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Bildung [...] ein Begriff, den man erst bilden muss, nicht heraushauen aus dem Gestrüpp von Dogmatik und Polemik. (von Hentig, 1996, 10)

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1 Einleitung

1.1 In Sprache über Sprache sprechen: Bildung, Sprache, Sprachliche Bildung und Vielfalt Klärung der

„Allerwelts“-Begriffe und pädagogische Erläuterungen

Sprache und Bildung sind eng miteinander verknüpft und bewirken sich gegen- seitig, sind jedoch nicht deckungsgleich, denn Bildung ist mehr als Sprache, es ist all das, was den Menschen als Subjekt ausmacht, also auch künstlerischer Ausdruck, bildende Kunst und bildnerisches Gestalten, Ausdrucksspiel, Musik und Tanz, technische Präzision und Genius, wie der Einfall einer chemischen Strukturformel oder die spektakuläre Erfindung eines Exo-Skeletts, mit dessen Unterstützung sich Querschnittsgelähmte wieder zu bewegen lernen.

Tradiertes Übernehmen von Erfahrungen, das Abgucken von Handlungswei- sen, das Imitieren von Abläufen sind Tätigkeiten, die nicht unmittelbar der sprachlichen Verständigung bedürfen, wie etwa das Hand-in-Hand-Arbeiten in der Landwirtschaft oder in Handwerksberufen. Hier werden ebenso Bildungsin- halte weitergeben, auch wenn sie nicht explizit benannt werden, denn mit ihnen werden wie in den Artefakten vorausgegangener Generationen „geronnene Er- fahrungen“ tradiert (vgl. Leovt‘ev, A. N. 1977a). Vieles von dem, was Erfinder- geist an Neuem erschafft, wird an die nachfolgenden Generationen weitergege- ben und baut seinerseits auf Vorhandenem auf.

Kreativ Schaffende, bildende Künstler und Musiker bedürfen nicht der Spra- che, um sich auszudrücken, auch wenn ihr schöpferisches Tun auf vorgefunde- nen Bildungsgütern aufbauen kann, wenn sie durch De- und Rekonstruieren Neues erschaffen oder Überkommenes in Frage stellen. In einer kreativen Syn- these gelingt es ihnen neue Sichtweisen zu eröffnen und Menschen zum Nach- denken anzuregen. Auch die Konstruktionszeichnungen von Architekten erklären sich weitgehend ohne Sprache, wenn auch mittels konventioneller Zeichen.

Der zwischenmenschliche Austausch geschieht ebenfalls häufig ohne Sprache und es bedarf besonders bei den Winzlingen einer „individuellen Improvisations- kunst“, um Situationen so zu gestalten, dass ein alltägliches Erfahrungslernen auf ihre Bedürfnisse abgestimmt wird, denn Kinder müssen, bevor sie gezielt Wissen erwerben, Erfahrungen sammeln können (vgl. Schäfer, 2011).

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Die Bildsamkeit ist die herausragende und einzigartige Ausstattung, die den Menschen vor allen anderen Lebewesen auszeichnet, denn sie befähigt ihn, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Die Weitergabe der Bildung ist aber in ihrer gezielten und bewusst angelegten Tradierung an Sprache gebunden. Alle kom- plexeren Prozesse des menschlichen Miteinanders bedürfen des sprachlichen Austauschs. Sprache ist das Medium der Bildung, mit dem in einem triangulären Prozess Verständigung zwischen Partnern über einen Gegenstand erzielt werden kann (vgl. Trevarthen, 2012). Sprache ermöglicht als ein Netz von Symbolen sich auch über reale, aber nicht gegenwärtige Dinge zu verständigen, Vergange- nes ins Bewusstsein zu rufen und über Zukünftiges zu spekulieren. Als Meta- kommunikation besteht die Möglichkeit, sich über den Sinn einer Äußerung zu verständigen. Mittels Sprache kann gehandelt werden, denn in Sprechakten setzt sie Fakten: Definitionen, Urteile, Versprechungen oder auch Drohungen. In der Phantasie kann eine andere Welt imaginiert werden. Empfindungen und Gefühle können benannt und so ins Bewusstsein gehoben werden.

Wörter und Redewendungen haben aber eine Geschichte und sie können im Verlauf der Zeit verschiedene Bedeutungen annehmen, es ist also für die Ver- ständigung notwendig, die unterschiedlichen Kontexte zu beachten.

