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DIE WILDEN ZWANZIGER MODERNE ZEITEN

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Academic year: 2022

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Frauenberufe

Die Berufstätigkeit von Frauen war daher häufig ein Muss, um die Familie (mit)-zuversorgen. In den Fabriken, vor allem der aufstrebenden Elektro-, Textil- und Konsumgüterindustrie, wurden zahlreiche ungelernte Arbeiterinnen für die Montage eingesetzt. Dabei erhielten sie nur etwa zwei Drittel des Lohns ihrer männlichen Kollegen. So nahmen viele Frauen auch den gesetzlich verankerten Mutterschutz nicht in Anspruch, weil sie sich den Verdienstausfall nicht leisten konnten. Durch Vergrößerung und Rationalisierung1 der Betriebe entstanden neue Berufe, die heute vielfach das Bild von der erwerbstätigen Frau in der Weimarer Zeit prägen. In Büros waren Sekretärinnen oder Stenotypistinnen beschäftigt, in den großen Warenhäusern arbeiteten fast ausschließlich Frauen als Verkäuferinnen und an der Kasse. Im Jahr 1925 gab es 1,5 Millionen weibliche Angestellte – drei Mal so viele wie vor dem Weltkrieg. Die Mehrheit von ihnen war jünger als 25 Jahre. Und knapp die Hälfte stammte aus Arbeiterfamilien: Einen Dienstleistungsberuf zu erlernen, bedeutete einen sozialen Aufstieg. Die Angestellten bildeten (seit dem Kaiserreich) den „neuen Mittelstand“.

Die Verfassung der Weimarer Republik garantierte die „grundsätzliche Gleichstellung“ von Frauen und Männern in Staat und Familie. So standen alle Bildungseinrichtungen auch den Mädchen offen. Es war jedoch häufig eine Frage des Geldes, dass Mädchen keine weiterführende Schule besuchen konnten. 1931 waren rund 25% der Abiturienten Frauen und im Wintersemester 1932/33 waren ca. 18% der an den deutschen Universitäten eingeschriebenen Studierenden weiblich. Für die Frauen aus Kleinstädten und ländlichen Gebieten – und damit weitaus für die Mehrheit – brachte die wirtschaftliche Modernisierung wenig Veränderung. Allerdings fanden sich die Frauen hier schon lange in der Doppelrolle von Familie und Beruf wieder: Sie arbeiteten in der Landwirtschaft, in handwerklichen Betrieben oder Geschäften. Und unverheiratete Frauen gingen nach wie vor als Dienstmädchen in Stellung.

Q1 „Gelernt hatte man nicht“

Ilse Moritz, geboren 1902 in Essen-Katernberg, hatte acht Geschwister. 1916 wurde sie aus der Volksschule entlassen.

Zunächst ging sie als Dienstmädchen in Stellung, noch während des Krieges begann im Bergbau zu arbeiten:

Es blieb nichts übrig, man hat jede Arbeit angenommen, die man nur kriegen konnte. Ich glaube, bevor ich in Essen war, auf der Zeche Bergmannsglück in den Nebengewinnungsanlagen gearbeitet, wo Naphthalin gemacht wurde. Ammoniak wurde da gewonnen und von diesen Restbeständen wurde dann Naphthalin gemacht. Das war in Gruben, das schwamm in Wassern, wo dann die Mottenkugeln daraus gemacht wurden. (…) Das wurde dann getrocknet und das gab dann Naphthalin und Ammoniak für das Land als Dünger. (…) Dann sind die Jahre vergangen ohne Lehre ohne alles und ich habe dann mit 20 geheiratet. Tja, und mit der Heirat fing dasselbe Elend an, als wie’s schon vorher war. Wir waren ein Jahr verheiratet, fing mein Mann schon an mit Magengeschwüren und mit Bronchitis (…) ja so war das, so musste ich eben auch als Verheiratete dauernd arbeiten. Gelernt hatte man nichts. Was blieb? Auch nur Waschstellen, Putzstellen, Putzstellen!

Zit. nach Hartewig, K.: Das unberechenbare Jahrzehnt. Bergarbeiter und ihre Familien im Ruhrgebiet 1914-1924. München, S. 198f.

