DAS CHALADSCH, EINE NEUENTDECKTE ARCHAISCHE TURKSPRACHE
Von Gerhard Doerper, Güttingen
Im Jahre 1940 machten unabhängig voneinander zwei Forscher Sprach¬
aufnahmen in Zentral-Iran. Sie nahmen dabei den „Dialekt" der Chaladsch
auf, ein bis dahin unbekanntes Idiom. Während der kurze Artikel Minors-
kys* nm von Historikern berücksichtigt wurde, sind die wesentlich um¬
fangreicheren Materialien des iranischen Gelehrten Mogäddäm^ bisher
sogar gänzlich unbeachtet geblieben. Da die beiden genannten Forscher
nicht Turkologen, sondern Iranisten waren, erkannten sie zudem auch
nicht die besondere Bedeutung ihrer Aufzeichnungen für die Türkologie.
Ja, da Minobskys spärliches Material vornehmlich von einem Gewährs¬
mann stark mit Azeri-Elementen durchsetzt worden war, wurde das Cha¬
ladsch z. B. von Menges' für einen aserbeidschanischen Dialekt gehalten. So
sind die linguistischen Forschungen auf diesem Gebiet steckengeblieben.
Dagegen ist auch noch nach Minorsky u. a. von Köpbülü* versucht
worden, die geschichtliche Vergangenheit der iranischen Chaladsch zu er¬
hellen. Hier ist teilweise gute Arbeit geleistet worden, so in der Aufspürung
früher Zeugnisse über unseren Volksstamm in iranischen Quellen. Man wird
die Untersuchungen teilweise allerdings wohl auch mit Mißtrauen betrach¬
ten müssen. Der Zusammenhang mit den in Indien im 12. und 13. Jahr¬
hundert eine Rolle spielenden Childschi z. B. erscheint mir nicht ganz ge¬
sichert. Für ihn scheint zwar eine gewisse Ähnlichkeit der Namensform
zu sprechen. Dergleichen aber besagt ja gerade bei altaischen Völkern nicht
viel ; so erscheinen die Namen Kiräyt (= Kereyit), Nayman und sogar Qitay
bei den heutigen Nogaiern, ohne daß sich dabei greifbare historische Zu¬
sammenhänge nachweisen ließen. Man hat oft den Eindruck, daß wenn in
solchen Fällen überhaupt ein Zusammenhang bestanden hat, er jedenfalls
nicht viel fester sein kann als etwa der des Berliner Fußballklubs Tasmania
mit der australischen Insel Tasmanien. Wie wir sehen werden, ist der Zu¬
sammenhang der iranischen Chaladsch mit den bei al-Kaschghari erwähn¬
ten am Amu-Darja siedelnden Xala6 sogar über diese etwas allgemeinen
1 The Turkish dialeet of the Khalaj, BSOAS 10, 417-437.
' Güyi§hä-yi Wafs wa Ästiyän wa Tafraä, Irän-Küdä 11.
' Research in the Turkic dialects of Iran, Oriens 4 (1951), 273-279.
* Islam Ansiklopedisi, s. v. Hala?.
49 Or.-Tg.
720 Gebhabd Doerfeb
Erwägungen heraus naehweishch zweifelhaft. Die Gleichung al-Kaschgharis
Xalac = afghanisch-indische Childschi = iranische Chaladsch geht nicht
ganz auf.
Schauen wir uns nach anderen Quellen für die Vergangenheit der irani¬
schen Chaladsch um. Man könnte etwa an Ursprungssagen denken. So ha¬
ben ja die Jakuten die Erinnerung an ihre ehemals südlichere Heimat
recht getreu bis heute bewahrt*. Nun, von dergleichen scheint sich bei den
iranischen Chaladsch nichts zu finden; sie scheinen ihre ältere Vergangen¬
heit vergessen und nur die allerjüngsten Ereignisse in Erinnerung oder
Überlieferung bewahrt zu haben.
So scheint wieder einmal die Linguistik in die Bresche springen zu müssen.