„Menschen entwickeln Bedeutungen und teilen sie anderen mit, indem sie diese in erfunde- ne Zeichen und Symbole kleiden und deren Sinn im grenzenlos veränderlichen Medium von Sprache und Sprechen aushandeln und übereinstimmend festlegen: Sie schaffen Bedeutung im gemeinschaftlichen Sinn, als ‘common sense’.“ (Trevarthen, 2012, 90)

Prinzipiell kann sich der Mensch vielfältige Fähigkeiten und Kompetenzen aneignen, die ihm darüber hinaus ermöglichen, Beziehungen untereinander zu stiften, sich sozial zu engagieren und Verantwortung als Mitglied einer Gemein- schaft zu übernehmen. Auf einer Metaebene kann über Abstrakta gesprochen wer- den. In der Wissenschaft ermöglicht erst eine Metasprache, neue Ideen hervorzu- bringen, sie zu präzisieren, unterschiedliche Auffassungen voneinander abzugren- zen oder nach Übereinstimmungen zu suchen sowie Hypothesen aufzustellen und sie zu verifizieren oder zu falsifizieren. In der Wissenschaftsgeschichte haben sich stabile Terminologien entwickelt, die aber immer wieder in Frage gestellt werden. Es geht dabei um neue Repräsentationen und Systematisierungen.

„Die Sprache ist ein Medium von solcher Allgemeinheit, dass sie offen ist für jeden Inhalt und für alle möglichen Zielsetzungen. Dass Verständigung die Bedingung von Kommunikation ist, wird verwechselt mit dem inhaltlichen Ziel des Einverständnisses, das aber nur auf einer inhaltli- chen Basis möglich ist und von Interessen und Zwecken abhängig ist.“ (Wigger, 1983, 100)

Ob die Argumente letztlich zu einem Paradigmenwechsel führen, ist eine Frage des Austauschs der unterschiedlichen Positionen in der wissenschaftlichen und politischen Diskussion (vgl. Ahrbeck, 2012). In der heutigen Zeit wird die Be-

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zeichnung Bildung in Frage gestellt. Besonders negativ wird in den Diskursen zur Demokratisierung der Gesellschaft angeprangert, dass ihr ein elitärer Impetus innewohne. Stattdessen wird eine Abkehr von Privilegien gefordert. Heute er- scheinen Termini wie Kompetenzen und Standards anstelle von Bildung, denn in unserer Wissensgesellschaft nehmen zertifikatsbezogenes Denken und Leis- tungsvergleiche einen immer größeren Stellenwert ein. Nach Weinert (vgl. 2001) handelt es sich bei Kompetenzen um verfügbare oder erlernbare kognitiven Fähig- keiten und Fertigkeiten, die Menschen befähigen, bestimmte Probleme zu lösen.

Die damit zusammenhängenden motivationalen, volitionalen und sozialen Bereit- schaften und Fähigkeiten nutzen zu können, sind dazu unabdingbar.

Bevor Kinder aber nicht die notwendigen strukturierten Alltagserfahrungen sammeln konnten, sind sie nicht der Lage, nach dem Kompetenzmodell zu ler- nen. Deshalb ist es für das Lernen in der frühen Kindheit unerlässlich, dass die frühkindliche Bildung das Erfahrungslernen betont (vgl. Schäfer, 2011). Dabei verfügt das beiläufige, inzidentelle Lernen über die große Domäne des Spiels.

Doch schon mit der Bildung der ganz Kleinen ist als Handelsgut viel Geld zu verdienen, wie sich aktuell auf der Bildungsmesse Didacta 2013 in Köln zeigte;

insbesondere die digitalen Bildungsmedien, wie digitale Bücher, Bildungs- software und Lernplattformen sowie das notwendige Equipment, erweisen sich als ein großer Wirtschaftsfaktor. Bildung läuft heute Gefahr, auf Praktikabilität und auf die ökonomische Verwertbarkeit des Menschen reduziert zu werden.

Peter Euler kritisiert den herrschenden Diskurs über Bildungsstandards und Kompetenzen als „Bildungsgerede“ (vgl. Euler, 2009). Auch von Hentig sieht das Dilemma der Gegenstandsbestimmung in seinem Essay „Bildung“:

„Bildung [...] ein Begriff, den man erst bilden muss, nicht heraushauen aus dem Gestrüpp von Dogmatik und Polemik.“ (von Hentig, 1996, 10)

Euler reklamiert die Forderung Heydorns zu einer Verallgemeinerung von Bil- dung und sieht in der Selektivität des deutschen Bildungssystems eine Reproduk- tion sozialer Ungleichheit; das Schielen nach Ranglisten werde dem Bildungsge- danken nicht gerecht. Euler bezieht sich auf Wagenschein, der sagt, dass man nicht Unmessbares als exakt Messbares misshandeln könne und dass Vergleiche nur dann pädagogisch sinnvoll seien, wenn sich Kinder mit sich selbst verglichen.

