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Hat das Geschäftsmodell von Big Pharma ausgedient?

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Academic year: 2022

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FOKUS

Die Volkswirtschaft   12 / 2021 15 Ende 2021 werden voraussichtlich weniger als 5 Prozent der dortigen Bevölkerung vollständig geimpft sein.3 Angesichts dieser Ungleichheit muss man sich deshalb fragen: Funktioniert das Geschäftsmodell von Big Pharma doch nicht?

Entwicklungs- und Schwellenländer fordern, den Patentschutz während der Covid-19-Pande- mie auszusetzen. Stattdessen sollen die Phar- makonzerne ihre Impfstoffrezepte «freiwillig»

und schnell an kompetente Unternehmen in Afrika, Lateinamerika und Asien weitergeben.

Zu diesem Zweck soll das Trips-Abkommen der Welthandelsorganisation (WTO) suspendiert werden.4 Die Pharmabranche ist hingegen der Ansicht, das derzeitige Modell reiche aus, um die benötigten Impfstoffdosen bis Anfang oder Mitte 2022 zu produzieren. Ihrer Ansicht nach liegt es an den Regierungen der reichen Länder, die im Voraus bestellten Dosen an die bedürfti- gen Regionen zu verteilen – und zu bezahlen.

Mehrere Modelle

Sollte man den Pharmaherstellern also ein kostenbasiertes Preisgestaltungsmodell mit ver- nünftigen Gewinnen aufzwingen? Oder sollte der Arzneimittelpreis wie bisher wertbasiert im Vergleich zu den bestehenden Behandlungs- oder Präventionsmethoden festgelegt werden?

Die im Bereich der öffentlichen Gesundheit täti- gen Nichtregierungsorganisationen (NGO) set- zen sich für das erste Modell ein. Die Pharma- konzerne bevorzugen die zweite Variante, um dank Patentschutz den höchstmöglichen Preis verrechnen zu können, den der Markt zu zahlen bereit ist.

Überraschenderweise war das heutige Mo- dell historisch nicht immer vorherrschend. In

D

ie Pharmakonzerne («Big Pharma») haben – teilweise mit staatlichen Geldern unter- stützt – innert kürzester Zeit mehrere wirksame Covid-19-Impfstoffe auf den Markt gebracht:

Bereits Ende 2020, weniger als ein Jahr nach der Ausrufung der Pandemie durch die Weltgesund- heitsorganisation (WHO), waren erste Impfstoffe erhältlich. Diese Erfolgsgeschichte scheint zu bestätigen, dass das aktuelle Geschäftsmodell in der Pharmaentwicklung die sprichwörtliche Henne ist, die zum richtigen Zeitpunkt goldene Eier legt. Folglich sollte es durch nichts infrage gestellt werden.

Und doch gibt es auch fast zwei Jahre nach Ausbruch der Pandemie ein grosses globales Ungleichgewicht bei der Verteilung der Covid- 19-Impfstoffe: Während Länder mit hohen oder mittleren bis hohen Einkommen drei Viertel der verfügbaren Impfstoffe verabreicht haben, gingen bisher weniger als 4 Prozent der Impf- stoffe an einkommensschwache Länder.1 Gemäss Schätzungen des Forschungsunternehmens Airfinity werden die G-7-Staaten und die Euro- päische Union Ende Jahr 1 Milliarde Impfdosen mehr besitzen, als sie benötigen. Davon dürften 10 Prozent ablaufen.2

Am anderen Ende der Impfskala finden sich viele afrikanische Länder südlich der Sahara.

Hat das Geschäftsmodell von Big Pharma ausgedient?

Hohe Medikamentenpreise sind eine weltweite Herausforderung. Aus ökonomischer Sicht bietet sich ein globaler Preisregulator als Lösung an. Widerstand ist vorprogrammiert.  

Jayashree Watal

Abstract    Obwohl Big Pharma innert kürzester Zeit wirksame Covid- 19-Impfstoffe auf den Markt gebracht hat, sind in den einkommensschwa- chen Ländern immer noch weniger als 4 Prozent der Bevölkerung geimpft.

