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Anzeigen.
Richard Lepsius. Nubische Grammatik mit einer Ein¬
leitung über die Völker und Sprachen Afrika's. Berlin,
Wühelm Hertz 1880.
Seit den ersten Anfingen der ägyptologischen Wissenschaft
hat es wohl kaum ein Jahr gegehen, welches fruchtbringender für
sie gewesen wäre als dasjenige, vor dessen Ende wir stehen.
Brugsch's grosses geographisches Lexikon, die Ergänzungsbände,
mit denen derselbe Gelehrte sein hierogl. demotisehes Wörterbuch
(und damit die Zusammenführung des ägyptischen Vocabelschatzes
überhaupt) auf mehrere Jahre zum Ahschluss bringt, sowie Ei-mans
neuägyptische Grammatik, welche lehrt das unter den Königen der
19. und 20. Dynastie geredete Aegyptisch von der alten, klassischen
Sprache zu sondern, sind als Fundamental- und Hauptbücher für
die Kenntniss des in Hieroglyphen geschriebenen Aegyptischen zu
betrachten. Durch E. Revillout's grosse Chrestomathie demotique
werden dem Studium der Volkssprache neue, sichere für Lehrende
und Lernende gleich willkommene Unterlagen geboten, ferner aber
hat uns L. Stem in diesem Jahre (1880) seine koptische Grammatik
geschenkt, die alle früheren Arbeiten auf dem gleichen Gebiete in
den Schatten stellt und die interessante Sprache der christlichen Aegjrpter und ihrer Bibelübersetzung in echt wissenschaftlicher
Weise zur Darstellung bringt. Endlich hat R. Lepsius seine nu¬
bische Grammatik und mit ihr eine Arbeit zum Ahschluss gebracht,
welche ihn während eines ganzen Menschenalters beschäftigt hat.
Die langsam ausgereifte ist denn auch zu einer vortrefflichen
Fmcht geworden, die mit Bedacht genossen sein will und einen Werth
behalten wird, solange man sich mit der Erforschung der afrika¬
nischen Sprachen beschäftigt. Während Lepsius sich 1842—46
als Führer der preussischen Expedition in Aegypten aufhielt, brachte
er die Grandlagen zu seiner nubischen Grammatik zusammen.
Der brave Abu-Nabbut aus Derr, der von den drei nubischen
Dialecten zwei (das Henüz und Mahas) vollkommen beherrschte
(er hat aueh mehrere Monate lang im Dienst des Referenten ge¬
standen), half Lepsius hei seinen ersten Aufzeichnungen; andere
Nubier, die sich der arabischen und lateinischen Schrift zu bedienen
verstanden, hehen ihm ihre Hülfe bei der Umschrift und Ueber¬
setzung des Marcusevangeliums und die ferne Empfindung für
Sprachlaute, welche der Verf. in seinen alphabetischen Arbeiten
mehr als einmal hethätigt .hat, befähigte ihn besonders die ge¬
hörten Worte und Formen, so genau sich dies nur immer thun
lässt, mit unseren Lettern wiederzugeben. In der Heimat schälte
er aus den in Afrika gesammelten Texten und Sätzen die Fonnen
heraus, wies ihnen ihren grammatischen Werth an und ordnete sie
in methodischer und zugleich ungemein praktischer Weise. Er zog
auch die anderen afrikanischen Sprachen, von denen wir Kunde
haben, zu seinen Untersuchungen heran, und so finden wir denn in
dem vorliegenden Werke weit mehr als eine granunatische Be¬
handlung des Nubischen als Sprachindividuum; es enthält dasselbe
vielmehr m der Einleitung, die em Werk für sich genannt werden
darf, eme umfassende Uebersicht über die afrikanischen Völker und
Sprachen, eme gründhche Würdigung der Stelle, die das Nubische
unter den übrigen Sprachen Afrikas einnimmt und einen ersten
Versuch dem nubischen Volke eme Geschichte zu schreiben. Wer
die früheren Arbeiten des Verfassers von der ersten bis zur letzten
verfolgt, der wird vor allen Dingen den weiten Blick bewvmdem
müssen, mit dem er grosse Gebiete als stände er hoch über den¬
selben zu beherrschen weiss, und femer den methodisch ordnenden
Sinn freudig anerkennen, mit dem er spröde und schwer zu be¬
wältigende Massen wissenschaftUchen Stoffes zu sichten und in fein
disponirte Grappen zu zerlegen versteht.
Er war es, der das Chaos der ägyptischen Chronologie lichtete
und die Umrisse zeichnete, in denen sich alle späteren Arbeiten auf
diesem Gebiet, so weit sie auch im Einzelnen von seinen Ansätzen
abweichen mochten, zu halten hatten. An seiner Ordnung des
ungeheuren Inschriftenmaterials, das von der preussischen Expedition
gesammelt worden war, lässt sich auch heute nur wenig ändem,
und selbst das bimte Göttergewimmel des ägyptischen Pantheon
hat er zuerst in methodischer Weise zu grappiren verstanden.
Auch in der nubischen Grammatik konunen die erwähnten grossen
Eigenschaften ihres Verfassers zur voUen Geltung. Wie von emerj
hohen Warte aus überschaut er die wimmelnde Menge der afrika¬
nischen Sprachen ; dann misst er die einzelnen mit dem Massstabe
charakteristischer Eigenthümlichkeiten und weist sie den grossen
FamUien zu, mit denen sie den gleichen Ursprang theUen. Diese
Ordnung wird stehen bleiben, auch wenn das fortschreitende Stndium
der afrikanischen Sprachen einzehien Idiomen neue Stellungen an¬
weisen wird. Mag z. B. die Forschung der Zukunft das Hotten¬
tottische, welches der Verf. der kuschitischen Grappe wahrscheinhch mit Recht zuweist, bei dieser belassen oder es einer anderen Famihe^
Ebers, Richard Lepsius' Nubische Grammatik. 209
zuschreiben, so werden dennoch die Fundamente der Lepsius'schen
Anordnung unerschüttert stehen bleiben.
Die nubische Grammatik besteht aus einem stattlichen, würdig
ausgestatteten Bande, der 33 Bogen stai-k ist und in zwei auch
äusserhch durch die Seitenzahlen gesonderte Theile zerf&llt: 1) Die
Ehdeitung und 2) die eigenthche Grammatik.
Die Einleitung, welche 126 Seiten füllt, dankt dem Wunsche
des Verf., die Stellung des nubischen Volkes und seiner Sprache
zu den anderen Völkem und Sprachen des afrikanischen Continents
zu sichern, ihre Entstehung. Sie beschäftigt sich zuerst mit den
Einzelspracben und ihrer Gmppimng, dann aber mit geschichtlichen
Untersuchungen, auf die wir zurückkommen werden. In der eigent¬
lichen Grammatik folgt der ausserordentlich interessanten Lautlehre
die praktisch angeordnete Formenlehre und ein der Syntax gewid¬
meter Abschnitt. Nubische Texte, denen Vocabularien beigegeben
sind, leisten dem Lemenden gute Dienste. Eine Abhandlung über
die nubischen Dialekte , in der L. Reinischs ,Nuba-Sprache" einer
besonderen Würdigung unterzogen wird, bescbliesst das Werk.
Die in der Einleitung gegebene Gmppimng der afrikanischen
Sprachen überrascht durch ihre grosse Einfachheit und lässt sich
doch mit den ihr scheinbar widersprechenden Ansichten der Ethno¬
graphen vereinigen, wenn diese des Verf. schwer zu widerlegende
Behauptung nicht zurückweisen, dass sich die Völker und Sprachen
nach ihrer Abstammung und Zusammengehörigkeit keineswegs decken.
,Die Verbreitung imd Vermischung der Völker," sagt Lepsius,
,geht ihren Weg, und die der Sprachen, wenn auch stets durch
diesen bedingt, den ihrigen oft gänzlich verschiedenen. Die Sprachen sind das individuelle Erzeugniss der Völker und ihr unmittelbarer
geistiger Abdruck, aber sie lösen sich häufig ab von ihren Er¬
zeugern, überziehen grosse fremde Völker und Rassen, oder sterben
ab, während die früheren Träger, ganz andere Sprachen sprechend,
fortleben : kurz sie führen ein mehr oder weniger unabhängiges
Leben, welches daher auch ebenso unabhängig von dem ethnologischen Substrat, dem es anhaftet, erforscht werden kann oder muss."
Von diesem Rechte macht der Verf. Gebrauch. Es handelt
sich für ihn auch nicht um ethnographische, sondern um linguistische
Gmppirungen, und die Gründe, mit denen er seine näher zusammen¬
fassende That annehmbar, ja ich möchte glauben, im Ganzen fest zu
sichern weiss, sind sprachlicher Natur. Er nennt die drei oder vier
Urstamme, welche man (abgesehen natürlich von den Einwandrern
im Norden und Nordosten) als Urvölker Afrikas anzusehen pflegt, aber
er glaubt diese aUe auf einen einzigen Rassentypus zurückführen zu
dürfen, der als ursprünglich gleichartige Bevölkerang den afrika¬
nischen Kontinent im Anfang inne hatte. Dieses Urvolk wurde
durch den mächtigen Ansturm zweier sich von Osten nach Westen
wälzenden Völkerwanderungen getrofi'en, gedrängt, in Bewegung
gesetzt, durcheinandergerüttelt, zersprengt und im feindlichen und
Bd. XXXV. 14
1 S
friedlichen Verkehr mit den ihm geistig üherlegenen Eindringlingen
mehr oder weniger heeinflusst. An denjenigen Stellen, bei welchen
sich Afrika und Asien am nächsten berühren, dem Isthmus von
Su6s und der Strasse Bäb el-Mandeb müssen die hamitischen Ein¬
wandrer den westhchen Kontinent betreten haben. Ueber die Land¬
enge kamen die späteren ägyptischen und libyschen Hamiten
über die schmale südliche Pforte des rotheuMeeres die »Kuschiten-"' der afrikanische Urstamm aber fiel zurückweichend in kleine Gruppen
auseinander und seine gemeinsame Sprache zerhröckelte in so viele
Einzelidiome als sich beim Auseinanderfallen des zersprengten
Körpers Theile ergaben. Wie bei allen ilhtteraten Völkem so
waren auch bei diesen die Sprachen schnellen und starken Wand¬
lungen unterworfen, und im Laufe der Jahrtausende gelangten sie
zu einer so durchgreifenden Umgestaltung, dass tüchtige Forscher
ihnen die gemeinsame Wurzel absprechen konnten. Aus diesem
Sprachgewirr lässt sich als zusammengehörig nur eine grosse Gmppe,
die der Bantusprachen, herausheben. Es gehören zu ihr als die
bekanntesten im Westen: das Herero, PoAgue (Mpongue) und
Femando Po; im Osten: das Käfir, TSwana und Swähih. Die
zweite Grappe oder Zone der Mischnegersprachen, zu denen auch
das Nubische gehört, werden wir später zu erwähnen haben. Der
Verf. tritt für die urspiiingliche Einheit seiner ersten mit seiner
zweiten Zone energisch in die Schranken. Bei der Beweisführung,
welche er untemimmt , sieht er ganz von der Oberfläche ab ; er
greift vielmehr mit der ihm eigenen Kraft in die Tiefe imd führt
Gründe in's Feld, die schwer anfechtbar erscheinen, so bald man
sich überzeugt hat, mit wie wohl begründetem Rechte er behauptet,
dass bei diesen Sprachen der stoffliche Theil sehr wenig in Be¬
tracht kommt, und dass es geradezu charakteristisch für die afri¬
kanischen Sprachen ist, dass sich der Wortschatz und die gram¬
matischen Sprachtbeile derselben mit ausserordentlicher Leichtigkeit
lauthch verändem, gänzhch umformen und gegen andere vertauschen,
sobald die Stämme, die sie sprechen, sich gegenseitig äusserhch
isoliren und in veränderte Verhältnisse irgend einer Art treten.