Aufgaben:

1. Untersucht die Formen von Frauenarbeit in den zwanziger Jahren (Text, Q1, Q2).

2. Tauscht euch innerhalb der Gruppe aus. Fertigt dazu eine Collage an.

1 Rationalisierung: Steigerung der Effizienz eines Unternehmens oder einer Verwaltung, indem durch Technisierung, Automatisierung, Änderung der Arbeitsabläufe oder ähnliche Maßnahmen Kosten und Aufwände gesenkt werden

(2)

Tagebucheintrag Victor Klemperers

Im September 1926 notierte Victor Klemperer:

„[…] saßen wir Abends zur Erholung lange in der Atlantic. Viele amerikanische Musik, amerikanische Tänze, viel Charleston. Ich sehe u. höre es immer wieder gern u. immer wieder ist mir, als käme ich aus einem andern Jahrhundert. Wie ganz u. gar hat sich nach dem Krieg alles geändert. Man paßt so scharf auf u.

erfaßt doch kein Werden, immer nur das Fertige. Man erlebt keine Geschichte mit. Man weiß von der Gegenwart weiniger als von der Vergangenheit u. Zukunft. Übrigens: welche Vitalität in Deutschland. Nach diesem verlorenen Kriege soviel Bewegung. Alles ist jugendlicher, wieder als früher. Kurze Röcke, kurze Haare, keine Vollbärte u. Bäuche, die Ältesten tanzen, turnen. Steinhirt sagte, es sei ein übermäßiges Luxusstreben in den kleinen u. mittleren Schichten.“

In: Victor Klemperer: Leben sammeln, nicht fragen wozu und warum. Tagebücher 1925-1932. Bd. 2. Berlin, 1996. S. 292.

Aufgaben:

1. Welche Veränderungen registriert Klemperer in Deutschland? Worin kommen diese zum Ausdruck?

2. Mit welcher Kollektiven Erfahrungen hängt dieses neue Lebensgefühl wohl zusammen? Versuche eine Erklärung zu finden

3. Erläutere in diesem Zusammenhang den Begriff der „wilden Zwanziger“.

4. Tauscht euch innerhalb der Gruppe aus. Fertigt dazu eine Collage an.

Q1 Moderne Haushaltsarbeit. Staubsauger, Kühlschrank oder Gasherd erleichterten die Arbeit. Allerdings blieben diese Geräte für viele unerschwinglich. Oft fehlten auch die erforderliche Gas- oder Stromanschlüsse.

Q2 Fließbandarbeiterinnen bei Siemens, um 1920

(3)

Erich Fromm zu weiblichen Rollenverhalten und neuer Mode

„[…] Zum Zeitpunkt unserer Untersuchung waren kurze Röcke, Seidenstrumpfe und der Bubikopf weit verbreitet und in der Bevölkerung überwiegend akzeptiert. Diese modischen Erscheinungen standen mit allgemeinen Emanzipationsversuchen der Frau im Zusammenhang; eine größere Freiheit der sozialen Position sowie der sexuellen Normen ist hier ebenso festzuhalten wie die stärkere Beteiligung am Sport oder die allmählich wachsende Bewegungsfreiheit der Frau. Von früheren und späteren Richtungen unterschied sich die Mode der zwanziger Jahre in mehrfacher Hinsicht: Die konventionelle Unterscheidung zwischen Mann und Frau war oft ebenso verwischt wie die Unterschiede zwischen älteren und jüngeren Frauen, und insgesamt ging es um die Aufhebung der individuellen Rollendifferenzen sowie der damit korrespondierenden traditionellen Vorstellungen. Diese Einstellung manifestierte sich am deutlichsten im Bubikopf, weniger ausgeprägt in der Rocklänge und praktisch gar nicht in Seidenstrümpfen, die darüber hinaus für viele Menschen einen unerreichbaren Luxus darstellten.

Die Antworten interessierten uns im Allgemeinen weniger hinsichtlich der ästhetischen Einstellung zu einer Mode, sondern in Bezug auf die Haltung der Befragten gegenüber den assoziierbaren Wertbegriffen. Da das modische Erscheinungsbild selbst unabhängig von den Werthaltungen weitgehend anerkannt, ja nahezu als konventionell angesehen wurde, konnte die bloße Zustimmung allein kaum als Hinweis auf eine fortschrittliche Einstellung gewertet werden. Andererseits kann aber auch nicht abgestritten werden, daß eine grundlegend ablehnende Haltung zugleich eine Abwehr progressiver Standpunkte bedeutete und das als Ausdruck von Prüderie oder einer ähnlichen Einstellung interpretierbar war. […]“

In: Fromm, Erich: Arbeiter und Angestellte am Vorabend des Dritten Reiches. Eine sozialpsychologische Untersuchung.

Deutsche Erstausgabe 1929. Stuttgart, 1980. S. 168f. Zitiert nach: Abelshauser. Werner et.al (Hg.): Deutsche Sozialgeschichte 1914-1945. Ein historisches Lesebuch.

