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Nutzen und Risiken von AntidementivaBei Alzheimer-Demenz sind Acteylcholinesterasehemmer indiziert

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Vor einem Behandlungsbeginn mit AH muss die Diagnose einer Alzheimer-Demenz vorliegen. Zunächst ist das De- menzsyndrom mit alltagsrelevanter Störung von Gedächtnis und geistiger Leistungsfähigkeit festzustellen, und danach sind andere Ursachen auszuschliessen. Zu den erforderlichen Diagnostikverfahren gehört auch die bildgebende Untersu- chung des Gehirns. Es entspricht der heutigen Versorgungs- praxis, dass die Mehrzahl der Patienten mit Alzheimer-, vas- kulärer oder gemischter Demenz vom Hausarzt behandelt wird.

Wirkungen und Nebenwirkungen

Die S3-Leitlinie «Demenzen» der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Ner- venheilkunde (DGPPN) und der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) empfehlen AH bei Alzheimer-Demenz (Kasten 1) (1). Diese seien «wirksam in Hinsicht auf die Fähigkeit zur Verrichtung von Alltagsaktivitäten, auf die Besserung kognitiver Funktionen und auf den ärztlichen Ge-

samteindruck bei leichter bis mittelschwerer Alzheimer-De- menz». Neue Erkenntnisse zur Verträglichkeit der AH gibt es aus VigiBase, der Pharmakovigilanzdatenbank der Weltge- sundheitsorganisation (WHO). Sie sammelte zwischen 1998 und 2013 über 40 000 Nebenwirkungsmeldungen (adverse drug reactions, ADR) unter AH (2). Dabei war die Vertei- lung der Nebenwirkungen über die drei untersuchten AH (Donepezil [Aricept® und Generika], Galantamin [Reminyl® und Generika], Rivastigmin [Exelon® und Generika]) gleich- mässig und entsprach in etwa ihren Verordnungsanteilen.

Eine Besonderheit waren Hautreaktionen unter Rivastigmin seit Einführung des Pflasters mit dieser Substanz 2008. Über 70 Prozent der ADR wurden als ernsthaft eingeordnet, das heisst, sie waren tödlich oder lebensbedrohlich, erforderten eine stationäre Behandlung oder deren Verlängerung, führ- ten zu anhaltender oder vorübergehend starker Beeinträch- tigung oder lösten andere medizinische Massnahmen aus.

Häufiger als anhand der Zulassungsstudien zu erwarten, wur- den kardiovaskuläre Nebenwirkungen berichtet, die mit der cholinergen Wirkung der AH in Zusammenhang stehen, also AV-Block, Linksschenkelblock, Bradykardie oder Synkopen.

Vor einer AH-Behandlung empfiehlt sich deshalb ein EKG, unter Umständen auch mit weiteren Kontrollen im Verlauf.

Zudem traten Beschwerden im Zusammenhang mit ver- mehrter Magensäuresekretion, Urininkontinenz, Tremor oder Krampfanfälle auf. Als auslösende Faktoren erwiesen sich körperliche Multimorbidität und Polypharmazie. Etwa ein Drittel der Nebenwirkungen von AH geht auf Arznei- mittelwechselwirkungen zurück. Deshalb ist es ratsam, in- dividuell zwischen Nutzen und Risiken abzuwägen und vor allem bei körperlicher Multimorbidität, Gebrechlichkeit und Polypharmazie vorsichtig zu sein.

In den Studien, in denen man AH kontrolliert absetzte, zeig- ten sich aber auch eine Verschlechterung der kognitiven Leis- tungsfähigkeit und eine Zunahme der Verhaltensstörungen (3). Alzheimer-Patienten sollte man daher eine Behandlung mit AH nicht ohne gute Gründe vorenthalten.

FORTBILDUNG

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Nutzen und Risiken von Antidementiva

Bei Alzheimer-Demenz sind Acteylcholinesterasehemmer indiziert

Acetylcholinesterasehemmer (AH) gelten heute bei der Alzheimer-Demenz als Medikamente der ersten Wahl. Ihre Wirksamkeit auf geistige Leistungsfähigkeit, Alltagsfertigkeiten und Verhaltens- störungen ist gut nachgewiesen. Bei anderen Demenzformen ist die Studienlage nicht so eindeutig.

Grundsätzlich sollte man sich bei der Auswahl des AH an den Neben- und Wechselwirkungen orientie- ren, da sich die Substanzen in ihrer Wirksamkeit kaum unterscheiden.

Georg Adler

� Vor einem Behandlungsbeginn mit Acetylcholinesterase- hemmern (AH) muss die Diagnose einer Alzheimer-Demenz vorliegen.

� Es ist ratsam, bei der Verordnung von Antidementiva indivi- duell zwischen Nutzen und Risiken abzuwägen und vor allem bei körperlicher Multimorbidität, Gebrechlichkeit und Poly- pharmazie vorsichtig zu sein.

� Trotz des Nebenwirkungspotenzials der AH sollte man Alz- heimer-Patienten eine Behandlung mit diesen Antidemen- tiva nicht ohne gute Gründe vorenthalten.

� Bei der Auswahl des AH sollte man sich primär am Neben- und Wechselwirkungsprofil orientieren.