Lepsius steht dabei auf der festen Unterlage seiner Kenntniss der
hamitischen Sprachen und stellt diese den afrikanischen Neger¬
sprachen gegenüber. Seine vergleichende Arbeit ergibt nun das
Resultat, dass die Ersteren in den wichtigsten Stücken im geraden
Gegensatz zu den Letzteren stehen und allen einheimischen afri¬
kanischen Idiomen gewisse fundamentale Eigenthümlichkeiten an¬
gehören, die sich nur erklären lassen, wenn man sich entscbliesst,
sie auf eine gemeinsame Wurzel zurückzuführen. — Auch den am
femsten auseinanderliegenden nichthamitischen afrikanischen Sprachen
sind die höchst merkwürdigen Classenpräfixe eigen, von denen die
hamitischen Suffixsprachen nichts wissen. Sämmtliche einheimisch
afrikanischen Sprachen sind nicht bis zur Unterscheidung der
grammatischen Geschlechter gelangt, während die hamitischen
1 9
Ebers, Richard Lepsius' Nubische Gramnuüik. 211
Sprachen schweres Gewicht auf die vollste Durchbildung der gram¬
matischen Geschlechter legen. Wie charakteristisch diese Unter¬
scheidung der Geschlechter ist braucht nach den Untersuchungen
J. Grimm's, Bleeks u. A. an dieser Stelle nicht besonders hervor¬
gehoben zu werden. Beim Verbum werden die Personalpronomina
in den Bantusprachen präfigirt; Personal-Suffixe, die allen hami¬
tischen Sprachen eigen sind, kommen nicht vor. Die eigenthümliche
Concordanz oder Allitteration, welche S. XXVII, 5 besprochen wird,
gehört am entschiedensten den Bantusprachen an. Die Präfixe des
Nomen werden bei seinem Adjectivum und Verbum wiederholt z.
B. im Käfir:
a-Äa-ntu Ä-etu a-&o-hle Äa-qa-bonakala si-Äa-tauda
Leute unsere schönen erscheinen wir sie heben
Von dieser Allitteration oder Concordanz finden sich nun auch
Proben in den Mischsprachen der zweiten Zone; z. B. beim Nomen
im Pul (Füla, Felläta), in der Conjugation beim Maba (Wadäi),
Kongära (Där-Für) und Umäle (Tamale). Die hamitischen Sprachen
kennen sie nicht. Von den anderen Zusammengehörigkeits- und
Unterscheidrmgsmerkmalen, welche Lepsius anführt, wollen wir nur
noch eins und zwar das zwölfte erwähnen: Die Intonation. Diese
besteht in einer dreifachen Modulation der Stimme, je nachdem
diese entweder ihre gewöhnliche mittlere Höhe behält oder 4—5
ganze Töne höher oder tiefer gestellt wird. Mit Hülfe dieser Ver¬
änderung der Stimmlage wird völlig gleichlautenden Worten ein ver¬
schiedener Sinn zuertheilt. So heisst im Soto: i 1 e gesagt und ile gegangen,
im Ibo: ki trennen und k,fe binden etc. Gewiss hat der Verfasser
Recht, wenn er diese Intonation für ein ursprünghches Gemeingut
der aMkanischen Negersprachen hält, und es lässt sich etwas Aehn¬
liches in keiner hamitischen und überhaupt in keiner anderen
Sprache ausser im Chinesischen nachweisen. Wenn man die zahl¬
reichen Homonyme in der Sprache der alten Aegypter betrachtet,
so möchte man auf den Gedanken kommen, dass auch sie den
verschiedenen Sinn gleich geschriebener Lautgruppen durch Into¬
nation anzudeuten vermocht hätten; aber wir dürfen nicht vergessen
wie mangelhaft die hieroglyphischen Texte vocalisirt sind, und dass
wir nichts über die Accentmrung des Aegyptischen wissen. Das
Koptische beweist für sich zur Genüge, dass denen, die es geredet
haben, die den urafrikanischen Sprachen eigene Intonation völlig
unbekannt war. Sie findet sich auch nicht in den ihm verwandten
hbyschen Idiomen, und der von Lepsius unter dem Namen der
kuschitischen Sprachen zusammengeführten Gmppe. Gegen die
ursprüngliche Einheit der zweiten Familie, welche nüt dem Namen
der Mischnegersprachen bezeichnet wird, unter sich und mit den
Bantu-Negersprachen erheben sich auf den ersten Blick die schwersten
Bedenken, aber Lepsius weiss diese zu zerstreuen imd zwar nicht
nur mit Hülfe der oben angeführten fundamentalen Merkmale.
Wir lernen von ihm, wie die Völker, in deren Munde diese Idiome
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sich bildeten, durch schärfere Isolirung von dem gemeinsamen Ur¬
stamm und stärkere oder schwächere Berührung und Miscbung
mit den Einwandrern aus Osten zu ihrer Eigenart gelangt sind.
Das Nuba gehört zu ihnen und mit ihm in der östl. Gruppe das
Diiika, äiUuk, Bongo, Bari, Oigob und Barea. Von denjenigen
Idiomen, welche Lepsius zu der mittleren Abtheilung der Misch-
negersprachen rechnet, erwähne ich nur um des besonderen Interesses
willen, das gerade diese Sprachen wegen der ethnographischen
Stellung der Völker, die sie reden, in Anspruch nehmen: das Pul
(Püla, Pelläta), das Kanuri (Bomu), Teda (Tib-bo), Bagrima (Bagirmi),
Mäha (Wadai) u. Kongära (Där-Pür). — Ein einheimisch afrika¬
nisches Völker- und Sprachgewimmel erfüllt also den grössten Theil
des Kontinents, und wo wir in seinen Grenzen Stämme von anderer
Herkunft und anderer Zunge finden, da haben wir es mit Hamiten
und spät eingewanderten Semiten oder solchen Pamilien zu thun,
welche sich den asiatischen Eindringhngen assimilieren mussten.
Die ägyptischen imd libyschen Zweige der hamitischen
Sprachen gehören sicher und gewiss an den Stamm, zu dem Lepsius
sie rechnet; auch die Zusammengehörigkeit der von ihm „Kuschitische
Sprachen" genannten Grappe ist unanfechtbar; nur der kühne Griff
des Verfassers das Hottentottische für einen Seitenast vom kuschi¬
tischen Zweige des hamitischen Stammes zu erklären hat Wider¬
sprach wach gerafen und wird solchen erregen. Fr. Müller spricht
den Hottentotten mit Recht jede körperliche Verwandtschaft mit
den Hamiten ab und stellt ihre Sprache mit der der Papüa zu¬
sammen. So gem wir uns der ersten Behauptung ansehliessen, so
wenig will uns die zweite Annahme be'hagen; Lepsius" auch hier
in die Tiefe greifende BeweisPibrang macht uns dagegen geneigt
ihm beizustimmen. Während Müller nur die lexicalische Form der
Sprache in's Auge fasst, zeigt der Verfasser, dass die Hottentotten
im Gegensatz zu den anderen urafrikanischen Völkem und in Ueber¬
einstimmung mit den Hamiten grammatische Geschlechter unter¬
scheiden und dass ihre ,in Atome aufgelöste Sprache" nicht für
eine uralte, unverändert stehen gebliebene, sondem für eine zer¬
störte, herabgekommene und auf die unumgänglichste Verständlich¬
keit reducirte Sprache gehalten werden muss. Er ist auch (ebenso
wie Müller) weit entfernt den leiblichen Typus der heutigen Hotten¬
totten für hamitisch zu halten und erkennt in ihm vielmehr wesentlich
denselben Negertypus wieder wie den der Bantuvölker. In an¬
sprechender Weise erklärt er die Umgestaltung der körperlichen
Beschaffenheit des kuschitischen Stammes der Hottentotten. Mit
seinen Blutsgenossen soll er aus Asien gekommen sein, mit ihnen
die autochthonen Negerstämme zurückgedrängt und den Osten
Afrikas besiedelt haben. ,Mit den Jahrtausenden," sagt Lepsius,
»erschöpfte sich der nördliche Andrang: Die Neger, auf das unge¬
heuere Hinterland von Mittel- und Westafrika gestützt, drangen
wieder vor, durchbrachen den kuschitischen Strom südlich vom
Ehers, Richard Lepsius' Nubische Grammatik. 213
Aequator, wo jetzt die Swahili die Küste bewohnen, und drängten
die von ihren Stammgenossen abgeschnittenen Kuschiten nach Süden.
