Kapitel I
Die Objekte der Mathematik
Objekte der Mathematik sind
Zahlen, Punkte, Geraden, Ebenen, Vektoren, Felder, Funktionen, . . .
Neue Objekte werden gebildet, indem man schon bekannte Objekte zu Mengen zusam- menfaßt.
Ist x ein Element der Menge M , so schreibt man: x ∈ M.
Liegt x nicht in M , so schreibt man: x ̸∈ M . Faßt man einen Teil der Elemente von
M zu einer eigenen Menge T zusam- men, so nennt man T eine Teilmenge von M und schreibt:
T ⊂ M.
Enth¨ alt T wenigstens ein Element, das nicht zu M geh¨ ort, so ist T keine Teil- menge von M , in Zeichen: T ̸⊂ M .
T
M
Sind schließlich A und B irgendwelche Mengen, so kann man aus ihnen neue Mengen bilden:
1. Die Vereinigung A ∪ B , die alle Elemen- te von A und B zusammen enth¨ alt.
A B
A ∪ B
2. Den Durchschnitt A ∩ B, der nur die Elemente enth¨ alt, die zugleich in A und B liegen.
A B
A ∩ B
3. Die Differenz A \ B, die alle diejenigen Elemente von A enth¨ alt, die nicht in B liegen.
A B
A \ B
Schließlich erweist es sich als zweckm¨ aßig, ein Symbol f¨ ur die leere Menge einzuf¨ uhren,
die ¨ uberhaupt kein Element enth¨ alt, n¨ amlich ∅ .
§ 1 Zahlen
Mit R bezeichnen wir die Menge der reellen Zahlen, die wir uns anschaulich als die Menge der Punkte auf einer Geraden vorstellen k¨ onnen.
N := { 1, 2, 3, 4, . . . } ist die Teilmenge der nat¨ urlichen Zahlen.
(Wir verwenden hier die aufz¨ ahlende Schreibweise f¨ ur die Darstellung einer Menge. Das Zeichen
” :=“ bedeutet:
” ist definiert als“ )
N 0 := N ∪ { 0 } = { 0, 1, 2, 3, 4 . . . } ist die Menge der nat¨ urlichen Zahlen einschließlich der Null.
Z := { 0, +1, − 1, +2, − 2, . . . } ist die Menge der ganzen Zahlen.
Q := { a
b | a ∈ Z und b ∈ N} ist die Menge der rationalen Zahlen. Man beachte, daß die Nenner hier automatisch immer ̸ = 0 sind. Wir haben zur Darstellung von Q die beschrei- bende Schreibweise benutzt. Zu beachten ist auch noch, daß jeder Ausdruck der Gestalt
a
b mit a, b ∈ R und b ̸ = 0 als Bruch bezeichnet wird. Rational sind nur solche Br¨ uche, bei denen Z¨ ahler und Nenner ganzzahlig sind. Die Bruch–Darstellung ist bekanntlich nicht eindeutig, man kann k¨ urzen und erweitern.
R \ Q ist die Menge der irrationalen Zahlen.
I.1.1 Satz. Es gibt irrationale Zahlen.
Beweis: Wir beginnen mit einer geometrischen Konstruktion:
0 1 d
d
R
F¨ ur die Diagonale d eines Quadrates mit der Seitenl¨ ange 1 gilt nach dem Satz des Py- thagoras: 1 2 + 1 2 = d 2 , also d 2 = 2. Mit Hilfe eines Zirkels kann man die L¨ ange d auf der Zahlengeraden abtragen.
Wir wollen zeigen, daß d irrational ist. Dazu verwenden wir das Prinzip des Widerspruchs- beweises:
Annahme, d ∈ Q . Dann ist d = m
n , mit m, n ∈ N. Durch K¨ urzen kann man erreichen, daß m und n außer 1 keinen gemeinsamen Teiler haben.
Da d 2 = 2 ist, folgt: m 2 = 2 · n 2 , also ist m 2 eine gerade Zahl. Das ist nur m¨ oglich, wenn m selbst gerade ist, also von der Form m = 2k. Setzen wir das oben wieder ein, so erhalten wir: 4k 2 = 2n 2 . Also ist auch n 2 eine gerade Zahl. Dann ist aber auch n gerade, und n und m haben die 2 als gemeinsamen Teiler. Das ist ein Widerspruch! Also war die Annahme falsch, die Zahl d = √
2 ist irrational!
Das Rechnen in R wird hier als bekannt vorausgesetzt, ich erinnere nur an einige Regeln:
§ 1 Zahlen 3
a + b a · b
=
=
b + a b · a
}
Kommutativgesetze a + (b + c)
a · (b · c)
=
=
(a + b) + c (a · b) · c
}
Assoziativgesetze a · (b + c) = a · b + a · c Distributivgesetz
Im Gegensatz zu solchen allgemeing¨ ultigen Gleichungen kennen wir auch sogenannte Be- stimmungsgleichungen. Sie treten z.B. in der Beschreibung einer Menge auf:
M := { x ∈ R | a · x + b = c } .
