DAS FORSCHUNGSPROJEKT KANDEWAN
von G. A. Homayoun, Tehran
DIE SOZIO-ÖKONOMISCHE UMWELT
Die erste Revolution in der Geschichte der Menschheit ist der ,, Übergang von der Stufe der Sammler und Jäger zu der der Viehzüchter und Pflanzer'".
Diese Periode, die ungefähr um 9000 v. Chr. begonnen hat, ist mit der „Ände¬
mng des Wohnsitzes verbunden"^ . Der Jäger hat sich zum Ackerbauer gewandelt, und der Ackerbauer muß wegen des Landes, das er bepflanzt, seßhaft bleiben. Auf diese Weise tauchten die ersten Siedlungen auf und ungefähr um 6700 v. Chr. die ersten hinreichend entwickelten Dörfer.
Das ökonomisch-soziale Leben in diesen entwickelten Dörfern ist zumindest im
Osten bis auf den heutigen Tag unverändert geblieben.
Diese Studie kann man wegen vergleichbarem Wohnniveau in den Dörfern Mai-
mand und Kandewan besser als in anderen Dörfern durchführen.
Während meiner Erforschung der Felsarchitektur stieß ich auf ein anderes terra incognita-Gebiet, ein Dorf, Kandewan, das ich im Frühling 1973 als erster wissen¬
schaftlich erfaßt habe.
Bereits im Jahre 1972 wurde aber zum ersten Mal ein Bild von Kandewan in dem
Reiseführer „Iran für Sie" veröffentlicht. Unter diesem BUd steht „unentdeckter Iran: das Gebiet von Khandedjan, südlich von Tabriz, und seine Höhlendörfer".
Anfang Sommer 1973 wurde das von mir dem Forschungskonzil der Universität
Tehran vorgeschlagene Forschungsprojekt Kandewan bewilligt. Daraufhin fuhren
wir sofort nach Kandewan und nahmen einen Teil des Dorfes topographisch auf.
Im Sommer 1974 wurde der Rest aufgenommen und gleichzeitig statistisch¬
soziologische Studien durchgeführt. 1975 und 1976 bearbeitete ich das an Ort und
Stelle gesammelte Material in der Universität.
Die Erforschung im Dorf Kandewan ist nach Maunand die zweite exakte For¬
schung im Gebiet der Felsarchitektur, die auch heute noch vom Leben ihrer Ein¬
wohner erfüllt ist. Dieses Forschungsprojekt hat drei Phasen. In der ersten Phase
wurden archäologisch-kunsthistorische und sozio-ökonomische Forschungen durch¬
geführt, und deren Resultate wurden in einer großen Ausstellung im Juni dieses
Jahres, die durch Premierminister Howeida in der Universität Tehran eröffnet wur¬
de, der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Die zweite Phase wird Studien enthalten, die zu vorbUdlichen Gebietsplanungen in Kandewan führen sollen. In der dritten Phase werden diese Planungen ausgeführt werden.
1 Arnold Hauser, Sozialgesehichte der Kunst und Literatur. München 1969, S. 10.
2 A. Hauser, S. 11.
XX. Deutscher Orientalistentag 1977 in Erlangen
Das Forschungsprojekt Kandewan 505
In der ersten und zweiten Phase profitiert vor allem die Wissenschaft und nach
der Ausfiihmng der dritten Phase werden - so hoffen wir - die Bewohner dieses
Gebietes wirtschaftlich-kulturellen Nutzen aus unserem Forschungsvorhaben
ziehen können.
Das Dorf Kandewan liegt an der westlichen Seite des Sahand, nicht mehr als
50 km südlich von Tabriz. Circa 20 km von Tabriz entfernt auf der asphaltierten Hauptstraße nach Maraghe liegt Khosroschah. Von dort führt eine andere asphaltier¬
te Ideine Straße circa 10 km nach Norden zum zierlichen kleinen Ort Osku mit
seinen vielen Seidenspinnereien.
Für die restlichen 19 km muß man schwierig zu bewältigendes Gebirgsmassiv
durchziehen. Um in dieses Gebiet vorzudringen, braucht man vor allem Geduld und
einen starken Landrover. Diese mühevolle Fahrt dauert eine Stunde, aber durch die
Schönheit der Umgebung, der Biegungen des Weges, der Bauernhäuser mit ihren
niedlichen farbigen Dächern, auf denen Aprikosen zum Trocknen liegen, der zier-
hchen Gärten mit ihren Aprikosenkulturen, vergißt man die Strapazen des Weges.
