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Überwiegend erfolgreiche Klage gegen die Versagung einer Baugenehmigung für ein Wohnhaus

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VG Würzburg, Urteil v. 27.07.2017 – W 5 K 16.538 Titel:

Überwiegend erfolgreiche Klage gegen die Versagung einer Baugenehmigung für ein Wohnhaus

Leitsätze:

1. Im vereinfachten Verfahren nach Art. 59 BayBO prüft die Bauaufsichtsbehörde die

Standsicherheit baulicher Anlagen, auch solcher auf dem Nachbargrundstück, nicht; sie hat keinerlei Befugnis zu einer derartigen Prüfung. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)

2. Wurde ein Bauantrag nicht wegen fehlendem Sachbescheidungsinteresse (Art. 68 Abs. 1 S. 1 Hs.

2 BayBO) abgelehnt, kann ein Verstoß gegen außerhalb des Prüfprogramms liegender Vorschriften im Klageverfahren nicht mehr nachgeschoben werden. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)

3. Die Regelung des Art. 59 S. 2 iVm Art. 62 BayBO hat in Bezug auf die bauaufsichtlichen

Anforderungen eine (weitgehende) Einschränkung der behördlichen Prüfpflicht zur Folge, soweit die Erfüllung dieser Anforderungen Gegenstand der vom Bauherrn beizubringenden bautechnischen Nachweise ist. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)

Schlagworte:

Verpflichtungsurteil, Bescheidungsurteil, Prüfungsumfang im vereinfachten Verfahren, fehlendes

Sachbescheidungsinteresse, Lage im Erdfallgebiet, keine Prüfung der Standsicherheit des Baugrundes des Nachbargrundstücks, bautechnischer Nachweis der Standsicherheit, Befreiung, Abweichung, 4-Augen- Prinzip, Ermessensentscheidung

Tenor

I. Der Bescheid der Stadt Würzburg vom 14. April 2016 wird aufgehoben.

Die Beklagte wird verpflichtet, über den Bauantrag vom 24. August 2015 einschließlich der beantragten Befreiung und Abweichung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand 1

Der Kläger begehrt die Erteilung einer Baugenehmigung für die Errichtung eines Wohnhauses mit drei Wohneinheiten.

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1. Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks Fl.Nr. …6 der Gemarkung Würzburg, …straße * in Würzburg (Baugrundstück). Das Baugrundstück liegt im Geltungsbereich des qualifizierten Bebauungsplans „Südliche Sanderau“ vom 26. September 1962/24. Juli 1963 und 12. Februar 1964 i.d.F. der Änderung vom 17.

Februar 1993, der u.a. ein Reines Wohngebiet, eine vordere Baugrenze und zwei Vollgeschosse festsetzt.

In den weiteren Festsetzungen ist niedergelegt, dass bei Neubebauung der einzelnen Grundstücke sich Art und Maß der baulichen Nutzung nach der Baunutzungsverordnung vom 26. Juni 1962 und der Bayer.

Bauordnung vom 1. August 1962 richten.

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Im Bebauungsplan ist das seinerzeit vorhandene Wohnhaus dargestellt. Dieses Wohnhaus wurde im Jahr 1995 mit Ausnahme des Kellers abgebrochen, nachdem es auf dem Baugrundstück nach starken

Regenfällen zu einem Erdfall kam, bei dem das Wohnhaus stark beschädigt wurde. Insgesamt kam es im betroffenen Wohngebiet wie auch in anderen Teilen der Sanderau in der Vergangenheit zu verschiedenen

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Erdfällen, die durch das Auswaschen von Gips im Bereich von 20 m bis 40 m unter der Erdoberfläche und dem Nachrutschen der diesen Bereich überlagernden Schicht ausgelöst wurden.

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2. Unter dem 24. August 2015 (eingegangen bei der Beklagten am 4.9.2015) erbrachte der Kläger die Vorlage im Genehmigungsfreistellungsverfahren für den Neubau eines Wohnhauses mit drei Wohneinheiten auf dem Baugrundstück und beantragte, dass die Vorlage als Antrag auf Baugenehmigung weiter zu behandeln sei, falls die Gemeinde erkläre, dass das Genehmigungsverfahren durchgeführt werden solle.

Beantragt wurden des Weiteren die Erteilung einer Befreiung wegen Überschreitung der

Geschossflächenzahl, die mit 0,75 angegeben wurde sowie eine Abweichung wegen eines „gefangenen“

Stellplatzes. Anträge hierfür mit Begründung wurden zusätzlich erstellt unter dem 5. Oktober 2015. In den Bauantragsunterlagen wurde die Gebäudeklasse als eine solche nach Art. 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BayBO bezeichnet. Als weitere Anlage war dem Bauantrag beigefügt ein „Standsicherheitskonzept zur Gründung“, erstellt von Dipl. Ing. … H* …, Ingenieurbüro I-KIS, vom 19. August 2015.

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Unter dem 16. September 2015 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass eine Freistellung im Hinblick auf die aufgrund der Baugrundverhältnisse bestehende Erdfallgefahr nicht in Betracht komme und die Vorlage als Bauantrag behandelt werde. Mit Schreiben vom 21. September 2015 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass als weitere Unterlage der „Kriterienkatalog“ vorzulegen sei. Das für das Standsicherheitskonzept zu Grunde gelegte geotechnische Gutachten liege bereits über 19 Jahre zurück. Im Hinblick auf die kritische Zone sei ein neues Bodengutachten zu erstellen und mit Baubeginn von einem Sachverständigen die geprüfte Statik vorzulegen.

