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Kurznachrichten für Praktiker

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Academic year: 2022

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(1)

4. Jahrgang

APR 2021 04

I nfobrief Arbeitsrecht

Kurznachrichten für Praktiker

Inhalt

Editorial

Thema des Monats Neues zur Arbeitnehmer- überlassung: Brisantes zur Höchstüberlassungsdauer (TV LeiZLeiZ) aus Luxemburg, Berlin und Stuttgart ...2 Rechtsprechung

BAG: Schadensersatz wegen Verletzung des Bewerbungs- verfahrensanspruchs ...7 LAG Nürnberg: Fristlose Tat- und Verdachtskündigung – Diebstahl – Nachträgliche Anhörung des Betriebsrates ....9 ArbG Offenbach am Main:

Zugang zum Betriebsgelände nur mit negativem Covid- 19-Test ...12 Terminvorschau BAG Neue anhängige

Rechtsfragen ...14

Editorial

Herausgeber:

michels.pmks Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Köln

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, liebe Leserinnen und Leser,

in der aktuellen Ausgabe des Infobriefs blicken wir mit dem „Thema des Monats“ auf die aktuelle Rechtsprechung zum Recht der Arbeitnehmerüberlassung. Von besonde- rem Interesse sind dabei Entscheidungen des LAG Baden-Württemberg (Urt. v.

18.11.2020 – 21 Sa 12/20) und des LAG Berlin-Brandenburg (Beschl. v. 13.5.2020 – 15 Sa 1991/19). Die erstgenannte Entscheidung stellt Infrage, ob tarifvertragliche Regelungen zur Verlängerung der Höchstüberlassungsdauer überlassener Arbeitneh- mer Anwendung finden, wenn der Arbeitnehmer nicht Mitglied der tarifvertragschlie- ßenden Gewerkschaft ist. Das LAG Berlin-Brandenburg setzt sich neuerlich mit der Frage auseinander, wann es sich bei einer Arbeitnehmerüberlassung um eine

„vorübergehende“ Überlassung handelt und legt diese Frage dem Europäischen Gerichtshof zur Entscheidung vor.

In den Entscheidungsbesprechungen befassen wir uns zunächst mit einem Urteil des BAG zum Schadensersatzanspruch eines übergangenen Bewerbers in einem Stellen- besetzungsverfahren des öffentlichen Dienstes (Urt. v. 1.12.2020 – 9 AZR 192/20).

Sodann wird die Entscheidung des LAG Nürnberg zur Zulässigkeit verdeckter Video- überwachung und einer hieraufhin ausgesprochenen Tat- und Verdachtskündigung besprochen (Urt. v. 8.12.2020 – 7 Sa 226/20). Schließlich kommt auch dieser Infobrief nicht ganz ohne einen Blick auf die aktuelle Corona-Pandemie aus. Das ArbG Offenbach hatte in einem einstweiligen Verfügungsverfahren die Frage zu entscheiden, ob ein Arbeitgeber berechtigt ist, Arbeitnehmer zur Durchführung von Coronatests zu verpflichten und, für den Fall, dass der Arbeitnehmer einen solchen Test verweigert, ihn ohne Fortzahlung des Entgelts von der Arbeitsleistung freizustel- len (Urt. v. 3.2.2021 – 4 Ga 1/21).

michels.pmks und der Deutsche Anwaltverlag wünschen Ihnen eine spannende Lektüre!

Markus Pillok, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Köln Partner michels.pmks

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F O R T B I L D U N G

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Thema des Monats

Neues zur Arbeitnehmerüberlassung: Brisantes zur Höchstüberlas- sungsdauer (TV LeiZLeiZ) aus Luxemburg, Berlin und Stuttgart Arbeitgeber nutzen die Arbeitnehmerüberlassung als Flexibilisierungsinstrument. Der Abbau von Leiharbeitnehmern bedarf weder eines vorherigen Abschlusses eines Interessenausgleiches und Sozialplanes noch des Ausspruches von Kündigungen, die der Inhaltskontrolle der Arbeitsgerichte am Maßstab des Kündigungsschutzgesetzes unterliegen. Es vermag deshalb auch nicht zu verwundern, dass die konkrete Ausgestaltung der Arbeitnehmerüberlassung seit jeher kontrovers diskutiert wird.

Im Jahre 1972 trat das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz in Kraft. In den Jahren 1985 bis 2002 wurde die Überlassungsdauer der Zeitarbeitnehmer sukzessive von 6 auf 24 Monate erweitert. Im Jahre 2003 wurde die zeitliche Beschränkung der Überlas- sungsdauer mit den Hartz-Reformen aufgehoben. Im Jahre 2012 wurde die soge- nannte „Drehtürklausel“ in das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz eingefügt. Diese sollte verhindern, dass Arbeitnehmer, die zuvor von ihren Arbeitgebern entlassen worden waren nach kurzer Zeit als Zeitarbeitnehmer zu veränderten Konditionen wieder beschäftigt wurden. Im Jahre 2017 trat die Gesetzesnovelle zur Arbeitnehmer- überlassung in Kraft. Diese ist kompliziert ausgestaltet. § 1 Abs. 1 S. 1 AÜG sieht vor, dass die Überlassung von Arbeitnehmern vorübergehend bis zu einer Überlas- sungshöchstdauer nach § 1 Abs. 1 b AÜG zulässig ist. § 1 Abs. 1 b AÜG wiederum sieht eine grundsätzliche Überlassungsdauer von 18 aufeinanderfolgenden Monaten vor. In einem Tarifvertrag von Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche kann eine längere Überlassungshöchstdauer festgelegt werden. Hiervon haben die Tarifver- tragsparteien in Deutschland Gebrauch gemacht. So sieht beispielsweise der Tarifver- trag Leih/Zeitarbeit, der zwischen dem Verband der Metall- und Elektroindustrie Baden-Württemberg und der IG Metall Bezirk Baden-Württemberg abgeschlossen wurde, eine Überlassungshöchstdauer von 48 Monaten vor. Angesichts der für die Arbeitgeber recht großzügigen Umsetzung der Richtlinie verwundert es nicht, dass die Rechtsprechung sich mit dem Merkmal der vorübergehenden Arbeitnehmerüber- lassung und auch mit den Überlassungshöchstgrenzen im letzten Jahr auseinanderge- setzt hat. Im Einzelnen:

I. EuGH, Urteil v. 14.10.2020 – C 681/18

Der vorgenannten Entscheidung lag ein italienischer Sachverhalt zugrunde. Ein Leiharbeitnehmer, der bei einem Leiharbeitsunternehmen beschäftigt war, wurde vom 3.3.2014 bis 30.6.2016 im Rahmen von insgesamt 8 Arbeitnehmerüberlassungsver- trägen sowie insgesamt 17 Verlängerungen als Leiharbeitnehmer überlassen. Der Arbeitnehmer erhob Klage vor dem Gericht, dem Tribunale Ordinario di Brescia mit dem Antrag, festzustellen, dass er in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis zum Entleiher stehe. Er vertrat hierbei die Rechtsauffassung, dass die italienischen Bestimmungen gegen die Leiharbeitsrichtlinie 2008/104 EG verstießen, da sie keine Beschränkung auf aufeinanderfolgende Arbeitnehmerüberlassungen bei demselben Entleiher vorsehen. Der Europäische Gerichtshof stellte in seiner Entscheidung klar, dass die Leiharbeitsrichtlinie die Mitgliedsstaaten nicht konkret verpflichte, die Zahl der Überlassungen des Leiharbeitnehmers bei demselben Entleiher zu beschränken.

