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Identifikation von SCN2A- und C12orf35- Mutationen bei Epilepsie und Entwicklungsstörung mittels Exom-Sequenzierung

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Academic year: 2022

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(1)

der Universität zu Lübeck

Direktorin: Frau Prof. Dr. med. Christine Klein

Identifikation von SCN2A- und C12orf35-

Mutationen bei Epilepsie und Entwicklungsstörung mittels Exom-Sequenzierung

Inauguraldissertation

zur Erlangung der Doktorwürde der Universität zu Lübeck - Aus der Sektion Medizin -

vorgelegt von Anna-Lena Baasch

aus Bad Oldesloe

Lübeck 2017

(2)

1. Berichterstatterin: Frau Prof. Dr. rer. nat. Katja Lohmann 2. Berichterstatterin: Frau Prof. Dr. rer. nat. Christine Zühlke

Tag der mündlichen Prüfung: 27.06.2017

Zum Druck genehmigt. Lübeck, den 27.06.2017 Promotionskommission der Sektion Medizin

(3)

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung... 5

1.1 Epilepsie ... 6

1.2 Intelligenzminderung ... 9

1.3 De-novo-Ansatz und die Alternativhypothese der Compound-Heterozygotie ... 10

1.4 Next Generation Sequencing... 12

1.5 Vorarbeiten ... 15

1.6 Fragestellung/Zielsetzung ... 15

2. Patienten, Material und Methoden ... 16

2.1 Probanden ... 16

2.1.1 Eltern-Kind-Trios ... 16

Familie A ... 16

Familie B ... 18

2.1.2 Kontrollkollektiv ... 19

2.1.3 Patientenkollektiv ... 19

2.2 Material ... 21

2.3 Methoden... 22

2.3.1 Primer-Design ... 22

2.3.2 Polymerase-Kettenreaktion (PCR) ... 22

2.3.3 Sequenzierung ... 24

2.3.4 Agarose-Gelelektrophorese ... 26

2.3.5 Literaturrecherche ... 26

3. Ergebnisse ... 28

3.1 Übersicht über Detektion und Validierung von de-novo-Mutationen ... 28

3.2 Familie A ... 30

3.2.1 Validierung der potentiellen de-novo-Varianten ... 30

3.2.2 Literaturrecherche zur Funktion des Kandidatengens... 32

(4)

3.2.3 In-silico-Prädiktion der Pathogenität der Mutation ... 32

3.2.4 Verifizierung der Pathogenität der de-novo-Mutation ... 34

3.2.5 Alternative Gene als Ursache des schwerwiegenden Phänotyps ... 37

3.2.6 Literaturrecherche SCN2A ... 37

3.3 Familie B ... 43

4. Diskussion ... 46

4.1 Exom-Sequenzierung und Next Generation Sequencing ... 46

4.2 Heterogener Phänotyp des Patientenkollektivs ... 49

4.3 Bewertung der Ergebnisse von Patientin B ... 51

4.4 Andere SCNxA-Gene ... 52

4.5 SCN2A-Mutationen in der Literatur ... 54

4.6 Beantwortung der Fragestellung und Schlussfolgerung ... 57

5. Ausblick ... 58

6. Zusammenfassung ... 59

7. Literaturverzeichnis ... 61

8. Anhang ... 66

8.1 Abkürzungsverzeichnis ... 66

8.2 Internetressourcen und Programme ... 68

8.3 Fragebogen ... 69

8.4 Patientenkollektiv ... 71

8.5 Alternative Gene für Optikusatrophie und Temperaturregulationsstörung ... 77

8.6 Angabe der Aktenzeichen sowie Daten der für das Forschungsvorhaben benötigten Genehmigungsschreiben der Ethikkommission ... 78

8.7 Poster und Veröffentlichungen ... 79

9. Danksagung ... 80

(5)

1. Einleitung

Im Rahmen der hier vorliegenden Dissertation wurden zunächst zwei Patienten1 und ihre gesunden Eltern genetisch untersucht. Das klinische Krankheitsbild umfasste hierbei neben Epilepsie und Intelligenzminderung auch eine psychomotorische Entwicklungsverzögerung mit Symptomen wie verzögerte Sprachentwicklung, verzögerte motorische Entwicklung und ein eventueller Verlust bereits erworbener Fähigkeiten. Aufgrund der heterogenen Ausprägung der geschilderten Erkrankung sowie der klinisch nicht betroffenen Eltern wurde von der Hypothese ausgegangen, dass die krankheitsverursachende Mutation bei den Patienten de novo aufgetreten war. Um diese de-novo-Mutationen zu detektieren, wurde bei diesen Patientinnen und ihren gesunden Eltern eine Exom- Sequenzierung durchgeführt. Ein gefundenes Kandidatengen wurde dann näher beleuchtet.

In diesem Abschnitt der Arbeit werden die Epidemiologie, Symptomatik und die Ätiologie der Epilepsie und der Intelligenzminderung dargestellt sowie der de- novo-Ansatz und das Verfahren der Exom-Sequenzierung näher erläutert. Zudem werden der Ausgangspunkt und das Ziel der Arbeit beschrieben.

1 Um den Textfluss nicht zu stören, wird in dieser Arbeit aufgrund der besseren

Lesbarkeit das generische Maskulinum verwendet, wobei immer sowohl das weibliche als auch das männliche Geschlecht gemeint sind.

(6)

1.1 Epilepsie

Die Epilepsie im Kindesalter ist eine verhältnismäßig häufige Erkrankung mit einer Prävalenz in Deutschland von ungefähr 0,5% und einer Inzidenz von etwa 50 Neuerkrankungen auf 100.000 Kinder [1].

Zum Zeitpunkt der Geburt ist das Gehirn noch nicht ausreichend entwickelt und bei den meisten Neugeborenen ist zu diesem Zeitpunkt lediglich der Hirnstamm funktionsfähig. In der normalen postnatalen Entwicklung durchläuft das Gehirn einen komplexen Reifeprozess, der mit sehr hoher neuronaler Erregbarkeit verbunden ist.

Bei ungefähr zwei Drittel der Kinder mit einer Epilepsie finden sich keine kognitiven Beeinträchtigungen, jedoch stellt eine Intelligenzminderung die häufigste Komorbidität der Epilepsie dar. Zudem können noch Begleiterkrankungen wie eine Zerebralparese, ein Hydrozephalus, tuberöse Sklerose oder ein Sturge-Weber-Syndrom auftreten [2].

Epilepsie ist ein sehr heterogenes Krankheitsbild und häufig ein Bestandteil des phänotypischen Spektrums von zahlreichen Syndromen. Die Ausprägung der epileptischen Anfälle kann je nach Ursprungsort erheblich variieren.

Fokale Anfälle nehmen ihren Ausgang aus einem Herd innerhalb des Gehirns und können anschließend sekundär generalisieren. Primär generalisierte Anfälle betreffen hingegen den gesamten Kortex und können sich in verschiedenen Anfallsausprägungen mit komplexen Bewegungs- und Bewusstseinsstörungen manifestieren. Generalisierte Anfälle lassen sich weiterhin unterteilen in Absencen, generalisierte tonisch-klonische, myoklonische, klonische, tonische und atonische Anfälle. Auch können epileptische Anfälle verschiedene Schweregrade aufweisen. So wird zum Beispiel die benigne familiäre infantile Epilepsie eher als gutartig eingestuft, da sie gut therapierbar, häufig selbstlimitierend und mit einer normalen Entwicklung vergesellschaftet ist. Zudem werden diese benignen Syndrome häufig familiär vererbt [3]. Auf der anderen Seite gibt es jedoch auch viele sogenannte maligne epileptische Syndrome wie z.B. das Dravet-Syndrom oder das Ohtahara-Syndrom. Diese zeichnen sich durch eine hohe Therapieresistenz und häufige Begleit- bzw. Folgeerkrankungen aus und sind oft mit einer schlechten Prognose assoziiert [4].

(7)

Epilepsien und die damit verbundenen Anfälle haben eine Vielzahl von Ursachen.

