig. Sowohl die Registrierungen als auch die Beratungen erfolgen kostenfrei und zentral. Das LAGuS hat zum Schutz und für

(18)

die Anonymität der Personen, die sich registrieren lassen wollen, einen individuellen Namen für den Fachbereich gewählt. Pro*SABI (pro

Sexarbeiter*innen, Anmeldung, Beratung, Information) soll vor allem den Fokus von der Bezeichnung des ProstSchG nehmen und das Ansehen von Sexarbeitern in der Gesellschaft stärken und anerkennen. Die gesundheitliche Beratung und die Anmeldung finden zu einem Termin, der zuvor telefonisch oder per E-Mail vereinbart wird, in Rostock, Schwerin oder Neubrandenburg statt. Sie werden dabei über die Etage und den Raum im Vorfeld informiert. Die Lage der Beratungsräume wurde bewusst so gewählt, dass Prostituierte im

Publikumsverkehr sind, sodass sie nicht gleich als solche erkannt werden.

Wartezeiten im Flur werden vermieden, da die Beratungen und Anmeldungen nur zu festen Terminen stattfinden. Die Gespräche werden komplett störungsfrei durchgeführt, da separate Büros mit Hinweisen, dass der Eintritt untersagt ist direkt angrenzen. Wenn es ausdrücklich erwünscht ist, kann die

Gesundheitsberatung und Anmeldung in einem Termin erfolgen. Die Anmeldung erfolgt in zwei Etappen. Die vertrauliche gesundheitliche Beratung ist neben den geforderten Unterlagen Voraussetzung für eine erfolgreiche Anmeldung. Es handelt sich lediglich um eine Beratung, bei der sichergestellt werden soll, dass alle Prostituierte umfangreichen Zugang zu Informationen zum

Gesundheitsschutz erhalten und nicht um eine gesundheitliche Untersuchung. Für das Anmeldegespräch inklusive dem persönlichen Gespräch als auch für die Gesundheitsberatung wurden Leitfäden entwickelt. Der Leitfaden für die

gesundheitliche Beratung ist an der Vorlage des Verbandes der

AIDS-Koordinatoren Nordrhein-Westfalen e.V. angelehnt. Außerdem haben Ergebnisse des Gesundheitsamt Rostocks sowie der Beratungsstelle „Selbstbestimmt leben und Arbeiten“ Rostock Einfluss auf den Leitfaden. Es werden Themen wie

Gesundheit, Sicherheit am Arbeitsplatz oder Tipps zum Umgang mit aggressiven Kunden besprochen. Einen wichtigen Stellenwert im Leitfaden finden neben Hygiene, sexuell übertragbare Krankheiten auch das Thema Verhütung und Schwangerschaft. Die Themen werden je nach gesundheitlichen

Informationsbedarf flexibel an die Person angepasst, damit die Sexarbeiter mit einem Mehrwert aus der Beratung gehen können. Die Inhalte des verpflichtenden Informations- und Beratungsgesprächs sind jedoch im ProstSchG festgelegt. Hier werden u.a. Grundinformationen zur rechtlichen Stellung, zur sozialen

(19)

Absicherung, zu Steuerpflichten, Ausstiegsmöglichkeiten und Information über weitere Angebote gegegeben. Ausländische Personen, die einen Dolmetscher benötigen, können selbst entscheiden, ob bei der Verwendung von

Videodolmetschdiensten die Person per Kamera oder nur per Ton zugeschaltet wird, um anonymer zu bleiben. Es existiert darüber hinaus auch ein Leitfaden zur Erkennung von Zwangslagen. Um zu erkennen, ob eine Zwangslage besteht, bedienen sich die Beraterinnen unterschiedliche Methoden. Der bundesweite Koordinierungskreis gegen Menschenhandel (KOK) hat eine Identifikatorenliste zusammengestellt. Neben dieser Liste achten die Beraterinnen auf die

Körpersprache und offensichtliche Verletzungen. Nach § 9 Abs. 2 ProstSchG sind die Beraterinnen verpflichtet Maßnahmen einzuleiten, falls der Verdacht

aufkommt. Ohne Einverständnis des Sexarbeiters werden aber keine Maßnahmen ergriffen, da sie grundsätzlich im Interesse derer handeln. Es

werden vorerst gemeinsam nach Lösungen gesucht, um die Person zu schützen. Das Einverständnis wird nicht benötigt, wenn Gefahr für Leib und Leben

bestehen würde. Es kann neben dem Einsatz der Polizei an die Beratungsstelle ZORA, eine Beratungsstelle für Betroffene von Menschenhandel und

Zwangsverheiratung, oder an das Frauenhaus vermittelt werden. Pro*SABI setzt sich aus einem Team von drei Beraterinnen und einer Fachbereichsleitung zusammen. Sie übernehmen die Aufgabe der Anmeldung sowie des

Informationsgespräches und der gesundheitlichen Beratung. Die Beraterinnen, die im LAGuS tätig sind, müssen über ein abgeschlossenes Studium „Soziale Arbeit“ oder „Sozialpädagogik“ oder über einen ähnlich vergleichbaren Abschluss mit mehrjähriger Praxiserfahrung verfügen. Zudem müssen sie gute Kenntnisse in den Arbeitsfeldern Soziale Hilfen, Gesundheitswesen,

Straffälligen-Hilfen/Resozialisierung und niedrigschwellige und akzeptierende Arbeit im Rahmen der Straßensozialarbeit, Behördenarbeit, Migrationssozialarbeit sowie der Sucht- und Drogenhilfe besitzen.