Ebenso wenig müsse die Rechtmäßigkeit der Arbeitnehmerüberlassung von der Angabe bestimmter, in der Vorlagefrage genannter Gründe abhängig gemacht werden. Dagegen sei die Richtlinie dahingehend auszulegen, dass sie es einem Mitgliedsstaat verwehre, überhaupt keine Maßnahmen zu ergreifen, um den vorüber- gehenden Charakter der Leiharbeit zu wahren.

Arbeitnehmerüberlassung als Flexibilisierungsinstrument

Entwicklung der

Höchstüberlassungsdauer

vorübergehende Überlassung im Sinne der Richtlinie 2008/104 EG

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Thema des Monats

Betrachtet man die Entscheidung des EuGH und vor allem die instruktiven Ausführen zum Rechtsmissbrauch, so scheint einiges dafür zu sprechen, dass die rechtlich komplexe und großzügig gewählte Umsetzung des deutschen Gesetzgebers in § 1 Abs. 1 b AÜG den Anforderungen der Richtlinie und der Rechtsprechung des EuGH standhält.

II. LAG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 13.5.2020 – 15 Sa 1991/19

Der dieser Entscheidung zugrundeliegende Sachverhalt zeichnete sich dadurch aus, dass der Kläger seit dem 1.9.2014 bei einem Leiharbeitsunternehmen tätig war. Er wurde durchgehend bis zum 1.5.2019 ohne Vorliegen eines Vertretungsfalles in der Motorenfertigung des Entleihers eingesetzt. Auf das Arbeitsverhältnis findet der für die Leiharbeitsbranche bestimmte Tarifvertrag zur Leih- und Zeitarbeit in der Metall- und Elektroindustrie in Berlin-Brandenburg Anwendung, der die Höchstgrenzen der Überlassung präzisiert. Diese Höchstgrenzen wurden vorliegend eingehalten. Der Arbeitnehmer nahm den Entleiher auf die Feststellung in Anspruch, dass er in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis zum Entleiher stand. Vor dem Arbeitsgericht blieb die Klage erfolglos. Das Landesarbeitsgericht Berlin setzte den Rechtsstreit aus und legte dem EuGH folgende Fragen zur Auslegung der Richtlinie 2008/104 EG vor:

ƒ Ist die Überlassung eines Leiharbeitnehmers an ein entleihendes Unternehmen schon dann nicht mehr als vorübergehend im Sinne des Artikel 1 der Leiharbeits- richtlinie anzusehen, wenn die Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz erfolgt, der dauerhaft vorhanden ist und der nicht vertretungsweise besetzt wird?

ƒ Ist die Überlassung eines Leiharbeitnehmers unterhalb einer Zeitspanne von 55 Monaten als nicht mehr vorübergehend im Sinne des Artikel 1 der Richtlinie anzusehen?

ƒ Verstößt eine nationale Regelung wie § 19 Abs. 2 AÜG dann gegen Artikel 1 der Richtlinie, wenn sie erstmals ab dem 1.4.2017 eine individuelle Überlassungs- höchstdauer von 18 Monate vorschreibt, vorangegangene Zeiten der Überlassung aber ausdrücklich unberücksichtigt lässt?

ƒ Kann die Ausdehnung der individuellen Überlassungshöchstdauer den Tarifver- tragsparteien überlassen werden? Falls dies bejaht wird: Gilt dies auch für Tarifver- tragsparteien, die nicht für das Arbeitsverhältnis des betroffenen Leiharbeitneh- mers, sondern für die Branche des entleihenden Unternehmens zuständig sind.

Die vorgenannten Fragestellungen sind von erheblicher Relevanz. Die bislang ganz herrschende Meinung geht davon aus, dass die Höchstüberlassungszeit arbeitneh- merbezogen, nicht aber arbeitsplatzbezogen berechnet wird und dass Überlassungs- zeiten vor Inkrafttreten des Gesetzes am 1.4.2017 nach § 19 Abs. 2 AÜG n.F. nicht angerechnet werden. Sollte der EuGH dies anders beurteilen, wäre das Arbeitnehme- rüberlassungsrecht neu zu justieren, zumal die Überschreitung der Höchstdauer der Leihe dazu führt, dass ein Arbeitsverhältnis zum Entleiher zustande kommt.

III. Arbeitgeberseitige Tarifbindung hinreichend? (LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 18.11.2020 – 21 Sa 12/20 vs. LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 2.4.2020 – 4 Sa 16/20)

In den vorgenannten Fällen wurde jeweils ein Arbeitnehmer, der an die Tarifverträge der Zeitarbeit gebunden war, aber nicht Mitglied der IG-Metall war, über einen Zeitraum, der länger als 18 Monate, aber durch die Höchstgrenzen des TV LeiZ, den der Verband der Metall- und Elektroindustrie Baden-Württemberg mit der IG Baden-Württemberg abgeschlossen hatte, verliehen. Der Arbeitnehmer erhob Klage

Bewertung

Vorlage zum TV LeiZ

Bewertung

TV LeiZZ nur für Mitglieder der IG Metall?

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Thema des Monats

gegen den Entleiher mit dem Antrag, festzustellen, dass der Arbeitnehmer in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis zu dem Entleiher steht.

Die 4. Kammer des LAG Baden-Württemberg führte aus, dass im Recht der Arbeit- nehmerüberlassung zwischen dem Rechtsverhältnis des Arbeitnehmers zum Verleiher und dem Rechtsverhältnis des Arbeitnehmers zum Entleiher zu differenzieren sei. § 1 Abs. 1 b AÜG beinhalte Zeitvorgaben. Der Verleiher darf denselben Arbeitnehmer nicht länger als 18 aufeinanderfolgende Monate dem Entleiher überlassen, der Entleiher darf denselben Arbeitnehmer nicht länger als 18 aufeinanderfolgende Monate tätig werden lassen. Die zuletzt genannte Verpflichtung, also die Verpflich- tung, den Leiharbeitnehmer nicht länger tätig werden zu lassen, sei eine Betriebs- norm im Sinne des § 3 Abs. 2 TVG. Ausreichend für die Geltung dieser Norm sei die Verbandsmitgliedschaft des Arbeitgebers, hier also des Entleihers. Der Arbeitnehmer indes müsse nicht Mitglied der Gewerkschaft sein. Das Recht, den Arbeitnehmer länger zu überlassen, sei indes eine Inhaltsnorm des Tarifvertrages. Diese gelte aber nur, wenn der Arbeitnehmer auch Mitglied der vertragsschließenden Gewerkschaft sei. Dies sei nicht der Fall gewesen. Der überlassene Arbeitnehmer sei zwar an die Tarifverträge der Zeitarbeit gebunden gewesen, sei aber nicht Mitglied der IG-Metall Bezirk Baden-Württemberg gewesen. Dies wiederum habe zur Konsequenz, dass der Verleiher nicht berechtigt gewesen sei, den Arbeitnehmer länger als 18 Monate einzusetzen. Ein Verstoß gegen die Überlassungshöchstdauer führe zur Fiktion des Arbeitsverhältnisses zum Entleiher.

Die 21. Kammer des LAG Baden-Württemberg hat in seiner Entscheidung vom 18.11.2020 – 21 Sa 12/20 anders judiziert. Die 21. Kammer ging davon aus, dass durch die Betriebsnorm im Einsatzverhältnis lediglich der gesetzliche Höchstrahmen des § 1 Abs. 1 b AÜG verschoben werde, ohne dass dies unmittelbar auf den Arbeitsvertrag zwischen dem Verleiher und dem Leiharbeitnehmer Auswirkungen hätte. Im Ergebnis wirke deshalb der Tarifvertrag der Einsatzbranche wie ein Reflex auf die zeitlichen Höchstgrenzen der Arbeitnehmerüberlassung, die der Verleiher zu beachten habe. Die Revision in den vorgenannten Verfahren wurde zugelassen.