Zum Auftreten epileptischer Anfälle tragen zum einen eine Übererregbarkeit von Nervenzellen, zum anderen eine abnorme gleichzeitige elektrische Aktivität von größeren Nervenzellverbänden bei. So nimmt man an, dass ein Ungleichgewicht von Erregung und Hemmung in diesen Nervenzellverbänden Krampfanfälle entstehen lässt. Verstärkte Erregung oder verminderte Hemmung können sowohl durch Veränderungen in den Membraneigenschaften der Nervenzellen als auch in der Erregungsübertragung von Nervenzelle zu Nervenzelle durch Neurotransmitter bewirkt werden. So können Defekte in Ionenkanälen, wie z.B. von Natrium- oder Calciumkanälen, an der Entstehung und Ausbreitung von Anfällen beteiligt sein [5]. Ein Beispiel dafür ist das Dravet-Syndrom, das durch eine Mutation im SCN1A-Gen einen Defekt in spannungsgesteuerten Natrium-Kanälen im Gehirn hervorruft und somit Epilepsie verursachen kann [6]. Neben diesen genetischen Veränderungen kommen auch metabolische Ursachen wie verschiedene Stoffwechseldefekte, Hirnschädigungen, Infektionen usw. als Grundlage der Epilepsie in Frage. Oftmals bleibt jedoch die Ursache der Epilepsie ungeklärt [7].

Tabelle 1.1 zeigt die derzeitige Klassifikation der Ursachen von Epilepsie nach der

„International League Against Epilepsy“ (ILAE) [7].

Tabelle 1.1 Klassifikation von Epilepsien nach der „International League Against Epilepsy“

Klassifikation der Epilepsien: „International League Against Epilepsy” (2010) Genetisch

Ergebnis einer oder mehrerer bekannter oder vermuteter genetischer Defekte, bei denen die epileptischen Anfälle führendes Symptom sind

Strukturell/metabolisch

Ein anderer Zustand oder eine Krankheit, die mit einem deutlich erhöhtem Risiko einhergeht, eine Epilepsie zu entwickeln

Unbekannte Ursache

Die Art der zugrunde liegenden Ursache konnte bislang nicht erklärt werden

(8)

Abbildung 1.1 Diagramm der Ursachen von Epilepsie in Prozentzahlen [8]. Zurzeit existiert keine Angabe über die genauen prozentualen Anteile von genetischen und unbekannten Ursachen.

Neuere Studien zeigen jedoch, dass wahrscheinlich ein Großteil der unbekannten Ursachen aus bislang nicht identifizierten genetischen Ursachen besteht [9]. Insgesamt begründen sich 65% der Epilepsien durch diese Ursachen, die restlichen 35% sind metabolisch bedingt.

Momentan stellt der genetische Ursprung zusammen mit den bislang noch unbekannten Ursachen den größten Anteil mit 65% der epilepsiebedingten Ursachen dar [8]. Neuere Studien zeigen, dass in über 50% der idiopathischen Fälle eine genetische Ursache für die Erkrankung zu finden ist [9]. Zudem ist es wahrscheinlich, dass sich ein großer Teil der bislang ungeklärten Epilepsien auf bislang noch nicht identifizierte genetische Veränderungen zurückführen lässt [9].

Die unterschiedlichen metabolischen bzw. strukturellen Veränderungen verursachen lediglich 35% der Epilepsien (Abbildung 1.1). Dazu kommt die große genotypische und phänotypische Heterogenität dieses Krankheitsbildes, die die Diagnostik aufwendig macht. Dennoch werden zurzeit täglich neue Mutationen in unterschiedlichsten Genen gefunden, die verschiedene Formen der Epilepsie bedingen können [10]. Aufgrund der hohen Prävalenz von Epilepsie besteht nicht nur in der Forschung sondern auch in der klinischen Diagnostik ein begründetes Interesse an der Identifikation neuer Krankheitsursachen. Daraus lässt sich schließen, dass mithilfe neuerer genetischer Untersuchungsmethoden wie z.B. der Exom-Sequenzierung es möglich sein kann, bei einem großen Teil der Patienten die Ursache der Epilepsie zu detektieren.

65%

11%

8%

5% 4% 4% 3%

Genetische/Unbekannte Ursachen

Vaskuläre Ursachen Prä-/perinatale/kongenitale Faktoren

Trauma Tumoren

Degenerative Veränderungen Infektionen

(9)

1.2 Intelligenzminderung

Intelligenzminderung (im englischen Sprachgebrauch „intellectual disability“), früher auch als mentale Retardierung bezeichnet, betrifft ca. ein bis drei Prozent der westlichen Bevölkerung und beinhaltet sowohl einen Intelligenzquotienten unterhalb von 70 als auch eine Einschränkung des affektives Verhaltens [11].

Intelligenzminderung wird zu mindestens 50% durch genetische Faktoren bedingt, jedoch bleiben 55 bis 60% dieser Faktoren unerkannt [12]. Häufigste Ursache sind Chromosomenaberrationen wie z.B. bei der Trisomie 21 oder beim Fragilen-X- Syndrom [13]. Doch neuere Studien belegen, dass dominante Neumutationen (de- novo-Mutationen), die also bei dem Patienten neu auftreten und nicht von den Eltern vererbt worden sind [14], ebenfalls einen Teil dieser Entwicklungsstörung verursachen [15]. De-novo-Mutationen spielen also eine signifikante Rolle als genetische Ursache von Intelligenzminderung [16] [17]. Gleichzeitig scheinen de- novo-Mutationen ebenfalls an der Ätiologie von anderen neurologischen Entwicklungsstörungen wie zum Beispiel Autismus [18] [19], epileptische Enzephalopathie [20] und Schizophrenie [21] beteiligt zu sein.

De-novo-Mutationen könnten auch die Entstehung einer Intelligenzminderung bei einem großen Teil der Patienten erklären, da diese relativ häufige Erkrankung wegen der reduzierten biologischen Fitness von Betroffenen in der Regel nicht vererbt wird. Dies wird auch deutlich anhand einer Studie vom Institut für Humangenetik in Nijmegen (Niederlande) [22]. Im Rahmen der Studie wurden 100 Indexpatienten mit Intelligenzminderung und deren gesunde Eltern mittels Exom- Sequenzierung untersucht. Dabei identifizierten und validierten sie 79 proteinverändernde de-novo-Mutationen in 77 Genen. Von diesen Veränderungen stellten sich 63 als pathogene, proteinverändernde Mutationen heraus. Davon wurden 10 Mutationen in bereits bekannten Intelligenzminderung verursachenden Genen bei 10 Patienten gefunden. Zusätzlich wurden potentiell krankheitsverursachende de-novo- Varianten in neuen Kandidatengenen bei 22 Patienten detektiert. Dies ist ein Beispiel für die Vielfalt der Ursachen für Intelligenzminderung und zeigt, dass de-novo-Mutationen eine wichtige Ursache der Intelligenzminderung darstellen, die sich effektiv mithilfe der Exom- Sequenzierung detektieren lässt.

(10)

1.3 De-novo-Ansatz und die Alternativhypothese der Compound- Heterozygotie

Autosomal-dominant vererbte Krankheiten können auch sporadisch auftreten, d.h.

gesunde Eltern bekommen ein betroffenes Kind. Dies lässt sich vor allem anhand von de-novo-Mutationen erklären.

Neuere Studien zeigen, dass de-novo-Mutationen eine wichtigere Rolle bei Störungen der neurologischen Entwicklung einnehmen könnten als bislang angenommen [23]. Dies könnte erklären, weshalb diese Erkrankungen, die mit einer deutlich reduzierten biologischen Fitness einhergehen, dennoch häufig in der menschlichen Bevölkerung vorkommen. Ein überzeugendes Beispiel hierfür ist die bereits oben genannte Intelligenzminderung.

Aus denselben Gründen könnten de-novo-Mutationen auch für einen Teil der genetisch bedingten Epilepsien verantwortlich sein. Verschiedene genetische Ursachen würden hier die Heterogenität der klinischen Symptomatik sowie die häufige Konstellation von betroffenen Kindern gesunder Eltern erklären.

Dieser de-novo-Ansatz bei komplexen genetisch bedingten Störungen der neurologischen Entwicklung zeigt eine monogenetische Ursache der Erkrankung, wobei die Mutation ein einzelnes Ereignis mit großer Wirkung repräsentiert. Dies steht im Gegensatz zu dem multifaktoriellen Model, wo bei einem Zusammenspiel von vielen genetischen und nicht-genetischen Faktoren eine einzelne genetische Variante häufig nur eine geringere Bedeutung für den individuellen Patienten hat.

De-novo-Mutationen sind nicht selten, bei jedem Individuum finden sich bis zu 74 de-novo-Mutationen im Genom [24]. Zudem haben sie durchschnittlich eine schädlichere Auswirkung als vererbte Mutationen, da sie weniger durch die evolutionäre Selektion beeinflusst werden [25], [26]. Dies macht sie zu einleuchtenden Kandidatengenen für sporadisch auftretende genetische Erkrankungen.

Auch ein homozygot-rezessiver Erbgang könnte eine plausible Erklärung für das aufgetretene Krankheitsbild bei den untersuchten Patienten sein.

Alternativ ist es denkbar, dass diese Erkrankung durch eine Mutation im compound-heterozygoten Zustand verursacht werden könnte.

