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Verweis an einen Lehrer wegen Anwendung von Gewalt

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Academic year: 2022

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VG München, Urteil v. 13.10.2017 – M 19L DB 16.5746 Titel:

Verweis an einen Lehrer wegen Anwendung von Gewalt Normenketten:

BayDG Art. 7, Art. 9 StGB § 340

BayEUG Art. 86 Abs. 3 Nr. 1

BeamtStG § 33 Abs. 1 S. 3, § 34 S. 3 Leitsätze:

1. Für die Gewaltanwendung eines Lehrers gegen Schüler gibt es keine in der Rechtsprechung

herausgearbeitete Regeleinstufung, weil die Variationsbreite möglicher Verfehlungen zu groß ist. Bei einem einmalig und kurzzeitig Übergriff ohne Folgen kann eine Kürzung der Dienstbezüge die zulässige

Disziplinarmaßnahme sein. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)

2. Von einer Bezügekürzung kann bei einer Vielzahl der Milderungsgründen zugunsten eines Verweises abgesehen werden. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)

Schlagworte:

Klage gegen Disziplinarverfügung, Körperliche Gewalt durch Lehrer, Wegen Vielzahl von

Milderungsgründen, Abänderung der Disziplinarmaßnahme von Bezügekürzung in Verweis, innerdienstliche Körperverletzung, persönlichkeitsfremde Augenblickstat

Fundstelle:

BeckRS 2017, 162456  

Tenor

I. Die Disziplinarverfügung der Landeshauptstadt München vom 24. November 2016 wird insoweit aufgehoben, als darin eine Kürzung der Dienstbezüge in Höhe von 1/10 für die Dauer von zwei Jahren verhängt wird. Gegen den Kläger wird ein Verweis ausgesprochen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens zu 1/3, die Beklagte zu 2/3.

Tatbestand 1

Der Kläger wendet sich gegen eine Disziplinarverfügung, mit der gegen ihn eine Kürzung der Dienstbezüge ausgesprochen wird.

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1. Der Kläger wurde mit Wirkung vom 15. September 2008 in das Beamtenverhältnis auf Probe berufen und zum … z.A. ernannt. Mit Wirkung vom 1. April 2009 wurde er zum … (A 13) ernannt. Mit Wirkung vom 6.

März 2010 erfolgte die Berufung in das … auf … Seit 1. August 2013 ist er an der … … … tätig und unterrichtet die Fächer Deutsch und Kunst.

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In der Probezeitbeurteilung vom 19. Mai 2010, der periodischen Beurteilung vom 29. Dezember 2014 und dem Beurteilungsbeitrag der ehemaligen Schulleiterin der … … … vom 19. Februar 2016 erhielt er das dritte von insgesamt fünf Gesamturteilen („erfüllt die Anforderungen in vollem Umfang“). In dem Beurteilungsbeitrag wird ihm außerdem bescheinigt, dass er sehr bemüht sei, Krisensituationen zu

vermeiden bzw. konstruktiv zu bearbeiten, und auch bei Disziplinverstößen um besonnenes, pädagogisches und angemessenes Verhalten bemüht sei.

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Der Kläger ist geschieden und hat keine Kinder. Er ist straf- und disziplinarrechtlich nicht vorbelastet.

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teilen sich einen Pausenhof, so dass die Lehrkräfte während der Pausenaufsicht Schüler aller drei Schulen beaufsichtigen.

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Am 9. Oktober 2014 hatte der Kläger von 9:30 bis 9:50 Uhr Pausenaufsicht an den Eingangstüren West, wo sich der Musikraum befindet. Dort warteten Schüler der Klassen 6b und 10b des Städtischen … Die Schüler der Klasse 6b fielen dem Kläger auf, weil sie sehr unruhig waren. Er forderte sie auf, ruhiger zu sein, was nicht geschah. Ein Schüler, A … G …, hielt einen anderen Schüler, N … K*…, am Nacken und führte ihn nach unten gedrückt durch die Pausenhalle. Für die Schüler war dies nur ein lustiges Spiel, der Kläger hatte aber den Eindruck, zum Schutz des letztgenannten Schülers eingreifen zu müssen, und tat dies auch unter lautstarker Zurechtweisung und Anwendung körperlicher Gewalt gegen den Schüler A … G … Der Schüler meldete den Vorfall unmittelbar danach im Sekretariat des Städtischen … Gegenüber der dort anwesenden Mitarbeiterin, Frau S …, äußerte er, ein Lehrer habe ihn gewürgt und geschubst. Anhand von Lehrerfotos identifizierte er später den Kläger.

