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212 Rezensionen Janina Glaeser: Care-Politiken in

Deutschland und Frankreich. Mi- grantinnen in der Kindertagespfle- ge – moderne Reproduktivkräfte erwerbs tätiger Mütter. Wiesbaden:

Springer VS Verlag für Sozialwissen- schaften 2018, 392 S., € 69,99

Es handelt sich bei dieser Monographie um die bi-nationale Dissertation, die Janina Glaeser 2016 an der Johann- Wolfgang-Goethe-Universität Frank- furt am Main und der Université de Strasbourg eingereicht hat. Die vorlie- gende Studie ist gleichermaßen biogra- fieanalytisch, geschlechter- und migra- tionssoziologisch.

Glaeser beginnt ihre Arbeit mit der Analyse eines Care-Defizits in den bei- den untersuchten Ländern, Deutsch- land und Frankreich. Care wird als eine ebenso dringliche wie knapp ge- wordene Dienstleistung dargestellt.

Dieses Defizit wird insbesondere auf die stetig steigende Integration von Frauen in die außerhäusliche Erwerbs- arbeit und die dadurch bedingte eben- falls steigende Kinderbetreuungsnach- frage zurückgeführt. Die Arbeitsteilig- keit und die wechselseitige Abhängig- keit zwischen denjenigen, die Er- werbsarbeit und denjenigen, die Care- Arbeit leisten, steht im Mittelpunkt von Glaesers Erkenntnisinteresse. Ein- gebettet in die »gesamtgesellschaftliche Problematik von Care im europäischen Wohlfahrtsstaat« (18) beschäftigt sich Glaeser mit der Frage der sozialen Mo- bilität der migrantischen Kindertages- pflegepersonen.

Die Arbeit ist als vergleichende Stu- die angelegt und Glaeser gelingt es gut, die je spezifischen Länderkontexte her- auszuarbeiten. Dabei berücksichtigt sie

die Policy-Entwicklungen, insbeson- dere der Migrations-, Familien- und Arbeitsmarktpolitiken, seit der ersten industriellen Revolution. Von beson- derem Interesse ist für Glaeser die Fra- ge, wie sich diese Politiken auf die Le- bens- und Arbeitsbedingungen der Care-Arbeiterinnen auswirken. Diffe- renziert legt Glaeser darüber hinaus die unterschiedlichen sozio-historischen und politisch-gerahmten Traditionen der Vereinbarkeit in Deutschland und Frankreich dar. Innerhalb Deutsch- lands beschränkt sich Glaesers empiri- sche Studie auf Westdeutschland, mit dem Ausblick, dass sich Ostdeutsch- land dem französischen Fall annähere, denn auch nach der Wende »[…] sind Frauen mit Kindern in Ostdeutschland häufiger erwerbstätig und die Betreu- ungsrate ist höher.« (132)

Als ein markanter Unterschied zwi- schen den zwei untersuchten Ländern ist herauszustellen, dass es die Kinder- tagespflege als formal anerkannte Pro- fession – das heißt mit staatlich aner- kannter Berufsausbildung sowie tarif- lich und arbeitsrechtlich geschützten Verträgen – in Frankreich seit den 1970er Jahren und in Deutschland seit 2005 gibt. In Frankreich gibt es zudem seit den 1980er Jahren Arbeitnehmen- denvertretungen die Mindeststandards in der Kindertagespflege schützen. In Deutschland sind Kindertagespflege- personen weiterhin selbstständig tätig und daher im Gegensatz zu ihren fran- zösischen Kolleginnen Unsicherheiten ausgesetzt im Fall von Krankheit, Ur- laub oder Kündigung (vgl. 313).

Durch die gewählte Methode der biografischen Policy-Analyse im An- schluss an die Arbeiten von Apitzsch, Inowlocki und Kontos (2008) ist es

Feministische Studien 1 / 19; DOI 10.1515/fs-2019-0017

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Rezensionen 213 Glaeser im weiteren Verlauf der Unter-

suchung möglich, die einführenden Policy-Überlegungen in Wechselwir- kung mit dem von ihr erhobenen bio- grafischen Material zu analysieren.

Das eigene empirische Material, Lebens erzählungen von Kindertages- pflegepersonen in Deutschland und Frankreich, wird ergänzt durch teil- nehmende Beobachtung und bildet den Kern von Glaesers Arbeit. Sowohl in Deutschland als auch in Frankreich blicken die Care-Personen auf trans- nationale Migrationserfahrungen der ersten Generation zurück. In Frank- reich stammen die Befragten überwie- gend aus den Ländern Nordafrikas, dem Maghreb, und in Deutschland aus den postsozialistischen Ländern. Das theoretische Sample umfasst insgesamt 21 biografisch-narrative Interviews, davon elf in Frankreich und zehn in Deutschland. Bemerkenswerterweise ist es der Autorin gelungen, auf deut- scher Seite auch zwei Männer zu befra- gen. Die Interviews wurden im Zeit- raum von 2011 bis 2014 geführt.

Als Biografieforscherin untersucht Glaeser, auf welche Art und Weise mi- grantische Kindertagespflegepersonen biografische Ressourcen mobilisieren, um sich aus prekären Beschäftigungs- verhältnissen zu emanzipieren. Mit der Herausarbeitung des »Kapitals biogra- fischer Erfahrung«, welches als subjek- tive Ressource soziale Mobilität er- möglichen kann, schließt Glaeser an ein zentrales Konzept der Arbeiten Ca- therine Delcoix’s zur transnationalen Migration an.

