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Archiv "Neuroenhancement: Falsche Voraussetzungen in der aktuellen Debatte" (03.12.2010)

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NEUROENHANCEMENT

Falsche Voraussetzungen in der aktuellen Debatte

Mehrere Studien gehen davon aus, dass Pharmaka zur Verbesserung

menschlicher Eigenschaften in absehbarer Zeit zur Verfügung stehen könnten.

Eine ethische Bewertung ihrer Erforschung

Roland Kipke, Hannah Heimann, Urban Wiesing, Andreas Heinz

talen Eigenschaften zu verbessern (2). Auch die exorbitant gestiegenen Verschreibungen mancher Pharma- ka sprechen für einen verbreiteten off-label use (3). Zudem würden 80 Prozent der Studenten und Schüler in Deutschland Neuroenhancer nut- zen, wenn sie keine unerwünschten Wirkungen hätten (4). Die Frage nach der ethischen Bewertung die- ses Phänomens drängt sich auf.

Während sich manche Autoren entschieden gegen Neuroenhance- ment aussprechen (5), erkennen an- dere keine grundsätzlichen tragfähi- gen Gegenargumente. Diese liberale Auffassung findet man unter ande- rem in dem Memorandum eines deutschen Autorenteams (6) und in einem Artikel einer amerikanischen Autorengruppe (1). Die Autoren ge- hen davon aus, dass solche Pharma- ka oder Verfahren zwar heute noch nicht existieren, aber in naher Zu- kunft zur Verfügung stehen könnten.

Die Argumentation der liberalen Be- fürworter folgt einer Wenn-dann- Struktur: Wenn es Substanzen oder Verfahren gäbe, die eine Verbesse- rung mentaler Fähigkeiten bei ei- nem akzeptablen Nutzen-Risiko- Profil ermöglichten, dann ließen sich keine überzeugenden grundsätzli- chen Argumente gegen sie anführen.

Während viele Diskutanten al- lein den zweiten Teil der liberalen Argumentation kritisieren, sei im Folgenden zunächst der erste Teil

untersucht, das „Wenn“. Wie wahr- scheinlich ist es, dass in absehbarer Zeit Substanzen ohne gravierende unerwünschte Wirkungen, insbe- sondere ohne Suchtpotenzial, zur Verfügung stehen? Das ist eine letztlich empirisch zu beantworten- de Frage. Zweitens möchte der Ar- tikel zeigen, dass diese empirische Dimension eng mit dem zweiten Teil der Wenn-dann-Argumenta - tion, das heißt mit der eigentlich ethischen Bewertung des Neuroen- hancements verknüpft ist. Wenn es um die künftige Forschungsstrate- gie geht, das heißt um die Frage, ob und wie die empirisch zu untersu- chenden Fragen überhaupt unter- sucht werden sollen, muss die ethi- sche Bewertung der Maßnahme einfließen.

Das Suchtpotenzial von Neuroenhancern

Die Autoren des Memorandums operieren mit einer veralteten sucht- medizinischen Unterscheidung. Sie gehen davon aus, dass „körperliche Abhängigkeit“ ein triftiger Grund gegen die Nutzung von Neuroen - hancern wäre. Dagegen könnte

„psychische Abhängigkeit“, definiert als irrationales Begehren eines Ob- jekts und erhebliches Unbehagen bei dessen Abwesenheit, zwar bei Neu- roenhancern auftreten, sie sei jedoch ein verbreitetes Phänomen und kön- ne nicht als Gegenargument dienen.

D

as Neuroenhancement, die Verbesserung mentaler Ei- genschaften und psychischer Fähig- keiten durch medizinische Mittel ohne therapeutische Absichten, ist seit einigen Jahren Gegenstand ei- ner öffentlichen und akademischen Debatte. Bis zu 25 Prozent der US- amerikanischen Studierenden nut- zen Psychostimulanzien (1), und fünf Prozent der Erwerbstätigen in Deutschland im Alter zwischen 20 und 50 Jahren nehmen entsprechen- de Medikamente ein, um ihre men-

Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Charité – Universitätsmedizin Berlin: Dr. med. Hei- mann, Prof. Dr. med.