(11)

Dies bezeichnet eine Situation, bei der zwei unterschiedlich mutierte Allele desselben Gens vorliegen, wobei hier davon ausgegangen wurde, dass jedes Elternteil jeweils eine Mutation vererbt hat („in-trans“).

Diese Mutationen bedingen schließlich eine pathogene Genveränderung („knock- out“), die dann in einer Erkrankung des Mutationsträgers resultiert [27].

-/- -/- * /- -/ #

+/- * / #

De-novo-Mutation

Compound-Heterozygotie

-/+ -/+

+/+

Homozygot-rezessiv

Abbildung 1.2 Vererbungsmuster von de-novo-Mutationen, Compound-Heterozygotie und homozygot-rezessivem Erbgang

Legende:

nicht betroffener Vater

nicht betroffene Mutter

betroffene Tochter

-

Wildtyp, nicht mutiertes Allel

+, *, # kennzeichnen jeweils unterschiedliche Mutationen eines Allels

(12)

1.4 Next Generation Sequencing

Der Begriff „Next Generation Sequencing“ (NGS) bezeichnet neue Verfahren der Hochdurchsatz-Sequenzierung, die nach bislang vorwiegender Nutzung für die Detektion von monogenen Krankheitsgenen im Rahmen der Forschung nun auch nach und nach für die Diagnostik in der Klinik zugänglich werden. Die Besonderheit dieser neuen Verfahren besteht aus der massiven parallelen Sequenzierung von Millionen DNA-Fragmenten in einem einzigen Sequenzierdurchlauf.

Mittels NGS sind durch einen diagnostischen Test fast alle genetischen Veränderungen detektierbar, vor allem kleinere Veränderungen wie Punktmutationen, kleinere Insertionen oder Deletionen. Durch die NGS ist es möglich, das komplette menschliche Genom innerhalb weniger Tage zu sequenzieren, das „Human Genome Project“, welches auf der herkömmlichen Sanger-Sequenzierung beruhte, nahm dafür noch über zehn Jahre in Anspruch [28].

Next Generation Sequencing wird vor allem in Hinblick auf seltene und heterogene Krankheitsbilder mehr und mehr zur diagnostischen Methode der Wahl. Sie ist in der Forschung und auch vor allem in der Klinik eine Hilfe zur Minimierung des hohen diagnostischen Aufwandes, da sie innerhalb von wenigen Tagen bei angemessenen Kosten umfassende Ergebnisse liefern kann, was bei herkömmlichen Methoden nicht der Fall ist. Allerdings zeigt dieses Verfahren auch noch Verbesserungsmöglichkeiten wie z.B. eine Genauigkeit von unter 100%, was sowohl zu übersehenen Varianten als auch zu falsch-positiven Ergebnissen führen kann. Eine weitere Schwierigkeit liegt zudem in der Interpretation von möglichen Kandidatengenen, sodass definierte Standards sowie Qualitätskontrollen nötig werden. Auch die ethischen Konflikte, die sich aus dem hohen Informationsgewinn ergeben, dürfen dabei nicht außer Acht gelassen werden [29].

Das Prinzip der Sequenzierung unterscheidet sich bei der NGS deutlich von der klassischen Sanger-Sequenzierung. Bei der Sanger-Sequenzierung werden die DNA-Ketten durch den Einbau von Didesoxynukleotiden an unterschiedlichen Stellen abgebrochen. Anschließend werden die Ketten durch die Elektrophorese der Größe nach separiert.

(13)

NGS läuft hingegen nach dem Prinzip des „sequencing-by-synthesis“ ab [30]: Die komplementäre Integration eines Nukleotids während der Kettenverlängerung wird direkt durch das Sequenzierungsgerät überwacht. Das hat die Vorteile einer vergrößerten Sequenzierungskapazität parallel zu verringerten Kosten. Bei der Genom-Sequenzierung ergeben sich hierbei ca. vier Millionen Varianten pro Individuum [31].

Beim NGS wird die zuvor gewonnene DNA vorbereitet, indem sie z.B. für die Genom-Sequenzierung zunächst fragmentiert wird. Sind spezifische Zielsequenzen wie z.B. bei der Exom-Sequenzierung Ziel des NGS, müssen sie zunächst angereichert werden z.B. mittels Hybridisierung oder Multiplex-PCR.

Anschließend werden die ungefähr gleich langen Fragmente an universelle Adapter gebunden, klonal vervielfältigt und auf einen Chip geladen. Daraufhin wird der Chip in der Maschine platziert. Dabei wird die Sequenzierungsreaktion (Integration eines Nukleotids) von der Maschine entweder durch Lichtsignale (Fluoreszenz) oder durch Protonenabgabe, die eine pH-Wert-Veränderung bewirkt, dargestellt [32]. Das empfangene Signal von der NGS-Maschine wird in eine Sequenz übersetzt, die von einem Computerprogramm mit einem Referenzgenom verglichen wird. Abweichungen von der Referenzsequenz werden gelistet und benannt. Anschließend folgt der kritische Schritt der Interpretation der Varianten, was die Trennung in benigne und pathogene Varianten beinhaltet.

Dafür werden Informationen gesammelt über den Effekt auf ein kodiertes Protein, es wird eine Vorhersage der Konsequenz auf die Proteinfunktion in silico getroffen und bereits bekanntes Wissen über das Gen und bestimmte Mutationen in Datenbanken gesucht. Schlussendlich folgt die Validierung der selektierten, potentiell krankheitsverursachenden Varianten mittels Re-Sequenzierung durch Sanger-Sequenzierung, um die falsch-positiven Varianten herauszufiltern, und das Screening eines ethnisch angeglichenen Kontrollkollektives auf die potentiell krankheitsverursachende Variante. Weiterführende Validierungen wären u.a. eine Testung des Effekts der Mutation auf die Proteinfunktion oder Studien über das veränderte Protein im Tiermodell [29].

Trotz aller Vorteile stellt die Sequenzierung eines vollständigen menschlichen Genoms immer noch einen recht hohen Arbeits- und Kostenaufwand dar. Eine Alternative stellt hierzu die sogenannte Exom-Sequenzierung dar, bei der lediglich die proteinkodierenden Bereiche des Genoms sequenziert werden.

(14)

Das ist deswegen vorteilhaft, da sich der Großteil der krankheitsverursachenden Veränderungen in den proteinkodierenden DNA-Abschnitten des Genoms befindet und die Pathogenität der Variante in den kodierenden Abschnitten besser beurteilt werden kann als in den nicht-kodierenden Abschnitten, dessen Funktion bislang noch nicht komplett erforscht ist.

In jedem Exom finden sich durchschnittlich ca. 20.000 Varianten [14], davon betreffen etwa 5.000 Varianten die kodierende Proteinsequenz. Anschließend können bereits bekannte Varianten wie „single nucleotid polymorphisms“ (SNPs), die in entsprechenden Datenbanken wie z.B. „dbSNP“ gelistet sind, ausgeschlossen werden. Danach bleiben pro Person noch etwa 100 bis 200 seltene, nicht-synonyme Varianten übrig, unter denen in der Regel die krankheitsverursachende Mutation zu suchen ist.

Hilfreich bei der Suche nach der krankheitsverursachenden Variante ist die sogenannte Trio-Analyse. Diese umfasst neben der Exom-Sequenzierung der DNA des Probanden auch die Exom-Sequenzierung der elterlichen DNA [14].

Dadurch können vor allem de-novo-Mutationen und im Falle eines rezessiven Pathomechanismus alle homozygoten oder compound-heterozygoten Mutationen gut identifiziert werden.

Durch diese Eigenschaften entwickelt sich die Exom-Sequenzierung immer mehr auch zu einem diagnostischen Test in der Klinik, der sich in den nächsten Jahren wahrscheinlich zu einer führenden Methode zur Identifizierung von krankheitsverursachenden Mutationen entwickeln wird.

(15)

1.5 Vorarbeiten

Die Rekrutierung des Patientenkollektivs inklusive der Erhebung der klinischen Daten und der DNA-Extraktion wurde von Frau Dr. Irina Hüning aus dem Institut für Humangenetik in Lübeck unter Leitung von Frau Prof. Dr. Gillessen-Kaesbach vorgenommen. Das Patientenkollektiv umfasst die beiden Indexfamilien und DNA- Proben von weiteren 54 phänotypisch ähnlichen, unverwandten Patienten.

Die Exom-Sequenzierung und die bioinformatische Aufarbeitung der Daten für zwei Familien (bestehend aus betroffenem Kind und gesunden Eltern) wurde am Institut für Humangenetik in Nijmegen, Niederlande im Rahmen einer Kooperation mit Frau Prof. Dr. Lohmann durchgeführt.

