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Reden oder schweigen?

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Academic year: 2022

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Der geplante Ausbau des Schienen netzes und die Gründe für die Verspätungen der Deutsche Bahn Aktien­

gesellschaft (AG) waren der Auslöser: Die kleinen Anfragen einiger Mitglieder des Bundestages und der Fraktion der Grü­

nen 2010 im Parlament brachte einen Konflikt zum Vorschein, der nicht einfach zu lösen ist. Das Problem ist die Beteili­

gung des Staates an der Deutschen Bahn.

Die Regierung entsendet Vertreterinnen und Vertreter in den Aufsichtsrat. Diese haben aufgrund der dort besprochenen sensiblen Informationen eine besondere Verschwiegen heitspflicht. Gleichzeitig hat die Regierung aber auch eine Auskunfts­

pflicht gegenüber dem Parlament, die sich auf genau dieselben Informationen beziehen kann. »Damit müsste die Regie­

rung sowohl schweigen als auch reden«, erklärt Davud Tayaranian, wissenschaft­

licher Mitarbeiter der Rechtswissenschaft­

lichen Fakultät der Kieler Universität, das Dilemma. Weil nicht beides gleichzeitig geht, muss eine Entscheidung getroffen werden.

»Die Frage, welche Pflicht schwerer wiegt, lässt sich nicht immer einfach klären«, erklärt der Jurist. Im Falle der Deutsche Bahn AG hat im November 2017 das Bundes verfassungsgericht »zugunsten der verfassungsrechtlichen Antwortpflicht der Regierung entschieden, weil diese gegen­

über der aktienrechtlichen Verschwiegen­

heitspflicht über einen höheren Rang ver­

fügt«, sagt der Doktorand. Tayaranian hat diesen Fall zum Anlass seiner Dissertation (Doktorvater: Professor Michael Stöber) gemacht. »Ich wollte untersuchen, ob es weitere Pflichtenkollisionen wie diese gibt.«

Unter dem Titel »Vertraulichkeitsschutz in der öffentlich beherrschten Aktien­

gesellschaft« hat Tayaranian die Schnitt­

stelle zwischen Öffentlichem Recht (das auf Transparenz gerichtet ist) und dem Zivilrecht oder dem Aktienrecht (das die Vertraulichkeit von Unternehmens interna

zu schützen versucht) untersucht, Para­

graf für Paragraf verglichen, Aufsätze und Urteile gelesen – und festgestellt, dass sich in vielen Fällen Auskunftspflicht und Geheimhaltungsverantwortung konträr entgegenstehen.

»Ähnliche Konflikte können immer dann entstehen, wenn der Bund, aber auch die Länder oder Kommunen an Unterneh­

men in Rechtsform der Aktiengesellschaft be teiligt sind und um Auskunft gebeten werden – seitens der Parteien, aber auch von Seiten der Presse (Auskunftsan­

spruch der Presse) oder der Bürgerinnen und Bürger (Informationsfreiheitsrecht)«, erklärt der Kieler, der diese Kollisionslagen umfangreich untersucht hat.

»Es zeigt sich deutlich, dass sich der aktien­

rechtliche Vertraulichkeitsschutz und die öffentlich­rechtlichen Transparenzpflich­

ten unabhängig voneinander entwickelt haben«, erklärt Tayaranian. Sie verzahnen sich nicht, sondern stehen sich häufig unvereinbar gegenüber. Eine Änderung oder Anpassung des Aktienrechts ist nicht in Sicht. »Daher sind auch künftig Konflikte vorprogrammiert. Bis heute werden die Auswirkungen des Urteils auf das Aktien­

recht und die Auflösung ähnlicher Kolli­

sionslagen von Juristinnen und Juristen kontrovers diskutiert.«

Einen Schwerpunkt in Tayaranians Dis­

sertation bildet die Antwort auf die Frage,

ob eine Aktiengesellschaft es hinnehmen muss, wenn ihre vertraulichen Informa­

tionen öffentlich preisgegeben werden, oder ob ihr in diesem Fall ein Ausgleichs­

anspruch zusteht. Denn der AG könnte durch die Veröffentlichung von Interna ein wirtschaftlicher Schaden entstehen.

»Ein Unternehmen muss um Aufträge und Gewinne fürchten, wenn seine Kosten, Kal­

kulationsgrundlagen oder andere Betriebs­

und Geschäftsgeheimnisse auch für die Konkurrenz öffentlich zugänglich sind«, sagt der Jurist. »Das mag bei der Deutschen Bahn, die wenig Konkurrenz hat und bei der der Bund Alleineigentümer ist, nicht so schwerwiegend sein. Etwas anderes gilt jedoch, wenn auch private Aktionär­

innen und Aktionäre beteiligt sind, die Gewinne erwarten, die durch diesen Kon­

flikt und dessen Folgen geschmälert wer­

den könnten.«

Angemessen wäre es, wenn der Bund, das Land oder die Kommune für wirtschaft­

liche Schäden, die aus der Veröffentlichung von sensiblen Unternehmensinterna fol­

gen, aufzukommen hätte, erklärt der Rechtswissenschaftler, der ein Haftungs­

konzept für solche Situationen entwickelt hat. Das ist der Schlussakt seiner Doktor­

arbeit, an dem der 28­Jährige noch arbeitet.

Spätestens im Herbst oder Winter wird er seine Dissertation einreichen.

Jennifer Ruske

No 108 16.10.2021 Nachrichten und Berichte aus der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

Eine Beilage der Kieler Nachrichten

Amerika S. 5

Europa S. 10

Unter www.uni­kiel.de/unizeit können Leserinnen und Leser aktuelle und frühere Ausgaben durchstöbern.

Find several »unizeit« articles in English at www.uni­kiel.de/en/unizeit.

Redaktionstipp

Editorial

Liebe Leserinnen und Leser, wir starten in ein ganz besonderes Wintersemester: Mit guten Hygiene­

konzepten und der notwendigen Vor­

sicht, mit vielen Anstrengungen und großer Vorfreude wagen die Hoch­

schulen des Landes wieder ein Stück mehr Normalität. Und so wird es auch das erste Mal in meiner Amtszeit sein, dass ich die Studierenden persönlich auf dem Campus willkommen heißen kann. Ich freue mich auf den neuen alten Universitätsalltag.

In dieser Ausgabe beleuchten wir die Erfahrungen der letzten Monate, die Vor­ und Nachteile der Online­ und Hybridlehre. Wir sprechen über Big Data aus dem Meer, stellen innovative Ideen und Projekte unserer Nach­

wuchsforschenden und Studierenden vor und blicken auf neue Erkennt­

nisse in der Corona­Forschung.

Prof. Dr. Simone Fulda Präsidentin

Was wiegt schwerer, die Geheimhaltung von Unternehmensinterna von Aktiengesellschaften oder die Information der breiten Öffentlichkeit? Ist die öffentliche Hand in dem Unternehmen involviert, ist die Antwort nicht immer eindeutig, wie der Jurist Davud Tayaranian in seiner Doktorarbeit belegt.

Reden oder schweigen?

»Der Campus der Universität Kiel ist und bleibt ein Lehr- und Lernort.«

Professor Markus Hundt, CAU-

Vizepräsident S. 3

»Jeder und jede Studierende sollte sich unternehmerische Kompe- tenzen aneignen und möglichst ausprobieren.«

Katharina Knapp, Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Gründungs- und

Innovationsmanagement S. 8

»Unser Ziel ist es, dass sich die Jugendlichen kritisch mit Lebens- mitteln und deren Nachhaltigkeit auseinandersetzen.«

Antonia Grubert, Ernährungs- und

Lebensmittelwissenschaftlerin S. 2

Krise – Chance – Wandel. So lautet das Motto der diesjährigen Night of the Profs an der Uni Kiel. Nachdem die lange Vorlesungsnacht im vergangenen Jahr coronabedingt ausfallen musste, findet die beliebte Publikumsveran­

staltung in diesem Wintersemester wieder statt – live im Audimax mit mindestens 50­prozentiger Belegung.

