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Neues zur Therapie bei neuropathischen Schmerzen

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Academic year: 2022

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R E N AT E B O N I F E R

Bekanntermassen werden zur Linde- rung neuropathischer Schmerzen Anti- depressiva, Antikonvulsiva, Tramadol oder Opioide verwendet, doch auch topische Medikamente wie Lidocain, Capsaicin oder Botulinumtoxin kom- men zum Einsatz – mit individuell mehr oder minder grossem Erfolg. Gar nicht erst zu versuchen brauche man es bei neuropathischen Schmerzen hingegen mit NSAR, Paracetamol oder Metamizol:

«Es gibt viele Studien, die zeigen, dass diese Substanzen bei neuropathischen Schmerzen nur wenig oder gar nicht wirksam sind», sagte Professor Ralf Baron, Universität Kiel.

Um die Erfolgsrate bei der Behandlung von Patienten mit neuropathischen Schmerzen zu steigern, forderte Baron eine möglichst massgeschneiderte The- rapie. Letztlich steht zwar immer eine Nervenläsion am Beginn neuropathi- scher Schmerzen, doch verläuft die Schmerzchronifizierung je nach Art der Läsion unterschiedlich. Dies hat Konse- quenzen für den Erfolg oder Misserfolg der Therapie. Wenn man die verschiede- nen Symptome nur genau genug an- schaue, könne man Aussagen über den zu erwartenden Therapieerfolg wagen, so Baron. Der Kieler Schmerzmediziner ist einer der beiden Sprecher des Deut-

schen Forschungsverbunds Neuropathi- scher Schmerz (DFNS), in dessen Rah- men seit einigen Jahren ein Projekt zur quantitativen und qualitativen Erfas- sung neuropathischer Schmerzen läuft.

Ziel ist die Klassifizierung neuropathi- scher Schmerzen anhand bestimmter somatosensorischer Profile. Die standar- disierte Testbatterie besteht aus sieben Tests mit insgesamt 13 Parametern. Ge- testet werden unter anderem Hitze- und Kältesensitivität, Berührungs- oder Druckschmerzen. Mithilfe eines gesun- den Probandenkollektivs wurden für jeden Test standardisierte Normwerte ermittelt. Die Messwerte der Patienten liegen individuell darunter oder darü- ber, so dass sich verschiedene Schmerz- profile ergeben (Abbildung).

Typische Schmerzprofile

Mit den Tests werden die Empfindungs- schwellen auf verschiedene Reize analy- siert. «Der Charme dieser Batterie sen- sorischer Tests ist es, dass wir alle Funk- tionen der afferenten Fasern in einem somatischen Nerv damit analysieren können», erläuterte Baron. Unterschied- liche Nervenfasern, wie beispielsweise dünne, langsam leitende C-Fasern oder dicke, schnell leitende A-beta- oder A-delta- Fasern vermitteln normalerweise unter- schiedliche Reize an das zentrale Ner- vensystem. Bis anhin wurden bei mehr

als 2000 Patienten sensorische Schmerz- profile erfasst. Man habe dabei alle mög- lichen Profile gesehen, konnte jedoch mit - hilfe statistischer Verfahren 11 Subgrup- pen relativ typischer Profile definieren.

Baron und sein Team sind davon über- zeugt, damit einen Schlüssel in der Hand zu halten, um Patienten mit ähnlichen Schmerzmechanismen identifizieren und massgeschneidert behandeln zu können.

Schlechtere Aussichten

bei degenerierten Nervenfasern

Prinzipiell ist so etwas möglich, wie ein Fallbeispiel illustriert, das Ralf Baron in Bern schilderte: Bei einem Patienten ver- ursachte eine Wirbelfraktur Schäden an den spinalen Nerven auf beiden Seiten.

In der Folge entwickelten sich starke, gür- telförmige Schmerzen auf der rechten und der linken Seite des Rückens. Mit Pregabalin kam es nach zirka einer Woche zu einer deutlichen Schmerzre- duktion – aber nur auf der rechten Seite, auf der linken Seite waren die Schmerzen wie zuvor. Die Analyse des Schmerzpro- fils ergab, dass auf der rechten Seite sen- sorische Funktionen erhalten und kaum eine Degeneration festzustellen war. Auf der linken Seite hingegen sah das Profil ganz anders aus. Hier war eine Degene- ration aller Nervenfaserklassen zu ver- zeichnen, was offenbar das Therapiever- sagen auf dieser Körperhälfte bewirkte.

B E R I C H T

ARS MEDICI 8 2010

303

Neues zur Therapie

bei neuropathischen Schmerzen

Schmerzprofile, Capsaicin, Botulinumtoxin und Tapentadol

Neuropathische Schmerzen sind nach wie vor eine therapeutische Herausforderung. An der Jahrestagung der Schweizerischen Gesellschaft für Pharmakologie und Toxikologie in Bern berichtete der Schmerzspe- zialist Professor Ralf Baron über neue Wege in Diagnostik und Therapie.

Neurobiologie des Schmerzes

Symposium der Schweiz. Gesellschaft für Pharmakologie und Toxikologie

4. Februar 2010, Bern

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Capsaicin gegen neuropathische Schmerzen

Dass bei einem «Degenerationsphäno- typ» eher mit Therapieversagen zu rech- nen ist, gilt auch für andere Therapeu- tika. So wird topisches Capsaicin bereits seit Jahren gegen neuropathische Schmerzen verordnet. Hinter der Idee der Capsaicinanwendung bei neuro - pathischen Schmerzen stehen Beobach- tungen, wonach bei den Patienten die Capsaicinrezeptoren auf «Schmerz - fasern» hochreguliert werden, was zu Hitzeüberempfindlichkeit (Capsaicin bindet an einen Rezeptor, der normaler- weise bei Temperaturerhöhung aktiviert wird) und spontanen Schmerzen führt.