Heinz Internationales Zentrum für Ethik in den Wissen-

schaften (IZEW), Eber- hard-Karls-Universität Tübingen: Dr. des. Kipke

Institut für Ethik und Geschichte der Medizin, Eberhard-Karls- Univer sität Tübingen:

Prof. Dr. med. Dr. phil.

Wiesing

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Aber ist die kategorische Tren- nung zwischen Modafinil einerseits und Amphetaminen andererseits ge- rechtfertigt? Anders als Methylphe- nidat kann Modafinil nicht erhitzt und dann intravenös gespritzt wer- den. Allerdings zeigt eine Studie von Nora Volkow und Mitarbeitern (15), dass auch die orale Einnahme von Modafinil eine erhebliche Dopaminausschüttung bewirkt. Die amerikanischen Suchtforscher be- obachteten zudem, dass die akute orale Gabe von Modafinil (200 mg/

400 mg) zu einer ähnlich starken Blockade der Dopamintransporter führt, wie dies bei der oralen Gabe von Methylphenidat (20 mg) der Fall ist. Methylphenidat gehört je- doch zu genau jenen Psychostimu- lanzien, welche die deutsche Auto- rengruppe aufgrund ihrer mögli- chen suchterzeugenden Wirkungen für ungeeignet hält. Zudem gibt es erste Berichte von Abusus und schwerwiegenden Nebenwirkungen auch des Modafinils (16, 17).

Eine besondere Rolle in der Dis- kussion über Neuroenhancer spielt der Kaffee. Die amerikanische Auto- rengruppe stuft Kaffee und verwand- te Mittel als „harmlose Drogen“ ein (1, 6). Kaffee setzt allerdings im Ge- gensatz zu Psychostimulanzien und anderen Medikamenten mit Abhän- gigkeitspotenzial Dopamin offenbar nur im präfrontalen Kortex frei, wäh- rend eine Dopaminausschüttung im ventralen Striatum, dem Kernbereich des dopaminergen Belohnungssys- tems, ausbleibt (18, 19). Zwischen Kaffeekonsum und dem Gebrauch von Medikamenten wie Modafinil besteht also ein neurobiologisch klar definierbarer und suchtmedizinisch hochrelevanter Unterschied. Damit ist die zentrale Vorbedingung für ein positives Urteil zum Neuroenhance- ment noch spekulativer, als die Be- fürworter selbst einräumen.

Riskante Forschung im Bereich der Neuroenhancer

Die Gründe für die Annahme eines ernstzunehmenden Suchtpotenzials heutiger und künftiger Neuroenhanc - er haben zwar eine empirische Ba- sis, sind jedoch theoretischer Natur.

Sie gehen davon aus, dass Lernen im Wesentlichen belohnungsabhän- Eine solche „psychische Abhängig-

keit“ sei zum Beispiel auch ein unverfängliches Phänomen wie die romantische Liebe oder die „Ab - hängigkeit“ von Handys. Moderne Suchtmedizin unterscheidet jedoch nicht mehr zwischen seelischen und körperlichen Phänomenen (7), son- dern führt die jeweiligen Symptome auf ihre unterschiedlichen neuro - biologischen Grundlagen zurück. So treten Toleranzentwicklung und Ent- zugssymptomatik aufgrund neuro- adaptiver Vorgänge in der Regel in inhibitorischen Botenstoffsystemen auf, welche bei plötzlichem Wegfall des Substanzkonsums zur Exzitation und damit zu beobachtbaren „kör- perlichen“ Entzugssymptomen wie Krampfanfällen oder vegetativen Er- scheinungen führen können. Demge- genüber gelten Symptome, die von manchen Autoren früher als „psy- chische“ Abhängigkeit eingestuft wurden, wie das Verlangen nach ei- ner Substanz und die Kontrollmin- derung im Umgang mit ihr, als Stö- rungen im Bereich motivationaler Systeme wie der dopaminergen Neu- rotransmission (8–10).