Bis Juni 2018 haben 184 Menschen eine Tätigkeit nach § 3 ProstSchG angemeldet, darunter wurden 178 Anmeldebescheinigungen auf einen Alias ausgestellt. Eine Einteilung in Geschlechter wird nicht vorgenommen, wobei die Praxis aufzeigt, dass sich auch in Mecklenburg Vorpommern mehr weibliche Personen registrieren lassen. In der Altersspanne von 21 bis 45 gibt es die meisten Registrierungen, darüber hinaus (bis 65 Jahren) und darunter (ab 18

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Jahre) minimieren sich die Zahlen tendenziell. 35 Personen stammen aus

Ungarn, 30 aus Polen, 25 aus Rumänien, 24 aus Deutschland, 17 aus Rumänien und 13 aus Litauen. Die restlichen Staatsangehörigkeiten verteilen sich vereinzelt sowohl auf EU-Länder als auch auf Nicht-EU-Länder. Es wird deutlich, dass der Großteil der Sexarbeiter aus den Osteuropäischen Ländern stammen und nur ein Bruchteil aus Deutschland. Vorausschauend eine Prognose zu erheben wie viele Sexarbeiter sich noch anmelden werden, ist dem LAGuS nicht möglich. Es gibt viele Faktoren, die das Anmeldeverhalten beeinflussen können. Dies kann zum Beispiel die Mobilität der Sexarbeiter, Skepsis und fehlende Identifizierung mit dem Gesetz und die Angst vor der Überwachung sein.

Auf die Frage hin wie die Beratung aus Sicht der Prostituierten wahrgenommen wird, antwortete Frau Neutzling wie folgt: Die Sexarbeiter sollen sich während des Gespräches wertgeschätzt, sicher und wohl fühlen. Die Büros sind einladend und behaglich eingerichtet. Gleich zu Beginn informieren die Beraterinnen in einer vertraulichen Atmosphäre über Anonymität, Inhalte und Sinn der Beratung und persönliche Rechte. Jedes Gespräch findet im Dialog statt und wird an die an die Expertise und den Rhythmus des Klienten angepasst. Die bisher

stattgefundenen Gespräche haben wohl gezeigt, dass die meisten Personen mit einem Gewinn aus der Beratung gehen. Trotz anfänglicher Skepsis haben sie dank der entgegengebrachten Wertschätzung und der Möglichkeit, alle Themen offen ansprechen zu können, das Beratungsgespräch zu schätzen gewusst.

3.2.2 Einschätzung des Gesetzes aus Sicht der Akteure im Prostitutionsmilieu

Doña Carmen e.V; ein Verein für soziale und politische Rechte von Prostituierten, veröffentlichte im Juni 2018 ein Dokument, dass sich mit der Umsetzung und den Folgen aus Sicht der Sexarbeiter beschäftigt. Ein Jahr nach Inkrafttreten des ProstSchG kommen sie zu den Ergebnissen, dass die Umsetzung zu rechtlichen Unsicherheiten führt und die bestehende Diskriminierung noch einmal bestärkt. Die Befürchtung des Vereins, dass sich das Angebot der sexuellen

Dienstleistungen verringern wird, ist eingetroffen. Doña Carmen e.V spricht von einer Illegalisierung von Sexarbeit. Außerdem hat das Gesetz dazu beigetragen,

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dass zahlreiche Prostitutionsgewerbe geschlossen haben, was nachteilige Folgen für viele Sexarbeiter hat. Sie sind der Meinung, dass das Gesetz wieder verschwinden und durch eine „vernünftige und sinnvolle Regulierung des Prostitutionsgewerbes ersetzt werden“ muss (vgl. Doña Carmen 2018, S.1 (Internetquelle)). Das Gesetz würde nach Doña Carmen e.V. die Grundrechte der Menschen mit Füßen treten und sie nicht schützen, wie es der Staat vorgesehen hat. Das ProstSchG beinhaltet nämlich 36 Pflichten für Sexarbeiter und 41 für Betreiber von Prostitutionswegerben. Den vermeintlichen Schutz sieht der Verein nicht. Die vielen Pflichten dienen eher dazu das Milieu engmaschig kontrollieren zu können und gegebenenfalls Sanktionen zu veranlassen. Letztendlich sollen die vielen Pflichten abschrecken und die Prostitution maximal eingedämmt werden. Hinter den Pflichten verbirgt sich der Zwang. Sexarbeiter, die ihre Tätigkeit weiterhin ausüben wollen, werden gezwungen sich einer

gesundheitlichen und Informationsberatung zu unterziehen, um sich der

Zwangsregistrierung unterziehen zu können. Doch Zwang verhindert ein gutes und vertrauensvolles Verhältnis zwischen den Sexarbeitern und Beratern. Ebenso verhindert der Zwang, dass Prostituierte präventive Botschaften akzeptieren, schwächt ihr Selbstwertgefühl und hindert sie daran ein eigenes Durchsetzungsvermögen im Milieu zu entwickeln. Zudem besteht die Gefahr, dass die niedrigschwelligen Angebote der Sozialen Arbeit durch die

Zwangsberatungen nicht mehr wahrgenommen werden, da viele Frauen und Männer die Fachberatungsstellen auch als Behörde/Zwang ansehen könnten. Die Mitführpflicht der Gesundheitsbescheinigung und des im Milieu betitelten Hurenpasses erweist sich als Stigmatisierung und einer diskriminierenden

rechtlichen Ungleichbehandlung einer ganzen Berufsgruppe, denn sie werden als „überwachungsbedürftige Gefahrenquelle“ angesehen (vgl. Doña Carmen 2017. (Internetquelle)).

