Von Karl Budde.
In unserer Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen
Gesellschaft (Bd. 8, 1929, S. 213—237) hat mein Marburger
Kollege Begrich einen Aufsatz geboten „Der Syrisch-Ephrai-
mitische Krieg und seine weltpolitischen Zusammenhänge".
Zu der Erreichung seines nächsten Zieles, einer Probe auf
seine Herstellung der Zeitfolge der Könige von Israel und
Juda in seinem umfassenden und gründlichen Buche über diesen
Gegenstand, das er diesem Aufsatze auf dem Fuße folgen ließ,
kann ich ihn, so weit meine Einsicht reicht, nur beglück¬
wünschen. Nicht zustimmen aber kann ich seinem Urteil über
die weltpolitischen Zusammenhänge, wie er selbst denn neben
Meissner mich als Gegner seiner Anschauung aufführt (S. 216,
Fußnote 3). Es handelt sich da vor allem um einen Punkt,
der für den Vertreter der Biblischen Wissenschaft von der
größten Bedeutung ist, zu dem gerade ich nicht schweigen
darf. König Ahaz von Juda tat, so meint Begrich (S. 220 f.),
als er im Jahre 734 gegen den Angriff der verbündeten Könige
des damascenischen Syrien und des Nordreichs Israel die Hilfe
Assyriens unter Zahlung eines schweren Tributs anrief, „das
politisch einzig Richtige". Er übergeht mit taktvollem Still¬
schweigen, was daraus mit Notwendigkeit folgt, daß nämlich
der Prophet Jesaja, als er, nach seinem besten Wissen und
Gewissen unter dem Zwang eines Auftrags seines Gottes Jahwe,
den König von diesem politischen Schritt abzuhalten suchte,
sich unbefugter Einmischung in Dinge, die er nicht verstand,
schuldig machte, und daraus würde doch wohl weiter zu
schließen sein, daß Jesaja's Überzeugung, damit göttlichem
Gebote und göttlicher Eingebung zu folgen, auf einem Irrtum
1) Vortrag, gehalten auf dem Deutscheu Orientalistentag zu Wien.
beruhte. Dem müßte man sich fügen, wenn überzeugende Be¬
weise dafür vorlägen. Aber der Entschluß dazu fällt doch
hier besonders schwer. Zunächst hat sich Jesaja bei allen
anderen Gelegenheiten dem Könige und dem Hofe gegenüber
stets als der bessere Politiker erwiesen, bis hin zu der Be¬
lagerung Jerusalems durch König Sanherib von Assyrien im
Jahre 701. Er steht damit unter den Propheten nicht allein;
vielmehr gilt von einem Hosea schon vor und Jeremia nach
ihm genau dasselbe. Sodann aber ist er gerade in diesem
Falle weit entfernt, sich durch den Verlauf der Ereignisse
überzeugen zu lassen, daß er sich geirrt habe, daß des Ahaz
Verfahren sich als das richtige erwiesen habe ; vielmehr läßt
er Jahre hindurch, bis mindestens zum Abschluß der vorder¬
asiatischen Kriege Tiglatpilesers, Spruch auf Spruch von der
gleichen Überzeugung aus einander folgen. Nichts Anderes als
gerade diese Erlebnisse und Erfahrungen legt er in einer
Denkschrift für seine Jünger nieder, in der, das darf man
ruhig sagen, seine großartige Lebensarbeit ihren Gipfel er¬
reicht. Sollte ein Mann wie Jesaja sich über die Berechtigung
dieser Überzeugung und über deren Bedeutung so vollständig
und so andauernd getäuscht haben? Natürlich handelt es
sich dabei nicht um Glaubensfragen. Die übereinstimmende
Haltung der genannten drei Propheten geht vielmehr darauf
zurück, daß sie das Liebäugeln Israels mit dem Auslande an
und für sich für verderblich ansehen, weil es dabei seine Eigen¬
art preisgibt, einschließlich seiner Religion, und endlich seine
Selbständigkeit und sein Dasein als Volk. Im höchsten Grade
überzeugend und unvergleichlich schön wird diese Unart und
ihre bösen Folgen gegeißelt in Reden wie Hos. 5, io ff. und
7,8 ff., aber auch in einer der ältesten Reden Jesajas, Kap. 2, 6ff.,
wo Israels Ausländerei als die Wurzel alles Übels gekenn¬
zeichnet wird. Daß die Propheten damit richtig urteilen,
darüber dürfte Begkich mit mir derselben Meinung sein. Aber
hier handelt es sich darum, ob dieser Grundsatz in dem vorliegen¬
den Falle sich in die Praxis umsetzen ließ, ob die freiwillige
Unterwerfung unter Assyrien ohne weit schlimmere Folgen
für die Wohlfahrt von Königtum und Volk vermieden werden
konnte. Darüber wird mit nüchternen Gründen zu entscheiden
sein, natürlich unter Vorbehalt der Unsicherheit, die bei der
weiten zeitlichen Entfernung und der Spärlichkeit der Über¬
lieferung immer bleiben wird. Ein in dubio pro reo, d. h.
f ü r das Urteil der unvergleichlich größeren Persönlichkeit des
Propheten, nehme ich im voraus in Anspruch.