Sollte sich die Auffassung der 4. Kammer des LAG Baden-Württemberg durchsetzen, müssten die von den Tarifvertragsparteien recht großzügig formulierten Grenzen sicherlich neu justiert werden. Es spricht allerdings einiges für die Auffassung der 21. Kammer des LAG Baden-Württemberg. Dem Gesetzgeber war daran gelegen, möglichst weitgehende Flexibilisierungsmöglichkeiten durch die sachnahen Tarifver- tragsparteien zuzulassen. Diese Flexibilisierung wäre nahezu unmöglich, wenn der verliehene Arbeitnehmer als Mitglied auch an die Tarifverträge der Einsatzbranche gebunden ist. Für die einheitliche Betrachtung des Rechtes zu verleihen und des Rechts zu beschäftigen spricht der gesetzgeberische Wille, den Tarifvertragsparteien Flexibilisierungsmöglichkeiten zur Verfügung zu stellen, auch wenn die dogmatischen Erwägungen der 4. Kammer des LAG Baden-Württemberg beachtlich sind. Die Entscheidung in dieser Frage darf allerdings mit Spannung erwartet werden.

IV. Branchenzuschläge (BAG, Urt. v. 18.4.2020 – 5 AZR 430/18)

Der Entscheidung lag der Sachverhalt zugrunde, dass der Kläger als Leiharbeitnehmer bei der Beklagten beschäftigt war. Diese lieh ihn an eine Tochtergesellschaft eines in den USA ansässigen Herstellers von Druckern, Multifunktionsgeräten und Software aus. Die Entleiherin selbst unterhält keine Produktionsstätte. Sie kümmert sich ausschließlich um den Vertrieb. Der Kläger nahm die Beklagte auf Zahlung der Branchenzuschläge der Metall- und Elektroindustrie in Anspruch.

Bewertung

Geltungsbereich TV BZ ME – Keine Geltung für reine Vertriebsgesellschaften

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Thema des Monats

Sowohl das ArbG als auch das LAG wiesen die Klage ab. Mit der Revision hatte der Kläger ebenfalls keinen Erfolg. Das LAG führte aus, dass die Entleiherin als reine Vertriebsgesellschaft nicht in den fachlichen Anwendungsbereich des Tarifvertrages BZ Branchenzuschlag Metall- und Elektroindustrie falle.

Die Katalogaufzählung in § 1 Nr. 2 S. 2 Abs. 1 TV BZ ME erfasse alle Betriebe in den aufgezählten Wirtschaftszweigen. Notwendig sei allerdings, dass die genannten Produkte industriell hergestellt werden, was auf die Entleiherin als Vertriebsgesell- schaft nicht zutreffe. Die Entleiherin sei auch nicht als Unterstützungsbetrieb zu qualifizieren. Unter den Begriff des Unterstützungsbetriebes fielen Betriebe, die nicht originär in den Katalog fielen, aber zumindest nach ihren überwiegenden Tätigkeiten den Fertigungsprozess eines Katalogbetriebes unterstützten. Hierfür genüge der Vertrieb nicht. Der 5. Senat des BAG stellt im Ergebnis auf die Nähe zum Produkt ab.

Er geht davon aus, dass der Produktionsprozess nicht nur der erstmalige Fertigungs- prozess, sondern auch die Herstellung und der Erhalt des Produktes, insbesondere die Montage und Wartung, erfasst. Der bloße Vertrieb genüge jedoch nicht. Im Ergebnis bedeutet dies, dass die Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie zur Leiharbeit auf eine reine Vertriebsgesellschaft keine Anwendung finden. Der Verleiher muss keine Branchenzuschläge zahlen, verlängerte Laufzeiten der Überlassung sind allerdings ebenfalls nicht einschlägig.

Die betrieblichen Geltungsbereiche der Tarifverträge, die eine längere Überlassungs- dauer in der Einsatzbranche und im Regelfall auch Branchenzuschläge beinhalten, sollten in jedem Einzelfall genau geprüft werden.

V. Vermittlungshonorar aus einem Arbeitnehmerüberlassungsvertrag (BGH, Urt. v. 5.11.2020 – III ZR 156/19)

Der BGH hatte sich in seiner Entscheidung vom 5.11.2020 mit einem Vermittlungsho- norar aus einem Arbeitnehmerüberlassungsvertrag auseinanderzusetzen (BGH, Urt. v.

5.11.2020 – III ZR 156/19). Die in dem Arbeitnehmerüberlassungsvertrag enthaltene Vermittlungsklausel lautete wie folgt:

„Endet das Arbeitsverhältnis des überlassenen Mitarbeiters mit der T. und begründet dieser anschließend ein Arbeitsverhältnis mit dem Kunden oder einem mit ihm rechtlich oder wirtschaftlich verbundenen Unternehmen, so ist dieses durch Vermittlung bzw. Nachweis von T. entstanden. Der Kunde verpflichtet sich in einem solchen Fall, ein Vermittlungs- bzw. Nachweishonorar zu zahlen.

Dieses beträgt zwei Bruttomonatsgehälter und reduziert sich entsprechend der Dauer der erfolgten Arbeitnehmerüberlassung für jeden vollen Monat um ein Zwölftel.

Für den Fall, dass zwischen der Begründung des Arbeitsverhältnisses und dem Ende der Überlassung eine Zeitspanne von maximal 6 Monaten liegt, wird vermutet, dass die Begründung des Arbeitsverhältnisses auf die Überlassung zurückzuführen ist, so dass der T. das vorstehend vereinbarte Vermittlungs- bzw.

Nachweishonorar auch zusteht, soweit der Kunde oder das mit ihm verbundene Unternehmen diese Vermutung nicht widerlegt. Diese Vereinbarung endet nach neun Monaten nach Beginn des AÜV …“

Die Klägerin verlieh einen Arbeitnehmer bis zum 13.12.2014 an die Beklagte. Die Verleiherin, die T GmbH, beendete das Arbeitsverhältnis mit K. Im Wege der betriebs- bedingten Kündigung zum 23.2.2015. Am 6.3.2015 begründete die Beklagte dann ein Arbeitsverhältnis zu dem Entleiher. Daraufhin stellte der Verleiher dem Kunden ein Vermittlungs- und Nachweishonorar in Rechnung.

Vorsicht bei reinen Vertriebs- gesellschaften

AGB-Kontrolle zu den Honoraren der Vermittlung

(7)

Thema des Monats

Das AG Tübingen hatte die Klage abgewiesen, dass LG Tübingen indes hatte der Klage zugesprochen. Mit der Revision begehrte die Beklagte die Wiederherstellung des Urteils des AG. Die Revision hatte jedoch keinen Erfolg. Der BGH entschied, dass die Vermittlungshonorarklausel wirksam ist. Die in der Klausel bestimmte Vergütung sei zunächst einmal der Höhe nach nicht zu beanstanden. Sie sei auf maximal zwei Monatsverdienste begrenzt und beinhalte die nach der Rechtsprechung des BGH erforderliche degressive Staffelung zur Verweildauer. Der Umstand, dass der Verleiher das Arbeitsverhältnis zuvor selbst gekündigt hatte, stehe der Wirksamkeit der Klausel nicht entgegen. Es hätten zwar einige Instanzgerichte die Rechtsauffassung vertre- ten, dass die Klausel unangemessen sei, wenn der Verleiher zuvor selbst kündige und der Entleiher dann mit dem entliehenen Arbeitnehmer ein Arbeitsverhältnis eingehe.

Demgegenüber würden andere Instanzgerichte (LG Aachen, Urt. v. 6.2.2018 – 8 O 243/17, AG Ravensburg, Urt. v 17.5.2019 – 874/18) und das Schrifttum (Beck OK Arbeitsrecht/Kock, AÜG § 9 Rn 51) den gegenteiligen Rechtsstandpunkt einnehmen.