7

Der stellvertretende Schulleiter der … … …, Herr B …, befragte noch am selben Tag die Schüler A … G … und N … K … sowie auch den Kläger zu dem Vorfall. Am 10. Oktober 2014 folgte ein Gespräch, an dem neben Herrn B … auch die Schulleiterin der … … …, Frau G …, der Kläger sowie der Schüler A … G … und dessen Mutter teilnahmen. Zudem äußerte sich der Kläger mit undatierter handschriftlicher

Stellungnahme (Disziplinarakte = DA Bl. 4) zu dem Vorfall. Am 17. Oktober 2014 setzte Herr B … das Personalund Organisationsreferat der Beklagten von dem Geschehen telefonisch in Kenntnis. Mit

Aktenvermerk vom 20. Oktober 2014 schilderte Frau G … den Vorfall vom 9. Oktober 2014 und den Inhalt des Gesprächs vom 10. Oktober 2014. Am 24. Oktober 2014 ließ sich die zuständige Mitarbeiterin des Personal- und Organisationsreferats den Vorfall von Frau S … aus deren Sicht berichten.

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3. Mit Verfügung vom 10. November 2014 leitete die Beklagte - Personalund Organisationsreferat - wegen des Vorfalls vom 9. Oktober 2014 ein Disziplinarverfahren gegen den Kläger ein. Mit Schreiben vom selben Tag setzte es ihn hiervon in Kenntnis und gab ihm Gelegenheit zur Äußerung. Diese nahm er mit Schreiben vom 19. November 2014 wahr. Im Disziplinarverfahren vernahm die Beklagte die Schüler J … H …, M … E

…, beide Klasse 10b, N … K …, E … H … und J … W …, alle drei Klasse 6b, als Zeugen. Mit Schreiben vom 27. April 2015 führte sie die abschließende Anhörung des Klägers zu der beabsichtigten

Disziplinarmaßnahme, einer Kürzung seiner Dienstbezüge, durch. Dessen Bevollmächtigte bestellten sich mit Schriftsatz vom 13. Mai 2015 und äußerten sich mit Schriftsatz vom 10. Juli 2015. Sie beantragten insbesondere, noch den Musiklehrer der 6. Klasse, Herrn W …, und weitere Schüler der Klasse 10b, D … B

… und M … H …, zu hören. Der Musiklehrer äußerte sich mit Schreiben vom 22. Juli 2015, der Schüler M

… H … mit E-Mail vom 26. Juli 2015. Mit Schreiben vom 21. März 2016 hörte die Beklagte die

Bevollmächtigten des Klägers erneut abschließend an. Diese äußerten sich mit Schriftsatz vom 23. Mai 2016 und beantragten insbesondere, auch den Schüler J … S … der Klasse 10b anzuhören. Dieser äußerte sich letztlich mit E-Mail vom 21. Juli 2016. Mit Schreiben vom 14. September 2016 übersandte die Beklagte den Bevollmächtigten den letzten Entwurf der Disziplinarverfügung und gab ihnen erneut Gelegenheit zur Äußerung. Diese nahmen sie mit Schriftsatz vom 25. Oktober 2016 wahr und sprachen sich gegen die geplante Disziplinarmaßnahme aus. Der im Verfahren beteiligte Gesamtpersonalrat erhob mit Schreiben vom 5. Oktober und 16. November 2016 keine Einwände gegen die geplante Disziplinarmaßnahme, sah sie aber als falsches Signal in der Kollegenschaft an.

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4. Mit Disziplinarverfügung vom 24. November 2016 sprach die Beklagte gegen den Kläger als

Disziplinarmaßnahme eine Kürzung der Dienstbezüge in Höhe von 1/10 für die Dauer von zwei Jahren aus.

