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Immanuel Kant und Friedrich Schiller über Isis und das Erhabene

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Jan Assmann Immanuel Kant und Fried­

rich Schiller über Isis und das Erhabene

D a s Folgende ist eine Skizze, rasch e n t w o r f e n , u m rechtzeitig A u f n a h ­ m e zu finden in den G e b u r t s t a g s s t r a u ß zu E h r e n Klaus H e i n r i c h s , u n d im Vertrauen auf das Interesse, das dieses T h e m a bei ihm f i n d e n u n d auf sein reiches Wissen, das diese n u r a n g e d e u t e t e n Linien zu einem Bild ausziehen w i r d , besser, als ich es auch mit g e b ü h r e n d e r Zeit u n d M u ß e h ä t t e a u s f ü h r e n k ö n n e n . D i e Materialien sind m e i n e m B u c h ü b e r Moses the Egyptian e n t n o m m e n , das im F r ü h j a h r 1998 auch auf deutsch erscheinen soll. D a h e r will ich meine Studie nicht mit A n m e r ­ k u n g e n ü b e r f r a c h t e n , s o n d e r n verweise f ü r alle Einzelheiten auf dieses Buch.'

In seiner Analytik des E r h a b e n e n greift I m m a n u e l Kant nicht n u r auf die f ü r dieses T h e m a t y p i s c h e n Beispiele aus d e r N a t u r z u r ü c k wie etwa himmelansteigende G e b i r g s m a s s e n , tiefe Schlünde, t o b e n d e G e ­ wässer, tiefbeschattete, z u m N a c h d e n k e n einladende E i n ö d e n (8.359'), s o n d e r n zieht auch einige Male Beispiele aus K u n s t u n d Religion her­

an. So illustriert er die » G r ö ß e n s c h ä t z u n g der N a t u r d i n g e , die z u r Idee des E r h a b e n e n erforderlich ist« an einer B e o b a c h t u n g Savarys, der in seinen Lettres d'Egypte schreibt, die ü b e r w ä l t i g e n d e W i r k u n g der P y ­ r a m i d e n k o m m e n u r z u s t a n d e , w e n n m a n sie im richtigen A b s t ä n d e betrachtet, u n d am P e t e r s d o m in R o m , der auf den Betrachter e b e n ­ falls überwältigend w i r k t , weil die Idee des G a n z e n seine E i n b i l d u n g s ­ kraft übersteige (338). Im Z u s a m m e n h a n g des P r o b l e m s einer Darstel­

lung des E r h a b e n e n , die »niemals anders als b l o ß negative Darstellung sein k a n n , die aber d o c h die Seele erweitert«, k o m m t Kant auf die Bi­

bel zu sprechen: »vielleicht gibt es keine erhabenere Stelle im G e s e t z ­ buche der J u d e n , als das G e b o t : D u sollst dir kein Bildnis m a c h e n , n o c h irgendein Gleichnis, w e d e r dessen, was im H i m m e l , n o c h auf d e r Er­

d e n , n o c h u n t e r der E r d e n ist« (365). Weiter u n t e n , im Z u s a m m e n h a n g der E r ö r t e r u n g der E i n b i l d u n g s k r a f t , zieht Kant in einer F u ß n o t e die

Originalveröffentlichung in: Talismane. Klaus Heinrich zum 701. Geburtstag, Sigrun Anselm und Caroline Neubaur (Hg.), Basel-Frankfurt/M. 1998, S. 102-113

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Inschrift auf d e m »verschleierten Bild zu Sais« als Gipfel des E r h a b e­

nen im D e n k e n u n d sprachlichen A u s d r u c k heran:

Vielleicht ist nie etwas Erhabeneres gesagt oder ein Gedanke erhabener aus­

gedrückt worden als in jener Aufschrift über dem Tempel der Isis (der Mut­

ter Natur): »Ich bin alles was da ist, was da war und was da sein wird, und meinen Schleier hat kein Sterblicher aufgedeckt«.