Die ununterbrochene und immer zunehmende Vermischung mit den
an Zahl mächtig überlegenen Negern musste nothwendig den phy¬
sischen Typus der Minderzähligen aufheben und mit der Zeit im
Negertypus völhg untergehen lassen. Nur die hellere, zuweilen
sogar röthlich geschilderte Hautfarbe, sticht auch von den südlichen
Bäntuvölkem noch zu sehr ab, um nicht Nachwirkungen der fremden
Mischung zu verrathen. Die Sprache aber, m ihrer ursprünghchen
remen Ueberlegenheit hielt ihren wesentlichen Charakter fest, trotz
der unvermeidlichen Verarmung und Verstümmelung, die auch sie
durch den Einfluss der sie umringenden Negersprachen erleiden
musste, ganz abgesehen von der lexicahschen Umformung, deren
Bedeutungslosigkeit in Bezug auf die Verwandtschaft wir bei den
afrikanischen Sprachen schon hinreichend kennen gelemt haben,
imd die bei so entfernter örtlicher Isolirang und mehrtausend¬
jähriger Trennimg ganz unausbleiblich eintreten musste."
Mit der Anknüpfung des Hottentottischen an das Kuschitische
hat jede Gmppe der afrikanischen Sprachen ihren Platz gefunden
und es liegt uns jetzt nur noch zu zeigen ob, was der Verfasser
unter den »Kuschiten" versteht. Der diesem räthselhaften Volke
gewidmete Abschnitt gehört zu den glänzendsten Leistungen des
Verfassers. Einzelne der von ihm vorgetragenen historischen und
ethnographischen Vermuthungen waren schon von Anderen aus¬
gesprochen worden, er aber fasst auch hier das gesammte vor¬
handene Material zusammen, sichtet, ordnet, bereichert es, und ver¬
leiht dem vagen BegriflF eines kuschitischen Volkes mit fester Hand
Form und Inhalt.
Das durch die bibhschen Bücher bekannte Land und Volk
von Ku§ kommt noch nicht auf den frühesten Denkmälem des
alten Reiches vor. Unter den Stämmen des Südens scheinen damals
die Uaua-Neger die hervorragendste Rolle gespielt zu haben, aber
in der immerhin frühen Zeit der XII. Dynastie stossen die Aegypter
mit den Kuschiten zusammen, welche auf den Monumenten Ku§,
Kas, Kis genannt werden. Nicht zugleich mit den Hamiten des
nördhch vom Wendekreise gelegenen Nilthals, sondem später als
diese und auf einem anderen Wege scheinen sie den afrikanischen
Kontihent betreten zu haben. Ueber Arabien, das rothe Meer und
die Strasse Bab el-Mandeb zog ein Theil dieses rothhäutigen Volkes
in Afrika ein, besiedelte ganz Habesch und gründete Niederlassungen
an der Küste des erythräischen Meeres , im Süden bis über das
heutige Somaliland hinaus. Auch nach Westen hin drangen die
Kuschiten vor und setzten sich am Nil in der Gegend des Berges
Barkal fest, an dessen Fuss sie ihre Hauptstadt Meroe erbauten.
Im südlichen Arabien war ein grosser Theil von ihnen sitzen ge¬
blieben. Jahrhunderte lang gehört ihnen die Hegemonie über die
im Süden Aegyptens wohnenden Völker, welche unter dem Namen
1 9 *
der Kii§ oder Kusiten zusammengefasst werden. In zahlreichen
Kriegen unteriiegen sie nach der Vertreihung der Hyksos der Macht
der Pharaonen und müssen es sich gefaUen lassen ägyptische Statt¬
halter in der Residenz ihres Landes einziehen zu sehen. Die
ägyptischen Thronfolger nennen sich „Prinzen von Kus" und die
Denkmäler zeigen uns rothe, braune und schwarze Kuschiten, die
ihre Tribute nach Aegypten bringen. Und in wie auffälliger Weise
unterscheiden sich diese Tribute von den ärmlichen Naturprodukten,
welche die schwarzen Söhne Afrikas ihren Ueberwindem darzubieten
vermochten! Kusch's Abgesandte bringen Erzeugnisse einer hohen
und eigenartigen Kultur. Sie sind kostbar gekleidet, tragen zierhch
gearbeiteten Schmuck und bringen Ruhebetten und andere Möbel
von feinster Arbeit und Werke der Goldschmiedekunst, die den¬
jenigen in kemer Hinsicht nachstehen, welche zur selben Zeit die
syrischen rmd phönizischen Völkerschaften für den Schatz des
Pharao senden. Unter welchem urafrikanischen Volke wäre solche
hohe und eigenartige Kultur zur Ausbildung gekommen, wie unter
diesen roth- und braunhäutigen Menschen?
An der Küste des rothen Meeres wurden die Kuschiten
das erste Schiffer- und Handelsvolk der ältesten Welt. „Sie be-
heiTSchten" sagt Lepsius, „mit ihren Schiffen die Küsten des ganzen
ei-ythräischen Meeres, bis an den persischen Meerbusen, und wohl
auch die indische Küste bis nach Ceilon hinab, uud vermittelten,
durch ihren Handel und ihre zahlreichen Niederlassungen in den
verschiedensten, für ihre Zwecke wohlgelegenen Ländern nicht nur
die Producte der Südwelt mit dem Norden, sondem auch die Bildungs¬
elemente an Technik, Kunst vmd Wissen, die sie in den von ihnen
besuchten Ländern kennen lemten. Sie waren mit einem Worte
die Phönizier jener ersten Zeiten; und mehr noch, sie waren die
Vorväter selbst der uns bekannten Phönizier, welche
den ererbten Bemf später nm- fortsetzten."
Ein überraschendes Schlagwort, dem eine überzeugende Be¬
gründung folgt. Der erste Satz in dieser letzteren ist völlig neu.
Es wird in ihm behauptet, dass die Aegypter für die in der Völker¬
tafel der Genesis unter dem gemeinsamen Namen Kus zusammen¬
gefassten Völker zwei Gesammtnamen gekannt hätten: Kis (Kus)
für die näher gelegenen Völker am oberen Nil und bis zum Meere
und Puna für die südlichen Völker an beiden Seiten des Meer¬
busens, welche an der afrikanischen mit Negerstämmen, an der
asiatischen mit semitischen Stämmen untermischt waren. Der zweite
Satz, dass die Puna die lateinischen Poeni und Punici imd die
griechischen (Poivixsg wären, ist schon früher (zuletzt von Maspero)
vermuthungsweise ausgesprochen worden. Ihre Begründung aus
ägyptischen Quellen enthält für uns wenig Neues, aher, — und
das ist vielleicht das kräftigste Argument für ihre Richtigkeit, —
sie erklären eine ganze Reihe von bis dahin schwer begi-eiflicben
durch die Denkmäler bestätigten Thatsachen und Erscheinungen.
19«
Ebers, Richard Lepsius' Nubische GrammcUik. 215
Wer die Abbildungen der Puna in Dümichen's Flotte einer ägyp¬
tischen Königin gesehen oder zu Der el-Bahri selbst studirt hat,
der wird sich nun nicht mehr über die Aehnlichkeit derselben mit
den Hyksosstatuen wundem, wer sich nicht entschliessen konnte
Mariette zu folgen, wenn er eine ganze Reihe der auf den Listen
von Kamak mit Namen genannten und zur Zeit Thutmes III. den
Aegyptem unterworfenen Südvölker in die feme Gegend der Somah-
küste verlegt, der darf ihm jetzt getrost beistimmen. Ja wem „das
Land der Götter" jenseits des rothen Meeres und die verschiedenen
Himmelsgegenden, in welche die Monumente die Puna verweisen.
Bedenken erregten, der wird sich nunmehr gem von ihnen lossagen. —
Lepsius Puna sind die 'Egv&Qatoi, die Rothen, von denen das
erythräische Meer seinen Namen erhielt. Die schon überall umher¬
schweifenden Jonier fassten ihren Namen auf, versahen ihn mit ihrer
alten Endung t| und so entstand 0otvtJ und <l>oivixeg.
In den Hyksos, über deren Herkunft so viel gestritten worden
ist, würde man nach Lepsius diese kuschitischen Puna oder Phönizier
wieder zu erkennen haben. Die nördlichen Zweige desselben Stammes
im eigentlichen „Phönizien" und auf den Inseln des Mittelmeeres
nennen die ägyptischen Denkmäler, wie aus dem bihnguen Dekret
von Tanis mit Sicherheit hervorgeht, Kaft, und auf diesen Namen,
aus dem der der Kscprjveg leicht geworden sein kann, stützt Lepsius
Vermuthungen, denen wir früher selbst in ähnlicher Weise, aber
ohne so weit wie er zu gehen, Ausdruck gegeben haben. Völlig
neu ist des Verf. Annahme einer Rückwanderang der Kuschiten
nach Norden, welche etwa in die zweite Hälfte des dritten Jahr¬
tausends V. Chr., der Zeit ihrer höchsten Kraft und Entwickelungs-
blüte, gesetzt werden müsste. Sie hat viel Gewinnendes, und
manche bisher unerklärte Mythe und historische Nachricht erklärte
sich, wenn die kuschitischen Herren des erythräischen Meeres in der
That Babylonien colonisirt, regenerirt und mit ägyptischer Bildung
befruchtet haben sollten. Wer will es leugnen, dass die ältesten
Zeiten nur von einer Volksbildung, einer Schrift und Literatur¬
entwickelung , der ägyptischen, Kunde geben und wer vermöchte
Lepsius eines Besseren zu belehren, wenn er sagt: „Wir kennen
nur ein (mit den Aegyptem) gleichalteriges Volk, welches von
dieser (der ägyptischen) Bildung Kenntniss nehmen, sich ihre Frächte
aneignen und sie zu andem Völkem übertragen konnte, das kuschi¬
tische Volk, die Herren des erythräischen Meeres in seinen weitesten
Grenzen." Besser als durch des Verfassers Annahme ist sicher
von keinem seiner Vorgänger die Berosus'sche Erzählung von dem
Fischmenschen Oannes und seinen Nachfolgern, die dem ei-ythräigchen
Meere, da wo es an Babylonien grenzt, entstiegen waren, um die
verschiedenen Völker, welche Chaldäa bewohnten, in alle Gaben
der Kultur einzuweihen, erklärt worden. Jedermann kennt die be¬
rähmte Stelle aus der Geschichte des Bel-Priesters und '^ch brauche
nicht näher auf sie einzugehen, wohl aber möchte ich an dieser
SteUe noeh Folgendes hervorheben: Die babylonische Kultur wird niemand für alter zu erklären wagen als die ägyptische, die Aegypter
waren ein jedem Schweifen in die Feme feindliches, maritimen
Untemehmungen abgeneigtes Ackerbauvolk, dessen Seeschiffe noch
in verhältnissmässig später Zeit von nichtägyptischen Matrosen
bedient wurden, und sie können dämm nicht selbst als Colonien aus¬
sendende Schifffahrer und als Civilisatoren der ihnen verhassten Fremd¬
länder angesehen werden. Die Kuschiten, wie Lepsius sie darsteUt,
vereinigten in sich die Lust an nautischen Untemehmungen und die
Kenntniss der Errungenschaften des ägyptischen Kulturlebens. Diese
zu verbreiten fiel ihnen als Aufgabe zu, und wenn wir uns ver¬
gegenwärtigen, wie viel Aegyptisches sich in der babylonischen
Kultur wiederfindet'), so liegt es nahe genug den Kuschiten die
Verpflanzung des ersteren zuzuschreiben.
