Prof. Dr. Anja Lobenstein-Reichmann
Gutachten zur Bachelorarbeit von Frau Karolina Linerová,
„Textualität des Politischen“
Ist Georg Büchners Drama „Dantons Tod“ nur ein Fall für den Literaturwissenschaftler? Ist der ebenfalls von Büchner stammende „Hessische Landbote“ dagegen ein Beispiel nichtliterarischer politischer Protestliteratur? Wie ist literarische Fiktionalität im Hinblick auf gesellschaftliche Misstände, die vermeintlich Fakten nötig hat und einem anderen Sprachspiel zugeordnet werden müsste, zu bewerten? Karolina Linerová hat sich in ihrer sprachwissenschaftlichen Bachelorarbeit (63 Seiten) vorgenommen, diesen Fragen einmal mit modernen textlinguistischen Theorien
nachzugehen. Im Focus stehen die Textualitätskriterien Textkohäsion, Textkohärenz, Intentionalität, Akzeptabilität, Informativität, Situationalität und Intertextualität. Ihr Ergebnis sei hier
vorweggenommen. Sie plädiert dafür „Texte als flexible und wechselnde Entitäten, die ihre
Eigenschaften erst durch die Kommunikation bzw. Interaktion erhalten, zu verstehen“ (S. 55). Und sie konstatiert, dass „bei den analysierten Texten die Entscheidung zwischen den Attributen ‚literarisch’
und ‚politisch’ stark von der Zeit (vor allem beim Hessischen Landboten) und vom realen oder fiktiven Kontext (bei Dantons Tod) abhängt“ (ebd.), das heißt letztlich auch vom jeweiligen Leser. Dies kann der von Büchner direkt adressierte Zeitgenosse sein oder eben auch der nachgeborene
Literarhistoriker. Dies bedeutet daher auch, dass Büchners politische Rhetorik auch und gerade im Drama seine revolutionär-kritische Spannung behält. Zu diesem Ergebnis kommt Frau Linerová im Anschluss an eine absolut überzeugende, semantisch wie pragmatisch durchgeführte Analyse der beiden genannten Büchner-Texte u. a. im Hinblick auf die verschiedenen Textualitätskriterien, die sie zuvor im ersten theoretischen Teil der Arbeit ausführlich eingeführt und auch reflektierend diskutiert hat.
Die von Frau Linerova vorgelegte Bachelorarbeit kann mit Fug und Recht als eine außergewöhnlich gute Arbeit qualifiziert werden. Frau Linerová zeigt vom ersten Satz an, dass sie wissenschaftlich zu denken wie zu arbeiten weiß. Dies sieht der Leser bereits an der äußeren Form, an der Ausarbeitung des wissenschaftlichen Apparates mit Fußnoten und Referenzen und an der gut lesbaren und vor allem korrekten deutschen Sprache. Diese professionelle äußere Form spiegelt dann auch die inhaltliche Professionalität, die mit der kompetenten Kenntnis der linguistischen wie der
literaturwissenschaftlichen Sekundärliteratur beginnt, ein ausgereiftes Bewusstsein theoretischer wie methodischer Zugänge einschließt und in die darauf aufbauende hermeneutisch-interpretative Analyse einmündet.