Kant k o n n t e sich so u n b e s t i m m t a u s d r ü c k e n , d e n n diese Inschrift hat­

te damals jeder Gebildete im K o p f . Beethoven hatte sie sich in seiner eigenen H a n d s c h r i f t auf ein Blatt P a p e r geschrieben u n t e r Glas ge­

r a h m t auf den Schreibtisch gestellt. Sie galt als ein C r e d o des aufgeklär­

ten D e i s m u s u n d zugleich als ein Satz urältester ägyptischer Weisheit u n d G e h e i m t h e o l o g i e . K a n t verweist selbst auf eine der zahlreichen Variationen, die dieses T h e m a in der damaligen Zeit seiner H o c h k o n ­ j u n k t u r e r f u h r :

Segner benutzte diese Idee, durch eine sinnreiche, seiner Naturlehre vorge­

setzte Vignette, um seinen Lehrling, den er in diesen Tempel einzuführen be­

reit war, vorher mit dem heiligen Schauer zu erfüllen, der das Gemüth zu fei­

erlicher Aufmerksamkeit stimmen soll.'

Werfen wir, bevor wir uns mit d e m Motiv des verschleierten Bildes zu Sais weiter beschäftigen, einen Blick auf die Vignette, auf die K a n t sich bezieht:

W i r sehen eine verschleierte Figur, die d u r c h das große Sistrum in ihrer H a n d eindeutig als Isis gekennzeichnet ist. A b e r es handelt sich nicht u m ein Bild, s o n d e r n u m die G ö t t i n selbst. Es geht nicht u m ihre Ver­ o d e r Entschleierung, s o n d e r n d a r u m , d a ß m a n sie n u r »a postiori«

studieren k a n n . P u t t e n sind damit beschäftigt, ihre F u ß s p u r e n zu mes­

sen.

G e n a u so hatte schon Michael Maier in seiner Atalanta Fugiens das G e s c h ä f t der N a t u r w i s s e n s c h a f t e n dargestellt.

H i e r v e r k ö r p e r n nicht P u t t e n , s o n d e r n ein alter P h i l o s o p h mit Bril­

le u n d Laterne die N a t u r w i s s e n s c h a f t .

Es gibt aber auch Titelvignctten n a t u r k u n d l i c h e r W e r k e , die genau Kants G e d a n k e n illustrieren. Ein solches ziert z.B. die A n a t o m e A n i ­ malium von G e r h a r d Blasius (1681).

Immanuel Kant und Friedrich Schiller über Isis und das Erhabene 103

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Abb.i: Frontispiz zu Johann Andreas von Segner, Einleitung in die Naturlehre,

Göttingen '1770, nach Adolf Weis, Die Madonna Platytera, Königstein 1985, 9 fig. 1.

Abb. 2: Michael Meier, Atalanta Fugiens, Nr. 71 (1618)

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Abb. 3: Frontispiz zu Gerhard Blasius, Anatome Animalium, 1681, nach P.

Hadot, Zur Idee der Naturgeheimnisse. Beim Betrachten des Widmungsblat­

tes in den Humholdtschen >Ideen zu einer Geographie der Pflanzern , Akade­ mie der Wiss. u. d. Lit. Mainz 1982 Nr. 8, Abb. 2.

Immanuel Kant und Friedrich Schiller über Isis und das Erhabene 105

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Hier sehen wir tatsächlich den Vorgang der Entschleierung darge­

stellt. Die Naturwissenschaft erscheint hier in der Rolle einer Prieste­

rin oder Hierophantin, die dem Adepten die verschleierte Göttin ­ oder ihr Bild? ­ enthüllt. Das Bild erweist sich als die genaue Umkeh­

rung der Segner'sehen Konzeption. Denn hier schaut der zeichnende Putto die entschleierte Natur von Angesicht zu Angesicht. Immerhin erhebt er die linke Hand zu einem leichten Gestus der Anbetung, wie um solche Respektlosigkeit zu kompensieren. O b die anmutige Dar­

stellung allerdings dazu angetan war, das Gemüt des Adepten mit heiligem Schauer zu erfüllen, bleibe dahingestellt. Das war vermutlich im 17. Jahrhundert noch kein Anliegen der Buchillustratoren oder ih­

rer Auftraggeber. Doch hundert Jahre später findet sich auch das. Ei­

ner der letzten, der das Motiv der ver­ bzw. entschleierten Isis aufgriff, um es einem Werk der Naturphilosophie voranzustellen, ist Heinrich Füßli.