Die Antwort wird verschieden lauten können, die Frage wird
zweimal aufgeworfen werden müssen, je nach dem Gesichts¬
winkel, unter dem man die Sachlage ins Auge faßt. Die beiden
Möglichkeiten dafür führt Begeich ziemlich zu Anfang (S. 216)
auf. Entweder man sieht in dem Angriff der beiden ver¬
bündeten Mächte auf Juda „einen innerpalästinensischen Vor¬
gang ohne weltpolitische Zusammenhänge": als Vertreter dieser
Anschauung nennt er Meissner und mich; ich erlaube mir
Paul Rost, den Herausgeber der „Keilschrifttexte Tiglat¬
pilesers III.", Leipzig 1893 (S. XXXIII gegen Tlele), hinzu¬
zufügen. Die andere Anschauung sieht in Syrien und Ephraim-
Israel zwei führende Glieder einer „assurfeindlichen Koalition"
und meint, „der Krieg könne nur den Zweck haben, das wider¬
strebende Juda mit Gewalt ins Lager dieser Koalition zu
führen" (Begeich, S. 220). Von den Vertretern dieser An¬
sicht, die Begeich (S. 216) aufführt, ist doch Wellhausen
zu streichen, da er (Israel, und jüd. Geschichte, 5. Ausg., 1904,
S. 121) nur von einem Feldzug der beiden gegen Jerusalem
und König Ahaz spricht und als dessen Zweck nichts anderes
nennt als „Ahaz zu stürzen und einen syrischen Vasallen an
seine Stelle zu setzen". Dann fährt er fort: „Ahaz aber parierte
den Streich, indem er sich dem Assyrer in die Arme warf,
den vielleicht die Allianz zwischen Aram und Israel so wie so
zum Einschreiten veranlaßt haben würde". Ich gehe nun zu¬
nächst von jener Voraussetzung Begeich's aus, einer assur¬
feindlichen Koalition und der Absicht, das widerstrebende Juda
mit Gewalt in deren Lager zu führen. Dem gegenüber meine
ich ganz leichtes Spiel zu haben, indem ich bei dem Satze
meiner Schrift von 1928 bleibe, auf den Begrich selbst ver¬
weist 1). „Hätte Ahaz sich durch so verdienstliche Haltung
1) Jesajas Erleben, Gotha 1928, S. 42.
Zeitschrift d. D. M. G., Neue Folge Bd. IX (Bd. SI). 9
Assyrien gegenüber unter allen Nachbarn ausgezeichnet, so
hätte es gewiß nicht erst des schweren Tributs von 2 Kön.
16,8 bedurft, ihm die Hilfe des Großkönigs zu erkaufen".
Unter allen Nachbarn: Begeich rechnet zu der Koalition die
Philister (S. 217), die Königin von Arabien (S. 219), Edom
ziemlich sicher, wohl auch Moab und Ammon (S. 220), und
endlich als starken Rückhalt Ägypten (S. 218, 220 oben,
224 f., 235). Trotzdem, meint Begeich (S. 221 f.), müsse Ahaz
von der Schwäche der Koalition überzeugt gewesen sein, sich
darum zurückgehalten haben, und sollte nun gewaltsam zum
Anschluß gebracht werden. Vielleicht habe er ursprünglich
an ein Neutralbleiben gedacht. Und nun folgen Gründe für
die Unmöglichkeit einer solchen Haltung, die mir nichts weniger
als überzeugend scheinen. „Brach die Koalition ... zusammen",
sagt Begeich, „so ergab sich auch für ein neutral gebliebenes
Juda die Notwendigkeit ..., dem Großkönig Tribut zu senden
und unter die Oberhoheit des Weltreiches zu treten. War
dies Ergebnis in jedem Falle unvermeidlich, so war es jeden¬
falls ein Gebot politischer Klugheit, das Unvermeidliche recht¬
zeitig und ungezwungen zu tun. So konnte man erwarten,
mildere Bedingungen zu erhalten, als wenn man erst in letzter
Minute nach einem assyrischen Siege übertrat". „Übertrat"?
Blieb Ahaz als Einziger in einem großen Kreise von Gegnern
Assurs neutral, so bedurfte es ja gar nicht erst eines Über¬
tritts, sondern er stand damit auf Assurs Seite, hatte sich
für Assur schwerer Gefahr ausgesetzt. „Mildere Bedingungen"
vorher? Hier handelt es sich ja um gar keine von Assur ge¬
stellte Bedingungen, sondern um einen sich selbst auferlegten,
durchaus glaubhaft als äußerst schwer geschilderten Tribut.