Den vorgeworfenen Sachverhalt schilderte sie darin wie folgt:

„Der Beamte packte A … erst an den Schultern und schüttelte ihn. Dann packte er ihn mit beiden Händen seitlich am Hals, wodurch A … sich gewürgt fühlte und deswegen nach Luft schnappte. Anschließend ließ der Beamte A … los, wobei A … nach hinten stolperte und mit dem Kopf gegen die Tür des Musiksaals hinter sich stieß. A … bekam Angst und weinte. Der Beamte schrie A … daraufhin an. A … erlitt kurzfristig rote Abdrücke am Hals und war nach dem Vorfall sehr geschockt.“

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Die Stellungnahme des Klägers, der bestritten habe, dass er A … gewürgt und geschlagen habe und dieser gegen die Tür des Musiksaals gestoßen sei, sei dagegen - bei detaillierter Auswertung sämtlicher

Zeugenaussagen - nicht glaubhaft. Zugunsten des Klägers werde davon ausgegangen, dass er A … nicht auf den Kopf geschlagen und ihn auch nicht vorsätzlich an die Wand geschubst habe, weiter dass es nicht zu einer Beule gekommen sei. Erwiesen sei allerdings, dass A … beim Loslassen gegen die Wand gestoßen sei. Hinreichend erwiesen sei auch, dass der Kläger A … am Hals gepackt und sich dieser dadurch gewürgt gefühlt habe. Mit seinem Verhalten habe der Kläger gegen das Züchtigungsverbot verstoßen und dadurch seine Kernpflicht als Lehrkraft in schwerwiegender Weise verletzt. Er habe eine innerdienstliche Körperverletzung im Amt (§ 340 Strafgesetzbuch - StGB) begangen und dadurch seine Pflicht zu gesetzmäßigem sowie zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten verletzt. Solche Verstöße seien als schwerwiegend anzusehen. Jedoch gebe es hierfür keine Regeleinstufung, weil die

Variationsbreite der Schwere der in Betracht kommenden Verfehlungen zu groß sei. Aufgrund der

Reaktionen des betroffenen Schülers und der anderen Schüler, die allesamt geschockt gewesen seien, und der Gefahr einer schweren Verletzung beim Packen am Hals liege ein gravierendes Fehlverhalten vor, das eine Disziplinarmaßnahme im oberen Bereich erfordere. Zugunsten des Klägers werde berücksichtigt, dass er unter Stress und vermeintlich zum Schutz eines anderen Schülers gehandelt, sich bei dem Schüler und seiner Mutter entschuldigt habe und keine schwerwiegenden Folgen eingetreten seien. Außerdem werde zu seinen Gunsten berücksichtigt, dass keine weitere Pausenaufsicht anwesend gewesen, er zuvor nicht dienstaufsichtlich in Erscheinung getreten und bisher als sehr netter und empfindsamer Lehrer wahrgenommen worden sei. Weiter spreche für ihn, dass ein wesensfremdes situationsbedingtes einmaliges Versagen vorliege, die Situation ihn äußerst belastet habe und er an einer Supervision sowie themenbezogenen Fortbildungen teilgenommen habe. Zuletzt sei die lange Dauer des Disziplinarverfahrens für ihn zu berücksichtigen. Der Kürzungsbruchteil betrage für einen Beamten in der 4. Qualifikationsebene 1/10. Als angemessen werde eine Dauer von zwei Jahren erachtet. Der Gesamtpersonalrat sei zweimal beteiligt worden und habe keine Einwände erhoben.

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5. Am 20. Dezember 2016 ließ der Kläger durch seine Bevollmächtigten Klage zum Verwaltungsgericht München erheben mit dem Antrag,

die Disziplinarverfügung der Beklagten vom 24. November 2016 aufzuheben.