Diese verwiesen darauf, dass eine Unterscheidung nach Beendigungsgründen dem eindeutigen Wortlaut des § 9 Abs. 1 Nr. 3 AÜG widerspreche und auch nach dem Sinn und Zweck der Regelung nicht erforderlich sei. Dieser Rechtsansicht pflichtete der BGH bei.

Die vorgenannte Rechtsprechung des BGH ist stringent. Ein Entleiher muss sich darauf einstellen, dass er in den Fällen, in denen er einen verliehenen Arbeitnehmer später einstellt, auch ein Vermittlungshonorar schuldet. Dies entspricht in der Tat der gesetzlichen Wertung.

VI. Verfassungsmäßigkeit des Verbotes des Einsatzes von Leiharbeitnehmern bei Streik (BVerfG, Urt. v. 19.6.2020 – 1 BvR 842/12)

Die 3. Kammer des 1. Senates des BVerfG hat am 19.6.2020 entschieden, dass § 11 Abs. 5 S. 1 und 2 AÜG verfassungsmäßig sind (BVerfG, Urt. v. 19.6.2020 – 1 BvR 842/12). Die vorgenannten Regelungen gestalten die Koalitionsfreiheit aus. Die Regelung verletze auch nicht die staatliche Neutralitätspflicht. Dem Gesetzgeber sei es gerade nicht verwehrt, die Rahmenbedingungen im Tarifvertragsrecht zu ändern, um eine gestörte Parität wiederherzustellen.

VII. Fazit

Das Recht der Arbeitnehmerüberlassung wurde auch im letzten Jahr kontrovers diskutiert. Für die weitere Entwicklung des Einsatzes von Leiharbeitnehmern werden vor allen Dingen die Entscheidungen des EuGH zur Vorlage des LAG Berlin-Branden- burg und die Entscheidung des BAG zu den tariflichen Regelungen der Einsatzbran- che zur Überlassungsdauer mit Spannung zu erwarten sein. Sollte der EuGH regle- mentierend eingreifen oder aber sich die Auffassung der 4. Kammer des LAG Baden-Württemberg durchsetzen, stünde eine umfangreiche Neuordnung der Praxis der Zeitarbeit bevor.

Dr. Marcus Michels, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Köln

Bewertung

Zusammenfassung

(8)

Rechtsprechung

BAG: Schadensersatz wegen Verletzung des Bewerbungsverfahrens- anspruchs

1. Ein übergangener Bewerber kann Schadensersatz wegen der Nichtbe- rücksichtigung seiner Bewerbung verlangen, wenn ein Arbeitgeber des öffentlichen Diensts eine zu besetzende Stelle zu Unrecht an einen Konkur- renten vergibt, die bei ordnungsgemäßer Auswahl ihm hätte übertragen werden müssen.

2. Nach der Wertung des § 839 Abs. 3 BGB soll allerdings grundsätzlich nur der Stellenbewerber Schadensersatz erhalten, der sich im Vorfeld der absehbaren Auswahlentscheidung des Arbeitgebers bemüht hat, den eingetretenen Schaden dadurch abzuwenden, dass er seine Rechte aus Art. 33 Abs. 2 GG durch die Inanspruchnahme einstweiligen Rechtsschut- zes wahrt. Dies entspricht dem schadensersatzrechtlichen Grundsatz, dass der Primärrechtsschutz Vorrang vor dem Sekundärrechtsschutz hat.

3. Die in § 839 Abs. 3 BGB geregelte Obliegenheit greift nicht zu Lasten des Stellenbewerbers ein, wenn es der öffentliche Arbeitgeber unterlässt, den Stellenbewerber über die Behandlung seiner Bewerbung und für den Fall, dass er ihn in den Bewerberkreis einbezieht, über den Ausgang des Bewerbungsverfahrens in Kenntnis zu setzen.

4. Der Begriff der Zumutbarkeit i.S.d. § 839 Abs. 3 BGB ist ein Rechtsbe- griff, bei dessen Feststellung den Tatsachengerichten ein Beurteilungsspiel- raum zusteht.

[Orientierungssätze]

BAG, Urt. v. 1.12.2020 – 9 AZR 192/20 I. Der Fall

Die Parteien stritten über die Verpflichtung der Beklagten, dem Kläger Schadenser- satz wegen der Verletzung seines Bewerbungsverfahrensanspruchs zu zahlen. Der Kläger war bis zum 8.3.2017 aufgrund eines befristeten Arbeitsvertrags in einer Zweigstelle der Bundesagentur für Arbeit als Arbeitsvermittler mit Beratungsaufga- ben beschäftigt.

Anfang des Jahres 2017 schrieb die Beklagte intern für eine andere Zweigstelle eine Stelle als Arbeitsvermittler mit Beratungsaufgaben aus. Die Ausschreibung richtete sich allerdings ausschließlich an Arbeitnehmer mit einem unbefristeten Arbeitsvertrag und Beamte. Zudem schrieb die Beklagte am 10.2.2017 – ebenfalls nur für unbefris- tet beschäftigte Arbeitnehmer und Beamte – eine Stelle als Sachbearbeiter/-in bei einer weiteren Zweigstelle aus.

Der Kläger bewarb sich auf beide Stellenausschreibungen. Die Bewerbung auf die erste Stelle lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, der Kläger erfülle als befristet Beschäftigter die in der Ausschreibung genannten formalen Voraussetzungen nicht.

Auch seine Bewerbung auf die zweite Stelle könnte nicht berücksichtigt werden, da sich die Ausschreibung ausschließlich an „Dauerkräfte“ richte. In der Folgezeit bewarb sich der Kläger erfolglos auf weitere von der Beklagte ausgeschriebene Stellen.

Streit über Schadensersatz- pflicht

ausgeschriebene Stellen

Ablehnung der Bewerbungen

(9)

Rechtsprechung

Zwar trat der Kläger im März 2018 eine neue Beschäftigung an. Sein Bruttomonats- gehalt lag jedoch ca. 900,– EUR brutto unter seinen letzten Bezügen bei der Beklag- ten. Daher verlangte der Kläger von der Beklagten zum einen den Ersatz der Entgelt- differenz im Wege des Schadensersatzes. Zum anderen begehrte der Kläger die Feststellung, dass die Beklagte auch für eventuelle zukünftige Schäden Ersatz zu leisten habe. Die Beklagte habe seinen Bewerbungsverfahrensanspruch verletzt, indem sie seine Bewerbung bei der Stellenbesetzung nicht berücksichtigt habe. Der Ausschluss von befristet beschäftigten Arbeitnehmern habe gegen das Diskriminie- rungsverbot des § 4 Abs. 2 TzBfG verstoßen. In beiden Bewerbungsverfahren sei er schließlich der bestgeeignete Bewerber gewesen.

Eine Konkurrentenklage nach Art. 33 Abs. 2 GG strengte der Kläger jedoch nicht an.

Er habe abwarten können, ob die Beklagte ihm eine andere Stelle anbieten werde, bevor er ein gerichtliches Verfahren anstrenge.

Die Beklagte hingegen vertrat die Auffassung, die Stellenausschreibungen seien ordnungsgemäß erfolgt. Als Inhaberin der Organisationsgewalt sei sie dazu befugt, die Ausschreibungen ausschließlich an unbefristet beschäftigte Arbeitnehmer und Beamte zu richten. Dieser Entscheidung lägen wichtige personalpolitische Erwägun- gen zugrunde. Der Kläger habe als befristet beschäftigter Arbeitnehmer daher zulässigerweise abgelehnt werden dürfen.