Und sie ist in der Tat das einzige Mittel, um die alte Vergangenheit der
Chaladsch, wenn auch notdürftig, zu erhellen. Das Resultat wird, wie ich
Ihnen gleich ankündigen kann, überraschend sein. Bevor wir uns jedoch
mit der grauen Vorzeit des Volkes befassen, wollen wir doch einen kurzen
Bhck in seine Gegenwart tun.
Die heutigen Chaladsch leben im Zentral-Iran, etwa 200 km SW Teheran,
westlich von Qum. Einige ausgewanderte Chaladsch leben auch weiter
südlich unter den Qaschqai, ihnen ist der Zusammenhang mit ihren nörd¬
lichen Brüdern wohl bewußt. Es gibt etwa 60 Chaladsch-Dörfer mit ca.
17000 Menschen, der größte überwiegend chaladsch sprechende Ort ist
Talhäb (etwa 2000 Seelen). Allerdings ist die ethnographische Situation -
trotz der relativen Abgeschlossenheit des Gebiets - für die Chaladsch nicht
so günstig, wie es auf den ersten Blick scheinen könnte: Wegen schlechter
Wasserversorgung hat bereits eine weitgehende Landflucht eingesetzt. Ins¬
besondere die jüngeren arbeitsfähigen Leute sind meist schon außerhalb
beschäftigt, man sieht in den Chaladsch-Dörfern meist nur Greise und
Kinder. Die Lehrer sind durchweg Perser. So sind auch fast alle Chaladsch
zwei- oder dreisprachig, d. h. neben ihrer eigenen Sprache beherrschen sie
noch das Persische und oft auch das Azeri. Vielfach sprechen die Kinder
schon nur noch Persisch, besonders im Westen des Gebietes. Die Frauen
beherrschen das Chaladsch i. a. besser und sprechen es reiner als die Männer.
Die Bevölkerung ist durchweg recht arm. Man hat den Eindruck, daß das
Schicksal dieses Volkes, wenn auch noch nieht in allernächster Zukunft,
besiegelt ist. Um so wichtiger sollte es sein, das aufzuzeichnen, was es uns
an Wichtigem zu geben hat.
Und die Sprache der Chaladsch ist in der Tat von höchster Wichtigkeit.
Ich habe darüber (als erster) bereits einiges für ZDMG*, Türk Tarih Kurumu
Belleten und in den Cmrent Trends in Linguisties geschrieben, das in nächster
^ Vgl. etwa Theophil Chodzidlo, Die FamUie bei den Jakuten, Freiburg in
der Schweiz 195L vor allem 409 fF.
' Inzwischen erschienen in ZDMG 118 (1968), 79-112.
Das Chaladsch, eine archaische Türksprache 721
Zeit herauskommen dürfte. Inzwischen hat ein Vorexpedition meiner Schüler
Wolfram Hesche, Hartwig Scheinhardt und Semih Tezcan stattgefunden
(ich selbst konnte sie leider nicht dmchführen, da ich anderweitig auf eine
Gastprofessm verpflichtet war). Diese Expedition hat meine bisherigen
Ausführungen in vielem ergänzt und in manchem korrigiert. Auf ihr be¬
ruht dieser Vortrag, ihr danke ich eine genauere Transkription, als sie mir
zuvor möglich war, und sie hat auch einige Beiträge zur Dialektologie des
Chaladsch geliefert. So entspricht einem nördlichen ö, ü im Süden ein ent-
rundetes e, i. Jedoch will ich hierauf nicht weiter eingehen.
Ein besonders wichtiges Schibboleth der Türksprachen ist die Entwick¬
lung des in- und auslautenden d. Bisher galt in der Türkologie das wunder¬
bar einfache Schema: Im Westen ist d > y geworden (alttürkisch adaq
,Fuß' > türkeitürkisch ayak usw.), nur in Ostsibirien ist es direkt oder
jedenfalls in ähnlicher Form erhalten gebheben (tuvinisch adaq, jakutisch
atax, chakassisch azax). Nun, das Chaladsch wird fast am westlichen Rande
der Türksprachen gesprochen, über 4000 km vom Tuvinischen entfernt.