Aufgaben:

1. Beschreibe die allgemeinen Emanzipationsversuche der Frau.

2. Welche Rolle Spielte die Musik in diesem Zusammenhang?

3. Was interessierte die Fragesteller bei ihrer Untersuchung? Zu welchen Ergebnissen kommen sie?

4. Welche Rolle spielt Mode in der heutigen Zeit? Nach welchen Gesichtspunkte wird sie ausgewählt?

5. Tauscht euch innerhalb der Gruppe aus. Fertigt dazu eine Collage an.

(4)

„Neues Bauen“ und Wohnen in Frankfurt.

Die Wohnung für das Existenzminimum

„Schon vor dem Kriege und seit der Gründerzeit war das Problem der Massenwohnung nicht gelöst. Die unter spekulativen Gesichtspunkte gebauten Massenquartiere, sogenannte Slums, sind ja bekannt; die Statistiken der Großstädte zeigen deutlich die sozialen Folgen dieser Wohnungsweise. In Berlin gibt es z.B. in der Königgrätzer Straße 169 Wohnung mit 360 Personen pro Haus, in der Hussitenstraße 241 Wohnungen mit 972 Personen pro Haus. Die katastrophale Zuspitzung des Wohnproblems wäre auch ohne den Krieg kaum zu verhindern gewesen, zumal es in einer reinen individuellen Wirtschaftsepoche, die nur mit dem Unternehmer rechnete, schwer war, durch die Gesetzgebung Abhilfe zu schaffen. […] Welche Mittel gibt es heute nun, die Wohnungsnot zu beheben? Diese Frage hat durch den in Frankfurt (Main) s. Z. tagenden internationalen Kongreß für ‚Neues Bauen‘ eine besondere aktuelle Note erhalten. Bei allen Lösungen ist zu berücksichtigen, daß die Bedürfnisse der Bevölkerung heute größere und andere geworden sind. man ist anspruchsvoller geworden, Licht, Luft und Hygiene sind selbstverständliche Forderungen. Soweit wir die Situation überblicken können, sind drei markante Gesichtspunkte vorhanden, die der kommunale Wohnungsbau berücksichtigen müßte, wenn er den wirtschaftlichen, sozialen und bevölkerungspolitischen Bedingungen genügen will:

1. Normierung des Materials und der Konstruktion.

2. Anwendung verbilligter Arbeitsmethoden auf den Wohnungsbau.

3. Zentralisierung der wichtigsten Haushaltsfunktionen.

Die konstruktiven Elemente müssen soweit reduziert werden, daß die konstruktiven Elemente müssen soweit reduziert werden, daß ihre Anpassung an die konkreten Bedürfnisse je nach der Situation möglich bleibt. Diese Situation wird durch den Zweck, die Lage, den Zeitpunkt und die vorhandenen technischen Berechnungen bestimmt. Man ist bestrebt, diese Vereinfachungen sowohl der Konstruktion wie der Auswahl der Materialien zugute kommen zu lassen. Die technischen Elementen müssen also so funktional gehalten sein, daß sie den verschiedensten Zwecken in gleicher Weise entsprechen, ohne daß ihre Veränderung zu ändern Bauzwecken nötig ist. Nur dann besteht die für ein wirtschaftliches Bauen unumgängliche Möglichkeit, diese technischen Grundelemente in großen Massen fabrikatorisch herzustellen. Diese erste Folge der Rationalisierung ist also Normierung und Standardisierung der konstruktiven Bauelemente. Positiv bedeutet diese Beschränkung auf solche vielseitig brauchbaren konstruktiven Elementen eine Auflösung all derjenigen alten Bauteile, die in das Baugefüge unnötige Starrheit birngen.“

Kramer, Ferdinand: Die Wohnung für das Existenzminimum. In: Schwarz, Felix et. al (Hg.): Die Form. Stimme des deutschen Werkbundes 1925-1934. München, 1969. S. 148f.

Aufgaben:

1. Beschreibe die Wohnungssituation in den Großstädten seit der Gründerzeit. Welche sozialen Folgen ergaben sich durch die Wohnweise?

2. Welche Bedürfnisse der Bevölkerung sollten bei der Realisierung der neuen Bauvorhaben beachtet werden? Welche Funktion kam dabei den technischen Elementen zu?

3. Was bedeutet die ‚Zentralisierung der wichtigsten Haushaltsfunktionen‘?

4. Tauscht euch innerhalb der Gruppe aus. Fertigt dazu eine Collage an.

(5)

Die „Frankfurter Küche“.

