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Geschichte der Erwachsenenbildung – eine Geschichteder Demokratie?

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187 Wolfgang Seitter

Geschichte der Erwachsenenbildung – eine Geschichte der Demokratie?

Ein zentraler Topos im Selbstverständnis der Erwachsenenbildung, aber auch in weiten Teilen der erwachsenenpädagogischen Historiographie ist der grundlegende Zusam- menhang von Erwachsenenbildung und Demokratisierung. Pointiert formuliert gibt es im (historischen) Selbstverständnis der Erwachsenenbildung eine postulierte Gleich- zeitigkeit, Gleichursprünglichkeit der Institutionalisierung von Erwachsenenbildung und der Demokratisierung der Gesellschaft. Dieser Zusammenhang von Aufklärung, Indus- trialisierung, Demokratisierung und Erwachsenenbildung ist vor allem von W. Strzele- wicz immer wieder hervorgehoben worden und begründete in der Folge so etwas wie die ‚gute‘, die ‚bessere‘ erwachsenenbildnerische Tradition.

Blickt man allein in die Geschichte der Erwachsenenbildung des 20. Jahrhunderts, so lassen sich problemlos verschiedene historische Konstellationen benennen, die sich auf diesen Traditionsstrang beziehen und ihn verstärken:

• die Jahrhundertwende mit dem zentralen Fokus der sog. Sozialen Frage und daraus abgeleitet die Notwendigkeit einer Demokratisierung von Bildung und Kultur für die minderbemittelten Schichten: die soziale Frage also als im Kern eine Frage nach der Verteilungsgerechtigkeit von Bildung;

• der Wechsel von der Kaiserzeit zur Weimarer Republik mit der Notwendigkeit einer umfassenden Einübung demokratischer Verhaltensweisen für eine generali- siert wahlberechtigte Bevölkerung: erinnert sei nur an die Bildungskonzeption und Bildungspraxis von E. Weitsch mit der Arbeitsgemeinschaft als der bildungsbezo- genen Ausdrucksform demokratischer Gesinnung und Einübung;

• die Phase der reeducation sowie die Bedeutung der – gerade auch durch die alli- ierten Besatzungsmächte initiierten – politischen Bildungsarbeit nach 1945;

• die Bildungsreformära der 1960er-/70er-Jahre mit ihrer Emphase einer bildungs- bezogenen Chancengleichheit für alle durch Flexibilisierung der Bildungswege, Etablierung alternativer Hochschulzugänge, etc.

Dieser demokratiebezogene Traditionsstrang der Erwachsenenbildung stellt auch heu- te noch einen wichtigen Referenzpunkt im Selbstverständnis vieler Einrichtungen und Akteure dar. Allerdings ist es heute schwieriger denn je, mit Verweis auf diesen Tradi- tionsstrang andere Traditionen, Funktionen und Facetten der Erwachsenenbildung ein- fach zu delegitimieren oder abzublenden. Vielmehr ist die Erwachsenenbildung, die an ihrer demokratisch-sozialen Ausrichtung festhält, selbst unter Legitimationszwang geraten, da andere Aufgaben- und Funktionsbereiche der Erwachsenenbildung, die historisch immer schon eine bedeutende Rolle gespielt haben, heute dominant (ge- worden) sind: gesellige Bildung, Unterhaltungskultur, berufsbezogene Qualifizierung,

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soziale Integration, milieubezogene Stabilisierung. Erwachsenenbildung hat es histo- risch wie gegenwärtig immer mit ganz unterschiedlichen Funktionsausrichtungen zu tun, sie ist aufgrund ihrer flexiblen Struktur in der Lage, sich in ganz unterschiedliche Teilsysteme der Gesellschaft ‚einzunisten‘ und sich deren teilsystemischen Funktions- imperativen unterzuordnen bei gleichzeitiger Ausnutzung gewisser Autonomiespiel- räume. Insofern hat der Demokratiebezug der Erwachsenenbildung zwar einen histo- risch ausweisbaren Traditionsgehalt, ist aber im vielstimmigen Konzert der erwachse- nenbildnerischen Praxis nie so im Zentrum gestanden wie selbst die Historiographie der Erwachsenenbildung mit ihrer starken Ausrichtung auf ebendiesen Traditionszu- sammenhang suggeriert.

Geschichte der Erwachsenenbildung – eine Geschichte der Demokratie? Dieser Titel soll signalisieren, dass es in den Beiträgen der Arbeitsgruppe darum geht, das Span- nungsverhältnis von Demokratiebezug und anderen Bezügen, in denen die Erwachse- nenbildung steht, am historischen Beispiel genauer auszuloten. Schwerpunktmäßig wird das 20. Jahrhundert in den Blick genommen mit unterschiedlichen Epochen und Gesellschaftsformationen (Weimarer Republik, BRD der Nachkriegszeit, DDR), wobei neben einem grundlagentheoretisch-methodologischen Beitrag (Hof) drei größere his- torisch-empirische Projekte im Zentrum stehen: ein DFG-Projekt über Zeitzeugenin- terviews mit Protagonisten der hessischen Erwachsenenbildung nach 1945 auf unter- schiedlichen Ebenen und in unterschiedlichen Segmenten (Nittel) sowie zwei Habili- tationsprojekte über den Zusammenhang von industriebetrieblicher Weiterbildungs- politik und freier Volksbildung in der Weimarer Republik (Büchter) sowie über die Geschichte der Arbeiter- und Bauernfakultäten in der DDR (Miethe).

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