In der Folge kommt es zu deutlichen Veränderungen im ZNS. «Wann immer Aktivität aus den Schmerzfasern aus der Peripherie zum zentralen Nervensystem geschickt wird, werden auch diese Zel- len überempfindlich», beschrieb Baron den Prozess der zentralen Sensibilisie- rung: «Dann kann im ZNS zwischen dem A-Faser-System, das eigentlich nur für Berührung und nicht für schmerz- hafte Reize zuständig ist, ein Kontakt mit dem nozizeptiven System entste- hen, sodass jetzt Berührungsreize über

die A-Fasern Anschluss ans nozizeptive System finden und Berührung als schmerzhaft empfunden wird.» Die Applikation von Capsaicin soll eine De- sensibilierung der Rezeptoren auf den C-Fasern bewirken. Bei intakten Nerven könne dies helfen, sagte Baron. Sind die Fasern aber degeneriert, seien «alle Affe- renzen weg und der Schmerz wird zen- tral generiert.»

Zur Behandlung neuropathischer Schmer- zen wird eine 0,025- bis 0,075-prozen- tige Capsaicincreme 3- bis 4-mal täglich aufgetragen (bisher nicht bei Swiss - medic als Arzneimittel registriert, auf ärztliche Verschreibung aus der Apo- theke). In der EU, aber noch nicht in der Schweiz ist ein Pflaster mit 8 Prozent Capsaicin zugelassen. Wegen der schmerzhaften Hautreizung durch diese hohe Capsaicinkonzentration wird die Stelle vor der Applikation mit Lidocain behandelt. Das Capsaicinpflaster wird nach einer Stunde wieder entfernt. Ziel der rabiaten Kur ist der «Knock-out» von Capsaicinrezeptoren auf schmerzleiten- den C-Fasern, der für mehrere Wochen anhalten soll. Baron zeigte sich von dem Effekt des Pflasters zwar beeindruckt, gestand jedoch ein, dass er «noch ein

bisschen Bauchschmerzen» bei der Vor- stellung habe, diese Schmerzfasern immer wieder abzuschalten, ohne zu wissen, was dies auf Dauer bedeute.

Botulinumtoxin und Tapentadol

Noch im experimentellen Stadium be- ziehungsweise im Zulassungsverfahren befinden sich zwei weitere Substanzen, von denen man sich (auch) Hilfe gegen neuropathische Schmerzen verspricht.

Die französischen Schmerzforscher Da- nièle Ranoux und Nadine Attal versu- chen neuropathische Schmerzen durch intradermale Injektionen mit Botulinum- toxin zu lindern. In einer Pilotstudie mit 29 Patienten war ein Effekt gegenüber Plazebo nachweisbar. Über den Stel - lenwert von Botulinumtoxin gegen neuropathische Schmerzen wird unter Schmerzfachleuten jedoch noch kontro- vers diskutiert.

Tapentadol ist ein im ZNS wirkendes Molekül, das sowohl über opioide als auch nichtopiode Mechanismen der Schmerzhemmung wirkt. Einerseits ist die Substanz wie Opioide ein µ-Agonist, andererseits hemmt sie die Noradrena- linwiederaufnahme. In den USA wurde die nicht retardierte Form für akute Schmerzen bereits zugelassen, in der EU und der Schweiz noch nicht. Die retar- dierte Form (weltweit noch im Zulas- sungsverfahren) wurde an Patienten mit diabetischer Nephropathie in einem so- genannten «withdrawal design» getes- tet, berichtete Baron. Hierbei erhielten 3 Wochen lang alle Probanden Tapen - tadol, danach ging es nur mit den «Res- pondern» weiter (2 von 3 Patienten). Für 12 Wochen erhielten diese entweder weiterhin Tapentadol oder Plazebo. Es zeigte sich, dass der Schmerz mit Ta- pentadol auf dem niedrigeren Niveau blieb, während er unter Plazebo wieder auf ein höheres Niveau stieg. Aber auch mit Plazebo blieb das Schmerzniveau unter dem Ausgangswert zu Beginn der Studie, was einmal mehr für den be- kanntermassen hohen Plazeboeffekt in der Schmerztherapie spricht. Renate Bonifer B E R I C H T

304

ARS MEDICI 8 2010

Reizempfingung erhöht/erniedrigt

CDT WDT TSL PHS CPT HPT MDT MPT MPS ALL WUR VDT PPT sensorische Parameter

6 4 2

0 -2 -4

Abbildung: Beispiele für verschiedene somatosensorische Profile von Patienten mit neuropathischen Schmerzen. Der gelbe Bereich umfasst die normale Spannbreite, bei Überempfindlichkeit liegen die Werte höher (rotes Profil), bei fehlender Sensitivität (dege- nerierte Nervenfasern) tiefer (blaues und grünes Profil). Abkürzungen: CDT: Kaltschwelle, WDT: Wärmeschwelle, TSL: thermische Unterschiedsschwelle, PHS: paradoxe Hitzeempfindungen, CPT: Kälteschmerzschwelle, HPT: Hitzeschmerzschwelle, MDT: mechani- sche Detektionsschwelle, MPT: mechanische Schmerzschwelle, MPS: Schmerzsensitivität für Nadelreize, ALL: dynamisch mechani- sche Allodynie, WUR: Windup-Quotient, VDT: Vibrationsschwelle, PPT: Druckschmerzschwelle über Muskel.

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