Gerade dem dopaminergen Boten- stoffsystem kommt in modernen Suchttheorien eine Schlüsselfunktion zu. Denn alle bekannten Substanzen mit Abhängigkeitspotenzial setzen Dopamin im Belohnungssystem frei und verstärken so den weiteren Dro- genkonsum. Offenbar werden Lern- vorgänge beeinflusst, die letztlich dazu führen, dass Drogen und dro- genrelevante Reize als besonders er- strebenswert gelten und sogenannte natürliche Verstärker wie Nahrungs- aufnahme, Sexualität und soziale In- teraktionen demgegenüber an Anzie- hungskraft verlieren (11–13).

Die amerikanische und die deut- sche Autorengruppe weisen darauf hin, dass auch viele vermeintlich

„natürliche“ Aktivitäten sowie Nah- rungs- und Genussmittel wie Kaffee auf das Gehirn einwirken und damit Botenstoffsysteme wie das dopamin - erge System beeinflussen können (1, 6). Es besteht allerdings ein klar definierbarer Unterschied zwischen einer durch Erlebnisse oder Nah- rungsmittel ohne Suchtpotenzial aus- gelösten Dopaminfreisetzung und der Dopaminausschüttung durch Psy-

chopharmaka, die zum Zwecke des Neuroenhancements eingesetzt wer- den. Substanzen wie Amphetamin oder Kokain, aber auch die Psycho- stimulanzien Methylphenidat und Modafinil binden direkt am Dop - amintransporter, hemmen damit die Dopaminwiederaufnahme und füh- ren teilweise zu einer über den Dopamintransporter vermittelten zu- sätzlichen Dopaminfreisetzung.

Modafinil bewirkt erhebliche Dopaminausschüttung

Ebenso lässt sich ein deutlicher Un- terschied bei der Habituation feststel- len: Die wiederholte Blockade von Dopamintransportern durch Psycho - pharmaka oder wiederholter Kon- sum von Drogen mit Abhängigkeits- potenzial kann aufgrund der di rekten pharmakologischen Wirkung immer wieder zu einer Erhöhung der Dop - aminfreisetzung führen, während die durch Umweltreize auf physiologi- schem Weg induzierte Dopaminfrei- setzung rasch habituiert (8, 11).

Durch die wiederholte Einnahme solcher Pharmaka kommt es deshalb gegenregulatorisch zu neuroadapti- ven Vorgängen wie der Reduktion der Dopamin-D2-Rezeptoren im ven - tralen Striatum. Diese wiederum ist einerseits mit einem verminderten Ansprechen auf primäre Verstärker (wie Nahrung oder Sexualität) ver- bunden und kann andererseits zum Verlangen nach erneutem Konsum der dopaminergen Pharmaka bezie- hungsweise Drogen führen (8, 14).

Auf das dopaminerge System wirkt auch Modafinil, die derzeit einzige pharmakologische Substanz, die ansatzweise den Anforderun - gen an Neuroenhancer zu genügen scheint (6, S. 6). Die deutsche Auto- rengruppe unterscheidet zwischen Psychostimulanzien wie den Am- phetaminen, die „wegen ihres Sucht- potenzials und der gravierenden Nebenwirkungen nicht als Neuro - enhancement-Präparate (NEPs) ge- eignet“ seien, und Modafinil: „Ent- gegen den meisten Befürchtungen (und Hoffnungen) gibt es offenbar gegenwärtig noch keine bemerkens- wert wirksamen NEPs. Eine Aus- nahme scheint nur Modafinil zu sein, das akuten Schlafmangel kurz- fristig kompensieren kann“ (6, S. 6).