Glaeser zeigt, dass die aus den post- sozialistischen Ländern stammenden Kindertagespflegepersonen vor ihrem Eintritt in das Berufsfeld der Kinder-

tagespflege höher qualifiziert sind als die maghrebinischen assistantes mater- nelles. Die Befragten aus den postsozia- listischen Ländern kommen in der Re- gel als Aussiedler, Au-pair oder zum Studieren nach Deutschland. Bei den Frauen aus dem Maghreb handelt es sich hingegen um Heiratsmigration (vgl. 307). Entgegen der Hypothese, dass eine höhere Qualifikation die In- tegration in den Arbeitsmarkt erleich- tere, arbeitet Glaeser heraus, dass das migrantische Kindertagespflegeperso- nal in Deutschland DeKlassierungser- fahrungen macht. In Frankreich hin- gegen bieten staatliche Instrumente den Care-Arbeiterinnen die Möglich- keit zu einer Höher-Qualifizierung und somit zum sozialen Aufstieg: »[…]

für die assistantes maternelles [besteht]

eine Zertifizierungsoption, die es er- möglicht, sich die akkumulierten be- ruflichen und subjektiven Erfahrungen in der Care-Arbeit anrechnen zu lassen (Validation des acquis de l’expérience) und auf diesem Weg innerhalb eines Jahres eine Cap petite enfance (dt. ›Berufsaus- bildung zur Betreuung von Kleinkin- dern‹) zu absolvieren.

Der Umgang mit dem Status-Ver- lust war bei den in Deutschland befrag- ten weiblichen und männlichen Care- Personen unterschiedlich. So zeigte sich, dass die weiblich-konnotierte Care-Arbeit um männlich-konnotier- te Handwerker-Eigenschaften erwei- tert wurde, beispielsweise bei der

»Konstruktion von großen Kinderwa- gen« (336).

Als Novum in der Arbeit von Janina Glaeser zur Arbeitspraxis im Care-Be- reich kann das von ihr heraus gearbei- tete Konzept des Doing Family (339) bezeichnet werden, weil sie es auf die

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214 Rezensionen Interaktion zwischen dem Kinderta-

gespflegepersonal, den Eltern der be- treuten Kinder, den eigenen Kindern und den Tageskindern bezieht: »Groß- familie wird über Tageskinder als ver- meintliche Substitution für Geschwis- ter hergestellt und mit einem pädago- gischen Gewinn verknüpft, der ihre Erwerbstätigkeit [der Tagespflegeper- sonen] positiv besetzt.« (194) In der Praxis ist das Doing Family jedoch wi- dersprüchlich: es zeigen sich einerseits die Inszenierung einer erweiterten Fa- milie mit einer hohen Fürsorgemoral und auf der anderen Seite Grenzzie- hungsprozesse, die dem Wunsch einer Professionalisierung der Tagesmütter entsprechen. Denn die Familienkon- struktion der Tagespflegepersonen ba- siert auf der »Zusammenführung von beruflicher Tätigkeit mit privater Sor- getätigkeit« (198), da oft die eigenen Kinder zeitgleich mit betreut werden.

»Die Intimität einer freundschaftlichen Annäherung« (198) an die Eltern der betreuten Kinder bricht sich jedoch »an der Grenze zur beruflichen Sphäre, die Distanz fordert.« (198)

Auf der Mikro-Ebene zeigt Glaesers Untersuchung, dass es im Zuge dieses Doing Family feministische Solidari- täten auf Zeit gibt. Der Policy-Ebe- ne, insbesondere in Deutschland, attes- tiert Glaeser hingegen Nachholbedarf:

»Über policies und gewerkschaftliche Unterstützung könnte die gegenseitige Abhängigkeit zu Rahmenbedingun- gen führen, die die private gegenseitige Anerkennung in gesellschaftliche Soli- darität übersetzen « (345).

Glaesers Arbeit ist vielschichtig und komplex. Sie liefert sowohl gendersen- sible und differenzierte Perspektiven auf die Care-Arbeit als auch eine Kon-

zeptualisierung von Ermächtigungspro- zessen in transnationalen Biografien im Anschluss an Catherine Delcroix. Ins- besondere der Fall der französischen Care-Arbeiterinnen, die ihre Arbeit im Rahmen staatlich-geförderter Pro- fessionalisierung ausüben, zeigt, dass Care-Arbeit an sich nicht prekarisie- rend sein muss, sondern Emanzipation ermöglichen kann: durch die Höher- qualifizierung und die Verbindung von Erwerbsarbeit mit den privaten Sorge- verpflichtungen im eigenen Zuhause.

Im Anschluss an diesen Befund fordert Glaeser, Care-Politiken als Beitrag zu einer Familienpolitik zu begreifen, »die der Prekarisierung einzelner Gruppen wie Frauen, Alleinerziehenden, älteren Menschen oder Migrant_innen glei- chermaßen vorbeugt.« (346)

Annette Hilscher

Christine Löw, Katharina Volk, Imke Leicht, Nadja Meisterhans (Hrsg.):

Material turn: Feministische Per- spektiven auf Materialität und Mate- rialismus. Opladen, Berlin, Toronto:

Verlag Barbara Budrich 2017, 210 S.,

€ 29,90

Die unter dem Label »New Materia- lism« gebündelten Theorien aus dem Feld der Wissenschaftstheorie und Sci- ence und Technology Studies werfen zentrale Fragen nach dem Verhältnis von Materie, Mensch und Natur auf.

Kleinster gemeinsamer Nenner dieses

»Material Turns« ist die Überzeugung, dass der »Linguistic Turn« und insbe- sondere semiotische Ansätze nicht aus- reichen, um das dynamische Zusam-

Feministische Studien 1 / 19; DOI 10.1515/fs-2019-0018

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