Füßli stellt nicht nur den Vorgang der Entschleierung dar, sondern auch die Wirkung, die dieser Akt auf die Initiandin hat, die mit einer Geste, die zugleich Fassungslosigkeit, Erschrecken und Entzücken ausdrückt, auf diesen Anblick reagiert. Dadurch erst erhält das Bild jene affektive Besetzung von »heiligem Schauer« und »feierlicher Auf­

merksamkeit«, die Kant schon in die Segner'sche Vignette hineingele­

sen hatte. Erst hier wird wirklich eine Initiation dargestellt. Füßli schuf dieses großartige Bild für Erasmus Darwin, dessen Lehrgedicht The

Temple of Nature 1809 erschien. In diesem Gedicht griff Darwin ­ der

Großvater von Charles Darwin ­ auf die Eleusinischen Mysterien zurück und verglich die Geheimnisse der Natur mit den Arcana der an­

tiken Mysterienreligionen, wie sie William Warburton in seinem drei­

bändigen Werk The Divine Legation of Moses (s. Anm. 11) aus unge­

zählten Zeugnissen antiker Autoren dargestellt hatte. Hier erfährt das Motiv vom Verschleierten Bild zu Sais nun genau die Ausdeutung, die Kant in das Frontispiz des Buches von Segner hineingelesen hatte. Hier ging es wirklich um die Einführung in den »Tempel« der Natur und um den »heiligen Schauer«, mit dem der Initiand dabei erfüllt werden soll.

Kant hatte vollkommen recht, auch wenn er sich in der Interpretation der Segner'schen Vignette ikonographisch geirrt hatte: die Begriffe

»Natur«, »Isis«, »Mysterien« und »Einweihung« gehörten im damali­

gen Denken zusammen, und die Erforschung der Natur inszenierte

sich auf Titelblättern mit Vorliebe als Einweihung in die Mysterien der

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Abb. 4: Heinrich Füßli, Frontispitz zu Erasmus Darwin, The Temple of Nature, or, The Origin of Society. A Poem. (1809)

Isis. Pierre H a d o t ist diesen Z u s a m m e n hä n g e n in einer w u n d e r b a r e n Arbeit ü b e r Bertil T h o r v a l d s e n s W i d m u n g s b l a t t »an G ö t h e « zu Alex­

ander von H u m b o l d t s Geographie der Pflanzen (1807) nachgegangen,

I m m a n u e l K a n t u n d F r i e d r i c h S c h i l l e r ü b e r Isis u n d d a s E r h a b e n e 107

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das in derselben Tradition steht, n u r d a ß hier die Entschleierung der N a t u r d e m G e n i u s der Poesie zugeschrieben wird, nicht der N a t u r w i s­ s e n s c h a f t . G o e t h e hat diese Z u m u t u n g natürlich v o n sich gewiesen, stand er d o c h auf d e m S t a n d p u n k t , d a ß es hier nichts zu entschleiern gibt, weil alles, was d r i n n e n , auch d r a u ß e n ist ­ »heilig öffentlich G e ­ heimnis«.

im/

Abb. 5: Widmungsblatt »an Göthe« von Bertil Thorvaldsen, in A. v. Humboldt, Ideen zu einer Geographie der Pflanzen, (1807), nach P. Hadot, Zur Idee der

Naturgeheimnisse. Beim Betrachten des Widmungsblattes in den Humboldtschen Jdeen zu einer Geographie der Pflanzen-, Akademie der Wiss. u. d. Lit. Mainz 1982 Nr. 8, Abb. 1.

