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Kapitalismus als Lebensform?

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Academic year: 2022

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Kapitalismus

als Lebensform?

Patrick Sachweh

Sascha Münnich Hrsg.

Deutungsmuster, Legitimation und Kritik in der Marktgesellschaft

Wirtschaft + Gesellschaft

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Wirtschaft + Gesellschaft

Reihenherausgeber Andrea Maurer

Universität Trier, Deutschland Uwe Schimank

Universität Bremen, Deutschland

Weitere Informationen zu dieser Reihe finden Sie unter http://www.springer.com/series/12587

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Wirtschaft und Gesellschaft ist ein wichtiges Themenfeld der Sozialwissenschaften. Daher diese Buchreihe: Sie will zentrale Institutionen des Wirtschaftslebens wie Märkte, Geld und Unternehmen sowie deren Entwicklungsdynamiken sozial- und gesellschaftstheoretisch in den Blick nehmen. Damit soll ein sichtbarer Raum für Arbeiten geschaffen werden, die die Wirtschaft in ihrer gesellschaftlichen Einbettung betrachten oder aber soziale Effekte des Wirtschaftsgeschehens und wirtschaftlichen Denkens analysieren. Die Reihe steht für einen disziplinären wie theoretischen Pluralismus und pflegt ein offenes Themenspektrum.

Herausgegeben von

Andrea Maurer, Universität Trier Uwe Schimank, Universität Bremen Beirat

Jens Beckert, Max-Planck-Institut, Köln Anita Engels, Universität Hamburg Stefanie Hiß, Universität Jena Sighard Neckel, Universität Hamburg

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Patrick Sachweh · Sascha Münnich

(Hrsg.)

Kapitalismus als Lebensform?

Deutungsmuster, Legitimation

und Kritik in der Marktgesellschaft

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Herausgeber Dr. Patrick Sachweh

Goethe-Universität Frankfurt am Main Deutschland

Prof. Dr. Sascha Münnich

Georg-August-Universität Göttingen Deutschland

Wirtschaft + Gesellschaft

ISBN 978-3-658-12915-6 ISBN 978-3-658-12916-3 (eBook) DOI 10.1007/978-3-658-12916-3

Lektorat: Cori Antonia Mackrodt, Katharina Gonsior

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detail- lierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Springer VS

© Springer Fachmedien Wiesbaden 2017

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Die eingetragene Gesellschaft ist Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH

Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Strasse 46, 65189 Wiesbaden, Germany

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V

Vorwort

Dieses Buch fragt, inwieweit Prozesse der Vermarktlichung und Ökonomisierung des gegenwärtigen Kapitalismus von einem korrespondierenden Wandel kultureller Deutungsmuster, Diskurse und lebensweltlicher Praktiken begleitet werden. Damit ist auch die grundlegendere Frage angesprochen, ob es eine für soziologische Analy- se des Kapitalismus ausreichend ist, diesen allein als eine spezifische institutionelle Ordnung der Wirtschaft zu konzipieren oder ob er darüber hinaus auch eine sym- bolische Ordnung – eine eigene Sinnstruktur – darstellt. In dieser Frage verbindet sich unser beider langjähriges Interesse am Wechselverhältnis der sozialstrukturel- len, institutionellen und kulturellen Dimensionen wirtschaftlicher Ordnungen. Wir betrachten dieses Thema zudem als eine Chance für einen intensivierten Austausch von Wirtschaftssoziologie und Politischer Soziologie. Die Beiträge in diesem Band beleuchten dies aus unterschiedlichen inhaltlichen und methodischen Blickwinkeln an verschiedenen ökonomischen Gegenständen und bieten so ein breites Panorama der kulturellen und sozialmoralischen Grundlagen gegenwärtiger wirtschaftlicher Wandlungsprozesse.

Der Anstoß für den vorliegenden Band gab eine gleichnamige Tagung der Sek- tion Wirtschaftssoziologie in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS), die wir gemeinsam an der Goethe-Universität Frankfurt am Main in Kooperation mit dem dortigen Exzellenzcluster „Normative Orders“ im Sommer 2014 ausgerichtet ha- ben. Über ausgewählte Tagungsbeiträge hinaus haben wir weitere Artikel zu relevan- ten Themen eingeworben. Alle Beiträge haben ein mehrstufiges Begutachtungsver- fahren durchlaufen, und wir danken den Autorinnen und Autoren sowie unseren begutachtenden Kolleginnen und Kollegen herzlich dafür, dass sie dieses Vorgehen mitgetragen und ermöglicht haben. Weiterhin danken wir Andrea Maurer und Uwe Schimank für die Aufnahme unseres Bandes in die Reihe „Wirtschaft und Gesell- schaft“ und Cori Mackrodt von Springer VS für ihre Gelassenheit, wenn die Arbeit an diesem Projekt angesichts weiterer dringlicher Aufgaben gelegentlich ins Stocken

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Vorwort VI

kam. Besonderer Dank gilt Simone Hieber, die uns als studentische Hilfskraft am In- stitut für Soziologie der Universität Göttingen bei der Erstellung der Druckvorlage tatkräftig unterstützt hat. Die Organisation der Frankfurter Tagung wäre ohne die Hilfe von Birgit Baechle-Jourdan und Clara Terjung nicht möglich gewesen. Weite- rer Dank für das Zustandekommen des Bandes gilt Michael Reif, Mark Lutter, Olga Maletz und Greta Wagner. Schließlich bedanken wir uns bei all denen in unserem akademischen und privaten Umfeld, die sich unsere Überlegungen zum Verhältnis von Kapitalismus und Kultur angehört, kommentiert und uns in unserem Vorhaben bestärkt haben. Etwaige Versäumnisse und verbleibende Einwände haben wir allein zu verantworten.

Frankfurt und Göttingen, März 2016 Patrick Sachweh und Sascha Münnich

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Vorwort . . . V

Grundlagen

Sascha Münnich und Patrick Sachweh

Einleitung: Varianten des kapitalistischen Geistes im Wandel ?

Zum schwierigen Verhältnis von Kapitalismus und Kultur . . . 3 Hans-Peter Müller

Der Kapitalismus und seine Lebensführung .

Max Weber zum 150 . Geburtstag . . . 27 Klaus Kraemer

Gibt es eine soziologische Kapitalismusforschung ?

Zur Vergangenheit und Zukunft einer umstrittenen Kategorie . . . 47

Berufsethos in der Marktgesellschaft

Karin Gottschall, Andreas Häberle, Jan-Ocko Heuer und Sylvia Hils

„Effizienz, Kundenorientierung, Flexibilität, Transparenz […] – dadurch verkaufen wir uns ja sozusagen“:

Werthaltungen im öffentlichen Dienst in Deutschland

in marktnahen und marktfernen Bereichen . . . 81

Inhalt

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Inhalt VIII

Maria Dammayr und Doris Graß

Legitime Leistungspolitiken und ihre Wahrnehmung durch Beschäftigte .

Exemplarische Einsichten in die Felder Altenpflege

und schulische Bildungsarbeit . . . 107 Hristina Markova

Neoliberale Hochschulpolitik ?

Deutungsmuster hochschulpolitischer Eliten

am Beispiel der Exzellenzinitiative . . . 141

Landnahmen und ihre Bewältigung Kai Dröge und Olivier Voirol

Kapitalistische Liebesformen .

Online Dating und die produktive Spannung

zwischen romantischer Liebe und ökonomischer Rationalisierung . . . 165 Nina Baur und Lars Meier

Vermarktlichung und Lebenswelt .

Lokale Differenzierungen von Wirtschaftspraktiken im Friseurwesen . . . . 187 Christoph Henning

„Unkommerzielle Zonen“ .

Zur Empirie widerständiger Praktiken im Künstler-Alltag

angesichts der Vermarktlichung von Kunst . . . 221 Moritz Boddenberg, Lenard Gunkel, Sarah Schmitz,

Franziska Vaessen und Birgit Blättel-Mink

Jenseits des Marktes – Neue Praktiken der Versorgung in Zeiten der Krise .

Das Beispiel Solidarische Landwirtschaft . . . 245

Kapitalismuskritik im Wandel Helen Callaghan und Alexandra Hees

„Nation“ und „Markt“ als Legitimationsgrundlagen im politischen Diskurs .

Parlamentarische Debatten um ausländische Unternehmensübernahmen

in Großbritannien seit den 1950er Jahren . . . 275

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Inhalt IX

Saskia Freye

Spitzenmanager unter Rechtfertigungsdruck ?

Vermarktlichung und Verrechtlichung der Unternehmenskontrolle

am Beispiel der Managerhaftung . . . 303

Autorinnen und Autoren . . . 333

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Grundlagen

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3

Einleitung: Varianten des

kapitalistischen Geistes im Wandel ?