Daß aber nach dem Zusammenbruch der Koalition der einzig
treu Gebliebene überhaupt einem Tribut würde unterworfen
worden sein, ist im höchsten Grade unwahrscheinlich. Volle
Freiheit als Bundesgenosse Assyriens, höchste Ehrung zum
Vorbilde für Andere, Vergrößerung wohl gar des Gebiets,
das alles war zu erwarten, wenn Ahaz, statt sich als Assurs
Vasallen zu bekennen und schweren Tribut zu schicken, nur
die Nachricht von der allgemeinen Verschwörung an den Groß-
könig hätte gelangen lassen. Aber selbst deren bedurfte es
vielleicht gar nicht erst. Nach Begrich's eigener Überzeugung
(S. 223) „muß Tiglatpileser letzten Endes durch Mitteilungen
über die syrische Koalition zum Angriff bestimmt worden
sein". „Es ist durchaus möglich", meint er, „daß die Ge¬
sandten [des Ahaz] den König schon marschbereit antrafen,
vielleicht ihm schon unterwegs begegneten". In der Tat läßt
auch Begkich's vortreffliche Zeitrechnung — da wir einen
Winterfeldzug der Verbündeten gegen Jerusalem doch nicht
voraussetzen dürfen — nur wenige Monate Spielraum bis zum
Erscheinen Tiglatpilesers in Philistäa (S. 215). Also nicht
einmal eine Beschleunigung der Hilfe und Minderung von Ge¬
fahr und Verlusten war von des Ahaz Schritt zu erwarten,
und hätte er sich dergleichen davon versprochen, so blieb
eben Jesaja mit seinem Einspruch im Recht, und der Fehler
war auf des Königs Seite. Viel eher möchte sich, wenn die
Voraussetzung zutrifft, daß nur des Ahaz Weigerung, der
Koalition gegen Assur beizutreten, die Feinde gegen ihn ins
Feld geführt hätte, ein anderes Verfahren empfohlen haben.
Angesichts so schwerer Bedrohung hätte Ahaz sich zum Schein
fügen, dem Bündnis beitreten können, und die Verbündeten
hätten froh sein müssen, dies Angebot anzunehmen, statt durch
einen immerhin nicht leichten und vermöge der Stärke Jeru¬
salems sicher nicht gar kurzen Krieg ihre Kräfte vor der
großen Entscheidung zu schwächen. Ernste Schritte im Sinne
der Koalition hätten sich für Ahaz wohl hinausschleppen lassen,
und im entscheidenden Augenblick konnte Juda dann von der
Koalition zurücktreten und dem Großkönig klarlegen, wie es
nur aus Not und zum Schein ihr beigetreten sei. — Dies alles
in Betracht gezogen, kann ich nicht glauben, daß König Ahaz
den schweren Schritt der freiwilligen Unterwerfung unter Assur
würde getan haben, wenn es sich nur um den Beitritt zu einer
assurfeindlichen Koalition gehandelt hätte, und schon darum
muß ich diese Annahme, die ja vielfach vertreten wird
Begeich führt dafür noch Lehmann-Haupt, Guthe, Kittel,
Sellin an — für in hohem Grade unwahrscheinlich halten.