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Kants Einfall, dieses Motiv mit der Idee des E r h a b e n e n z u s a m m e n z u­

bringen, ist genial u n d hätte w o h l in einer »Analytik des E r h a b e n e n « einen p r o m i n e n t e r e n Platz verdient als eine F u ß n o t e . Vielleicht ist des­

halb dieser A s p e k t des E r h a b e n e n , der mit Religion, M y s t e r i u m u n d E i n w e i h u n g zu tun hat, bisher in der A u s e i n a n d e r s e t z u n g u m Kants E r h a b e n e s auch nicht b e r ü c k s i c h t i g t w o r d e n .4D a s E r h a b e n e ü b e r ­ steigt die Begriffe u n d die E i n b i l d u n g s k r a f t u n d ist uns d o c h auf b e s o n ­ dere Weise zugänglich. Es erfüllt uns mit heiligem Schauer, gerade auf­

g r u n d seiner E n t z o g e n h e i t u n d » U n a n g e m e s s e n h e i t « , an d e r die menschliche E i n b i l d u n g s k r a f t scheitert, ü b e r die aber gleichwohl die V e r n u n f t ins U n n a c h v o l l z i e h b a r e hinauszugreifen vermag. So wie der bildlose G o t t ist auch die verschleierte Isis den menschlichen Begriffen u n d d e m Vorstellungsvermögen e n t z o g e n . U n d d o c h ist diese E n t z o ­ genheit ein F a s z i n o s u m , das uns fesselt d u r c h den heiligen Schauer, den das E n t z o g e n e u n d Geheimnisvolle einflößt. G o t t ist bildlos, weil er alles ist u n d weil kein N a m e u n d kein Bild seine G r ö ß e fassen k a n n . E b e n s o ist Isis n o t w e n d i g verschleiert, weil sie alles ist, alles was da war, was da ist u n d was da sein w i r d . N i c h t weil sie unsichtbar ist, s o n ­ dern weil sie alles ist, entzieht sie sich unseren Blicken. D a s E r h a b e n e ist unabbildbar, u n b e n e n n b a r u n d unentschleierbar.

B e r ü h m t g e w o r d e n ist das Verschleierte Bild zu Sais nicht d u r c h Kants F u ß n o t e , s o n d e r n d u r c h Schillers Ballade. Diese erschien aber erst 1795, fünf Jahre nach Kants Kritik der Urteilskraft (1790). M a n k ö n n t e m e i n e n , d a ß Schiller erst d u r c h Kant auf dieses Motiv gebracht w o r d e n sei. D a s s t i m m t aber nicht, d e n n schon im Jahre 1789 hielt Schiller eine Vorlesung ü b e r »Die S e n d u n g Moses«, in der er ebenfalls den bildlosen G o t t der J u d e n u n d die verschleierte Isis der Ä g y p t e r zusammenstellte u n d mit d e m Begriff des E r h a b e n e n in V e r b i n d u n g brachte.' Schiller kam es jedoch weniger auf die Bildlosigkeit als auf die N a m e n l o s i g k e i t des biblischen G o t t e s an. Er deutete J a h w e h s Selbstetymologisierung ehyeh aser e h y e h , »Ich bin der ich bin« (Ex. 3,14), als die Vorenthal­

t u n g eines N a m e n s u n d verglich sie mit der Einsicht der ägyptischen Weisen, der G o t t h e i t keinen N a m e n zu geben. In dieser Idee der A n ­ o n y m i t ä t G o t t e s erblickte Schiller den Inbegriff des E r h a b e n e n .