Aber es hat das d bewahrt. Hier einige Belege: hädM ,Fuß', qäd%n , Schwa¬
ger', hgdä- 'färben' usw. Dies nun stürzt die gesamte bisherige Klassifikation
der Türksprachen um. All das erinnert ganz an die Situation in der Indo¬
germanistik. Hier imterschied man einstmals zwischen den kentum-Spra-
chen (mit Bewahrung von idg. k') und den satem-Sprachen (mit Verschie¬
bung des k' zu einem Sibilanten, s, s oder ähnlich). Und auch hier gab es ein
so schön einfaches Schema: kentum-Sprachen im Westen, satem-Sprachen
im Osten. Dann aber wurde das Tocharische entdeckt, und damit war wie
so oft in der Geschichte der Wissenschaft eine Simplifikation zusammen¬
gebrochen.
Das Chaladsch ist im Kreise der Türksprachen jedoch wesentlich alter¬
tümlicher (und damit relevanter) als es das Tocharische im Kreise der
indogermanischen Sprachen ist. So hat das Chaladsch urtürkisches h-
(< '"'/- < *p-) bewahrt. Wir finden davon nur noch sporadische Reflexe
in wenigen anderen Türksprachen. Das Chaladsch ist das einzige türkische
Idiom, das das h- systematisch bewahrt hat. Es ist in diesem Punkte alter¬
tümlicher als das Alttürkische der Orchon-Inschriften des 8. Jahrhunderts,
welches zu den Dialekten gehört, die das h- schon früh aufgegeben haben.
Es ist auch nicht etwa so, daß einem Vokalanlaut anderer Türksprachen
nun im Chaladsch einfach durchweg ein h- entspräche, sondern wir finden
eine klare Opposition: Anlaut mit Ä- : Vokalanlaut. Und die Wörter mit
Vokalanlaut sind auch nicht etwa Entlehnungen aus fremden Türksprachen,
sondern ebenso echte gute alte Chaladsch-Wörter wie die mit A-. Vgl. etwa
hät 'Pferd' - aber ät (eigentlich äH) 'Name'. Einige weitere Belege mit h- :
hält 'Feuer', hadäQ 'Fuß', häöy.ix 'bitter', häyäö 'Baum', hdv 'Haus', hl^l
'feucht', hirin ~ hürün 'weiß'. Einige Wörter mit Vokalanlaut: älumlä
722 Gerhard Doerfer
'Apfel' (vgl. al-Kaschghari almila, heute sonst überall alma, elma,) i^m
'Hose' (altertümliches Wort, heute fast in allen Türksprachen verloren),
'gestern', vqm 'zehn' usw. Mit der Bewahrung des h- ist das Chaladsch die archaischste Türksprache überhaupt.
Alttürkische Vokallänge ist bewahrt gebheben, d. h. eigentlich finden wir
durchweg Diphthonge, also alttürkisch öt 'Feuer' = chaladsch hü'>t, ke6ä
'Nacht' = H?cä, süt 'Milch' = siit, qäd'in 'Schwager' = qa^di{,n usw. Sprach¬
geschichtlich viel interessanter als die Bewahrung der Vokallänge ist aller¬
dings das folgende. Vokallänge ist innerhalb der Türksprachen bekanntlich
vor allem im Türkmenischen, Jakutischen und Karachanidischen belegt.
