Zur Vedametrik.
Von F. Bollensen.
Im Anschluss an meine Erörterung der Silben- und G 1 i e -
derpentaden Bd. 22 dieser Zeitschrift will ich heute Virät,
Svarat, Nicrt und Bhurik einer Prüfung unterziehen.
Von den genannten Formen gehören Svarat und Bhurik zu
den überzähligen, Virät und Nicrt zu den unterzähligen
Versmassen.
Der Name Svarat ist augenscheinlich mit Bezug auf Virat
als dessen Gegensatz gebildet. Er kommt in der Anukramani des
Rk nicht vor und fehlt auch in der ältem Recension des Chandas.
Die Svarat ist neuem Ursprungs und beschränkt sich auf einzelne
Fälle der Gäyatri (Yv. 17, 4. 5), der Ushnik (Yv. 38, 12) und der
Pankti (Yv. 11, 29. 13, 2. 30), die sämmtlich zu den Mischungen
zweiter Ordnung gehören. Sie liegen mir hier fem.
Die zweite überzählige Form heisst Bhurik. Sie kommt
angeblich nur in 2 Arten vor — in der Gäyatri Bhurik und in
der Pankti Bhurik. Letztere habe ich S. 571 a. a. 0. beseitigt,
jene fehlt in der Anukramani des Rk. Erst das Pratij. 17, 1
führt als Beispiel IX, 66, 3 an. Die Strophe erweist sich jedoch
als regelmässige Gäyatri, wenn man im dritten Stollen pavamäna-
rtubhis bindet, d. i. pavamänartubhis liest.
Wir schreiten fort zu den unterzähligen Formen Nicrt
und Virät. Alle zur speeies Nicrt gerechneten Beispiele lassen
sich ohne Zwang auf reine Gäyatri zurückführen. Zwar kennt
das Pratij. auch eine Kakubh nicft, dies verstösst aber gegen den
ältern Gebrauch der Anukramani, nach der sich Nicrt auf die
Gäyatri beschränkt. Sie sind
1. Gäyatri nicrt Pratij. 17, 1. Rv. I, 43, 5.
Lies a. suria: | c. devänaäm vasu: |
2. Gäyatri pädanicrt (wo jeder Stollen um 1 Silbe zu
kurz), auch Gäyatri Virät genannt, Präti9. 16, 12. 17, 3. Rv. I,
17, 4.
Lies a. Qacinaam, b. sumatinaam, c. vajadavanäm.
I, 30, 11 1. a. (fiprininaäm, b. "pavanam, c. sakhinaäm.
Bollensen, zur Vedametrik. 449
IV, 31, 3 1. a. sakhinaäm, h. jaritrinaäm, c. hhaväsi ütihhi: |
ib. 4 1. a. vavrtsua, c. carsanlnaäm.
VI, 45, 31 L a. panlnaäm, b. asthaät, c. gängia: |
vn, 102, 2 1. a. osadhinaäm, b. krnoti arvatäm, c. purusi'
naäm.
Vin, 22, 2 1. a. pürvaäyulam, b. pürviam.
vm, 31, 10 1. a. parvatänaäm, b. nadinaäm, c. viSnuas statt
visnos.
Jene ältere Form des gen. ahl. ist öfter an die Stelle der
neuern zu setzen, z. B. nidhätuas I, 41, 9. dhrsnuas X, 22, 3,
vgl. madhuas madhvas madhos.
Beiläufig erwähne ich, dass traidhä an fast allen Stellen drei¬
silbig zu lesen, nur an 3 Stellen zweisilbig I, 154, 1. VT, 69, 8.
X, 87, 10, woraus ich schliesse, dass im Rv. noch kein tredhä
existirt, sondem nur traidhä zusammengezogen aus trayadhä wie
naipathya aus näyapathya, s. zu Mäl. 25, 14. 15.
VIII, 46, 1 1. a. tuävatas, b. pranetar indara (mit Umstellung), c. harinaäm.
3. Atinicrt oder atipädanicrt , auch hrasiyasi genannt in
der Anukramani.