Zum schwierigen Verhältnis von Kapitalismus und Kultur Sascha Münnich und Patrick Sachweh

Während der Ära des globalen Finanzmarktkapitalismus, die mit der Krisenzäsur von 2007/08 wohl nicht ihren Endpunkt erfahren hat, wurde in der medialen und aka- demischen Öffentlichkeit der europäischen und nordamerikanischen Gesellschaf- ten der Kapitalismusbegriff zur Analyse der Dynamik zeitgenössischer Gesellschaften wiederentdeckt (siehe Kraemer in diesem Band). Neben der Kontroverse um eine mögliche Konvergenz unterschiedlicher Varianten des Kapitalismus infolge des libe- ralisierten Weltmarktes (Scharpf und Schmidt 2000; Hall und Soskice 2001b; Cor- nelius und Kogut 2003) bilden dabei vor allem die Begriffe „Ökonomisierung“ und

„Vermarktlichung“ den Fluchtpunkt verschiedener Untersuchungen der inneren Transformation des organisierten Wohlfahrtskapitalismus der Nachkriegszeit (Slater und Tonkiss 2001; Streeck und Thelen 2005; Schimank und Volkmann 2008). War für letzteren noch die regulative und sozialpolitische Einhegung von Märkten kenn- zeichnend, so kann sich heute kaum ein gesellschaftlicher Teilbereich dem Impera- tiv marktförmiger Organisations- und Steuerungsprinzipien entziehen. Damit einher geht eine weitreichende „Entbettung“ von Märkten und die Expansion von Markt- prinzipien und Marktmechanismen in gesellschaftliche Felder jenseits der Ökono- mie, etwa die staatliche Verwaltung, das Bildungswesen, das Gesundheitssystem oder die Kunst (Schimank und Volkmann 2008).

Diese Vorgänge werden bislang vornehmlich aus einer institutionellen Perspek- tive analysiert, das heißt: Es wird untersucht, in welchen vormals marktfernen ge- sellschaftlichen Feldern sich marktförmige Steuerungsmechanismen und ökonomi- sche Handlungslogiken innerhalb der letzten Jahre etabliert haben, welche sozialen Triebkräfte und politischen Dynamiken diese Entwicklung vorantreiben und was die Implikationen für die sozialen Strukturen innerhalb der jeweiligen Teilbereiche sind (Schimank und Volkmann 2008). Zweifellos tragen diese Analysen viel zum Ver- ständnis von Vermarktlichung und Ökonomisierung in verschiedenen institutionel- len Feldern bzw. Funktionssystemen der Gesellschaft bei. Die kulturelle Dimension

© Springer Fachmedien Wiesbaden 2017

P. Sachweh und S. Münnich (Hrsg.), Kapitalismus als Lebensform?, Wirtschaft + Gesellschaft, DOI 10.1007/978-3-658-12916-3_1

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4 Sascha Münnich und Patrick Sachweh

der Marktexpansion ist dagegen bisher unterbelichtet – das heißt wir wissen noch relativ wenig darüber, was Vermarktlichung auf der Ebene sozialer Praktiken, gesell- schaftlicher Orientierungs- und Deutungsmuster bedeutet und wie sie diskursiv aus- gehandelt, gerechtfertigt und kritisiert wird. Zugespitzt formuliert: Während die „po- litische Ökonomie“ der Vermarktlichung zunehmend gut dokumentiert ist, ist ihre

„moralische Ökonomie“ bislang weniger gut erforscht.

Damit ist die konzeptionelle Frage verbunden, inwieweit eine soziologische Be- trachtung des Kapitalismus einzig als institutionelle Ordnung – gekennzeichnet durch freien Markttausch, Privateigentum und Wettbewerb – ausreicht oder ob nicht auch die Frage nach der Existenz und Bedeutung seiner kulturellen Dimension aufs Neue gestellt werden muss, um sich der spezifischen Dynamik der heutigen Markt- gesellschaften zu nähern. Für die Klassiker der Wirtschaftssoziologie, wie Durkheim und Weber, war die Bedeutung kultureller – und besonders religiöser – Deutungs- muster für die historische Herausbildung des modernen Kapitalismus und die Le- gitimation kapitalistischen Wirtschaftshandelns unbestreitbar (wenngleich Weber die zunehmende Bedeutung der „mechanischen Grundlage“ im Verlauf kapitalisti- scher Modernisierung betonte). Auf derselben Linie erblickt in der zeitgenössischen Wirtschaftssoziologie etwa Christoph Deutschmann in der religiösen Bedeutung des Geldes als „absolutes Mittel“ das zentrale symbolische Merkmal des Kapitalismus (Deutschmann 2012, 2008). Wolfgang Streeck zählt – neben spezifischen institutio- nellen Regeln – auch die „Legitimierung von Gier“, ein notorisches „Moraldefizit“, einen permanenten Anreiz für die Umgehung von Institutionen sowie die universel- le (Über-)Dehnung bestehender Regeln zu den kulturellen Charakteristika des Kapi- talismus (Streeck 2011, S. 17), der damit nicht nur eine Wirtschaftsordnung, sondern auch eine spezifische Lebensform – ein „way of life“ – sei (Streeck 2012, S. 17).

Der vorliegende Band widmet sich der Rolle solcher kultureller Motive für die Unterstützung oder Hemmung des Kapitalismus aus empirischer und theoretischer Sicht der Wirtschaftssoziologie – wobei diese hier inklusiv verstanden wird, als Be- gegnung von Markt-, Arbeits-, Industrie-, Organisations- und Professionssoziolo- gie an ökonomischen Gegenständen. Es geht um die Frage, inwieweit institutionelle Prozesse der Ökonomisierung und Vermarktlichung – wie sie in der Markt-, Ar- beits- Industrie-, Organisations- und Professionssoziologie, sowie in der Politischen Ökonomie beschrieben werden – von einem korrespondierenden Wandel kulturel- ler Deutungsmuster, Diskurse und lebensweltlicher Praktiken begleitet werden. Dies lässt sich neutral als kulturelle Prägung beschreiben, oder auch deutlicher als kultu- relle Förderung oder, wie es eine von Polanyi inspirierte Perspektive nahelegen wür- de, als kulturelle Begrenzung oder Zähmung der Vermarktlichung. In diesem Sinne fragen die Beiträge dieses Bandes danach, inwiefern der zeitgenössische Kapitalis- mus noch kulturell-normativ begrenzt ist oder ob nicht die kulturelle Sphäre so weit- reichend von marktfreundlichen Werten durchdrungen ist, dass er sich einer „mo- ralökonomischen“ Einbettung zunehmend entzieht. Dazu wird erkundet, wie stark Kulturen von „Gegenbewegungen“ im Vergleich zu neuen, marktfreundlichen Deu-

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Einleitung: Varianten des kapitalistischen Geistes im Wandel ? 5

tungsmustern auf der Ebene sozialer Praktiken, Deutungsmuster und Diskurse ver- ankert sind.

Der vorliegende Band betrachtet die Entwicklung der kapitalistischen Ökonomie in ihrer finanzialisierten, globalisierten und flexibilisierten Gestalt somit auch als ein kulturelles gesellschaftliches Projekt. Kapitalismus wird nicht nur als Wirtschaftsord- nung, sondern auch als spezifische Art und Weise der Lebensführung verstanden (siehe den Beitrag von Hans-Peter Müller) – als eine eigene „Lebensform“ mit his- torisch und kulturell spezifischen Handlungsorientierungen und Deutungsmustern, die ökonomische Verwertungslogiken nicht nur verschleiern oder begrenzen, son- dern auch unterstützen können.

Um dieses Anliegen weiter zu präzisieren, sollen zunächst zwei begriff lich-kon- zeptionelle Dimensionen des Kapitalismusbegriffes anhand einer Betrachtung pro- minenter klassischer gesellschaftstheoretischer Annäherungen an den Kapitalismus näher beleuchtet werden. Erstens geht es dabei um die Frage, inwieweit Kapitalis- mus nicht nur als eine Wirtschaftsordnung, sondern auch als eine spezifische Sinn- struktur betrachtet werden kann und sollte. Zweitens stellt sich angesichts der oben skizzierten Prozesse der Ökonomisierung und Vermarktlichung die Frage, ob die- se Entwicklungen mit einer zunehmenden Verdrängung oder gar Zerstörung nicht- kapitalistischer Sinngehalte im Sinne einer „Landnahme“ einhergehen, oder ob die Grundprinzipien kapitalistischen Wirtschaftens nicht auch eine Verbindung mit sehr verschiedenartigen symbolischen Ordnungen eingehen und an vorgängige so- ziale Praktiken anschließen können. Diese Fragen behandeln wir in Anknüpfung an Überlegungen zur Rolle der Kultur bei Polanyi in Abschnitt 2. Darauf aufbauend entwickeln wir in Abschnitt 3 ein konzeptionelles Schema, mit dem sich die Beiträ- ge dieses Bandes systematisch zum Stand der sozialwissenschaftlichen Kapitalismus- analyse in Beziehung setzen lassen. Im Anschluss daran skizzieren wir in Abschnitt 4 die Inhalte der Beiträge dieses Sammelbandes, indem wir in einer synthetisieren- den Zusammenfassung vier Mechanismen herausarbeiten, mit denen sich die Be- ziehung zwischen „kapitalistischem Geist“ und nicht-ökonomischen Sinnstrukturen fassen lässt.