„[…] Nach dem Kriegsende stand man vor der Aufgabe, neue Kleinwohnungen in großer Zahl mit möglichst geringem Kostenaufwand herzustellen. Da die Versuche, durch neue Bauweisen und Ersatzbauweisen die Herstellungskosten zu senken und die Wohnungen zu verbilligen, wenig erfolgreich waren, blieb nur die Verminderung der Wohnfläche als einzige Möglichkeit, die Mieten niedrig zu halten. Als Ausgleich für die Verminderung der Fläche suchte man anderseits den Wert der Wohnung dadurch zu erhöhen, daß man die Lage der einzelnen Räume sinngemäß neu ordnete und ihre Verwendbarkeit dadurch steigerte. Die dabei vorgenommene Umgestaltung betraf vor allem die Küche. […] Schließlich kann man zu völliger Trennung von Koch- und Wohnraum, und so entstand die kleine Arbeitsküche, Frankfurter Küche genannt, weil sie in Frankfurt a. Main erstmals in Siedlungen verwirklicht wurde. Ihr Vorbild ist die Speisewagen- und Schiffsküche; in Holland und England ist sie seit langen gebräuchlich. Diese kleine Küche hat nur gerade die Grundfläche, die notwendig ist, um Küchenmöbel und Installationen unterzubringen, und um der Hausfrau den nötigen Bewegungsraum zu gewähren: im Höchstfall ist sie 6 qm groß. […] Grundsätzliche Gegner der kleinen Küche haben sich kaum gefunden, es sei denn, daß vereinzelte temperamentvolle Hausfrauen den Auslauf vermißten. Im Übrigen haben alle Frauen angegeben, daß die Arbeitsküche im Betriebe, besonders wenn sie nur von einer Person bedient wird, der alten weitläufigen Küche überlegen ist. Sie fanden auch noch Platz in der kleinen Küche, ihren Säugling zu baden und seine Windeln zu wechseln. […]“

Jacki, Elisabeth: Erfahrungen mit der kleinen Arbeitsküche. In: Die Ärztin. Monatsschrift des Bundes Deutscher Ärztinnen 7 (1931). S. 172-174. Zitiert nach Flemming, Jens et. al (Hg.): Familienleben im Schatten der Krise. Dokumente und Analysen zur Sozialgeschichte der Weimarer Republik 1918-1933. Düsseldorf, 1988. S. 117f.

Aufgaben:

1. Beschreibe die Wohnungssituation in den Großstädten seit der Gründerzeit. Welche sozialen Folgen ergaben sich durch die Wohnweise?

2. Welche Bedürfnisse der Bevölkerung sollten bei der Realisierung der neuen Bauvorhaben beachtet werden? Welche Funktion kam dabei den technischen Elementen zu?

3. Was bedeutet die ‚Zentralisierung der wichtigsten Haushaltsfunktionen‘?

4. Tauscht euch innerhalb der Gruppe aus. Fertigt dazu eine Collage an.

(6)

Siedlung Frankfurt-Westhausen Aufgaben:

1. Erläutere, wie die architektonischen Überlegungen des „Neuen Bauens“ in die Praxis umgesetzt wurden.

2. Finde heraus, ob in deiner Stadt oder näheren Umgebung ebenfalls Wohnungen existieren, die aus dieser Zeit stammen. Wurden diese nach ähnlichen Vorstellungen gebaut?

http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/artikel/artikel_44921 http://de.wikipedia.org/wiki/Neues_Bauen

http://de.wikipedia.org/wiki/Neue_Sachlichkeit_%28Architektur%29

(7)

Funk und Film begeistern die Massen

Die Anzahl der Rundfunkteilnehmer in Deutschland

1.4.1924 10.000

1.4.1925 780.000

1.4.1927 1.600.000

1.4.1929 2.800.000

1.4.1931 3.700.000

Nach: Kolb, Eberhard: Die Weimarer Republik. München, 1933. S. 105

Aufgaben:

1. Beschreibe die Entwicklung der Anzahl der Rundfunkteilnehmer in den Zwanzigerjahren.

2. Welche Voraussetzungen müssen für eine massenhafte Verbreitung des Mediums erfüllt sein?

Erläuterung:

Am 29. Oktober 1923 sendete die Radio-Stunde-AG in Berlin ihr Eröffnungsprogramm. Im folgenden Jahr entstanden in verschiedenen Teilen des Reiches neun Rundfunkgesellschaften, die 1926 in einem Dachverband zusammengefasst wurden. Die Post hielt 51% der Anteile an den Sendern, sodass der Rundfunkkommissar des Reichspostministeriums de facto die Leitung des Rundfunks übernehmen konnte.