VIII, 92, 10, Afr. oder 103, 10 M. M. 1. a. pralstham u
priyänaäm, b. stubi äsäva atithim, c. agnim rathänaäm yamam.
Sämmtliche unter dem Namen Nicrt begriffenen Strophen sind
mithin reine Gäyatri und es liegt kein Grund vor zur Benennung
einer besondem Gattung.
Wir kommen endhch zur Virät. Nach Abweisung der ob¬
genannten unregelmässigen Formen und der Verweisung des zehn¬
silbigen Strophengliedes aus der ältesten Periode der Vedametrik
kann der alte terminus Virät der Anukramani nicht in dem von
den Metrikern unterstellten Sinne verstanden werden. Da alle
zweigliedrigen Strophen (dvipadä) und namentlich auch
die dreigliedrige Trischtubh mit diesem Namen belegt
werden . so folgt daraus . dass Virät ursprünglich nicht das um
eine oder zwei Silben venninderte Strophenglied (päda), son¬
dern die um ein oder zwei Glieder verminderte
Strophe selbst bezeichnet. Was die Etymologie des Wortes
anbetrifft, so stammt es nicht von der Wurzel räj glänzen,
sondem vielmehr von der Naigh. 2, 14 aufgestellten >^raj ire Alt¬
pers. rai; mit vi abweichen, so dass viräj jede vom angeblichen
Schema der Grundversmasse abweichende Strophe bezeichnet.
Hinsichtlich der Längung des Vocals vgl. bhaj und bhäj, vac und
väc, vraj und vraj (parivräj) vah und väh.
Wenn die Indische Theorie unter der Abweichung schlecht¬
weg eine Verminderang der Zahl der Strophenglieder versteht, so
kennt sie auf dieser ältesten Stufe ihrer Entwickelung überhaupt
keine überzähligen Strophen, sie mögen um ein Glied oder um
eine oder mehrere Silben zu gross sein.
Den Schluss der Ueberheferung bilden die Benennungen der Strophen (stubh). Das System geht aus von der dreitheiligen
Gäyatri stubh zu je 8 Silben oder mit andern Worten, die Gäyatri
stubh ist eine aus 3 gleichen Gliedem bestehende' D r e i s t r o p h e.
Die auf diese folgende Stubh führt den Namen Anustubh, sie
bildet mithin die zweite stubh und ist um 1 achtsilbiges Glied
grösser als die Gäyatri stubh. Dagegen besteht die specielle
Tristubh aus 3 gleichen Gliedern zu je 11 Silben. Es verhält
sich mithin die dreitheilige Trischtubh (11 X 3) zur viertheiligen
(11 X 4) wie die Gäyatri (8 X 3) zur Anustubh (8 X 4), d. h. das
ursprüngliche System geht aus von der dreitheiligen Form
und schreitet fort zur viertheiligen. In der Folge wird aber
das Verhältniss umgekehrt, indem die dreitheilige Form aus der
viertheiligen abgeleitet und jene kürzere als eine Verkümmenmg
der längem angesehen wird. Daher erhält die dreitheilige Trischtubh
in der Anukramani den Beinamen Virät. Die Folgerichtigkeit
hätte geboten, auch die Gäyatri eine Virät zu nennen in Bezug
auf die viertheilige Anustubh.
In der dreitheiligen alten Trischtubh sind abgefasst I, 120, 9.
149. III, 25. vn, 1, 1—18. 22. 31, 10—12. 68, 1—7. VIII, 9, 2.
3. 5. 11. 20. 21. IX, 110, 10—12.
Eine dritte Drei strophe ist die im Systeme Urdhvabrhati
genannte Form zu drei gleichen Gliedem von je 12 Silben.