1 Der kapitalistische Geist als Teil der Wirtschaftsordnung

Auf einen ersten Blick scheint die Marschrichtung für die soziologische Kapitalis- musanalyse mit einer Dichotomisierung zwischen der Marxschen und der Weberia- nischen Erklärung der Entstehung des Kapitalismus vorgegeben. So lässt sich mit Marx der Kapitalismus als eine spezifische Organisationsform der gesellschaftlichen Arbeitsteilung beschreiben, die durch die Prinzipien des Warentauschs und des Pri- vateigentums der Produktionsmittel charakterisiert ist, historisch gewaltsam herbei- geführt wurde (ursprüngliche Akkumulation) und durch wachsende Akkumulation und Zentralisation von Kapital und politischer Macht gekennzeichnet ist. Weber

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6 Sascha Münnich und Patrick Sachweh

dagegen beschreibt den Kapitalismus – zumindest auf den ersten Blick – zunächst als eine idealtypische Sinnstruktur der Handelnden, also einen besonderen „Geist des Kapitalismus“. Dieser definiert sich durch eine irrationale „innerweltliche Aske- se“ (Weber 1988), die die unternehmerische Betriebsführung wie auch das Pflichtbe- wusstsein des modernen Arbeiters beschreibt und durch eine Wahlverwandtschaft mit der methodischen Lebensführung protestantischer Sekten gesellschaftlich be- fördert wurde. Soziologisch(er) wäre der Webersche Kapitalismusbegriff demnach, weil die Erklärung der historischen Entstehung des Kapitalismus auf dem Verstehen

der Handlungsorientierungen der wirtschaftlichen Akteure basiert, und nicht auf der Analyse der historischen Veränderung organisatorischer oder institutioneller Struk- turen. Diese dichotome Sichtweise ist jedoch zu einfach.

Für Weber verstärkte die Protestantische Ethik die historische Institutionalisie- rung der kapitalistischen Wirtschaftsordnung in den okzidentalen Gesellschaften.

Dieser Vorgang lässt sich jedoch nicht von institutionellen und materiell-technolo- gischen Veränderungen des historischen Kontexts abtrennen. Weber mahnt selbst:

„[…] so kann es dennoch natürlich nicht die Absicht sein, an Stelle einer einseitig ma- terialistischen eine ebenso einseitig spiritualistische kausale Kultur- und Geschichts- deutung zu setzen“ (Weber 1988, S. 205). Entsprechend stellt Weber in seiner „Vorbe- merkung“ die institutionellen Kontextfaktoren – darunter die Trennung von Haushalt und Betrieb, die Ausbreitung der doppelten Buchführung und die Entstehung der ka- pitalistischen Organisationsform der Arbeit – der Betrachtung des kapitalistischen Geistes voran (Weber 1988, S. 8 f.). Zudem weist er darauf hin, dass der einmal entfal- tete Kapitalismus als institutionelle Form keiner symbolischen Aufladung durch eine spezifische Wirtschaftsethik mehr bedürfe und fortan auf „mechanischer Grundlage“

ruhe, sich letztlich kulturell in dem entstehenden „stahlharten Gehäuse“ (Weber 1988, S. 203) sogar vollständig entleeren würde. Damit ist für Weber die Erklärung der Ent- stehung und Funktionsweise des Kapitalismus letztlich eine Frage des historischen Zusammenspiels von sozioökonomischen Organisationsformen und Deutungsmus- tern (Lepsius 1990, S. 33 ff.).

Es sind aber auch Zweifel angebracht, ob Marx in der Analyse der historischen Genese des Kapitalismus die Frage des „kapitalistischen Geistes“ tatsächlich ausblen- det. Seine Ausführungen zum „Warenfetisch“ bieten hier Anknüpfungspunkte. Die soziologische Besonderheit der Warenform liegt für Marx in der Art, wie sich da- durch die Menschen zueinander in Beziehung setzen und sich als Gesellschaftsmit- glieder wahrnehmen. Die Tätigkeiten der Individuen erhalten einen „doppelten ge- sellschaftlichen Charakter“ (Marx 1971, S. 87). Die Arbeit hat einen gesellschaftlichen Nutzen, zugleich werden aber die unterschiedlichen Tätigkeiten der verschiedenen Menschen dadurch vergleichbar und in der Warenform austauschbar gemacht. In der kapitalistischen Gesellschaft wird also die Tätigkeit des Arbeitenden durch ihn selbst und alle anderen zugleich durch die Brille ihrer gesellschaftlichen Nützlichkeit und ihrer Wertigkeit für den warenförmigen Tausch wahrgenommen. „Das Gehirn der Privatproduzenten spiegelt diesen doppelten gesellschaftlichen Charakter ihrer

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Einleitung: Varianten des kapitalistischen Geistes im Wandel ? 7

Privatarbeiten nur wider in den Formen, welche im praktischen Verkehr, im Produ- zentenaustausch erscheinen. […]“ (Marx 1971, S. 88). Dies bedeutet, dass im waren- förmigen Tausch nicht den Dingen material anhaftende Werte in Relation gesetzt werden, sondern „[u]mgekehrt. Indem [die Menschen] ihre verschiedenartigen Pro- dukte einander im Austausch als Werte gleichsetzen, setzen sie ihre verschiedenen Arbeiten einander als menschliche Arbeit gleich“ (Marx 1971, S. 88). Marx nennt die- se Deutungsmuster der eigenen Tätigkeit den Kapitalismus „in den Gehirnen“ der ar- beitenden Menschen einen „religiösen Widerschein“ (Marx 1971, S. 94). Auch hier fin- det sich also die Vorstellung, dass die historische Entwicklung des Kapitalismus als Wechselspiel zwischen Organisationsformen und Wahrnehmungweisen beschrieben werden muss, wobei hier der Unterschied zwischen dem Marxschen Geist des Kapi- talismus „Warenförmigkeit der Arbeit“ und Webers irrationaler „innerweltlicher As- kese“ nicht näher ausgeführt werden kann. Entscheidend ist, dass Marx und Weber in ihrer soziologischen Kapitalismusanalyse also an verschiedenen Stellen und mit un- terschiedlicher Schwerpunktsetzung darauf eingingen, inwieweit der Kapitalismus in den Handlungsorientierungen und Lebensformen der Akteure steckt.

Die Vorstellung, dass mit dem Kapitalismus eine bestimmte Sinnstruktur, eine dominante Kultur- und Lebensform verbunden sei, wurde von verschiedenen Theo- retikern des Kapitalismus sowohl affirmativ als auch kritisch weitergeführt. Josef Schumpeter etwa pries, mit der vielleicht stärksten Verve aller Kapitalismustheore- tiker, die Durchsetzung der Marktrationalität gegenüber anderen Sinnbeständen als zivilisatorischen Fortschritt und sprach von dem „[…] impressive economic and the still more impressive cultural achievement of the capitalist order“ (Schumpeter 2008, S. 129). Der Grund dafür war nicht nur seine Überzeugung, dass in der Menschheits- geschichte der Grad an allgemeiner individueller Freiheit niemals zuvor höher war (Schumpeter 2008, S. 129), sondern auch insbesondere die positive Ausbreitung des

„spirit of rationalist individualism, the spirit generated by rising capitalism“ (Schum- peter 2008, S. 124). Die zivilisatorische Errungenschaft liegt in der Verbreitung der

„men and means“, aber vor allem der „mental attitude of modern science“ (Schum- peter 2008, S. 127): „The capitalist process rationalizes behavior and ideas and by so doing chases from our minds, along with metaphysical belief, mystic and romantic ideas of all sorts.“ Der Kern des kapitalistischen Geistes liegt in einer pragmatischen Auseinandersetzung mit den natürlichen und sozialen Gegebenheiten, die nicht nur die Wege, sondern auch die Ziele der Handelnden selbst in Richtung des größeren Nutzens für alle, einer verbesserten Nutzung der menschlichen Möglichkeiten, fo- kussiert. Dieser Teil des Schumpeterschen Arguments steht aber letztlich nicht im Widerstreit zu Webers Idee eines „stahlharten Gehäuses“, denn Schumpeter ist sehr pessimistisch gegenüber der Fähigkeit des etablierten Kapitalismus, seine kulturel- le Kraft zu verteidigen – erkennt er doch die Gefahr, dass „the capitalist process in much the same way in which it destroyed the institutional framework of feudal so- ciety also undermines its own“ (Schumpeter 2008, S. 139). Der Grund dafür liegt in der wachsenden Organisierung und Konzentrierung des ökonomischen Prozesses,

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8 Sascha Münnich und Patrick Sachweh

wodurch die Leitungsfunktion zunehmend vom Eigentümer bzw. den Eigentümern im Aktien unternehmen getrennt wird. Die spätere Strategie des erfolgreichen Pio- nierunternehmens richtet sich dann auf die Verteidigung der Marktposition gegen Konkurrenten. Solche Gewinne sind laut Schumpeter aber nicht schöpferischer Pro- fit, sondern Formen der Monopolrente. Der von Schumpeter gefeierte unternehmeri- sche Geist wird somit durch die Wirtschaftsordnung nicht garantiert, Wachstum und Fortschritt sind auf ständige kulturelle Erneuerung angewiesen (Deutschmann 2009).