Am Freitag, 19. November sprechen

Professorinnen und Professoren zu den großen Herausforderungen der Gegenwart – quer durch alle Diszipli­

nen. »Mehr denn je findet die Wissen­

schaft aktuell Gehör in Gesellschaft und Politik. Zugleich wird sie kritisiert und in Frage gestellt. Wir wollen zei­

gen, dass Forschungsergebnisse nicht nur in Pandemiezeiten Antworten auf vielfältige ökologische, ökonomische, gesellschaftliche oder technologische Fragestellungen liefern. Wissenschafts­

basierte Lösungen bieten Chancen zur

Reflexion und Diskussion, zu Innova­

tion und Fortschritt. Sie können unser Denken und Handeln nachhaltig ver­

ändern«, erklärt CAU­Präsidentin Pro­

fessorin Simone Fulda. Die 15. lange Vorlesungsnacht wird organisiert vom Präsidium der Kieler Universität, dem Allgemeinen Studierendenausschuss und der Fachschaftsvertretungenkon­

ferenz.

Eröffnet wird die Night of the Profs von Mathematiker Professor Sören Christensen. Der Leiter der Arbeits­

gruppe Stochastik wurde 2019 mit seinem Vortrag »Die Macht der Zah­

len« zum »Prof of the Night« gewählt.

Auch in diesem Jahr wird wieder über den spannendsten Vortrag des Abends abgestimmt. apr Programm sowie aktuelle Informationen zu Veranstaltungsformat und Hygiene- maßnahmen unter www.uni-kiel.de/de/

veranstaltungen/night-of-the-profs

Night of the Profs

Davud Tayaranian. Foto: privat

Skandinavien S. 12

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16.10.2021 unizeit 108 | transfer | seite 2

Nachhaltige Ernährung ist in aller Munde. Viele Menschen greifen verstärkt zu frischen Biolebensmitteln aus der Region sowie zu Fleisch­ oder Milchersatz aus rein pflanzlichen Roh­

stoffen. Diese und andere Lebensmittel können Schülerinnen und Schüler ab Klasse zehn zukünftig im food:labor erforschen. In Kürze wird das neue Angebot der Kieler Forschungswerk­

statt, des Schülerlabors der Kieler Uni­

versität und des Leibniz­Instituts für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik (IPN), eröffnet.

»Die Beschäftigung mit dem, was wir an Essen zu uns nehmen, hat für viele Menschen einen großen Stellenwert«,

sagt Dr. Timon Heyn vom Institut für Humanernährung und Lebensmittel­

kunde. Die Gründe dafür sind viel fältig, weiß der Lebensmitteltechnologe, der im food:labor für fachliche Inhalte zuständig ist. Die eigene Gesundheit sei für viele Menschen wichtig. Ebenso das Tierwohl. In Zeiten des Klimawandels spielten zudem ökologische und Nach­

haltigkeits­Aspekte eine immer grö­

ßere Rolle. »Doch es gibt auch häufig Unsicherheiten, wie gesund das Essen ist, ob es zum Beispiel den Bedarf an Proteinen deckt«, ergänzt Dr. Michael Baum vom IPN, der sich in der Kieler Forschungswerkstatt um die Didaktik der Naturwissenschaften kümmert.

»Die nachhaltige Herstellung von Lebensmitteln spielt auch in der For­

schung in der Abteilung Lebensmittel­

technologie der Universität eine große Rolle. Im food:labor wollen wir den Schülerinnen und Schülern Einblick in unsere Arbeit gewähren und sie selbst Antworten auf ihre Fragen finden las­

sen«, sagt Antonia Grubert. »Unser Ziel ist, dass sich die Jugendlichen kritisch mit Lebensmitteln und deren Nach­

haltigkeit auseinandersetzen«, sagt die Ernährungs­ und Lebensmittel­

wissenschaftlerin, die zusammen mit der Chemikerin Professorin Ilka Parchmann und der Lebensmitteltech­

nologin Professorin Karin Schwarz das Team des neuen Labors komplettiert.

Gefördert wird es durch Mittel aus dem

»Wissenschaftsjahr 2020/21 – Bioöko­

nomie« des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Die einzelnen Stationen des food:labors haben Stu­

dierende der Chemie im Profil Lehr­

amt sowie des Fachgebiets Ernährungs­

und Lebensmittelwissenschaft in einer gemeinsamen Lehrveranstaltung aus­

gearbeitet.

An den Stationen erwartet die Schul­

klassen Wissensvermittlung durch fachliche Vorträge, gepaart mit eigenen Experimenten. Ein Beispiel: »Wir zei­

gen den Jugendlichen, was es bedeu­

tet, wenn auf einer Packung Gummi­

bärchen ›enthält Gelatine‹ steht«, sagt Heyn. Da liegt dann schon mal ein Tierknochen im Labor, aus dem diese Zutat gewonnen wird. Eine Alternative sind Gummibärchen, die als Geliermit­

tel Agar­Agar aus Algen enthalten. Die Gummibärchen können die Gruppen selbst zubereiten – Verköstigung am Ende des Tages inklusive. Dazu wird außerhalb der Laborräume ein »Buffet«

aufgebaut. Bei einem anderen Expe­

riment stellen die Schülerinnen und Schüler Milchersatz aus Mandeln, Soja und Hafer her. Wie viele lebenswich­

tige Proteine dieser hat und ob damit der tägliche Bedarf eines Erwachsenen gedeckt werden kann, wird ebenfalls ermittelt.

Andere Stationen drehen sich um die Themen Fleisch­ und Palmölersatz sowie das Potenzial der Miesmuschel

als natürliche Biofabrik für wertvolle Proteine und gesunde Öle. »Wir werden mit den Schülerinnen und Schülern die Vor­ und Nachteile verschiedener Alternativen diskutieren«, sagt Heyn, wohl wissend, dass es eine klare Ein­

teilung in gute und schlechte Lebens­

mittel nicht gibt. »Die Bewertung von Lebensmitteln ist viel komplexer, als man auf den ersten Blick sieht.«

In der Schule sollen einzelne Themen­

bereiche weiter vertieft werden. Das Team der Forschungswerkstatt verleiht dafür – und für Schulen, die nicht ins Labor kommen können – Stationen­

kisten mit Experimenten und Unter­

richtsmaterialien. »Wir planen auch ein digitales Angebot, das online besucht werden kann«, so Baum, der mit dem gesamten Team für alle Fragen und Auskünfte zur Verfügung steht.

Jennifer Ruske Das Angebot des food:labors richtet sich an Schülerinnen und Schüler der Oberstufe (ab Klasse 10) von Gemeinschaftsschulen und Gymnasien. Kontakt und Information:

Telefon: 0431/880-5916,

E-Mail: info@forschungswerkstatt.de, www.forschungs-werkstatt.de

Wie gesund Fleischersatz und Alternativen zur Kuhmilch sind, das können Schulklassen im neuen food:labor der Kieler Forschungswerkstatt anhand von leckeren Experimenten lernen.

Nachhaltig und lecker?