Auch Emy Fem, eine feministische Aktivistin, Sexarbeiterin und Workshopleiterin, spricht sich gegen das Prostituiertenschutzgesetz aus. Vor allem äußert sie sich sehr kritisch gegenüber dem Aspekt des Datenschutzes. Das Gesetz verletzt die Leitlinie des Europäischen Parlaments zum „Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten“. Informationen über das Sexualleben aller Menschen dürfen nicht registriert und gespeichert werden. Die absolute Datensicherheit kann das Gesetz nicht gewährleisten, da die Weitergabe von

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Daten an Dritte in bestimmten Fällen erlaubt ist. Das Risiko eines ungewollten Outings, der Stigmatisierung und damit einhergehende schwerwiegende, gefährliche Konsequenzen sind erhöht. Durch die Weitergabe von Informationen befürchten zudem zahlreiche Prostituierte Repressionen im Herkunftsland, in dem die Ausübung einer prostitutiven Tätigkeit verboten ist. Zudem haben viele Sexarbeiter durch der Mitführungspflicht des Hurenpasses Angst, dass ihre Zuhälter oder Kunden an ihre Daten kommen und sie somit erpressen können, weshalb viele die Ausweisbescheinigung nicht mitführen werden (vgl. Herter/Fem 2017, S.20).

Sowie Doña Carmen e.V als auch die Aktivistin Emy Fem fordern den bundesweiten Ausbau freiwilliger und anonymer Unterstützungsangebote für Menschen in der Sexarbeit. Sie machen auf die Dringlichkeit aufmerksam, dass das Netz der mehrsprachigen Anlauf- und Beratungsstellen und die niedrigschwellige, aufsuchende Arbeit vergrößert werden muss. Außerdem müssen weitere anonyme, niederschwellige und mehrsprachige Angebote der Gesundheitsdienste und -ämter zur Verfügung stehen, damit auch Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus und Krankenversicherung eine Anlaufstelle haben und nicht in die Illegalität rutschen (ebd. S. 21)

4 Die Soziale Arbeit im Handlungsfeld der Prostitution

4.1 Historische Entwicklung

Um die Entwicklung der professionellen Sozialen Arbeit im Feld der Prostitution nachvollziehen zu können, ist es wichtig sie historisch zu betrachten. Die Historie hat einen entscheidenden Einfluss auf die Etablierung und Professionalisierung des Handlungsfeldes.

In den Siebziger Jahren kamen ausschlaggebende Anregungen aus der Selbsthilfe- bzw. Frauenbewegung. Soziale Arbeit konnte aufgrund der gesellschaftlichen Anerkennung und Partizipation von Frauen innerhalb der Prostitution einen Fortschritt erlangen. Gleichzeitig wurden Fachhochschulen gegründet und die Soziale Arbeit somit akademisiert. Der Wunsch nach

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Selbstbestimmung und politischen Veränderungen wuchs innerhalb der

Gesellschaft signifikant. Trotz Bemühungen in der damaligen Zeit die Stellung der Frau im Bildungs- und Berufsbereich zu verbessern, wurden sie dennoch

weiterhin unterdrückt und benachteiligt. Die Soziale Arbeit beschäftigte sich laut der Randgruppentheorie auch nur mit Randgruppen der Gesellschaft. In dieser Zeit erfolgte jedoch ein gesellschaftlicher Wandel, denn es wurde sich mittels sozialen Bewegungen erstmals für die Rechte von Frauen im Prostitutionsmilieu eingesetzt. Dies hatte die positive Auswirkung, dass sich im Laufe der Achtziger Jahre immer mehr autonome Beratungsstellen mit Projekten entwickelten. Im sozialarbeiterischen Fokus stand die Solidarität und gemeinsame Parteinahme mit den Prostituierten. Es sollten Räume entstehen, in denen Frauen

selbstbestimmt handeln können. Die Anerkennung der Sozialen Arbeit wuchs mit der stetigen Personalsteigerung, sodass aus den anfänglichen Projekten

etablierte Fachberatungsstellen wurden, die sich trotz der finanziellen Hilfe von Außen ihre Eigenständig- und Unabhängigkeit bewahren konnten. Da die

Beratungsstellen eher in den Großstädten entstanden sind und die Anzahl zu der Zeit noch sehr überschaubar war, war es ihnen möglich sich untereinander zu vernetzen und auszutauschen. Prostituierte und Sozialarbeiter organisierten in dieser Zeit der „Hurenbewegung“ gemeinsam Projekte und Tagungen. Das Auftreten als Kollektiv sollte die Frauen weiterhin bestärken sich für ihre Rechte einzusetzen (vgl. Albert 2015, S.12f).