In der Annahme der kulturellen Selbstentleerung des Kapitalismus trifft sich die Schumpetersche Diagnose mit der Rationalisierungskritik der Frankfurter Schule, die freilich ihren Ausgangspunkt in der Marxschen Analyse des Kapitalismus und seinen Entfremdungsformen, vor allem in der Verdinglichung und Warenförmig- keit seiner Sozialbeziehungen, hat. So diagnostiziert etwa Marcuse in seiner Kritik am „eindimensionalen Menschen“, dass mit der Entfaltung der kapitalistischen Ge- sellschaft der „Produktionsapparat […] nicht nur die gesellschaftlich notwendigen Betätigungen, Fertigkeiten und Haltungen […] sondern auch die individuellen Be- dürfnisse und Wünsche“ (Marcuse 1998, S. 17 f.) bestimme. In den Sinnstrukturen der Akteure breite sich die „technologische Rationalität“ der Kapitalverwertung aus und das unabhängige Denken werde seiner „grundlegenden kritischen Funktion beraubt“

(Marcuse 1998, S. 21). Die Ausbreitung der Verwertungslogik entleert, so diagnosti- zieren Horkheimer und Adorno, den Bereich der Kultur – hier gerade auch als Tätig- keitsbereich der Kunstschaffenden verstanden – und verwandele ihn in eine Indus- trie: „Einstweilen hat es die Technik der Kulturindustrie bloß zur Standardisierung und Serienproduktion gebraucht und das geopfert, wodurch die Logik des Werks von der des gesellschaftlichen Systems sich unterschied. Das ist aber keinem Bewegungs- gesetz der Technik als solcher aufzubürden, sondern ihrer Funktion in der Wirtschaft heute“ (Horkheimer und Adorno 2002, S. 129). Die Eigenständigkeit von Kunst und Ästhetik („Logik des Werks“) wird demnach der kapitalistischen Verwertung unter- worfen und die Kultur ökonomisch organisiert, wodurch die Geistesinhalte ihre Di- stanz zur Warenform verlieren. Wenngleich insbesondere Marcuse die Frage disku- tiert, was die Menschen der Verdinglichung entgegensetzen (können), so lässt sich der Gedanke, dass mit der Entfaltung der kapitalistischen Wirtschaftsordnung auch eine Verkürzung des Denkens auf „kapitalismuskonforme“ Bewusstseinsinhalte zu- mindest tendenziell einhergeht, in der Frankfurter Tradition bis zur These der „Ko- lonialisierung der Lebenswelt“ bei Jürgen Habermas verfolgen. Hier verbinden sich die Ausbreitungstendenzen des wirtschaftlichen Systems mit der wachsenden Ratio- nalisierung der staatlichen Verwaltung zu einem Übergriff der Systemrationalität in die Lebenswelt der Menschen (Habermas 1995, S. 247). So verschmelzen Wirtschafts- system und staatliche Verwaltung in der Systemrationalität, die an die Stelle der le- bensweltlichen Kulturbestände tritt. In der Hinwendung der Wirtschaftssoziologie zu den kulturellen Charakteristika des Kapitalismus, etwa bei Wolfgang Streeck oder Christoph Deutschmann, spiegelt sich somit eine der Grundfragen der soziologi- schen Betrachtung des Kapitalismus seit Weber und Marx wider.

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Einleitung: Varianten des kapitalistischen Geistes im Wandel ? 9

2 Das Erbe Polanyis und der Hiatus zwischen Kapitalismus und Kultur

Der vorherige Abschnitt hat verdeutlicht, dass eine soziologische Betrachtung des Kapitalismus diesen nicht nur als materielle oder institutionelle Ordnung begreift, sondern immer auch als eine Kultur- und Lebensform versteht. Darüber hinaus ent- halten viele der eben beschriebenen Diagnosen auch den Gedanken, dass die kapi- talistische Wirtschaftsordnung (nun sowohl materiell als auch symbolisch-kulturell verstanden) alle anderen bestehenden Lebensformen und Sinnstrukturen zumindest tendenziell untergräbt oder gar verdrängt. Wie Hans-Peter Müller in diesem Band beschreibt, wird für Weber die Lebensführung des modernen Menschen im Kapi- talismus heikel und brüchig. Das bloße „Funktionieren“ entsprechend der rationa- len Erfordernisse des „siegreichen“ Kapitalismus – Arbeit und Konsum – reicht für eine gelingende Lebensführung nicht aus. Webers düstere Prognose vom Sinnverlust, in dessen Zuge die „letzten Menschen dieser Kulturentwicklung […] Fachmenschen ohne Geist, Genußmenschen ohne Herz“ (Weber 1988, S. 204) würden, bringt dies zum Ausdruck. In dieser Diagnose der (zumindest drohenden) Entleerung der Sinn- orientierung der Handelnden zeigt sich die Verdrängung deutlich: Der als kulturell und sozial defizitär zu begreifende kapitalistische Geist, den die wachsende Durch- setzung der institutionellen Prinzipien der kapitalistischen Wirtschaftsordnung er- zwingt, tritt an Stelle vorgängiger Institutionen und Wissensbestände der traditionel- len Wirtschaftsordnung.

Es war vor allem Karl Polanyi, der sich mit dieser Verdrängung tradierter Lebens- weisen und Institutionen durch das Vordringen der kapitalistischen Wirtschaftsord- nung kritisch auseinandergesetzt hat. In The Great Transformation (1978) beschreibt er, wie in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Großbritannien die Etablierung einer selbstregulierten Marktwirtschaft, in der Märkte für Arbeit, Boden und Geld geschaffen und alle Waren für den Markt hergestellt werden, eine „soziale[.] und kul- turelle[.] Katastrophe“ (Polanyi 1978, S. 223) auslöst, die sich nicht allein als tempo- räre Anpassungsschwierigkeit begreifen lässt. Die „Entbettung der Ökonomie“ – das heißt die Herauslösung ökonomischen Handelns aus seinen sozialen Kontexten und die Errichtung einer sich selbst steuernden Marktwirtschaft – beschreibt er als his- torisch nie dagewesenes Projekt der vollständigen Umorganisierung der Gesellschaft zu einer selbstregulierten Marktwirtschaft. Entscheidend ist jedoch, dass dieser Ver- such der vollständigen Entbettung der Marktwirtschaft im 19. und 20. Jahrhundert auf heftige soziale und politische Gegenbewegungen stößt. Sie entstanden in allen europäischen Ländern als häufig spontane Abwehr der Veränderungen und wurden auf „rein praktische und pragmatische Natur“ (Polanyi 1978, S. 202) nicht nur von der Arbeiterbewegung und Sozialisten, sondern auch von Konservativen, bürgerlichen Sozialreformern und teilweise sogar von den Liberalen selbst getragen. Das Ziel der Errichtung von Arbeitsschutz, Sozialpolitik und weiteren Instrumenten der Markt- intervention war die Abfederung oder Verhinderung der sozialen Folgen der Insti-

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10 Sascha Münnich und Patrick Sachweh

tutionalisierung von Arbeit, Geld und Boden, die nun als fiktive Waren behandelt werden mussten. Die dadurch für Marktgesellschaften schicksalhafte Einschreibung einer Grundparadoxie zwischen der Notwendigkeit der warenförmigen Organisa tion von Sozialbeziehungen und Lebensbedingungen einerseits und der Unabdingbar- keit des institu tionellen Schutzes der Lebensbedingungen für den Bestand der Ge- sellschaften andererseits mündeten in einer gesellschaftlichen Instabilität zwischen Politik und Ökonomie, die die Wurzel der Katastrophe des 20. Jahrhunderts bildete.

Webers „stahlhartes Gehäuse“ kann sich also, so könnte man Polanyi für unsere Zwecke paraphrasieren, niemals tatsächlich gesellschaftlich voll entfalten. Die damit verbundenen Verwerfungen erzeugen vielmehr vielfältige, historisch und kulturell spezifische Gegenreaktionen, an deren Ende sehr unterschiedliche und in sich wi- dersprüchliche Gesellschaftsformationen stehen. So betont Polanyi selbst die Beson- derheiten des britischen Falls im Unterschied zu Kontinentaleuropa (Polanyi 1978).

Kapitalismus wäre aus dieser Sicht keine zur Universalisierung neigende Wirtschafts- und Sozialordnung, sondern das historisch-kontingente Ergebnis eines Zusammen- spiels von Prozessen der Marktexpansion und -entgrenzung und den Versuchen ihrer institutionellen Bewältigung und Wieder-Einbettung. Am Ende steht dabei nicht die Konvergenz unterschiedlicher vorkapitalistischer Ökonomien in ein universales Mo- dell des (globalen) Kapitalismus, sondern divergierende Wirtschafts- und Sozialord- nungen, die als unterschiedliche Institutionalisierungsvarianten „des Kapitalismus“

gelten können (Streeck 2010, S. 5) und zu deren Analyse die politökonomische For- schung zu den unterschiedlichen „Spielarten“ des Kapitalismus wichtige theoretische Konzepte entwickelt hat (Hall und Soskice 2001a; Hollingsworth und Boyer 1997;

Amable 2003; Swenson 2002; Esping-Andersen 1998; Iversen und Stephens 2008).1

2.1 Der Hiatus von Kapitalismus und Kultur bei Polanyi

Wenngleich Polanyi mit der Beschreibung der institutionellen Einhegungen des Mark- tes die kapitalismustheoretische Tür für die vergleichende Betrachtung verschie dener kapitalistischer Ökonomien geöffnet hat, so ist sein konzeptioneller Einfluss bei der Frage des Verhältnisses von Kapitalismus und Kultur unseres Erachtens problematisch.