Dabei stimmen die drei erwähnten Sprachen (wir wollen hier nm die ein¬
silbigen Wurzeln untersuchen) in der Quantität meist überein. Immerhin
gibt es doch auch zahlreiche Ausnahmen, Fälle von Abweichungen. Das ist
von der Forschung bisher nicht recht gewürdigt worden. Ligeti hat der¬
gleichen ohne eingehende Untersuchung einfach als erste Anzeichen einer
Vokalkürzung gedeutet', Räsänen zählt lediglich 11 Ausnahmen auf*; bis¬
her am gründlichsten war Iben Raphael Meyee, die dem weitere 26 hin¬
zufügte*. Tatsächlich gibt es jedoch 169 Ausnahmen! Da aber nur etwa 800
einsilbige türkische Wurzeln vorkommen, ist das doch eine ganz erhebliche
Zahl. Wie verhält sich hier das Chaladsch ? Hier nm zwei Musterbeispiele :
K T J Mansüräbäd Haltäbäd Talhäb
'Feuer' öt öt uot hüft hy,9t hü9t
'Arm' qöl gol xol qyl qy.l qu'il
Das bedeutet: wo alle Quellen K, T, J übereinstimmen, hat das Chaladsch
Langdiphthong: ö = «•? ~ ^9. Wo jedoch die Quellen voneinander ab¬
weichen (hier K ö = T, J o), hat es entweder halblanges oder kurzes y
(einen zwischen % und p genau in der Mitte stehenden Laut, also immerhin
auch nicht g wie bei kurzem türkischen o, z. B. in chaladsch tgx 'satt' =
türkisch toq); oder aber es hat m9, d. h. einen Kurz diphthong. Es nimmt
also dann eine mittlere Stellung ein zwischen Kurzvokal und Langdiph¬
thong. Man könnte von hier aus als urtürkische Formen annehmen: *toq,
*qoöl, *h6ot. Da aber Diphthonge dieser Art als ursprünglich anzusetzen
etwas künstlich wirkt, wäre vielleicht zu überlegen, ob wir nicht ursprüng¬
lich melodischen Ton anzusetzen haben, etwa: töq (ebener Ton), qöl (Steig¬
ton), hot (Fallton), zumindest wäre eine Opposition Steigton : Fallton bei
Vokallänge nicht ausgeschlossen.
' Les voyelles longues en turc, JA 1938, 184-5, 193.
' Materialien zur Lautgesohichte der türkischen Spraohen, Helsinki 1949, 68.
» In ihrer meines Wissens bisher nooh nioht publizierten Kopenhagenor Dis¬
sertation, Vokallsengde i Tyrkisk, 81.
Das Chaladsch, eine archaische Tärksprache 723
Eine weitere bedeutsame Erscheinung. Einem auslautenden i, % anderer
Türksprachen entspricht im Jakutischen zuweilen wieder i, i, zuweilen
aber auch ä (ö), a (o). Manchmal (aber sporadisch) zeigen sich solche Er¬
scheinungen auch in anderen Türksprachen. Hier einige Belege :
Alttürkisch yigirmi 'zwanzig' = jakutisch sürhä
yät(t)i 'sieben' = sättä
(aber äk{k)i 'zwei' = äkki ~ ikki
hori 'Wolf = hörö
alti 'sechs' = alta
In meinen Vorlesungen zur altaischen Phonetik trug ich vor, daß es im
Urtürkischen zwei Vokale e, e gab, die am besten im Tschuwaschischen er¬
halten sind. Dort geht z. B. kil- 'kommen' auf *kel- zmück, dagegen z. B.
sas 'Stimme' auf *säs, während die Quantitäten zusammengefallen sind.
(Das Azeri andererseits reflektiert nur noch den Quantitätsunterschied:
Es hat sowohl *ä als auch *e > e verschoben und *ä wie auch *e > ä,
letzteres seltener durch Assimilation ebenfalls > e). (Den Vokal urtürk.
*e erschließe ich aus Fällen, wo die meisten Türksprachen a haben, dagegen
das Jakutische, Tuvinische oder Tschuwaschische i, z. B. 'Stiel, Gelenk'
meist sap, aber tuvin. sip, jakut. up < *ip < sip, tschuwasch. sipä). Es
ist nun wahrscheinlich, daß es *e, *e auch in der nichtersten Silbe gab.
Sollten nun etwa jakutisch sürbä usw. auf resp. *yigirme, *yätte (aber *äkki),
*bore, *alte zurückgehen? Diese unsere Vermutung wird, so scheint es,
durch das Chaladsch bestätigt. Hier heißen die vier Wörter in den Dialekten :
Mansüräbäd Haltäbäd Talhäb
'zwanzig' yiirmi yigirmi yiiirmi
'sieben' yätti yätti yätti
(aber 'zwei' akki äkki äkkii)
'Wolf bl^ri bpri bpri
'sechs' ällä äitä äUä
Das heißt: Mansüräbäd hat zwar den Unterschied *ije aufgegeben und nur
Hje bewahrt (e > d in altä 'sechs'); in den anderen Dialekten jedoch ist
auch der Unterschied *ile klar bewahrt, z. B. Haltäbäd yätti gegen äkki, be¬
sonders klar in Talhäb (wo auslautendes -i > ii, -i > y, geworden ist):
yätti gegen akkii.