Sowohl das ArbG Mainz (Urt. v. 1.8.2018 – 1 Ca 441/18) als auch das LAG Rhein- land-Pfalz (Urt. v. 1.8.2019 – 5 Sa 420/18) haben die Klage als unbegründet abgewiesen. Das BAG bestätigte die Instanzgerichte und wies die Klage ebenfalls als unbegründet ab.

II. Die Entscheidung

Bedenken gegen die Zulässigkeit der Klage bestünden nicht. Die vom Kläger begehr- te Feststellung, dass die Beklagte auch zum Ersatz zukünftiger Schäden einzustehen habe, sei aus Sicht des BAG hinreichend bestimmt. Auch das Feststellungsinteresse sei nach § 256 Abs. 1 ZPO gegeben, da die Schadensfolgen in der Zukunft wahr- scheinlich seien, auch wenn die Art, der Umfang und sogar der Eintritt des Schadens noch ungewiss wären.

Allerdings seien beide Klageanträge unbegründet. Der Kläger sei seiner Obliegenheit, Primärrechtsschutz in Form einer Konkurrentenklage in Anspruch zu nehmen, nicht nachgekommen. Aus diesem Grund scheide ein Schadensersatzanspruch – auch für eventuelle zukünftige Schäden – aus.

Zwar könne ein übergangener Bewerber – so das BAG – grundsätzlich Schadenser- satz von einem öffentlichen Arbeitgeber verlangen, wenn dieser sich bei der Auswah- lentscheidung nicht an die Vorgaben des Art. 33 Abs. 2 GG halte. Allerdings sei die Schadensersatzpflicht nach § 839 Abs. 3 BGB eingeschränkt. Unterlasse es der Bewerber vorsätzlich oder fahrlässig den Schaden, z.B. durch Inanspruchnahme eines Rechtsmittels, abzuwenden, greife die in § 839 Abs. 1 BGB normierte Ersatzpflicht nicht ein. § 839 Abs. 3 BGB – so das BAG – stelle eine besondere Ausprägung des Mitverschuldensprinzips aus § 254 BGB dar.

Der zu Unrecht nicht berücksichtigte Bewerber könne nach Ansicht des BAG daher nur Schadensersatz für die Verletzung eines Rechts aus Art. 33 Abs. 2 GG verlangen, wenn er sich bemüht habe, den Schaden dadurch abzuwenden, dass er im Vorfeld zu der absehbaren Auswahlentscheidung rechtliche Schritte einleite. Ein Wahlrecht zwischen Primärrechtsschutz und Schadensersatzbegehren bestünde daher gerade

Verletzung seines Bewerbungsverfahrens- anspruchs

keine Konkurrentenklage erhoben

Inhaberin der Organisations- gewalt

Verfahrensgang

Antrag auf Feststellung zukünftiger Schadensersatz zulässig

kein Primärrechtsschutz angestrengt

Einschränkung der Schadensersatzpflicht nach

§ 839 Abs. 3 BGB

rechtliche Schritte gegen absehbare Auswahl- entscheidung

(10)

Rechtsprechung

nicht. Vorliegend sei es dem Kläger insbesondere zuzumuten gewesen, einstweiligen gerichtlichen Eilrechtsschutz in Anspruch zu nehmen.

Ausnahmsweise greife § 839 Abs. 3 BGB allerdings nicht ein, wenn der öffentliche Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht tatsächlich in die Lage versetzt habe, Primär- rechtsschutz in Anspruch zu nehmen. Der öffentliche Arbeitgeber müsse den erfolg- losen Bewerber grundsätzlich in die Lage versetzen, darüber zu entscheiden, ob er die Auswahlentscheidung hinnehmen soll oder ob Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen den Grundsatz der Bestenauslese bestehen. Diese Anforderungen habe die Beklagte vorliegend erfüllt durch ihre Mitteilungen an den Kläger erfüllt.

Das LAG Rheinland-Pfalz habe auch nicht den Beurteilungsspielraum überschritten.

Es habe bereits ausreichend berücksichtigt, dass der Kläger sich zum Zeitpunkt der Absagen auf weitere Stellen beworben hatte. Insbesondere greife das in § 612a BGB normierte Maßregelungsverbot nicht ein, da keine besonderen Umstände vorlägen, die auf einen Verstoß schließen lassen würden. Schließlich – so der 9. Senat – könne

§ 839 Abs. 3 BGB, der den Schutz der öffentlichen Verwaltung bezwecke, nicht dadurch ausgehebelt werden, dass der Bewerber weitere Bewerbungen einreiche.

III. Der Praxistipp

Das BAG bestätigt mit seinem Urteil seine Entscheidung vom 28.1.2020 (vgl. Urt. v.

28.1.2020 – 9 AZR 91/19) und schließt sich erneut der Rechtsprechung des BVerwG an (vgl. Urt. v. 30.8.2018 – 2 C 10/17; Urt. v. 20.10.2016 – 2 C 30/15). Zwar kann einem zu Unrecht übergangenen Stellenbewerber grundsätzlich auch Schadensersatz wegen der Nichtberücksichtigung seiner Bewerbung zustehen. Allerdings gelten hierbei die Grenzen der aus § 839 Abs. 3 BGB folgenden Schadensminderungspflicht.

Der Entscheidung ist insbesondere darin zuzustimmen, dass dem Sekundärrechts- schutz nicht dadurch Vorrang gegeben werden kann, dass der Bewerber weitere Bewerbungen beim öffentlichen Arbeitgeber einreicht. Gerade nur bei rechtmäßigen hoheitlichen Eingriffen kann der Grundsatz „dulde und liquidiere“ gelten. Bei rechtswidrigem Handeln des Staates durch Verletzung des Art. 33 GG muss aller- dings der Primärrechtsschutz, also die Beseitigung des rechtswidrigen Eingriffs durch Erhebung einer Konkurrentenklage, vorrangig sein. Vor der Erhebung einer Schadens- ersatzklage ist daher stets und vor allem rechtzeitig zu prüfen, ob nicht vorrangig ein Konkurrentenrechtsstreit anzustrengen ist.

Adrian Mrochen, Rechtsanwalt, Köln

LAG Nürnberg: Fristlose Tat- und Verdachtskündigung – Diebstahl – Nachträgliche Anhörung des Betriebsrates

1. Ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung kann darin liegen, dass der Arbeitnehmer aus dem Warenbestand des Arbeitgebers Waren zum Eigenverbrauch entnimmt oder dem dringenden Verdacht unterliegt, dies zu tun.

2. Der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers durch eine verdeckte Videoüberwachung muss nach § 26 BDSG dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechen. Der Arbeitgeber muss deshalb vor der Installation der verdeckten Videokamera die dafür geeigneten und ihm zumutbaren Möglichkeiten ausgeschöpft haben, den möglichen Täter- kreis mit entsprechenden Verdachtstatsachen einzugrenzen.

Ausnahme nur bei Pflicht- verletzung des Arbeitgebers

keine Überschreitung des Beurteilungsspielraums

Bestätigung der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung

kein Grundsatz „dulde und liquidiere“

(11)

Rechtsprechung

3. Hat der Arbeitgeber den Betriebsrat nur zu einer Tatkündigung ange- hört, so kann er die Kündigung im gerichtlichen Verfahren nur auf den bloßen Verdacht der entsprechenden Handlung stützen, wenn er den Be- triebsrat auch zu den entsprechenden Verdachtsmomenten angehört hat.

Nur bei nachträglichem Bekanntwerden neuer Verdachtstatsachen kann der Arbeitgeber den Betriebsrat dazu nachträglich anhören und den Ver- dacht der entsprechenden Handlung als Kündigungsgrund im gerichtlichen Verfahren nachschieben (Anschluss an BAG v. 16.7.2015 – 2 AZR 85/15).