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Die Bauakte enthält unter dem Datum 15. Oktober 2015 die „Erklärung über die Erfüllung des Kriterienkatalogs gemäß Anlage 2 der BauVorlV“, unterzeichnet vom Ersteller des

Standsicherheitsnachweises Dipl. Ing. Bauwesen … H* … und vom Kläger als Bauherrn. Unter Ziffer 5.

werden fünf der 15 Kriterien mit nein beantwortet und es wird die Erklärung abgegeben, dass „daher“ „eine Prüfung des Standsicherheitsnachweises (…) erforderlich“ ist.

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Im Laufe des Baugenehmigungsverfahrens wandten sich verschiedene Nachbarn sowohl an die Baugenehmigungsbehörde als auch an verschiedene Stadträte mit der Bitte, aufgrund der bekannten geologischen Situation im Umgriff des Baugrundstücks, darauf zu achten, dass ausreichende Maßnahmen ergriffen werden, die Nachbarn vor negativen Auswirkungen auf ihre Grundstücke und Gebäude zu schützen.

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Unter dem 6. Oktober 2015 wurde der Beklagten eine „Gründungsbeurteilung“ des Dipl. Ing. … H* … vom 6. Oktober 2015 vorgelegt. Mit Schreiben vom 25. Januar 2016 übersandte der Kläger die von Dipl. Ing. … H* … am 22. Januar 2016 erstellte „Gründungsbeurteilung – Nachtrag 01“.

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Entgegen dem positiven Beschlussvorschlag der Verwaltung lehnte der Bau- und Ordnungsausschuss der Beklagten den Bauantrag in seiner Sitzung vom 24. Februar 2016 ab.

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3. Mit Bescheid vom 14. April 2016 lehnte die Stadt Würzburg den Bauantrag des Klägers auf Erteilung der Baugenehmigung zum Neubau eines Mehrfamilienwohnhauses mit drei Wohnungen und fünf Stellplätzen auf dem Baugrundstück ab. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, dass die Baugenehmigung zu versagen gewesen sei, weil dem Bauvorhaben öffentlich-rechtliche Vorschriften, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren (Art. 59 BayBO) zu prüfen gewesen seien, entgegen stünden (Art. 68 Abs. 1 BayBO). Durch die Neubebauung des Grundstücks, auf dem sich im Jahr 1995 ein Erdfall ereignet habe, sei eine Gefährdung der Nachbarbebauung nicht ausgeschlossen. Die Standsicherheit anderer baulicher Anlagen und die Tragfähigkeit des Baugrunds der Nachbargrundstücke dürften gemäß Art. 10 Satz 3 i.V.m.

Art. 3 BayBO durch die Errichtung, Änderung und Beseitigung einer baulichen Anlage nicht gefährdet werden. Die Standsicherheit der Gebäude auf den Nachbargrundstücken sei bei Gründungsmaßnahmen durch Sicherungsmaßnahmen angemessen zu schützen. Der Bauherr habe insoweit vorhandene Zweifel

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auch auf Nachforderung nicht ausräumen können. Er sei mehrfach aufgefordert worden, eine Bescheinigung durch einen Prüfsachverständigen zur Einschätzung der Setzungen und ihrer

Unschädlichkeiten für die Nachbargrundstücke vorzulegen, er habe aber nur Unterlagen zur eigenen Statik auf Grundlage eines Bodengutachtens vorgelegt. Im vereinfachten Verfahren gemäß Art. 59 BayBO prüfe die Bauaufsichtsbehörde u.a. die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens; nicht

Prüfungsgegenstand seien die Anforderungen der Art. 3, 4 und 14 BayBO. Die im Bodenschutzrecht genannten Werte und Anforderungen könnten Anhaltspunkte für die Beurteilung unbestimmter Rechtsbegriffe wie „gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse“ in § 1 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 BauGB sein.

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4. Gegen den am 20. April 2016 zugestellten Bescheid wendet sich der Kläger mit seiner am 20. Mai 2016 durch seine Bevollmächtigte beim Verwaltungsgericht Würzburg erhobene Klage.

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Er lässt beantragen,

den Bescheid der Stadt Würzburg vom 14. April 2015 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm die mit Bauantrag vom 24. August 2015 begehrte Baugenehmigung sowie die beantragte Befreiung und Abweichung zu erteilen,

hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, über den Bauantrag vom 24. August 2015 einschließlich der beantragten Befreiung und Abweichung unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.