Funktioniert also das Geschäftsmodell der grossen Pharmakonzerne nicht mehr? Im Gegensatz zu anderen Branchen hängt das Geschäftsmodell von Big Pharma stark vom Patentschutz ab, denn dieser bietet ihnen Sicherheit für das finanzielle Risiko, das sie eingehen. Ein Ausweg wären eine weltweit koordinierte Finanzierung der Forschungs- und Entwicklungskosten sowie eine differenzierte Preisgestaltung.

1 Our World in Data (2021).

2 Airfinity (2021).

3 Für aktualisierte Daten zu den Impfungen pro Region siehe Pandemic (2021).

4 Bei der WTO laufen derzeit Verhandlun- gen zur teilweisen Suspendierung des Trips-Abkommens im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie.

Entwicklungen sind nur bis Redaktionsschluss berücksichtigt.

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PHARMALAND

16 Die Volkswirtschaft   12 / 2021

der Vor- und Nachkriegszeit etwa lizensierten viele Pharmaunternehmen ihre Produkte gegen eine Gebühr an andere Anbieter. Damit die Me- dikamentenpreise wettbewerbsfähig blieben, war die Gebühr meist moderat. Warum hatten sich die Pharmahersteller für dieses Vorgehen entschieden? Ausschlaggebend waren folgende Gründe: Damals gab es weniger Medikamente als heute, Patente wurden in geringerem Um- fang angemeldet und gewährt, und die regula- torischen Zulassungsauflagen waren weniger streng. Entsprechend fielen die Ausgaben für Forschung und Entwicklung (F&E) sowie Mar- keting viel tiefer aus.

Erst als die Patente zur Norm und die Zu- lassungsvorschriften für verschreibungspflich- tige Medikamente verschärft wurden, legten die meisten Pharmaunternehmen Forschung und Entwicklung sowie das Marketing unter- nehmensintern zusammen. Dies brachte einen doppelten Vorteil: Einerseits blieben die Budgets für Forschung und Entwicklung sowie Marketing der Öffentlichkeit verborgen, und andererseits brachte der Patentschutz dem Unternehmen eine Marktexklusivität von durchschnittlich zehn bis zwölf Jahren. Im Erfolgsfall winkten hohe Ge- winne, da die Preise je nach Einzigartigkeit des neuen Medikaments auf der Grundlage dessen berechnet wurden, was der Markt tragen konnte.5

Weltweiter Aufschrei

Dieses Modell blieb jahrzehntelang bestehen, ohne hinterfragt zu werden. Denn es hatte un- bestrittene Vorteile, indem es die Entwicklung zahlreicher innovativer Behandlungsmethoden begünstigte. Zu einem weltweiten Aufschrei kam es erstmals um die Jahrtausendwende im Zusammenhang mit Millionen von Aids-Toten und Aids-Waisenkindern in Afrika.

Dank neuer Behandlungsmethoden (auf Basis des heutigen Pharmageschäftsmodells) war das einst tödliche HIV für viele Patientin- nen und Patienten in Industrieländern zu einer nur noch chronischen Erkrankung geworden.

Weil zu Beginn der 2000er-Jahre der patentierte antiretrovirale Medikamentencocktail für eine Behandlung rund 15 000 Dollar pro Person und Jahr kostete, blieb das Medikament für eine Mehrheit der afrikanischen Patienten, die die

Medikamente wie in den meisten armen Län- dern aus der eigenen Tasche bezahlen müssen, unerschwinglich. Dank Generika und Spenden- finanzierung ist der Preis für eine Behandlung mittlerweile auf weniger als 100 Dollar ge- sunken.

Eine ähnliche Empörung löste im Jahr 2013 eine neue, umfassende Hepatitis-C-Therapie aus, die 84 000 Dollar pro Behandlung kostete.