[Amtliche Leitsätze]

LAG Nürnberg, Urt. v. 8.12.2020 – 7 Sa 226/20 I. Der Fall

Die Beklagte kündigte den Kläger am 4.1.2020 außerordentlich fristlos und hilfsweise ordentlich sowie mit Schreiben vom 13.1.2020 erneut hilfsweise ordentlich wegen Diebstahls von zwei 0,04 l Flaschen Jägermeister.

Der Kläger war im Großhandelslager der Beklagten als Kommissionierer beschäftigt.

Den Getränke- und Spirituosenbereich ihres Großhandelslagers überwachte die Beklagte per Videokamera, nachdem es dort in der Vergangenheit wiederholt zu Fehlbeständen gekommen war. Am 22.12.2019 stellten zwei Schichtführer das Fehlen von zwei 0,04 l Jägermeisterflaschen fest, nachdem sie gesehen hatten, dass der Kläger sich im Getränke- und Spirituosenbereich aufgehalten hatte. Der Kläger wurde bei seinem Aufenthalt in dem Gang mit den Jägermeisterflaschen von der versteckt angebrachten Videokamera gefilmt. Am 27.12.2019 wurde der Kläger mit dem Vorwurf konfrontiert, er habe sich die Jägermeisterfläschchen angeeignet. Der Kläger stritt den Vorwurf ab.

Die Beklagte hörte den für das Großhandelslager zuständigen Betriebsrat am 30.12.2019 zu der von ihr beabsichtigten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung wegen Diebstahls von zwei Jägermeisterfläschchen an. Der Betriebsrat teilte am 2.1.2020 mit, zu den beabsichtigten Kündigungen keine Stellungnahme abzugeben. Die Beklagte kündigte daraufhin mit Schreiben vom 4.1.2020 außeror- dentlich und fristlos, hilfsweise ordentlich zum nächstmöglichen Termin sowie mit weiterem Schreiben vom 13.1.2020 erneut hilfsweise ordentlich zum 20.2.2020.

Im Rahmen der vom Kläger fristgerecht eingereichten Kündigungsschutzklage widersprach der Kläger der Verwertung der Videoaufzeichnung der Beklagten vom 20.12.2019.

Die vor dem ArbG Würzburg erhobene Kündigungsschutzklage gegen die ausgespro- chenen Kündigungen hatte Erfolg (Urt. v. 7.5.2020 – 4 Ca 65/20). Die hiergegen von der der Beklagten eingelegte Berufung blieb erfolglos (LAG Nürnberg, Urt. v.

8.12.2020 – 7 Sa 226/20).

II. Die Entscheidung

Ebenso wie das Erstgericht erachtete auch das LAG Nürnberg die Kündigung des Klägers für unwirksam. Ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses wegen Diebstahls habe die Beklagte nicht darlegen und bewei- sen können. Der Kläger habe den Diebstahl bestritten. Tatzeugen für den dem Kläger vorgeworfenen Diebstahl habe die Beklagte nicht angeboten. Auch aus den von der Beklagten vorgetragenen Begleitumständen ergebe sich zur Überzeugung des Gerichts kein Diebstahl.

Kündigung wegen Diebstahls

Verfahrensgang

Fehlen eines Kündigungs- grundes

(12)

Rechtsprechung

Die Videoaufnahme der Beklagten könne nicht verwertet werden. Die Videoaufnah- me verletze das Recht des Klägers auf informationelle Selbstbestimmung. Unabhän- gig von der Verwertbarkeit der Bildaufnahmen nach den datenschutzrechtlichen Bestimmungen scheitere die Verwertung an der Wahrung des Verhältnismäßigkeits- grundsatzes. Eine Verwertung heimlicher Videoaufnahmen komme nur dann in Betracht, wenn der konkrete Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer anderen schweren Vertragsverletzung zu Lasten des Arbeitgebers bestehe, weniger einschnei- dende Mittel zur Aufklärung des Verdachtes ergebnislos ausgeschöpft seien, die heimliche Kameraüberwachung damit das praktisch einzig verbleibende Mittel darstelle und dieses insgesamt nicht unverhältnismäßig sei. Nach dem Vortrag der Beklagten sei jedoch nicht ersichtlich, ob nicht noch andere Mittel zur Eingrenzung des Kreises der Tatverdächtigen möglich gewesen wären. Die Videoaufnahmen seien daher nicht verwertbar. Es fehle somit an einem Tatnachweis.

Die von der Beklagten vorgetragenen Umstände könnten zwar einen Verdacht gegen den Kläger begründen, jedoch sei der Betriebsrat nur zu einer Tatkündigung angehört worden. Die außerordentliche und hilfsweise ordentliche Kündigung vom 4.1.2020 sei daher insgesamt rechtsunwirksam; im Hinblick auf die Kündigung wegen Diebstahls mangels Tatnachweises, im Hinblick auf eine Kündigung wegen des Verdachtes des Diebstahls mangels ordnungsgemäßer Anhörung des Betriebsrats. Auch die hilfswei- se ordentliche Kündigung vom 13.1.2020 erweise sich als rechtsunwirksam. Zu dieser Kündigung sei der Betriebsrat nicht erneut angehört worden.

III. Der Praxistipp

Die Entscheidung des LAG Nürnberg liegt auf der Linie des BAG. Sie zeigt einmal mehr, welch hohen Anforderungen Arbeitgeber sowohl beim Nachweis einer Tatkün- digung als auch bei einer ordnungsgemäßen Betriebsratsanhörung gerecht werden müssen.

Die Überwachung von Arbeitnehmern per Video erfordert, worauf das LAG Nürnberg zu Recht hinweist, die Einhaltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Das heißt, die Videoüberwachung muss einem legitimen Zweck (präventive oder repressive Kontrolle) dienen, geeignet sein, diesen Zweck zu erfüllen, und erforderlich sein. Es darf also kein anders, gleich wirksames milderes Mittel zur Verfügung stehen. Anders gewendet: nur wenn die Videoüberwachung alternativlos ist, kommt sie in Betracht.

Aber auch dann muss stets noch eine Abwägung stattfinden, ob das Interesse des Arbeitgebers an der Aufzeichnung den damit verbundenen Eingriff in das Persönlich- keitsrecht des Arbeitnehmers tatsächlich rechtfertigt. Insoweit kommt es insbesonde- re auf die Intensität der im Raum stehenden Pflichtverletzung an.

Auch bei vermeintlich eindeutigen, hieb- und stichfesten Kündigungssachverhalten ist es ratsam, die Kündigung – zumindest auch – auf den Verdacht gegen den Arbeit- nehmer zu stützen und den Betriebsrat auch hierzu anzuhören. Das setzt freilich unter anderem auch voraus, den Arbeitnehmer im Vorfeld zu dem konkreten Ver- dacht anzuhören. Tut man dies nicht, setzt man alles auf die Karte und schränkt die Erfolgsaussichten unnötig ein.

Peter Hützen, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Köln

Unverwertbarkeit der Video- aufzeichnung

keine Anhörung des Betriebs- rats zur Verdachtskündigung

Fortführung der Recht- sprechung des BAG

Nachweis einer Tatkündigung mittels Videoaufnahmen nur im Ausnahmefall

Anhörung des Betriebsrats zur Tat- und zur Verdachts- kündigung

(13)

Rechtsprechung

ArbG Offenbach am Main: Zugang zum Betriebsgelände nur mit negativem Covid-19-Test

1. Die Anordnung der Vorlage eines negativen Corona-Tests zum Zugang zum Betriebsgelände ist während der Covid-19-Pandemie und fortlaufend hoher Inzidenzahlen nach summarischer Prüfung nicht zu beanstanden.

2. Mit der Anordnung kommt der Arbeitgeber seiner Verpflichtung nach

§ 618 Abs. 1 BGB nach, Arbeitnehmer gegen Gefahren für Leben und Ge- sundheit soweit zu schützen, als die Natur der Dienstleistung es gestattet.