In seiner Darstellung des historisch gescheiterten Experiments der Etablierung der

„Teufelsmühle“ als ein gesamtgesellschaftliches Konzept gerät die Kultur, d. h. Nor- men, Kognitionen und Symbole, gänzlich auf die Seite der Gegenbewegung, d. h. auf die Seite der alten Institutionen, die in der „kulturellen Katastrophe“ zerstört wer-

1 So besteht der gemeinsame Punkt der breiten Debatte um unterschiedliche Spielarten des Kapitalis- mus in der Beobachtung, dass sozial- und wirtschaftspolitische Institutionen, die den freien Markt regulieren, zähmen oder begrenzen, zur Herausbildung sehr unterschiedlicher ökonomischer Struk- turen und Pfadabhängigkeiten auf Arbeits- und Konsummärkten geführt haben, die angesichts glei- cher ökonomischer Herausforderungen und Krisenerscheinungen eine hohe Resilienz aufweisen (Pierson 2000; Thelen 2008; Gourevitch 1992).

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den. Die Etablierung der Idee der selbstregulierten Marktwirtschaft selbst, also die ursprüngliche Ausbreitung des Marktes, ist bei Polanyi nicht kulturell unterlegt. Die Ursprünge der Entstehung der Idee der selbstregulierten Marktwirtschaft werden ent- sprechend nicht in einem wachsenden Einfluss liberalen Denkens auf die englische Gesellschaft gesucht, oder in spezifischen Lebensformen und Handlungsorientierun- gen der Unternehmer- und Eigentümerklasse, wie dies bei Weber oder Schumpeter der Fall ist2. Es finden sich in Polanyis Werk nur wenige Hinweise darauf, ob er die Ursprünge der Entwicklung eher in der Krisenanfälligkeit und den Notwendigkei- ten eines funktionierenden Handels sieht – er spricht davon dass das liberalisieren- de Eingreifen des Staates „notwendig“ wurde, um „Monopol und Konkurrenz“ nach dem Ende der Zünfte nun auf nationaler Ebene zu regulieren (Polanyi 1978, S. 100) – oder im politischen Machtzuwachs der „kapitalistischen Großhändler“ (Polanyi 1978, S. 99) in den Städten mit dem Ziel der Überwindung der Trennung zwischen lokalen Märkten und dem Fernhandel. Obwohl Polanyi einerseits das „Bürgertum“ als „Trä- ger der entstehenden Marktwirtschaft“ (Polanyi 1978, S. 185) bezeichnet, als Anhänger eines „geradezu sakramentalen Glaubens an die allgemeinen Segnungen des Profits“

(186), tritt die bürgerliche Klasse andererseits nicht nur als Triebkraft der Ausbreitung des Marktes, sondern auch als Beteiligte an der Abfederung der Transformation auf.

Polanyi gibt letztlich dem ökonomischen Entwicklungsprozess den Erklärungsvor- rang: „Viel häufiger wird das Schicksal einer Klasse von den Erfordernissen der Ge- sellschaft bestimmt, als das Schicksal der Gesellschaft von den Erfordernissen der Klassen“ (210). An keiner Stelle jedoch wird die Idee der selbstregulierten Marktöko- nomie, über ihre Verankerung in der klassischen Nationalökonomie hinaus auch als ein kultureller Prozess beschrieben, etwa als Etablierung einer neuen politischen Ord- nung mit einem eigenen normativen und legitimatorischen Hintergrund (vgl. etwa Hirschman 1997). Die „Geburt des liberalen Credo“ erscheint somit als reine „Anti- Kultur“, als eine zu den Interessen und politischen Strukturen der Zeit, zu den „Er- fordernissen der Gesellschaft“ passende Ideologie.

2.2 Das Problem der graduellen Vermarktlichung

und die Wiederentdeckung der kapitalistischen Kultur

Ohne werkhistorische Fragen hier im Detail erörtern zu können, ergibt sich unse- res Erachtens eine problematische Konsequenz für das konzeptionelle Verständnis des Kapitalismus aus Polanyis Betrachtung. Die einseitige Darstellung von Kultur als

2 Der Kapitalismus, so Polanyis These wurzelt nicht in den immer schon vorhandenen und vollständig eingebetteten lokalen Märkten des Mittelalters und etwaigen Expansionstendenzen oder Ineffizien- zen des Tausches, sondern „der wahre Ausgangspunkt ist der Fernhandel“ (Polanyi 1978: 90 f.), der stark vom lokalen Handel abgetrennt war. Kapitalismus bedeutet die Kommerzialisierung des Mark- tes, die Umwandlung aller Bestandteile der Produktion in Prozesse des Kaufens und Verkaufens.

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durch den Kapitalismus angegriffen und gefährdet führt zu einer Vernachlässigung ihres Beitrags zur Schaffung und Durchsetzung der selbstregulierten Marktwirtschaft.

So zieht sich das Bild des ungezähmten Kapitalismus, der die gesellschaftlichen Deu- tungs- und Wissensbestände stets in ihrer Existenz bedroht, beispielsweise durch die Debatte zu den unterschiedlichen Spielarten des Kapitalismus. Während in den letz- ten Jahren wieder verstärkt auf die norm- und wissensstiftende Kraft von Institutio- nen der Marktbegrenzung, also auf die kulturelle Seite des Wohlfahrtsstaats, der be- trieblichen Mitbestimmung oder auch des Systems der industriellen Beziehungen hingewiesen wurde (Locke und Thelen 1995; Béland 2004; Campbell 1998; Blyth 2002;

Schmidt 2010), erscheint der seit den 1980er und 1990er Jahren zu beobachtende Trend der graduellen Deregulierung, Liberalisierung und Vermarktlichung der euro- päischen und nordamerikanischen Gesellschaften als ein interessegeleiteter, „kultur- feindlicher“ Prozess der Durchsetzung von Marktprinzipien von oben. Entsprechend erklärt die „Spielarten des Kapitalismus“-Debatte den Trend zur Vermarktlichung häufig entweder als „Druck des internationalen Wettbewerbs“, also als Machtzuwachs der Kapitalseite, oder als Eroberung des Staates durch Freihandels- oder Finanz- marktinteressen (Glyn 2006; Streeck 2013; Windolf 2005).

Eine alternative Antwort auf die Frage nach der Erklärung der Expansion von Marktprinzipien in immer mehr institutionell eingebettete Bereiche, welche die Bei- träge in diesem Band aufzeigen, könnte unseres Erachtens darin liegen, die kulturelle Dimension des Kapitalismus wieder ernster zu nehmen. Dies lässt sich auf zwei Ar- ten denken:

1) In Hinwendung zu älteren Debatten könnte die allgemeine und konvergente Durchsetzung der Kapitalrationalität als dominante Denk- und Lebensform kon- zipiert werden, und manche der Kritiken der „neoliberalen Wende“ in den euro- päischen Gesellschaften lesen sich so (Lessenich 2008). Wieder einmal, so die Polanyische Perspektive, schickt sich das „Bürgertum“ (das hier noch benannt werden müsste) an, die eigenen Interessen den anderen Gesellschaftsmitgliedern unter dem Stichwort der „Leistung“ und der „Eigenverantwortung“ aufzuerlegen.

Die Probleme einer solchen Sichtweise liegen jedoch darin, dass marktfreundliche Deutungsmuster erstens kaum mit Klassen- und Milieugrenzen zur Deckung ge- bracht werden können und z. B. auch die Mittelschichten Vermarktlichungspro- zessen wenig entgegengesetzt haben (Mau 2015; Koppetsch 2013), und zweitens, dass „neoliberales“ Denken auch in der politischen Elite gar nicht so stark verbrei- tet ist, wie es eigentlich sein müsste, um die breite Tendenz zur Ausbreitung des Marktes zu erklären (Béland 2007; Münnich 2015).

2) Zudem wird eine solche „Neoliberalismus“-These durch eine empirische Beob- achtung der Entwicklungsdynamiken zeitgenössischer Marktgesellschaften in Frage gestellt: Die graduelle aber deutliche Durchsetzung von Vermarktlichung und Liberalisierung auf institutioneller Ebene bei gleichzeitig kaum beschädigter Legitimation und kultureller Strahlkraft sozial- und wirtschaftspolitischer Insti-

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tutionen der Marktzähmung (Lessenich 2005; Palier und Thelen 2010; Levien und Paret 2012). Wieso können sich Liberalisierung, Wettbewerbslogik und „Aktivie- rung“ ohne nachhaltige Zerstörung der Kulturbestände der koordinierten Markt- ökonomien durchsetzen ? Dies legt die zentrale Vermutung nahe, der in diesem Band nachgegangen werden soll: Kann sich Vermarktlichung evtl. aus sehr unter- schiedlichen Kulturbeständen speisen, die nicht notwendigerweise eine Nähe zum

„liberalen Credo“ haben müssen ? Daher sollte sich der analytische Blick der Sozio- logie in der Vermarktlichungsdebatte stärker auf das Zusammenspiel von markt- kritischen und marktfreundlichen Kulturformen richten.

3 Multiple Rationalitäten und die Vermischung (nicht-)ökonomischen Sinns

Aus der bisherigen Argumentation zum Zusammenspiel von Kultur und Kapitalis- mus lässt sich ein konzeptionelles Schema zur Verdeutlichung der Forschungsper- spektive für eine wirtschaftssoziologische Kapitalismusanalyse gewinnen (vgl. Ab- bildung 1): Dabei stellte sich zunächst erstens die Frage, inwieweit Kapitalismus über eine Organisationsform der wirtschaftlichen und wirtschaftsrelevanten Institutionen (kapitalistische Wirtschaftsordnung) hinaus als Sinnstruktur mit einer spezifischen Kombination typischer Deutungsmuster der Wirtschaftssubjekte (kapitalistischer Geist) verstanden wird. Quer dazu wurde zweitens einbezogen, ob der Kapitalismus als eine Sozialform gesehen wird, die bestehende Sozialstrukturen verdrängt oder sich auf stabilere oder instabilere Art mit anderen Strukturen vermischt.