Als bedenkenswert erachte ich in diesem Zusammenhang die provokante Frage:

„Wer fragt sich denn noch, warum ausgerechnet die OECD (Organisation for Economic Cooperation and Development) und nicht die UNESCO (United Nations Educational, Scien- tific and Cultural Organization) für die internationale Umsteuerung des Bildungswesens ver- antwortlich ist? [...] Wer schützt die Bildungsqualität vor dem Qualitätsmanagement?“ (Eu- ler, 2009, 5)

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Bildung bedarf nach Euler der Zueignung von Welt, mit der sich der Mensch selbst bildet, denn seine Vorstellungen und Handlungen wirkten auf die Welt zurück, die er mitgestalte.

„Bildung gründet in einer vom Subjekt ausgehenden Wechselwirkung von Selbst und Welt.

Da dies aber kein naturwüchsiger Prozess ist, ist Bildung immer ein moralischer und politi- scher Prozess. Bildung ist ihrer Struktur nach kritisch, da sie nicht einfach geschieht, son- dern absichtsvoll als Handlung zu organisieren ist. Da Bildung im Vermögen der Menschen als vernünftiger Wesen gründet, ist ihr Handlungsziel, wie es Kant formuliert, an der Idee eines möglichen besseren Zustands des Menschengeschlechts orientiert.“ (Euler, 2009, 10)

Heitger prangert an, dass Pädagogik zu einer Wissenschaft von den Mitteln de- gradiert und er fordert statt dessen, dass Menschen sich bilden sollten, damit sie zu denken und zu urteilen lernten. Es könne nicht alleine darum gehen, mög- lichst schnell effizient ausgebildete Menschen heranzuziehen.

„Bei genauer Analyse wird man die spezielle Verwobenheit aller Pädagogik mit der Psyche des Menschen in der Koinzidenz von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nicht übersehen können.“ (Heitger, 2012, 19)

Spinner setzt sich mit der Infragestellung des Begriffs „Bildung“ in Abgren- zung zum Kompetenzbegriff auseinander. Er will das Spannungsverhältnis, in dem die beiden Begriffe stehen, jedoch nicht gegeneinander ausspielen. Er un- terbreitet stattdessen ein Mehrebenenmodell als Vermittlungsvorschlag. Dazu unterscheidet er die Ebenen der Inhalte, Strategien, Kompetenzen und fachüber- greifender Bildungsansprüche. Spinner zeigt an dem Jugendbuch von Kerstin Boje: „Man darf mit dem Glück nicht drängelig sein“ auf, wie sich sprachliche und literarische Bildung verbinden lassen (vgl. Spinner, 2008).

Mein Plädoyer steht für den Prozess, mit der die Persönlichkeit des Men- schen Gestalt annimmt. Bildung soll daher nicht nur nach dem ökonomischen Wert befragt werden, sondern unbedingt auch nach dem individuellen Eigenwert.

Eine umfassende Bildung ist eine existentielle Notwendigkeit für das demo- kratische Zusammenleben in unserem Land. Wie ich im Folgenden ausarbeiten werde, kann Bildung im hier vertretenen umfassenden Sinn nicht auf Kompeten- zen reduziert werden. Um mein pädagogisches Handeln zu legitimieren, werde ich deshalb vertieft auf die Notwendigkeit einer umfassenden Bildung eingehen.

Ich berufe mich in der Auffächerung der Bedeutung auf meinen Lehrer Fried- helm Nicolin, der in den 1970er Jahren den Begriff in seiner Broschüre „Stich- wort: Bildung“ (vgl. 1974) von der Antike über die Humboldt´schen Reformen aufgefächert und kritische Fragen zur Legitimierung des Begriffs gestellt hat, die ich auch heute noch als richtungsweisend erachte. Daran anschließend beziehe ich mich auf die Bildungstheorie der Reformpädagogik, die ich vornehmlich an- hand der Beispiele aus dem Essay: „Bildung“ des Bildungswissenschaftlers

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Hartmuth von Hentig (1996) veranschaulichen werde. Im Anschluss werde ich die kritische Sichtweise des Philosophen Peter Bieri erörtern.