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Zur Begründung wurde vorgetragen, entgegen den üblichen Regelungen zur Pausenaufsicht sei er alleine im Einsatz gewesen, was zu einer besonderen Belastungssituation geführt habe. Er habe davon ausgehen müssen, dass ein erheblicher körperlicher Angriff eines Schülers auf einen anderen vorliege. Er habe den angreifenden Schüler von hinten mit beiden Händen an den Schultern genommen, ihn von seinem Mitschüler getrennt, kurz festgehalten und gerüttelt, wodurch dieser offensichtlich heftig erschrocken sei.

Anschließend habe er ihn wieder losgelassen und lautstark zurechtgewiesen. Dieser Vorfall habe sich 2 m entfernt von der Tür des Musiksaals ereignet. Die Zeugenbefragung habe erst circa eineinhalb Monate nach dem Vorfall stattgefunden; weitere Zeugen seien noch später angehört worden. Die Disziplinarverfügung sei rechtswidrig, weil sie von einem fehlerhaft und unvollständig ermittelten Sachverhalt ausgehe. Die von Seiten der Schüler der 6. Klasse erhobenen Zeugenaussagen seien aufgrund des langen Zeitablaufs, zwischenzeitlich zahlreich untereinander und mit Eltern geführter Gespräche und der sich daraus ergebenden erheblichen Unschärfen wenig aussagekräftig und nicht zum Beweis der Vorwürfe geeignet.

Aufgrund der Entfernung von 2 m habe der Schüler nicht gegen die Tür des Musiksaals stoßen können.

Unter Berücksichtigung des vom Kläger vorgetragenen Sachverhalts liege kein erhebliches vorwerfbares Dienstvergehen vor. Er sei berechtigt gewesen, den gefährlichen Angriff eines Schülers auf einen anderen durch das beschriebene Einschreiten zu beenden. Er habe keine Züchtigungsabsicht gehabt. Allenfalls liege eine Überreaktion vor. Ausreichend und angemessen wäre allenfalls die Verhängung einer wesentlich milderen Disziplinarmaßnahme, so eines Verweises, gewesen.

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Die Beklagte beantragte, die Klage abzuweisen.

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Gerichtsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe 15

Die Klage hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Die Disziplinarverfügung der Beklagten vom 24. November 2016 ist insoweit rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (Art. 3

Bayerisches Disziplinargesetz - BayDG - i.V.m. § 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO), als sie eine Bezügekürzung (Art. 9 BayDG) i.H.v. 1/10 für die Dauer von zwei Jahren festsetzt. Als

angemessene Disziplinarmaßnahme ist lediglich ein Verweis (Art. 7 BayDG) auszusprechen.

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Nach Art. 58 Abs. 3 BayDG prüft das Gericht bei einer Klage gegen eine Disziplinarverfügung neben der Rechtmäßigkeit auch die Zweckmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung. Das Gericht ist demnach nicht auf die Prüfung beschränkt, ob der dem Kläger mit der Disziplinarverfügung zum Vorwurf gemachte Lebenssachverhalt tatsächlich vorliegt und disziplinarrechtlich als Dienstvergehen zu würdigen ist, sondern hat - bejahendenfalls - unter Beachtung des Verschlechterungsverbots auch darüber zu entscheiden, welches die angemessene Disziplinarmaßnahme ist. Anders als sonst bei einer Anfechtungsklage ist das Gericht nicht nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO darauf beschränkt, eine rechtswidrige Verfügung aufzuheben;

es trifft vielmehr in Anwendung der in Art. 14 Abs. 1 BayDG niedergelegten Grundsätze innerhalb der durch die Verfügung vorgegebenen Disziplinarmaßnahmenobergrenze eine eigene „Ermessensentscheidung“

(BVerwG, U.v. 15.12.2005 - 2 A 4.04 - juris Ls. 2 und Rn. 23).

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1. Das Disziplinarverfahren weist in formeller Hinsicht keine Mängel auf. Dass zwischen der vorgeworfenen Tat und der Befragung der Zeugen einige Zeit vergeht, liegt in der Natur des Disziplinarverfahrens und stellt keinen Verfahrensmangel dar.

18

2. Das Gericht legt seiner Entscheidung den Sachverhalt zugrunde, den die Beklagte in der streitgegenständlichen Disziplinarverfügung dargestellt hat.