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Zur Begründung wurde im Wesentlichen vorgetragen: Dem Kläger stehe gegen die Beklagte ein Anspruch auf Erteilung der begehrten Baugenehmigung unter Erteilung der beantragten Befreiung bzw. Abweichung zu. Das Vorhaben sei planungsrechtlich zulässig nach § 30 Abs. 1 BauGB. Mit Ausnahme der Festsetzung der maximalen Geschossflächenzahl entspreche es den Festsetzungen des Bebauungsplans. Das Bauvorhaben weise eine Geschossflächenzahl von ursprünglich 0,75, mittlerweile von 0,705 auf, so dass eine geringfügige Überschreitung der zulässigen Zahl von 0,7 vorliege. Eine solche Befreiung erteile die Beklagte stets und sei auch in Aussicht gestellt worden. Dem Kläger stehe im Wege der

Ermessensreduzierung auf Null ein Anspruch auf Erteilung der Befreiung zu. Gleiches gelte für den Antrag auf Abweichung bzgl. des „gefangenen Stellplatzes“. Eine solche Ausgestaltung sei im Stadtgebiet üblich und sei auch hier bereits in Aussicht gestellt worden.

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Ein Verstoß gegen sonstige öffentlich-rechtliche Vorschriften und hier insbesondere gegen Art. 10 Satz 3 BayBO i.V.m. Art. 3 BayBO komme nicht in Betracht. Zunächst sei festzuhalten, dass es sich bei diesen Vorschriften nicht um solche handele, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen seien.

Darüber hinaus lägen die Voraussetzungen dieser Vorschriften nicht vor. Denn im vorliegenden Fall seien die Standsicherheit anderer baulicher Anlagen und die Tragfähigkeit des Baugrunds des

Nachbargrundstücks zwar aufgrund der besonderen Gefährdungslage des Baugebietes grundsätzlich gefährdet. Eine zusätzliche Gefährdung durch das Bauvorhaben des Klägers ergebe sich unter Berücksichtigung der von der Bauverwaltung vorgeschlagenen Auflagen, die wiederum auf der

gutachterlichen Stellungnahme I-KIS gemäß Nachtrag 01 zur Gründungsbeurteilung vom 22. Januar 2016 beruhten, jedoch nicht. Gerade die vom Kläger gewählte Form der Gründung genüge den Anforderungen des Art. 10 Satz 3 BayBO. Der Kläger habe durch mehrere Gutachten nachgewiesen, dass nicht nur sein Bauvorhaben im Hinblick auf die Standsicherheit keinerlei Bedenken unterliege, sondern auch die

Nachbargebäude. Dies ergebe sich aus der Stellungnahme I-KIS vom 22. Januar 2016 ausdrücklich. Diese Einschätzung sei durch eine erneute Stellungnahme des Ingenieurbüros I-KIS vom 18. Juni 2016

ausdrücklich bestätigt worden. Durch die Bauaufsichtsbehörde seien zu keinem Zeitpunkt Zweifel im Hinblick auf die Richtigkeit und Vollständigkeit der vorgelegten gutachterlichen Feststellungen geäußert worden. Die Aussage im Versagungsbescheid, dass trotz mehrfacher Aufforderung Nachweise der

„Unschädlichkeit für die Bauwerke der Nachbargrundstücke“ nicht vorgelegt worden seien, sei schlichtweg falsch.

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Soweit die Beklagte in der Klageerwiderung darauf verweise, dass nach der vorgelegten Gründungsbeurteilung im Umkehrschluss sehr wohl Einwirkungen durch die Bautätigkeit auf die

Nachbargrundstücke ausgehen könnten, sei dies ebenso unzutreffend wie unerheblich. Denn tatsächlich werde in dem Nachtrag 01 ausgeführt, „dass keine schädlichen Einflüsse für die Nachbarbebauungen von den geplanten Bauaktivitäten bzw. dem neuen Gebäude ausgehen. … Eine Einschränkung der örtlichen Standortsicherheit durch das Bauvorhaben ist daher nicht zu befürchten“. Letztlich komme es hierauf aber gar nicht mehr an. Denn wenn tatsächlich eine erhebliche Gefährdungslage vorhanden sein sollte, so wäre die Beklagte gehalten, nach Art. 54 Abs. 4 BayBO sofortige Maßnahmen im gesamten Gefährdungsgebiet anzuordnen. Allerdings habe die Beklagte in den vergangenen Jahren zahlreiche andere Bauvorhaben im Gefährdungsgebiet genehmigt, ohne dass irgendwelche Bedenken geäußert oder besondere Vorgaben bzw. Sicherungsmaßnahmen angeordnet worden wären. Keine einzige Genehmigung, mit Ausnahme der hinsichtlich des Klägers, sei unter Verweis auf die Bodenverhältnisse schlichtweg abgelehnt worden.

Augenscheinlich würden seitens der Beklagten völlig unterschiedliche Maßstäbe angelegt.

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5. Der Beklagtenvertreter beantragt, die Klage abzuweisen.