1.6 Fragestellung/Zielsetzung

Das Ziel der hier vorliegenden Dissertation war die Identifikation der krankheitsverursachenden Mutation bei zwei nicht verwandten Mädchen mit Intelligenzminderung und Epilepsie mittels Exom-Sequenzierung.

Die Arbeitshypothese dabei war, dass die Kombination der Symptome durch eine de-novo-Mutation verursacht ist. Im Rahmen der Validierung von Kandidatengenen sollten die beiden betroffenen Mädchen, ein Kontrollkollektiv aus 500 nicht betroffenen Probanden sowie ein Kollektiv von 54 Patienten mit einem ähnlichen phänotypischen Erkrankungsmuster auf Mutationen in ausgewählten Genen untersucht werden, um die Relevanz beurteilen zu können.

Die Ergebnisse können als Basis für neue Screenings und diagnostische Methoden für Epilepsie und Intelligenzminderung dienen.

(16)

2. Patienten, Material und Methoden

2.1 Probanden

2.1.1 Eltern-Kind-Trios

Für die hier vorliegende Dissertation wurde bei den beiden Probandinnen und ihren Eltern jeweils eine Exom-Sequenzierung durchgeführt, um eventuell vorhandene de-novo-Mutationen zu detektieren, die das klinische Krankheitsbild erklären könnten.

Familie A

Die Familie A besteht aus der Patientin (L-6985) und ihren gesunden, nicht verwandten Eltern (L-6986, L-6987). Die Patientin kam 2007 nach einer sekundären Sectio aufgrund eines vorzeitigen Blasensprungs in der 36+6.

Schwangerschaftswoche mit normalen Geburtsmaßen auf die Welt. Bei der Geburt fiel ein grün verfärbtes Fruchtwasser auf. Die Schwangerschaft war bis dahin bis auf einige pathologische Wellen (silent) in der Kardiotokografie in der 28.

Schwangerschaftswoche und eine sonografisch festgestellte Ventrikelasymmetrie unauffällig verlaufen. In der Neugeborenenphase benötigte die Patientin eine Kreislaufunterstützung mit Dobutamin, jedoch keine Atemunterstützung bei Verdacht auf eine Neugeboreneninfektion. In der Sonografie ließen sich Gehirn, Nieren und Hüfte unauffällig darstellen. Zudem traten ab dem ersten Lebenstag Krampfanfälle mit Sättigungsabfällen und Bradykardie auf, eine Infektion konnte durch eine Lumbalpunktion nicht nachgewiesen werden. In der Elektroenzephalografie (EEG) zeigten sich generalisierte und irreguläre Sharp- Waves und Poly-Spike-Wave-Komplexe. Im Verlauf präsentierten sich die epileptischen Anfälle mit einem sich ständig ändernden Bild, sowohl klinisch als auch im EEG. Folinsäuretherapie, eine Kombinationstherapie von drei Antikonvulsiva sowie eine Steroidpulstherapie konnten keine Anfallsfreiheit erzielen.

(17)

Im Alter von drei Monaten erlitt die Patientin einen Krampfanfall mit Kreislaufstillstand nach einem fieberhaften Infekt mit Hyperpyrexie und musste reanimiert werden. Zudem zeigte sich eine akute Nebenniereninsuffizienz nach Steroidtherapie.

In der kranialen Magnetresonanztomografie (cMRT) fanden sich ein leichter Myelinisierungsrückstand und eine leichte Balkenhypoplasie, was ein Krampfleiden eher nicht erklären konnte. Außerdem konnte der Verdacht auf eine Polymikrogyrie nicht bestätigt werden. Die Chromosomenanalyse blieb unauffällig.

In der genetischen Diagnostik ergab sich kein Hinweis auf das Vorliegen eines Dravet-Syndroms, da im SCN1A-Gen keine Mutation nachgewiesen werden konnte. Auch das Vorliegen einer Aminosäure- oder Fettsäurestoffwechselstörung konnte ausgeschlossen werden. Im Alter von einem Lebensjahr zeigte sich bei einer erneuten cMRT eine massive supratentorielle Atrophie und es bestand weiterhin der Verdacht auf eine bilaterale Polymikrogyrie (Fehlbildung der Hirnrinde). In der anschließenden kranialen Computertomografie (cCT) ergab sich der Verdacht auf feinschollige kortikale Verkalkungen im Zusammenhang mit einem Verdacht auf ein Aicardi-Goutières-Syndrom, das allerdings aufgrund weiterer genetischer Diagnostik (Gene AGS 1-4) nicht bestätigt werden konnte.

Auch eine Untersuchung des CDKL5-Gens, das im Zusammenhang mit dem atypischen Rett-Syndrom steht, blieb unauffällig. Zudem zeigte sich ebenfalls im ersten Lebensjahr der Patientin eine beidseitige Optikusatrophie bei unauffälliger Netzhaut im Rahmen einer augenärztlichen Kontrolle. Im Alter von 21 Monaten präsentierte sich die Patientin bei einer erneuten Untersuchung mit einem Gewicht von 16 kg (>97. Perzentile) bei einer Größe von 91 cm (97. Perzentile) und einem Kopfumfang von <44 cm (<3. Perzentile), wobei letzteres einer Mikrozephalie entspricht. Es bestand eine rumpfbetonte muskuläre Hypotonie, die schon in der Säuglingszeit auffällig war, zudem bestanden Fütterungsprobleme. Zum Zeitpunkt der Untersuchung war kein freies Laufen möglich, auch bestanden keine expressive Sprache und ein schlechtes Sprachverständnis. Ein Verlust erworbener Fähigkeiten war feststellbar und der Grad der Intelligenzminderung wurde als schwer eingestuft. Die Form der Epilepsie kennzeichnete sich durch tonische Anfälle mit Spasmen, die trotz diverser Therapieansätzen und Kombination mit unterschiedlichen Antikonvulsiva immer noch therapieresistent waren.

(18)

Neben der Mikrozephalie bestanden keine kraniofazialen Dysmorphiezeichen und keine Organfehlbildungen außer der beidseitigen Optikusatrophie. In der Familienanamnese ergaben sich keine Hinweise auf die vorliegenden Symptome.

Familie B

Die Familie B besteht aus der Patientin (L-6982) und ihren gesunden, nicht verwandten Eltern (L-6983, L-6984). Die Patientin wurde 2007 nach einer komplikationslosen Schwangerschaft in der 40. Schwangerschaftswoche spontan entbunden. Die Geburtsmaße waren normal und in der Neugeborenenphase zeigten sich keinerlei Auffälligkeiten. Sowohl die psychomotorische Entwicklung als auch die Sprachentwicklung verliefen bis zum Alter von 13 Monaten verzögert, mit 14-15 Monaten konnten eine Entwicklungsstagnation bzw. Rückschritte vor allem in der Sprachentwicklung beobachtet werden. Im Alter von vier Jahren konnte die Patientin selbstständig sitzen und unsicher an beiden Händen laufen, zudem zeigte sie ein sehr eingeschränktes Sprachverständnis und keine expressive Sprache.

Außerdem bestanden zum Zeitpunkt der Untersuchung 2011 ein Kleinwuchs und eine Mikrozephalie, die sich mit einem Kopfumfang von 47 cm unterhalb der 3.

Perzentile darstellte. Außer der Mikrozephalie und verhältnismäßig tief angesetzten Ohren waren keine weiteren kraniofazialen Dysmorphiezeichen erkennbar. Zudem zeigte die Patientin stereotype Bewegungsmuster. Im Alter von 17 Monaten wurde bei der Patientin 2009 eine Epilepsie diagnostiziert bei pathologischem EEG-Befund. Die sich anschließende Stoffwechseldiagnostik war unauffällig. Seit 2010 wird die Patientin medikamentös mit Topiramat behandelt, was die Anfallshäufigkeit gesenkt und den EEG-Befund verbessert hat. Bei der Patientin bestehen auch „Nick-Anfälle“ (krampfartiges Beugen des Kopfes) sowie

„Schrei-Attacken“.

Ein cMRT von 2010 sowie eine Chromosomenanalyse und ein Array-CGH zeigten einen unauffälligen Befund. Der Verdacht auf ein Rett- bzw. Rett-like-Syndrom konnte durch eine unauffällige genetische Diagnostik an den Genen MECP2, TCF4 und FOXG1 nicht bestätigt werden.

Auch eine Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung in Hinblick auf Deletionen als Ursache für ein Angelman-Syndrom zeigte keine pathologischen Auffälligkeiten.