Das Team des food:labors (v.r.n.l. Antonia Grubert, Timon Heyn, Michael Baum) tüftelt an den Experimenten für Schülerinnen und Schüler. Foto: Heike Groth

25 Jahre Weiterbildung auf wissenschaftlichem Niveau

unizeit: Herzlichen Glückwunsch zum Jubiläum, Frau Mordhorst. Wie kam es 1996 zur Grün­

dung der Wissenschaftlichen Weiter­

bildung?

Annekatrin Mordhorst: Gegründet wurde die Einrichtung von der ehe­

maligen Erziehungswissenschaftlichen Fakultät (EWF). Der Grund: Lehr­

kräfte, die nach längerer Pause wieder ins Berufsleben zurückkamen, hatten damals den Wunsch nach Weiterbil­

dungsangeboten an der Schnittstelle von Wissenschaft und Praxis, insbe­

sondere aber aus dem Bereich Didak­

tik. Ich wurde als Koordinierungs­

beauftragte für die wissenschaftliche Weiterbildung eingestellt und habe im Ein­Frau­Betrieb Bedarfe ermittelt und Angebote erstellt. Dafür habe ich die

Dozierenden der Fakultät als Referen­

tinnen und Referenten mit ins Boot geholt. Die ersten, kostenpflichtigen Seminare drehten sich um das Thema

»Neue Medien im Schulunterricht«

und »Das Internet Teil 1 und 2«. Das World Wide Web war damals ja noch ganz neu. Wir hatten aber auch Work­

shops zu den Forschungsergebnissen aus dem Bereich Schulkinder, wie zum Beispiel »Umgang mit aggressiven Kin­

dern und Jugendlichen«, die ebenfalls viel Anklang fanden.

Wie ging es weiter?

1997 haben wir unser pädagogisches und didaktisches Angebot auf Hoch­

schullehrkräfte ausgeweitet. Zwei Jahre später folgte der Wechsel der Wissenschaftlichen Weiterbildung von der EWF in die Zentrale Verwaltung.

Dort sind wir als eigene Stabsstelle ans Präsidium angebunden. Mit der Unterstützung der Universität konnten wir unser Angebot – die berufs­ und entwicklungsorientierte sowie bedarfs­

gerechte Begleitung aller CAU­Mitar­

beitenden aus Wissenschaft, Technik und Verwaltung – stetig ausbauen.

Gleichzeitig wurden weitere Angebote für Studierende, Unternehmen und andere externe Fachkräfte entwickelt.

So fand 2000 im Audimax der Uni­

versität die erste Firmenkontaktmesse contacts statt, bei der sich Firmen den Studierenden vorstellen konnten. Kon­

taktvermittlung zu den Unternehmen steht auch im Career Center im Mittel­

punkt, das 2002/2003 gegründet wurde.

Hier stehen wir den Studierenden beim Start ins Berufsleben zur Seite.

Seit 2003 bieten wir wissenschaft­

liche Weiterbildung auch in Form von Coachings für Führungskräfte aus der freien Wirtschaft sowie diverse Fortbildungen an. Bei Letzteren kön­

nen sich externe Fachkräfte mit dem Wissen schaftspersonal der Universität aus unterschiedlichen Fachbereichen austauschen. Die Wissenschaftliche Weiterbildung ist damit eine Schnitt­

stelle für Wissenschaftstransfer aus der Universität in die Arbeitswelt.

Über den angegliederten Verein Zen­

trum für wissenschaftliche Weiterbil­

dung (ZWW e.V.) organisiert die Uni­

versität Kiel Weiterbildungsstudien­

gänge wie »Hospital Management«,

»Migraine and Headache Medicine«

oder auch die Postgraduiertenaus­

bildung »Kinder und Jugendlichenpsy­

chotherapie« und aktuell das Zertifikat

»Sexualmedizin«.

Was ist das Besondere an der Wissen­

schaftlichen Weiterbildung?

Das Besondere ist sicherlich unsere Vielfalt und die Flexibilität, mit der wir auf neue Bedarfe reagieren kön­

nen: Die Bandbreite unserer Angebote reicht von den Zertifikatsprogrammen Hochschuldidaktik und Digitale Lehre, Führungskompetenz, Interkulturelle Kompetenz und Office­Management über Seminare zur Persönlichkeitsent­

wicklung, Karriereplanung und Selbst­

kompetenz bis zu Projektmanagement, wissenschaftlichen Arbeitstechniken und Sprachkursen. Darüber hinaus bieten wir individuelle Beratungen und Coachings zu beruflichen und persön­

lichen Herausforderungen in der uni­

versitären Arbeitswelt. Wir arbeiten dafür mit einem Stab von hoch quali­

fizierten Dozentinnen und Dozenten, Trainingskräften und Coaches zusam­

men. Unsere Angebote werden gern und gut genutzt: Im Jahr 2020 haben 539 Kurse mit insgesamt 4.329 Teil­

nehmenden stattgefunden. Und mit der Firmenkontaktmesse contacts haben wir 2019 insgesamt 9.470 Teil­

nehmende erreicht.

Weiterbildung gab es bislang über­

wiegend in Präsenz. Und dann kam Corona. Wie haben Sie die Heraus­

forderungen der vergangenen Monate gemeistert?

Wir haben unsere Fortbildungen online angeboten. Das Umschalten war problemlos und wurde von den Teilnehmenden sehr gut angenommen.

Der Vorteil: Wir konnten die Kurs­

zeiten flexibel gestalten, angepasst an die Arbeitszeiten der Teilnehmenden, die sich aus dem gesamten Bundes­

gebiet dazuschalteten. Dieses Interesse an unseren Veranstaltungen zeigt den Erfolg der digitalen Umstellung. Daher werden wir auch weiterhin digitale For­

mate neben Präsenzveranstaltungen anbieten.

Welche Themen bewegen Sie für die Zukunft?

Wir wollen zum einen unser digitales Angebot auf noch professionellere Beine stellen. Ein weiterer Schwerpunkt wird das Thema Kommunikation sein, besonders beim Wissenstransfer intern und extern in den Bereichen Lehre und Forschung. Ebenfalls auf der To­Do­

Liste steht der Ausbau der Angebote für Wissenstransfer aus der Universität in die Arbeitswelt. Und last but not least steht auch die gute Begleitung indivi­

dueller Karrierestrategien auf unserer Liste. Diese muss regelmäßig an die Anforderungen des aktuellen Arbeits­

marktes angepasst werden, um effektiv zu sein. Wir planen für diese Schwer­

punkte ein umfangreiches Angebot an Seminaren, Workshops, Informations­

veranstaltungen und Sonderformaten.

Ein großer Fokus liegt zudem jetzt und auch in Zukunft auf unserer Netzwerk­

arbeit sowohl innerhalb der gesamten Universität als auch nach außen mit den externen Kooperationspartnern aus Forschungsinstituten und Hoch­

schulen sowie den Unternehmen im Land Schleswig­Holstein. Gemeinsam mit meinem Team freue ich mich auf neue und spannende Herausforde­

rungen. Jennifer Ruske

Seminare, Vorträge, Coaching und Beratung für Hochschulpersonal, Unternehmen und andere:

Das alles und mehr bietet die Wissenschaftliche Weiterbildung der Christian-Albrechts-

Universität zu Kiel. Anlässlich des 25-jährigen Bestehens blickt Leiterin Annekatrin Mordhorst auf die Anfänge zurück und in die Zukunft.