IX, 110, 4—9. Sie ist höchst selten. Wie die elfsilbige Drei¬
strophe zu den verringerten Formen gerechnet wird, so erhält
auch die zwölfsübige im Systeme des Pratisakhya (16, 32) den
Beinamen Virä^.. Sie sollte demnach folgerichtig als eine Ver¬
kümmerung der Jagati stubh betrachtet werden. Statt dessen
aber vrird sie als Virät unter die Bfhati gestellt. Dies ist um so
weniger stichhaltig, als die dreitheilige Form zwar um 1 Glied
geringer, in der Summe jedoch der Brhati ganz gleich¬
kommt. Es fehlt hier also eine der Grundbedingungen aller
Virätformen.
Die Namen MahäbfhatT und Satobrhati, die wir für dieso
zwölfsilbige Dreistrophe bei Colebrooke finden, rühren nach dem
Chandas von Tändin her. Sie stehen im Widerspmche mit allen
andem Autoritäten und müssen hier gestrichen werden. Beide
bezeichnen vielmehr grössere Gebilde und gehören unter die
Mischungen erster Ordnung. Nach dem PrätiQäkhya 16, 38
enhält die Satobrhati 12 + 8 + 12 + 8 = 40 Silben und ist
mithin eine Vierstrophe von je zwei gleichen und zwei un¬
gleichen Gliedem. Ev. I, 84, 20. MahäbrhatI steigt noch
höher hinauf: denn sie bildet eine Fünfstrophe von vier
gleichen und einem ungleichen Gliede (12 + 8 X 4 = 44 S.)
nach Präti9. 16, 47. Rv. VIII, 35, 23. Yavamadhyä heisst die
Mahäbvhati, wenn das 12silbige Glied in der Mitte steht 8X2
+ 12 + 8 X 2 = 44 S. Rv. I, 105, 8. VI, 48, 7.
Bollensen, zur Vedametrik. 451
Mahäsatobrhatl PratiQ. 16, 50. 51 ist ebenfalls eine
Fünfstrophe 12 + 12 X 2 + 8 X 2 = 48 S. Rv. VI, 48, 21>).
Eben so irrig wird zu VI, 48, 21 das Schema Yavamadhyä Ma¬
häbrhatI genannt.
Nachdem wir die dreitheiligen Formen erkannt haben als den
viertheihgen voraufgebend, so fällt für uns der Begriff Virät fiir
die genannten Formen weg und es bleibt nur zu untersuchen, ob
er für die Ekapada und Dvipadä Geltung hat.
Der Leser möge entschuldigen, wenn wir weiter ausholen
müssen.
Die gebundene Rede hat überall die ungebundene zur Vor¬
aussetzung. Wir müssen also auch hier von der Prosa ausgehen,
wie sie bei gottesdienstlichen Handlungen in Gebeten und nament¬
hch in Responsorien von Einzelnen oder einem Chore recitirt ward,
d. i. zwischen Sprechen, Sagen und Singen schwankt. Aus ver¬
schiedenen abgerissenen Andeutungen bei den Metrikem geht so
viel hervor, dass die Worte anfangs rasch gesprochen, dann lang¬
samer gesagt und endlich am Schlüsse gesungen wurden. Und
diese rhythmische Schlusscadenz wird das Muster für den ge¬
bundenen Versfuss, dessen jambischer Silbenfall durch verlangsamte
Wiederholung ausklingt. Jeder Schlussfuss soll die Bewegung
abschliessen und beruhigen, weshalb man den Endfall nicht accen¬
tuiren darf. Als die kleinste rhythmische Einheit bildet nun dieser
viersilbige Fuss in der gebundenen Rede den Ausgangspunkt und
die Grandlage beira Aufbau der Strophe.
