• Keine Ergebnisse gefunden

Es gibt immer einen Weg Erfahrungen aus der Problempferdhilfe

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Es gibt immer einen Weg Erfahrungen aus der Problempferdhilfe"

Copied!
13
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Es gibt immer einen Weg

Erfahrungen aus der Problempferdhilfe

Patricia Backhus

(2)

Es gibt immer einen Weg

Erfahrungen aus der Problempferdhilfe

Patricia Backhus

(3)

1#ǪţŢdžťǪūŦŪţŢŪǪťŨǪŨ 1#ǪţťdžūũŪǪťǪūŦŪţŢŪǪťŨǪŨ

Erstausgabe 2012

© 2012 Patricia Backhus

Coverbild und Fotos: Privatarchiv der Autorin

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografi e, Mikrofi lm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verfassers reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme ver- arbeitet werden.

Herstellung: Druck- & Verlagshaus Mainz GmbH, Aachen

spirit Rainbow Verlag UG haftungsbeschränkt Buchauslieferung & Autorenbetreuung Süsterfeldstraße 83

52072 Aachen

E-Mail: info@spirit-rainbow-verlag.net www.spirit-rainbow-verlag.de

www.motibooks.de 1#ǪţŢdžťǪūŦŢũŢŢǪŧŢǪū 1#ǪţťdžūũŪǪťǪūŦŢũŢŢǪŧŢǪŨ -pWctdž

NǪee_dž

(4)

Allen Geschöpfen dieser Erde wünsche ich, dass sie sich gegenseitig umarmen und das große Glück spüren können, am Leben zu sein.

Ich sage „Danke“:

Ċ Meiner Tochter Victoria für das entzückende Lied: „Du schaff st das schon…“ wenn es sehr gefährlich wurde.

Ċ Meiner Stute Randalin, die mir in unendlicher Liebe so viel beigebracht hat.

Ċ Meiner Stute Halastjarna, die alle meine Reitausbildungen erfolgreich ausgehalten hat.

Ċ Meinem Hengst Svalur für das Gedankenlesen meiner Wünsche, die er schon erfüllte, wenn ich es noch träumte.

Ċ Meinem Mann Hans für das Mittragen meines Werdegangs.

Ċ Annelie Glässing, der weltbesten Reitlehrerin.

Ċ Klaus Ferdinand Hempfl ing, bei dem ich gelernt und viel über das Wesen und die Persönlichkeit der Pferde erfahren habe.

Ċ Und all meinen Klienten für das Vertrauen und die vielen rührenden Momente!

W

IDMUNG

(5)

4

VONZARTEN WESEN – Elena, die Träumerin ...5

Balou ...17

Vom Umgang mit der Angst ...20

Hängerproblem ...26

Depla ... 31

Eine lebendige Autorität werden ...39

Mut zur Veränderung ... 42

Unberechenbar - oder der Mantel der Unscheinbarkeit ... 45

Pegasus ... 49

Wenn gar nichts mehr geht ... 54

Falsch verstandene Liebe ...60

Erziehung ...69

Die graue Maus ... 75

Manche Träume müssen leider Träume bleiben ... 81

Man sieht sie einfach nicht ... 94

Kinder, Kinder ... 100

Gold! ...113

Potpourri ...119

Nachwort ...122

I

NHALT

(6)

5

V

ONZARTEN

W

ESEN

- E

LENADIE

T

RÄUMERIN

Schläft ein Lied in allen Dingen.

Die da träumen fort und fort, Und die Welt hebt an zu singen, Triff st du nur das Zauberwort.

Joseph von Eichendorff

„Hallo, Frau Backhus, sind Sie es?“ Ich ahne schon, das wird Frau Berg, die Besitzerin der Hafl ingerstute sein, mit der ich seit zwei Wochen einen Termin vereinbart hatte.

Schon vor 14 Tagen war sie hin und her gerissen, ob sie der Stute ihrer Tochter noch eine Chance geben sollte oder nicht. Das Tier war im Gelände durchgegangen, hatte vorher einen Haken geschlagen und Frau Berg, die heruntergefallen war, blieb im Steigbügel stecken und wurde 200 Meter mitgeschleift, wobei sie sich große Verletzungen am ganzen Körper zuzog. Als sich endlich der Steigbügel vom Sattel löste, hatte das Tier sie noch mit einem Hinterbein am Kopf erwischt. Wegen Schädel-Hirn-Trauma musste sie drei Wochen im Krankenhaus bleiben. Natürlich hat die Seele das Ganze noch nicht verkraftet, in unserem ersten Gespräch hat Frau Berg nur geweint und gesagt, sie wolle das Tier nicht mehr sehen und schon gar nicht gestatten, dass ihre Tochter sie reitet. Die Tochter, Jule, spricht kein Wort mehr mit ihr, seit klar wurde, dass die Mutter das Pferd verkaufen möchte.

