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Aufruf zum Rückruf

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Aufruf zum Rückruf

Liebe Pharmaindustrie, bitte ruft jetzt mal das Gros eurer Medikamente zurück!

Nehmt sie vom Markt. Oder testet sie seriös. Bewerbt sie weniger unseriös. So sollten die Aussagen, die in Inseraten für eure Produkte mit Nümmerchen auf Arti- kel verweisen, von diesen auch bestätigt werden – was nur zu oft nicht der Fall ist.

Meine Patienten und Patientinnen sind es nämlich leid, ständig von Skandalen zu le- sen oder sie gar am eigenen Leib erleiden zu müssen. Und ich will nicht immer am nächsten Tag, nachdem das schädigende Mittel zurückgerufen wurde, den raub- vogelartigen Angriff der Pharmavertreter der Konkurrenzprodukte abwehren müs- sen, die mir ihr Mittel aufschwätzen wol- len. Contergan, einige Kalziumantagonis- ten, viele kardiale Antiarrhythmika, einige Antidepressiva, Lipobay, Hormonersatz- therapie, Magenmotilitätshemmer und gastroenterale Antiinfektiosa, Impfstoffe, jetzt Vioxx und möglicherweise auch bald Bextra – habe ich etwas vergessen? Ver- mutlich, denn die Liste ist lang, die Rück- rufe häufen sich, folgen immer schneller im ebenfalls schneller werdenden Crescen- do von Auf-den-Markt-bringen-intensiv- bewerben-möglichst-viel-verkaufen-bevor- der-Patentschutz-ausläuft.

Besonders ärgerlich ist die Informations- politik der Pharmaindustrie. Nur dank der Laienpresse erfährt der sich intensiv mit

Fachliteratur fortbildende Arzt, der kein Pharmamailing ungelesen lässt, dass das Mittel X oder Y gefährlich ist. Peinlich, wenn man als behandelnder Hausarzt nicht dazu gekommen ist, die «NZZ» beim Frühstück zu lesen und die Morgennach- richten nicht im Autoradio gehört hat, und die Patienten dann mit «Tagi» und

«Blick» in der Hand erzürnt die Medika- mentenschachtel auf den Tisch werfen, mit deren Inhalt man sie vergiftet hat.

Beunruhigend, wenn man an Herrn S.

denkt, einen sportlichen, schlanken, unge- stressten Nichtraucher mit uralt geworde- nen Vorfahren, der mit 52 einen letalen Herzinfarkt erlitten hat, zwei Jahre, nach- dem man ihm Vioxx verschrieben hatte.

Eilfertig sendet die Pharmaindustrie hin- gegen eine «Vorinformation für Fachleute»

aus, wenn irgendeine klitzekleine Studie vermuten lässt, dass das Medikament Z möglicherweise auch grenzwertige Wir- kungen auf irgendeine banale Beschwerde hat, die aber nicht in der Indikationsliste für das Produkt registriert ist. Enthusias- tische Aussendienstmitarbeiter bearbei- ten einen dann, das Medikament Z doch auch mal bei Patienten mit diesen Be- schwerden auszuprobieren: 2986 Schwei- zer Ärzte führten gerade eine Patienten- anwendungsstudie mit 3011 Patienten durch und schon die ersten Daten zeig- ten, dass dank Mittel Z die Lebensqualität

als besser empfunden würde. Die «for- schende Pharmaindustrie», die ihre Medi- kamentenpreise immer mit dem Hinweis auf die horrenden Forschungskosten recht- fertigt, gibt in Wirklichkeit das Doppelte, in den USA sogar mehr als das Drei- bis Vierfache, für Werbung aus. Die Firma Roche – einer der wenigen Pharmaherstel- ler, der zumindest transparente Zahlen lie- fert – wandte 4,77 Milliarden Franken für Forschung und Entwicklung und 8,85 Mil- liarden für Marketing und Vertrieb auf.

Noch darf in der Schweiz – anders als in den USA – für «ethische», verschreibungs- pflichtige Produkte nicht beim Publikum geworben werden. Aber Gründungen von «Selbsthilfegruppen» gegen Akne, Osteoporose und andere nicht letale Lei- den erfolgen oft mit massivem, diskretem Sponsoring der Pharmaindustrie. Schwei- gen wir lieber über die Reisen und Ban- kette, die uns Ärzten nach wie vor von der Pharmaindustrie angeboten werden. Als alter Hausarzt, der schon zu viele Pharma- skandale erlebt hat und der der Industrie in hohem Masse misstraut, verschreibe ich sehr konservativ, insbesondere bei nicht lebensbedrohlichen Krankheiten. Schade, denn so kommen bestimmt viele meiner Patienten nicht in den Genuss besserer, neuerer Medikamente – aber «nihil no- cere» ist auchein wichtiges Prinzip ärzt- lichen Handelns.

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