Zur Darstellung eines selbständigen rhythmischen Satzes
(päda) bedarf es wenigstens eines zweiten Fusses, um der inner¬
halb des ersten Pusses abgerundeten Bewegung die Gegenbewegung
zu schaffen, wie in der Musik der dux seinen comes erhält. Zur
Darstellung eines Gesätzes oder einer Strophe bedarf es
eben so wenigstens zweier Sätze oder Stollen (päda). Zwei
Stollen bilden erst eine Strophe: die dvipadä ist daram
die Grandform der Indischen Metrik und da sie sich anfänglich
aus lauter acht-, elf- und zwölfsilbigen Sätzen aufbaut, so besteht
die Urstrophe aus 8 + 8, 11+11, 12 + 12 Silben und später
deren Mischung 8 + 12, 8 + 11 u. s. w. Daraus folgt, dass ein
päda nur der Bruchtbeil einer Strophe, nur ein Strophenglied,
aber nimmermehr eine selbständige volle Strophe sein kann. Als
solche Ekapada führt das Präti?. 17, 24—27 fünf Beispiele aus
dem Rv. an V, 41, 20. VI, 63, 11 und IV. 17, 15. V, 42, 17
= 43, 16. X, 20, 1.
Wir beginnen mit den letztern. IV, 17, 15 asikniäm yaja-
mäno na hotä „wie ein bei Nacht opfernder hotar' schliesst sich
1) In der AnukramaiiT zu X, 132, 2 ist eine falsche Angabe: die metrische Strophe ist nicht vorstehende Mahäsatobrhatl, sondern Prastärapankti 12 + 12
^ 8 + 8 = 40 S.
weder der vorhergehenden noch der folgenden Strophe an. Es
scheint das Bruchstück einer sonst verloren gegangenen Strophe
zu sein, das hier von den Redaetoren ungehörig eingeflickt worden.
Nicht besser steht es mit V, 42, 17. ""^äska verwirft alle Ekapada
mit Ausnahme von bhadram no api vataya mana: | X, 20, 1.
saikä dasini mukhato virät sind seine Worte. Er giebt sie also
für eine zehnsilbige Virät aus. Schon eine oberflächliche
Betrachtung der rhythmischen Einkleidung - -- -- -j
lässt den Pausenfuss ganz abnorm erscheinen. In der That stellt
sich^ dieser Einling als der Anfang des Hymnus X, 25 heraus, der
in Astärapankti 8 + 8 -|- 12 -)- 12 = 40 S. abgefasst ist, wo
manas zum 2ten päda gehört
bhadram no api vätaya
mäno däxam utä krätum u. s. w.
Das entlehnte Glied stellt sich also als achtsilbig heraus und schliesst
mit regelrechtem Dijambus. Ein Abschreiber scheint aus Versehen
einige Blätter überschlagen und auf 25, 1 vorgegriffen zu haben.
Sobald er seines Irrthums inne wird, greift er auf h. 20 zurück,
ohne das irrthümlich Aufgenommene zu tilgen. Bei der ver¬
anstalteten Sammlung haben die Redaetoren diesen Schreibfehler
als unveräusserlichen Bestandtheil des Textes mit aufgenommen.
Eben so haben sie VI, 45, 29 mitten unter regelrechte Gäyatri-
Strophen das Machwerk eines Abschreibers aufgenommen, der
aus vedischen Phrasen je 2 lautliche (purütamam purunäm und
väjebhir väjayatäm) oder begriffliche Anklänge (stotrnäm viväci)
•zusammenstoppelt, ohne dass ein Vers herauskommt. Dies Ein¬
schiebsel hat die Ehre mit einer besonderen GäyatrI-species be¬
titelt zu werden (atipädanicrt oder blos atinicrt). V, 41, 20 ge¬
hört als Bestandtheil zur vorhergehenden Str. IC, deren Prädicate
grnätu und sisaktu. Der Pehler steckt in c. Die Worte urvasi
vä brhaddivä grnänä bilden keinen regelrechten Kehrreim zu den
vorhergehenden urvaQi vä grnätu, sondern erscheinen mehr als ein
ungerechtfertigtes Einschiebsel, in Folge dessen das Metrum ge¬
stört und der letzte päda abgesondert ward. VI, 63, 11 beob¬
achten wir dasselbe Verfahren: der in der Mitte eingeschobene
Kehrreim bbaradväjäya vira nu gire dät ist schuld an der Tren¬
nung des letzten Gliedes vom Strophenkörper. Meine Bedenken
gegen den Kehn-eun in der Mitte der Strophe stützen sich beson¬
ders darauf dass dadurch die Strophe in zwei Hälften zerschnitten wird, was in alten Hymnen sonst nicht stattfindet.