»Nichts ist erhabener, als die einfache Größe, mit der sie von dem Welt­

schöpfer sprachen. Um ihn auf eine recht entscheidende Art auszu­

zeichnen, gaben sie ihm gar keinen Namen.«6

Immanuel Kant und

Friedrich

Schiller über Isis und das Erhabene 109

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Was die N a m e n l o s i g k e i t der ä g y p t i s c h e n G o t t e s i d e e a n g e h t , b e z o g sich Schiller nicht n u r auf das Verschleierte Bild zu Sais, s o n d e r n auch auf den Traktat Asclepius des C o r p u s H e r m e t i c u m , w o es im 20. Kapi­

tel heißt, daß G o t t »namenlos ist, weil er ja einer u n d alles ist, sodaß m a n e n t w e d e r alles mit seinem N a m e n o d e r ihn selbst mit d e m N a m e n von allem b e n e n n e n muß.«7Dieser All­Eine G o t t ist dieselbe G o t t h e i t , die sich auf d e m Verschleierten Bild zu Sais als »alles, was da war, was da ist u n d was sein wird« m e h r verhüllt als zu e r k e n n e n gibt.

In seiner Schrift Vom Erhabenen (1793) k o m m t Schiller auf die Sai­

tische Inschrift z u r ü c k . H i e r ist es v o r allem die Verhüllung, das G e ­ h e i m n i s v o l l ­ E n t z o g e n e der saitischen G o t t h e i t , in der er den Inbegriff des E r h a b e n e n erblickt:

Alles, was verhüllt ist, alles Geheimnisvolle, trägt zum Schrecklichen bei und ist deswegen der Erhabenheit fähig. Von dieser Art ist die Aufschrift, welche man zu Sais in Ägypten über dem Tempel der Isis las: »Ich bin alles, was ist, was gewesen ist und was sein wird. Kein sterblicher Mensch hat meinen Schleier aufgehoben.«8

W i r stoßen hier auf einen Begriff des E r h a b e n e n , der noch wenig er­

forscht scheint u n d der seine W u r z e l n in der Religionsgeschichte hat.

D a s E r h a b e n e k e n n z e i c h n e t einerseits die G o t t e s i d e e des A l l ­ E i n e n , die Moses aus Ä g y p t e n b e z o g e n hat, u n d andererseits das A m b i e n t e der ägyptischen Mysterien, die den N e o p h y t e n mit »heiligem Schau­

er« erfüllen, u m ihn z u r A u f n a h m e des geheimnisvollen Wissens vor­

zubereiten. Im J a h r e 1795 greift Schiller den Stoff d a n n n o c h m a l s auf in seiner schon e r w ä h n t e n Ballade »Das verschleierte Bild zu Sais«, in der er d e m Wissensdrang u n d W a h r h e i t s d u r s t des Jünglings, des E u r o ­ päers, die Weisheit des Ä g y p t e r s gegenüberstellt. Novalis gibt d a n n in seiner Schrift Die Lehrlinge zu Sais d e r G e s c h i c h t e eine Fichte'sehe W e n d u n g . D e r J ü n g l i n g , d e r schließlich ins Allerheiligste v o r d r i n g t u n d das Bild der Wahrheit entschleiert, erblickt ­ sich selbst.

D e r ganze G e d a n k e n k o m p l e x , wie er sich uns jetzt darstellt ­ die U b e r l i e f e r u n g des Verschleierten Bildes zu Sais, die auf Plutarch u n d Proklos z u r ü c k g e h t , die Idee des a n o n y m e n all­einen G o t t e s , die der hermetische Traktat Asclepius entwickelt, die D e u t u n g von Ex. 3,14 als V o r e n t h a l t u n g eines N a m e n s o d e r O f f e n b a r u n g der N a m e n l o s i g k e i t G o t t e s u n d der Begriff des Geheimnisses und des E r h a b e n e n ­ , b e r u h t

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auf einer geradezu barocken Gelehrsamkeit, die m a n mit d e m D i c h t e r u n d Schriftsteller, ja selbst mit d e m f r i s c h g e b a c k e n e n J e n a e r G e­ schichtsprofessor Friedrich Schiller n u r z ö g e r n d in V e r b i n d u n g bringt.