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gig erfolgt und deshalb so eng mit motivationalen Systemen verknüpft ist, dass die pharmakologische Mo- difikation immer mit einem Sucht- potenzial verbunden ist (8–13). Soll- te es in Zukunft eine oder mehrere Substanzen ohne die befürchteten unerwünschten Wirkungen geben, wäre die Vermutung falsifiziert.

Doch wie ließe sich diese Annahme falsifizieren? Durch Forschung. Die Fragen nach Risiken und uner- wünschten Wirkungen von Neuro- enhancern und insbesondere nach einem Suchtpotenzial sind letztlich nur empirisch zu beantworten (20).

Grundsätzlich ist klinische For- schung gerechtfertigt, sofern unter anderem folgende Bedingungen er- füllt sind: Ein sinnvolles Ziel muss

erforscht werden, die Studienteil- nehmer müssen informiert einwilli- gen, ein akzeptables Nutzen-Risiko- Profil bei der Erforschung und eine hohe wissenschaftliche Qualität müs - sen gewährleistet sein (21).

Bereits das Kriterium des akzep- tablen Nutzen-Risiko-Profils spricht gegen aufwendige Untersuchungen von Neuroenhancern:

1. Wenn solche Eingriffe mit er- heblichen Risiken behaftet sind und ein Suchtpotenzial zu vermuten ist, kann man nicht von einer vergleichs- weise unproblematischen Forschung ausgehen.

2. Die Legitimität riskanter For- schung wächst proportional mit dem zu erwartenden Nutzen. Wie immer man Neuroenhancer beur- teilt, ihre Erforschung ist auf jeden Fall als Luxus zu bezeichnen. Alle Stellungnahmen von nationalen Kommissionen oder Ethikkommis-

sionen zu Priorisierungen im Ge- sundheitswesen schreiben der Ver- besserung menschlicher Eigenschaf- ten keine oder nur geringe Priorität zu (22, 23).

Die sozialen Folgen von Neuroenhancement

Einige der wichtigsten ethischen Ar- gumente gegen Neuroenhancement beziehen sich auf die zu erwarten- den sozialen Folgen. Neuroenhance- ment wird aller Wahrscheinlichkeit nach einen erheblichen sozialen Druck erzeugen, solche Mittel zu nutzen. Personen, die Neuroen - hancer ablehnen, werden in das Dilemma gedrängt, entweder Nach- teile in Beruf oder Ausbildung in Kauf zu nehmen oder gegen ihren eigentlichen Willen zu sol - chen Mitteln zu greifen.

Galert und Mitarbeiter wollen dieses Argument mit dem Hinweis entkräf- ten, dass die Gesellschaft

„uns schon jetzt erhebli- che Risiken und den ent- sprechenden Druck zur Anpassung“ zumute (6, S. 8). Doch das Vorhan- densein sozialer Proble- me rechtfertigt nicht ihre Ausdehnung auf andere Bereiche. Vor allem un- terscheidet sich Neuroen- hancement von anderen techni- schen Innovationen wie Handys oder Computern, die ebenfalls zu einem Anpassungsdruck führen: Es greift direkt in die neurobiologi- schen Grundlagen der eigenen Per- sönlichkeit ein.

Des Weiteren fordern Galert et al.

eine gründliche ethische Reflexion, um abzuschätzen, welches Risiko zumutbar und „sozialadäquat“ sei (6, S. 8). Das ist richtig. Doch wenn sie fordern, dass in diese Reflexi- on „empirische Befunde“ eingehen müssten (6, S. 8), ist Vorsicht gebo- ten. Denn wenn damit gemeint ist, dass es erst einer verbreiteten gesell- schaftlichen Praxis des Neuroen - hancements bedarf, um die Mecha- nismen des sozialen Drucks empi- risch zu untersuchen, werden gerade diejenigen gesellschaftlichen Zustän- de zur Voraussetzung eines fundier- ten Urteils erhoben, deren Akzepta-

bilität ja gerade infrage steht. Man müsste also erst die sozialen Ver- hältnisse schaffen, die es zu verhin- dern gilt. Und derartige gesellschaft- liche Prozesse lassen sich nicht nach Belieben zurückdrehen. Zudem ist das Phänomen des sozialen Drucks durch die Nutzung pharmakologi- scher Leistungsverstärker aus dem Doping im Hochleistungssport hin- reichend bekannt und erforscht (24).