Wie mir scheint, führt aber auch alles, was wir sonst wissen,
9*
zu der gleichen Entscheidung. Über den Syrisch-Ephraimitischen
Krieg und seine Folgen stehn uns drei Berichte zur Ver¬
fügung, der des Buches der Könige, der Jesajas und die In¬
schriften Tiglat-Pilesers; keiner von allen sagt das Geringste
von einer gegen Assyrien gerichteten Koalition, geschweige
von deren ursächlichem Zusammenhang mit dem Kriege gegen
Ahaz. Der Erzähler des Königsbuchs weiß (II, 16, 5) nur von
einem Feldzug der beiden gegen Jerusalem und Aljaz 1), und
in der Botschaft an Tiglatpileser in Vers 7 läßt er Ahaz nur
klagen, daß die Könige von Aram und Israel sich gegen ihn
erhoben haben. Vorsichtig stellt Begbich (S. 222) anheim, ob
wir „den Text des Hilfsgesuches als urkundlich und vollständig
beurteilen dürfen". In Jesajas Denkschrift, Kap. 7. haben wir
es mit einer authentischen Urkunde zu tun, und was die beiden
Könige beabsichtigen, sagt er uns ganz genau mit ihren Worten :
„Laßt uns hinaufziehen gegen Juda und es bedrängen 2 ), und
es für uns erobern, und zum König in ihm einsetzen den Sohn
Täbeels" — einen syrischen Vasallen, legt Wellhausen richtig
aus. Also nichts Geringeres als Entthronung des Ahaz und
des Davidischen Hauses und Annexion des Landes Juda, ein Ziel,
gewiß für sich allein der Mühe wert; aber kein Wort von einer
Koalition gegen Assyrien, was um so mehr ins Gewicht fällt,
da Assyrien als angerufene Hilfsmacht unter dem verächtlichen
Namen des jenseits des Euphrat gedungenen Schermessers im
weiteren Verlaufe (Vers 20) angezogen wird. Die Berichte
Tiglat-Pilesers endlich (Annalen, Z. 195 bis zu Ende, Nr. 1
der Kleineren Inschriften im ganzen Umfang, der Revers der
Thontafelinschrift) sind sehr stark beschädigt; aber man müßte
auch jede Andeutung, daß der Großkönig in diesen Jahren (734
bis 732) gegen eine südsyrische Koalition hätte zu kämpfen ge¬
habt, in denLücken suchen. Daß die beiden vortrefflichen Keil¬
schriftsachverständigen, dieBEGEiCHanführt, Meissner und Rost,
Gegner der Annahme einer Koalition sind, will doch auch be¬
achtet sein. Die großeReihe der Koalierten, die ich nach Begrich's
Angaben aufführte (S. 128), beruht lediglich auf Postulaten. Das
1) Ebenso die verfrühte Nachricht in II, 15, 37 nur gegen Juda.
2)t Lies nap -1^Tl.. . , statt nss-'p:.TT '' l
wird von Edom, Ammon, Moab füglich zugestanden. Daß alle
drei nach der Niederwerfung von Damaskus tributpflichtig
werden mußten (Thont. Rev, Z. 10 f.), versteht sich ohne das;
daß Edom die Gelegenheit des Syrisch-Ephraimitischen Krieges
benutzte, um Elath, die Hafenstadt am Roten Meere, Juda
wieder abzunehmen 1), nicht minder. Ganz irrig aber führt
Begkich die Philister als Bundesgenossen auf. Wären sie das ge¬
wesen, so hätten sie Tiglat-Pileser Widerstand geleistet, hätten
erobert und bestraft werden müssen; aber nach dem Still¬
schweigen seines Berichts (Kl. Inschr. I, Z. 7 ff.) hat er die
ganze philistäische Küste widerstandslos besetzt, und nur deren
südlichste Stadt, Gaza, mußte erobert werden, weil ihr König
Hanno sich wohl als Grenzwächter Ägyptens fühlte und dort
Hilfe suchte. Völlig vergeblich, so daß auch er sich zum Tribut
bequemen mußte (Thont. Rev., Z. 12 f.). Und damit kommen
wir zu der Hauptsache. Die Teilnahme Ägyptens ist freilich
ein unerläßliches Postulat für eine Koalition des südlichen
Syrien (Begeich, S. 220, 235) gegen Assyrien. Bei allen
späteren Empörungen Südsyriens hat Ägypten den starken
Rückhalt gebildet und die Kleinstaaten zum Abfall verleitet.
Davon findet sich hier nicht die entfernteste Spur. Nur als
Ziel der Flucht Hannos von Gaza wird Ägypten ein einziges
Mal (Kl. Inschr. I, Z. 9) erwähnt. Begkich (S. 219 f.) meint,
nur weil Ägypten mit seinen Gegnern gemeinsame Sache
machte, habe Ahaz sich nicht dahin, sondern an das entfernte
Assyrien gewandt. Daß er die Schwäche Ägyptens durch¬
schaut habe, sei um so weniger anzunehmen, da selbst Tiglat¬
pileser Ägypten überschätzt habe. Das meint er aus der An¬
lage seines Feldzuges schließen zu müssen, der ihn gleich zu
Anfang bis an die Grenze Ägyptens führte (vgl. auch S. 224 f.).