Die mit der Durchführung des Corona-Tests einhergehende Beeinträchti- gung der körperlichen Integrität von kurzer Dauer und niederschwelliger Intensität ist demgegenüber nachrangig.

[Redaktionelle Leitsätze]

ArbG Offenbach am Main, Urt. v. 3.2.2021 – 4 Ga 1/21

I. Der Fall

Die Parteien streiten über die Berechtigung der Verfügungsbeklagten (im Folgenden Beklagte), den Zutritt zum Werksgelände davon abhängig zu machen, dass der Verfügungskläger (im Folgenden Kläger) einen negativen Covid-19-Test vorweist.

Der am 1959 geborene Kläger ist bei der Beklagten seit dem 4.4.1986 als Gabelstap- lerfahrer in der Produktionshalle einer Gießerei tätig, wo über mehrere Tage betrach- tet jeder Mitarbeiter mit jedem anderen Kollegen Kontakt hat. Alle Mitarbeiter sind daher angewiesen, den Sicherheitsabstand von 1,5 Meter einzuhalten. Sofern dies nicht möglich ist, besteht zudem seit einiger Zeit eine Verpflichtung zum Tragen von medizinischen Mund-Nasen-Schutz.

Mit E-Mail vom 6.1.2021 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass Mitarbeiter sowie Externe nur mit einem negativen Covid-Test Zutritt zum das Firmengelände erhalten.

Am 13.1.2021 schloss die Beklagte mit dem Betriebsrat darüber hinaus eine Betriebs- vereinbarung über die Einführung von Corona-Schnelltests. Diese enthält u.a.

folgende Regelung:

„2. Corona-Schnelltests

2.1 Besteht ein begründeter Verdacht, dass sich Mitarbeiter mit dem Sars-CoV-2-Virus in dem Betrieb angesteckt haben oder ist das Risiko, dass sich Mitarbeiter mit dem Sars-CoV-2-Virus im Betrieb anstecken könnten deutlich erhöht, kann die Gesellschaft verlangen, dass sich alle oder einzelnen Mitarbeiter vor Arbeitsbeginn einem Corona- Schnelltest unterziehen. Ein erhöhtes Risiko liegt beispielsweise vor, wenn in dem Landkreis, in dem der Betrieb liegt, nach den Veröffentlichungen des RKI im Durch- schnitt von sieben Kalendertagen mehr als 200 Personen je 100.000 Einwohner dieses Landkreises mit dem SARS-CoV-2-Virus infiziert wurden. Man kann ebenfalls davon ausgehen, dass aufgrund erhöhter Kontaktfrequenzen während der Weih- nachtsfeiertage und Silvester ein erhöhtes Risiko vorliegt. Um ausschließen zu können, dass infizierte Kollegen die Arbeit nach den Weihnachtsfeiertagen aufneh- men und andere Kollegen infizieren haben wir uns entschieden Schnelltests anzubie- ten. Aufgrund des Risikos wird eine doppelte Testung durchgeführt: der erste Test am ersten Tag der Arbeitsaufnahme nach den Feiertagen und der zweite Test 5 Tage später. Gleiches gilt für Mitarbeiter, die in 2021 aus Urlaub oder Krankenstand (ab 14 Tagen), Elternzeit etc. in den Betrieb zurückkehren.“

Zugang zum Betriebsgelände nur mit negativem Covid- 19-Test

Tätigkeit des Klägers

Anordnung per Email Regelung per Betriebsverein- barung

(14)

Rechtsprechung

Nachdem der Kläger am 18. und 25.1.2021 unentschuldigt von der Arbeit ferngeblie- ben war, erteilte die Beklagte unter dem 20. und 29.1.2021 Abmahnungen wegen unentschuldigten Fernbleibens von der Arbeit und zahlte für den Zeitraum ab 18.1.2021 kein Entgelt.

Der Kläger hingegen ist der Auffassung, die Beklagte sei verpflichtet, ihm einen vertragsgemäßen Arbeitsplatz anzubieten; sie sei insbesondere nicht berechtigt, den Zutritt zum Werksgelände von einem negativen Covid-Test abhängig zu machen, da die Einhaltung der Maskenpflicht und die Abstandsregelungen ausreichend geeignet, erforderlich und angemessen seien, um einen Schutz vor Ansteckung mit Covid-19 zu gewährleisten.

Der Kläger hat daher beantragt, die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zur rechtskräfti- gen Entscheidung in der Hauptsache zum Zwecke der Erbringung seiner vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung den Zutritt zu ihrem Werksgelände zu gestatten, ohne dass der Kläger zuvor an einem Covid-19-Test teilnehmen muss oder einen Test mit negativem Ergebnis vorlegen muss.

II. Die Entscheidung

Das ArbG Offenbach am Main hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfü- gung mit Urt. v. 3.2.2021 zurückgewiesen. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung sei unbegründet, da kein Verfügungsgrund bestehe.

Macht der Arbeitnehmer seinen Beschäftigungsanspruch im Eilrechtsschutz nach einer umstrittenen Ausübung des Direktionsrechts geltend, sei es dem Arbeitnehmer in der Regel nicht unzumutbar, der Anweisung zunächst Folge zu leisten und deren Rechtmäßigkeit sodann im Hauptsacheverfahren überprüfen zu lassen (vgl. LAG Hessen, Urt. v. 15.2.2011 – 13 SaGa 1934/10). Abgesehen von den Fällen einer offenkundigen Rechtswidrigkeit erfordere die Bejahung eines Verfügungsgrundes für eine entsprechende Einstweilige Verfügung ein gesteigertes Abwehrinteresse des Arbeitnehmers, wie es bei erheblichen Gesundheitsgefahren, einer drohenden irreparablen Schädigung des beruflichen Ansehens des Arbeitnehmers oder bei schweren Gewissenkonflikten bestehen könne.

Vorliegend sei die Anordnung, vor Zutritt zum Werksgelände einen negativen Corona-Test vorzulegen, nicht offenkundig rechtswidrig. Mit der Anordnung komme der Arbeitgeber seiner Verpflichtung nach § 618 Abs. 1 BGB nach, den Arbeitnehmer gegen Gefahren für Leben und Gesundheit zu schützen soweit es die Natur der Dienstleistung es gestatte. Die Anordnung der Beklagten diene dem Schutz der Gesundheit der Arbeitnehmer; mit ihr soll vermieden werden, dass sich Mitarbeiter mit dem SARS-CoV-2 Virus im Betrieb anstecken.

Die maßgebliche Regelung – so das Arbeitsgericht weiter – sei ferner nicht offen- sichtlich unverhältnismäßig. So sei die Durchführung eines Corona-Schnelltests geeignet, um den Nachweis von SARS-CoV-2 zu erbringen. Die Testung sei auch nicht offensichtlich unangemessen. Das Übermaßverbot sei gewahrt, da die Regelung bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht sowie der Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründe für den Betroffenen noch zumutbar sei.

Auch das gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG bestehende Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats sei gewahrt. Den Betriebspartnern steht bei der Bewertung und beim Ausgleich der zu berücksichtigenden betrieblichen Belange und der einander wider- streitenden Interessen ein breiter Gestaltungsspielraum zu (vgl. BAG, Urt. v.

Abmahnung und Einstellung der Entgeltzahlung

Berechtigung des Zutritts ohne negativen Covid-Test

Verfahrensgang

kein Erlass einer einstweiligen Verfügung

grds. keine Vorwegnahme der Hauptsache

keine offenkundige Rechts- widrigkeit

keine offensichtliche Unverhältnismäßigkeit

Mitbestimmung des Betriebs- rats

(15)

Rechtsprechung

19.1.1999, 1 ABR 499/98), von dem sie vorliegend in nicht zu beanstandender Weise Gebrauch gemacht hätten.