Die Geschichte der Nubier wird so eingehend behandelt als
es die spärhchen vorhandenen . QueUen gestatten. Welche neuen
Aufschlüsse Uessen sich erwarten, wenn es gehngen wollte, die
sogenannten Aethiopisehen Inschriften (zwischen PhUae und dem
Barkal), welche bis jetzt unentziffert geblieben smd, zu verstehen!
Sollte ihnen ein der Nuba- und nicht ein der Begasprache ähnliches
Idiom zu Grande liegen, so würde die Wichtigkeit der Lepsius'schen
Grammatik eine erhebliche Steigerang erfahren. Die Nubier wohnen
am nördUchsten von aUen eine urafrikanische Sprache redenden
Völkem. Da sie in Jahrtausende alter Verbindung mit den Hamiten
gelebt haben, so ist es natürhch, dass sie von ihren ihnen in jeder
Hinsicht überlegenen Nachbam stark und vielfältig beeinflusst worden
sind. Ihre körperliche Beschaffenheit kommt heute der der Hamiten
sehr nahe und ihre Sprache hat sich in manchen Punkten dem
Hamitischen assimiliren müssen, aber die dunklere Hautfarbe ihrer
Ahnen ist ihnen gebheben, das Wollhaar vielen von ihnen eigen
und von der Scheidung der grammatischen Geschlechter weiss ihre
Sprache nichts. Dieser Mangel liefert den deutlichsten Beweis für
ihre Urverwandtschaft mit den Bantustämmen. Auch die Infigirung,
die im Nubischen vorkommt, scheint noch ein Rest der alten Neger¬
sprache zu sein. Dazu treten andere sprachliche und sachliche
Gründe, welche die Anreihung des Nuba an die urafrikanischen
Sprachen und der Nubier an die Negerstämme rechtfertigen. Be¬
sonders schwer fällt in's Gewicht, dass ein Theil des nubischen
Volkes mit der Nuba oder doch einer ihr nah verwandten Sprache
in den Bergen südhch von Kordofan, und zum Theil in Kordofan
1) „Dio der Keilschrift zu Grunde liegende Bilderschrift ist unverkennhar nur eine Ahart der Hieroglyphensehrift, ihre Astronomie nur oino Weiterhildung der- ägyptischen,' ihr Grundmass, die königliche oder Bauelle von Om, 525 vollkommen identisch mit der ägyptischen, die wir bis in das i. Jahrtausend V. Chr. auf den Wänden aufgezeichnet finden, ihre Architectur, die Tempel so¬
wohl wie die Pyramiden und Obelisken eine unvollkommenere und abgeleitete Nachbildung der aegyptischen, und ebenso die iibrigen Künste." P. CVH.
Ehers, Richard Lepsius' Nubische Grammatik. 217
selbst wohnt und denselben Namen führt, obgleieb er seinen Neger¬
typus' völlig beibehalten hat. ,Wir haben", sagt Lepsius, „hier
also die merkwürdige Erscheinung vor uns, dass ein und dasselbe
Volk noch jetzt zu einem Theile der ausgesprochenen Negerrasse
angehört und mitten unter gleichartigen Negervölkem wohnt, zum
anderen Theile diesen Typus gänzlich abgeworfen hat, und sich
kaum von den hamitischen und semitischen Völkem unterscheidet,
von denen es hier umgeben ist. Um so weniger aber wird man
daran denken können, dem nubischen Volke seinen innerafrikanischen Typus abzusprechen."
Unter den drei Dialekten des Nuba ') ist es das Mahas, welches
Lepsius seiner Grammatik zu Grande legt. Er ward hierzu theils
durch die Herkunft seiner Gewährsmänner, theils durch den Um¬
stand veranlasst, dass sich dieser Zweig des Nuba besonders rein
von arabischen Einflüssen gehalten hat. Mit Recht nennt er die
von ihm behandelte eine wohlklingende Sprache. Sie eignet sich
auch zu Dichtungen in gebundener Rede, von denen wir als Probe
die erste Strophe von Siber's Kriegszug (im Mahas-Dialekt), mit¬
theilen :
Murti tangä gü degöson,
Kö Siber dugdig tögöson;
Ko Sellmeg wison töd-lin,
Dakran goskä degon töd-lin ^)
Die Art und Weise, in der der Verf. diese wohllautende
Sprache behandelt, ist eine im besten Sinne wissenschaftliche.
Seine Grammatik steht hoch über den immerhin anerkennenswertben
Arbeiten der Missionäre imd Reisenden, welche uns mit dem Bau
und dem Wortscliatze anderer litteraturloser Sprachen vertraut zu
machen versucht haben ; ja es lässt sich behaupten , dass kein
ähnliches Werk mit so peinlicher Vorsicht, so feinem kritischen
und grammatischen Sinne und so gut geschultem Gehör zu Ende
geführt worden ist wie dieses. Die Lautlehre wird jeden Preund
linguistischer Studien interessiren, die Pormenlehre bietet viel
Eigenthümliches, unt r dem wir nur die enklitischen Verben er¬
wähnen. Ueber die sehr einfache Syntax wird das Nothwendige
zusammengestellt. Die vortreffliche Anordnung des Stoff's erleichtert
den Gebrauch dieser Grammatik, mit deren Hülfe sich jeder einiger¬
massen Geübte leicht ein Bild des Baus der Nubasprache zu bilden
vermag, ganz ausserordentlich. Besonders dankenswerthe Beigaben
sind die die Grammatik begleitenden nubisch-deutschen und deutsch-
1) Dem Reinisch'schen Versnch neben das Mahas noch einen besonderen Fadidscha-Dialelit zu stellen, hat sich Lepsius S. 456 nicht anzuschliessen vermocht.
2) Er ging und sattelte sein Ross, Der Löwe Siber den Feind schlug.
Er ist des Löwen, der SelTmok brandschatzte, Sohn;
Dessen, der das Kriegspauken-Paar auflud, Sohn.
T^ubischen Wörterbücher und die mit äusserster Sorgfalt das Ge¬
hörte wiedergebenden Texte, unter denen ausser dem Evangelium
Marci und dem „Vater Unser" sich auch, wie gesagt, einige poetische
Stücke befinden. Den Anhang über die nubischen Dialekte knüpft
der Verf. an das während des Drucks seiner Arbeit erschienene
verdienstvolle Werk Leo Reinischs „die Nuba-Sprache" , welches,
wie Lepsius mit Recht hervorhebt, sich durch eine reiche Sammlung
von gut ausgewählten Texten aller drei Dialekte auszeichnet. Die
Kritik, die der Verf. der „Nuba-Sprache" widmet, beweist, dass die
Feinheit der Lepsius'schen Laut- und Quantitätsempfindung Remisch
nicht in gleichem Masse zukommt, dass aber auch dessen Arbeit
als eine tüchtige und förderliche Leistung mit Dank aufgenommen
und benutzt werden soll.
Durch den Fleiss unserer Berliner und Wiener Collegen ist
das bis dahin völlig vernachlässigte Nuba zu der Ehre gelangt,
besser und gründlicher behandelt worden zu sein als irgend eine
andere litteraturlose Sprache vor ihm. Gegenüber dem Lepsius'schen
Buche fÄllt es uns schwer zu sagen, ob wir der Einleitung oder
der eigentlichen Grammatik den Vorzug geben sollen. Beide sind
Werke von hoher Wichtigkeit, aber während die bescheidene Einzel¬
sprache eines afrikanischen Stammes auch von anderen fieissigen
imd sorgfältigen Gelehrten behandelt werden kann, möchte kaum
einem zweiten lebenden Forscher die Fähigkeit zugesprochen werden
dürfen die gewaltigen linguistischen und historischen Stoffmassen, welche in der Einleitung methodisch geordnet und kritisch beleuchtet
werden, in gleich grossartiger und doch vorsichtiger Weise zu einem
fein gegliederten Gebäude zu vereinigen, wie dies durch den Ver¬
fasser geschehen ist.
Georg Ehers.
Der neu-aramäische Dialekt des Tur 'Abdin vrni Eugen
Prym und Albert Socin. K't Unterstützun^g der
Königl. Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen.
1. TeiL Die Texte (XXX und 257 S.). Göttingen 1881. —
2. Teil. Uebersetzung (tit. alt.: Syr. Sagen und Märchen
aus dem Volksmunde gesammelt und übersetzt). (V und
420 S.) ib. eod. — Octav.
In diesem Werke erhalten wir endlich die erste Frucht von
Pi-ym's und Socin's gemeinsamer wissenschaftlicher Thätigkeit im
Orient. Der erste Theil bietet uns eine grosse Anzahl von Texten
im heutigen syrischen Dialect des Tür-'Abdin, einer Gebirgsgegend
im nordöstlichen Mesopotamien; diese Texte haben sie in Damascus
aus dem Munde eines Mannes von Midhjat, dem Hauptorte des
Tür, aufgezeichnet. Der zweite Theil enthält eine deutsche üeber-
Nöldeke, Prym u. Socin's Der Dialekt des Tür 'Abdin. 219
Setzung mit Anmerkungen. Es sind fast alles Erzählungen, ernste
und heitre. Wir finden da eine hunte Gesellschaft: kurdische
Räuberfürsten und menschenfressende Dämonen, Hätim Tai und
Rustem, einen Polyphem und ein Paar wie Hero und Leander, Ge¬
schichten vom schlauen Fuchs imd vom liederlichen Floh ; die alten
Heroen leben da wie heutige Kurden, trinken Kaffee, rauchen ihre
Pfeife und berauschen sich in Brantwein. Ein wahres Interesse
bekommen diese Erzählungen erst dadurch, dass sie mit denen
andrer morgen- und abendländischer Völker in engem Zusammen¬
hang stehn. Darüber giebt uns Prym schon hier (in der Ein¬
leitung wie in den Anmerkungen) sehr dankenswerthe Nach¬
weisungen; den Specialforschern auf diesem Gebiet wird dabei
freilich immer noch viel Stoflf übrig bleiben.