4.2 Methoden der Sozialen Arbeit

Die meisten Prostituiere haben tief reichende Probleme und sind psychisch belastet. Fehlende finanzielle Mittel, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten und nicht in die Wohnungslosigkeit zu rutschen, sind ein Hauptbeweggrund vieler Frauen und Männer, sich zu prostituieren. Es ist nicht selten, dass Prostituierte aufgrund der gesellschaftlichen Stigmata ihren Beruf verheimlichen und ein Doppelleben führen. Aufgrund dessen können sie nur mit Gleichgesinnten offen über Probleme sprechen und werden noch weiter an das Milieu gebunden. Hinzukommt, dass viele Sexarbeiter durch Gewalt- und Missbrauchserfahrungen geprägt sind. Das ist nur ein Bruchteil der Probleme, die Prostituierte in ihrem

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Leben bestreiten müssen. Trotz der Strategien, die sie im Laufe ihres Daseins für sich entwickelt haben, können sie ihre Probleme häufig nicht alleine bewältigen und benötigen professionelle Hilfe.

Im folgenden Abschnitt sollen die Hilfen, die es in Deutschland für Frauen und Männer im Prostitutionsmilieu gibt, näher betrachtet werden. Eine zentrale Aufgabe der Sozialen Arbeit ist die Menschen in ihrer Lebenswelt und ihrem System zu verstehen, zu analysieren und zu beraten (vgl. Wege 2015, S.73). Als wichtigste Methoden im Handlungsfeld bieten sich die Aufsuchende Sozialarbeit, die stationäre Beratung sowie Online-Beratungen an, um möglichst viele

Prostituierte erreichen zu können. Die drei Methoden stellen keine

konkurrierenden Hilfen dar, sondern ergänzen sich gegenseitig, um ihre ganz speziellen Potentiale zu entfalten (vgl. Muñoz/Suter 2015, S.121).

Für Beratungsstellen stehen die Menschenrechte und der Schutz der Sexarbeiter grundsätzlich an erster Stelle. Sexarbeit wird als eine legale Tätigkeit angesehen und akzeptiert. Sie respektieren die Lebens- und Arbeitssituationen und setzen sich dafür ein, dass menschenwürdige Arbeitsbedingungen geschaffen werden. Der legale Aufenthalts- und Arbeitsstatus, die polizeiliche Anmeldung,

Krankenversicherung und Steuern sowie Arbeitstechniken, das familiäre Umfeld und Ausstiegsmöglichkeiten sind ein elementarer Bestandteil der

Beratungsarbeit. Dies bedeutet auch häufig, dass die Sozialarbeiter Prostituierte beim Wahrnehmen von Terminen unterstützen und sie zu Behörden und Ämtern begleiten (vgl. Howe 2015, S. 45). Es werden dabei Methoden, wie die soziale Einzelfallhilfe, Streetwork, Sozialraumorientierung, Gemeinwesenarbeit und Empowerment angewendet. Je nach Standort der Beratungsstellen

unterscheiden sich die Methoden minimal. Jede Methode hat ihre Grenzen, da sie in der Realität selten in reiner Form angewendet werden können. Je nach Situation muss die angewandte Methode hinterfragt und geprüft werden, ob sie die gewünschte Wirkung erzielen wird. Die Einzelfallhilfe legt ihren Fokus auf das Individuum, bei der die Grundbedürfnisse der Klienten befriedigt werden sollen. Bei der Unterstützung der jeweiligen Probleme der Sexarbeiter müssen

Sozialarbeiter sie dazu ermutigen eigene Ressourcen zu entdecken und vor allem zu akzeptieren. Viele Klienten wissen aufgrund ihres fehlenden

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ist absolut niederschwellig gehalten und an keine Bedingungen geknüpft. Die Sozialarbeiter müssen in der Lage sein innerhalb eines kurzen Gespräches herauszufiltern, was das Anliegen des Klienten ist und welches Problem am Schnellsten gelöst werden muss. Die „Anamnese“ muss in einem vertrauten, akzeptierenden und sicheren Umgang stattfinden. Da viele der Klienten bildungsfern aufgewachsen sind und aus dem Ausland kommen, muss das Gespräch sehr einfach und ohne Fachwörter geführt werden. Da die

Handlungsmöglichkeiten einer Fachberatungsstelle begrenzt sind, ist es wichtig, dass sie Netzwerkpartner in den unterschiedlichsten Bereichen haben und ihre Klienten bei Bedarf weitervermitteln können. Da das Angebot absolut freiwillig ist, können Sozialarbeiter in diesem Berufsfeld im Vorfeld nicht wissen wie lange der Prozess dauern wird und haben keinen Einfluss auf den weiteren Verlauf (vgl. Rother 2015, S. 141f).

Empowerment ist in fast jedem Leitbild einer Beratungsstelle zu finden. Es ist eine Grundhaltung und soll die Stärken der Betroffenen hervorbringen.