19

Es geht demnach davon aus, dass der Kläger bei der Pausenaufsicht am 9. Oktober 2014 den Schüler A … G …, der trotz seiner Zurechtweisung das gerügte Verhalten nicht eingestellt hatte, zuerst an den Schultern packte und schüttelte. Dann packte er ihn mit beiden Händen seitlich am Hals, wodurch A … sich gewürgt fühlte und kurzzeitig rote Abdrücke am Hals erlitt. Anschließend ließ er ihn los, wobei A … nach hinten stolperte, mit dem Kopf gegen die Tür des Musiksaals stieß und weinte. Der Kläger schrie A … daraufhin an.

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Dieser Sachverhalt steht anhand der im Disziplinarverfahren eingeholten Zeugenaussagen zur Überzeugungsgewissheit des Gerichts fest. Die für die Überzeugungsbildung des Gerichts notwendige Gewissheit erfordert dabei ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, demgegenüber vernünftige Zweifel nicht mehr aufkommen, wobei die bloße Möglichkeit eines anderen, gegebenenfalls auch gegenteiligen Geschehensablaufs die erforderliche Gewissheit nicht ausschließt (BayVGH, U.v.

18.1.2017 - 16a D 14.2483 - juris Rn. 57). Diese Überzeugungsgewissheit gründet das Gericht auf folgende Umstände und Aussagen: A … hat bereits kurze Zeit nach dem Vorfall gegenüber dem stellvertretenden Schulleiter der … … …, Herrn B …, von „Würgen“ und einem „Stoß an die Wand“ (Disziplinarakte = DA Bl.

3) gesprochen. Auch gegenüber Frau S … hat er berichtet, dass ein Lehrer „ihn gewürgt und geschubst“

habe (DA Bl. 19). Zudem hat er auch dem Musiklehrer, Herrn W …, weinend erzählt, „dass er von einem Lehrer einer anderen Schule gewürgt“ worden sei (DA Bl. 269). In Übereinstimmung mit diesen

Schilderungen sagte der Zeuge N … K … aus (DA Bl. 115 ff.), der Lehrer habe A … gewürgt und seitlich an den Kopf geschlagen, so dass dieser mit dem Kopf gegen die Wand oder Tür geknallt sei. Auch die Zeugin E … H … gab an (DA Bl. 131 ff.), an A … Hals habe man die Abdrücke von den Händen des Lehrers gesehen. Diese seien sehr rot und „hier so am Hals“ gewesen. Weiter sagte der Zeuge J … W … aus (DA Bl. 142 ff.), der Kläger habe A … erst an den Schultern, dann seitlich am Hals gepackt und ihn mit dem Kopf gegen die Tür gestoßen. Danach habe A … geweint. Sein Hals sei „danach auch richtig rot“ gewesen.

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21

Das Gericht hält diese Aussagen für glaubhaft, weil sie im Wesentlichen übereinstimmen und von den Zeugen teilweise in sehr emotionalem Zustand vorgebracht wurden. A … schilderte den Vorfall weinend Frau S …; er und seine Klassenkameraden erzählten ihn ebenfalls sehr aufgebracht Herrn W … Die genannten Zeugenaussagen schildern zwar teilweise ein Verhalten, das über das dem Kläger letztlich angelastete hinausgeht. In ihrer Gesamtheit tragen sie aber jedenfalls den ihm vorgeworfenen Sachverhalt.

22

Das Gericht geht demgegenüber nicht davon aus, dass die Sachverhaltsschilderung des Klägers zutrifft.

Dieser trägt vor, er habe A … lediglich an den Schultern angefasst, nicht aber am Hals. A … habe keine Würgemale gezeigt. Er habe auch die Tür des Musiksaals weder infolge eines Stoßes noch sonstwie berührt. Diese Darstellung widerspricht den Aussagen der genannten Zeugen. Dem Kläger ist zwar zuzugestehen, dass auch der Zeuge M … H … ausführt, der Kläger habe einen Jungen an den Schultern gepackt und ihn leicht geschüttelt. Handgreiflichkeiten wie Würgen oder einen Stoß gegen eine Wand habe er ebenso wenig feststellen können wie rote Flecken am Hals des Schülers. Das Gericht misst dieser einen Zeugenaussage jedoch weniger Gewicht bei als der Mehrzahl der im Wesentlichen gleichlautenden Zeugenaussagen. Überdies hat der Zeuge M … H … selbst darauf hingewiesen, dass er lediglich eine

„grobe Schilderung“ abgeben könne, „da der Vorfall schon lange zurückliegt und ich mich an Details nicht mehr erinnern kann“.