Schließlich sprechen gegen Neu- roenhancement nicht nur morali- sche Argumente, sondern ebenso strebensethische Argumente, Argu- mente also, die auf das „gute Le- ben“ abzielen. Die dabei relevanten Merkmale von Neuroenhancement treten vor allem dann deutlich her- vor, wenn man es mit traditionellen Methoden der mentalen Selbstver- besserung vergleicht – mit dem al- so, was in vielerlei Formen wie Meditation, Verhaltenstraining oder Konzentrationsübungen stattfindet.

Diese Formen der absichtlichen Selbstveränderung sind stets mit mentaler Aktivität verbunden, lau- fen allmählich ab und sind mehr oder weniger anstrengend. Für Neu- roenhancement hingegen ist keine mentale Aktivität erforderlich, es geht schnell und einfach.

Keine Erforschung von Mitteln, die niemand braucht

Dadurch unterscheiden sich die bei- den Wege der Verbesserung menta- ler Eigenschaften auch in evaluati- ver Hinsicht: So sind zum Beispiel beim schnellen und einfachen Griff zur Pille unüberlegte Fehlentschei- dungen aus einem kurzlebigen Wunsch, aus einer Mode oder aus Erwartungen Dritter sehr viel leich- ter möglich als bei mühsamer Selbstformung. Auch droht die ab- rupte Veränderung von Persönlich- keitsmerkmalen durch Neuroen - hancement, die biografische Kohä- renz zu beschädigen, die bei allmäh- lichen Selbstformungsprozessen eher gewahrt bleibt. Schließlich verhin- dert die pharmakologische Stärkung von Eigenschaften die Erfahrung der Selbstwirksamkeit, die bei der mentalen Arbeit an sich selbst in be- sonderem Maß auftritt (25). Zwar sind unsere Vorstellungen von ei- nem guten Leben unter anderem an Zwischen Kaffee-

konsum und dem Gebrauch von Me-

dikamenten wie Modafinil besteht ein neurobiologisch klar definierbarer Unterschied.

Foto: Fotolia

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3. Dezember 2010 A 2387 GESCHICHTE DER MEDIZIN

Die unsterblichen Zellen der Henrietta Lacks

Tausende von Patenten wurden unter Verwendung ihrer Zelllinien entwickelt, aber den Nachkommen fehlt heute noch das Geld, zum Arzt zu gehen.

R

ebecca Skloot bestellt Kamil- lentee. „Diese Interviews sind Gift für die Stimme.“ Der Tee kommt, die Autorin ist nervös.

„Nein, bloß kein Zucker!“ Sie ordnet die Falten ihres dunkelblauen Woll- kleides und lächelt verbindlich:

„Seit das Buch 2009 in den USA herauskam, bin ich unterwegs: Le- sungen, Vorträge, öffentliche Veran- staltungen mit der Familie Lacks.“

Skloot möchte am liebsten nach Hause aufs Sofa, muss aber schwe- ren Herzens akzeptieren, dass das jetzt nicht geht. Denn sie hat einen Weltbestseller geschrieben. „Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks“, eine Geschichte aus der Wirklich- keit, die nicht zuletzt auch Ärzte interessieren sollte.

Ein Teil der Faszination, die das in 18 Sprachen übersetzte Buch ausübt, rührt her von Skloots Spiel mit ei- nem der Urbilder des Grauens: dem der alles überwuchernden, schließ-

lich todbringenden Fruchtbarkeit.