1.2 Bildung – Begriffsgeschichte

Der Begriff „Bildung“ wird von distanzierten Beobachtern wegen der Vielfalt der Verwendungen in seiner Dignität bezweifelt, z.B. von Thenorth, der die Polyvalenz möglicher Bedeutungen darstellt. Er sieht Bildung als ein mehrdi- mensionales Konstrukt, bei dem Wissen und Können in kommunikativem Aus- tausch, aber auch als Merkmal von Individuen relevant sind. Und er stellt die Frage nach der Mindestbasis des Wissens und nach der Bedeutung von Bildung für die Stellung des Menschen, resümiert jedoch, dass der Terminus „Bildung“

dennoch nicht zu vermeiden sei, weil man erkennt,

„[...] dass das Thema der Bildung – als Thema der ‚Konstitution des Subjekts‘ – doch das Thema aller Humanwissenschaften darstellt, also überhaupt nicht vermeidbar ist [...].“

(Tenorth, 2003, 427)

Das explizite Nachdenken über Bildung geht auf die Antike zurück. In unserm Kulturkreis sind es besonders die Überlegungen der griechischen Sophisten, die im 5. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung die Aufmerksamkeit des Menschen auf sich selbst lenkten. Der aufklärerische Impetus des Philosophen Sokrates betrachtete den Menschen als das Maß aller Dinge.

„Frühen und späten Aufklärungsperioden ist [...] gemeinsam die Distanzierung von religiö- sen Dogmen und Traditionen, das Infragestellen von Autorität ist ein Hauptmotiv, das De- mokratieproblem spielt eine Rolle, und von höchster Bedeutsamkeit ist immer auch die Bil- dung: Bildung als Instandsetzung, als intellektuelle Ausstattung und Befähigung des Men- schen zur Führung seines Lebens. (Nicolin, 1974, 13)

In der Periode der deutschen Klassik wurde das deutsche Wort „Bildung“, das zuvor künstlerische Gestaltung oder die Entstehung von Naturphänomenen be- zeichnete, wie etwa Wolkenbildung, im übertragenen Sinne mit der Bedeutung einer grundlegenden Persönlichkeitsentwicklung konnotiert. Bildung sollte den Menschen befähigen, sich selbstbestimmt zu vollenden.

„Bildung zielt auf die ungestörte und harmonische Entfaltung aller Kräfte der Persönlich- keit. Sie ist als ‚allgemeine‘ Bildung der speziellen Berufsausbildung nicht nur zeitlich vor- rangig, sondern auch wertmäßig entschieden überzuordnen.“ (Nicolin, 1974, 17)

Nicolin sieht die Gefahr, dass Wissenschaft und Technik zu einem Mythos ge- worden sind, dem sich die Menschheit unterwirft, indem sie ihre Freiheit an eine erstrebte soziale Stellung fesselt. Qualifikationen, Zertifikate und Anerken-

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nungsverfahren sind Elemente der Bildung, die jedoch eindeutig dem Verwer- tungssystem der menschlichen Arbeitskraft zuzuordnen sind. Damit wäre Auf- klärung in das umgeschlagen, was sie einst bekämpfte. Nicolin strebt nicht die Rückkehr zum klassischen Bildungsideal der Humboldt-Ära an, jedoch plädiert er entschieden dafür einzutreten, was das ursprünglichen Engagement des neu- humanistischen Bildungsideal bestimmte,

„[...] dass gerade dort Raum geschaffen werden muss für das Zweckfreie, das der Mensch sich zueignet, und damit für das Unverrechenbare und Unverfügbare am Menschen selbst!“

(Nicolin, 1974, 33)

1.3 Der Mensch als Subjekt des Sich-Bildens – Stellenwert dieser Sicht für das vorliegende Buch

Hartmut von Hentig, der Gründer der Laborschule Bielefeld, hat in seinem Essay

„Bildung“ notwendige Klärungen, Maßstäbe, Anlässe und mögliche Folgen der Bildung aufgezeigt. Auch für ihn steht der Mensch im Mittelpunkt. Er sieht den Menschen als Subjekt des sich selbst Bildens, der sich aktiv in den Prozess ein- bringt und nicht als Objekt eines Geschehens (vgl. von Hentig, 1996). Wie aus literarischen Zeugnissen zu erfahren ist, kann auch ein wechselvoller Lebensver- lauf dazu beitragen, dass Menschen vom Leben gebildet werden und sie sich auch ohne formale Bildung zu gebildeten Menschen entwickeln können. Wenn die Schule aus Bildung Schulbildung macht, so fordert von Hentig, dass Schule pädagogisch sein solle und der Unterricht erziehen müsse. In seinem Buch „Die Schule neu denken“ entfaltet von Hentig seine Vorstellung von der Schule als Lebens- und Erfahrungsraum, denn „[...] Bildung beginnt erst dort, wo man sie selbst in die Hand nimmt.“ (von Hentig, 2012, 151) Als mögliche Maßstäbe für die Frage: „Was für eine Bildung wollen wir den jungen Menschen geben?“