„Hallo Frau Berg, ja ich bin es. Und Sie möchten jetzt den Termin absagen?“ Stille.

„Hallo, Frau Berg, sind Sie noch dran?“

„Ja, ich bezahle Ihnen alle Unkosten, die Sie hatten, wenn Sie die Fahrkarte schon haben, aber ich kann einfach nicht verantworten, dass wir dieses Pferd behalten. Ich habe eine solche Angst, dass ich schon körperlich reagiere. Das kann ich mir nicht leisten. Nicht auszudenken, wenn meiner Tochter etwas passiert, und ich habe es nicht verhindert. Ich kann und will damit nicht mehr leben ...“

„Schon gut, Frau Berg, beruhigen Sie sich. Ich habe zwar schon die Fahrkarte, aber ich kann sie zurückgeben. Mein Reisebüro ist sehr kulant.“

„Ich bezahle Ihnen auch die Kosten für Ihre Vorbereitungen und die Zeit, die wir über das Pferd gesprochen haben.“

„Das brauchen Sie nicht. Das gehört zum Service. Ich werde die Fahrkarte sofort stornieren. Sie kommen erst einmal wieder zu sich und versorgen in Ruhe Ihre Wunden.“

„Meine Wunden sind verheilt.“ Schon wieder weint sie. „Aber ich habe eine solche Angst, nichts ist mehr, wie es war. Ich habe kein Vertrauen mehr in dieses Tier. Ich kann es noch nicht einmal besuchen. Ein Bauer hat es fünf Kilometer vom Unglücksort völlig verstört vorgefunden und Stunden gebraucht, um es einzufangen. Meine Tochter spricht kein Wort mehr mit mir und mein Mann macht mir Vorwürfe, dass ich zulasse, dass meine Tochter dieses Pferd reitet. Ich kann einfach nicht mehr.“

„Ganz ruhig, Frau Berg. Egal, wie Sie sich entscheiden, alles wird wieder gut“, versuche ich zu beruhigen.

Frau Berg hört auf zu weinen. „Sie sind doch auch Mutter. Was würden Sie denn tun?“

„Ich denke, dass wird Ihnen nicht helfen. Sie müssen tun, was Sie für richtig halten.“

„Aber wie ich es entscheide, es ist immer falsch. Entweder meine Tochter ist sauer oder mein Mann macht mir Vorwürfe.“

(7)

6

„Wichtig ist, was Sie für richtig halten.“

„Ich weiß gar nichts.“

„Sie brauchen erst einmal Zeit, um zu sich zu kommen. Manche Entscheidungen brauchen einfach mehr Zeit. Ich bin sicher, wenn Sie ein bisschen Abstand haben, werden Sie eine Entscheidung treff en können, die passend ist. Ich wünsche Ihnen alles erdenklich Gute und viel Nachsicht mit Ihnen selbst. Geben Sie sich Zeit und treff en Sie keine schnelle Entscheidung die Sie später bereuen. Die Zeit wird Sie weiter bringen. Ganz bestimmt.“

„Ich bin Ihnen sehr dankbar für Ihr Verständnis. Vielen Dank.“

„Keine Ursache und alles Gute“, antworte ich noch. Da hat Frau Berg schon aufgelegt.

Schade, denke ich, aber es ist wichtig, dass die Leute selbst entscheiden, welchen Weg sie gehen wollen. Und ein möglicher Weg ist nun einmal, das geliebte Tier wegzugeben, wenn es Probleme macht. Manchmal ist es auch ein guter Weg, wenn keine Liebe im Spiel ist. Da ist es für beide besser, sie trennen sich und haben eine Chance, ein neues Glück zu fi nden, sowohl Pferd als auch Reiter. Aber hier ist off ensichtlich doch Liebe im Spiel, sonst würde Frau Berg ja nicht dermaßen im Konfl ikt stecken. Vielleicht hätte ich ihr doch Mut machen sollen, es zu versuchen? Nein, mein Grundsatz ist, der Besitzer entscheidet selbst und steht für seine Entscheidungen auch ein.