Mit Hilfe dieses Schemas lassen sich die beiden Richtungen erkennen, aus denen die Frage nach der Kultur des Kapitalismus gestellt werden sollte. Zum einen geht es

Landnahme

Organisationsform Sinnstruktur

Spielarten/Varianten Verdrängung

Überlagerung bzw. Vermischung (komplementär oder konfliktär) Rationalisierung

Multiple kapitalistische Deutungsmuster Abbildung 1 Zwei Dimensionen soziologischer Kapitalismusanalyse

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14 Sascha Münnich und Patrick Sachweh

um die Frage der ideellen Dimension des gegenwärtigen Kapitalismus und Prozessen der Vermarktlichung. Insbesondere steht dabei die Frage im Vordergrund, ob und in- wiefern es im Zuge der (äußeren und inneren) Entgrenzung von Märkten auf institu- tioneller Ebene auch zu korrespondierenden Vorgängen auf einer kulturell-sinnhaften Ebene kommt („Rationalisierung“). Zum anderen soll diese kulturell orientierte Per- spektive nicht hinter die Erkenntnisse zurückfallen, die aus der Diskussion zwischen Ansätzen, die von einer – mehr oder weniger fortschreitenden – „Landnahme“ nicht- ökonomischer sozialer Felder durch die Ökonomie ausgehen (Bourdieu 1998; Dörre 2009) und Ansätzen, die eine Persistenz unterschiedlicher Kapitalismusvarianten be- tonen (Hall und Soskice 2001a), resultieren. Soll der konzeptionelle Beitrag der Va- rieties of Capitalism (VoC)-Debatte erhalten bleiben – derzufolge Vermarktlichung kein konvergenter, universaler Modernisierungsprozess ist, sondern sich kontextspe- zifisch verschieden auswirkt und unterschiedliche Wirtschaftsordnungen erzeugen kann – so sollten auch die kulturelle Seite des Kapitalismus nicht unter dem Begriff eines Siegeszugs der Marktrationalität oder des (Neo-)Liberalismus vereinfacht wer- den. Stattdessen sollte auch hier multiple kapitalistische Deutungsmuster bzw. lokal und sozial verankerte Varianten der Marktrationalität zu beobachten sein.

Damit ist einerseits gemeint, dass die Expansion ökonomischer Rationalität in nicht-ökonomische soziale Felder auf Widerständigkeiten stößt, Reibungen erzeugt oder Konflikte hervorruft, in deren Folge es zu Umdeutungen, Brechungen oder of- fener Kritik „kapitalistischer“ Deutungsmuster kommt („multiple Rationalitäten“).

Andererseits bedeutet dies aber, dass unter Umständen sehr unterschiedliche Deu- tungsmuster in verschiedenen kulturellen Kontexten zur Grundlage oder zur Trieb- kraft von Vermarktlichung werden können. Es gibt bereits einige Arbeiten und Stu- dien, die eine solche Perspektive empirisch oder konzeptionell nahelegen (Boltanski und Chiapello 2003; Lessenich 2003; Neckel 2008).3

• In der vielzitierten Studie zum „neuen Geist des Kapitalismus“ von Luc Boltanski und Eve Chiapello ist es gerade die Kritik der 68er-Generation an der Beschrän- kung der Autonomie des Einzelnen („Künstlerkritik“) durch den fordistischen Kapitalismus, die zum Motor der Erneuerung des kapitalistischen Geistes seit den 1980er Jahren wird (Boltanski und Chiapello 2003). Sie weisen dies anhand der Verschiebung von Managementprinzipien in der französischen Industrie nach,

3 In der Arbeits- und Industriesoziologie findet sich seit den 1980er und 1990er Jahren eine intensi- vierte empirische Beschäftigung mit dem, was als Reaktion der Lebenswelt auf die Ausbreitung der Marktrationalität beschrieben werden könnte (Becker 2010). Dabei werden die Elemente des Zusam- menspiels von kapitalistischer Rationalität und bestehenden Sinnstrukturen, Wahrnehmungsweisen und Selbstdeutungen der wirtschaftlichen Akteure betrachtet (Salais 2007). So finden sich bei Sen- nett Hinweise auf die kulturellen Deutungsmuster der von der Flexibilisierung der Arbeitswelt be- troffenen Akteure, die auf ein Wechselspiel von Verunsicherung, Abwehr, Bewältigung, aber auch Versuchen der positiven normativen Verbindung von Verwertungsimperativen und der „Selbstver- wirklichung“ des Individuums hinweisen (Sennett 1998).

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die die projektförmige Arbeit und die grenzenlose Flexibilisierung der Arbeit mit der Sicherung der individuellen Autonomie begründen. Was ein akzeptabler

„kapitalistischer Geist“ ist, steht auch im Alltagshandeln der Akteure immer zu- mindest potentiell in einer diskursiven Auseinandersetzung und muss sich dort beweisen (Boltanski et al. 2007).

• In der vergleichenden Betrachtung der ökonomischen Entwicklung verschiedener Weltregionen, die empirisch vor allem durch die Dynamik der Schwellenländer

auf der einen Seite und die strukturellen Probleme der Entwicklungsländer auf der anderen Seite angestoßen wird, lässt sich in den letzten Dekaden ein „cultural turn“ beobachten, in dem kulturelle und religiöse Bedingungen für die Erklärung unterschiedlicher Entwicklungspfade wieder stärker in den Blick genommen wer- den (Fukuyama 1995; Harrison 1985). Wenngleich die theoretische Fundierung solcher Kulturvergleiche aus Sicht eines Weberianischen Paradigmas noch un- terkomplex bleibt, v. a. im Bezug auf das Verhältnis von Kultur und Institutionen (Pohlmann 2008), so weisen diese Studien darauf hin „dass der Kapitalismus kul- turelle Traditionen nicht einfach nur vernichtet, sondern ebenso zu ihrer Erfin- dung und Hervorbringung beiträgt und diese sogar noch verstärkt“ (Pohlmann 2008, S. 122).

• Auch in den verschiedenen Studien zur „kulturellen Einbettung von Märkten“

(Zukin und DiMaggio 1990, S. 17) zeigt sich, dass sehr unterschiedliche Wert- und Wissensbezüge Vermarktlichungsprozesse anstoßen und befördern können. So

beschreibt etwa Viviana Zelizer die historische Umdeutung von Lebensversiche- rungen in den USA von einer „Wette auf den Tod“ zur „notwendigen Vorsorge für Angehörige“ als unabdingbare Voraussetzung für die Herausbildung des Versi-

cherungsmarktes (Zelizer 1992).

• E. P. Thompson verweist mit seinem Konzept der „moral economy“ darauf, dass Proteste gegen als ungerecht empfundene Ökonomien von ganz spezifischen Va- rianten der Marktrationalität, von Vorstellungen des gerechten Markttauschs ge- prägt sind (Thompson 1971). So interpretiert er die von ihm untersuchten „Food Riots“ in Städten des ausgehenden Mittelalters als Versuche der Wiederherstel- lung einer als gerecht(er) empfundenen wirtschaftlichen Ordnung.

Daraus folgt, dass Kritik und Protest an der Marktrationalität sich nicht notwendi- gerweise gegen die die ökonomische Logik insgesamt richten müssen, sondern häufig auf eine als gerechter empfundene Variante ihrer Umsetzung abzielen. Eine derartige Hinwendung zu kontextabhängigen Aushandlungs- und Rechtfertigungsprozessen in der Ökonomie eröffnet eine Perspektive auf verschiedenartige Ausprägungen des ka- pitalistischen Geistes und ihre Vermischung mit anderen Deutungsmustern. Damit zeichnet sich die Idee verschiedener „Moralökonomien von Marktgesellschaften“ ab (Koos und Sachweh 2014) – oder auch Varieties of Capitalist Spirits. Vermarktlichung müsste dann evtl. aus einer Vielzahl unterschiedlicher Kulturbestände verschiedener Länder (oder auch Sektoren und Märkte) abgeleitet werden, und nicht nur ihre Be-

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grenzung und institutionelle Zähmung. Mehr noch: Gegenbewegung und Vermarkt- lichung können sich gleichermaßen aus den Werten, Wissensstrukturen und Narrati- ven speisen, die in verschiedenen Gesellschaften institutionell verankert sind. Neben der französischen Konventionsökonomie kann hier die Debatte um institutionellen Wandel im soziologischen Neo-Institutionalismus informativ sein, in der institutio- nelle Leitbilder „selbst das Resultat von Institutionalisierungsprozessen“ und „Be- zugspunkt kontrollierenden ebenso wie oppositionellen Verhaltens“ sind (Rehberg 1994, S. 69; Göhler 1997). Die Stabilität spezifischer kultureller Praktiken und Deu- tungsmuster muss somit nicht zwangsläufig für oder gegen Vermarktlichung spre- chen. Der Kapitalismus kann immer wieder aufs Neue durch unterschiedliche, auch nicht-ökonomische Denkweisen befördert werden.