Seit 25 Jahren organisiert die Wissenschaftliche Weiterbildung Seminare und Fortbildungen für das Hochschulpersonal der Universität sowie für externe Fachkräfte. Foto: Jürgen Haacks

Los ging es vor 25 Jahren: Koordinierungs­

beauftrage Annekatrin Mordhorst hat als Ein­Frau­Betrieb Bedarfe ermittelt und erste Seminare, Workshops und Fortbildungen organisiert. Foto: Thomas Faust

»Unser Ziel ist, dass sich die Jugendlichen kritisch mit Lebens-

mitteln und deren Nachhaltigkeit auseinandersetzen.«

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16.10.2021 unizeit 108 | lehre + studium | seite 3

Als im März 2020 die erste Corona­Welle über Deutschland schwappte, gingen die Menschen vieler orts mit einer gewissen Gelassen­

heit an die Sache heran. »Wir dachten, die Geschichte muss man erstmal zwei Wochen online überbrücken, und dann geht es mit dem Präsenzunterricht wei­

ter«, erzählt Dr. Annedore Hänel, die das Team für Deutsch als Fremdspra­

che (DaF) an der Uni Kiel leitet. Immer mehr stellte sich dann aber heraus, dass es länger dauern würde mit der Pandemie und den damit verbundenen Einschränkungen. Und immer deut­

licher traten zugleich die Grenzen digi­

taler Lehrformate zutage.

»Das hat viel mit der Zielgruppe des

Bereichs Deutsch als Fremdsprache zu tun«, erklärt die fachliche Leiterin der Studienvorbereitung, Kati Lüdecke­

Röttger. Pro Semester bereiten sich am Bereich DaF, der unter dem Dach des Zentrums für Schlüsselqualifi­

kationen angesiedelt ist, 100 bis 120 Menschen aus mehr als 20 Ländern auf das Studium vor. In jedem Einzel­

fall wird zunächst ermittelt, wie es um die Sprachkenntnisse bestellt ist.

Abhängig vom Ergebnis arbeiten die Teilnehmenden dann meist ein oder zwei Semester auf die sogenannte DSH­

Prüfung hin. Die »Deutsche Sprach­

prüfung für den Hochschulzugang«

wird hierzulande von mehr als 100 Uni­

versitäten oder vergleichbaren Einrich­

tungen anerkannt und ist laut Lüdecke­

Röttger auch in Kiel das Ticket, um sich für die deutschsprachigen Studien­

gänge einzuschreiben.

»Mit guten Sprachkenntnissen allein ist es aber oft nicht getan«, ergänzt ihr Kollege Martin Lange. Die ange­

henden Studierenden stammen aus dem Iran, aus Jordanien, Korea, Russ­

land und vielen anderen Ländern, in denen der Ablauf eines Studiums oft­

mals »ganz fest vorgegeben« ist, weiß Lange. Zu verstehen, wie das hiesige Hochschulwesen tickt, ein Gespür für die Umgangsformen unter den Stu­

dierenden selbst, aber auch zwischen Studierenden und Lehrenden zu entwi­

ckeln, das gehört ebenso zur Studien­

vorbereitung wie das Einüben des in Deutschland geforderten eigenverant­

wortlichen Lernens. »Gerade für die kommunikativen Feinheiten braucht es eine lebhafte und spontane Inter­

aktion«, betont Kati Lüdecke­Röttger und verweist darauf, dass nach den bisherigen Erfahrungen die digitalen Kanäle in dieser Hinsicht Schwächen aufweisen: »Es geht häufig langsamer und schwerfälliger voran.«

Auf Grundlage solcher Erfahrungen und immer wieder vorgenommener Nachjustierungen haben die Verant­

wortlichen inzwischen ein hybrides Lehrkonzept entwickelt, um das Beste aus verschiedenen Welten unter einen Hut zu bringen. Geht es hauptsäch­

lich um Interaktion und die weichen Faktoren des Hochschulstandorts Kiel, setzt der Bereich DaF auf Präsenz.

Und das selbstverständlich immer unter Einhaltung der jeweils geltenden Corona­Auflagen, wie die fachliche Leiterin betont. Soll dagegen in erster Linie Lernstoff vermittelt werden, stel­

len oder setzen sich die Lehrkräfte meist in ihren Büros vor eine Video­

kamera. Um Wissen zu vertiefen, für Grammatik übungen und vieles mehr eignet sich derweil am besten die an

der Uni Kiel eingesetzte Lehr­ und Lernplattform OpenOLAT, ein digitaler Werk zeugkasten mit Lehrvideos, inter­

aktiven Übungen und vielem mehr.

»Dieses Konzept haben wir syste­

matisch immer weiter ausgebaut«, erläutert Kati Lüdecke­Röttger und hebt genauso wie die anderen Ange­

hörigen ihres Teams hervor, dass der Formate­Mix des Bereichs Deutsch als Fremdsprache auch unter anderen Aspekten Vorzüge aufweist. Immer wieder kommt es zum Beispiel auch ganz ohne Corona vor, dass angehende Studierende etwa wegen langwieriger Visa­Verfahren erst verspätet einrei­

sen können. Sie können trotzdem erst einmal von ihren jeweiligen Heimat­

ländern aus mittendrin sein, weil Lehr­

veranstaltungen teils im Livestream übertragen werden. »Manchmal geht der Unterricht über drei Zeitzonen«, erzählt Martin Lange und berichtet, dass das selbst unter kühn anmu­

tenden Umständen funk tionieren kann. Eine junge Frau schaltete sich immer mal wieder zu, während sie in Ghana im Bus saß – und glänzte nach dem Wechsel ins Präsenzformat naht­

los mit besten Lern erfolgen.

Martin Geist OpenOLAT hat in den

vergangenen Monaten eine Transfor­

mation erlebt: Von der allgemeinen Lehr­ und Lernplattform wurde sie zum Drehkreuz vielfältiger digitaler Ange­

bote rund um das Studium. Dabei war die Pandemie ein Wirkbeschleuniger für die digitale Lehre – nicht weniger, aber auch nicht mehr. Denn neben der Begeisterung über die ortsunabhän­

gigen Onlineangebote und neue Lehr­

formate hatte und hat diese Form der Wissensvermittlung auch den einen oder anderen Haken. »Der überwie­

gende Teil der Lehrenden und Stu­

dierenden kommt sehr gut mit den Videoformaten und den Onlinetools zurecht, mitunter fordern sie diese geradezu ein. Ein großer anderer Teil kann dieser Entwicklung aber nicht fol­

gen«, berichtet Professor Axel Scheidig, Studiendekan an der Mathematisch­

Naturwissenschaftlichen Fakultät.

»Toll ist für alle die Möglichkeit, Vor­

lesungen aufzeichnen zu können. Stu­

dierende können die Inhalte so immer wieder und vor allem kurz vor den Klausuren noch einmal anschauen«,

beschreibt er einen Vorteil. Doch gerade Erstsemester studierende hät­

ten große Probleme gehabt, ihren All­

tag zu strukturieren, die Abläufe der Universität zu verstehen. »Aber das größte Defizit auch der am besten orga­

nisierten Onlinelehre bleibt, dass es eine ideale Welt ist. Es passieren keine Fehler. Ich kann nichts anfassen, aus­

probieren, wie man beispielsweise ein Mikroskop bedient und wie man das beste Bild bekommt.« Deshalb wäre hybride Lehre optimal, hier würden bei einer Vorlesung im Hörsaal gleich­

zeitig Streaming und/oder Aufzeich­

nungen die Präsenzlehre ergänzen.

Beispielsweise könnten internationale Studierende sich problemlos zuschal­

ten. Voraussetzung dafür ist allerdings eine gute technische Ausstattung.