zählt von Hentig, der aus der eigenen klassischen altphilologischen Bildung schöpfen kann, sechs mögliche Maßstäbe auf, an denen sich Bildung bewähren soll (von Hentig, 1996):

1. Abscheu und Abwehr von Unmenschlichkeit:

„Wo Unmenschlichkeit erkannt wird – im eigenen Verhalten, in den Lebensumständen, in den Taten anderer, vor allem der Mächtigen –, ist das Wichtigste in Gang gesetzt: die Unru- he über ihre Ursachen, das Nachdenken über eine dir und mir mögliche Menschlichkeit, ein Stück Verantwortung für die Welt, in der wir leben.“ (78)

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2. die Wahrnehmung von Glück:

„Wo keine Freude ist, ist auch keine Bildung, und Freude ist der alltägliche Abglanz des Glücks.“ (78)

3. die Fähigkeit und den Willen sich zu verständigen

„Ein Entwicklungs- und Bildungsgang, der nicht erreicht hat, dass man die Verständigung aktiv und unaufdringlich sucht, wäre wieder einmal »fehlgeschlagen«.“ (85)

4. Bewusstsein für die Geschichtlichkeit der eigenen Existenz

„Was Bestand und die stärkere normative Kraft hat – die gewordene oder die sich entwi- ckelnde Kultur, die ausgeprägten Formen oder die Formen, in denen sich Ausprägung voll- zieht –, erkennt man in und an der Geschichte.“ (89 f)

„Es ist ein Bewusstsein von uns vererbten allgemeinen Zwecken wie der Aufrechterhaltung des Friedens oder der Verwirklichung der res publica, der Vervollkommnung der Gerech- tigkeit, der Sozialpflichtigkeit des Eigentums, der Befreiung des Menschen aus der selbst- verschuldeten Unmündigkeit, der Solidarität mit den Geplagten, Verfolgten, Vernachlässig- ten in der Welt [...].“ (93)

5. Wachheit für letzte Fragen (Philosophie und Religion)

„Die letzten Fragen geben dem Menschen „[...] ein Bewusstsein von der Grenze der men- schlichen Vernunft und nötigen zugleich zu deren äußerster Anstrengung. Wer keine Beun- ruhigung durch letzte Dinge zeigt, bleibt ein unzuverlässiger, weil unkritischer, und ein geis- tig armer, weil geistig oberflächlicher Mensch.“ (95 f)

6. die Bereitschaft zur Selbstverantwortung und in der res publica

„Ich schulde meinen Mitbürgern Rechenschaft nicht für alles, aber für alles, was auch sie betrifft. Und ich bin insofern für mich verantwortlich. Ich kann und darf mich nicht dabei hinter andere verkriechen – Eltern, Lehrer, Vorgesetzte, Mehrheiten, meinen Stand, meine Familie, ja nicht einmal hinter das geltende Gesetz.“ „[...] eine Bildung, die nicht zur Politik führt, mich also nicht zur Wahrnehmung meiner Rolle – oder Verantwortung – im Gemein- wesen angeleitet und befähigt hat, [ist] eben keine »Bildung«.“ (von Hentig, 1996, 98 f.)

Nach von Hentig entsteht Bildung nicht, wenn man diese sechs Maßstäbe als Ziele formulierte und sie operationalisierte, vielmehr sei es notwendig, geeignete Anläs- se zu finden, in denen sich Menschen bilden könnten. Hierzu zeigt er exemplarisch zehn Bereiche auf, die Quellen, Anlässe und Mittel der Menschenbildung konsti- tuieren, ohne eine Zweiklassen-Bildungsgesellschaft zu produzierten. Damit impliziert er, dass Menschen von frühester Kindheit an aus diesen Quellen schöpfen könnten und dass diese Bildung ein lebenslanger Prozess sei, anders als bei der Beschreibung der Kompetenz, bei der hauptsächlich operationalisierbare

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