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3. Durch das dargestellte Verhalten hat der Kläger innerdienstlich ein Dienstvergehen begangen, weil er schuldhaft die ihm obliegenden Pflichten verletzt hat.

24

Der Kläger hat durch sein Verhalten jedenfalls die Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten (§ 34 Satz 3 Beamtenstatusgesetz - BeamtStG) verletzt. Ob daneben auch ein Verstoß gegen ein

Strafgesetz vorliegt und dem Kläger eine Körperverletzung im Amt (§ 340 StGB i.V.m. § 33 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG) vorzuwerfen ist, lässt das Gericht wegen der nicht abschließend geklärten körperlichen Beeinträchtigung des betroffenen Schülers offen. Für den Tatbestand der Körperverletzung (§ 340 Abs. 1 Satz 1 StGB i.V.m. § 223 Abs. 1 StGB) reicht eine nur unerhebliche Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens oder der körperlichen Unversehrtheit nicht aus (Fischer, StGB, 60. Aufl. 2013, § 223 Rn. 6 und 7). Anhand der getroffenen tatsächlichen Feststellungen ist offen, ob die körperliche Beeinträchtigung die erforderliche Erheblichkeitsschwelle übersteigt. Einen Verstoß gegen das Züchtigungsverbot des Art. 86 Abs. 3 Nr. 1 Bayerisches Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (BayEUG) sieht das Gericht in dem Verhalten des Klägers nicht, weil er gegenüber dem Schüler nicht in Züchtigungsabsicht handelte, ein körperliches Übel also nicht zur Bestrafung anwandte, sondern nach seinem glaubhaften und

nachvollziehbaren Bekunden in einer Überreaktion agierte. Durch sein Verhalten hat der Kläger aber jedenfalls eine Form von Gewalt gegenüber einem Schüler ausgeübt, zu der er nicht berechtigt war. Die zulässigen Ordnungsmaßnahmen sind in Art. 86 Abs. 2 BayEUG abschließend dargestellt und beinhalten nicht die Anwendung von körperlicher Gewalt oder körperlichem Zwang. Von einem Lehrer wird erwartet, dass er die körperliche Unversehrtheit der ihm anvertrauten Schüler achtet und ein Vorbild dahingehend ist, dass Gewalt kein adäquates Mittel zur Lösung eines Problems und Selbstbeherrschung auch unter widrigen Umständen zu wahren ist. Das Lösen von Konfliktsituationen während der Unterrichtszeit durch körperliche Übergriffe ist mit dem Bildungsauftrag der Schule unvereinbar (vgl. BayVGH, B.v. 20.7.2012 - 16a DS 10.2569 - juris Rn. 46).

25

Das Fehlverhalten des Klägers stellt sich als innerdienstliches dar. Es war in das Amt und die dienstlichen Pflichten des Beamten eingebunden (BVerwG, B.v. 5.7.2016 - 2 B 24.16 - juris Rn. 14).

26

Dem Kläger ist bei der Gewaltanwendung gegen den betroffenen Schüler vorsätzliches Handeln zur Last zu legen. Er handelte mit Wissen und Wollen.

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4. Das Dienstvergehen liegt im mittelschweren Bereich. Vorliegend erscheint daher eine Disziplinarmaßnahme bis zur Kürzung der Dienstbezüge (Art. 9 BayDG) zulässig.