Mein Reisebüro sagt, es sei kein Problem, die Tickets zu stornieren. Die Fahrt sollte ja erst in einer Woche stattfi nden und es ist ein reguläres Ticket. Na also, kein Schaden entstanden.

Zwei Tage später klingelt das Telefon wieder: „Frau Backhus?“

„Hallo Frau Berg“, sage ich.

„Können Sie sich noch darauf einlassen, eventuell doch zu mir zu kommen?“

„Na ja, der von Ihnen abgesagte Termin ist nun vergeben, aber in 19 Tagen könnte ich kommen.“

„Würden Sie das für mich tun? Und was, wenn ich wieder absage?“

„Ich werde die Fahrkarten erst am Tag der Reise kaufen. Dann ist es zwar etwas teurer, aber es entstehen keine Unannehmlichkeiten.“

„Ich habe unsere Elena besucht, sie ist immer noch total verängstigt und zuckt bei jedem Geräusch furchtbar zusammen. Sie tut mir sehr leid. Wem sollte ich sie denn verkaufen? Gute Reiter kaufen sich sicher nicht solch ein Pferd und die anderen haben ja dann die gleichen Probleme. Entweder wird sie dann wieder verkauft oder kommt zum Schlachter. Ich denke, ich habe sie zu dem gemacht, was sie jetzt ist und ich kann sie doch so nicht einfach weggeben.“

„Sie können schon, aber die Frage ist tatsächlich, wie kommen Sie damit zurecht?“

Sie heult schon wieder auf: „Ich bringe es einfach nicht übers Herz. Und Jule sagt, wir könnten das Pferd ja auch auf der Koppel lassen, wenn nichts anderes geht, aber wir können sie einfach nicht im Stich lassen. Als wir sie bekommen haben, gab es keine Probleme. Das ist erst in letzter Zeit entstanden, seit wir sie regelmäßig geritten haben. Also liegt es ja doch auch an uns, dass es Elena so schlecht geht. Und vielleicht können Sie uns ja doch noch helfen. Jule sagt, sie wünsche sich nichts zum Geburtstag, zu Weihnachten und zu Ostern, nur dieses Pferd. Sie würde meinen Mann und mich sonst hassen bis an ihr Lebensende.“

„Ach Frau Berg, machen Sie es sich doch nicht so schwer. Ich schaue mir das Pferd an, wenn Sie mir die Fotos geschickt haben, und dann kann ich Ihnen schon sagen, ob Sie

(8)

7 es schaff en werden, damit umzugehen oder nicht. Ich sage Ihnen ganz genau, welchen Charakter Ihr Pferd hat, dann können wir entweder einen Weg aus der Angst suchen, oder Sie geben das Pferd in gute Hände ab.“

Zwei Minuten später kommt die von mir angeforderte E-Mail mit Fotos von Elena.

Mir ist sofort klar, dass dieses Pferd in unwissenden Händen völlig überfordert ist.

Es sieht aus wie ein Barbiepferd. Ein isabellfarbenes Tier mit schneeweißem, irrsinnig langem Behang. Die Nüstern sind zur Hälfte rosa, zur anderen Hälfte weiß, die Augen ganz weit weg nach innen gekehrt. Dieses Pferd ist hoch vergeistigt, immer mit den Gedanken woanders und erschrickt natürlich jedes Mal, wenn es wieder in der Realität ankommt. Und es ist absolut rangniedrig, braucht also unbedingt einen Gefährten an der Seite, der es beschützen kann und will. Sowohl in der Haltung als auch beim Reiten.

In der Off enstallhaltung würde die Stute sich schwer tun, weil derart absente Pferde in der Herde unbeliebt sind, sie sind ja gar nicht belastbar oder funktional nützlich für die Gemeinschaft. Wenn diese Stute geritten wird, muss sie andauernd wach gehalten werden und das darf nicht länger als zehn Minuten dauern. Danach ist sie überfordert und man muss damit rechnen, dass sie wieder in ihre geistige Welt abtaucht, wobei sie dann jederzeit erschrecken kann, wenn sie wieder in die Realität kommt.

Ansonsten ist dieses Sensibelchen intensiv zu hegen und zu pfl egen und dann ist sie in der Lage, eine ganz enge Beziehung zu ihrem Besitzer aufzubauen, weil sie selbst so schlecht für sich sorgen kann.

Ich rufe Frau Berg wieder an.

„Hallo, Frau Berg, ich darf Ihnen versichern, Sie haben einen Traum von einem Pferd.