Die Geschichten sind im Einzelnen oft hübsch, immer lebendig
vorgetragen, wie denn Dschäno — so hiess der Erzähler — ein in
seiner Art recht aufgeweckter Mensch war*). Im Ganzen machen
sie freihch keinen erfreulichen Eindruck. Ich rede nicht davon,
dass kaum eine längere Erzählung von Anfang bis zu Ende in
befriedigender Weise verläuft, sondern von der Gesinnung, welche
sich hier ausspricht. Zunächst zeigt sich eine grosse Roheit.
Es herrscht z. B. eine wahre Lust am Todschlagen; beständig
kommen unmotivierte und für den Gang der Erzählung unnöthige
Ermordungen vor. Dazu leistet der Erzähler Unglaubliches in
Obscönitäten. Noch weit schlimmer ist „die an so manchen Stellen
hervortretende Treulosigkeit, Charakterlosigkeit, die Verleugnung
derjenigen moralischen Fähigkeiten, ohne welche wir uns ein Zu¬
sammenleben von Menschen überhaupt nicht denken können" (Prym
I, XXV). Die meisten Hauptpersonen sind als Kurden gedacht. Es
wäre wichtig, festzustellen, ob die Helden in den Sagen und Liedern
der Kurden des Tür sittlich ganz so tief stehn wie in den Ge¬
schichten dieser Christen. Sehr vieles wird hier natürlich durch
die traurigen politischen Verhältnisse, die, dort wohl uralte, Rechts¬
unsicherheit erklärt, welche sich auch in unsem Texten sehr grell
hemerklich macht. Aber selbst wer, wie Schreiber dieses, gelemt
hat, von dem segensvollen Einfluss der christlichen Kirchen des
Orients sehr gering zu denken , muss doch erstaunt darüber sein,
wie sich hier, in einer seit etwa 1500 Jahren christlichen Be¬
völkerung, in einem von Alters her von Klöstern wimmelnden
Lande ^), so gar keine sittlich fördernde Wirkung der Kirche zeigt.
1) Auch seine Photographie , die ich durch Socin's Güte besitze , stellt einen pfiffigen und mit grossem Behagen erzählenden Mann dar, wie ihn Prym schildert.
2) Das hoch berühmte Kloster des Gahriel, Samuel und Simeon vou Qar-
tamin (^Yl^',0 oder ^JoLVO) bei Beth Severine {Ba Sebrin) ist nach
Barh. h. eccl. 1, 199 im Jahre ;I99 gegründet und blühte jedenfalls schon in
Ja nicht einmal die dürftigsten religiösen Kenntnisse sind da ver¬
breitet. Unser Dschäno war auf einer Wallfahrt nach Jerusalem
begriffen, durch die er sich denn auch später wirklich ein sicheres
Anrecht auf die ewige Seligkeit erkauft hat. Natürlich wird er
auch gefastet und sein Kreuz geschlagen haben. Er konnte das
Vaterunser altsyrisch hersagen, freilich in einer solchen Entstellung,
dass es den baren Unsinn ergab. Aber damit war auch sein
Christenthum zu Ende. Bezeichnend ist, dass er die Geschichte
von Joseph und seinen Brüdern (nr. Vlll) in einer durchaus kora¬
nischen Form giebt; ,von dem biblischen Ursprünge der Erzählung
hatte er keine Ahnung" (Prym). Und nun lese man folgende ganz
wörtliche Uebersetzung der Stelle LV a : ,Die ganze Welt war
ein Meer; Christus war wie ein Vogel über der Oberfläche des
Wassers. Er blies in die Meere; es erhob sich der Himmel aus
den Meeren und es erhoben sich Fische mit ihm. Durch
Christi Herrlichkeit wurden sie Sterne. Die Fische
fürchteten sich am Tage vor dem , welcher das Meer aufregt '),
kommen am Tage nicht hervor, kommen Nachts hervor, schauen
nach unten. Gott sendet den Mond der Steme wegen als Boten ').'
Man weiss längst, dass die Verehrung, welche die syrischen Heiden
Fischen zollten, in der Heilighaltung gewisser Fischteiche in Meso¬
potamien von Seiten der Christen wie der Muslime Spuren hinter¬
lassen hat. Aber einen solchen kosmogonischen Mythus hätte
in einem altchristlichen Lande wohl Niemand mehr erwartet. Die
Erhebung der Fische zu den Stemen ist hier im Wesentlichen so,
wie wir sie in des Eratosthenes Catasterismen XXXVIII, den Scholia
in Caes. Germ. Aratea v. 243. 382 u. s. w. als syrische Mythe
finden '). Ich muss gestehen , dass mir diese Stelle die inhaltlich
bei weitem interessanteste des Buches gewesen ist.
Der Hauptwerth des Werkes liegt aber, wie das schon die
Herausgeber durch den Titel andeuten, auf der sprachhchen Seite.
Hier zeigt sich die wahre Gestalt einer echten Volkssprache. Von
der 2. Hälfte des 5. Jahrhunderts (Land III, 206, 3). Auf dem Concil von Chaicedon war ein Bischof von Izala („Inselos") = Tür 'AbdTn zugegen (Mansi VII, 403). Dass im 6. Jahrhundert das Christenthum und der Sectenhass auch unter don dortigen Bauern Fuss gefasst, zeigt Land II, 372. U. s. w.
1) Meine Uebersetzung weicht hier etwas ab. Socin schreibt mir, als Glossen habe er dazu gesetzt „milia harräk elbahr" (^.:S\.J! ^^l3J! q<) und ..davon, dass er das Meer bewegt hatte". Ein Perfect kann mhaudil aber nicht seiu. Dies Verb ist mir übrigens sonst unbekaunt, und auch Socin kann keine weitore Aufklärung geben.
2) Oder „Commissär" (qdset = uX-oÜs) .
3) Ueber die Verehrung der Fische hei don Syrern uud audern Semiten sowie über die darauf bezüglichen Mythen liesse sich noch Manches bei¬
bringen. Nicht ohne besondere Absicht steht im Dekalog auch das yis<b rnra d-'m!
Nöldehe, Prym u. Socin's Der Dialekt des TUr 'Ahdin. 221
einem Einfluss der syrischen Cultur- und Kirchensprache kann
kaum die Rede sein. In ganz anderem Grade als hei dem ürmia-
Syrisch haben wir daher hier ein rein naturwüchsiges Object der
Untersuchung. Und diese Sprache ist von Prym und Socin mit
grösster Treue dargestellt. Die Genauigkeit der Niederschrift ist
für den gi-össten Theil dieser Texte noch dadurch besonders ge¬
währleistet, dass sie von beiden Gelehrten gleichzeitig vorgenommen
wurde. Sie haben sich mit peinlicher Sorgfalt bemüht, auch die
kleinste Vocalschattierung auszudrücken. Ich möchte fast glauben,
dass sie darin des Guten etwas zu viel gethan haben; jedenfalls
darf ich mir wohl erlauben, bei den im Folgenden angeführten
Wörtern ihre Schreibweise etwas zu vereinfachen *) und sie auch
sonst ein wenig in die uns geläufigere umzusetzen.
Die ungemeine Genauigkeit in der Wiedergabe der Laute
zeigt übrigens wieder besonders deutlich, wie verschieden oft ein
und dasselbe Wort sogar im selben Zusammenhange, ja im selben
Satze gesprochen wird: ein auch durch sonstige Niederschrift aus
dem Volksmunde bestätigtes Resultat, durch welches allein schon
das jetzt so behebte Dogma von der „unbedingten Wirkung der
Lautgesetze" als eine arge Uebertreibimg erwiesen wird. Man
bedenke, dass diese Texte sämmtlich aus dem Munde eines ein¬
zigen, völlig iUiteraten Mannes aufgezeichnet sind.
Der Dialect des Tür 'Ahdin hat zwar mit dem von Urmia
viel gemeinschaftliches ; die Art der Umbildung ist zum Theil
dieselbe : aber im Einzelnen unterscheiden sich die beiden Dialecte
so sehr, dass die Syrer von Urmia und die vom Tür einander
auf keinen Fall verstehen können. In vieler Hinsicht ist die west¬
hche Mundart etwas alterthümlicher, namentlich in den Con¬
sonanten; doch zeigt sie wieder so viele Veränderungen des Ur¬
sprünghchen, dass ich nicht so schlechtweg behaupten möchte,
sie stehe dem Altaramäischen wesentlich näher als die östliche.
Ihr Verhältniss zu den alten Dialecten genauer zu bestimmen
wird dadurch sehr erschwert, dass die Einbüssen, die sie erhtten
hat, zum Theil grade solche Puncte betreffen, bei denen die Ver¬
schiedenheit der Fonnen für die Unterscheidung dieser alten Dia¬
lecte selbst characteristisch ist (z. B. die Infinitive der abgeleiteten
Verbalclassen). Es ist aber sehr wahrscheinhch, dass die Urform
der Sprache des Tür dem Edessenischen Dialect, der Grundlage
der syrischen Schriftsprache, sehr nahe gestanden hat, weit näher
als die Urform der östlichen neusyrischen Dialecte.