Der US-amerikanische Pharmahersteller recht- fertigte den Preis mit dem Argument, das Ver- hältnis zwischen Qualität und Preis liege inner- halb der Norm der früheren Behandlungen wie insbesondere einer Lebertransplantation bei schwer kranken Patienten. Als das Unter- nehmen aber feststellte, dass der Preis für Ein- wohner von Entwicklungsländern zu hoch war, bot es Preisnachlässe an und erteilte mehreren Herstellern – insbesondere in Indien – freiwillig eine Lizenz gegen eine Gebühr von 7 Prozent. So konnte das Arzneimittel in Ländern mit niedri- gen oder mittleren Einkommen deutlich günsti- ger angeboten werden.6

Hohe Risiken

Eine Erklärung, warum die Lizenzfreigabe oder der Verkauf zu tieferen Preisen in einkommens- schwachen Ländern in der Pharmabranche kaum vorkommen, liegt im hohen Investi- tionsrisiko: Im Gegensatz zu anderen Wirt- schaftszweigen können die Forschungs- und Entwicklungskosten nur mithilfe von Exklusiv- rechten wie Patenten amortisiert werden.7 Eine weitreichende Lizenzvergabe oder eine Preis- differenzierung, selbst wenn sie auf die Märkte der ärmeren Länder beschränkt sind, bringen immer auch die Preise in den reichen Ländern unter Druck.

In bestimmten Märkten wie den USA stei- gen die Preise für verschreibungspflichtige Medikamente Jahr für Jahr an, da es kaum eine Preisregulierung gibt. In Ländern, in denen die Medikamentenpreise enger überwacht werden, ist der Preisanstieg hingegen weniger markant.

Aus ökonomischer Sicht wäre eine weltweite Regulierungsbehörde sinnvoll. Diese «wohlwol- lende» globale Behörde würde die Preise der pa- tentgeschützten Medikamente so festlegen, dass der Hersteller eine optimale, anreizerhaltende

5 Siehe Temin (1979, insbesondere S. 435–441), um zu verstehen, warum sich das Geschäftsmodell der Pharmaindustrie im Bereich F&E geändert hat.

6 Siehe Gilead (2015).

7 Cockburn (2009).

8 Saez (2014).

9 Siehe Love und Hubbard (2007).

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FOKUS

Die Volkswirtschaft   12 / 2021 17 Rendite für Forschung und Entwicklung er-

zielt und gleichzeitig die gesamten Kosten für Forschung und Entwicklung vernünftig auf den Weltmarkt verteilen kann.

Im Jahr 2013 machte die gemeinnützige Stif- tung The Global Fund einen Vorschlag für eine globale Preisdifferenzierung. Die meisten im Gesundheitsbereich tätigen Nichtregierungs- organisationen lehnten diese jedoch ab, weil sie befürchteten, dass dadurch die Verwendung von Zwangslizenzen und weitere Möglichkeiten des Trips-Abkommens stark eingeschränkt wür- den.8 Da es keinen weltweiten «wohlwollenden»

Schiedsrichter in Sachen gerechter Preisgestal- tung gibt, bleiben Ungleichheiten bestehen, sodass die Patientinnen und Patienten in den armen Ländern manchmal viel höhere Preise als die Menschen in den reichen Staaten bezahlen müssen.

Darüber hinaus gibt es für die pharmazeu- tische Industrie kaum Anreize, vernachlässigte

Tropenkrankheiten besser zu erforschen, weil die Kaufkraft der meisten Patientinnen und Pa- tienten in tropischen Ländern oft gering ist. Dank öffentlich-privaten Partnerschaften, welche Geld für erforschte Erkrankungen zur Verfügung stel- len, werden aber auch hier gewisse Fortschritte erzielt.

Gesundheitsexperten9 plädieren seit Lan- gem für ein weltweites WHO-Abkommen zu Forschung und Entwicklung in der Medizin.

Laut diesem Vorschlag würden alle Mitglieds- staaten gemäss ihren finanziellen Möglich- keiten in einen gemeinsamen Fonds einzahlen, der dringend benötigte Behandlungen weltweit fördern würde.