„Empowerment meint den Prozess, innerhalb dessen Menschen sich ermutigt fühlen, ihre eigenen Angelegenheiten in die Hand zu nehmen, ihre eigenen Kräfte und Kompetenzen zu entdecken und ernst zu nehmen und den Wert

selbsterarbeiteter Lösungen schätzen zu lernen“ (Keupp 1996, S. 164, zit. nach: Galuske 2007, S. 262). Jedoch zeigt sich in der Praxis, dass eine große Lücke zwischen dem Wissen um die Stärken und das Hervorbringen der Stärken

besteht. Viele der Stärken nützen der Problemlösung wenig. Ein negativer Aspekt des Empowerment-Gedankens ist der zeitliche Aufwand. Da diese Prozesse sehr viel Zeit bedürfen und Sexarbeiter meist nicht lange an einem Ort bleiben, ist es schwierig diese Methode umzusetzen.

Die Gemeinwesenarbeit sollte auch Bestandteil der Sozialarbeit sein, denn die Menschen im unmittelbar sichtbaren Arbeitsumfeld Prostituierter müssen für diese Tätigkeit sensibilisiert und dementsprechend aufgeklärt werden. Soziale Arbeit muss gewissermaßen mit professionellen Konzepten das Thema

Prostitution aus dem dunklen Feld ins helle Feld, an die Öffentlichkeit, bringen. Es ist zudem wichtig, dass sie ihr Fachwissen in unterschiedlichen Arbeitskreisen einbringen und sich stets an sozialpolitischen Diskursen beteiligen, um eine höhere Akzeptanz in der Öffentlichkeit zu bewirken (vgl. Wege 2015, S. 81).

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Streetwork stellt eine Kontaktform im Sinne der aufsuchenden Arbeit im Milieu dar. Die Beratungen und Präventionsangebote finden außerhalb der Institutionen unmittelbar in der Lebenswelt der Zielgruppe, z.B. an Straßenecken,

Privatwohnungen statt. Es wird die Szene beobachtet, erste Kontakte geknüpft und wenn nötig, die erste Hilfe geleistet (vgl. Galuske 2007, S. 268). Bei der Methode werden primär problembehaftete Subkulturen und Sozialräume angesprochen, die aufgrund der Stigmatisierungen institutionelle

Beratungsangebote von sich aus eher meiden. Entweder, weil sie keine Kenntnis über diese Angebote haben oder die Angst, die Beratungsstellen aufzusuchen, zu groß ist. Auch aufgrund der Arbeitszeiten ist es ihnen oft nicht möglich

Fachberatungsstellen aufzusuchen. Deswegen ist die erste Kontaktaufnahme in der Szene von großer Bedeutung, da Sexarbeiter nur einen schweren Zugang zu den Institutionen der Sozialarbeit finden. Es ist enorm wichtig, dass Sozialarbeiter die einschlägigen Arbeitsorte kennen und wissen, wann sie wo eintreten dürfen, um das Geschäft nicht zu stören. Sie müssen sich so an den aufgesuchten Orten bewegen, dass sie nicht als Konkurrenz oder Feinde angesehen werden und sich deren Regeln und Normen anpassen. Das oberste Ziel ist es Vertrauen zu

schaffen und dabei sensibel und situationsorientiert vorzugehen, damit Prostituierte später eigenständig Kontakt zu den Sozialarbeitern aufnehmen werden. Beim Arbeiten auf der Straße müssen Sozialarbeiter flexibel Handeln, damit sie auf die örtlichen und situativen Gegebenheiten eingehen können. Siet arbeiten ganzheitlich, d.h. dass sie für fast alle Probleme präsent sein müssen. Sie müssen Krisenintervention leisten, Übernachtungs- und

Wohnmöglichkeiten organisieren, Klienten zu Terminen begleiten usw. (vgl. Rother 2015, S. 145f). Durch Streetwork können mehr potentielle Nutzer erreicht werden, da Orte und Zeiten flexibel gewählt werden und somit auch

Etablissement im Nachtmilieu erreicht werden können. Im Vergleich zur

institutionellen Beratung wird bei der aufsuchenden Arbeit im unmittelbaren Feld der Klienten agiert, was auf beiden Seiten ein Vertrauensverhältnis auf einer vollkommen anderen Ebene schaffen kann. Der intensive Einblick in das Leben und somit die Nähe zum Klienten, schafft eine ganz andere Basis. Prostituierte fühlen sich in der Zusammenarbeit mit den Beratern in ihrem gewohnten Umfeld sicherer als in einem Büro. Dieser Aspekt ist enorm wichtig, da Prostituierte noch immer von der Gesellschaft missachtet und ausgegrenzt werden und ihr Leben

(27)

von Zweifeln und Ängsten geprägt ist (vgl. Albert 2015, S. 15).