Kandewan liegt am Abhang des Sahand in einem grünen Tal, das von den Dör¬
fern Amamgban und Onsorrud im Norden, von Kahnamu im Westen, dem Noorberg
im Osten und Aschestan und Gombon im Süden begrenzt wird. Alle genannten Orte
stehen auf einem 60 km langen vulkanischen Gebirgszug, der nicht weniger als 2200 Meter über dem Meeresspiegel liegt. Die Gipfel dieses Gebirgszuges sind mindestens
3700 Meter hoch und auch im Sommer von Schnee bedeckt.
Wegen seiner langen Winter und seines vielen Schnees und Regens ist das Sahand¬
gebirge die Quelle mehrerer Flüsse, die die weiten Felder bewässern und den Boden befmchten und schließlich in den Resaiye-See münden.
Das schöne Tal Kandewan, daß eine der hübschesten Gebirgsgegenden Irans ist,
hat ein vorzügliches Klima und ist noch nicht von der Bevölkemng als Feriengebiet entdeckt worden. In dem Tal rinnt ein kleiner Fluß und befindet sich eine Quelle, die für Nierenstein heilend wirkt, dennoch sind die Bewohner dieses Dorfes wegen
des Trinkwassers in Schwierigkeiten, da sie ihre Krüge manchmal bis zu einem hal¬
ben Kilometer tragen müssen.
Viehzucht und Ackerbau sind die beherrschenden wirtschaftlichen Elemente die¬
ses Dorfes, wobei die zwei Teppichwebereien und eine Käsefabrik auch eine nicht
geringe Rolle spielen.
Die besten Felder für den Ackerbau liegen gegenüber dem Dorfe auf einer hüb¬
schen Ebene, während der Rest auf den beiden Hängen des Tales sich bis in die
Höhen des Sahands erstrecken.
Ein TeU der Äcker wird von dem Fluß bewässert, während der Rest von den
Niederschlägen befruchtet wird. Die landwirtschaftlichen Produkte, Weizen und
Gerste werden auf dem Dach eines normalen Hauses, das zugleich der Hof eines
anderen Hauses ist, gestapelt und gedroschen und anschließend in Speichern ge¬
sammelt.
Die Bewohner des Dorfes haben weniger Obstgärten als die der Umgebung; üir
Obst beschränkt sich auf Aprücosen und Mandeln.
Die schönen und grünen Weiden des Sahandgebirges sind eines der Zentren der
Viehzucht Irans, genannt das Land der Schafe. Schaf und Ziege sind in diesem
Gebiet sehr beliebt, dennoch haben die Bewohner Kandewans wenig Herden. Die
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Statistik von 113 Familien zeigt uns, daß es dort nur 2299 Schafe, 247 Kühe, 86
Esel, 11 Ziegen und ein Pferd gibt.
Die kleinen Werkstätten produzieren weniger qualifizierte Erzeugnisse, z.B.
Teppiche, Gelime (glatter Teppich), Umhänge, Hüte und Decken; die Teppiche
werden meist durch mänrüiche, die anderen Erzeugnisse durch weibhche Famüien¬
mitglieder gewebt.
Dort gibt es auch eine kleine Käsefabrik und einen Gemischtwarenladen, der
dem größten Grundbesitzer dieses Dorfes gehört. Die Produkte wie Wolle, Käse,
getrocknete Molken, Weizen, Aprikosen, Mandeln, Teppiche und Gelime werden
nach Osku, Maraghe und Tabriz exportiert und von dort die Dinge des täglichen
Lebens wie Kleidung, Zucker, Tee, Streichhölzer usw. bezogen.
Die Statistik zeigt und auch die Tatsache, daß der Lebensstandard hier nicht so
besonders hoch ist. Die Landreform wurde hier noch nicht durchgeführt, und die
Felder sind in den Händen der drei bis vier Großgrundbesitzer, die zugleich den
wirtschaftlichen Impuls des Dorfes in der Hand haben. Die kleineren Gmndbesitzer
gehen langsam ein, weil sie eine nicht kleine Summe wegen des Unterhalts im Win¬
ter von den Großgrundbesitzern ausleihen und im Sommer während des Dreschens
zurückzahlen müssen. Wegen der Zinsen und des Kapitalmangels wird die ausge-
hehene Summe in jedem Jahr größer und der Ernteertrag kleiner bis der Landwirt all sein Eigentum verkauft hat und sich zu einem landlosen und herdenlosen Bauern verwandelt hat, der heute oder morgen in die Stadt ziehen muß und die Probleme der betreffenden Stadt vervielfältigt und das Umweltprogramm beeinträchtigt.
Betrachtet man die Bewohner Kandewans von der Rasse her, so sind sie zumeist brünett ; wahrscheinlich haben sie ihre nördliche Rasse beibehalten und sich wenig mit anderen Rassen vermischt.