Ich möchte nun auf die Frage eingehen, der Nachfolger welchen alten
türkischen Dialekts das iranische Chaladsch ist.
Alttürkisch n ist nicht, wie in fast allen modernen Türksprachen, zu y
geworden, sondern zu n, einem dem n doch sehr viel näherstehenden Laut.
Also alttürkisch qon , Schaf hier nicht zu qoy, sondern zu qyn, vgl. ferner
qä^naq 'Rahm' (= alttürkisch qa-haq), qä^ni 'wer?' (= qdAu), kpndi 'es
724 Gebhard Doerfer
brannte' (= köM.i). Nun wird bei al-Kaschghari berichtet, daß die Arghu,
türkisierte Soghder, die zwischen Isfigäb bzw. Taräz und Baläsägün siedel¬
ten, n für n hatten. Als Beispiele nennt er qon 'Schaf, qanaq 'Rahm',
qanu 'wer?', köndi 'es brannte', das sind die von uns soeben behandelten
Wörter. Dies könnte darauf deuten, daß die iranischen Chaladsch eben
nicht Nachfahren der Xalaö al-Kaschgharis sind, denn die waren ja Og¬
husen und hatten nach al-Kaschghari den typischen Lautübergang g > a;,
wovon wir ja aber im iranischen Chaladsch keine Spur finden (vgl. qyn
'Schaf und die anderen zitierten Wörter). Vielmehr könnten die iranischen
Chaladsch eben Nachfahren der Arghu sein. Natürlich würde dieser eine
Beleg nicht zum Beweis ausreichen. Es gibt aber weitere.
Nach al-Kaschghari ist der Bindevokal ijijulü des Gemein türkischen im
Arghu zu ujü geworden, also alttürkisch bardim 'ich ging' im Arghu bardum.
Dasselbe Merkmal finden wir aber auch im modernen Chaladsch: einem i
der nichtersten Silbe entspricht (in geschlossener Silbe) u, und in den Nord¬
dialekten entspricht einem i ein ü. Hier einige Belege: caq%r 'gelb' (= alt-
türkisch iaqir), qä^d%n 'Schwager' (= qädin), qärnn 'Bauch' {=qarin),
käliln 'Braut' { = kälin) usw.
Und als ein drittes wichtiges Charakteristikum des Arghu führt al-
Kaschghari auf: 'nicht' heißt im Arghu däy bzw. däy ol, und sie sind das
einzige Türkvolk, das dieses Wort kennt. Tatsächlich findet sich däy auch
in keiner einzigen modernen Türksprache - außer eben im Chaladsch:
däy bzw. dä,yil. Dies ist vielleicht das schlagkräftigste Beispiel. Ich
würde sagen, jeder einzelne dieser Fälle könnte eine bloße Koinzidenz sein,
sollte aber das Ensemble aller drei Charakteristika auf bloßem Zufall be¬
ruhen ? Ich glaube, es besteht eine gute Möglichkeit, daß die heutigen ira¬
nischen Chaladsch Nachfahren der alten Arghu sind, die man für ausge¬
storben hielt.
Zum Abschluß möchte ich hier nur noch bemerken, daß auch die Morpho¬
logie des Chaladsch vieles Altertümliche aufweist, so den Ablativ auf .dA
(wie im Orchontürkischen), während der Lokativ auf .6A lautet.