(19)

Mittels einer Hochdurchsatz-Sequenzierung wurden mehrere Gene, die in Zusammenhang mit einer Epilepsie stehen, auf Mutationen untersucht:

ARHGEF9, ARX, CDKL5, CNTNAP2, FOXG1, GABRG2, GRIN2A, GRIN2B, MAPK10, MECP2, NRXN1, PCDH19, PNKP, RNASEH2A, RNASEH2B, RNASEH2C, SAMHD1, SCN1A, SCN1B, SCN2A, SCN9A, SLC2A1, SLC25A22, SLC9A6, SPTAN1, STXBP1, TCF4, TREX1, UBE3A und ZEB2. Jedoch blieb auch diese Diagnostik ohne pathologischen Befund.

2.1.2 Kontrollkollektiv

Die in der Patientin L-6985 bestätigte de-novo-Variante wurden in 500 nicht betroffenen Kontrollprobanden untersucht, um häufige Varianten auszuschließen.

Das Kontrollkollektiv setzt sich zusammen aus der EPIPARK-Kohorte aus Lübeck [33]. Der Ursprung der Studie bestand in der Beobachtung von nicht motorischen Syndromen, die häufig bei Patienten mit Parkinson auftreten. In die EPIPARK- Studie wurden einige Kontrollpersonen eingeschlossen, um das Spektrum zwischen Gesundheit und Krankheit inklusive möglicher Zwischenstadien und ähnlichen klinischen Ausprägungen, die sich schwierig von Parkinson abgrenzen lassen, darzustellen. Andere Krankheitsbilder wie Epilepsie oder Intelligenzminderung wurden nicht ausgeschlossen.

2.1.3 Patientenkollektiv

Für diese Doktorarbeit wurde außerdem ein Patientenkollektiv zur Überprüfung der in der Exom-Sequenzierung detektierten und im Kontrollkollektiv nicht vorhandenen de-novo-Mutationen zusammengestellt.

Eingeschlossen in das Kollektiv wurden 54 nicht verwandte, größtenteils deutsche Patienten (21 männlich, mittleres Alter 14,4 +/- 11,1 Jahre, Altersspanne zwischen 4-51 Jahren) mit verschiedenen Krankheitsausprägungen wie z.B. epileptische Anfälle, psychomotorische Entwicklungsverzögerung und Intelligenzminderung (im Fragebogen noch mit „mentale Retardierung“ bezeichnet) mit verzögerter Sprachentwicklung (siehe 8.4).

(20)

Der klinische Phänotyp war bei den Patienten unterschiedlich schwer ausgeprägt.

Eine therapieresistente Epilepsie entwickelte sich bei 37 Kindern (68%).

Bei 15 Patienten war zusätzlich zu der Epilepsie und der Intelligenzminderung auch ein Verlust bereits erworbener Fähigkeiten feststellbar (28%).

Der Grad der Intelligenzminderung wurde bei 35 Kindern als schwer eingestuft (65%) und 31 Kinder haben keine Sprache entwickelt (57%). Nur bei 27 Patienten war zum Zeitpunkt der Untersuchung ein freies Laufen möglich (50%) und 24 Patienten litten auch an einer Bewegungsstörung wie z.B. Dystonie oder Ataxie (44%). Lediglich bei 12 Patienten ergab sich in der Familienanamnese ein Hinweis auf Epilepsie oder Intelligenzminderung (22%).

(21)

2.2 Material

Chemikalien:

 Agarose Biozym Scientific

 Desoxynukleosidtriphosphate (dNTPs) Invitrogen

 Dimethylsulfoxid (DMSO) Sigma-Aldrich

 ExoFast: FastAP + Exo1 (Verhältnis 2:1) Thermo Scientific

 HiDi-Formamid Applied Biosystems

 100 bp Ladder NEB

 Primer MWG Biotech

 Taq-DNA-Polymerase und Puffer Qbiogene

 Terminator v3.1 Cycle Sequencing Kit Applied Biosystem Lösungen:

10x TBE-Puffer:

 108 g Tris

 55 g Borsäure

 7,4 g EDTA (0,5 M)

 mit Aqua dest. auf 1 Liter auffüllen

Ladepuffer-Farbstoff:

 10 ml Glycerin

 0,8 ml EDTA (0,5 M)

 19,2 ml Aqua dest.

 1 Spatelspitze Bromphenolblau

Geräte:

 Mastercycler Eppendorf

 Thermocycler PTC 100 und 200 Biozym

 Zentrifuge Eppendorf Centrifuge 5804 Eppendorf

 3130 XL Genetic Analyzer Applied Biosystem

 3500 XL Genetic Analyzer Applied Biosystem

(22)

2.3 Methoden

2.3.1 Primer-Design

Um die passenden Primer für die zu validierenden Varianten zu designen, muss zunächst der Bereich der Zielsequenz zum Beispiel beim „UCSC Genome Browser“ oder „Ensembl“ überprüft werden. Dabei wird insbesondere darauf geachtet, dass sich keine Polymorphismen im Bereich der möglichen Primer- Sequenzen befinden, um eine 100%ige Bindung der Primer an die zu vervielfältigende DNA zu gewährleisten. Anschließend wird diese Sequenz z.B. in das Programm OligoExplorer übertragen und dort mithilfe des Programms ein passender Primer herausgesucht. Mithilfe einer „in-silico-PCR“ beim „UCSC Genome Browser“ kann die Spezifität der designten Primer überprüft werden.

Entscheidend dabei ist vor allem, dass durch die sich anlagernden Primer nur ein einziges PCR-Produkt entstehen kann. Wenn dies der Fall ist, können die überprüften Primer z.B. bei der Firma „Eurofins MWG“ bestellt werden.

2.3.2 Polymerase-Kettenreaktion (PCR)

Mithilfe der Polymerase-Kettenreaktion (PCR für engl. „polymerase chain reaction“) ist es möglich, bestimmte DNA-Abschnitte in vitro zu vervielfachen. Um den zu vervielfältigenden Bereich der DNA von beiden Seiten einzugrenzen, benötigt man neben der DNA zudem zwei spezifisch für den DNA-Abschnitt konzipierte Oligonukleotid-Primer. Eine hitzestabile DNA-Polymerase wie z.B. die Taq-Polymerase synthetisiert den festgelegten Syntheseabschnitt mithilfe zugebener Desoxynukleosidtriphosphaten (dNTPs) und eines Polymerase-Puffers entsprechend des DNA-Matrizenstrangs.

Die PCR besteht aus 35 Zyklen, die jeweils aus drei Arbeitsschritten bestehen:

1. Denaturierung:

Um die Wasserstoffbrückenbindungen, die die beiden DNA-Stränge zusammenhalten, zu trennen, wird die Doppelstrang-DNA zunächst auf

95 °C erhitzt.

(23)

2. Primer Annealing:

Nach der Denaturierung lagern sich die Primer an die jeweiligen Startabschnitte der DNA an. Dafür wird eine Primer-spezifische Temperatur benötigt, die u.a. durch die Länge und Basenabfolge der Primer vorgegeben wird. Zumeist liegt die Temperatur zwischen 55 und 65 °C.

3. Elongation:

Anschließend synthetisiert die Taq-Polymerase bei einer Temperatur von 72 °C mithilfe der freien Nukleotide beginnend am 3‘-Ende des angelagerten Primers einen komplementären DNA-Strang zum vorliegenden DNA-Einzelstrang. Durch Wiederholung dieses Zyklus wird die DNA so exponentiell vervielfältigt.

In der vorliegenden Arbeit wurde die Standard-PCR wie folgt durchgeführt:

a) 95 °C für 5 Minuten b) 35 Zyklen:

1. 95 °C für 30 Sekunden

2. x °C für 30 Sekunden (Temperatur abhängig von Primer x = 55-60 °C)

3. 72 °C für 30 Sekunden c) 72 °C für 10 Minuten

d) 4°C Endtemperatur

Tabelle 2.1 PCR-Ansatz für eine Standard-PCR

Substanz Konzentration Volumen (in μl)

Aqua dest. 4,23

dNTPs 1 mM 3,0

Puffer 10x 1,5

Primer F 10 μM 0,6

Primer R 10 μM 0,6

Taq-Polymerase 5 U/μl 0,07

DNA 10 ng/μl 5,0

Gesamt 15,0

(24)

2.3.3 Sequenzierung

Nachdem die DNA in der Standard-PCR vervielfältigt wurde, erfolgt zunächst eine Reinigung der DNA von überschüssigen Bestandteilen wie z.B. nicht gebundenen Primern, Puffer etc. mithilfe einer ExoFast-Behandlung:

1. Schritt: 5 μl PCR-Produkt und 1,5 μl ExoFast-Mix (1 μl FastAP + 0,5 μl Exo I) zusammengeben

2. Schritt: Mastercycler Eppendorf:

a) 37 °C für 15 Minuten b) 85 °C für 15 Minuten c) Lagerung bei 4 °C

Anschließend kann die DNA mithilfe des Kettenabbruchverfahrens nach Sanger sequenziert werden [34]. Während der Sequenzierung wird wiederum der komplementäre DNA-Strang durch die DNA-Polymerase synthetisiert, jedoch werden nun durch zufällige Anlagerung neben den dNTPs auch Didesoxynukleotide (ddNTPs) eingebaut, die zu einem Kettenabbruch führen. Die vier verschiedenen ddNTPs (ddATP, ddGTP, ddCTP, ddTTP) wurden jeweils mit einer spezifischen Fluoreszenzmarkierung versehen, sodass der Kapillarsequenzierer die unterschiedlich langen DNA-Fragmente detektieren und darstellen kann.