Und wenn Sie es so behandeln, wie ich es Ihnen erkläre, werden Sie einen ganz treuen Begleiter haben. Natürlich bleibt beim Reiten immer ein Risiko, aber mit diesem Tier können Sie bestimmt aus der Misere herausfi nden, wenn Sie das möchten. Es ist ein sehr gutmütiges, verträumtes Pferd. Ein wirklicher Schatz, den es zu behüten gilt.“

„Soll ich meiner Tochter den Umgang mit ihr wirklich erlauben?“

„Diese Entscheidung kann ich Ihnen nicht abnehmen. Aber ich kann Ihnen versichern, dass Elena in keiner Weise bösartig, stur oder besonders gefährlich ist.“

„Aber warum ist sie dann durchgegangen? Es war doch nichts.“

„Doch, es war etwas, aber das kann ich Ihnen vor Ort besser zeigen.“

„Frau Backhus, kommen Sie zu uns. Mein Mann wird ebenfalls da sein und dann können wir als Familie beraten, ob wir es mit Elena schaff en können oder nicht.“

„Sie werden es schaff en. Es ist wirklich nicht schwer mit diesem Pferd. Sie kämpft kein bisschen, gibt sich höchstens selbst auf, wenn das Band zu ihrem Besitzer abreißt.

Leckt Sie Ihnen oft die Hand?“

„Nein, aber bei meiner Tochter, andauernd leckt sie Jules Hand.“

„Dann ist Jule ihr Liebling. Ich hätte gern, dass Jule mit ihr arbeitet und sie und ihr Mann schauen zu.“

„Das will Jule nicht. Sie ist in der Pubertät und sie will schon gar nicht, dass wir ihre Angst sehen.“

„Ja klar, solange Sie ihr das geliebte Pferd wegzunehmen drohen, wird sie natürlich nicht wollen, dass Sie ihre Angst sehen. Seien Sie dann einfach alle vor Ort, wenn ich komme. Dann arbeite ich zuerst mit Jule allein, hinterher besprechen wir dann alles genau zusammen. Und sagen Sie Jule, ich weiß ihren Schatz zu würdigen und werde ihr

(9)

8

genau erklären, wie sie ihn hüten kann und wie sie ihn reiten kann. Ich bin sicher, dass sie das Tier liebt und dann wird sie auch mit ihr umgehen können. Sie braucht einfach eine Art Gebrauchsanweisung.“

Frau Berg ist immer noch skeptisch: „Ist das wirklich zu verantworten?“

„Es gibt Leute, die gar nicht aus dem Haus treten, aus lauter Angst, es könnte ihnen etwas passieren. Das müssen Sie entscheiden. Reiten ist immer gefährlich. Genauso wie Auto fahren. Wie sagte Erich Kästner: ‚Sind wir doch ehrlich, das Leben ist immer lebensgefährlich’. Sie sollten abwarten, bis ich bei Ihnen war, dann können Sie immer noch Ihre Entscheidung treff en. Aber geben Sie Ihrer Tochter die Chance. Lassen Sie Jule bis zu unserem Termin nicht reiten. Und heben Sie sich Ihre Entscheidung bis dahin auf.“

„Bitte, sagen Sie mir, was Sie täten, wenn es Ihre Tochter wäre“, fragt mich Frau Berg noch.

„Also gut, ich würde meiner Tochter alles beibringen, was zur Sicherheit im Umgang mit diesem Pferd nötig wäre. Dann würde ich sie immer wieder auf die Gefahren aufmerksam machen und so weit wie möglich für ihre Sicherheit sorgen. Ich würde mir genau ansehen, was ich meiner Tochter zutrauen kann und was nicht. Und dann würde ich ihr Schritt für Schritt erlauben, was ich ihr sicher zutrauen kann. Ich kenne ihre Tochter nicht, aber wenn sie das Tier liebt, wird sie sich darauf einlassen genau das zu tun, was in größtmöglicher Sicherheit machbar ist. Und das ist ein guter Weg.

So bin ich immer gut gefahren. Das Kind nur loslassen, wenn es so weit ist“, rate ich.

„Wenn ich es nicht wenigstens versuche, verliere ich mein Kind“, meint Frau Berg.

„Auch da heilt die Zeit die Wunden. Irgendwann würde sie Ihnen vergeben, weil sie merkt, dass Ihre Entscheidung nicht leichtfertig war und aus Liebe entstanden ist.