Diese Gelehrsamkeit s t a m m t auch tatsächlich, wie sich zeigen läßt, aus d e m 17. J a h r h u n d e r t . Zwei Hebraisten in C a m b r i d g e hatten diese p a n ­ theistisch a n m u t e n d e K o n s t r u k t i o n der ä g y p t i s c h e n M y s t e r i e n ge­

schaffen u n d sie mit d e m biblischen M o n o t h e i s m u s in V e r b i n d u n g ge­

bracht: J o h n Spencer in seinem Buch ü b e r die ägyptischen R i t e n ' u n d Ralph C u d w o r t h in seinem Buch ü b e r die ägyptische G e h e i m t h e o l o ­ gie.10 60 J a h r e später hatte William W a r b u r t o n diese beiden Ansätze in seinem W e r k The Divine Legation of Moses z u s a m m e n g e b r a c h t u n d darin eine f ü r das ganze 18. J a h r h u n d e r t maßgebliche Darstellung der altägyptischen Mysterien e n t w o r f e n . " In diesen Mysterien erblickten die F r e i m a u r e r ihr großes Vorbild; Ignaz von B o r n , Meister v o m Stuhl der Loge »zur w a h r e n Eintracht« in Wien, startete ein großangelegtes F o r s c h u n g s p r o g r a m m , das er selbst mit einer Schrift ü b e r die »Myste­

rien der Aegyptier« e r ö f f n e t e u n d das d a n n v o n vielen gelehrten L o ­ g e n b r ü d e r n mit den Mysterien von S a m o t h r a k e , den eleusinischen, ka­

birischen, o r p h i s c h e n u n d a n d e r e n M y s t e r i e n f o r t g e s e t z t wurde.1 2

M o z a r t , Mitglied einer Tochterloge u n d ständiger Gast in der »Wahren Eintracht«, setzte dieser Mysterienfaszination in der Z a u b e r f l ö t e ein D e n k m a l . D e r b e d e u t e n d s t e Beitrag z u m M y s t e r i e n p r o j e k t s t a m m t e von d e m jungen Karl L e o n h a r d R e i n h o l d , 1783 Mitglied der Loge z u r w a h r e n Eintracht u n d ab 1788 Philosophieprofessor in Jena: Die He­

bräischen Mysterien oder die älteste religiöse Freymaurerey, Leipzig

1787.'' Mit diesem Buch schließt sich der Kreis, d e n n es b e r u h t einer­

seits auf den Werken von Spencer, C u d w o r t h u n d W a r b u r t o n u n d reg­

te andererseits Schiller, den F r e u n d von R e i n h o l d , zu seinem Versuch ü b e r M o s e s an. Vergleicht man R e i n h o l d s maurerischen Traktat u n d Schillers Essay, d a n n fällt sofort auf, daß Schiller so gut wie alles v o n R e i n h o l d ü b e r n o m m e n hat, d a r u n t e r auch u n d v o r allem die k ü h n e T h e s e , d a ß der M o n o t h e i s m u s aus der G e h e i m t h e o l o g i e der ägypti­

schen Mysterien s t a m m t u n d die mosaischen Ritualgesetze eine U m ­ k o d i f i z i e r u n g d e r ä g y p t i s c h e n H i e r o g l y p h e n darstellen, also einen Schleier von Geheimnissen, den Moses wie seine ägyptischen Lehrmei­

ster u m die W a h r h e i t legte. Z u d e n wenigen p e r s ö n l i c h e n Beiträgen Schillers zu dieser D e b a t t e gehört jedoch der Begriff des E r h a b e n e n , mit d e m er den Gottesbegriff der Ä g y p t e r charakterisiert. D a m i t ge­

I m n u n u c l K a n t u n d Friedrich S c h i l l e r ü b e r I s i s u n d d a s E r h a b e n e

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lingt Schiller etwas Entscheidendes: die G e w i n n u n g eines einheitlichen B e z u g s p u n k t e s von Religion, P h i l o s o p h i e u n d K u n s t . Seine Verbin­

d u n g zwischen der religionsgeschichtlichen Kategorie des M y s t e r i u m s u n d der philosophischen u n d ästhetischen Kategorie des E r h a b e n e n er­

weitert die Religion u m die ästhetische u n d die Kunst u n d Philosophie u m die religiöse D i m e n s i o n . Schiller zeigt, wie eng in der K o n f r o n t a ­ tion mit d e m E r h a b e n e n religiöse u n d ästhetische E r f a h r u n g ineinan­

der übergehen u n d in welchem U m f a n g die Inszenierung des E r h a b e ­ nen in den antiken Mysterien eine Vorschule der K u n s t darstellt. F ü r eine solche Einheit von Religion, K u n s t u n d Philosophie im Zeichen des E r h a b e n e n galt ihm die ägyptische Religion als Vorbild.