Ich glaube, über die Gründe, die den Großkönig dazu ver-
anlaßten, macht sich Begrich viel zu viel Gedanken. Das
Hilfsgesuch des Königs Ahaz gab ihm das Recht und legte ihm
geradezu die Pflicht auf, den unmittelbaren Anschluß an dessen
Gebiet herzustellen ; den fand er von der philistäischen Küste
aus, und nichts konnte ihm lieber sein als diesen Vorwand
1) 2Kön. 16,e; streiche dort r^l und lies 2mal D'tNVI statt DIN.T"1
zu benutzen. „Tiglat-Pileser", sagt Rost (S. XXXII f.), „dem
keine günstigere Gelegenheit zur Ausführung seiner ehrgeizigen
Pläne geboten werden konnte, sagte ohne Weiteres seine Hilfe
zu; er konnte zugleich auf diese Weise unter der Maske eines
Beschützers seine wahren Absichten verbergen." Daß die phili-
stäischen Städte, darauf ganz unvorbereitet, sich seinem Ein¬
marsch nicht entgegenstellen, also keinesfalls einer Koalition
gegen Assur angeschlossen sind, begreift sich aus der Sache mit
Leichtigkeit. Die ganze südsyrische Koalition ist ja für diese Zeit
eine verfrühte Annahme. Begeich selbst (S. 224) stellt fest, daß
„734 das erste Mal war, daß ein assyrisches Heer Südpalästina
betrat." Wie unpolitisch wäre es da seitens der philistäischen
Städte gewesen, sich einem Bündnis gegen Assur anzuschließen
und dadurch dem Großkönig mutwillig den Anlaß zu bieten,
seine Herrschaft auch über ihr Gebiet auszudehnen ! Damaskus
und Ephraim, die 738 seine Vasallen geworden waren, mochten
den Wunsch hegen sein Joch abzuschütteln, und des Königs
langwierige Kriege im fernen Osten 737—735 waren geeignet,
ihnen dazu Mut zu machen. Aber die gegebenen Bundes¬
genossen dafür waren nicht Juda, Edom, Ammon, Moab und
die Philister, die noch nicht Ursache hatten sich über den
Assyrer zu beklagen, sondern die nordsyrischen Staaten im
Binnenlande und die phönikischen Städte am Meer, die ihm
wie jene seit 738 unterworfen waren (Ann., Z. 151—154).
Daß die seinem Zuge 734 keinen Widerstand leisteten, sondern
sich ihm friedlich öffneten, ist der sicherste Beweis, daß eine
solche Koalition noch nicht bestand. Begrich ist da im Irr¬
tum, wenn er (S. 226) Tiglatpileser im Anfang seines Zuges
die Städte Hatarikka, Gublu, §imirra, Arka usw. „erobern"
läßt. An der betreffenden Stelle steht abil (*?J?3K) , und das
mag man mit Ungnad bei Geessmann „unterwarf ich" oder mit
Rost steif wörtlich „beherrschte ich", am besten wohl „besetzte
ich" wiedergeben; aber von gewaltsamer Eroberung ist dabei
durchaus nicht die Rede, auch die Zeit dafür nicht zu finden 1).
1) Mit Gublu und Byblos unterscheidet Begrich S. 226 die beiden Gublu, das nördliche, römisch Gabala genannt, und das südliche, wenig nördlich von Beirut, griechisch Byblos.
Ohne ernstes Hindernis gelangt vielmehr Tiglatpileser auf dem
nächsten Wege, der Küste entlang, und in kürzester Frist
nach Philistäa in den Eücken seines Schützlings Juda. — Aber
Pekahja, Menafrem's Sohn, ist doch, so meint Begrich, wegen
seiner Neigung zu Assyrien von Pekab gestürzt, dieser also
Gegner der assyrischen Politik, und ebenso fällt Pekalj. wieder
Hosea' zum Opfer, der dann als Vertreter der assyrischen
Partei mit dem Großkönig seinen Frieden schließt (S. 235, 237).
Beides ist schon die Voraussetzung Guthe's und Anderer, und
es begreift sich ja, daß man so die mageren Vermerke im
Rahmen des Königsbuchs auszufüllen sucht. Aber dort steht
von alledem kein Wort, und Königsmorde stellen sich in aus¬
reichender Zahl in jener Zeit ein, auch ohne Gegensätze in
der auswärtigen Politik. — Endlich die beiden verbündeten
Könige und Aljaz. Hätte dessen Weigerung dem Bündnis
gegen Assyrien beizutreten, zu dem Syrisch-Ephraimitischen
Kriege geführt, so müßte vorher das Bündnis jener beiden
und anderer Mächte geschlossen, dann eine diplomatische Ver¬
handlung geführt worden sein, deren Dauer schwerlich ganz
kurz anzuschlagen wäre. Dem widerspricht Jesajas authen¬
tischer Bericht. Sein ältester Wortlaut ist herzustellen (Jes.
7,1-2): „Danach, in den Tagen des Ahaz , ward dem Hause
Davids gemeldet: , Verbrüdert hat sich 1) Aram mit Ephraim'.
Da erbebte sein Herz und das Herz seines Volkes, wie die Bäume
des Waldes vor dem Winde erbeben". Das sieht nicht nach
langen Vorerwägungen und Verhandlungen aus; auch Begrich
sagt (S. 221), die Nachricht scheine überraschend zu kommen.