Aber mir scheint es wichtig, den Kindern Mut zu machen, das zu tun, was sie tun müssen. Und zwar so kompetent wie möglich. Sonst züchten Sie sich noch einen Angsthasen. Jemanden, der schon im Vorfeld aufgibt.“

„Ja, wie mich.“ Zum ersten Mal klingt ihre Stimme klar und belustigt.

Gut zwei Wochen später ist es soweit.

„Hallo, ich bin Ella Berg. Schön, Sie endlich persönlich kennen zu lernen. Und das ist meine Tochter, Jule.“

Mir bleibt die Luft weg. Ich atme tief ein und schaue die Tochter verblüff t an.

„Sie sieht aus wie ihr Pferd“, kommt es aus meinem Mund. Nicht gerade ein Kompliment, wenn man aussieht wie ein Pferd. In diesem Fall aber schon. „Sie hat sicher auch dieselben Probleme?“, denke ich laut.

Frau Berg schaut mich lachend an. „Ja, bitte erzählen Sie uns von den Problemen, die unser Pferd hat. Wir sind so gespannt. Sie haben ja schon am Telefon angedeutet, dass Sie sich vorstellen können, dass Elena Probleme machen könnte. Wir fahren am besten direkt zum Pferd und dort habe ich ein kleines Erfrischungspicknick vorbereitet.“

Wir kommen am Stall an. Es ist ein kleiner Stall und in der ersten Box steht Elena. Ich habe mich nicht getäuscht. Dieses Pferd sieht aus wie ein Barbiepferd, das noch nicht erwachsen ist.

Die Stute ist auch erst fünf Jahre alt, aber sie wird nie erwachsen aussehen. Sie hat riesengroße schwarze Kulleraugen, die völlig abwesend sind und erschrickt natürlich gleich wieder, als wir in den Stall kommen.

(10)

9

„Da haben Sie es, schon wieder schreckt sie zusammen“, resigniert Ella Berg genervt.

Ich gehe zunächst nicht darauf ein und frage: „Wollen wir uns nicht duzen?“

Sie stimmt gleich zu. „Mein Mann Klaus kommt erst später“, sagt sie noch.

„Komm, wir setzen uns draußen auf die Bank. Ich muss erst einmal einen kleinen Vortrag halten.“ Wir setzen uns. Ella schickt Jule weg, um Getränke zu holen. Ich nutze die Gelegenheit: „Hat deine Tochter in der Schule Probleme mit ihrer Konzentration?“

„Ja, sogar ziemlich, dabei ist sie nicht dumm. Aber sie träumt andauernd und deshalb hat sie schlechte Noten.“

„Siehst du, und das gleiche Problem hat Elena. Ich vermu- te, sie kann sich höchstens zehn Minuten am Stück konzentrieren. Es ist sehr

häufi g so, dass Tierbesitzer sich entweder das genaue Gegenteil ihres Charakters aussuchen oder genau den gleichen Typ.“

„Ja, Jule hat das Tier ausgesucht. Sie ist ja auch bildschön, mit ihrem zarten Körper und der feinen schneeweißen Mähne.“

„Ja, wie ein Engelchen, genau wie deine Tochter. Solch ein bildschönes Mädchen habe ich selten gesehen. Ganz zierlich, lange blonde Locken und riesige blaue Augen, wirklich atemberaubend schön.“

„Deshalb hast du am Telefon darauf bestanden, dass wir erst zusammen arbeiten und ich dann entscheiden soll, ob das Tier verkauft werden soll?“

„Nein, ich wusste ja gar nicht, dass deine Tochter Elenas Ebenbild ist. Aber ich sah, dass ihre Konzentrationsprobleme sehr gefährlich sind, wenn man von ihnen nichts weiß.

Du wirst sehen, dass Elena überhaupt nicht böse ist, dass ihr nur lernen müsst, sie wach zu halten, damit sie nicht erschrickt, wenn sie wieder ins reale Leben auftaucht.