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Nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 BayDG ist die Entscheidung über die Disziplinarmaßnahme nach der Schwere des Dienstvergehens, der Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit, dem Persönlichkeitsbild des Beamten und dem bisherigen dienstlichen Verhalten zu treffen. Das Gewicht der Pflichtverletzung ist danach Ausgangspunkt und richtungsweisendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme. Dies beruht auf dem Schuldprinzip und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, die auch im Disziplinarverfahren Anwendung finden. Die gegen den Beamten ausgesprochene Disziplinarmaßnahme muss unter Berücksichtigung aller be- und entlastenden Umstände des Einzelfalls in einem gerechten Verhältnis zur Schwere des Dienstvergehens und zum Verschulden des Beamten stehen (BVerwG, U.v. 10.12.2015 - 2 C 6.14 - juris Rn. 12; U.v. 18.6.2015 - 2 C 9.14 - juris Rn. 25; BayVGH, U.v. 5.10.2016 - 16a D 14.2285 - juris Rn. 55). Gegenstand der

disziplinarrechtlichen Bewertung ist die Frage, welche Disziplinarmaßnahme in Ansehung der Persönlichkeit des Beamten geboten ist, um die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes und die Integrität des

Berufsbeamtentums möglichst ungeschmälert aufrecht zu erhalten (BayVGH, U.v. 29.6.2016 - 16b D 13.993 - juris Rn. 36).

29

Maßgebendes Kriterium für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme ist die Schwere des

Dienstvergehens. Sie ist richtungsweisend für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme. Die Schwere des Dienstvergehens beurteilt sich zum einen nach Eigenart und Bedeutung der verletzten

Dienstpflichten, Dauer und Häufigkeit der Pflichtverstöße und den Umständen der Tatbegehung (objektive Handlungsmerkmale), zum anderen nach Form und Gewicht des Verschuldens und den Beweggründen des Beamten für sein pflichtwidriges Verhalten (subjektive Handlungsmerkmale) sowie nach den unmittelbaren Folgen für den dienstlichen Bereich und für Dritte, insbesondere nach den Höhe des entstandenen Schadens (vgl. BayVGH, U.v. 25.10.2016 - 16b D 14.2351 - juris Rn. 73).

30

Für eine Gewaltanwendung im Amt gegen Schüler gibt es keine in der disziplinarrechtlichen

Rechtsprechung herausgearbeitete Regeleinstufung, weil die Variationsbreite der jeweiligen Schwere der unter diesem Gesichtspunkt in Betracht kommenden Verfehlungen zu groß ist (BayVGH, B.v. 20.7.2012 - 16a DS 10.2569 - juris Rn. 50). Im vorliegenden Fall ist zu beachten, dass zwar ein Verstoß gegen die Kernpflichten des Beamten vorliegt, dieser aber lediglich einmalig und kurzzeitig war und ohne ersichtliche Folgen für den betroffenen Schüler blieb. Das Gericht erachtet damit eine Kürzung der Dienstbezüge als zulässige Disziplinarmaßnahme. Die Kürzung ist nach Art. 9 Abs. 1 Satz 1 BayDG um höchstens ein Fünftel auf längstens drei Jahre zulässig.

31

5. Von einer Bezügekürzung war hier jedoch wegen der Vielzahl der vorliegenden Milderungsgründe zugunsten eines Verweises abzusehen.

32

Von einer Disziplinarmaßnahme ist gegebenenfalls zugunsten einer weniger strengen Disziplinarmaßnahme abzusehen, wenn ein - ursprünglich zu den Zugriffsdelikten entwickelter - sogenannter „anerkannter

Milderungsgrund“ vorliegt. Ein solcher erfasst typisierend Beweggründe oder Verhaltensweisen des Beamten, die regelmäßig Anlass für eine noch positive Persönlichkeitsprognose geben. Die anerkannten Milderungsgründe stellen jedoch keinen abschließenden Kanon der bei Dienstvergehen

berücksichtigungsfähigen Entlastungsgründe dar. Zu berücksichtigen sind vielmehr alle für die Entscheidung bedeutsamen belastenden und entlastenden Ermessensgesichtspunkte, die in eine Gesamtwürdigung einzubeziehen sind. Selbst wenn keiner der vorrangig zu prüfenden anerkannten

Milderungsgründe vorliegt, können entlastende Umstände gegeben sein, deren Gewicht in ihrer Gesamtheit dem Gewicht anerkannter Milderungsgründe vergleichbar ist. Entlastungsmomente können sich dabei aus allen denkbaren Umständen ergeben (vgl. BayVGH, U.v. 29.6.2016 - 16b D 13.993 - juris Rn. 44 f.).