Die Sequenzierungs-PCR wurde wie folgt durchgeführt:

a) 96 °C für 1 Minute b) 25 Zyklen:

1. 96 °C für 10 Sekunden 2. 60 °C für 60 Sekunden c) 4 °C Endtemperatur

Tabelle 2.2 PCR-Ansatz für eine Sequenzierungs-PCR Substanz Konzentration Volumen (in μl)

Aqua dest. 5,5

Puffer 5x 1,5

Primer 10 μM 0,5

ExoFast-Produkt 2,0

Terminator-Mix 3.1 20x 0,5

Gesamtansatz 10,0

(25)

Im letzten Schritt werden die neu entstandenen DNA-Abschnitte durch eine Natriumacetat-Fällung und Ethanol als Salze ausgefällt.

1. 10 μl DNA-Produkt mit 50 μl Ethanol (96 %), 10 μl Aqua dest. und 2 μl Natriumacetat mischen

2. 15 Minuten bei Raumtemperatur stehen lassen

3. 45 Minuten bei 3700 Umdrehungen pro Minute (upm) mit der Eppendorf Centrifuge 5804 zentrifugieren (2250 G)

4. Überstand abpipettieren

5. 50 μl Ethanol (70 %) hinzufügen

6. 30 Minuten bei 3700 upm zentrifugieren (2250 G) 7. Überstand abpipettieren

8. Ethanol bei 56 °C 5-10 Minuten verdampfen lassen 9. 15 μl HiDi-Formamid hinzufügen

10. 12-24 Stunden abgedunkelt bei 4 °C stehen lassen

Anschließend werden die DNA-Fragmente durch das Kapillarsequenziergerät (ABI 3130 XL bzw. 3500 XL) in Kombination mit dem Polymer POP7 aufgetrennt und mithilfe des Programmes Mutation Surveyor analysiert.

Nachdem die Sequenzdatei in das Programm geladen wurde, wird sie automatisch mit einer passenden Referenzsequenz verglichen und es können z.B.

hetero- und homozygote Mutationen („single nucleotid variants“ (SNV)), Insertionen oder Deletionen angezeigt werden. Mithilfe des „Ensembl Genome Browsers“, der „dbSNP“ oder des „Exome Variant Servers“ kann überprüft werden, ob es sich um eine bereits beschriebene Variante, z.B. um einen „single nucleotid polymorphism“ (SNP), handelt, und ob diese Variante proteinverändernd ist oder nicht. Falls sie proteinverändernd ist, kann mittels Prädiktionsprogrammen wie z.B.

SIFT, PolyPhen-2 und MutationTaster überprüft werden, inwieweit sich die Variante als potentiell pathogen darstellt.

(26)

2.3.4 Agarose – Gelelektrophorese

Mithilfe des Trennverfahrens der Agarose-Gelelektrophorese ist es möglich, DNA- Fragmente der Länge nach aufzutrennen und durch Zusatz eines Interkalatoren (hier: Midori Green) unter UV-Licht sichtbar zu machen. Innerhalb des angelegten elektrischen Felds wandern die negativ geladenen DNA-Fragmente abhängig von ihrer Länge unterschiedlich weit. Um die Länge anhand der entstehenden Banden abschätzen zu können, wurde auf jedem Gel eine Standard-Basenpaar-Leiter (z.B. 100 bp) mitlaufen gelassen.

Durchführung der Agarose-Gelelektrophorese:

1. Suspendieren von 6 g Agarosepulver in 400 ml 1x TBE-Puffer (1,5%) 2. Aufkochen lassen, bis alles vollständig gelöst ist

3. Zugeben von 20 μl Midori Green (5 μl à 100 ml)

4. Nochmals aufkochen und anschließend etwas abkühlen lassen 5. In vorbereitete Kammern gießen

6. 3 μl PCR-Produkt mit 3 μl Ladepuffer versetzen

7. Proben und Längenstandard in vorgefertigte Geltaschen pipettieren 8. Elektrophorese bei 120 Volt für etwa 30 Minuten in 1x TBE-Puffer

2.3.5 Literaturrecherche

Nach der Validierung der in der Exom-Sequenzierung gefundenen de-novo- Mutation mittels Sanger-Sequenzierung wurde die Funktion des entsprechenden Gens (SCN2A) in „Online Mendelian Inheritance of Men“ (OMIM), einer Datenbank für humane Gene und genetische Defekte, nachgeschlagen. Zusätzlich wurden aus der öffentlich zugänglichen Version der Human Gene Mutation Database (HGMD) bereits zu dem Gen veröffentlichte Varianten herausgesucht. Die HGMD enthielt zum Zeitpunkt der Recherche Varianten, die bis zum Dezember 2009 veröffentlicht wurden. Dabei ergaben sich 16 bislang veröffentlichte Mutationen.

(27)

Nach Durchsicht aller gelisteten Einträge und relevanter Referenzen wurden aktuelle Publikationen zu dem entsprechenden Gen mithilfe des Suchbegriffs

„SCN2A mutation“ bei PubMed aus dem Zeitraum Januar 2010 bis September 2015 gesucht. Eingeschlossen wurden alle Suchergebnisse, die eine neu beschriebene SCN2A-Mutation bzw. eine Erweiterung des bislang für diese Mutation beschriebenen Krankheitsbildes enthielten. Die Ergebnisse wurden in einer Tabelle zusammengefasst (siehe 3.2.6).

(28)

3. Ergebnisse

In diesem Abschnitt werden die Ergebnisse der Exom-Sequenzierung der Familie A, der anschließenden Validierung mittels Sanger-Sequenzierung und der Überprüfung der Variante sowohl in einem gesunden Kontrollkollektiv als auch bei einem ausgewählten Patientenkollektiv dargestellt. Außerdem wurde noch eine umfangreiche Literaturrecherche zu dem von der Mutation betroffenen Gen durchgeführt.

Anschließend werden noch die Ergebnisse bei der Familie B und die alternative Hypothese der möglichen Compound-Heterozygotie vorgestellt.

3.1 Übersicht über Detektion und Validierung von de-novo-Mutationen

Um die genetische Ursache der Kombination aus Epilepsie und Intelligenzminderung bei beiden Patientinnen herauszufinden, wurde bei beiden nicht verwandten Mädchen und ihren gesunden Eltern eine Exom-Sequenzierung in Nijmegen durchgeführt. Die gewonnenen Daten wurden dort nach einem speziellen Algorithmus vorgefiltert [15] und anschließend in Lübeck noch weiter eingegrenzt wie nachfolgend beschrieben. Hierbei wurden bei beiden Patientinnen zunächst ca. 37.000 Varianten detektiert. Diese wurden anschließend mit den Varianten bei den Eltern abgeglichen, da die Mutation bei den Patientinnen laut Hypothese neu aufgetreten sein sollte. Nach anschließender Filterung mit Fokus auf de-novo-Mutationen blieben schließlich noch 13 (Patientin A = L-6985) bzw. 6 (Patientin B = L-6982) potentiell krankheitsverursachende Genmutationen übrig (Tabelle 3.1).

(29)

Tabelle 3.1 Übersicht der Varianten bei Patientin A (L-6985) und Patientin B (L-6982) L-6982 L-6985

Gesamtzahl an Varianten

37.471 36.846 Varianten in Genen 35.079 34.532 Varianten in Exons 16.007 15.823

Nonsense-Varianten 68 63

Missense-Varianten 6.965 6.975

De-novo- Varianten 6 13

Nach der Filterung der Daten folgte die Validierung der Genvarianten anhand des dargestellten Schemas (Abbildung 3.1) zuerst für die Patientin A (L-6985) und anschließend für Patientin B (L-6982). Die einzelnen Arbeitsschritte werden unten für jede Familie einzeln ausführlich beschrieben.