Neben die bisherigen sechs türkischen Gruppen muß also das Chaladsch
als die siebente gestellt werden. Also 1. Tschuwaschisch oder Bolgharisch 2. SW-Türkisch oder Oghusisch 3. NW-Türkisch oder Kiptschakisch 4. SO-Türkisch oder Uighmisch 5. NO-Türkisch oder Südsibirisch 6. Jakutisch und
7. Chaladsch.
Und dabei ist das Chaladsch die altertümlichste lebende Türksprache, in
Das Chaladsch, eine archaische Türksprache 725
manchem möglicherweise altertümlicher als selbst die Orchon-Inschriften.
Sie ist für die Türkologie mindestens ebenso wichtig wie die Entdeckung
von babylonisch sprechenden Dörfern (sagen wir im Nord-Irak) für die
Semitistik wäre.
DAS MONGOLISCHE IM ZUSAMMENHANG
MIT EINIGEN ANDEREN SPRACHEN
Von Pavel Poucha, Prag
Gedanken über die Entwicklung des Mongolischen zu einer
„altaischen" Sprache
Liest man die Ausführungen verschiedener Wissenschaftler, die sich mit
den sog. ,, altaischen" Sprachen insgesamt oder mit nur einer von ihnen,
dem Mongolischen, dem Mandschuischen, dem Türkischen, bzw. auch mit
dem Koreanischen und teilweise auch dem Japanischen befassen, muß man
zum Schluß gelangen, daß noch immer die Frage besteht, ob es tatsächlich
eine solche Spraehfamilie gegeben hat, obwohl man von ,, Altaistik" spricht*
und sogar die sehr alte Theorie von einer Urverwandtschaft der altaischen
und ugrisch-finnischen Sprachen immer von neuem zum neuen Leben er¬
weckt^. Die Tabellen, die Udo Posch^ vorführt, und die die lautlichen Über-
* Handbuch der Orientalistik I. Abteilung, 5. Band, 2. Abschnitt: Mongo¬
listik, Leiden/Köln, 1964, E. J. BriU.
^ Vgl. Bjöbn Collindeb, Hat das Urahsche Verwandte ? Eine sprachver¬
gleiehende Untersuchung, Acta Univ. Upsaliensis. Acta Societatis Linguisticae
Upsaliensis Nova Series 1:4, Uppsala 1965, SS. 109-180, passim. G. John
Ramstedt, der Gründer vgl. altaischen Sprachwissenschaft, hat wenige Jahre
vor seinem Tode sich mündlich ziemlich positiv über die uralaltaische Hypo¬
these geäußert, er hat von einer uralisch-altaisch-indogermanisohen Triangel¬
beziehung gesprochen (Collindeb 1. c. S. 137). Mutmaßliche lexikahsche
Übereinstimmungen zwischen Uralisch und Altaisch findet man zu Hunderten
in den Veröffentlichungen von Schott, Sauvageot, Räsänen, Nemeth und
Sinob. Collindeb hat darüber in seinem Fenno-Ugric Vocabulary geschrieben.
Es handelt sich aber in vielen Fällen um Entlehnungen. Auf S. 140-151 resp.
155, 1. c, hat er eine revidierte uralaltaische Wortliste, konfrontiert mit Ram¬
stedt, Einführung in die altaische Sprachwissenschaft I, 1957, von 69 Fällen,
von welchen das Mongolische betreffen: alivsun, ang, qalim, qaliyan, ayil{1),
dayibal, dagä-, (h)üle, qilgasun, xjangar, sirke, noqai, yan, 6ana, qusi, sunggu-, qusun, jimugu3u, gv/rban, gurmusun, qandagai, qa, tanaga, neke-, tere, ese, kelen, temege, ülü, edüi, ken, bide, bi, 6i, sögel, sülekei, döng. Holoeb Pedebsen (nach
Collindeb, 1. c, 169) hat sich so ausgedrückt: „Wenn wir Verwandtschaft an¬
nehmen, werden wir notwendigerweise weitergeführt und zwar nicht nur zum
Samojedischen, das vom Finnisch-Ugrischen nicht getrennt werden kann, son¬
dern durch das ganze nördliche Asien über die Beringstraße. Denn Überein¬
stimmungen . . . wenn auch schwächere, finden wir auoh im Türkischen, Mon¬
golischen und Mandschuischen, im Jukagirischen, ja sogar im Eskimoischen ..."