In der Behandlung der Consonanten fällt zunächst auf, da§s
unser Dialect die Gutturale weit fester bewahrt als viele andre,
selbst weit ältere. Das bleibt fast stets, nur dass es im Sllben-
1) Wo ich z. B. a sclireibe, ist zuweilen eih sich etwas dem o nähernder Vocal gemeint u. s. w. Die ganz düchtige Natur eines Vocals habe ich nur in offner Silbe dureh ein bezeichnet.
auslaut (wie auch z. B. im ägyptischen Dialect des Arabischen)
gern zu — (^) wird. Häufiger Mit ein O) weg. «>. hat durch¬
weg den Werth des nicht (wie in Urmia) den des • .
c '
Hinsichtlich der Aspiration oder vielmehr A£Erication von
verfthrt der Dialect ungefähr so wie der von Urmia
mit ist sie in Folge der alten Sprachgesetze in einer Form
herrschend gebUeben, so wird sie durch die Analogie auch auf
aUe deutiich nah verwandten Formen übertragen; so hat nament¬
lich ein Verbum durch alle seme Formen hindurch dieselben Laute
mit und ohne Aflfrication, z. B. wie ote „kommt" (jj.^) auch att
*
,ist gekommen", das doch = ,..1/ ("'FinV ist; wie rochü „reitet"
( o S) auch marchuwole = o)\ ) A o; Y) u. s. w. Aber z. B.
machtuwo 132 „Pfriem" = jafcsa» trotz ktule „er schrieb =
.:xJÜ>,♦ • da der Zusammenhang jenes Substantivs mit
„schreiben" gar nicht mehr gefühlt wird. Das Einzelne gestaltet
sich hier sehr verschiedenartig, da ganz analoge Fälle oft ver¬
schieden behandelt werden. Dazu verliert sich die Affrication nicht
selten auch ohne erkennbaren Grund. Ein erweichtes s wird wie
im Osten gleich o behandelt; es erscheint, wie dieses, unter ge¬
wissen Verhältnissen als v, unter gewissen als w oder vöUig als «.
Ganz anders als bei den Nestorianem, die kein / kennen, wird
dagegen das 2> fast immer zu /, sogar im Anlaut z. B. foiS =
.M.]^ . Ein p kommt bei aramäischen Wörtem nur einzeln als Ver¬
härtung von b vor, z. B. lapchu neben labehu „ist nicht in euch'
= fcwi; räptö „magna" neben rdbtö u. s. w.; ferner in
aaptö „Lippe" (= \ K o. t^ n und ddpto „Brett" (aber Plural däfbto)^).
Von den Liquidae fäUt auslautendes n auch in diesem
Dialect sehr häufig ab. R imd l wechseln zuweüen; so rdmhiil
„morgen" = ; ' ^) ; Idrval „draussen" = •, ■^\'^ ; so Srolo
pp - , '
„Wahrheit" »<= jiV*-, wofür oft «uch, mit Verwandlung des lin-
1) In apJoiö .Rosinen" neben abSoto = JjS m 9>/ ist eigentlich 3 radic»! (K«3i, %. Payne-Smith).
2) Danach, oder nach dtmiil J\}ßL^ richtet sich berdmSül „gestern
Abend", wie sich nach Idrval richtet Idlgul „inwendig-' (= |iÜOV^, q^lL mit angehängtem l).
Nöldeke, Prym u. Soein'e Der Dialekt des TAr 'Abdin. 223
gualen r in das gutturale (^) , sgolö gesagt wird. .A^, /, r erleiden
noch mancherlei Assimilierung und sonst etwas gewaltsame Be¬
handlung.
Aussergewöhnliche Versetzung von Consonanten finden
wir u. A. in 'öbugro „Maus" = Niasy, Jv^ooi., in
einigen Formen von 3D-| z. B. raiicho „sie reite" 83, 22 d. i. |A-»> <
= jäov Grade hei diesem Verh findet sich Aehnliches im ürmia-
Syrisch. Eine andre Uehereinstimmung in einem sporadischen
Lautwandel, die bei so starker Verschiedenheit in der Behandlung
der Laute besonders aufiÄllt, ist, dass beide Dialecte für |jjo
„zählen" |o sagen, das aber auch „bauen" heisst*).
Ursprünghch verdoppelte Consonanten werden stets verein¬
facht; der vorhergehende Vocal wird dann, wenn er in oflEner Silbe
bleibt, immer gedehnt. Durch Assimilation von Consonanten ent¬
stehen manche neue Verdoppelungen, die aber zum Theil auch
wieder aufgehoben werden.
Von den Vocalen ist altes ä, mit sehr wenigen Ausnahmen,
stets zu mehr oder weniger reinem ö geworden, welches sich dann,
weim es in geschlossene Silbe tritt, zuweilen auch in offner, un¬
betonter Silbe, weiter in o, ö, ö u. s. w. lunwandelt. Ein langes ä
ist stets aus einem in of&ie Silbe getretenen f entstanden (z. B.
därmcho = dammichä J^-vn«); auch die Suffixendung ä, a ist
zunächst aus di- zu erklären, welches schon fHihzeitig aus <^
verkürzt war*). Ebenso ist die Endung der 1. Pers. pl. nü, na
nicht = N5, sondem =
Während unser Dialect in der Veränderung des ä zu ö ganz
der später in Edessa übhch gewordenen Weise folgt, hat er sich
in einem andern Puncte merkwürdig alterthümlich erhalten. Das
ursprüngliche e (ostsyr. J.^ zuweilen ,^), welches in der west¬
syrischen Tradition meist zu i wird ^\ bleibt hier fast
V ♦ ♦
stets e: so 'edo = Jj|x• „Fest"; be'e „Eier" (sg. bixhtö J K\.-nö • ) • miskenö, f. misheto „arm" ; hrenö, f. hretö „alius" ; reho „Gernch" ;
1) In den Drucken von Urmia ist |i2D für „zälilen" viel häufiger als J'"^ . Ob hier ein rein lautlicher Wechsel oder ein Zusammenfallen zweier ähnlicher Wörter (wie z. B. im Nhd. schlingen = slingen und = slinden steht), lasse ich einstweilen dahin gestellt.
.0 p
2) Der Unterschied der Endungen o, ö = |_ von ä, a = oj-. ist für die richtige Erkenntniss der Formen sehr wichtig.
devo .Wolf" u. s. w. Von Ausnahmen hahe ich ausser dem von
Alters her abweichenden rUo „Haupt, Spitze" ') nur bemerkt sido
„Teufel" ==■ Jj|*L das vielleicht aus der kirchlichen Sprache stammt.
Dagegen ist das alte ö (ö) wohl stets zu ü geworden, denn
Wörter wie säqölö 212 f. „Nehmer", 'äbode 149, 24 „Verehrer",
nüfuqe „Herausgehende" sind nicht als Nomina agentis zum Peal
(jioja*.. I?©^. JjpoSÜ) zu fassen, sondem sind (als nach
Analogie von samuie 68, 10 „Diaconen" = j^^^ {sammäse),
gänüve 105, 2 „Diebe" = gäboro „Riese" = J^^J^u.s.w.
gebildet. Wieder im Einklang mit der westlichen Tradition und
im Gegensatz zu den nestorianischen Dialecten bleiben aber die
alten Diphthonge ai und au in grossem Umfange bewahrt.
Während sich betonte Vocale in offner Silbe sehr rein erhalten,,
werden lange unbetonte Vocale auch in offner Silbe oft ver¬
kürzt; desgleichen betonte in gescblossner Silbe. Die ursprüng¬
lich kurzen wie die kurz gewordnen Voeale unterliegen nun
mannigfachem, kaum zu controherendem Wechsel. Dadurch wer¬
den viele Pormen sehr unklar; ursprüngliche Passivbildungen
werden activen gleich und umgekehrt, und mit ganz gleichwertbigen
Vocalen wird wieder verschiedentlich verfahren. Die abweichende
Behandlung desselben Vocals auch im selben Worte (z. B. bald o,
bald d' für auslautendes ^, bald e, bald e für auslautendes ojT)
tritt schon in den von mir gegebnen Beispielen hervor und würde
noch weit mehr hervortreten, wenn ich von jedem Worte, das ich
anführe, auch alle daneben vorkommenden Pormen mittheilte.
Seltner wird durch den Ton auch ein ursprünglich kurzer Vocal
gedehnt, z. B. in den Imperativen wie dmachu „schlafet" —
^^aij. ba(elu „hebet auf" = 4^^. älvas „ziehe an" 4, 12 =
u. s. w.
Der, meist arbiträre, Vorschlag eines kurzen Vocals, den wir
im letzten Beispiel seben, spielt eine grosse Rolle. Eine viel
kleinere der Einschub eines inneren Vocals zur Vermeidung von
Consonantenhäufungen «), wie in kmadimchole „sie lässt ilm liegen"
218, 30 = o»i la»^ '))o.
1) S. Mand Grammatik S. 108 Anm. 2. 109 Anm. 1. „Kopf heisst im
TQr qui-'o eigentlich (Kürbis ). .Schale" , also iihnlieh wie „tete" (= testa) und unser „Kopl" <1tpu).
* 2) S. u. A. meine syr. Gramm. § ä2.
3) Neusyr. Gramm. S. 294.
Nöldeke, Prym u. Sorin'x Der Dialekt des Tür 'Ahdin. 225
Wörter, die nahe an einander gerückt werden, verschmelzen
vielfach mit einander, wobei es oft starke Einbüssen an Lauten
nicht die schlimmsten der Art.
Die rein lautlichen Veränderungen sind, wie man sieht, schon
stark genug, um die zu Grunde liegenden Formen oft recht
schwer erkennbar zu machen. Dazu kommen nun. aber allerlei
Neubildungen und Formenübertragungen. Die Per¬
sonalpronomina huwe ,er", hija „sie' machen vielleicht beim
ersten Anbhck den Eindruck grosser Ursprünglichkeit; bald aber
wird man einsehn, dass in dieser Sprache grade bei solchen Wör¬
tem an ursprüngliche Fülle nicht zu denken ist: es sind einfach
durch ihre Possessivsuffixe verstärkte Formen oC+ OO), <^-f wO),
ähnlich wie man in Urmia äcktochun „ihr' sagt, d. i. achtun
(nach Analogie von achni = ^L. statt »^fca/) mit dem Possessiv¬
suffix ochun. Die Possessivsuffixa dringen auch sonst noch als
p
Subjectsbezeichnung an gar zu kurze Formen. So wird jj. „komm'
durch .jl verstärkt zu toch, dessen F. ist tech (täch, tech), pl.
tochu (auch ttoch u. s. w.) Entsprechend dann von ,gehn',
dessen Impt. in Urmia ze (== ^]j lautet : zöch, zoch, f. zech, PI.
zochu {izoch u. s. w.). Auch die als Präsens und Perfect fun¬
gierenden Formen von '^j/, in deren keiner mehr eine Spur des
l erscheint, sind sämmtlich mit solchen Possessivsuffixen versehen-).