Nachdem wir in Uebereinstimniung mit den Indischen Metrikern
alle Ekapada's als Bruchstücke erkannt haben, wenden wir uns zu
den Dvipada's. Was diese anbetrifft, so haben wir wohl in ihnen
die Grundforni der indischen Stropbe erkannt: diese Erkenntniss
reicht aber nicht hin, sie durchgängig als selbständige Strophen zu
rechtfertigen. Die Metriker beziehen die Ekapada's und Dvipada's
beide auf vollständige Formen und sehen in ihnen ohne Unterschied
Bolhnnen, zur Vedametrik. 453
verringerte Gebilde, die sie mit Virät bezeicbnen. Bei der Mebr¬
zabI dürfte dies zutreffen, aber nicht bei allen : so scheint nament¬
lich VII, 17 (11 X 2) ein unversehrtes altes Lied zu sein.
Es giebt zunächst 7 Arten von Dvipada's die hieher gehören :
1) 8 -|- 8 genannt Dvipadä Gäyatri. IX, 67, 16—18.
2) 8 + 12 genannt Dvipadä Viräj Afr., oder Dvaipadam
Vair5,iam M. M. V, 24, 1. X, 172.
3) 12 + 8 VII, 32, 3. VIII, 19, 27. 29. 46, 30. IX, 107, 3
(dvip. viräj bhurij!) 107, 16. 109, 22.
4) 11 + 8 genannt dvip. tristubh!
5) 8 + 11 V, 24, 2—4. dvaip. vairäjam, scheint alt zu sein.
6) 11 + 11 VI, 10, 7 (der Accent auf inuhi zu tilgen) 17,
15. 47, 25. VII, 17 (alt). 56, 11. X, 157, 2—5 (dvip. tristubh).
7) 12 + 12 vm, 46, 13 gen. dvipadä brhati bei Aufr.
Zwischen den beiden Anukramanl's bei M. Müller und Aufr.
herrscht nicht durchgängig Uebereinstimmung : virät wird hin und
wieder bei dem einen ausgelassen, wo es der andere hat. Es
wäre aber voreilig, daraus den Scbluss zu ziehen, dass die Dvi¬
pada's aus einem verschiedenen Gesichtspunkte betrachtet würden.
Die Indischen Autoritäten beziehen sie, wie gesagt, alle auf voll¬
ständige Gesätze und sehen in ihnen durchweg Verkümmerungen.
Aus diesem Grunde fügen die Anukramani dem technischen Aus¬
druck dvipadä bald Gäyatri, bald trikubh, bald brhati hinzu.
Diesen Bezug müssen wir aus doppelten Gründen zurückweisen.
Nach obiger Entwickelung genügt die Zusammenfügung zweier
acht-, elf- und zwölfsilbiger Gheder oder deren Mischung (8 + 11,
8+12 u. s. w.) , um eine vollständige Strophe zu büden. Be¬
trachtet man die dvipada's durchweg als Bruchstücke , so lässt
sich gar nicht absehen, zu welchem vollständigen Gebilde sie ge¬
hören. Es genügt daher der Name dvipadä für alle Fälle. Die
speciellen Bezüge auf vollständige Strophen dürften spätere Zu¬
sätze sein, von denen auch diese alten unschätzbaren Register
nicht verschont gebheben. Hierfür spricht namentlich, dass der
Text bei Aufr. V, 24 (nicht bei M. M.) je 2 dvipada's ungehörig
zusammenzieht, während die Anukramani sich mit der einfachen
Angabe dvipadä oder dvaipadam vairäjam begnügt. Folgerichtig
hätte sie auf pankti viparita verfallen müssen, wenn die Zusammen¬
ziehung zu Recht bestände.