»Die Anschubfinanzierung von zwei Millionen Euro durch die Universität hat beim Ausbau der Infrastruktur und der Onlinemedien schon etwas bewir­

ken können«, berichtet Dr. Marcel Austenfeld, Leiter von eLK.Medien an der CAU. Die Ausstattung der Stu­

dierenden mit Notebooks und einem stabilen Internetzugang sei aber nach wie vor ein Problem, weiß der Experte.

In der Pandemie kam zu finanziellen Einschränkungen und Vorbehalten gegenüber der Technik auch eine ein­

geschränkte Verfügbarkeit von Geräten hinzu. Eine Aufstockung der Compu­

terarbeitsplätze könnte Abhilfe schaf­

fen, die Geräte wären auch für Online­

prüfungen oder für die Hybridlehre nutzbar. Doch an der Digitalkompe­

tenz und einer persönlichen Grund­

ausstattung führt auch in den nicht technischen Studiengängen kein Weg vorbei, ist sich Studiendekan Scheidig sicher: »Ein Notebook plus Powerbank wird in Zukunft eine Grundausstattung fürs Studium sein.« Denn die digitale Lehre sei schon jetzt nicht mehr weg­

zudenken.

Das Team von eLK.Medien hat von Anfang an Unterstützung geleistet, um die Plattform OpenOLAT möglichst schnell für die neuen Anforderungen zu rüsten. Videotutorials zur Erstellung von Lehrfilmen wurden produziert, Anleitungen für Studierende angebo­

ten. Neue Tools hielten während der Pandemie Einzug in die Plattform und wurden fester Bestandteil der Lehre, wie etwa der Videokonferenzdienst BigBlueButton. Dabei gilt es bei der Einführung neuer Anwendungen immer einen Spagat zu schaffen zwi­

schen den Wünschen der Nutzenden und der Umsetzbarkeit. »Wir müssen Datenschutzvorgaben beachten. Der Schutz der Privatsphäre sowie die Datensicherheit haben hier Vorrang.

Es spielt auch eine Rolle, wo der Ser­

ver steht, und die Kosten müssen wir ebenfalls im Auge behalten«, erläutert Dr. Veronika Penner, Abteilungsleite­

rin Studium, Lehre und Verwaltung im Rechenzentrum. Systeme müssen gepflegt und nachgehalten werden, die Software soll idealerweise in Open­

OLAT integrierbar sein. »Wir möchten eine zentrale Plattform bieten, auf der die Angebote ineinandergreifen. Des­

wegen versuchen wir viel mit Open­

Source­Software zu arbeiten, da wir hier auch weiterentwickeln können, ohne Lizenzprobleme zu bekommen«, sagt Austenfeld. Gearbeitet werde derzeit unter anderem an einer ver­

besserten Benutzeroberfläche, damit die Bedienung intuitiver funktioniert.

»Auch Externe sollen besser eingebun­

den werden, damit sie gezielt Inhalte anschauen und kollaborativ an ein­

zelnen Dokumenten arbeiten kön­

nen«, berichtet Veronika Penner. Das erleichtere den Austausch zwischen Universitäten erheblich, bringe aber auch für die Lehre einen Vorteil. »Wir haben Vorkurse, an denen die Noch­

Schülerinnen und ­Schüler teilneh­

men. Sie haben teilweise noch keine Zugangsdaten, müssen aber trotzdem auf Inhalte zugreifen«, ergänzt Profes­

sor Scheidig.

Doch selbst bei optimalen Bedingungen für die technische Ausstattung besteht der Wunsch nach Begegnung und per­

sönlichem Austausch als Wesen der akademischen Lehre und Forschung­

fort. »Der Campus der Universität Kiel ist und bleibt ein Lehr­ und Lernort.

Für die reine Onlinelehre gibt es andere Anbieter in der Hochschullandschaft, die haben sich darauf spezialisiert und sind damit erfolgreich. Ich sehe die Erkenntnisse aus dem vergangenen Jahr als Chance, Entwicklungen auf­

zuholen und Neuerungen umzusetzen.

Und das mit dem Ziel, das Beste aus der digitalen Lehre und der Präsenz­

lehre miteinander zu vereinen«, ist sich Professor Markus Hundt, CAU­Vizeprä­

sident für Studium und Lehre, sicher.

Christin Beeck Zahlen zu OpenOLAT:

- aktuell 14.550 Kurse - 12.000 Videos - 80.392 Arbeitsgruppen

- bis zu 12.000 Nutzende gleichzeitig aktiv

Eine Alternative zur digitalen Lehre gab es im vergangenen Pandemie-Jahr nicht wirklich. Doch wohin geht die Reise, wenn die Studierenden und Lehrenden in die neue 3G-Welt auf den Campus zurückkehren?

Nicht nur didaktische Fragen sind dabei wichtig, auch die Technik selbst ist in vielerlei Hinsicht eine ganz eigene Herausforderung.

Das Beste aus zwei Welten

Theoretische Kenntnisse können über die Onlinelehre gut vermittelt werden. Beim Mikroskopieren beispielsweise ist auch die praktische Erfahrung wichtig. Fotos: iStock/Prykodov, iStock/skynesher, Montage: pur.pur

Am besten online. Diese Devise gilt auch in Pandemiezeiten nicht immer. Der Bereich Deutsch als Fremdsprache an der CAU setzt auf eine Mischung aus digitalen und Präsenz- Elementen – aus guten Gründen und mit guten Erfolgen.

Die Mischung macht’s

Wintersemester 19/20

Corona

Sommersemester 20 Wintersemester 20/21

5.000 10.000 15.000 20.000

Wöchentliche Zugriffe auf die Startseite von OpenOLAT seit dem Wintersemester 2019. Der Beginn der Corona­Pandemie ist rot markiert.

Grafik: pur.pur

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16.10.2021

MARISPACE­X steht für Smart Maritime Sensor Data Space X (deutsch: Datenraum für intelligente maritime Sen­

soren). Das Vorhaben will eine neue Art der digitalen Zusammenarbeit in der Meeresforschung reali­

sieren. Ziel ist, das Sam­

meln und die Analyse aller ozeanrelevanten Daten zu erleichtern und zu ver­

bessern. Maritime Daten sollen nutzbar gemacht, miteinander verknüpft und über intelligent ver­

netzte Objekte (Internet of Underwater Things, IoUT) verarbeitet werden.

Herausfordernd ist insbe­

sondere Letzteres, also ein Netzwerk per Internet ver­

bundener Geräte, die Sensordaten zur zentralen Verarbeitung an eine Cloud übermitteln. »Das Medium Wasser ist da der limitierende Faktor. Wenn die Sensoren unter Wasser sind, können ihre Signale nicht durch das Wasser transportiert werden«, erklärt Professor Matthias Renz. Der Informatiker leitet die Arbeitsgruppe Archäoinformatik – Data Science und koordiniert den CAU­

Part in MARISPACE­X. Zur Weitergabe der Daten müssen die Tauchroboter oder Unterwasser­Messgeräte zunächst an die Oberfläche kommen. »Diese Hürde hat man in anderen Anwen­

dungen nicht. Deswegen brauchen wir auch spezielle Methoden, wie die Information gesammelt werden kann, wie die Sensoren miteinander kom­

munizieren können, und das Ganze soll nicht nur intelligent, sondern auch souverän laufen«, betont Renz.