Die Einwohnerzahl gemäß der Statistik vom Jahre 1966 beträgt 742, 344 davon
mäniüichen Geschlechtes; unsere statistische Quelle nennt jedoch 881 Einwohner.
Ihre Sprache ist Azari und 90% sind Analphabeten. Nur die Schüler der einzigen Schule, die 7% der Einwohner ausmachen, sprechen Farsi.
Ihre Religion ist die Zwölfer-Schia und im Vergleich zu den Einwohnern anderer Dörfer sind sie weniger fanatisch. Dort gibt es kein Imamzadeh oder Heüigenort'.
Ihr interessantester Brauch ist ihre Hochzeitsfeier. Bis vor kurzem wurden die
Ehen durch die Großeltern geschlossen und die Anwesenheit der Braut und ihres
Mannes war nicht nötig.
Die Wohnkultur in Kandewan wurde in einem anderen Artikel behandelt.
3 In einer Entfernung von 2U km in 35ÜÜ m Höhe gibt es ein Imamzadeh namens Soltan.
Abb. 2 Kandewan, Teilansicht
Abb. 4 Kandewan, Karaus
LUFTBILDINTERPRETATION ALS OPTIMALE VORBEREITUNG DER
FELDARCHÄOLOGIE ~ DARGESTELLT AM BEISPIEL AFGHANISCH-SISTAN
von Lothar Hünerfeld, Koblenz
Klaus Fischer hat auf dem XIX. Deutschen Orientalistentag in Freiburg das The¬
ma „Geschichthche und naturwissenschaftliche Fragestellungen bei einer archäolo¬
gischen Landesaufnahme in Sistan" abgehandelt. In Fortsetzung dieses Beitrages
folgt hier ein Bericht zu der Möglichkeit, die Feldarchäologie in unwegsamen und
weit entfernt liegenden Gebieten durch Luftbildinterpretation vorzubereiten. Vor¬
gestellt wird ein ModeU, welches von Herbert Esser und dem Verfasser im Institut
für Kartographie und Topographie der Universität Bonn unter der Leitung von
Aloys Heupel entwickelt wurde. Mit finanzieller Unterstützung der Deutschen For¬
schungsgemeinschaft wurde das Modell in der Praxis am Beispiel Afghanisch-Sistan erprobt und hat dort seine Feuertaufe bestanden.
Die Halbwüste Sistan liegt im südlichen Grenzgebiet von Afghanistan und Persien
und ist heute in weiten Teilen nahezu unbewohnt. Zahlreiche Ruinen und Reste
eines großartigen Kanalsystems sind jedoch Zeugen einer bedeutenden Vergangen¬
heit. Diese zu erforschen war das Ziel mehrerer Expeditionen in den Jahren 1968-
1974. Die schwierigen Lebens- und Arbeitsbedingungen sowie mit Fehlern behafte¬
te topographische Kartenunterlagen waren u.a. Ursache dafür, daß sowohl eine
systematische Planung der Feldarchäologie als auch insbesondere die geodätisch und kartographisch richtige Erfassung und Darstellung der Fundstellen in den vorhande¬
nen Karten erschwert wurden. Kleinmaßstäbige LuftbUder sind von nahezu allen
Gebieten der Erde vorhanden. Auch von Afghanisch-Sistan lagen Luftbilder in den
Maßstäben 1 : 100000 und 1 : 30000 vor. Obwohl Luftbilder dieser Maßstäbe für
eine LustbUdinterpretation nach archäologischen Gesichtspunkten zunächst unge¬
eignet erscheinen, so können sie bei einer bestimmten Verfahrensweise dennoch
sinnvoll bei der Herleitung von archäologischen Fundortkarten und damit bei der
Vorbereitung der Feldarchäologie verwendet werden.
Die Herstellung der Fundortkarten erfolgt in drei Arbeitsschritten:
1. Herstellungvorläufiger Fundortkarten durch häusliche Luftbildinterpretation.
Bevor eine erste Forschungsreise in das ausgewählte Arbeitsgebiet durchgeführt
wird, wird das vorhandene Luftbildmaterial in StereobUdpaaren nach archäologi¬
schen Gesichtspunkten interpretiert. Arbeitsgerät ist dabei lediglich ein Spiegel¬
stereoskop (Preisklasse zwischen ca. 500,- bis 5.000,- DM). Bei der Interpretation werden alle erkennbaren Gegenstände, die für Archäologen interessant sein könnten,
erfaßt und in vorhandene topographische Karten übertragen. Damit ergeben sie vor¬
läufige archäologische Fundortkarten; vorläufige Fundortkarten deshalb, weÜ sie
ohne genaue Kenntnis des Geländes und ohne örtHche Überprüfung der Ergebnisse
zustande gekommen sind.
XX. Deutscher Orientalistentag 1977 in Erlangen