In der derzeitigen D e b a t t e um das E r h a b e n e scheint diese Einheit verloren gegangen zu sein. W e n n es aber u n t e r den H e u t i g e n einen D e n k e r gibt, der K u n s t , Religion u n d Philosophie als Einheit sieht u n d die gemeinsamen T h e m e n u n d Anliegen dieser drei A u s d r u c k s f o r m e n schöpferischer Reflexivität u n v e r k ü r z t in allen D i m e n s i o n e n ihrer Be­

d e u t u n g zu b e h a n d e l n u n d zu e n t f a l t e n v e r s t e h t , d a n n ist es Klaus H e i n r i c h , d e m diese Zeilen in Verehrung u n d z u r E r m u t i g u n g gewid­

met sind.

Anmerkungen

1 Jan Assmann, Moses the Egyptian. The Memory of Egypt in Western Mono- theism, Cambridge (Mass.), 1997; dt. Moses der Ägypter. Entzifferung einer Gedächtnisspur, München 1998.

2 Ich zitiere Kants Kritik der Urteilskraft nach der Ausgabe von W. Wcischc- del (Hg.), Werke in zehn Bänden, Darmstadt 1968, Bd. 8.

3 Ebd., S. 417.

4 Christine Pries, Übergänge ohne Brücken. Kants Erhabenes zwischen Kritik und Metaphysik, Berlin 1995; dies. (Hg.), Das Erhabene. Zwischen Grenzer­

fahrung und Größenwahn, Weinheim 1989.

5 H. Koopmann (Hg.), Sämtliche Werke IV: Historische Schriften, München 1968, S. 737-757

6 Ebd., S. 745.

7 C. Colpc, J. Holzhausen, Das Corpus Hermeticum Deutsch, Stuttgart-Bad Cannstatt 1997, S. 280.

(12)

8 Sämtliche Werke V: Erzählungen/Theoretische Schriften, hrsg. v. G . Fricke und H . G . Gö p f c r t , München '1984, S. 508.

9 De Legibus Hebraeorum Ritualibus et earum rationibus, Cambridge 1685.

10 The True Intellectual System of the Universe: the First Part, wherein All the Reason and Philosophy of Atheism is Confuted and its Impossibility Demon- strated (1. Auflage L o n d o n 1678; 2. Auflage L o n d o n 1743).

11 The Divine Legation of Moses Demonstrated on the Principles of a Religious Deist, from the Omission of the Doctrine of a Future State of Reward and Pitnishment in the Jewish Dispensation, 1738-1741; 2. Aufl. L o n d o n 1778.

12 »Über die Mysterien der Ägyptier«, Journal für Freymaurer, 1 (1784), S. 17- 132. Die weiteren Beiträge zu antiken Mysterien sind in den folgenden 10 Bänden des Journals für Freymaurer publiziert.

13 Leipzig 1788 [1787]. Zu Schillers Abhängigkeit von Reinhold s. Christine Harraucr, "Ich bin, was da ist...«. Die Göttin von Sais und ihre Deutung von Plutarch bis in die Goethezeit, in: Sphairos. Wiener Studien. Zeitschrift für Klassische Philologie und Patristik 107/108, Wien 1994/95, S. 337-355; in meinem Buch Moses the Egyptian gehe ich auf S. 115-143 auf Rcinhold und Schiller ein. S. jetzt besonders auch W. D . H a r t w i c h , Die Sendung Moses, München 1997, S. 21-50.

Immanuel Kant und Friedrich Schiller über Isis und das Erhabene 1 1 3

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