Und, zum schweren Verrate gegen die Großmacht entschlossen,
sollen die beiden Könige im letzten Augenblick noch einen
Krieg unternommen haben, der ihre eigenen Waffen in jedem
Falle schwächen mußte, nur um ein kleines Land mehr nach
seiner Überwältigung zu einem höchst zweifelhaften Bundes¬
genossen zu gewinnen? Das ist das Unwahrscheinlichste von
der Welt. Auch Rost (S. XXXIII) hält es nicht für wahr¬
scheinlich, daß die beiden Könige auch nur unterlassen hätten,
1) So die wahrscheinlichste Deutung.
ihren Tribut an Assur zu entrichten, um dadurch nicht ein
Einmischen der Assyrer herbeizuführen. Gelang ihnen die
Annexion und die Einsetzung des Vasallenkönigs, so mochte
sich freilich, nachdem die Verhältnisse neu geordnet waren, ein
Machtzuwachs ergeben, der einen Plan zur Abwerfung des
assyrischen Joches aussichtsreicher gestalten konnte; aber dicht
vor dem Ausbruch der Empörung wäre dieser Feldzug ein
geradezu abenteuerliches Unternehmen gewesen.
Ich muß also leider darauf verzichten, das Verhalten Jesajas
durch die Annahme der antiassyrischen Koalition zu rechtfer¬
tigen oder doch leichter verständlich zu machen. Dann bestand
also für Ahaz nicht die Wahl zwischen dem Krieg und einem
diplomatischen Abkommen, sondern es ging in jedem Falle um
Sein oder Nichtsein, und sicher bedeutete die Unterlassung
des Hilfsgesuchs eine weit größere Gefahr, wenn das Eingreifen
Assyriens nicht durch jene Koalition ohnedies gesichert war.
So hatte Jesaja alle Ursache, dafür von Ahaz einen nicht ge¬
wöhnlichen Glauben zu verlangen. Und das um so mehr, da
Jahwe ihm für diesen Fall keineswegs goldene Berge ver¬
spricht. Nichts weiter wird ihm verheißen, als daß, auch
wenn er jenen Schritt unterläßt, die Könige ihre Absicht nicht
erreichen werden, daß Resön vielmehr bloß König von Aram,
Pekah bloß König von Ephraim bleiben wird (Jes. 7, sa,9a).
Ein schwerer Krieg mit großen Verlusten und unsicherem Aus¬
gang steht zweifellos bevor, Belagerung der Hauptstadt ist in
hohem Grade wahrscheinlich, und die Erhaltung der Hafen¬
stadt am Roten Meere ist auch nichts weniger als verbürgt.
So schwere Opfer von dem Könige zu fordern hielt sich
Jesaja für berechtigt, weil nach seiner Überzeugung und Er¬
leuchtung bei dem Verfahren, das Ahaz beabsichtigte und durch¬
führte, noch viel Schwereres zu befürchten war. Nicht nur
einmal, sondern in drei Gottessprüchen, zwischen deren Empfang
und Mitteilung erhebliche Zeitabstände liegen — der erste
bildet den Abschluß der Unterredung mit König Ahaz in Kap. 7
— verkündet Jesaja, daß der ins Land gerufene Assyrer bei
dem Nordreiche und dessen Aneignung nicht stehen bleiben,
sondern, wie ein unabsehbares Insektenheer (7, 18 f.), wie die
unerschöpflichen Fluten des Euphratstromes (8, 7 f.) über Juda
hereinbrechen und es rettungslos überfluten werde, bis in dem
verwüsteten Lande nur spärliche, vereinzelte Reste der Be¬
wohnerschaft übrig bleiben und sich von der Milch des ver¬
wilderten Viehs, dem Honig wilder Bienen und einem Stück
Wildpret nähren werden (7,21 ff.). In dem stark verstümmelten
Schlußabschnit von Kap. 8 zählt er (Vers 23) die Landstriche
auf, die Tiglatpileser 734—732 von Nordisrael schon los¬
gerissen hat, und sagt — dies Stück ist jetzt verloren ge¬
gangen — die Annexion des ganzen Restes der beiden Reiche
durch einen seiner Nachfolger voraus. Auch das entgeht Jesajas
scharfem Auge nicht, daß die beiden feindlichen Nebenbuhler,
„die Bremse an den fernsten Strömen Ägyptens und die Biene
im Lande Assur", sich auf dem Boden Palästinas ihr Stell¬
dichein geben und um die Wette das Zerstörungswerk an dem
unglücklichen Lande vollziehen werden (7,18 f.). Und die voll¬
ständige Niederwerfung der beiden feindlichen Mächte Syrien
und Ephraim verkündet er nicht etwa als ein Glück für Juda,
sondern, in Gestalt des Namens seines neugeborenen Söhnchens
Raubebald-Eilebeute, als die erste Stufe des hereinbrechenden
Unheils (8, 1 — 4). Mit vollem Rechte sieht er in diesen Staaten
die Puffer, die Juda vor dem unmittelbaren Stoß und Druck
der Weltmacht schützen, und darum muß man wünschen, daß
sie möglichst lange in ihrer Selbständigkeit erhalten bleiben.