Heutzutage ist die mediale Welt nicht mehr wegzudenken. Es werden Einkäufe online getätigt, neue Freunde gesucht oder Musik gehört. Der virtuelle Raum bietet auch für die Prostitution eine völlig neue Form bezüglich des Angebots und der Nachfrage. Sexarbeiter können sich in unterschiedlichen Preisklassen

anbieten und über einen Termin direkt buchen lassen. Das Internet stellt eine neue Herausforderung für die Soziale Arbeit dar, da neue, nicht mehr deutlich sichtbare Orte der Prostitution ausfindig gemacht werden können. Das bedeutet dass neue Formen der Kontaktaufnahme, Kommunikation und Treffpunkten erforderlich sind. Hierzu bieten sich Online-Beratungen an, die sehr

niederschwellig sind (vgl. Albert 2015 , S.17). Prostituierte benötigen lediglich einen Zugang zum World Wide Web und die Fähigkeit sich schriftlich ausdrücken zu können. Die Anonymität und Distanz, die diese Form der Beratung bietet, hilft vielen Nutzern sich zu öffnen, über Probleme sprechen zu können und schafft schnell eine gewisse Nähe. Jedoch besteht bei dieser Methode auch die Gefahr, dass Geschriebenes fehlgedeutet und missverstanden werden kann (vgl. Knatz 2007, S. 4 (Internetquelle)).Die Online-Beratung kann per E-Mail-Kontakt oder per Chat erfolgen. Das Schreiben einer E-Mail ermöglicht es vielen sich auch außerhalb der Öffnungszeiten von Beratungsstellen Rat und Hilfe zu suchen. Diese Möglichkeit sofort und anonym schreiben zu können, verhindert auch, dass potenzielle Hilfesuchende sich nicht umentscheiden, da sie nicht bis zum

nächsten Tag warten müssen. Des weiteren besteht keine Gefahr sich zu outen, da im Vergleich zu einer Face-to-Face Beratung das Geschlecht, Aussehen, Nationalität, etc. weitestgehend verborgen bleibt.

Die Online-Beratung kann für viele Nutzer der erste Orientierungshilfe sein sich in der Zukunft auch persönlich bei einer Beratungsstelle Hilfe zu suchen (vgl.

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4.3 Kompetenzen eines Sozialarbeiters im Berufsfeld der

Prostitution

Fachkräfte der Sozialen Arbeit haben nach dem Kompetenzmodell die Aufgabe die Lebensbedingungen der Klienten zu verbessern und in der Komplexität des sozialen Leistungssystems zu handeln. Nach Gromann ergeben sich drei

Kompetenzbereiche: die Selbst-, Fall- und Systemkompetenz. Die Fallkompetenz behandelt den Inhalt, Probleme und Ressourcen eines Falles. Um professionell handeln zu können, fällt der Blick bei der Systemkompetenz auf das Netzwerk und Sozialarbeiter interagieren mit anderen Bereichen. Weiterhin müssen Sozialarbeiter eine gewisse Selbstkompetenz mitbringen. Diese beinhaltet die Einstellung, Sichtweise, Haltung und Motivation und beleuchtet die Eignung, die ein Sozialarbeiter im jeweiligen Berufsfeld mit sich bringen müssen (vgl.

Gromann 2010, S.11). Bei der Beratung ist es wichtig sich an der Lebenswelt des Klienten zu orientieren (vgl. Grundwald/ Thiersch 2011, S.854). Es ist wichtig, dass man die Komplexität der Prostitution versteht und sie systemübergreifend analysiert. Thiersch richtet sich dabei an die Dimensionen Zeit, Raum, soziale Bezüge und Bewältigungsarbeit. Zeit bedeutet dabei, dass die Biografie des Klienten respektvoll betrachtet werden muss und einzelne Lebensabschnitte im Zusammenhang mit der prostitutiven Tätigkeit gebracht werden. Ein Blick in die Zukunft ist unabdingbar. Eine weitere Dimension ist der Raum, der bei der lebensweltorientierten Sozialarbeit eine große Rolle spielt. Prostitution ist ein äußerst differenzierter und heterogener Bereich, der im öffentlichen Raum stark überwacht und reguliert wird. Das Milieu befindet sich ständig in Bewegung und verändert ihren Raum. Aus diesem Grund muss auch die Soziale Arbeit ihre Zugangswege stets anpassen, um erfolgreich arbeiten zu können (vgl. Albert 2015, S.15). Die Angebote müssen dem Arbeits- und Lebensraum der Klienten so angepasst werden, dass diese auch angenommen werden und nachhaltig wirken können. Es sollte Ziel der Sozialen Arbeit sein vor allem den Lebensraum der Prostituierten zu verändern, damit sie sich sicher und wohlfühlen können, denn häufig Überschneiden sich die beiden Lebensräume. Um dies gewährleisten zu können, bedarf es eine sozialräumliche Analyse. Mit den Erkenntnissen der Analyse können Sozialarbeiter ihre Arbeit professionell nach den Bedürfnissen des Klientels ausrichten. Der letzte Aspekt ist der der sozialen Bezüge. Die

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Klienten leben sehr oft in zerrütteten und belastenden Strukturen und benötigen beim Aufbau eines sozialen Umfeldes professionelle Hilfe. Bei der

Bewältigungsarbeit sollen gemeinsam mit den Klienten Strategien entwickelt werden, die es zulassen wieder Sicherheit in ihrer Lebensweise zu erlangen und sich Kompetenzen für eine ausgeglichene Lebensbewältigung zu erarbeiten (vgl. Wege 2015, S.89f).