4 Kulturen der Vermarktlichung – Die Beiträge in diesem Band Es liegt nahe, die Wende, welche die institutionenorientierte Kapitalismusanalyse spätestens mit dem Aufkommen des Varieties of Capitalism (VoC)-Paradigmas voll- zogen hat – von der Beschreibung konvergenter Trends der Vermarktlichung hin zur Analyse der Divergenz und Vermischung verschiedener Strukturen – nun auch für die kulturelle Entwicklung des Kapitalismus und seines „Geistes“ nachzuvollziehen.

In diesem Band kommen empirische Arbeiten aus unterschiedlichen Forschungsbe- reichen zusammen, die das Zusammentreffen und die Vermittlung unterschiedlicher Rationalitäten in Prozessen der Vermarktlichung beobachten und deren Folgen für wirtschaftliche Strukturen und Handlungsweisen untersuchen. Die Ergebnisse der Beiträge in diesem Band sind so vielfältig wie die jeweiligen Fach- und Forschungs- traditionen. Dennoch lassen sich vier Mechanismen identifizieren, die dabei helfen könnten, das Wirken des Kapitalismus als eine kulturelle Sinnstruktur konzeptionell zu fassen, ohne dabei in generalisierende Trendbeschreibungen zurückzufallen und die gewonnene Tiefenschärfe gleich wieder aufzugeben.

Die Vermischung von Handlungsorientierungen im Kontext von Ökonomisie- rung und Vermarktlichung kann dabei grundsätzlich auf zwei Ebenen beobachtet werden: Auf der Mikroebene des Handelns und der sozialen Praktiken der Akteure und einer Meso- bzw. Makroebene von Organisationen und Institutionen. In beiden Fällen werden die Aushandlungs- und Selbstbeobachtungsprozesse der wirtschaftli- chen Akteure in den Blick genommen und gefragt, wie und in welchem Kontext sich ökonomische und nicht-ökonomische Handlungsorientierungen miteinander vermi- schen und welche Verbindungen oder Hybridisierungen des kapitalistischen Geistes typischerweise auftreten.

1) Auf der Mikroebene ist dabei z. B. zu fragen, inwiefern bestimmte berufliche Identitäten Wahlverwandtschaften mit der Marktrationalität aufweisen und daher leichter mit Marktanforderungen zusammengebracht werden können. Weiterhin

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Einleitung: Varianten des kapitalistischen Geistes im Wandel ? 17

ließe sich fragen, bei welchen Akteuren oder in welchen Teilbereichen kapitalis- muskritische Orientierungen zur Grundlage von markt- oder profitorientierten Handelns werden können. Wichtig ist weiterhin zu untersuchen, wie die Akteure

„Marktrationalität“ für ihr Handeln in spezifischen Interaktionskontexten kon- kretisieren, übersetzen und dadurch auch verändern. Schließlich wären auch Stra- tegien der „Abwehr im Kleinen“ von Interesse, in denen durch Marktrationalität gefährdete Kulturbestände zumindest in manchen Handlungspraktiken aufbe- wahrt werden.

2) Auf der Meso- bzw. Makroebene der Institutionen und Organisationen ließen sich Prozesse der Hybridisierung oder Vermischung von nicht-ökonomischen und ökonomischen Sinnstrukturen durch eine Orientierung am soziologischen Neo-Institutionalismus konzeptionell fassen. In verschiedenen Institutionen und Organisationen wird der kapitalistische Geist demnach in sehr unterschiedliche

„Rationalitätsmythen“ (Meyer und Rowan 1991) übersetzt, die dann jeweils die Herausbildung spezifischer Organisationen und Regelkomplexe wahrscheinlicher machen. In diesem Sinne kann die Durchsetzung der Regeln für mehr Markt und Wettbewerb immer nur in der Vermittlung mit bereits institutionalisierten Norm- und Wissensbestände geschaffen werden, woraus sich eine permanente Ausdiffe- renzierung verschiedener kapitalistischer Geiste in den Blaupausen und Regulie- rungsprinzipien verschiedener sozialer Felder schließen lässt.

Aus unserer Sicht lassen sich in den Beiträgen des Bandes vier Mechanismen des Wan- dels des kapitalistischen Geistes unterscheiden: Immunisierung, Einbindung, Umdeu- tung und Segmentierung. Sie lassen sich sowohl auf der Mikroebene sozialen Handelns und sozialer Interaktion als auch auf der Meso- und Makroebene von Institutionen und Organisationen und ihres symbolischen Gehalts als idealtypische Verlaufsmus- ter der Begegnung von Markt- und Rationalitätsprinzipien mit nicht-ökonomischen Sinnstrukturen und Deutungsmustern interpretieren.

Immunisierung gegen ökonomische Rationalität

Immunisierung bedeutet, dass vorgängige kulturelle, professionelle oder gemein- schaftliche Normen und Kognitionen nicht durch die Intrusion der Logiken von Markt, Wettbewerb und Profitorientierung verletzt und beschädigt werden, sondern unter Umständen aus der Perspektive der Akteure sogar in ihrer Nicht-Verletzbarkeit bestätigt werden. So zeigen Olivier Voirol und Kai Dröge in ihrer empirischen Stu- die zu Internet-Dating-Portalen, dass der marktlich gestaltete Rahmen wenig daran ändert, dass die Akteure selbst zwischenmenschliche Emotionen inszenieren und in

„echte“ Beziehungszusammenhänge gezogen werden (wollen). Die Widerständig- keit der Liebesbeziehungen gegenüber ihrer kapitalistischen Rationalisierung ist so hoch, dass die Akteure in ihren Deutungen zwischen dem Marktrahmen des Ken-

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nenlernens und der Logik der dabei sich entwickelnden Beziehungen unterscheiden, so dass die zwischenmenschlichen Beziehungen nicht durch den Marktkontext ihrer Anbahnung beschädigt werden.

In einem anderen Beitrag zeigen Birgit Blättel-Mink und die Studiengruppe SOLAWI, dass die von ihnen untersuchten Produktions- und Verteilungsbeziehun- gen in der „Solidarischen Landwirtschaft“ von den Akteuren selbst zwar als von Ver- marktlichung bedroht empfunden werden. Durch die Institutionalisierung nicht-ka- pitalistischer Prinzipien der Organisation, Finanzierung und Arbeitsteilung können jedoch effektive Grenzen gezogen werden, welche die solidarisch-genossenschaftli- che Produktionsweise schützen und als einen „weniger“ oder anders kommodifizier- ten Bereich stabilisieren. Beiden Beiträgen ist gemein, dass die darin untersuchten Handlungen der Akteure von der Vorstellung geprägt sind, dass ihre Handlungssphä- re durch eine Grenze von der marktgeprägten Umgebung abgeschirmt ist. Obwohl klar ist, dass der ökonomische Kontext durch Profitorientierung, Marktwettbewerb und ökonomische Rationalität charakterisiert ist, werden ihre Handlungen von dem als erreichbar angesehenen Ziel der Schaffung und Bewahrung markt-emanzipierter Räume bestimmt. Es handelt sich hier um eine Gegenbewegung, die bestimmte In- stitutionen oder Handlungskontexte als Inseln nicht-kapitalistischen Geistes versteht.

Diese lassen sich, wie im Falle des Internet-Dating, durch entsprechendes beidsei- tiges Handeln herstellen, oder aber, wie im Falle der solidarischen Landwirtschaft, durch organisatorische Anstrengungen.

Einbindung ökonomischer Rationalitäten

Anpassung beschreibt die Beobachtung, dass Vermarktlichung nicht notwendig den gesamten Deutungshorizont der Akteure und Organisationen in einer bestimmten gesellschaftlichen Sphäre verändert, sondern dass ökonomische Orientierungsmus- ter auch in einen bereits bestehenden Deutungshorizont eingeordnet beziehungs- weise dominanten anderen Sinnstrukturen angepasst werden können. So beschreibt Hristina Markova in ihrem Beitrag, wie in den aktuellen Hochschulreformen in Deutschland die Ideen des New Public Management zwar in der konkreten Reform- politik einerseits als Leistungssteigerung durch Wettbewerb verstanden werden, an- dererseits diese Prinzipien in den Ausführungen der interviewten Politiker eine für das wissenschaftliche Feld spezifische Ausdeutung erfahren, indem etwa der poli- tisch induzierte Wettbewerb keine Verlierer produzieren solle. Die Übertragung öko- nomischer Handlungsrationalitäten erfolgt somit nicht bruchlos, sondern wird feld- immanenten Binnenrationalitäten angepasst.

Helen Callaghan und Alexandra Hees beschäftigen sich in ihrem Beitrag mit der wechselnden Bedeutung des Marktes als Rechtfertigungsmuster in den politischen Debatten um Firmenübernahmen im britischen Unterhaus seit dem Zweiten Welt- krieg. Sie diagnostizieren eine Verschiebung der diskursiven Verknüpfung von Markt

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Einleitung: Varianten des kapitalistischen Geistes im Wandel ? 19

und Nation in wirtschaftspolitischen Debatten. Während in den 1950er und 1960er Jahren Protektionismus und Marktbegrenzung Hand in Hand gingen, so dient die Etablierung des freien Marktes seit den 1980er Jahren der Stärkung der nationalen Wirtschaft. Die Autorinnen weisen zudem auf eine neuere Form von Argumenten hin, die die Schließung nationaler Märkte als Antwort auf den Protektionismus an- derer Staaten begrüßen, letztlich aber dadurch auf einen international freien Markt für alle zielen, zu dem auch die anderen im Wettbewerb gezwungen werden sollen.