Abbildung 3.1 Algorithmus zur Validierung und Verifizierung der mittels Exom-Sequenzierung gefundenen de-novo-Varianten beispielhaft für Patientin A (L-6985). Bei Patientin B (L-6982) konnte keine Variante bei der Resequenzierung validiert werden.

(30)

3.2 Familie A

3.2.1 Validierung der potentiellen de-novo-Varianten

Nachdem mithilfe des Programms „Oligo Explorer“ Primer für die jeweiligen Genvarianten designt und bestellt worden waren (siehe 2.3.1), wurden die Varianten der Patientin (L-6985) nun mittels PCR amplifiziert und anschließend mit der Sanger-Methode sequenziert, um so die Echtheit der durch die Exom- Sequenzierung gefundenen Mutation zu bestätigen (Tabelle 3.2). Dabei konnten lediglich zwei (ALPK3 und SCN2A) der 13 Genvarianten validiert werden. Die anderen 11 Varianten stellten sich als falsch-positiv heraus. Diese zwei validierten Genvarianten wurden anschließend bei den Eltern ebenfalls sequenziert, wobei allerdings wiederum eine Genvariante (ALPK3) herausfiel, da sie bei einem Elternteil ebenfalls vorhanden war (Abbildung 3.2). So stellte sich lediglich eine de-novo-Mutation im SCN2A-Gen als echt heraus (Abbildung 3.3).

Tabelle 3.2 Validierung der bei der Exom-Sequenzierung detektierten de-novo-Mutationen

Gen OMIM-

Nummer

validierte Mutation

validiert de novo KRT75 *609025 Nein n.a.

SCN2A *182390 Ja Ja AKAP5 *604688 Nein n.a.

ZNF239 *601069 Nein n.a.

PLVAP *607647 Nein n.a.

C20orf20 *611157 Nein n.a.

KIAA1274 *614656 Nein n.a.

LEO1 *610507 Nein n.a.

ALPK3 n.a. Ja Nein

LASS3 *615276 Nein n.a.

SYNGAP1 *603384 Nein n.a.

COPA *601924 Nein n.a.

MPHOSPH10 *605503 Nein n.a.

(31)

Abbildung 3.2 Stammbaum der Patientin und ihrer gesunden Eltern. Das Resultat der Sanger- Sequenzierung wird unterhalb der Stammbaum-Symbole gezeigt. Gefunden wurde eine vererbte Mutation bei der betroffenen Patientin im ALPK3-Gen (c.3534T>C), die ebenfalls bei der nicht betroffenen Mutter auftritt.

Abbildung 3.3 Stammbaum der Patientin und ihrer gesunden Eltern. Das Resultat der Sanger- Sequenzierung wird unterhalb der Stammbaum-Symbole gezeigt. Gefunden wurde eine de-novo- Mutation bei der betroffenen Patientin im SCN2A-Gen (c.5645G>T), die bei beiden Elternteilen nicht auftritt.

(32)

3.2.2 Literaturrecherche zur Funktion des Kandidatengens

Daraufhin wurde die Funktion des SCN2A-Gens in „Online Mendelian Inheritance of Men“ (OMIM), einer Datenbank für humane Gene und genetische Defekte, nachgeschlagen und entsprechende vorher veröffentlichte Artikel bei „PubMed“

herausgesucht. Daraus ergab sich, dass das SCN2A-Gen die Alpha-Untereinheit eines Natrium-Kanals (Nav1.2) bildet, der überwiegend in den Axonen im Gehirn vorkommt. Dieses Gen wurde bereits als Auslöser der benignen familiären infantilen Krampfanfälle (BFIS) und der generalisierten Epilepsie mit Fieberanfällen (GEFS+) beschrieben und steht somit in engem Zusammenhang mit Epilepsie. Außerdem ist das SCN2A-Gen ebenfalls als Ursache des Dravet- Syndroms bekannt [35]. Auch wurde eine nonsense-Mutation im SCN2A-Gen als Auslöser bei einer Patientin mit nicht therapierbarer Epilepsie und Intelligenzminderung in Japan identifiziert [36]. Zudem steht dieses Gen auch im Zusammenhang mit dem Ohtahara-Syndrom, das u.a. auch durch eine epileptische Enzephalopathie gekennzeichnet ist [37].

3.2.3 In-silico-Prädiktion der Pathogenität der Mutation

Die Mutation liegt im Exon 26 des SCN2A-Gens (c.5645G>T), bewirkt einen Aminosäureaustausch von Arginin zu Leucin (R1882L) und ist somit proteinverändernd. Diese Genvariante wurde bislang nicht vorbeschrieben und war in keiner der bekannten Datenbanken als SNP gelistet. Die Mutation liegt innerhalb einer hochkonservierten Region, was für eine wichtige Funktion der Region spricht, da sie bei vielen verschiedenen Spezies identisch ist (Abbildung 3.4).

(33)

Abbildung 3.4 Darstellung der Region, in der die Mutation liegt, mithilfe des Prädiktionsprogramms

„MutationTaster“. In der ersten Zeile wird die ursprüngliche Sequenz gezeigt, darunter die mutierte Sequenz. Die darunter liegenden Sequenzen zeigen die gleiche Region bei unterschiedlichen Spezies (von oben nach unten: Mensch, mutierte Variante, Schimpanse, Rhesusaffe, Maus, Huhn, Kugelfisch und Zebrafisch). Bei allen Spezies, die eine homologe Sequenz tragen, findet sich dieselbe Reihenfolge der Aminosäuren. Dies spricht für eine hohe Konservierung dieser Region und somit für eine schädlichere Auswirkung bei Veränderung der Abfolge.

Somit ist es wahrscheinlich, dass die Variante potentiell krankheitsverursachend ist. Dies deckt sich auch mit den Ergebnissen der drei Prädiktionsprogramme MutationTaster (prediction disease causing 0,99), SIFT (affect protein funktion 0,00) und PolyPhen (probably damaging 0,98) (Abbildung 3.5).

Abbildung 3.5 Vorhersage der Pathogenität der Mutation mithilfe des Prädiktionsprogramms PolyPhen-2

(34)

3.2.4 Verifizierung der Pathogenität der de-novo-Mutation

Im nächsten Schritt wurde die Mutation R1882L im SCN2A-Gen bei einem gesunden Kollektiv mit 500 Kontrollpersonen getestet, ebenfalls mithilfe von PCR und Sanger-Sequenzierung. Dass in keiner der getesteten Kontrollen die oben genannte SCN2A-Mutation nachgewiesen werden konnte, kann als Hinweis auf die Pathogenität der Genvariante gewertet werden.

Da sich bei der Sequenzierung der Kontrollen gezeigt hatte, dass diese Genvariante bisher anscheinend nur bei der betroffenen Patientin vorkommt, wurden bei einem Patientenkollektiv aus der Humangenetik Lübeck alle 26 Exons dieses Gens mithilfe von PCR und Sanger-Sequenzierung auf weitere Mutationen überprüft. Dabei konnten weder die bereits oben erwähnte Variante noch eine weitere neue, nicht vorbeschriebene Mutation im SCN2A-Gen gefunden werden.

Allerdings fanden sich in einigen Exons bereits vorbeschriebene SNPs (Tabelle 3.3).

Da die gesuchte Variante krankheitsverursachend ist, kann davon ausgegangen werden, dass diese Variante in der gesunden Normalpopulation selten vorkommt.

Deswegen wurden alle SNPs mit einer „Minor Allele Frequency“ (MAF) (entspricht der Häufigkeit des zweithäufigsten Allels in einer Bevölkerung) von über 0,01 herausgefiltert und lediglich die Varianten mit einer MAF unterhalb von 0,01 weiter verfolgt. Bei den synonymen Varianten wurde zunächst mithilfe einem Prädiktionsprogramm wie z.B. von dem „Berkeley Drosophila Genome Project“

überprüft, ob sie eventuell in einer „splice-site“-Region liegen und somit doch eine Veränderung des Proteins bewirken könnten. Dies war aber bei beiden Varianten nicht der Fall.

Außerdem wurden 200 Personen aus dem Kontrollkollektiv nochmals auf die jeweiligen Varianten überprüft. Die Variante rs147891446 wurde bei einer von den 200 Kontrollen gefunden (0,5%) und die Variante rs199997352 bei keiner von den 200 Kontrollen (0%). Dennoch erschien die Pathogenität der beiden Varianten eher gering, da synonyme Varianten, die nicht in einer „splice-site“-Region liegen, selten als genetische Krankheitsursache gefunden werden können, auch wenn die genauen Auswirkungen einer synonymen Mutation auf die Proteinfunktion noch nicht vollständig geklärt werden konnten [38].