Obwohl dieser Vorschlag das aktuelle Ge- schäftsmodell von Big Pharma nicht stören würde und die Industrie zusätzliche Forschungsgelder zugunsten vernachlässigter Erkrankungen so- gar begrüssen dürfte, versandete der Vorstoss in der WHO – mit Ausnahme einer freiwilligen

Covid-19-Impfung in Niger. Das Land weist eine Impfquote von unter 5 Prozent auf.

KEYSTONE

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PHARMALAND

18 Die Volkswirtschaft   12 / 2021 Literatur

Airfinity (2021). More Than 100 Million Vacci- nes Are Set to Expire by the End of the Year and Need to Be Redistributed Immediately.

Medien mitteilung, 20. September.

Cockburn, I. (2009). Intellectual Property Rights and Pharmaceuticals: Challenges and Oppor- tunities for Economic Eesearch. The Econo- mics of Intellectual Property, Wipo.

Danzon, P. und Towse, A. (2003). Differential Pricing for Pharmaceuticals: Reconciling Ac- cess, R&D and Patents. International Journal of Health Care Finance and Economics, Band 3:

183–205.

Gilead (2015). Chronic Hepatitis C Treatment Expansion – Generic Manufacturing for Developing Countries. Februar.

Love, J. und Hubbard, T. (2007). The Big Idea:

Prizes to Stimulate R&D for New Medicines».

Chicago-Kent Law Review, Band 82: 3.

Our World in Data (2021). Covid-19 V accine Doses Administered by Country Income Group.

Pandemic (2021). Global Vaccination Rates.

Saez, C. (2014). Global Fund and Tiered Medicine Pricing Under dDebate. TB Online, 7. April.

Temin, P. (1979). Technology, Regulation, and Market Structure in the Modern Pharmaceu- tical Industry. The Bell Journal of Economics, Band 10, Nr. 2 (Herbst): 429–446.

Third World Network (2016). Members Agree to Postpone Discussions on Medical R&D Trea- ty. TWN Info Service on Health Issues, 16/01, 2. Juni.

WHO (2012). Research and Development to Meet Health Needs in Developing Countries:

Strengthening Global Financing and Coordination.

Finanzierung von Pilotprojekten.10 Denn nicht wenige Staaten sahen darin einen Versuch, das heutige, auf den Immaterialgüterrechten basie- rende Modell zu ändern. Zudem sind nur wenige Länder bereit, sich finanziell zu verpflichten.

Was nun?

Wie soll also das Geschäftsmodell von Big Pharma in Zukunft aussehen? Darüber werden auch künftig die Meinungen auseinander- gehen  – zumal sich die Staaten bisher nicht einmal bei Arzneimitteln einig sind, die zur Bekämpfung von vernachlässigten Erkran- kungen oder der Pandemie in Entwicklungs- ländern bestimmt sind. Aus ökonomischer Perspektive wären eine Preisdifferenzierung oder eine abgestufte Preisgestaltung gewinn- bringende Lösungen für alle.11 Dafür wäre al- lerdings ein weltweiter Rahmen notwendig, der die Pharmakonzerne zur Festlegung von Prei- sen im Verhältnis zum Pro-Kopf-Einkommen verpflichtet. So könnten Preise in den armen Ländern gesenkt werden, und die reicheren

Jayashree Watal

Honorarprofessorin für Immaterialgüterrecht, National Law University Delhi, Indien; Lehrbeauftragte für Rechtswissenschaften, Georgetown University, USA

Staaten müssten darauf verzichten, das gleiche tiefe Preisniveau zu verlangen.

Theoretisch liesse sich mit dieser Formel die Quadratur des Kreises einer gerechten Verteilung der Forschungs- und Entwicklungskosten inno- vativer Medikamente lösen. Allerdings ist zur- zeit kein einziges Land bereit, eine Erhöhung der Arzneimittelpreise zu akzeptieren. Im Gegenteil:

Auch die im Bereich der öffentlichen Gesundheit tätigen NGOs befürchten eine Verwässerung des Trips-Abkommens. Angesichts dieser Ausgangs- lage dürfte eine baldige Umgestaltung des aktuel- len Geschäftsmodells ausbleiben.

10 Third World Network (2016).

11 Siehe Danzon und Towse (2003).

Referenzen

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