Es gilt also, den Assyrer um jeden möglichen Preis fern zu
halten ; ihn eigens und mutwillig ins Land zu rufen, wie König
Ahaz es plant und durchsetzt, ist das Falscheste, was man
tun kann, es heißt geradezu Selbstmord begehn. Man wird
nicht leugnen können, daß diese Beurteilung der Sachlage un¬
bedingt richtig ist, und daß sich des Propheten Vorhersage,
so sehr man ihn in den nächsten Jahren als Schwarzseher
und Träumer verspottet haben wird, im Laufe der folgenden
anderthalb Jahrhunderte an Juda, dem Rest des Volkes Israel,
im vollen Umfang bewahrheitet und erfüllt hat.
Um jeden möglichen Preis, sagte ich. Überstieg der Preis,
den Jesaja verlangte, der Verzicht auf die Anrufung Assyriens,
zu der gegebenen Zeit niclit die Grenzen des Möglichen? Diese
136 K. Budde, Jesaja und Ahaz
Frage läßt sich nicht mit Sicherheit verneinen, weil die Dinge
eben anders gelaufen sind, aber aus demselben Grunde auch
nicht mit Sicherheit bejahen. Immerhin läßt sich aus dem,
was wir wissen, doch mancherlei für die Richtigkeit von
Jesajas Urteil anführen. Auch die Gesandtschaft nach Assyrien
konnte dem Kriege nicht sofort Einhalt gebieten; einige Monate
wollte er ausgehalten sein. Was die Chronik (II, 28, 1—6)
von den Verlusten Judas fabelt, 120000 Tote an einem Tage,
200 000 nach Samaria fortgeführte Gefangene, hat seinen Ma߬
stab natürlich an der notorischen Sündigkeit des Königs Ahaz.
Aber daß es den Verbündeten gelungen sei, Jerusalem zu er¬
obern, das behauptet selbst der Chronist nicht, während das
Königsbuch (II, 16, 5), mit Wahrscheinlichkeit wenigstens, be¬
richtet, daß es zur Belagerung der Hauptstadt in der Tat
kam 1). Sie gelang nicht rechtzeitig und würde so, bei der
außerordentlichen Stärke der Lage und Befestigung der Stadt,
den mäßigen Kräften der beiden Fürsten nach allem, was für
den Vergleich zur Verfügung steht, — man denke an Sanherib
und Nebukadrezzar mit ihren unvergleichlich größeren Mitteln
— auch auf die Dauer nicht gelungen sein. Und das ließ
sich mit Wahrscheinlichkeit voraussehen. Nur ein glücklicher
Handstreich konnte den Verbündeten bescheren, was sie (nach
Jes. 7,6) erstrebten; mißlang der, so hätten sie wohl auch
ohne Assur über kurz oder lang ihre Heere zurückziehen
müssen. Da sie das Land zum eigenen Besitz begehrten,
dürften sie wohl aus Eigennutz einigermaßen schonend darin
gehaust haben; wieweit sie Truppen erübrigen konnten, um
neben der Belagerung Jerusalems auch den Süden Judas zu
besetzen, müssen wir dahingestellt sein lassen. Zu alledem
kommt aber noch ein Anderes: ich möchte dafür Wellhatjsen
zum Zeugen anrufen. Er sagt (Geschichte 1904, S. 121) von
Ahaz, daß ^er „sich dem Assvrer in die Arme warf, den viel¬
leicht die Allianz zwischen Aram und Israel so wie so zum
Einschreiten veranlaßt haben würde". In der Tat hat diese
1) Selbst wenn dort, wie wahrscheinlich, die Lesart inN bj> nsrl festzuhalten ist, dürfte nach sonstigem Sprachgebrauch zu verstehen sein, daß er in der Festung belagert wurde.
2 2
Voraussetzung alles für sich. Ein Bündnis zwischen zwei der
ansehnlichsten unter den ihm botmäßigen Staaten Vorderasiens
und ein gemeinsamer Krieg der beiden zum Zwecke der Er¬
weiterung ihres Machtbereichs durch einen dritten konnte deu
Großkönig nicht gleichgültig lassen. Man darf vielleicht noch
mehr sagen. Die drei Jahre Krieg im fernen Osten mußten
die Bande der Unterwerfung im Westlande erheblich gelockert
haben, und so wird Tiglatpileser jeder Vorwand willkommen
gewesen sein, seine unverminderte Macht nun einmal wieder
im syrischen Gebiete zur Geltung zu bringen. Ich treffe darin
völlig mit Begbich zusammen, wenn er es für „durchaus
möglich erklärt, daß die Gesandten den König schon marsch¬
bereit antrafen, vielleicht ihm schon unterwegs begegneten"
(S. 223). Wozu dann noch der Hilferuf und die Unterwerfung?