Das fundierte Wissen über das Milieu und die Bereitschaft sich ständig weiterzubilden, bilden den Grundstein der professionellen Handlung. Es ist besonders wichtig, dass sich Beraterinnen einen breites Fachwissen im Bereich Recht aneignen. Nur so können sie Zugang zu den Prostituierten finden und akzeptiert werden. Sozialarbeiter müssen im Bereich des Prostitutionsmilieus zudem eine sehr gute Menschenkenntnis haben, mit psychischen Belastungen und unvorhersehbaren Krisen umgehen können. Sie müssen sich im hohen Maße auch selbst reflektieren können, um die eigene psychische Gesundheit zu erhalten. Die Distanzierung der Arbeit und des privaten Lebens ist enorm wichtig, denn die intensive Auseinandersetzung mit dem Milieu kann dazu führen, dass sich die Sozialarbeiter gerade in den ersten Jahren auf eine Ebene mit den Prostituierten stellen, sich abgewertet fühlen und sich stets vor ihrem Umfeld schützen müssen. Der eigene Umgang mit dem Thema Sexualität und

Prostitution ist für die Arbeit entscheidend. Festgefahrene Moralvorstellungen wirken sich negativ auf eine gute Beratung aus. Es ist demnach wichtig, dass Sozialarbeiter die Ereignisse der Prostituierten wertfrei betrachten müssen, auch wenn diese mit den eigenen Moral- und Wertevorstellungen nicht kompatibel sind. Die Befähigung professionell mit Netzwerkpartnern zu arbeiten, ist eine weitere wichtige Kompetenz. Es bedarf ein gutes Netz von weiteren Fachleuten und Institutionen, wie zum Beispiel Anwälte, Ärzte, Polizei, Sozialamt usw, um Klienten erfolgreich zu helfen und Veränderungen zu erzielen. Dies erfordert eine effektive Anwendung und Koordination des Fachwissens, um im Sinne der

Klienten lösungsorientierte Angebote zu erarbeiten. Die Kenntnis über Methoden der Sozialen Arbeit und der richtige Umgang auf modifizierter und bewusster Weise stellt auch im Bereich der Prostitution eine wichtige Grundhaltung dar. Denn auch hier müssen die Methoden mit vielen Zielgruppen erst erprobt werden, ständig überprüft, der jeweiligen Situation angepasst und ihre Grenzen anerkannt werden. Ohne Aneignung der Methoden ist ein professionelles

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Handeln nicht möglich. Relevant ist dabei nicht die reine Anwendung einer Methode, sondern die persönliche innere Haltung gegenüber der Klienten. Im Fokus soll nicht das jeweilige Problem stehen, sondern der Mensch. Positive Wertschätzung, Unvoreingenommenheit und Empathie sollten Eigenschaften der beratenden Sozialarbeiter sein (vgl. Galuske 2011. S.182 ff).

Fachkräfte der Sozialen Arbeit im Feld der Prostitution benötigen auch zunehmend eine interkulturelle Selbstkompetenz, um in Situationen, die von Mehrkulturalität gelenkt werden, professionell und angemessen handeln zu können.(vgl. Freise 2007, S.237) Aufgrund des großen Anteils der Migranten in Deutschland ist es wichtig, dass auch Sozialarbeiter eingestellt werden, die die sprachlichen Kompetenzen des Klientels abdecken können. Wenn dies nicht gewährleistet werden kann, können geschulte kulturelle Mediatorinnen als zusätzliche Honorarkraft eingesetzt werden (vgl. Netzelmann/Steffan 2015, S.108).

5 Soziale Arbeit in Mecklenburg Vorpommern

Auch in Mecklenburg Vorpommern sind Sexarbeiter tätig und haben aufgrund der bestehenden psychischen und physischen Belastungen einen erhöhten

Beratungsbedarf. Sexarbeit muss auch hier wahrgenommen und entstigmatisiert werden. Im ganzen Bundesland gibt es bisher nur eine Anlaufstelle für

Menschen, die in diesem Tätigkeitsfeld aktiv sind. Dank des Engagements der Gleichstellungsbeauftragten Brigitte Thielk und des Runden Tisches zum Thema Prostitution existiert die Beratungsstelle „SeLA“ (Selbstbestimmt Leben und Arbeiten), die unter der Trägerschaft „Frauen helfen Frauen e.V.“ arbeitet, seit 2014 in Rostock. Da die Beratungsstelle zu 100 % kommunal unter der

Zuwendungsgeberschaft gefördert wird, beschränkt sich die Beratungstätigkeit leider nur auf Rostock, obwohl in ganz Mecklenburg Vorpommern erhöhter

Bedarf besteht. SeLA sieht die Sexarbeit als freiwillig erbrachte Dienstleistung an, bei der ein einvernehmlicher Vertrag zwischen Erwachsenen besteht. Ohne Einvernehmen handelt es sich um erzwungene Sexualität und sexuelle Gewalt. Für Frauen und Männer, die Opfer des Menschenhandels wurden, gibt es in

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Schwerin eine Anlaufstelle namens ZORA, um Unterstützung zu finden. Weitere anonyme Angebote, wie Impfberatungen, die Durchführung eines

HIV-Schnelltests oder gynäkologische Untersuchungen, können in in den zuständigen Beratungsstellen der Gesundheitsämtern wahrgenommen werden.