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Zur Begründung wurde ausgeführt: Die Verpflichtungsklage sei unbegründet, da dem Kläger ein

Rechtsanspruch auf Erteilung der Baugenehmigung nicht zustehe, weil das Baugesuch sonstigen öffentlich- rechtlichen Vorschriften, die im vereinfachten Genehmigungsverfahren nicht zu prüfen seien, widerspreche (Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 BayBO). Insoweit werde auf die Ausführungen im Versagungsbescheid verwiesen. Dem Klagevorbringen sei entgegenzuhalten, dass nach der vorgelegten Gefährdungsbeurteilung des Büros I-KIS vom 6. Oktober 2015 mit Nachtrag vom 26. Januar 2016 aus den vorgeschlagenen

Gründungsmöglichkeiten die Konstruktion mit den geringsten Einwirkungen auf den sensiblen Baugrund und die nachbarschaftliche Umgebung gewählt worden sei, jedoch im Umkehrschluss sehr wohl

Einwirkungen durch die Bautätigkeit auf die Nachbargrundstücke ausgehen könnten. Die vorgesehene Gründung sowie die Auslegung eines grobmaschigen Textilnetzes möge für künftige Nutzer des Baugrundstücks zwar die technisch größtmögliche Sicherheit vermitteln, sie könne jedoch nicht die Gefährdung der Nachbargrundstücke durch die notwendigen Bautätigkeiten und die spätere Nutzung des Grundstücks ausschließen. Bei Art. 10 Satz 3 BayBO handele es sich um eine nachbarschützende Vorschrift, der der Bau- und Ordnungsausschuss bei seiner Beschlussfassung am 24. Februar 2016 aufgrund der speziellen Grundstückssituation im Erdfallgebiet Vorrang vor dem begehrten Baurecht des Klägers eingeräumt habe. Die Baugenehmigung habe deshalb zu Recht versagt werden können. Soweit der Kläger das Bauvorhaben auf dem Anwesen H* …straße * als Bezugsfall anführe, sei festzuhalten, dass sich dieses ganz wesentlich vom Bauvorhaben des Klägers durch seine Größe unterscheide. Denn es handele sich nur um einen erdgeschossigen Anbau mit einer Grundfläche von 4,80 m x 3,60 m. Zudem sei als Auflage die Bescheinigung der Standsicherheit durch einen Prüfsachverständigen gefordert worden, die dann auch mit der Baubeginnsanzeige vorgelegt worden sei.

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6. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen. Bezug genommen wird auch auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 27. Juli 2017.

Entscheidungsgründe 19

Die Klage ist zulässig. Sie ist zwar im Hauptantrag unbegründet, aber hinsichtlich des Hilfsantrags begründet.

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Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung der mit Bauantrag vom 24. August 2015 beantragten Baugenehmigung. Zwar stehen dem Vorhaben keine öffentlich-rechtliche Vorschriften i.S.d. Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 BayBO entgegen, so dass grundsätzlich ein Rechtsanspruch auf die Erteilung der

Baugenehmigung besteht. Darüber hinaus kann dem Bauantrag auch nicht die Regelung des Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 BayBO entgegen gehalten werden. Auch liegen für die beantragte Abweichung und die

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beantragte Befreiung die tatbestandlichen Voraussetzungen vor, allerdings ist insoweit das Ermessen der Beklagten nicht auf Null reduziert und die Sache daher nicht spruchreif i.S. des § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.

Der Kläger hat aber einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die beantragte Befreiung und die beantragte Abweichung. Der ablehnende Bescheid der Beklagten vom 14. April 2016 erweist sich als rechtswidrig, so dass der Kläger hierdurch in seinen Rechten verletzt ist (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).

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1. Ausgangspunkt der rechtlichen Beurteilung ist Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 BayBO. Danach ist eine Baugenehmigung zu erteilen, wenn dem Bauvorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften

entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind. Ist dies nicht der Fall, so hat der Bauherr – wie hier der Kläger – einen Rechtsanspruch auf Erteilung der Baugenehmigung.

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Der Prüfungsumfang der Baugenehmigung bestimmt sich im vorliegend durchgeführten vereinfachten Baugenehmigungsverfahren grundsätzlich nach Art. 59 Satz 1 BayBO, wonach der Prüfungsumfang beschränkt ist. Danach hat die Bauaufsichtsbehörde die Übereinstimmung mit den Vorschriften über die Zulässigkeit der baulichen Anlagen nach den §§ 29 bis 38 BauGB und den Regelungen örtlicher

Bauvorschriften im Sinne des Art. 81 Abs. 1 BayBO (Nr. 1), beantragte Abweichungen i.S.d. Art. 63 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 BayBO (Nr. 2) sowie andere öffentlich-rechtliche Anforderungen zu prüfen, soweit wegen der Baugenehmigung eine Entscheidung nach anderen öffentlich-rechtlichen Vorschriften entfällt, ersetzt oder eingeschlossen wird (Nr. 3). Die Übereinstimmung des Vorhabens mit den Vorschriften der

Bayerischen Bauordnung wird im vereinfachten Verfahren nach Art. 59 BayBO nicht mehr geprüft.

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Die Beklagte hat zu Recht das zur Genehmigung gestellte Vorhaben dem vereinfachten Verfahren nach Art.

59 BayBO, das für alle Vorhaben unterhalb der Sonderbautenschwelle heranzuziehen ist, unterzogen. Dass es sich bei dem Vorhaben auf Errichtung eines Wohnhauses mit drei Wohneinheiten nicht um einen

Sonderbau i.S.v. Art. 2 Abs. 4 Nrn. 1 – 20 BayBO handelt, steht nämlich außer Frage.

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2. Die auf einen Verstoß gegen bauordnungsrechtliche Vorschriften der Bayer. Bauordnung, nämlich auf die Vorschrift des Art. 10 Satz 3 BayBO gestützte Versagung der Baugenehmigung erweist sich als

rechtswidrig.