Um M genauer zu bestimmen, m¨ ussen wir die Gleichung a · x + b = c l¨ osen. Dabei sind a, b, c als bekannte Konstanten aufzufassen, x ist variabel. Wir m¨ ussen diejenigen Werte f¨ ur x finden, f¨ ur die die Gleichung erf¨ ullt ist. Dabei gibt es mancherlei Fallen. Der Faktor a k¨ onnte z.B. = 0 sein, dann reduziert sich die Bestimmungsgleichung auf b = c, und das x kommt nicht mehr vor. Ist tats¨ achlich b = c, so ist M = R , ist jedoch b ̸ = c, so ist M = ∅ . Wenn aber a ̸ = 0 ist, dann ist die Gleichung eindeutig l¨ osbar, und es ist M = { 1 a (c − b) } eine Menge mit genau einem Element.
Interessanter ist schon eine quadratische Gleichung. Wir beginnen mit dem einfachsten Fall, n¨ amlich der Gleichung
x 2 = a.
Hier kommt ins Spiel, daß es positive und negative reelle Zahlen gibt.
Ist a > 0, so gibt es zwei verschiedene L¨ osungen, n¨ amlich x = + √
a und x = − √ a.
Ist a = 0, so gibt es nur die L¨ osung x = 0.
Ist a < 0, so gibt es keine L¨ osung!
Zur Begr¨ undung des letzten Falles m¨ ussen wir uns kurz an das Rechnen mit Ungleichungen erinnern:
Sind a > 0 und b > 0, so ist auch a + b > 0 und a · b > 0. Außerdem ist 1 > 0. Diese Tatsachen werden einfach so festgelegt. Jede Zahl a ̸ = 0 ist entweder positiv oder negativ, und wenn a < 0 ist, so ist − a > 0. Da schließlich ( − a) · ( − a) = a · a = a 2 ist, ist a 2 > 0 f¨ ur jedes a ̸ = 0.
Weiter definiert man:
a < b : ⇐⇒ b − a > 0, 1 a ≤ b : ⇐⇒ a < b oder a = b, a > b : ⇐⇒ b < a,
und a ≥ b : ⇐⇒ a > b oder a = b.
So ist – im Gegensatz zur Umgangssprache – die Aussage
” 3 ≥ 3“ mathematisch v¨ ollig korrekt.
1
” : ⇐⇒ “ steht f¨ ur
” bedeutet definitionsgem¨ aß“. Eine Definition ist die Erkl¨ arung eines neu eingef¨ uhr-
ten Begriffes oder Symbols.
Ist nun etwa a < b und c beliebig, so ist b − a > 0 und (b + c) − (a + c) = b − a > 0, also a + c < b + c. Auf diese Art kann man die bekannten Regeln herleiten:
a < b und c beliebig = ⇒ a + c < b + c, 2 a < b und c > 0 = ⇒ a · c < b · c,
a < b und c < 0 = ⇒ a · c > b · c, 0 < a < b = ⇒ 0 < 1
b < 1 a .
Gewisse Teilmengen von R k¨ onnen durch Ungleichungen beschrieben werden:
Definition.
(a, b) := { x ∈ R | a < x < b } heißt offenes Intervall mit den Grenzen a und b,
[a, b] := { x ∈ R | a ≤ x ≤ b } heißt abgeschlossenes Intervall mit den Grenzen a und b.
Beim abgeschlossenen Intervall geh¨ oren die Grenzen dazu, beim offenen nicht! 3 Man beachte noch:
a < x < b bedeutet eigentlich: a < x und x < b.
Ein Punkt x liegt also genau dann nicht in (a, b), wenn entweder x ≤ a oder x ≥ b ist.
Speziell nennt man – f¨ ur beliebiges a ∈ R und ε > 0 – die Menge U ε (a) := (a − ε, a + ε) = { x ∈ R | a − ε < x < a + ε } die ε–Umgebung von a.
s
a − ε a a + ε
Die Menge R + := { x ∈ R | x > 0 } heißt die positive Halbgerade und R − := { x ∈ R | x <
0 } die negative Halbgerade.
Wir kommen nun zur allgemeinen quadratischen Gleichung ax 2 + bx + c = 0, mit a ̸ = 0.
Zur L¨ osung erinnere man sich an die binomische Formel (x + y) 2 = x 2 + 2xy + y 2 .
2
” = ⇒ “ steht f¨ ur
” daraus folgt“.
” ⇐⇒ “ steht f¨ ur
” gilt genau dann, wenn“.
3