Die jüngere Virät unterscheidet sich von der ältern
dadurch, dass sie nicht wie diese die um ein oder mehrere Gheder
verminderte Strophe bezeichnet, sondern das um eine oder
zwei Silben verminderte Strophenglied, je nachdem
man die elf- oder zwölfsilbige Reibe als Basis annimmt.
Sie gebört mithin nicht zum Grundstock der indischen Metrik.
Sie tritt erst mit dem Erscheinen des zehnsilbigen Strophen¬
gliedes auf. da, wie wir oben gesehen, für das verminderte
achtsilhige Glied der Ausdruck nicrt gilt. Wenn aber das
Prati?. 16, 12. 17, 3 die um je 1 Silbe verminderte Gäyatri
(7 X 3) eine Virat nennt statt gäyatri pädanicrt der Anukramani,
so scbiebt es damit eine jüngere Theorie der ältern unter. Es
kommt hier allein die catuspadä virät (10 X 4) in Betracht, nach¬
dem wir die dreitheilige Virät (10 X 3) oben bereits abgewiesen
haben.
Nach der Ueberlieferung sollen I, 169, 2 und VIII, 85, 4
Afr. in diese Form gekleidet sein. Während die Anukramani
diese ganz allgemein Virät nennt, bezieht sie das Präti?. 16, 37.
18, 23 auf die volle Pankti-Strophe und nennt sie darum Pankti-
Virät. Beide Strophen lassen sich jedoch durch gewöhnliche
Auflösung ohne Zwang auf regelrechte Trischtubh zurückführen.
I, 169, 2 ayujran te indara vi^väkrsti:
vidänäso niSsidho martiaträ, marütaäm prtsu tir häsamänä
süarmllhasya prädhänasya sätau |
Vni, 85, 4 Afr. lies in allen 4 Stollen tuä st. tvä, wodurch
das Versmass geheilt wird.
Somit haben wir aus dem alten Rk. nicrt, svarat und bhurik
entfemt und Virät auf seinen wahren Werth zurückgeführt.
Am Schlüsse dieser Erörternng erlaube ich mir noch einige
Kleinigkeiten hinzuzufügen.
Zu den Zeitschr. 22 S. 576 angeführten Imperativformen
füge ich hinzu yutäm 3 Sgl. er zwinge AV. 11, 10, 16. Uebrigens
beschränkt sich die Nachdruckspartikel äm nicht auf den Imperativ.
Ich habe seitdem auch zwei Perfectformen gefunden, die damit
behaftet sind, nämlich babhüvä3m AV. 10, 2, 28 und- ävive9ä3m
Yv. 23, 49. Die hinzugefügte Zahl 3 beglaubigt die Verschmelzung
a + äm. Mithin ist äm verwandt wie das häufigere Im.
Ueber die Genetive asmäkam yusmäkam.
Zu den wunderlichsten Errungenschaften auf etymologischem
Felde gehört wohl die Entdeckung, dass die vorgenannten Genetive
plr. der 1. und 2. Person eigentlich die nom. neutr. sgl. der Ad¬
jective asmäka und yusmäka seien, so dass die alten Arier gesagt
hätten „Vater unseres, Mutter unseres, Kinder unseres u. s. w."
Den Entdecker wird das latein. nostrum, vestram zu dieser An¬
nahme verführt haben, in denen derselbe den nom. sgh n. der
adj. noster, vester sah! Beginnen vnr darum auch mit dem
Lateinischen. Um von nos und vos einen Genetiv zu bilden geht
die Sprache nicht von den Stämmen no vo aus und formt etwa
noi noum voi voum , sondern sie greift über zum Adjectivstamm
noster voster (resp. vester) imd setzt diesen in den Genetiv nostri
vostri im Sgl. nostrum vostmm im plr. Schon der Singular nostri
vostri beweist, dass nostrum vostrum ebenfalls Genetive sein
müssen, was überdies der syntaktische Gebrauch gebieterisch for¬
dert. Es wäre unerhört, wenn Jemand in centum doctum hominum
Plaut. Pseud. 678 oder in nostrum salute socium ih. Men. 134
Bollensen, zur Vedametrik. 455
doctum und socium für den nom. sgl. neutr. ausgeben woUte oder
gar in remittat (eum) nostrum amborum vicem ib. Capt. 394 in
nostrum den nom. Sgl. neutr. seben wollte. Wir finden ferner in
der Volksspracbe der Komiker nostrum vostrum ersetzt durcb
nostrorum, nostrarum u. s. w. gerade wie im Deutscben man oft
unserer, euerer für unser, euer zu hören bekommt.