Wenn sie gar nicht erst abtaucht, wird sie auch nicht erschrecken.“

„Mein Gott, fast hätte ich das Tier verkauft. Wie hätte ich das nur jemals meiner Tochter erklären sollen? Wo sie doch die gleichen Probleme hat. Nur, dass Elena mich 200 Meter am Steigbügel mitgezogen hat und ich ins Krankenhaus musste.“

„Das war sicher sehr schlimm für dich. Ich vermute, du hast Elena einfach durch die Landschaft schlurfen lassen, sie ist wieder in ihrer Traumwelt versunken und durch

Elena, die Träumerin

(11)

10

irgendetwas total erschrocken und wach geworden. Pferde sind Fluchttiere, das ist ihre einzige Überlebenschance, wenn Gefahr im Verzug ist. Ich muss euch viel erzählen über richtige Autorität. Elena ist sehr rangniedrig, sie bräuchte den Schutz einer großen Herde. Hier ist sie nicht gut aufgehoben. Besser wäre ein Off enstall, wo immer ein ranghöheres Pferd aufpasst. Dann bekommt sie Vertrauen und erschrickt nicht andauernd. Noch besser wäre ein Pferdepartner, den sie auch gern mag und der immer bei ihr ist. Denn eine ganze Herde im Off enstall überfordert sie auch wieder.“

Jule kommt mit den Getränken. „Du bist ja so nachdenklich, Mama? Was ist los?“

„Ich bin so froh, dass du mir diesen Termin abgebettelt hast, Jule. Du hattest so recht mit deinem Gefühl, dass Elena noch zu helfen ist. Gott sei Dank haben wir sie nicht verkauft. Patricia wird uns zeigen, wie wir mit ihr und ihrer Konzentrationsschwäche umgehen müssen.“

Ich erkläre meinen Ansatz nochmal: „Elena ist eine Träumerin, aber eine ganz liebe. Ich glaube, sie ist Jule sehr ähnlich. Nun sollt ihr heute beide lernen, wie ihr damit umgehen könnt. Jule, du wirst unglaublich von diesem Pferd profi tieren, denn es ist, als ob du mit dir selbst konfrontiert wärest. Um Elena zu helfen, musst du als Erste wachsamer werden.“

„Das ist ja phantastisch, da hat Jule ja sogar einen therapeutischen Nutzen von Elena.

Ich bin so froh, dass du da bist.“ Ella unterdrückt ihre Tränen und fragt, ob sie uns allein lassen kann, sie möchte kurz nachdenken. Ich nicke, denn Jule will mir zeigen, wo wir mit Elena arbeiten können. Also gehen Jule und ich los und Ella bleibt auf der Bank. Sie sieht sehr gerührt aus.

Jule zeigt mir einen Longierplatz, der nur teilweise mit einer Hecke umpfl anzt ist.

„Ist dieser Platz gut?“, fragt sie.

„Nein Jule, wir müssten ihn komplett umzäunen, und zwar so, dass Elena nicht fl iehen kann.“

„Das wird uns nicht gelingen.“

„Habt ihr nicht einen Platz, ungefähr zehn mal zehn Meter, der besser umzäunt ist?“

„Wir könnten in der Reithalle etwas abtrennen, aber ob sie die Strippen respektiert, glaube ich nicht.“ „Dann müssen wir einen anderen Platz suchen.“ Ich werde etwas ungeduldig, denn ich hatte Ella genau gesagt, welche Arbeitsbedingungen wir brauchen.

Ella hat wohl wirklich schon mit Elena abgeschlossen gehabt und mir eigentlich keine Chance mehr einräumen wollen. Ich fi nde an der Wand von der Reithalle einen L-förmigen Rasenplatz, wo wir nur zwei Seiten mit Strippe abstecken müssen. Also machen wir uns in der Mittagshitze daran, den Platz ausbruchsicher mit Heu- und Strohballen zu begrenzen und gehen danach zum Longierplatz, wo ich erst einmal mit Jule Rollenspiele durchführen will.

„So Jule, ich bin jetzt Elena. Du darfst mich ruhig anfassen und so behandeln wie dein Pferd.“ Ich merke, dass Jule schon Hemmungen hat, mich als Pferd zu behandeln, also laufe ich gleich los und betrachte den Sand, scharre ein wenig mit meinen Füßen und warte. Jule schaut mich die ganze Zeit an.

„Was soll ich denn nun tun?“, fragt sie mich.

„Na das, worauf du Lust hast“, antworte ich kurz und fange an, mir die Gegend anzuschauen. Nichts passiert. Ich spüre Jules Unsicherheit und Befremdung. Mit solchen Übungen rechnet natürlich niemand. Aber darauf kommt es an. Wie genau man auf dem Pferd sitzt, ist erst einmal nicht so wichtig. Die Beziehung muss stimmen.

(12)

11 Jule muss ihr Pferd umsorgen und führen lernen. So unsicher, wie sie auftritt, gibt sie natürlich wenig Anlass, sich ihr anzuschließen. Ich entscheide, ihr erst einmal unter die Arme zu greifen.