Der nachfolgende Abschnitt beschäftigt sich mit dem Konzept, den

Beratungsangeboten der SeLA sowie den Veränderungen, die das ProstSchG mit sich gebracht hat. Die Informationen entstammen dem Interview, das am

27.06.2018, mit den beiden Mitarbeiterinnen der Beratungsstelle stattgefunden hat.

5.1 Fachberatungsstelle für Menschen in der Sexarbeit - SeLA

Die Fachberatungsstelle beschäftigt zwei Mitarbeiterinnen, Frau Kamitz und Frau Herrmnann, die sich für den Abbau der Stigma über Sexarbeiter und für die Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen einsetzen. Die Beratungen finden sowohl in den Beratungsräumen als auch in den Terminwohnungen statt, wobei die aufsuchende Beratung überwiegt. Diese Angebote sind anonym, freiwillig und kostenfrei. Es werden zu den unterschiedlichsten Themen beraten, wie Existenzsicherung, Krankenversicherungsschutz, Gewerbeanmeldungen, körperliche/seelische Gesundheit, Familie, Umgang mit Kunden und in diversen anderen sozialen Notlagen. Die Beraterinnen sind ebenfalls

Ansprechpartnerinnen für Mitarbeiter von sozialen Einrichtungen, Behörden, Angehörige und Unterstützer von Sexarbeitern. Seit Inkrafttreten des

Prostituiertenschutzgesetzes sind viele Fragen zur rechtlichen Situation aufgekommen und die Anzahl der Sexarbeiter, die die Beratungsstelle direkt aufsuchen gestiegen. Ein Großteil der Sexarbeiter, die die Beraterinnen antreffen arbeiten in ganz Mecklenburg Vorpommern bzw. in ganz Deutschland verteilt. Ein geringer Anteil von 5% der Sexarbeiter arbeiten ausschließlich in Rostock. In jeder Stadt über 15.000 Einwohner werden Modellwohnungen vermietet, in denen sie zeitweise ihre Dienste anbieten können. Um auf sich aufmerksam zu machen und Kunden zu gewinnen, schalten sie für den jeweiligen Standort Werbeanzeigen auf den einschlägigen Webseiten, die für jeden öffentlich zugänglich sind.

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SeLA führt regelmäßige Statistiken durch, um sowohl die Anzahl, das Alter, das Geschlecht und die Herkunft der Sexarbeiter in Rostock und zeitweise auch in Mecklenburg Vorpommern zu erfassen sowie den Beratungsbedarf zu ermitteln. Die Beraterinnen haben im Interview beschrieben, dass sie das bestehende Angebot der sexuellen Dienstleistungen in den öffentlich sichtbaren und den verdeckten Bereich einteilen. Im verdeckten Bereich, dem schwer zugänglichen Bereich, arbeiten vorwiegend Studenten, Sexarbeiter in Teilzeit, Excorts,

Gelegenheitsprostitutierte und Mann/männliche Sexarbeitende. Für diesen Bereich bietet das Internet die Plattform, um über Chats oder Foren ein Treffen in der Privatwohnung oder im Hotel zu vereinbaren. SeLA vermutet, dass es sich vorwiegend um deutsche Personen handelt, die im jeweiligen Ort wohnen. Laut Zählung waren 2016 in diesem Bereich circa 120 Personen dauerhaft auf Portalen wie kaufmich.com und planetromeo.com mit ihrem Angebot tätig. Der nicht sichtbare Bereich macht in etwa zwei Drittel der Sexarbeit in Mecklenburg Vorpommern aus. Es handelt sich allerdings nur um eine grobe Schätzung, da über die tatsächlichen Aktivitäten keine eindeutigen Aussagen gemacht werden können. Den anderen Teil macht der öffentlich sichtbare Bereich aus. Es

bewegen sich wöchentlich rund 200 Sexarbeiter in MV, die ausschließlich im Etablissement Modellwohnung ihre sexuellen Dienstleistungen anbieten. In der Hansestadt Rostock gibt es derzeit 56 Modellwohnungen, ein Laufhaus (Bordell), zwei Nachtclubs und nicht weniger als sieben Massagestudios mit

Extradienstleistungen. Die Stadt bietet somit den Standort mit den meisten Möglichkeiten in ganz MV. Im Jahr 2016 hat SeLA im öffentlichen Bereich 1600 Sexarbeiter ausschließlich in Rostock gezählt. Dabei haben sie etwa 412 Personen bei ihrer aufsuchenden Arbeit getroffen, wovon 78 % Erstkontakte waren. 60 – 70 % kommen aus Ost-Europa. Viele der Sexarbeiter haben keinen Wohnsitz im Bundesland und kehren regelmäßig in ihre Heimat zurück. Sie arbeiten und wohnen oft zugleich in den gemieteten Modellwohnungen, was mittlerweile durch das ProstSchG verboten ist. Es sind überwiegend Frauen, die ihre sexuellen Dienstleistungen anbieten. SeLA trifft bei ihrer Beratungsarbeit gerade mal ungefähr 4-6 % Transfrauen und 0,8 % Männer an. Frau Kamitz und Frau Herrmann suchen zwei mal wöchentlich von Dienstag bis Donnerstag die Terminwohnungen auf, obwohl sie nicht wissen ob die Person hinter der Tür beratungsbedürftig ist oder nicht. Die aufsuchende Arbeit findet immer zu zweit

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