Vielleicht war gerade diese Heraus­

forderung ein Grund, warum das Pro­

jekt innerhalb des Förderwettbewerbs

»Innovative und praxisnahe Anwen­

dungen und Datenräume im digitalen Ökosystem GAIA­X« erfolgreich war, obwohl die Meereswissenschaften als Themenbereich überhaupt nicht vorge­

sehen waren. Zu den in der Ausschrei­

bung genannten Bereichen gehören unter anderem Energie und Mobili­

tät, Gesundheit, Geoinformation und Smart Living. Die Gewinnerprojekte

sollen die technologische Mach­

barkeit sowie die wirtschaftliche Umsetzbarkeit und die Nutzbar­

keit innovativer digitaler Tech­

nologien und Anwendungen demonstrieren. Das MARISPACE­

X­ Konsortium unter Leitung des Cloudanbieters IONOS SE (1&1) erhält hierfür insgesamt rund 15 Millionen Euro vom Bundes­

ministerium für Wirtschaft und Energie für drei Jahre.

Koordiniert wird der Verbund von der Kieler Firma north.io GmbH (ehemals EGEOS). Weitere Partner sind das Kieler Start­up TrueOcean GmbH, die Universitäten Kiel und Rostock, das GEOMAR – Helmholtz­Zentrum für Ozeanforschung, das Fraunhofer­Insti­

tut für Graphische Datenverarbeitung (IGD), die Stackable GmbH und die MacArtney Germany GmbH.

Die Universität Kiel ist mit fünf Arbeits­

gruppen aus der Informatik sowie je einer aus der Geographie und den Geowissenschaften vertreten. »Die

Informatik entwickelt gemeinsam mit north.io die grundlegenden Methoden für den Datenraum und die Dateninfra­

struktur. Verschiedene Anwendungs­

beispiele für die digitale Infrastruktur sollen zudem die unterschiedlichen Aspekte der Datensammlung darstel­

len«, erklärt Renz. Er bildet als Data­

Science­Experte die Schnittstelle zwi­

schen der Informatik und den anderen Wissenschaften und treibt das Projekt auch im Rahmen des Schwerpunkt­

themas »Digital Ocean« im CAU­

Forschungsschwerpunkt Kiel Marine Science (KMS) voran.

Ein Anwendungsbeispiel, bei dem enorme Datenmengen anfallen, betreuen die Kieler Geographieprofes­

sorin Natascha Oppelt (Arbeitsgruppe Earth Observation and Modelling) und der Geophysiker Dr. Jens Schneider von Deimling (Arbeitsgruppe Marine Geophysik). Mit einem kombinierten Ansatz aus optischer Fernerkundung und schiffsgebundener Hydroakustik wollen sie eine Methode entwickeln und validieren, mit der sich aqua­

tische Vegetation an der Ostseeküste, wie zum Beispiel Seegras, Brauntang oder invasive Rotalgen, flächig erfassen und monitoren lassen. Seegras und Brauntang wachsen im Flachwasserbe­

reich, sind wichtige Habitate für Fische und Kleinlebewesen und dienen als biologischer Klimaschutz, indem sie Kohlenstoff binden und damit den

Kohlendioxidanteil in der Atmosphäre reduzieren. »Bisher ist für Schleswig­

Holstein nicht bekannt, in welchen Bereichen diese Arten wachsen und wo nicht, welche Einflussfaktoren eine Rolle spielen und wo Anpflanzungen sinnvoll wären«, erklärt Oppelt. »Wir messen erstmal mit allen möglichen Sensoren, um ein möglichst umfas­

sendes Bild zu bekommen. Dadurch erzeugen wir ein enormes Daten­

volumen. Das geht sehr schnell in den Terabyte­Bereich.« Darauf aufbauend ist die Informatik gefordert, die dabei helfen soll, mit Mustererkennung und künstlicher Intelligenz die Daten zu extrahieren, die wirklich relevant sind.

Wenn eine Kombination von Sensoren identifiziert ist, die die Situation gut abbildet, soll in einem nächsten Schritt das Verfahren so weit verfeinert wer­

den, dass sich damit die heimische und invasive aquatische Vegetation an der Küste kontinuierlich überwachen und erforschen lässt. Aber nicht nur die Messungen sind komplex, sondern auch die sich anschließenden Rechen­

prozesse. »Wir sind im Bereich Big Data und müssen in Richtung Cloud­

Lösungen gehen. Auf Einzelrechnern lassen sich unsere Daten nicht mehr verarbeiten«, sagt Oppelt.

Die entsprechende Infrastruktur wird in MARISPACE­X entwickelt. Das umfasst einerseits eine sichere Cloud­

Umgebung und eine Kombination mit

Edge und Fog Computing. Die Cloud wird heute schon vielfach als virtueller Datenspeicher für Fotos, Videos oder Dokumente genutzt. Mit Cloud Com­

puting ist eine virtuelle und skalierbare IT­Infrastruktur gemeint. Sie umfasst Anwendungen, Daten, Speicherplatz und Rechenleistung aus einem virtu­

ellen Rechenzentrum. Dieses besteht aus zusammengeschalteten Compu­

tern. Edge ist der Ort, wo die Daten entstehen, entweder durch direkte Sen­

sormessung oder als Satellitendaten.

Edge Computing sieht vor, einen Teil der Datenverarbeitung nicht erst in der Cloud durchzuführen, sondern bereits lokal, auf einem System nahe am Ort des Geschehens. Führt man zwischen Edge und Cloud eine zusätzliche Ver­

arbeitungsebene ein, nennt man das Fog Computing. »Diese Infrastruktur muss geschaffen werden. Denn ohne Stationen, die mit der Sensorik kom­

munizieren können, und ohne ein belastbares Kommunikationsnetz sind auch die intelligentesten Algorithmen wertlos«, betont Renz.

Kerstin Nees unizeit 108 | forschung + praxis | seite 4

Daten und datengetriebene Dienste sollen verfügbar gemacht, zusammengeführt, vertrauensvoll geteilt und genutzt werden können. Diese Ziele der digitalen Infrastrukturinitiative GAIA-X setzt das Projekt MARISPACE-X für die besonderen Anforderungen von Daten aus dem Meer um.

Infrastrukturen für Big Data aus der Meeresforschung

Satellitenbild der Ostseeküste um Kiel. Für die Kartierung von Seegras (grüne Streifen vor der Küste) werden Sensoren mit ver­

schiedenen Spektralwellenlängen verwendet.

Fotos: Geographisches Institut/CAU

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) rief 2019 die Initiative GAIA- X ins Leben. Ziel ist, die Abhängigkeit von amerikanischen und chinesischen IT-Anbie- tern und marktbeherrschenden datengetrie- benen Plattformen zu reduzieren. Mittler- weile wird das Projekt von mehreren euro- päischen Staaten und Unternehmen weltweit unterstützt.

Mit GAIA-X entwickeln Vertreterinnen und Vertreter aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik auf internationaler Ebene einen nach- haltigen Beitrag zur Gestaltung der nächsten

Generation einer europäischen Datenin- frastruktur. Ziel ist eine sichere und ver- netzte Dateninfrastruktur, die den höchsten Ansprüchen an digitale Souveränität genügt und Innovationen fördert. In einem offenen und transparenten digitalen Ökosystem sol- len Daten und Dienste verfügbar gemacht, zusammengeführt, vertrauensvoll geteilt und genutzt werden können.