„Na, was machst du denn so mit Elena, wenn ich nicht da bin?“

„Früher habe ich sie longiert. Aber das geht immer schlechter, weil sie ständig erschrickt und Chaos macht.“

„Gut, dann longiere mich jetzt mal.“

Jule bemüht sich, die Fassung zu bewahren. Sie ist ziemlich verzweifelt.

„Nein Jule, so geht das nicht. Was können wir tun, damit du merkst, dass wir hier richtig etwas erarbeiten und nicht spinnen?“

„Oh nein, das denke ich nicht. Aber ich habe das noch nie gemacht.“

„Das ist doch okay. Du kannst nichts falsch machen, denn wir üben hier doch ohne Pferd. Das ist besser, dann weißt du schon, worauf du achten musst, wenn wir Elena holen.“

Ich schnappe mir den Führstrick und zeige Jule erst einmal, wie zwischen Pferden kommuniziert wird. „Schau, der Führstrick ist unser Schweif. Schwenken wir ihn, so bedeutet das für‘s Pferd, es soll weichen. Tut es das nicht, schlagen wir energischer mit dem Strick auf den Boden, bis wir die Aufmerksamkeit vom Pferd haben. Die Pferde machen das mit Schweif und Ohren. Hast du das schon einmal beobachtet?“

Jule ist gerade dabei, in ihre Träumereien abzudriften. Sie erschrickt. „Oh ja, ich beobachte die Pferde häufi g, wenn sie auf der Weide sind. Das ist so schön, ich könnte stundenlang zusehen.“

Verfl ixt, denke ich, wie soll ich denn hier etwas erreichen, wenn Pferd und Reiter andauernd abdriften? „Also Jule, hast du bemerkt, wie du erschrocken bist, als ich dich angesprochen habe?“

„Ja, Entschuldigung.“

„Genau das macht dein Pferd. Du musst dich jetzt anstrengen und mir zuhören. Ich werde immer nur zehn Minuten Konzentration von dir verlangen. Mal schauen, ob du das schaff st. Sonst machen wir nur fünf Minuten. Es kommt mir darauf an, dass du erkennst, wann du dich nicht mehr konzentrieren kannst. Als nächstes musst du erkennen, wie lange dein Pferd aufmerksam bleiben kann. Ist das für dich in Ordnung?“

„Ja, ich bemühe mich.“

„Gut, dann sage mir, dass ich laufen soll.“

„Sche-ritt“, sagt Jule und schlägt folgerichtig etwas mit dem Strick in meine Richtung.

Ich gehe los. Immer im Kreis. Ich merke, dass Jule wieder zu träumen beginnt und bleibe stehen. Jule reagiert aber und geht auf meine Hinterseite zu, um mich anzutreiben, so wie ich es ihr gezeigt hatte. „Super.“, sage ich. Sie hat es ja wirklich geschaff t zu reagieren.

„Das ist prima. Nun nehmen wir noch hinzu, dass Elena ja auch immer wegträumt, das musst du jetzt erkennen, bevor sie richtig geistig abwesend ist.“

„Okay“, sagt Jule und wirkt richtig wach. Es fängt an, ihr Spaß zu machen. Ich schaue also während des Longierens über die Hecken und Jule merkt nichts. Ich laufe langsamer und Jule merkt nichts. Ich bleibe stehen, Jule treibt mich. Aha, wenigstens ein kleiner Fortschritt. Ich erkläre Jule, dass schon das Wegschauen und das Strecken der Ohren in eine andere Richtung der Anfang vom Träumen sind und dass es gut wäre, wenn sie immer mal wieder etwas von mir abverlangen würde.

(13)

12

Jule ist hellwach und wird schon wesentlich aufmerksamer.

„Okay, mein Pferd“, scherzt sie, „dann trabe doch mal an.“ Sie treibt folgerichtig etwas mehr und sagt „Tee-rab“. Ich trabe. Puh, ist das heiß. Ich trabe und trabe.

„Jule, du solltest erkennen, wenn dein Pferd nicht mehr kann. Dieses Exemplar ist nicht besonders konditioniert.“

Jule lacht. Sie läuft vorsichtig einen Schritt auf mich zu. Zu vorsichtig. Kein Pferd würde da stehen bleiben. Ich muss also schneller rennen.

„Was ist denn jetzt los?“, fragt sie.

„Na, du warst so langsam, dass du hinter mich geraten bist. Du solltest mir doch den Weg abschneiden. So hast du mich ja nur getrieben, statt mich zu bremsen.“ Jule staunt.