Die Rundfunkteilnehmerzahl stieg sprunghaft. Bis zum April 1932 besaß etwa jeder vierte Haushalt in Deutschland ein Radiogerät. Das deutsche Rundfunkpublikum hatte sich damit an die zweite Stelle der europäischen Länder (nach Großbritannien) geschoben. Musiksendungen, Hörspiele und Autorenlesungen standen im Vordergrund. Politische Sendungen waren aufgrund eines Erlasses der Regierung ausgeschlossen.

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Funk und Film begeistern die Massen Über den neuen Rundfunk

„Früher war ‚Kultur‘ die Angelegenheit einer privilegierten Kaste. Künstler waren Privatangestellte eines Interessenten. Es gab nur Kunstproduktion, noch nicht Reproduktion. Der Mann, der Paläste bauen ließ, der Minnelieder1 dichten, Passionsspiele spielen, Ritterepen schrieben ließ, er war Publikum, Verbraucher, Konsument von Kunst. Es gab fast nur Kunst aus erster Hand für erste Hand. Verantwortlich war der Künstler nur Dem, der ihn ernährte und beschäftigte. Die Erfindung des Buchdrucks änderte die Situation. Tausende von Händen griffen nach dem Werk Eines. Der Künstler war keine Privatperson mehr, sein Werk nicht mehr privat. Er war für Alles, was er tat, nicht mehr Einem verantwortlich, sondern eine Menge. Er war ver’öffentlichte‘! Was er ‚heraus‘ gab, gab er in die Hand Aller. Aber was ist die Öffentlichkeit des Buchs, ja selbst der Tagespresse, gegen die Öffentlichkeit des Rundfunks!“

Schirokauer, Arno: Kunstpolitik im Rundfunk. In: Die literarische Welt 5 (30. August 1929). Nr. 35. S. 1f. Nachdruck in: Kaes, Anton (Hg.): Manifeste und Dokumente zur deutschen Literatur 1918-1933. Stuttgart, 1983. S. 203.

Aufgaben:

1. Finde Argumente, die die Aussage der besonderen Veränderungen des Lebens durch die Verbreitung des Rundfunks stützen.

2. Was hat sich insbesondere für Künstler und Publikum verändert?

3. Finde einen Begriff, der diese neue Form der Kultur charakterisiert!

1 Minnelied: lyrisches Gedicht (besonders Liebeslied) des Minnesangs

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Funk und Film begeistern die Massen Wer geht ins Kino?

„[…] Alle Veranstaltungen, die in einer Beziehung zu den unorganisierten Angestelltenmassen stehen, und nicht minder alle Bewegungen dieser Massen selbst sind heute zweideutiger Art. Eine Nebenbedeutung haftet an ihnen an, die sie oft von ihrer ursprünglichen Bestimmung entfernt. Unter dem Druck der herrschenden Gesellschaft werden sie zu Obdachlosenasylen in übertragenem Sinn. Außer ihrem eigentlichen Zweck erhalten sie noch den anderen, die Angestellten an den Oberschicht erwünschten Ort zu bannen und sie von kritischen Fragen abzulenken, zu denen sie im übrigen ja auch kaum einen starken Zug verspüren. Was die gegenwärtige Filmproduktion betrifft, so habe ich in zwei der ‚Frankfurter Zeitung‘

erschienenen Aufsätze: ‚Die kleinen Ladenmädchen gehen ins Kino‘ und ‚Der heutige Film und sein Publikum‘

nachgewiesen, daß nahezu sämtliche von der Industrie gelieferten Erzeugnisse das Bestehende rechtfertigen, indem sie seine Auswüchse sowohl wie seine Fundamente dem Blick entziehen: daß auch sie die Menge durch den Similiglanz der gesellschaftlichen Scheinhöhen betäuben. Hypnotiseure schläfern so mit Hilfe glitzernder Gegenstände ihre Medien ein. […] Die Flucht der Bilder ist die Flucht vor der Revolution und dem Tod. […]“

In: Kracauer, Siegfried: Die Angestellte. Allensbach-Bonn, 1959. S. 92f.

Aufgaben:

1. Welche Personengruppe zählt vorrangig zu den Kinobesuchern?

2. Welche Funktion kommt der Filmproduktion nach Meinung des Autors zu?

3. Nimm Stellung zu der These des Verfassers.

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