33

Im vorliegenden Fall sprechen folgende Umstände, die die Beklagte auch größtenteils erkannt, aber nicht mit dem ihnen zukommenden Gewicht in die Maßnahmebemessung eingestellt hat, zugunsten des Klägers (mit vergleichbarer Tendenz VG Münster, U.v. 19.4.2016 - 13 K 2455.15.0 - juris).

34

(7)

5.1. Er ist straf- und disziplinarrechtlich nicht vorbelastet.

35

5.2. Der Kläger befand sich alleine in der Pausenaufsicht, wodurch die Ausgangslage für den ihm vorgeworfenen Vorfall erst geschaffen wurde.

36

5.3. Auch die Motivlage, die den Beamten zu dem Pflichtverstoß veranlasst hat, ist ein

bemessungsrelevanter Umstand (BVerwG, B.v. 2.5.2017 - 2 B 21.16 - juris Rn. 12). Hier diente das Eingreifen des Klägers dem Schutz eines anderen Schülers.

37

5.4. Weiter liegt eine persönlichkeitsfremde Augenblickstat vor. Dieser Milderungsgrund setzt voraus, dass die Dienstpflichtverletzung eine Kurzschlusshandlung darstellt, die durch eine spezifische

Versuchungssituation hervorgerufen wurde, und sich eine Wiederholung in Ansehung der Persönlichkeit des Beamten ausschließen lässt. Es kommt darauf an, ob das Fehlverhalten nach dem Gesamtbild der Persönlichkeit des Beamten eine einmalige Entgleisung darstellt (BVerwG, B.v. 9.10.2014 - 2 B 60.14 - juris Rn. 29). Hier liegt ein vergleichbarer Übergriff des Klägers gegenüber einem Schüler weder vor noch nach der Tat im Oktober 2014 vor. Zudem schilderte die Schulleiterin, Frau G …, den Kläger als sehr netten, zarten und empfindsamen Lehrer. In ihrem Beurteilungsbeitrag vom 19. Februar 2016 bescheinigt sie ihm, dass er sehr bemüht sei, Krisensituationen zu vermeiden bzw. konstruktiv zu bearbeiten und bei

Disziplinarverstößen um besonnenes, pädagogisches und angemessenes Verhalten bemüht sei. Der Verstoß beruhte also auf einer einmaligen Überreaktion und einem dem Kläger ansonsten wesensfremden Verhalten.

38

5.5. Der Kläger hat zudem alles ihm Mögliche getan, um zur Aufarbeitung des Vorfalls beizutragen. Er zeigte Reue und entschuldigte sich bei dem Schüler und dessen Mutter. Er hat gegenüber seinen Vorgesetzten und der Disziplinarbehörde kontinuierlich an der Aufklärung des Geschehens mitgewirkt. Er hat ferner an Supervisionen und themenbezogenen Fortbildungen teilgenommen.

39

5.6. Zu Gunsten des Klägers ist weiter die lange Dauer des Disziplinarverfahrens von Oktober 2014 bis Oktober 2017 und die damit zusammenhängende Ungewissheit und psychische Belastung für ihn zu berücksichtigen.

40

Angesichts der vom Kläger gezeigten ehrlichen Reue und der vorbildlichen Aufarbeitung des Geschehens stellt sich die verhängte Bezügekürzung für das einmalige und ohne gravierende Folgen gebliebene Versagen des Klägers als zu einschneidende Disziplinarmaßnahme dar. Zur Pflichtenmahnung erscheint lediglich ein Verweis ausreichend, aber auch erforderlich.

41

Die Kostenentscheidung beruht auf Art. 72 Abs. 4 Satz 1 BayDG i.V.m. § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO und berücksichtigt das jeweilige Obsiegen und Unterliegen der Parteien. Das Verfahren vor dem

Verwaltungsgericht ist nach Art. 73 Abs. 1 Satz 1 BayDG gerichtsgebührenfrei.

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