Mit dem Lateinischen stimmt das Indische, Altpersische
(asmäkham), Baktrische (ahmäkem yüsmäkem) überein. Alle diese
Sprachen nehmen ebenfalls ihre Zuflucht zum Adjectivstamm der
persönhchen Pronomina, um den Genetiv plr. zu bilden. Bereits
Or. u. Occ. II S. 462. 480. Zeitschr. der DMG. 22 S. 600 habe
ich den alten Genetiv auf äm st. änäm nachgewiesen in deväm
janma und deväm visas I, 71, 3. VI, 11, 3. 51, 2. IV, 2, 3 wie
an diesen Stellen st. devän und devänäm zu lesen. Dieser alte
Genetiv ist eben so wenig aus devänäm zusammengezogen wie deum
aus deorum, dium aus dearmn Enn. Ann. 1, 18. Wie im Latei¬
nischen sehe ich daher auch in asmäkam und yusmäkam einen
gen. plr. statt asmäkam und yusmäkam. Der Accent auf der vor¬
letzten und die Schwere beider vorhergehenden Silben haben die
Erleichterung der Endsilbe herbeigeführt.
Die Betonungssysteme des Rig- und Sämaveda.
Von F. Bollensen.
In meinen verschiedenen Aufsätzen über den Veda habe ich
den Satz geltend gemacht, dass der ursprüngliche Text desselben
nach spätem Lautregeln umgestaltet worden, so dass er den me¬
trischen Forderungen nicht mehr entspricht. Die letzte Redaetion
hat den so gestalteten Text in ein System gebracht und hierzu
hefert das Pratisakhya die Regeln. Wer sich von diesen leiten
lässt, der muss darauf verzichten, nicht nur einen metrischen Text
herzustellen, sondem auch ein Sprachmaterial in richtiger Lautung
den übrigen Forschem zu bieten. Zwei Dinge sind es vor allen,
die der Kritiker des Vedatextes ins Auge zu fassen hat: die
Metrik und die Betonung, aber losgelöst von unhaltbaren
indischen Theorien.
Heute nehme ich mir zum Vorwurf die beiden ältesten Be¬
tonungssysteme des Rv. und Sv. einer eingehenden Prüfung zu
unterziehen, von denen jenes falsch gedeutet und dies theilweise
noch gar nicht erklärt ist. Das Riksystem hat wohl Tonstäbe,
aber diese sind keine Accente. Das Sv.-system ist eine Fortbildung
des Riksystems. Auf dem Grande des letztem entwickelt es die
Tonstufen der die betonte umgebenden Vor- und Nachsilben.
Während diese im Rik unberücksichtigt bleiben und nur die be¬
tonte Silbe herausgestellt wird, bestimmt das fortschreitende Sv.-
system die Vorsilbe der betonten als tieftonig (3), die Nachsilbe
als mitteltonig (2) und die betonte selbst als hochtonig (1).
So laufen nun 2 verschiedene Bezeichnungen durcheinander. Neben
den Tonstufen giebt es sklavisch die Rikbezeichnung wieder und
zwar durch 2 u 3 k 2 r. Wir haben damit Ziffer- und Buchstabenbe¬
tonung zu gleicher Zeit. Weder das eine noch das andere System
kennt Accente, uicht einmal dem Namen nach.
Bei der ersten Mittheilung über die Accente im Sanskrit (!)
überraschte die mit dem Griechischen übereinstimmende Zahl der¬
selben und man beeilte sich sie sofort nach griechischem Muster
zu taufen. Diese Uebereinstimmmig beruht auf Täuschung. Um