— Auch die Verheißung Jesajas, daß ohne diese die Macht¬
verhältnisse im Großen die gleichen bleiben, Aram und Ephraim
weiter bestehn würden, hat alles für sich. Hätte König Tig¬
latpileser die Verbündeten vom Norden her zur Ordnung ge¬
rufen, so würden sie gezwungen gewesen sein ihr Unternehmen
aufzugeben und sich dort im Norden zu stellen, und der Gro߬
könig hätte sich dann wohl mit erneuter, vielleicht etwas
schärferer Unterwerfung zufrieden gegeben. Nun ihm durch
Ahaz Gelegenheit und Vorwand geboten war, in ein ganz
neues Gebiet von weiten Aussichten einzurücken und den
Rächer verübten Unrechts zu spielen, lockte die Möglich¬
keit, auf einmal aufzuräumen, unwiderstehlich an. So fand
Syrien - Damaskus schon diesmal, 732 sein Ende; Israel-
Ephraim in verkümmerter Gestalt gewann noch eine Galgen¬
frist von einem Jahrzehnt. Und dann trat der Zustand ein,
den Jesaja vorausgesehen hatte: Juda unter dem unmittel¬
baren Druck der Weltmacht, Palästina der Kampfplatz der
beiden großen Reiche am Doppelstrom und am Nil, das kleine
Königreich Juda, der Rest eines selbständigen Israel, der ohn¬
mächtige Spielball zwischen beiden, bis es rettungslos dem
stärkeren erlag. —
Mein Schluß aus diesem Tatbestand kann nur lauten:
Jesaja der Vertreter einer weitblickenden und tapferen, Aljaz
der einer kurzsichtigen und ängstlichen Politik. Das Recht
scheint mir unbedingt auf der Seite des Ersteren zu liegen.
Man mag nach wie vor auch anders urteilen und auf König
Ahaz' Seite treten können. Daß man aber die Jesajas mit
voller Überzeugung und mit guten Gründen vertreten kann,
das hoffe ich bewiesen zu haben, hoffe auch auf die Anerken¬
nung, daß dabei nicht einseitig biblizistische Anschauungen
mich geleitet haben.
Von K. Budde.
Meine erste Erörterung zur Habakuk-Frage (Theol. Stud,
u. Krit. 1893, S. 383— 393) 2) eröffnete ich mit dem Bekenntnis,
daß ich dem Urteil Cobnill's „Wenig alttestamentliche Schrift¬
stücke lassen Zeit und Umstände ihrer Entstehung so deutlich
erkennen, als Kap. 1 des Buches Habakkuk" nicht zustimmen
könne. Dasselbe Bekenntnis gilt mir heute für den Satz, mit
dem Sellin seine Behandlung der Frage in der 2. Auflage
seines „Zwölfprophetenbuchs" (Leipzig 1930, S. 381) abschließt:
„Damit dürfte nach sehr vielen Kreuz- und Querzügen das
literarische Problem in der Hauptsache definitiv gelöst sein".
Mich hat Sellin jedenfalls nicht überzeugt, vielmehr muß ich
in allem Wesentlichen, nach immer wiederholter Überprüfung,
festhalten an der Lösung, die ich vor 29—37 Jahren dreimal
ausführlich vor der Öffentlichkeit dargelegt habe. Ob Andre
sich Sellin's Einsicht fügen werden, wird abzuwarten sein.
Es sind, seit nun rund 70 Jahren, vor allem zwei Nöte,
die das Buch Habakuk immer wieder zu einem Rätsel gemacht
haben: die richtige Bestimmung des bösen auswärtigen Feindes,
dem Habakuks Klage gilt, und die Bewältigung des erratischen
Blocks, der sich in Gestalt von 1,5—11, den unmittelbaren
Zusammenhang der Klage in 1,2—4 und 12—17 sprengend, her¬
einwälzt. Dies letzte Hindernis, das einem de Goeje, Glese-
bkecht, Wellhausen, mir und Rothstein zu schaffen machte
und von uns allen entfernt, dann aber verschieden untergebracht
wurde, ist für die Gegenwart nicht mehr vorhanden. Zwei
Schulen, wenn man so sagen darf, sehen heute in dem Buche
Habakuk, das aus einer Psalmensammlung angehängte „Gebet"
Kap. 3 eingeschlossen, einen schönen, von dem Propheten voll
1) Vortrag, gehalten auf dem Deutschen Orientalistentag zu Wien.
2) Vgl. die zweite The Expositor, May 1895, p. 372—385, die dritte T. K. Chevne, Encyclopaedia Biblica II, 1901, p. 1921—1928, .Habakkuk«.
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