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Der Bau- und Ordnungsausschuss der Beklagten hat, jedenfalls in seiner Mehrheitsmeinung, trotz der Ausführungen des Baureferenten, wonach Fragen der Standsicherheit nicht zur Ablehnung des Bauantrags herangezogen werden könnten und ein Rechtsanspruch des Klägers auf Erteilung der Baugenehmigung bestehe, seine ablehnende Entscheidung im Beschluss vom 24. Februar 2016 darauf gestützt, dass das in Art. 10 Satz 3 BayBO verankerte Gebot der Standsicherheit einer Baugenehmigung entgegenstehe. Dieser Ablehnungsgrund wurde im Bescheid der Beklagten vom 14. April 2016 aufgegriffen, wenn dort davon die Rede ist, dass die Standsicherheit anderer baulicher Anlagen und die Tragfähigkeit des Baugrunds der Nachbargrundstücke durch die Errichtung der baulichen Anlage nicht gefährdet werden dürfe. Die Beklagte hat insoweit entweder verkannt, dass dieser Ablehnungsgrund einer Baugenehmigung im vereinfachten Verfahren nicht entgegen gehalten werden kann oder sich – wofür die in der Sitzungsniederschrift vom 24.

Februar 2016 wiedergegebenen Äußerungen mehrerer Stadträte sprechen – bewusst über die geltende Rechtslage hinweggesetzt. Im Einzelnen:

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Zwar bestimmt Art. 10 Satz 3 BayBO, dass die Standsicherheit anderer baulicher Anlagen und die Tragfähigkeit des Baugrunds des Nachbargrundstücks nicht gefährdet werden dürfen. Im vereinfachten Verfahren nach Art. 59 BayBO prüft die Bauaufsichtsbehörde die Standsicherheit baulicher Anlagen, auch solcher auf dem Nachbargrundstück, jedoch nicht; sie hat keinerlei Befugnis zu einer derartigen Prüfung.

Die Einhaltung des Art. 10 Satz 3 BayBO ist durch die sich aus dem Gesetz ergebenden Pflichten des Bauherrn und der am Bau Beteiligten und deren Eigenverantwortlichkeit sowie durch die Bauaufsicht in der Regel gewährleistet. Nicht Prüfungsgegenstand bei Erteilung der Baugenehmigung im vereinfachten Verfahren ist insb. die Einhaltung der Anforderungen der Standsicherheit und des Brandschutzes, welche gemäß Art. 59 Satz 2 i.V.m. Art. 62 BayBO durch die Vorlage bautechnischer Nachweise erfolgt und gerade

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nicht durch eine bauaufsichtliche Prüfung seitens der Beklagten, sei es durch deren Bauverwaltung oder ein kommunales Gremium, zumal Letzteres ohnehin nur für Belange des Bauplanungsrechts zuständig ist.

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3. Wenn die Beklagte im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens die zu Unrecht auf einen Verstoß gegen Art.

10 Satz 3 BayBO gestützte Ablehnung der Baugenehmigung dadurch zu retten versucht, dass sie die Vorschrift des Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 BayBO, wonach die Bauaufsichtsbehörde den Bauantrag auch ablehnen darf, wenn das Bauvorhaben gegen sonstige öffentlich-rechtliche Vorschriften verstößt, bemüht, so muss auch dies angesichts der geltenden Rechtslage scheitern. Denn zum einen wurde der Bauantrag nicht wegen fehlenden Sachbescheidungsinteresses abgelehnt, vielmehr wurde diese Begründung erst im gerichtlichen Verfahren nachgeschoben und zum anderen würde eine derartige Ablehnung des Bauantrags gegen die gesetzgeberische Grundentscheidung zum System der Prüfung bautechnischer Nachweise verstoßen. Im Einzelnen:

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Ausweislich der Begründung des Bescheids vom 14. April 2016 wurde die Baugenehmigung nicht als unzulässig wegen eines fehlenden Sachbescheidungsinteresses abgelehnt. Vielmehr wurde sie –

entsprechend der Entscheidung des Bau- und Ordnungsausschusses – abgelehnt, „weil dem Bauvorhaben öffentlich-rechtliche Vorschriften, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren (Art. 59 BayBO) zu prüfen waren, entgegenstehen, Art. 68 Abs. 1 BayBO“ (vgl. S. 2 des Bescheids vom 14.4.2016). Erstmals findet sich in der Klageerwiderung der Beklagten vom 28. Juli 2016 die Aussage, dass dem Kläger kein Rechtsanspruch auf Erteilung der Baugenehmigung zustehe, weil das „Baugesuch gegen sonstige öffentlich-rechtliche Vorschriften, die im vereinfachten Genehmigungsverfahren nicht zu prüfen sind, widerspricht (Art. 68 Abs. 1 Satz 1 HS 2 BayBO)“. Von einer Unzulässigkeit des Bauantrags wegen eines fehlenden Sachbescheidungsinteresses (vgl. hierzu ausführlich Lechner in Simon/Busse, BayBO, Stand 125. EL Mai 2017, Art. 68 Rn. 155 ff.) über die Vorschrift des Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 BayBO ist im streitgegenständlichen Bescheid definitiv nicht die Rede. Dies wäre aber notwendig gewesen, um die Ablehnung einer Sachentscheidung wegen eines fehlenden Sachbescheidungsinteresses i.S. der vg.