Ferner haben wir so neben dem in gewissen Verbindungen ge¬
brauchten vo „fuit' = joO) (der einzigen erhaltenen alten Tempus¬
form!) ve, ve, f vä, va, pL va^'e; 2. pers. voch, f. vech, pL
vatchu ; 1. pers. vi, pl. vainä, va{na d. i. Joo) mit o^, ^ u. s. w.
Objectssuffixa kommen nur von der 3. Pers. vmd nur am Im¬
perativ vor , z. B. have „gib ihn' = o>2 -f- . ensaqa „küsse
Q ^ ^#
sie" — + (vgl. aqimm „richte sie auf = ^/ )ajO(')
u. s. w. Sonst wird bei den Personalpronomen das Objectsverhält-
* ^1 1) Dagegen tat, tt „bring", pl. tdwii von wK.»/.
2) Allen Formen scheint die Wurzelform "'TN zu Grund zu liegen. Das Einzelne ist hier aber zum Theil noch unklar. Dies Verbum steht übrigens ganz singulär da.
giebt. Fälle wie laüliloch „ich habe dir nicht gegeben' = jj
A. A, moqmida „vor ihr' = oi^/ )0^ ^ sind noch längst
Bd. XXXV. 15
2 S
niss durch l ausgedrückt (fe = ofL u. s.w.). Aber für eum und
eam kommt nicht selten das gewöhnhch als Copula ,(er, sie) ist"
" +
gebrauchte jo vor, das wohl nur ^0)Ofcw/ sein kann ').
Bei den selbständigen Personalpronomen ono {öno u. s. w.) ,ich", ähnä, ähna „wir"; hat, hät ,du", hotu, „ihr"; huwe ,er" , htja
„sie" , pl. hrnine befremdet sehr , dass sie auch von Präpositionen abhängig sein können: lono „mir", löhät „dir", lähna „uns", buioe
„in ihm", binne „in ihnen" u. s. w.
Neben den selbständigen kommen auch in diesem Dialect
suffigierte Subjectsformen vor: no „ich"; at, ät, t „du"; nä, na
„wir"; ä<M, tü „ihr". Pür die 3. Pers. das genannte jo, pl. ne
(= oder ^) ), welches, wie im Syr., gleichfalls als Object
gebraucht wird.
Der Determinativartikel u, f. «' könnte als eine blosse
Verkürzung von oO) . -O) aufgefasst werden ; dieser . Gebrauch
liesse sich syntactisch wohl erklären »). Aber der Plur. an, a,
zeigt uns, dass wir es hier mit stark abgeschwächten Pormen von
OO) , -Ot . >9JO) (oder ^O) I zu thun haben ♦), welche Pronomina ja auch schon im Syr. Neigung zeigen, zum Artikel zu werden ">).
Die Neugewinnung eines nach sehr festen Gesetzen hehandelten
Artikels ist ein wesenthcher Vorzug dieses Dialects vor allen
andem aramäischen, mit Ausnahme derer, welche den Stat. emph.
noch zur Deternimiemng gebrauchen.
„Jener, jene" ist havo, hajo d. i. wohl hau + hä, hai + /tü«);
1) Uas t von K*/ kommt noch vor in kit = 6^/ Jo und lait, lät
, fallt dagegen weg in kibe, kibin u. s. w. „es ist in ihm, in ihhen" u. s. w..
in lai bün, läbchu (läpchu) u. s. w., „es ist nicht in uns, in ouch" u. s. w.
Und auch kie „cx ist" f. kia, pl. kUn, kien, kUn; kli „ich bin" ist schwerlich etwas andorcs als O^ bc/ lo u. s. w. Das Ith fällt auch im Dialect von
ü ♦ .•
Urmia unter Umständen spurlos vor O)^ u. s. w. weg (Ns. Gramm. S. 2lHt);
nur versieht man dort fc«.,/ nicht mit jo , während in Tür kit grade sehr beliebt ist.
2; Die Verwendung von Femininformen statt der männlichen bei den Pron.
im pl. ist von den östlichen Dialecten her bekannt.
;i) Syr. Gramm. § 227.
4) In Urmi.i au, ö\ f. ae, e; pl. tini, an.
."■))Syr. Gramm. S '-i'-ä»-
C) Auch in den östlichen Dialecten kommen ganz ähnliche Pormen vor, Dio Aiiliiviigung des hä ist ein characteristisches Zeichen dieser ganzen Dialectgruppe. — Diese wie auch andre Pronomina verlieren ihr anlautendes h, wenn sio sieh ong an ein vorhergeliondes Wort liängi'ii, z. U. jaunuiu
„jener Tag".
2 I
Nöldeke, Prym u. Socin'» Der Dialekt des Tür 'Ahdin.
als pl. dient hanek d. i. das im Syr. nur noch einzeln vorkommende
^QjO) oder eine Femininbildung *..^0). — „Dieser" ist hano, f.
Jiafi, hati, pl. hAni, welches letztere wohl nicht direet aus
entstanden, sondern durch hano beeinflusst ist. Die Form adlaljo
„diese Nacht" enthält gewiss nicht eine ältere Form wie in^i, son¬
dern hat sich nach atsatö „dieses Jahr" gerichtet.
„Was?" ist rm {mü, mi u. s. w.) = j»^ min =
mune = ]I» oder jjQX>; „wer?" ist man, wa = mäne =
t\ii\ „Welcher?" ist a£na für beide Geschlechter und Zahlen;
in gewissen Verbindungen zu ai verkürzt. In Fällen wie bai
o ,
dorbö „auf welchem Wege (Vj'^)' wie?" (neben lainxi därbo)
hat man sicher nicht das sonst im Aramäischen nie mehr
selhstständig vorkommende einfache ai. Eher ginge es viel¬
leicht an , in diesem ai, das auch in qai „warum ? wie" (= qä ')
-f- ai) erscheint, die Zusammenziehung einer Femininform wie
*) zu sehn.
Die Anhängung der Possessivsuffixa an Substantiva und Prä¬
positionen geschieht entweder direet oder durch Vermittlung von
T'I (= T -|- l-j) '). Im ersteren Falle treten auch hier vielfach
Pormen, die mit der Pluralendung ai zusammengesetzt sind, für
den sg. ein, z. B. qumfafje „ihre Statur" = qaumeluihPn; '■ämaichu
„mit euch" ; lebaina „unser Herz" u. s. w. (aber län ; Ichü ; lin, Ue, le „uns, euch, ihnen"; bän; bchü; bin „in uns, euch, ihnen";
auch hulchu, külle „euch alle, sie alle"). Umgekehrt sind die
Suffixa am pl. von denen am sg. nicht zu unterscheiden, z. B. e =
und = —0)qI. Die seltsame Unbequemlichkeit so vieler
jüngerer aramäischer Dialecte, dass beim Antritt der Possessiv¬
suffixa sehr viele Plural- und Singularformen gleich werden, findet
sich auch hier: aini kann sein „mein Auge" und „meine Augen".
Die Bildung eigner Pluralthemen (z. B. durch ön: 'ar.vo „Zahn",
1) II™ ' f*'-" ' welches die östlichen Dialecte sehr liehen, scheint hier nur in dieser Verbindung vorzukommen; damit zusammengesetzt ist qaijo
„warum?" = (pi + jo (s. oben S. 22G) imd qampjo, qaüjo „w.irum?" = i" "
qai .|. haüirjo j^OO) . — Dies qii ist mir noch immer ganz räthselhaft.
/ l" "i
2) In edi 59, 8 darf man nicht etwa )^( suclien, donn es ist „da, damals"
= «<^0), s. 3, 20. 187 ult.
X*
3) Neusyr. Gramm. § 40.
15*
'aräane „Zähne") , welche diese Unklarheit heben, ist im für kaum
so häufig wie in Urmia. — Die Zusammensetzungen mit treten
an consonantische Endungen in der Form dtdi; dt doch, dtdech;
dt de; dt da; pl. dtdßn^); ddtchu; ddtße (z. B. i 'dskar d'idoch
„dein Heer"); mit vocahschen Endungen^ (o, a, e) verschmelzen
sie zu aidi; aidoch, atdech; aide, aiaä; pL aidan; dtchu; dm.
(z. B. i duklaioLe „sein Ort' ; d kloväUe „ihre Bücher' ; i mjaidoch
„deme Absicht' »-Li). Bei dem Gebrauch von ti"i muss das
Substantiv den Artikel haben.
Die Bildung der Substantiva hat nicht viel eigenes.
Dass der Stat. estr. bis auf unkennthche Reste wie be =
„Famihe, Angehörige" verloren ist, versteht sich fast von selbst.
Ebenso wenig kann von einem eigentlichen Stat. abs. die Rede
sein, wenn auch dessen Form namentlich bei den Participien eine
Rolle spielt. — Zu bemerken ist die Deminutivbildung qaisdsö
160, 21. 172 ult. „Hölzchen' von qai^ö^) 188, 30 im Einklang
mit dem, was Barh. gr. I, 65, 14 hat. — Bei den Zahlwörtern
ist sehr auffallend, dass die Zahlen der ersten Dekade (bis 10 mcl.)
streng nach der alten Regel gebraucht werden: hä (^)^ tre, tldtö,
drbe'ö u. s. w. für das m. ; äkdö , tärte , tlöl , drba' {drbah) '), für
das f. Fälle wie tlol. abne 42, 5 „3 Söhne' sind nur scheinbare Aus¬
nahmen, da hier eine der beliebten Zusammenziehungen Statt findet ;
es steht für tlotS abne. Die Bewahrung dieser Eigenthümhchkeit
ist um so auffaUender, als die Sprache sonst im Plural nu-gends
mehr einen Unterschied zwischen m. und f. macht. Die zweite
Dekade (di* allerdings bloss theilweise zu belegen ist) hat nur
einfache Formen, und trdhsar 12 steht z. B. für m. und f
Es finden sich auch interessante Formen mit Pronominalsuffixen,
z. B. m. tretaina „wir beide', f. tärtetaina; tlototaichu „ihr
drei' u. s. w.