(35)

Tabelle 3.3 Übersicht über die in den unterschiedlichen Exons gefundenen SNPs mit dem entsprechenden Aminosäure-Austausch, der MAF, der Häufigkeit im getesteten Patientenkollektiv, der Interpretation und anschließender Weiterverfolgung inklusive Überprüfung der Varianten im Kontrollkollektiv.

Exon SNP Aminosäure-

Austausch MAF

Häufigkeit Patienten- kollektiv

Interpretation (siehe auch Tab. 3.4)

Weiter- verfolgt

1 rs17183814 R19K 0,07 0,166 Benigne Nein

3 rs2304015 Intron 0,03 0,019 Benigne Nein

9 rs184769423 E459A < 0,01 0,019 Eher benigne Ja 12 rs147891446 Synonym < 0,01 0,037 Nicht in splice

site, benigne Nein 15

rs2228980 (bei 2

Patienten)

K908R < 0,01 0,037 Eher benigne Ja 16 rs199997352 Synonym < 0,01 0,019 Nicht in splice

site, benigne Nein

26 rs2060198 Synonym 0,25 0,370 Benigne Nein

Anschließend wurde die Variante in Exon 9 rs184769423 bei 500 Kontrollen überprüft und bei keiner der Kontrollen gefunden (0%). Allerdings stellte sich nach Überprüfung der elterlichen DNA heraus, dass die Mutation auch beim gesunden Vater zu finden war. Von den drei Prädiktionsprogrammen beurteilte MutationTaster die Variante als wahrscheinlich krankheitsverursachend, die anderen beiden stuften sie hingegen eher als nicht schädigend ein (Tabelle 3.4).

Die Mutation rs2228980 in Exon 15 war sogar bei zwei Patienten im Patientenkollektiv zu finden (3,7%), jedoch nur bei vier der 500 Kontrollen (0,8%).

Bei einem Patienten war die Variante von der gesunden Mutter vererbt worden, bei dem anderen Patienten konnte dieselbe Variante auch bei einem ähnlich betroffen Bruder nachgewiesen werden.

Das Prädiktionsprogramm PolyPhen-2 beurteilte die Mutation als sehr wahrscheinlich pathogen, die anderen beiden Programme ordneten die Variante als tolerierbaren Polymorphismus ein (Tabelle 3.4).

(36)

Tabelle 3.4 Übersicht über die detektierten Mutationen mit Vorhersage der Pathogenität durch verschiedene Prädiktionsprogramme, Angabe de r rs-Nummer der SNPs und der MAF mit Zusammenfassung der Familienanamnese und des klinischen Phänotyps.

L-Nr. L-6985 L-7689 L-7710 L-7726

Phänotyp

Therapieresistente, epileptische Enzephalopathie, Mikrozephalie, Optikusatrophie, muskuläre Hypotonie

Therapieresistente, tonisch- myoklonische Anfälle, Dystonie, keine entwickelte Sprache, kein freies Laufen möglich

Nicht therapieresistente, tonische Anfälle, Dystonie, keine entwickelte Sprache, kein freies Laufen möglich

Tonisch-myoklonische Anfälle, keine entwickelte Sprache, kein freies Laufen möglich

Exon 26 9 15 15

rs-Nr. (SNP) n.a. (nicht vorbeschriebene

Variante) 184769423 2228980 2228980

Basenaustausch c.5645 G>T c.1376 A>C c.2723 A>G c.2723 A>G

Aminosäure-

Austausch Arg1882Leu Glu459Ala Lys908Arg Lys908Arg

MAF n.a. (nicht vorbeschriebene

Variante) <0,01 <0,01 <0,01

MutationTaster prediction disease causing 0,99 prediction disease causing 0,96 prediction polymorphism 0,56 prediction polymorphism 0,56 SIFT affect protein function 0,00 tolerated 0,28 tolerated 0,13 tolerated 0,13

PolyPhen-2 probably damaging 0,98 benign 0,012 probably damaging 0,99 probably damaging 0,99

Kontrollkollektiv 0/500 0/500 4/500 (0,8%) 4/500 (0,8%)

Familienanamnese De novo aufgetretene Mutation Vorkommen auch bei gesunden Vater

Vorkommen auch bei gesunder Mutter

Vorkommen auch beim ähnlich betroffenen Bruder

(37)

3.2.5 Alternative Gene als Ursache des schwerwiegenden Phänotyps

Aufgrund des schwerwiegenden klinischen Phänotyps wurde einerseits die Überlegung angestellt, dass eventuell weitere Genmutationen für Teile des Krankheitsbildes wie z.B. die Optikusatrophie oder die Temperaturregulations- probleme verantwortlich sein könnten. Andererseits wären diese Beeinträchtigungen auch durch die ausgeprägten Epilepsieanfälle in der Neugeborenenphase mit der sich anschließenden Reanimation zu erklären. Um eine weitere genetische Ursache auszuschließen, wurde in den Datenbanken nach typischen Kandidatengenen (siehe 8.5) für schwerwiegende Epilepsie, Optikusatrophie und Temperaturanpassungsstörungen gesucht und anschließend mit den Exomdaten der Patientin abgeglichen. Dabei konnten allerdings keine Übereinstimmungen gefunden werden.

Anschließend wurden die Exomdaten der Patientin nochmals in Hinblick auf Mutationen überprüft, die im Zusammenhang mit den oben genannten Krankheitsphänomenen stehen könnten (Tabelle 3.5). Diese wurden dann wiederum mittels PCR und Sanger-Sequenzierung auf Echtheit überprüft. Dabei ließ sich allerdings keine der in der Exom-Sequenzierung detektierten Mutationen bestätigen.

3.2.6 Literaturrecherche SCN2A

Nachdem eine weitere Genmutation als Ursache für den schwerwiegenden klinischen Phänotyp eher unwahrscheinlich schien, wurde eine umfassende Literaturrecherche von allen bereits beschriebenen SCN2A-Mutationen und ihrem hervorgerufenen klinischen Bild durchgeführt.

Die Literaturrecherche ergab zum Zeitpunkt der Recherche (Stand September 2015) 16 missense-SCN2A-Mutationen, die in HGMD gelistet waren, und zusätzlich 42 Mutationen in PubMed. Die meisten der Mutationen wurden bei Patienten mit Epilepsie beschrieben. Dabei zeigten sich SCN2A-Mutationen bei 16 Familien mit einer benignen Form der Epilepsie und bei 34 Patienten mit einem schwerwiegenderen Phänotyp.

(38)

Während fast alle Varianten, die einen benignen Verlauf der Epilepsie verursachen, als vererbt beschrieben worden waren (94%), trat der Großteil der Mutationen, die für eine schwere Form der Epilepsie verantwortlich ist, de novo auf (71%, keine Information von fünf Patienten). Insgesamt 35 Patienten präsentierten sich mit einer Intelligenzminderung, bei fünf von ihnen waren keine epileptischen Anfälle beschrieben. Außerdem hatten weitere acht Patienten Autismus, von denen drei auch schwere epileptische Anfälle zeigten (Tabelle 3.6).

Tabelle 3.5 Übersicht über weitere plausible Gene zur möglichen Erklärung des schwerwiegenden Krankheitsbildes mit Angabe der OMIM-Nummer sowie der bislang bekannten Funktion. Keine Mutation innerhalb dieser Gene konnte bestätigt werden.

Gen OMIM-

Nummer Funktion Krankheitsbild (Auswahl)

HTR2C *312861

Serotonin-5-HT-Rezeptor, G-Protein-gekoppelte Signaltransduktion

Sporadische epileptische Anfälle, abnormale Körpertemperatur RARG *180190

Retinsäure-Rezeptor-

Signaltransduktion, embryonale Morphogenese der Augen

Abnormale Augenentwicklung

SCN1A *182389

Alpha1-Untereinheit im

Natrium-Kanal, Ionentransport, Regulation von

Aktionspotentialen in Neuronen

Epilepsie, generalisierte Fieberkrämpfe, Dravet- Syndrom

SMOC1 *608488 Calcium-bindendes Protein Augenentwicklungsstörung, Fehlen des N. opticus STAT3 *102582 Temperaturhomöostase, Akute-

Phase-Antwort

Abnormale Immunantwort auf Infektionen

TFAM *600438

Mitochondrialer Transkriptionsfaktor, Transkriptionsregulation

Fehlen des N. opticus

TNFRSF1A *191190

Tumor-Nekrose-Faktor, Bakterienabwehr, Regulation der Immunantwort

Gestörte Physiologie des Immunsystems, verminderte Immunantwort gegenüber Bakterien, veränderte Körpertemperatur

Referenzen

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