Vorschrift zu begründen. Nach allem kann hier von einer Ablehnung des Bauantrags als unzulässig über die Regelung des Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 BayBO nicht die Rede sein, vielmehr wurde der Bauantrag ausschließlich wegen eines Verstoßes gegen materiell-rechtliche Vorschriften abgelehnt.

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Letztlich kann dies auch offenbleiben, denn eine derartige faktische Erweiterung des Prüfungsrahmens im vorliegenden Fall auf Gründe der Standsicherheit nach Art. 10 BayBO verstößt gegen Art. 59 Satz 2 BayBO i.V.m. Art. 62 BayBO. Die Beklagte hat insoweit verkannt, dass zu beachten ist, dass nach dem eindeutigen Wortlaut des Art. 59 Satz 2 BayBO im vereinfachten Genehmigungsverfahren – wie auch nach Art. 60 Satz 2 BayBO im „regulären“ Genehmigungsverfahren – die Vorschrift des Art. 62 BayBO unberührt bleibt.

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Nach dem System der Bayerischen Bauordnung 2008 werden bautechnische Anforderungen – und damit insbesondere die Fragen der Standsicherheit und damit auch die des Nachbaranwesens i.S.v. Art. 10 Satz 3 BayBO – nicht mehr wie früher generell einer bauaufsichtlichen Prüfung durch die Behörde (sog. „Vier- Augen-Prinzip“) unterzogen und sind mithin einer behördlichen Prüfung entzogen. Eine solche Prüfung ist vielmehr nur noch in einigen wenigen Fällen erforderlich. Kompensiert wird dies durch ein dreistufiges System. So ist nach dem Grundsatz des Art. 62 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 BayBO die Einhaltung der Anforderungen an die Standsicherheit durch einen sog. bautechnischen Nachweis nachzuweisen. Der bautechnische Nachweis ist gemäß Art. 62 Abs. 2 BayBO durch einen nachweisberechtigten Nach- weisersteller zu erstellen. Bei Gebäuden der Gebäudeklasse 1 bis 3 muss der Standsicherheitsnachweis erstellt sein von einem qualifizierten Nachweisberechtigten i.S.v. Art. 62 Abs. 2 Satz 1 BayBO. Art. 62 Abs.

3 BayBO regelt abschließend, in welchen Fällen das sog. „Vier-Augen-Prinzip“ Anwendung findet, ob also bautechnische Nachweise geprüft werden, und zwar sowohl in Form der bauaufsichtlichen Prüfung als auch in der der Bescheinigung durch Prüfsachverständige.

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Im vorliegenden Fall handelt es sich ausweislich der Angaben im Bauantrag um ein Vorhaben der

Gebäudeklasse 3 i.S.v. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BayBO („sonstiges Gebäude mit einer Höhe bis zu 7 m“).

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Art. 62 Absatz 3 Satz 1 BayBO regelt grundsätzlich, in welchen Fällen eine Prüfung des Standsicherheitsnachweises zu erfolgen hat. Nach dessen Nr. 2 Buchst. a) muss der

Standsicherheitsnachweis, wenn dies nach Maßgabe eines in der Rechtsverordnung nach Art. 80 Abs. 4 BayBO geregelten Kriterienkatalogs erforderlich ist (wie hier: vgl. die „Erklärung über die Erfüllung des Kriterienkatalogs gemäß Anlage 2 der BauVorlV“ des Dipl. Ing. H* … vom 15.10.2015, wonach nicht sämtliche der Kriterien bzgl. der statisch-konstruktiven Eigenschaften erfüllt sind) bei Gebäuden der Gebäudeklassen 1 bis 3 (wie hier) bei einem Sonderbau durch die Bauaufsichtsbehörde geprüft werden.

Andernfalls („im Übrigen“), also wenn es sich nicht um einen Sonderbau handelt, muss nach dieser

Vorschrift der Standsicherheitsnachweis durch einen Prüfsachverständigen bescheinigt sein. Da es sich bei dem Vorhaben des Klägers nicht um einen Sonderbau handelt, ist hier zwingend (vgl. BeckOK

BauordnungsR Bayern, BayBO, Stand Juli 2017, Art. 62 Rn. 71) die Bescheinigung des

Prüfsachverständigen erforderlich und keine Prüfung des Standsicherheitsnachweises durch die Bauaufsichtsbehörde durchzuführen.

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Werden bautechnische Nachweise durch einen Prüfsachverständigen bescheinigt, gelten gemäß Art. 62 Abs. 4 Satz 2 BayBO die entsprechenden Anforderungen als eingehalten. Liegt damit die Verantwortung für die Einhaltung der Standsicherheit allein in Händen des Nachweiserstellers, des Bauherrn und des