Schließlich gehe auch die gebotene Folgenabwägung zu Lasten des Klägers aus.

Ergehe die begehrte einstweilige Verfügung nicht, könne der Kläger gleichwohl seine Arbeitsleistung erbringen, wenn er sich testen lasse. Dies stelle zwar eine Beeinträch- tigung der körperlichen Integrität dar, die jedoch von kurzer Dauer und niederschwel- liger Intensität sei. Erginge andererseits die einstweilige Verfügung, könnten durch den dadurch ermöglichten Zutritt des Klägers ohne negativen Covid-19 Test auf das Werksgelände hochrangige Rechtsgüter wie Leib und Leben der dort tätigen Perso- nen gefährdet werden.

III. Der Praxistipp

Das ArbG positioniert sich unter zutreffender Abwägung der widerstreitenden Interessen eindeutig. Jedenfalls im einstweiligen Verfügungsverfahren sieht es keine Veranlassung, das berechtigte Interesse (und auch die Pflicht, vgl. §§ 611a, 618, 241 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 3 ff. ArbSchG) des Arbeitgebers, andere Arbeitnehmer vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus Sars-CoV-2 zu schützen, hinter das Interesse des Arbeitgebers an einem Zugang zum Betrieb ohne Negativtest zurückzutreten zu lassen. Dies ist bei der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung mit Blick auf die in Rede stehenden Interessen (körperliche Unversehrtheit vs. Gefährdung von Gesundheit, Leib oder gar Leben) nicht zu beanstanden. Es ist daher auch ernsthaft zu bezweifeln, dass dies im Berufungsver- fahren oder dem Hauptsacheverfahren anders gesehen werden würde.

Das Urteil des ArbG Offenbach ist eines der ersten Urteile, welches sich mit der Fragestellung befasst. Es bleibt daher nicht nur der Ausgang des Hauptsacheverfah- rens abzuwarten, sondern auch die weitere Entwicklung der Rechtsprechung. In Schrifttum findet das Urteil – soweit ersichtlich – überwiegend Zustimmung.

Dr. Gunther Mävers, Maître en Droit, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Köln

Terminvorschau BAG

Neue anhängige Rechtsfragen – BAG 2 AZR 342/20 –

Auskunftsanspruch/Erteilung einer Kopie nach Art. 15 Abs. 3 DS-GVO

Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger von der Beklagten die Erteilung einer Kopie seines E-Mail-Verkehrs mit ihr sowie der E-Mails, die ihn persönlich erwähnen, verlangen kann.

Der Kläger war bei der Beklagten als Wirtschaftsjurist beschäftigt. Nachdem die Beklagte das Arbeitsverhältnis gekündigt hatte, erteilte sie dem Kläger auf dessen Verlangen im März 2019 Auskunft über seine von ihr verarbeiteten personenbezoge- nen Daten bzw. deren Kategorien. Außerdem stellte sie dem Kläger die gespeicherten personenbezogenen Daten als sog. ZIP-Dateien zur Verfügung.

Mit seiner Klage hat der Kläger u.a. geltend gemacht, die Beklagte schulde ihm gemäß Art. 15 Abs. 3 DS-GVO weiterhin eine Kopie seiner von ihr verarbeiteten personenbezogenen Daten. Zu diesen gehörten auch der zwischen ihm und der Beklagten geführte E-Mail-Verkehr sowie diejenigen E-Mails, in denen er genannt werde.

Folgenabwägung

Schutz von Leben und Gesundheit prioritär

Urteil findet überwiegend Zustimmung

Auskunftsanspruch Art. 15 Abs. 3 DS-GVO

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Terminvorschau BAG

Das ArbG hat die Klage, soweit sie auf die Erteilung einer Kopie seiner personenbe- zogenen Daten gerichtet ist, abgewiesen. Das LAG hat ihr teilweise entsprochen und sie im Übrigen abgewiesen. Es hat angenommen, der Kläger habe zwar einen Anspruch auf Erteilung einer Kopie seiner personenbezogenen Daten, die Gegen- stand der Verarbeitung sind. Ein weitergehender Anspruch, insbesondere auf Kopien des vollständigen E-Mail-Verkehrs, bestehe dagegen nicht. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger sein Begehren, soweit er damit unterlegen ist, weiter.

Vorinstanz: LAG Niedersachsen, Urt. v. 9.6.2020 – 9 Sa 608/19 Termin der Entscheidung: 27.4.2021, 11:00 Uhr

Zuständig: Zweiter Senat – BAG 9 AZR 383/19 –

Wirksamkeit/Widerruf der Bestellung als Beauftragter für Datenschutz

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit der Bestellung sowie der Abberufung des Klägers zum Datenschutzbeauftragten.

Der Kläger ist Arbeitnehmer der Beklagten und freigestellter Betriebsratsvorsitzender des bei ihr gebildeten Betriebsrats. Daneben ist er stellvertretender Gesamtbetriebs- ratsvorsitzender in mehreren in Deutschland ansässigen Unternehmen, die zum internationalen X-Konzern gehören, dem auch die Beklagte angehört. Mit Wirkung zum 1.6.2015 wurde der Kläger von der Beklagten zum betrieblichen Datenschutzbe- auftragten und von den weiteren in Deutschland ansässigen konzernzugehörigen Gesellschaften zum externen Datenschutzbeauftragten bestellt. Ziel seiner Bestellun- gen war die Erreichung eines konzerneinheitlichen Datenschutzstandards. Im September 2017 meldete der Thüringer Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit gegenüber der Muttergesellschaft der Beklagten wegen der hauptberuflichen Tätigkeit des Klägers als Betriebsratsvorsitzender und dadurch zu befürchtender Interessenkollisionen Zweifel an der Zuverlässigkeit des Klägers als Datenschutzbeauftragter an. In der Folge traf der Thüringer Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit unter Bezugnahme auf § 4f BDSG a.F. die Feststellung, dass der Kläger nicht über die für die Bestellung eines betrieblichen Datenschutzbeauftragten notwendige Zuverlässigkeit verfüge und er nicht wirksam zum betrieblichen Datenschutzbeauftragten bestellt worden sei.

Mit Schreiben vom 1.12.2017 teilten die Unternehmen, die ihn zum Datenschutzbe- auftragten bestellt hatten, dem Kläger mit, dass er wegen der Inkompatibilität der Ämter nicht wirksam zum betrieblichen Datenschutzbeauftragten bestellt worden sei.

Hilfsweise widerriefen sie ihre jeweiligen Bestellungen des Klägers zum Datenschutz- beauftragten mit sofortiger Wirkung nach § 4f Abs. 3 S. 4 BDSG a.F. Mit Wirkung zum 1.12.2017 bestellten sämtliche Unternehmen eine neue Datenschutzbeauftragte.

Nach Inkrafttreten der DSG-VO berief die Beklagte den Kläger im Mai 2018 vorsorg- lich aus betriebsbedingten Gründen gemäß Art. 38 Abs. 3 S. 2 DSG-VO als Daten- schutzbeauftragten ab.

Mit seiner Klage wendet sich der Kläger hiergegen. Er ist der Auffassung, er sei wirksam zum Datenschutzbeauftragten bestellt und auch nicht wirksam abberufen worden.

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihr Ziel der Klageabweisung weiter.

Widerruf der Bestellung als Datenschutzbeauftragter

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Terminvorschau BAG

Vorinstanz: Sächsisches LAG, Urt. v. 19.8.2019 – 9 Sa 268/18 Termin der Entscheidung: 27.4.2021, 12:00 Uhr

Zuständig: Neunter Senat

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