Der Beitrag zeigt, dass Marktrationalität auf sehr unterschiedliche Art und Weise mit Grenzziehungen politischer Räume und Identitäten verknüpft werden kann. Kapita- listische Deutungsmuster der Überlegenheit des freien Marktes sind keineswegs not- wendig mit Internationalismus oder Nationalismus verknüpft, sondern können auch in den Kontext anderer Logiken, wie Protektionismus, gestellt werden. Die hohe Be- deutung marktfreundlicher Deutungsmuster in allen Epochen basiert in diesem Me- chanismus auf der jeweils erfolgreichen Anpassung an herrschende Deutungsmuster der staatlichen Wirtschaftspolitik. Diese Anpassung geht soweit, dass sogar protek- tionistische Politik als letztlich auf den Freihandel gerichtet verstanden werden kann.

Die politische Logik erweist sich somit als vorrangig gegenüber der Frage des freien Marktes, da diese Idee in den Kontext sowohl des Freihandels als auch des Protek- tionismus gestellt werden kann. Fraglich ist allerdings, ob auch jenseits der Politik Deutungsmuster oder Handlungsorientierungen zu finden sind, denen es gelingt, die Sprengkraft des Vermarktlichungstrends zu verringern und den Anforderungen der jeweiligen sozialen Felder anzupassen.

Umdeutung im Sinne ökonomischer Rationalität

Während Anpassung auf einer Kompatibilisierung von Marktrationalität mit anderen Handlungsrationalitäten basiert, geschieht bei der Umdeutung das Gegenteil: Beste- hende und vormals nicht-marktliche Sinngehalte werden marktkonform umgedeu- tet. Einen solchen Prozess untersucht Saskia Freye in ihrer Betrachtung der Rolle der rechtlichen Haftungsregeln für die „Deutschland AG“. Aus der rechtlichen Institu- tion der „Managerhaftung“, die historisch Personalisierung der Verantwortung für die Folgen unternehmerischen Handelns diente, wird im Zuge der Ausbreitung des Shareholder Value-Modells graduell eine Ressource zur Kontrolle des Managements durch die primär am Marktwert des Unternehmens orientierten Firmeneigner.

An einem anderen Beispiel zeigen sich ebenfalls mehr oder minder enge Verbin- dungen zwischen lebensweltlichen Deutungsmustern und den Anforderungen des Marktwettbewerbs. Nina Baur und Lars Meier beobachten in ihrem Beitrag, wie Fri- seurunternehmen in je zwei Städten Deutschland (Frankfurt am Main, Dortmund) und Großbritannien (Birmingham, Glasgow) Marktanforderungen und lebensweltli- che Belange miteinander in Verbindung bringen und wie sich dabei national und lo- kal spezifische ökonomische Konventionen herausbilden.

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Eine reine Vermarktlichung wird in allen diesen Beiträgen von den Akteuren selbst als bedrohlich empfunden und in einer direkten Konfrontation auch abgelehnt.

Sie begegnen ihr mit der Strategie, die bestehenden nicht-marktlichen Identitäten da- durch zu retten, indem sie als potentiell symbiotisch mit dem Markt verstanden wer- den, als stärkere Betonung oder erneute Vergegenwärtigung eines Prinzips, dass in den nicht-marktlichen Beständen schon vorher enthalten war und nun reaktiviert werden muss und kann (Klages 2007). Dabei kommt es zu einer Art Re-Traditio- nalisierung oder gar Re-Naturalisierung des Marktprinzips, das nicht mehr als eine plötzliche Veränderung, sondern als selbstverständliche Dimension der schon beste- henden Lebensformen begriffen wird, die aber zugleich in einen graduellen Wandel geraten.

Segmentierung

Einige Beiträge in diesem Band zeigen, dass Vermarktlichung und andere lebens- weltliche oder professionelle Deutungsmuster auch innerhalb eines Handlungsfeldes unverbunden nebeneinander bestehen können. So weist Christoph Henning in der Analyse seiner Interviews mit Kunstschaffenden auf die Etablierung „unkommerziel- ler Zonen“ im Arbeitsalltag hin. Künstler reflektieren die Notwendigkeiten des Mark- tes, die Bereitschaft stärker weisungsgebunden, auftragsorientiert zu arbeiten und im Wettbewerb mit anderen zu bestehen. Dies sehen sie aber als nur einen Bereich des beruflichen Handlungsspektrums an. Zugleich trennen sie davon einen Bereich der Kreativität, des freien künstlerischen Schaffens ab, was sich auch in der materiellen Gestaltung von Arbeitsbereichen und Zeitstrukturen äußert. Es geht darum dass sich „ästhetische und wirtschaftliche Belange […] weniger drastisch in die Haare kommen.“

Eine ähnliche Diagnose stellen auch Maria Dammayr und Doris Graß, wenn sie in ihrem Beitrag „pluralisierte Leistungsanforderungen“ als zentrale Herausforderung für von Vermarktlichung betroffenen Arbeitsfelder der Altenpflege und der schuli- schen Bildungsarbeit nennen. Sie beschreiben, dass Segmentierung der Arbeitsberei- che vor allem in der Altenpflege zu beobachten ist, wo die betriebswirtschaftlichen und dokumentarischen Aufgaben als „nebenher“ zu den eigentlichen Pflegetätigkei- ten beschrieben werden. Für ihren zweiten Bereich, die schulische Bildungsarbeit, dagegen beschreiben sie den Prozess eher als eine Einbindung, in dem die Markt- anforderungen und Wettbewerbsorientierungen in die Definition der „guten Schul- bildung“ aufgenommen werden können, was sie auf die bessere institutionelle und professionelle Etablierung dieses nicht-marktlichen Standards, im Unterschied zum Bereich der Altenpflege, zurückführen.

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Einleitung: Varianten des kapitalistischen Geistes im Wandel ? 21

5 Fazit

Der gemeinsame Schwerpunkt der Beiträge des vorliegenden Bandes besteht in einer doppelten Erweiterung der Polanyischen Doppelbewegung.

• Zum einen lässt sich aus soziologischer Perspektive die Expansion kapitalisti- scher Marktprinzipien nicht nur als rein institutionelle Entwicklung verstehen, das heißt als Evolution von Organisations- und Regelungsformen. Stattdessen sollten auch die Verschiebungen und graduellen Transformationen der normati- ven und kognitiven Deutungsmuster und Handlungsorientierungen der Akteure in den Blick genommen werden. So kann sich die kapitalistische „Teufelsmühle“

als „kapitalistischer Geist“ auch in der Konstruktion von sozialen Erwartungen, Identitäten und symbolischen Ausdrucksformen niederschlagen und ohne insti- tutionelle Verschiebungen innerhalb bestehender Sozialordnungen ausbreiten.

Zugleich gilt, dass der Umbau institutioneller Strukturen zugunsten von Wett- bewerb und Marktorientierung an blockierenden Kultur- und Wissensbeständen scheitern kann – und dies selbst dort, wo wettbewerbsfreundliche Regeln und marktnahe Organisationsformen erfolgreich durchgesetzt werden. Die Beiträge in diesem Band verbindet das gemeinsame Anliegen, die Rolle von marktnahen und marktfernen Sinnstrukturen in ihrer Ko-Evolution mit der institutionellen Entfaltung marktförmiger Prinzipien zu betrachten. Dabei verweisen sie auf eine komplexe und empirisch zu bestimmende Wechselwirkung von institutioneller Form und wirtschaftlichem „Geist“, so dass eine einseitige Prognose der Zunahme ökonomischer Logiken auf der ideellen Ebene infolge von institutionellen Ver- marktlichungsprozessen zu kurz greift.

• Damit zeigt sich zum anderen auch, dass eine dichotome Zuordnung, wonach Marktschaffung primär durch den radikalen Liberalismus befördert, alle anderen kulturellen Orientierungen aber auf der Seite der Marktbegrenzung stehen, zu kurz greift. Versteht man Kultur als die Gesamtheit von Handlungsorientierun- gen, Wissensbeständen und Praktiken in einer Gesellschaft (Swidler 1986, S. 273), so ist kaum a priori bestimmbar, welche Kulturbestände durch Vermarktlichung beschädigt, verdrängt und transformiert werden und welche dagegen bestärkt werden oder ihr sogar förderlich sind. Kapitalismus und Kultur bilden dabei keine unversöhnlichen Gegensätze; vielmehr wandelt sich die kulturelle Verankerung des Kapitalismus. Ökonomische und nicht-ökonomische Handlungsorientierun- gen finden sich gleichermaßen auf Seiten der Marktexpansion wie auch auf Sei- ten der Gegenbewegung. Das Spektrum der kulturellen Reaktion auf Prozesse der Vermarktlichung reicht von Abwehr und Kritik über innere Gespaltenheit und Versuche der kohärenten Umdeutung bis zur Umarmung und Begrüßung. Die Begegnung kapitalistischer und nicht-kapitalistischer Sinnbestände mündet da- her nicht zwingend in der Dominanz einer Seite. Stattdessen beobachten wir die

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