A 1750 Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 109|
Heft 35–36|
3. September 2012VERSORGUNGSFORSCHUNG IN DER HAUSARZTPRAXIS
Konzepte für die Zukunft
In Frankfurt und Heidelberg können Hausarztpraxen den Titel „Akade- mische Forschungspraxis“ erwerben. Sie leisten damit auch einen wichtigen wissenschaftlichen Beitrag für das Fach Allgemeinmedizin.
W
ie lässt sich die Versorgung chronisch kranker, demen- ter oder multimorbider Patienten verbessern? Wie muss eine Haus- arztpraxis organisiert sein, um ihre Patienten optimal behandeln zu können? Um Fragen wie diese zu beantworten, gibt es die Versor- gungsforschung. Doch die Haus- arztmedizin ist in dieser Disziplin noch unterrepräsentiert. Das Institut für Allgemeinmedizin der Johann- Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt am Main sowie die Ab - teilung Allgemeinmedizin und Ver- sorgungsforschung des Universi- tätsklinikums Heidelberg wollen deshalb Hausarztpraxen für diesen wissenschaftlich interessanten Be- reich motivieren.Mit einigem Erfolg: Im Rhein- Main-Gebiet nehmen mittlerweile 400 Praxen am „Frankfurter Netz- werk Akademischer Forschungs- praxen“ teil. 100 von ihnen sind als „Akademische Forschungspraxis der Goethe-Universität Frankfurt/
Main“ akkreditiert. Im Raum Hei- delberg unterstützen seit 2005 circa 450 Praxen Forschungsprojekte der
Universität. Aktuell dürfen sich dort 86 Praxen „Akademische For- schungspraxis“ nennen.
„Hausärzte benötigen für ihre Arbeit eigene wissenschaftliche Grundlagen“, erklärt Prof. Dr. med.
Ferdinand Gerlach, Direktor des Instituts für Allgemeinmedizin der Johann-Wolfgang-Goethe-Universi - tät in Frankfurt. Von der Teil - nahme an Forschungsvorhaben pro - fitierten die Praxen in zweifacher Hinsicht. Sie biete den Hausärzten die Möglichkeit einer engen fachli- chen Anbindung an ihre akademi- sche Heimat. „Außerdem können die Ärzte auf diese Weise dazu beitra- gen, das Fach Allgemeinmedizin wei - ter zuentwickeln“, betont Gerlach.
Die Akkreditierung zur „Akade- mischen Forschungspraxis“ sei eine schöne Anerkennung und garantie- re eine verbindliche Zusammenar- beit zwischen Wissenschaftlern und Hausärzten, sagt Dr. med. Frank Peters-Klimm von der Abteilung für Allgemeinmedizin und Versor- gungsforschung des Universitäts- klinikums Heidelberg. „Durch ver- lässliche Partner haben wir die
Sicherheit , eine ausreichende Zahl von Patienten zu erreichen und ver- wertbare Daten zu erhalten. Das spielt auch für das Einwerben von Drittmitteln und damit für die Fi- nanzierung der Projekte eine wich- tige Rolle.“
Die Mitwirkung an den Projek- ten ist freiwillig, Forschungser - fahrung keine Voraussetzung. „Im Gegenteil: Wir freuen uns über je- den interessierten Hausarzt, da wir
möglichst viele repräsentative Pra- xen für unsere Projekte gewinnen wollen“, erklärt Gerlach. Bedin- gung für die Teilnahme an den For- schungsprojekten ist allerdings ein hohes Maß an Motivation, denn sie erfordert vom gesamten Praxisteam einen gewissen Mehraufwand. Für Schulungen, eine eventuelle Um - organisation der Praxis sowie die Dokumentation der Studienergeb- nisse können je nach Projekt etliche Stunden zusammenkommen.
Wenn das ganze Team dahinter- steht, wie bei der Frankfurter Allge- meinärztin Dr. med. Christiane Kunz, ist das aber kein Problem:
„Die Projektarbeit macht sehr viel Spaß und hält wach.“ Kunz, die ihre Praxis zusammen mit ihrem Ehemann und vier Mitarbeiterinnen betreibt, hat schon an mehreren Forschungsprojekten teilgenommen, unter anderem zum Depressions- management und zur Ver besserung der Versorgung multimorbider Patienten.
Für Dr. med. Boye Hoops aus Gaggenau, der sich seit zehn Jahren regelmäßig an Forschungsvorhaben des Universitätsklinikums Heidel- berg beteiligt, steht ebenfalls der Nutzen der Projektarbeit im Vorder- grund: „Wenn es zum Beispiel in einer Studie um eine intensivere Betreuung von Patienten mit chro- nischen Erkrankungen geht, wirkt sich das insgesamt positiv auf die Versorgung unserer Patienten aus.“
Die Wissenschaftler wiederum hoffen darauf, dass ihr Engage -
ment der Versorgungsforschung in Deutschland einen Schub verleihen kann. Denn andere europäische Staaten, wie die Niederlande oder Großbritannien, sind auf diesem Gebiet schon viel weiter. „Das hängt damit zusammen, dass in die- sen Ländern die Akademisierung der Allgemeinmedizin eine längere Tradition hat“, erklärt Institutsdi-
rektor Gerlach.
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Petra Spielberg Hochmotiviert:
Das Praxisteam der Forschungspraxis von Gert Vetter in Frankfurt am Main
Foto: Institut für Allgemeinmedizin Frankfurt
„ Wir freuen uns über jeden interessierten Hausarzt, da wir möglichst viele Praxen für unsere Projekte gewinnen wollen.
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Ferdinand Gerlach, Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main