Prüfsachverständigen, hat die Bauaufsichtsbehörde die Frage der Standsicherheit nicht zu prüfen. Ihr steht insoweit keinerlei Kompetenz zu. Dies gilt sowohl für die Bauverwaltung der Beklagten als auch für den Stadtrat bzw. den Bau- und Ordnungsausschuss, der – jedenfalls in seiner Mehrheit unter Verkennung der Rechtslage hier über Fragen der Standsicherheit entschieden hat, die nicht in seinen Kompetenzbereich fallen. Die Regelung des Art. 59 Satz 2 i.V.m. Art. 62 BayBO hat nämlich in Bezug auf die bauaufsichtlichen Anforderungen eine (weitgehende) Einschränkung der behördlichen Prüfpflicht zur Folge, soweit die Erfüllung dieser Anforderungen Gegenstand der vom Bauherrn beizubringenden bautechnischen Nachweise ist (vgl. VG München, U.v. 7.5.2012 – M 8 K 10.5253 – BeckRS 2012, 56990; BeckOK BauordnungsR Bayern, BayBO, Stand Juli 2017, Art. 62 Rn. 95). Dass Art. 63 Abs. 3 und 4 BayBO den Prüfungsumfang regelt, ergibt sich auch aus Art. 55 Abs. 2 BayBO, der von einer „Beschränkung der bauaufsichtlichen Prüfung nach Art. 59, 60, 62 Abs. 4“ BayBO spricht (vgl. Simon/Busse, BayBO, 124. EL Jan. 2017, Art. 60 Rn. 12).

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Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass die Einhaltung der Voraussetzungen der Standsicherheit auch hinsichtlich des Nachbaranwesens durch das Bauvorhaben demgemäß allein durch die Vorlage bzw.

Bescheinigung der erforderlichen bautechnischen Nachweise erfolgt. Deshalb gehört es nicht zum Prüfungsumfang der Bauaufsichtsbehörde, bei der Erteilung einer Baugenehmigung im vereinfachten Genehmigungsverfahren das Vorliegen der Voraussetzungen der Standsicherheit durch ein Bauvorhaben zu prüfen.

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Nach allem war die Einhaltung der Anforderungen der Standsicherheit im Genehmigungsverfahren durch die Beklagte nicht zu prüfen. Somit stehen die einschlägigen Bestimmungen des Art. 10 Satz 3 BayBO der Erteilung der Baugenehmigung nicht entgegen, so dass es der Beklagten verwehrt war, den Bauantrag abzulehnen.

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4. Ein zwingender Ablehnungsgrund für die beantragte Baugenehmigung ergibt sich auch nicht aus dem gemäß Art. 59 Satz 1 Nr. 1 BayBO zu prüfenden Bauplanungsrecht.

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Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens bestimmt sich nach § 30 Abs. 1 BauGB, da es sich im Geltungsbereich eines qualifizierten Be-bauungsplans befindet, nämlich des Bebauungsplans „Südliche Sanderau“ vom 26. September 1962/24. Juli 1963 und 12. Februar 1964 i.d.F. der Änderung vom 17.

Februar 1993. Nach § 30 Abs. 1 BauGB ist ein Vorhaben im Geltungsbereich eines solchen qualifizierten Bebauungsplans, also eines solchen, der Festsetzungen über die Art und das Maß der baulichen Nutzung, die überbaubaren Grundstücksflächen und die örtlichen Verkehrsflächen enthält, nur dann zulässig, wenn es diesen Festsetzungen nicht widerspricht und die Erschließung gesichert ist.

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Das zur Genehmigung gestellte Vorhaben widerspricht nicht den Festsetzungen des Bebauungsplans zur Art der baulichen Nutzung, nicht denen zu den überbaubaren Grundstücksflächen und den örtlichen Verkehrsflächen, wie auch nicht denen (von einer Ausnahme abgesehen) zum Maß der baulichen Nutzung.

Vorliegend weicht das Vorhaben des Klägers allein wegen der Überschreitung der Geschossflächenzahl – geringfügig – von den Festsetzungen des Bebauungsplans ab (zulässig: 0,7; geplant ursprünglich: 0,75, geplant aktuell: 0,705).

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Nach § 31 Abs. 2 BauGB kann von den Festsetzungen des Bebauungsplans befreit werden, wenn die Grundzüge der Planung nicht berührt werden und Gründe des Wohls der Allgemeinheit die Befreiung erfordern (Nr. 1) oder die Abweichung städtebaulich vertretbar ist (Nr. 2) oder die Durchführung des Bebauungsplans zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen würde (Nr. 3) und wenn die Abweichung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.

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Diese tatbestandlichen Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB liegen vor, da die Grundzüge der Planung nicht berührt werden und die Abweichung städtebaulich vertretbar ist. Insoweit besteht Übereinstimmung zwischen der Klägerseite und der Beklagten. So hat die Bauverwaltung der Beklagten im

Beschlussvorschlag wie auch in der Begründung zur Vorlage für den Bau- und Ordnungsausschuss vom 13. Januar 2016 (vgl. Bl. 108 der Behördenakte) ausgeführt, dass insoweit eine „Befreiung gemäß § 31 Abs.

2 Nr. 2 BauGB erteilt“ werden solle, da die „Grundzüge der Planung nicht berührt werden und die

Abweichung städtebaulich vertretbar ist“ und die „Befreiung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar“ sei. Dem ist der Bau- und Ordnungsausschuss auch in seinen beiden Sitzungen nicht entgegen getreten.

41

5. Ein Ablehnungsgrund für die beantragte Baugenehmigung ergibt sich auch nicht aus dem gemäß Art. 59 Satz 1 Nr. 2 BayBO zu dem zum Prüfungsprogramm zu zählenden beantragten Abweichungen im Sinn des Art. 63 Abs. 1 und Absatz 2 Satz 2 BayBO.