Die IT-Architektur von GAIA-X basiert auf dem Prinzip der Dezentralisierung. GAIA-X ist das Zusammenspiel zahlreicher individueller Plattformen, die alle einem gemeinsamen Standard folgen. Das digitale Ökosystem soll dafür sorgen, dass Unternehmen und Geschäftsmodelle aus Europa wettbewerbs- fähig sein können. ne GAIA-X

PERSÖNLICHKEITEN DER UNI IM DIALOG Mit »wissen.schafft.dialog. Der CAU­

Podcast« gibt es ein neues Audioformat an der Christian­Albrechts­Universität zu Kiel. Einmal im Monat spricht die Podcast­Redaktion mit Forscherinnen und Forschern, Beschäftigten, aber auch Studierenden. Es geht um persön­

liche Lieblingsthemen, Werdegänge

und um spannende Einblicke in die Arbeitsfelder. In jeder Folge gibt es feste Rubriken: »Curriculum Vitae«, einen kurzen Lebenslauf, den Dialog, der auch schon mal etwas länger aus­

fallen kann, und »Zehn Fragen«, bei denen die Gäste spontan und assozia­

tiv antworten.

Thematisch gibt es fast keine Grenzen:

ob Internationalisierung, Künstliche Intelligenz, die Aufgaben der Schwer­

behindertenvertretung an der CAU, digitale Lehre in den Rechtswissen­

schaften oder gute Personalführung aus dem Homeoffice in Zeiten von Corona. Für die Auswahl der Gäste gelten dagegen drei Bedingungen: Die Gesprächspersonen müssen aus dem Umfeld der CAU kommen, ein span­

nendes Thema oder eine spannende Geschichte mitbringen und natürlich sollten sie Lust haben, sich den Fragen im Gespräch zu stellen.

»wissen.schafft.dialog. Der CAU­Pod­

cast« erscheint auf fast allen großen Podcast­Plattformen wie zum Beispiel

Spotify, Apple Podcast oder Deezer und kann dort abonniert werden.

dm www.uni-kiel.de/de/podcasts

Bereits erschienen:

Pilotfolge: CAU-Präsidentin Prof. Simone Fulda

#1Prof. Dietrich Ober

#2 Dr. Martina Schmode

#3 Achim Rahn

CAU-Podcast

»Wir messen erstmal mit allen möglichen Sensoren, um ein möglichst umfassendes Bild zu bekommen. Dadurch erzeugen wir

ein enormes Datenvolumen.«

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unizeit 108 | forschung + praxis | seite 5 16.10.2021

Einmal zwischen den roten Backsteinmauern der ehrwürdigen US­

Traditionsuni Harvard wandeln oder durch den hohen Säuleneingang das Massachusetts Institute of Technology, besser bekannt als MIT, betreten – das war zwar eine reizvolle Vorstellung, aber nicht der Grund, warum sich die Materialwissenschaftler Stefan Schrö­

der und Leonard Siebert entschieden, während ihrer Promotion für drei Monate an die nordamerikanische Ost­

küste nach Boston zu gehen. Mittler­

weile haben beide ihren Doktortitel längst in der Tasche, doch ihre Erfah­

rungen wirken noch immer nach. Vor kurzem ist Sieberts wissenschaftlicher Aufsatz zu einem neuartigen Gelpfla­

ster erschienen, für den er zentrale

Experimente an der Harvard Medical School durchgeführt hat. Das Pflaster enthält zusätzliche Wirkstoffe, die je nach Bedarf mit Licht gezielt aktiviert werden können. »An dieser Art Bio­

materialien forscht hier keiner. In Har­

vard gibt es Expertinnen und Exper­

ten, mit denen ich gemeinsam eine Methode entwickeln konnte, wie sich solche Pflaster mit speziellen Bio­3­

D­Druckern herstellen lassen«, erläu­

tert Siebert seine Beweggründe für den Sprung über den Atlantik. Über gemeinsame Kontakte seiner Arbeits­

gruppe »Funktionale Nanomaterialien«

unter der Leitung von Professor Rainer Adelung kam er mit den Kolleginnen und Kollegen aus Boston ins Gespräch.

Stefan Schröder arbeitet am Lehrstuhl

für Materialverbunde von Professor Franz Faupel mit dem sogenannten iCVD­Verfahren (»initiierte chemische Gasphasenabscheidung«). Das ist eine spezielle Methode, durch die sich auch komplizierte Oberflächen extrem was­

serabweisend beschichten lassen.

»Ich wollte gern mit der Entwicklerin, Professorin Karen Gleason vom MIT, arbeiten und Franz Faupel hat sie ein­

fach angeschrieben und den Kontakt hergestellt. Die Methode mit ihr selbst vor Ort diskutieren zu können, war natürlich toll und ich habe dadurch so viel gelernt.«

Stefan Schröder und Leonard Siebert haben ihre Promotion in diesem Jahr abgeschlossen. Sie wissen: Wer eine Karriere in der Wissenschaft anstrebt, für den ist es gewissermaßen Pflicht,

eine Zeit lang an einer Universität oder Forschungseinrichtung in einem ande­

ren Land gearbeitet zu haben. Und dass eine renommierte Adresse wie Har­

vard oder das MIT dabei nicht schaden können. »Aber letztendlich kommt es vor allem darauf an, dass die Arbeits­

gruppe thematisch gut passt. Sein eige­

nes Forschungsthema zu finden und zu schärfen, ist nicht ganz einfach, und dabei kann ein Forschungsauf­

enthalt helfen«, sagt Schröder, der im Sonderforschungsbereich 1261 »Bio­

magnetische Sensorik« promoviert wurde. Das auf mehrere Jahre ange­

legte Großforschungsprojekt unter­

stützt seine Promovierenden finanziell dabei, internationale Erfahrungen zu sammeln und wichtige Kontakte zu knüpfen. Sieberts Kosten für Reise, Unterkunft und Visum wurden von seiner Arbeitsgruppe übernommen.

Doch neben vielen tollen Chancen, wissenschaftlichen Erkenntnissen und neuen Kontakten gehören auch schwie­

rige Momente dazu. Anders als im Aus­

landssemester während des Studiums bleibt neben der Forschungsarbeit im

Labor wenig Raum für Freizeit. »Viele sitzen bis nach Mitternacht im Institut, da bleiben die Beziehungen zu den Kollegen eher auf Arbeitsebene. Am besten, man schließt sich zum Beispiel einem Ruderkurs an oder kauft sich ein günstiges Fahrrad, um selbstständig unterwegs sein zu können«, rät Siebert.

Doch oft sind gerade die Arbeits­

beziehungen sehr intensiv und es ent­

stehen – wie bei Siebert und Schröder – langjährige Kooperationen und neue Forschungsprojekte, die sie jetzt nach ihrer Promotion weiterführen.

Die bekannten Universitäten ziehen Forschende und Studierende aus der ganzen Welt an und schaffen so eine besondere internationale Atmosphäre.

»Hier wirst du an der Bushaltestelle einfach gefragt, was du so machst und warum du hier bist. Ich habe mich nie als Fremder gefühlt«, erinnert sich Schröder. Nur an zwei Dinge, da sind er und Siebert sich einig, konnten sie sich in Boston nicht gewöhnen: »Kaffee und Brot – die sind hier wirklich eine Katastrophe!«, lacht Siebert.

Julia Siekmann

In der Wissenschaft machen es Videokonferenzen zurzeit leichter, an den zahlreichen Meetings und Vorträgen teilzunehmen. Digital nicht zu ersetzen sind jedoch internationale Forschungsaufenthalte. Zwei Nach- wuchswissenschaftler aus dem Forschungsschwerpunkt KiNSIS berichten, warum ihre Zeit in Boston, USA, für ihre Promotion so wichtig war.