Eine vollständige Veränderung hat auch in dieser Mimdart
der Bau des Verbums erfahren. Vom alten Verbum fin. ist —
abgesehen von vo „fuit" — einzig der Imperativ erhalten, und auch
bei diesem haben allerlei Umbildungen Statt gehabt. Vgl. z. B.
qtälu „tödtet" statt ^o^. Der pl. hat stets die Endung «,
1) Das zweite </ sciieint manclimal zu d (oline Affrication) zu werden.
2) Mit s, nicht «. — Vgl. übrigens jJo^J^ „Fädchen" Hoffmann, Op.
Nest. 84, 12; JJcL^,^ (so lies) „kloino Handpauken" eb. 116, 9.
3) Grade boi den Zahlwörtern giebt es eine Menge Nebenformen. So
z. B. für 3 f. etlot, tlot, Möt, tlöt u. s. w.
Nöldeke, Prym u. Socin's Der Dialekt des TUr 'Abdhw 229
d. i. die jüngere Bildung mit Zusatz von ün. Das n zeigt sich
gelegentlich noch in Spuren hei der Anhängung von Enklitika,
z. B. arhiqulle 57, 3 „entfernet ihn' für "qunleh; sqülünchu 72, 27
„nehmet für euch' = >g\ÖOw. . Bei vocahsch auslauten¬
den Wurzeln geht der Impt. im sg. auf i und häufiger auf ai*)
aus; letzteres ist wohl eigentlich die Femininendung (denn ^
wird durchweg zu ai "), z. B. qämaito = jfcLijJO) So z. B.
(hvi, ihvai „werde'; dhvai „zeige". Pluralformen mit ^,50! (^ll):
qrdwu „rufet" (qrävndle „rufet ihn"); ähzäu, hezau „sehet";
ashawu „klaget" etc. Während, wie man sieht, die Afel-Formen
zum Theil noch in ziemlich ursprünghcher Form erhalten bleiben,
tritt hier doch theilweise das allen sonst gebrauchten Verbalformen
angebörige m auch schon vor den Impt., z. B. maübel 64, 5
„bring" (neben aubil 78, 18); mamfije 72, 7 „bring ihn". So
auch mistdim 71, 2 „spielet". In Urmia ist dies herrschend.
Auch sonst liesse sich über die Imperative noch aUerlei be¬
merken.
Verloren hat der Dialect die Infinitive *), und ihm fehlt also
das mit diesen gebildete Präsens des Urmiadialects. Die Tempora
werden ausschliesslich durch Participia ausgedrückt. Das active
Part, ist auch hier ganz an die Stelle des Imperfects getreten und
hat namentlich oft die Bedeutung des Subjunctivs und Optativs,
mit lö des Prohibitivs *). Der eigenthche Indicativ wird durch
vorgesetztes he, k, ek (ja) bezeichnet, welches vor k, g, q zu
ä, e (z. B. ägönvi 38, 28 „stehlen" .^-Ai^ Jo; eqaiti 257, 25
„treffen' von Ifcoo; äköjaüle, eköjaille 45, 20, 22 „ihm ist weh"
o\, olo ls) , vor Mediae oft zu ge, g, eg wird (z. B. u^ed&mäch (i • ,
61, 38 „und liegt" jpo) . Von dieser Umbüdung des ke
ist streng zu unterscheiden der zum Ausdruck des Futurums
dienende Vorsatz ged vor Vocalen und (wegfallendem) h, ge vor
Consonanten: gedochlilan „sie werden uns essen"; gedötenä ,wii'
1) Vgl. Hoffmann in ZDMG. XXXII, 757, dessen Erklärung dieser
Formeu ich allerdings nicht ohne Weiteres annehmen möchte.
2) Genauer qi d. i. ein Laut zwischen ai und äi.
f f
3) Die Form j)^ ^ erscheiut allerdiugs zuweilen als Inf. abs.
4) Ein merkwürdig fester Zug dos Semitischen ist es,^ dass die Negation nicht vor dem Impt. stelui darf; so aucli hier. Selbst in Vo zoch ,,gehe nicht"
ist nicht der Impt. , sondeni es ist lözoch als ein Wort zu schreiben = lö -\- özoch.
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werden kommen"; gedovina „wir werden ^sein"; gHöqel „wird nehmen'; gesoqlitü „ihr werdet nehmen"; gegimvi „werden stehlen";
gimufqö „sie wird herausgehn"; geqot'öno „ieh (f.) werde ab¬
schneiden"; geközetiUli „ihr werdet mich sehn" u. s. w. Der Ge¬
brauch ist ganz wie der des östhchen bet, bt, das aus j \x2
entstanden ist, aber der Ursprung dieses ged, ge ist mir völhg
uuklar.
Zuweilen wird ein solches Tempus auch m passiver oder
reflexiver Bedeutung gebraucht. Ich vermuthe, dass wir hier, in
Uebereinstimmung mit der alten Sprache, überall das Part, des
Reflexivs haben, mit Ausfall des l , so dass also ädmthnaq 57, 4
„dass er ertrinke" JQl-boOJ ist. In gimiinöhat 186, 17 „du
wirst Ruhe haben' sehe ich ge + n:n7: + at; hier hätten wir
einen der sehr wenigen Fälle, wo eine Form dieses Dialects auf
eine weseutlich andre Bildung .als die Edessenische zurückginge;
denn da heisst es ^-JiLfcs» . D'es ö ist aus solchen Foi-men, wie
es scheint, auf ganz anders geartete übertragen : das f. von kmdqtd
56, 22 „wird getödtet, lässt sich tödten' ist htiaqtölo 54, 7; so
kemähSovo 253, 35 „sie wird gezählt" u. s. w. i). Die in unsern
Texten nicht sehr zahlreichen Formen dieser Art bieten noch
mancherlei Schwierigkeiten.
Das Perfect wird von den Transitiven des Peal und von allen
andem Verbalclassen durch das Part. pass, mit \ gebildet , z. B.
qttlt „ich habe getödtet' = eftäJde „er öffnete" -
o»^ ■h'^\^ ftPhoh „er öffnete sie' = o»VV iL.b^;T qta'k, qto'le
„er schnitt' = -«Ju^ ; bl^^'öle „er verschlang sie }iib
0)Sl; elvtSila „sie zog sie an" ö»^ yiii.'SS. ; qioarmne „sie be-
ßi-uben sie' = -.o»^ akmle „er schrieb' -= Ci-bo :
° VltNl.* ^
mölle, molle „er sagte" = c»\ V^»/? »lorralle „sie sagten ihm"j
0»\ wO)\ V-w»/; fimli „ich machte' )q«od; bolh ,er'
^ X .V^ ' 'r
schaute' =^ ^ V— ?y ^'''^efe „er sah' = 0)b.^ j^L; bezülle „sie
sahen' = ^ojb. jj*.; makuiltdlle „sie zeigten sie ihm' ^ mahwcn'^) -f lehön + leh ; iüjölä „sie trank sie' = öf^ \shjk, ; inehüldchla^
1) n ist nie Dclniung von (i odor c.
2) Dieser Dialect wie der von Urmia und andere gebraucht ■'"HN, nicht ^W.
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Nöldeke, Prym u. Socin's Der Dialekt des Tür 'Abdin. 231
-sie wandelte" = oiS. viärf ele „er liess ab" = w^yo;
J 74 ^ p It '
moblöla „sie führte sie" = öj^ JJ:^02D u. s. w. Das ist, abgesehen ö
von den oft sehr starken Lautveränderungen, ganz wie in den
östlichen Dialecten. Aber eigenthümlich ist unserem die Aus¬
bildung eines anderen Participium zum Perfect der Intransitiven.
Ich habe schon wiederholt darauf hingewiesen, dass das Syrische
fiir solche Intrausitiva wie „gehn", fl/ „kommen", Lqjo
„sterben" die Adjectivform J,.^ als Part. perf. zu verwenden an¬
fängtDies ist in unserm Dialect durchgeführt, und das Part,
dient als Perfect. Die mittlere Verdopplung konnte freilich
nirgends gewahrt werden, und die Analogie anderer Pormen der
betreffenden Verba hat zum Theil sogar die Affrication des mitt¬
leren Radicals herbeigeführt. Dazu ist das i nur in der Tonsilbe
deutlich geblieben. Gleichwohl kann über den Ursprung dieser
Pormen kein Zweifel sein. Wenn nähtti 242 ult. heisst „sie gingen
hinab" und nähät eb. „er ging hinab", so ist dieses ebenso sicher
= ^ - * T wie jenes = ^b^JU . So ist also jätu „er sass" =
f. jät'ivo l^fcl; nhfäq „er ging hinaus" = jcu2U; mä-
^ tr t' ■ ♦ * '
jü, mmit, zuweilen selbst mät „er starb", pl. mäil.i = ty .*-!\
[ly , ) v< ) : qcy'im „stand auf", pl. qätmi; hävi, hävi „entstand" =
wOOi; äti „er kam", f. dfjo, ph älin (nach Analogie des Part.
praes. ö/e, otjo, otin, nicht mehr wie ^U, ILh/, — LL/i; mit Sub-
' a*.« X
jectspronomen ätino „ich bin gekommen", ätitu „ihr seid ge¬
kommen" u. s. w. (gegenüber dem Präs. öteno u. s. w. mit e).
Diese Form wird auch von Verben gebildet, die im Syrischen als
transitiv gelten, z. B. bächl „er weinte", iävir'öno 2. 27 „ich (f) hörte" (= *n:n N3"'MUj); ädä' „er wusste" von yiN = yni.
Syntactisch steht dies intransitive Perfect dem transitiven völlig
gleich. Zuweilen tritt das k des Indicativs vor dies Tempus -).
Dadurch wird es dem Praesens noch ähnhcher, und da letzteres,
namenthch von gewissen Verben, gern in lebendiger Erzählung als
Praesens hist. gebraucht wird, so kann man beide Tempora anfangs
leicht verwechseln ; doch ist bei genauer Beobachtung stets ein
deutlicher Unterschied; vgL z. B. das Präs. qtjim, f. qalmo mit
dem Perf. qäjim, f qäimo.
1) S. u. A. Syr. Gramm. § 118.
2) Einzeln aucii vor das trans. Perf. z. B. ekhülochli 148, 6 „ich habe
dir gegehen" = m\ O-tO^ -j- ]s .