42

Vorliegend wurde vom Kläger eine Abweichung gemäß Art. 63 Abs. 1 BayBO beantragt (vgl. Bl. 74 der Behördenakte) und zwar von der Stellplatzsatzung der Stadt Würzburg, weil es sich bei einem Stellplatz um einen sog. „gefangenen“ Stellplatz handelt.

43

Die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO liegen vor. Insoweit besteht auch Übereinstimmung zwischen der Klägerseite und der Beklagten. So hat die Bauverwaltung der Beklagten im Beschlussvorschlag wie auch in der Begründung zur Vorlage für den Bau- und Ordnungsausschuss vom 13. Januar 2016 (vgl. Bl. 108 der Behördenakte) ausgeführt, dass insoweit eine Abweichung von der vorgeschriebenen geeigneten Beschaffenheit und Anordnung von Stellplätzen hinsichtlich der Errichtung eines sog. „gefangenen Stellplatzes“ zugelassen werden solle, da die Abweichung städtebaulich vertretbar sei, weil die Möglichkeit der Absprache innerhalb einer Nutzungseinheit gegeben sei.

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6. Nach allem liegen keine zwingenden Ablehnungsgründe für die beantragte Baugenehmigung einschließlich der beantragten Befreiung und der Abweichung vor. Der Kläger hat aber dennoch keinen Anspruch auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung einschließlich der beantragten Abweichung und Befreiung, weil hier nicht davon ausgegangen werden kann, dass das Ermessen der Beklagten hinsichtlich der Zulassung einer Befreiung gemäß § 31 Abs. 2 BauGB und der Zulassung der Abweichung nach Art. 63 Abs. 1 BayBO auf Null reduziert ist. Liegen – wie hier – die Tatbestandsvoraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB bzw. Art. 63 Abs. 1 BayBO vor, so obliegt es der Bauaufsichtsbehörde, im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens darüber zu entscheiden, ob sie dem Vorhaben zustimmt. Die Erteilung einer Befreiung – wie auch einer Abweichung – steht grundsätzlich im pflichtgemäßen Ermessen der

Baugenehmigungsbehörde. Nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschriften „kann“ von den Festsetzungen des Bebauungsplans befreit bzw. „kann“ eine Abweichung erteilt werden.

45

(9)

In diesem Zusammenhang verbleibt der Beklagten – auch unter Berücksichtigung der obigen

Rechtsausführungen – ein hinreichender, wenn auch geringer Ermessensspielraum, so dass – entgegen der Auffassung der Klägerseite – hier nicht von einer Ermessensreduzierung auf Null ausgegangen werden kann und die Spruchreife i.S.d. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO nicht gegeben ist.

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Allerdings besteht nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts für die Ausübung dieses Ermessens nur wenig Raum, wenn die Vorausset-zungen für die Erteilung einer Befreiung gegeben sind (BVerwG, U.v. 19.9.2002 – 4 C 13/01 – BauR 2003, 488). Wie das Bundesverwaltungsgericht ausdrücklich festgestellt hat, folgt daraus jedoch nicht, dass der zuständigen Behörde entgegen dem Wortlaut der Vorschrift kein Ermessensspielraum zusteht oder das Ermessen stets auf Null reduziert ist, wenn die Voraussetzungen einer Befreiung vorliegen. Erforderlich für eine negative Ermessensentscheidung ist nur, dass der Befreiung gewichtige Interessen entgegenstehen (BVerwG U.v. 19.9.2002, a.a.O), diese dem Interesse der Bauherrn im Gewicht nicht kategorisch untergeordnet sind (BayVGH, U.v. 09.08.2007 – 25 B 05.3055 – BayVBl. 2008, 307).

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Eine Ermessensentscheidung über die Erteilung der begehrten Befreiung bzw. Abweichung hat die Beklagte nach der Begründung des angefochtenen Bescheides vorliegend nicht getroffen. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass sich die Beklagte mit diesen beiden Fragestellungen im streitgegenständlichen Bescheid oder sonst wie in irgendeiner Weise auseinander gesetzt hätte; sie hat sich vielmehr ausschließlich mit der Frage der Standsicherheit beschäftigt. Da nach allem die

Tatbestandsvoraussetzungen für die Erteilung der begehrten Befreiung und Abweichung gegeben sind und es an einer (ordnungsgemäßen) Ermessensausübung der Beklagten über deren Gewährung fehlt, kann der Kläger beanspruchen, dass die Beklagte über seinen Bauantrag unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu entscheidet. Im Rahmen ihrer Ermessensentscheidung wird die Beklagte zu berücksichtigen haben, dass – wie die Klägerbevollmächtigte schriftsätzlich vorgetragen und der Vertreter der Beklagten auf Nachfrage in der mündlichen Verhandlung eingeräumt hat – es durchgängige Praxis der Bauverwaltung ist, dem Bauausschuss bei Überschreitungen der Grundflächenzahl in geringfügigem Umfang (wie hier) wie auch bei Abweichungen von den Stellplatzvorschriften bei Vorlage einer Vereinbarung bzw. bei gleicher Nutzungseinheit eine positiven Beschlussvorschlag zu erstellen.

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7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO, § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.

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