Perfekt sind US­amerikanische Eliteunis auch nicht, aber für die eigene Forschung können sich ein paar Monate vor Ort allemal lohnen, stellten die Materialwissenschaftler Leonard Siebert und Stefan Schröder in Boston fest. Fotos: Julia Siekmann

Wenn zwischen fester Erd­

schicht und losem Sand ein kleines weißes oder kupferfarbenes Schim­

mern aufblitzt, dann schlägt auch das Herz gestandener Archäologinnen und Archäologen höher. Eine Vielzahl sol­

cher Entdeckermomente hat das wis­

senschaftlich breit aufgestellte Team der Christian­Albrechts­Universität in diesem Sommer in Rumänien erlebt.

Zum ersten Mal ist die Kieler Univer­

sität – zusammen mit der Universität Bukarest – an der international besetz­

ten Ausgrabungswerkstatt »Sultana School of Archaeology« beteiligt. Insge­

samt 50 Studierende und Fachleute aus unterschiedlichen Bereichen der Kieler Universität sowie aus ganz Europa erforschen die 7.500 Jahre alten Sied­

lungshügel in der Region Sultana an der unteren Donau. Die Kieler Forschungen sind im Sonderforschungsbereich 1266

»Transformations Dimensionen« ange­

siedelt, der Mensch­Umwelt­Wechsel­

wirkungen in einem Zeitfenster von

15000 vor Christus bis zur Zeitenwende untersucht und zunächst bis Mitte 2024 von der Deutschen Forschungsgemein­

schaft (DFG) finanziert wird.

»Diese Ausgrabung ist eine ganz beson­

dere«, sagt Professor Johannes Müller vom Institut für Ur­ und Frühgeschichte der CAU, der zusammen mit Dr. Catalin Lazar von der Universität Bukarest die Leitung des internationalen Projektes hat. »Es sind zum einen die europä­

ische Perspektive der Projektgruppe und ihre Interdisziplinarität, die das Projekt voranbringen«, so Müller.

Zum anderen liegt die Besonderheit im Gegenstand der Untersuchungen:

Die Siedlungslandschaft an der unteren Donau stellte um 4500 vor Christus die wohl innovativste Region in ganz Eur­

opa dar. »Die Menschen haben damals schon die Kupfermetallurgie entwi­

ckelt, Werkzeuge daraus hergestellt und mit diesen Handel betrieben«, sagt Müller. »In dieser Region wurde auch eine Kombination verschiedener Nah­

rungsressourcen praktiziert, das heißt, es wurde gejagt, gefischt, es wurden Rinder und Schweine gehalten und Früchte und Obst gesammelt, um die schnell wachsende Bevölkerung zu ernähren«, ergänzt die Kieler Profes­

sorin und Archäobotanikerin Wiebke Kirleis, die Makroreste von Getreide und Früchten in Bodenproben gefun­

den hat.

Besonders aber hat es die Art des Siedlungsbaus den Fachleuten ange­

tan: »In der Region wurden neue Architektur elemente wie das Woh­

nen auf Siedlungshügeln eingeführt«, erklärt Müller. Entstanden sind die bis zu neun Meter hohen Hügel, die sich in großer Zahl in jeweils fünf bis zehn Kilometern Abstand am Fluss finden lassen, weil die Menschen auf Überresten ihrer durch Alter, Witte­

rung, Feuer oder Überschwemmung zerstörten Lehmbauten neue Häuser erbauten. Schicht für Schicht geben diese nun ihre Geheimnisse preis.

»Wir haben im Sommer bei den Gra­

bungen auf den Siedlungshügeln, den sogenannten Tells, unglaublich viele spannende Dinge entdeckt«, schwärmt der prähistorische Archäologe Müller.

Nach den Vorarbeiten des geophysi­

kalischen Teams aus Kiel (Leitung Professor Wolfgang Rabbel, Institut für Geowissenschaften), das mittels Bodenradar und anderer geophysika­

lischer Methoden »den Siedlungshü­

gel erstmals durchgehend rekonstru­

ieren« konnte, wie Doktorand Manuel Zolchow erklärt, haben sich die Archäo­

loginnen und Archäologen stellenweise bis zu 4,50 Meter tief in die feste Erde gegraben. Dabei wurden in verschie­

denen Bodenschichten Reste von rund 20 Lehmhäusern unterschiedlichen Alters, Überreste einer 4,50 Meter hohen Palisadenanlage, die zur Ver­

teidigung der Siedlung diente, sowie ein menschliches Grab entdeckt. Unter den Fundstücken waren auch etliche Tierknochen von Rindern, Schafen, Ziegen und Schweinen, Werkzeuge aus Kupfer und Keramikgefäße zum Gebrauch und zur Dekoration. »Es ist schon faszinierend, eine umgefallene Schrankwand mit zahlreichen Töpfen über dem ehemaligen Fußboden eines Hauses auszugraben – so etwas findet man in Mitteleuropa nur selten und das gehört zu den Sternstunden der Archäologie«, erklärt auch der Kieler Archäologe Dr. Robert Hofmann.

Ein ganz besonderer Fund, der nicht nur die Herzen der Keramik­Speziali­

stinnen und ­Spezialisten höherschla­

gen ließ, ist das gut erhaltene Möbel­

Miniatur­Set aus Keramik: »Das gibt uns einen guten Einblick in das Woh­

nen in der Zeit um 4500 vor Christus«, sagt Hoffmann. Weitere Funde zeigen, dass die Menschen der Kupferzeit sich bereits beruflich spezialisiert hatten«, erklärt Kirleis. »Es wurde Ackerbau und Viehzucht betrieben, gefischt und

gejagt und Werkzeug und Keramik hergestellt.« Die Archäobotanikerin interessiert sich besonders für die Ess­

gewohnheiten der Menschen, die sie mittels Bodenproben unter anderem aus Feuerstellen ermittelt.

Neben den Untersuchungen in der Siedlung selbst erforschen die Abtei­

lungen Archäobotanik und Geo­

archäologie (Institut für Ökosystemfor­

schung), wie sich regionale Verände­

rungen der Umwelt wie beispielsweise Überschwemmungen und durch den Menschen verursachtes Abholzen von Wald auf das Leben in der Siedlung und auf das Nahrungsangebot auswirk­

ten. »Um einen guten Einblick in die Lebensweise der Menschen, die Popu­

lationsgröße, aber auch die Beschaffen­

heit und Vegetation der Landschaft vor 7.500 Jahren zu bekommen, wer­

den wir weiterhin vor Ort mit dem internationalen und interdisziplinären Team Grabungen durchführen. Im Anschluss werden wir unsere Proben in Kiel analysieren und auswerten«, sagt Projektleiter Müller und erklärt:

Die Arbeit in den Laboren der Uni dau­

ert in der Regel neunmal so lang wie die Aus grabung selbst. »Das Hochgefühl, wenn sich aus einzelnen Puzzleteilen am Ende ein vielschichtiges Bild der Vergangenheit zusammensetzen lässt, ist aber genauso groß wie beim Finden der Stücke.« Jennifer Ruske

Ein Kieler Forschungsteam geht der Vergangenheit in der rumänischen Region Sultana auf den Grund. In der international und interdisziplinär besetzten Ausgrabungswerkstatt an der unteren Donau werden

7.500 Jahre alte Siedlungshügel untersucht. Dabei treten spannende Funde zutage.

Sternstunden der Archäologie

Studierende der Universitäten Bukarest und Kiel bei Vermessungs­ und Ausgrabungsarbeit an einer Grabungsstelle im Tell Sultana Foto: Johannes Müller

Gut erhalten ist das Möbel­Miniatur­Set aus Keramik, das bei den Ausgrabungen gefunden

wurde. Foto: Agnes Heitmann

Zwei Kieler in Boston

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