Grimms Märchen vom süßen Brei handelt davon. Und die Autorin be- stätigt: „Da ist bis heute etwas Un- heimliches an den Krebszellen von Henrietta Lacks. Nicht nur, dass sie damals in Rekordgeschwindigkeit je - des Organ der 30-jährigen Patientin besiedelten. Sie waren die ersten Zel len, die sich auch außerhalb des mensch lichen Körpers teilten. 1951 war das die Sensation in der Medizin.“

Äußerst aggressive Zellen

Als die afroamerikanische Patientin schon kurz nach der Entdeckung einer Geschwulst im Gebärmutter- hals starb, wunderten sich die Ärzte noch, berichtet Skloot in ihrem Buch. Doch George Gey, Leiter der Abteilung für Gewebekulturfor- schung am Johns-Hopkins-Kran- kenhaus in Baltimore, verstand nach einem Blick in die Petrischale sofort den Grund. Die Zellen von Henrietta Lacks

und ihr Mann David im Jahr 1945.

Henrietta starb 1951 nach einer Tumorerkrankung.

Foto: Lacks Family

einen bestimmten Wissensstand ge- bunden, und sie können sich durch bahnbrechende Ergebnisse empiri- scher Forschung und deren Anwen- dung ändern, doch wir können nur von den heutigen wohlüberlegten Vorstellungen des guten Lebens aus- gehen. Und diese sprechen deutlich gegen die riskante und aufwendige Erforschung von Mitteln, die nie- mand dringend braucht.

Ethisch begründete Einwände

Zwar ist nicht mit Sicherheit be- kannt, welche (langfristigen) uner- wünschten Wirkungen künftige Neu - roenhancer haben werden, doch ist bereits auf der Basis der heuti- gen neurologisch-pharmakologischen Kenntnisse ein Suchtpotenzial auch für künftige Pharmaka dieser Art zu vermuten. Diese Vermutung wäre zwar nur durch eine eingehende em- pirische Forschung zu falsifizieren, gegen eine solche Forschung spricht jedoch eine Reihe von Einwänden, die auf forschungsethischen, so - zialethischen und strebensethischen Überlegungen beruhen. Der Zusam- menhang zwischen den Argumenta- tionsebenen empirischer Forschung und ethischer Reflexion ist also kom- plizierter, als die liberalen Befürwor- ter von Neuroenhancement nahele- gen. Nicht nur sollte die empirische Datenlage in die ethische Bewertung eingehen, sondern die ethische Be- wertung sollte auch die Frage nach der Gewinnung empirischen Wissens bestimmen. Zwar rechtfertigen die Gegenargumente trotz ihres kumula- tiven Gewichts kein komplettes Ver- bot der Erforschung von Neuroen- hancern, sie sprechen jedoch dage- gen, knappe Ressourcen für solche Forschung zu verwenden.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2010; 107(48): A 2384–7

Anschrift für die Verfasser Prof. Dr. med. Andreas Heinz

Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Campus Charité-Mitte Charitéplatz 1, 10117 Berlin

@

Literatur im Internet:

www.aerzteblatt.de/lit4810 Wir danken den Professoren U. Havemann-Rein- ecke (Göttingen), K. Mann (Mannheim) und K. Lieb (Mainz) sowie Dr. J. Hein (Berlin) für hilfreiche Kommentare zum Text. Die Genannten unterstüt- zen Inhalt und Zielrichtung dieses Artikels.

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LITERATURVERZICHNIS HEFT 48/2010, ZU:

NEUROENHANCEMENT

Falsche Vorausetzungen in der aktuellen Debatte

Mehrere Studien gehen davon aus, dass Pharmaka zur Verbesserung

menschlicher Eigenschaften in absehbarer Zeit zur Verfügung stehen könnten – eine ethische Bewertung ihrer Erforschung

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