„So, jetzt ist Pause. Du schreibst dir bitte kurz die Regeln der Körpersprache auf, erfrischst dich und sagst mir, wenn du wieder fi t bist.“

Puh, auch ich benötige eine Pause. Die Hitze, das Laufen, das frühe Aufstehen und die lange Zugfahrt haben mich geschaff t. Aber es macht Spaß. Als Nächstes muss Jule das Führen lernen und vor dem Pferd erkennen, wann es erschrecken könnte.

Also erkläre ich ihr das korrekte Führen eines Pferdes: Der Reiter geht erst dann an der Schulter des Pferdes, wenn die Dominanz schon geklärt ist. In diesem Fall ist das nicht schwer: Elena ist sehr rangniedrig und ordnet sich sofort unter. Also kann Jule neben ihr laufen. Ich gebe Jule den Führstrick in die Hand und behalte das andere Ende selbst. Jule muss lernen, den Führstrick immer durchhängen zu lassen. Damit hat sie ein echtes Problem, denn sie hat Angst, dass Elena, wenn sie erschrickt, wegrennen könnte. Deshalb zieht Jule pausenlos. Ich erkläre umfangreich, dass Elena ja nicht mehr durchpariert werden kann, wenn die Hilfe zur Parade gleichzeitig laufen bedeutet. Jule versteht, hat aber Probleme bei der Umsetzung.

Ich beruhige sie und sage, dass niemand das Gelernte sofort ohne Rückfälle anwenden kann. Dann werde ich ernster: „Das Wichtigste aber ist, das du ständig Elena im Auge hast. Wenn sie woanders hinschaut oder die Ohren in eine andere Richtung stellt, musst du dir sofort etwas einfallen lassen, um ihre Aufmerksamkeit zu kriegen.

Und wenn es Leckerlis sind.“ Jule ist total begeistert. Sie verspricht, genau meine Anweisungen umzusetzen.

Damit sie eine Pause machen kann, verlange ich noch einmal Getränke und bitte Jule, sich das bisher Erarbeitete genau aufzuschreiben. Ella ist verschwunden, ich denke, sie ist auf Anweisung von Jule gegangen, denn kein Teenager hat gern seine Mutter dabei, wenn er möglicherweise Fehler eingestehen soll. Mir geht es natürlich nur darum, aufzuzeigen, wie es sein muss, nicht, was verkehrt war. Hier ist jedenfalls gottlob die Liebe vorhanden, Jule vergöttert ihr schönes Pferd. Ich bin mir sicher, dass ich ihr helfen kann. Sie hat schon während der Rollenspiele eine Menge umgesetzt.

Jetzt können wir Elena aus der Box holen. Ich bitte Jule, es zu tun. Sie läuft los, holt Elena und schleift sie leider sofort wieder irgendwie hinter sich her. Elena stolpert über irgendetwas, beide erschrecken und reißen ihre Köpfe hoch. Ich lache und stehe auf:

„Was haben wir über korrektes Führen gelernt?“

Jule wird rot und sagt: „Oh, Entschuldigung.“ Ich erkläre ihr, dass es meine Aufgabe ist, ihr das sofort rückzumelden, dass ich es aber nicht schlimm fi nde. Jule konzentriert

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Dafür möchten wir SchülerInnen, die sich kreativ für Demokratie und Toleranz einsetzen wollen, ebenso gewinnen wie engagierte PädagogInnen und Partnerschulen, in denen und mit denen

Wenn Betroffene unter Schmerzen der Knochen, Gelenke, Muskeln, Bänder oder Sehnen leiden, sollten sie einen Arzt konsul- tieren, um den Schmerz früh- zeitig zu therapieren,

Dyssom- nien kennzeichnen sich da- durch, dass die Dauer, Quali- tät sowie der Eintrittszeitpunkt des Schlafes verschoben sind, während Parasomnien mit Phänomenen wie Albträumen

Und das sind eben auch die Menschen, die tief in sich hineingehorcht haben und urplötzlich, ganz ohne ärztliche Diagnose, an einer Gluten-Intoleranz leiden, weshalb sie nur

[r]

[r]

Reflexion Bildung und Gebrauch der Zeitformen: Präsens, Präteritum, Perfekt, über Sprache Plusquamperfekt, Futur I und II..

Da das Schiff nur für begrenzte Zeit vor Ort ist und damit nur eine begrenzte Anzahl an Opera- tionen durchgeführt werden kann, wird die Aus- wahl der Patienten, die zur OP