MERKSÄTZE

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Erfahrungen aus der Praxis

Die tatsächliche Verordnungspraxis für Antidementiva scheint nach einer Auswertung von Krankenkassendaten in Deutschland nicht im Widerspruch zu den Leitlinien zu stehen (4). Es zeigte sich, dass etwa ein Viertel aller Demenz- und über 40 Prozent der Alzheimer-Patienten Antidementiva – überwiegend AH – erhalten. Doch etwa ein Drittel aller De- menzpatienten wird mit Neuroleptika behandelt, was wegen deren Gefahrenpotenzials bedenklich erscheint.

Interessante Daten zur längerfristigen Behandlung mit AH stammen aus der Swedish Alzheimer Treatment Study (SWATS), einer seit 1997 an vielen Hunderten schwedi- schen Patienten durchgeführten Längsschnittstudie (5). Die detaillierte Erfassung ermöglicht die Kontrolle zahlreicher Krankheitsvariablen, wie Ersterkrankungsalter, körperliche Komorbidität oder individuell unterschiedliche Progredienz der Demenzerkrankung. Es zeigte sich, dass – bei Kontrolle dieser Variablen – die längere und höher dosierte Behand- lung mit einem AH ein unabhängiger Prädiktor für eine hö- here Lebenserwartung ist, vor allem für ein geringeres Herz- infarktrisiko und eine niedrigere kardiale Mortalität. Diese Befunde lassen sich mit der antiinflammatorischen Wirkung der AH, einer verminderten Zytokinproduktion und einem niedrigeren Serumzytokinspiegel in Verbindung bringen.

Ähnliche Ergebnisse zeigt eine taiwanesische Registerstudie (6). Hier wurden die Daten von über 37 000 Alzheimer-Pa- tienten im Alter von über 50 Jahren ohne Vorgeschichte für zerebrale Ischämien ausgewertet. Die Patienten mit und ohne AH wurden hinsichtlich zahlreicher für eine zerebrale Isch- ämie möglicherweise relevanter Faktoren gematcht. Es zeigte sich, dass unter AH das Risiko für eine zerebrale Ischämie innerhalb von fünf Jahren um etwa 20 Prozent vermindert war. Diesen Effekt führen die Autoren am ehesten auf die

entzündungshemmende und endothelschützende Wirkung der AH zurück.

Andere Antidementiva

Die bereits erwähnten S3-Leitlinien empfehlen auch Me- mantin (Axura®, Ebixa® und Generika) bei moderater oder mittelschwerer bis schwerer Alzheimer-Demenz. Es kann ein Add-on zu einer Medikation mit AH erwogen werden, ausserdem die Behandlung mit Ginkgoextrakt.

Nicht zu empfehlen sind Vitamin E, nicht steroidale Anti- rheumatika, Hormonersatztherapie, Selegilin, Cerebrolysin oder die älteren Nootropika.

Krankheitsmodifizierende Therapien

Die bisherigen medikamentösen Therapien lindern lediglich die Symptomatik der Alzheimer-Krankheit, beeinflussen je- doch meist nicht die zugrunde liegenden Prozesse auf der Ebene von Beta-Amyloid und Tau-Protein. Derzeit werden grössere Phase-IIb- und -III-Studien auf der Basis verschie- dener krankheitsmodifizierender Therapieprinzipien durch- geführt.

Mit den am weitesten entwickelten Substanzen verfolgt man das Ziel, die Beta-Amyloid-Menge im Gehirn zu vermindern.

Dies soll einerseits durch eine Verminderung der Beta-Amy- loid-Produktion, zum Beispiel durch Beta-Sekretase-Hem- mer, erreicht werden, andererseits durch eine Förderung der Beta-Amyloid-Elimination, zum Beispiel durch monoklonale Antikörper. Da angenommen wird, dass die Beta-Amylo- id-Pathologie der Entwicklung einer Alzheimer-Demenz um viele Jahre vorausgeht, behandelt man im Rahmen derarti- ger Therapiestudien überwiegend Patienten mit leichter oder prodromaler Alzheimer-Demenz oder Personen, bei denen noch keine kognitiven Einbussen aufgetreten sind, aber die Beta-Amyloid-Pathologie mit Hilfe von Liquoruntersuchung oder Amyloid-PET nachgewiesen wurde.

Medikamente bei anderen Demenzformen

Die S3-Leitlinien raten zur Behandlung der Grunderkran- kung. Auch Thrombozytenaggregationshemmer können sinnvoll sein. Die Ergebnisse einer Metaanalyse (7) sprechen bei vaskulärer Demenz für eine bessere kognitive Leistungs- fähigkeit unter AH (off label). Dies ist allerdings häufig mit Nebenwirkungen verbunden, vor allem mit Gewichtsab- nahme, Diarrhö, Brechreiz, Schlafstörungen oder Waden- krämpfen.

Häufiger als die rein vaskuläre ist wohl die gemischte De- menz, bei der man sowohl eine vaskuläre als auch eine Alz- heimer-Pathologie annimmt. Für diese Patienten empfehlen die S3-Leitlinien eine Behandlung wie bei der Alzheimer-De- menz.

Bei Parkinson-Demenz und Demenz mit Lewy-Körperchen kann gemäss S3-Leitlinien eine Behandlung mit Rivastig- min oder Donepezil erwogen werden (off label). Eine neuere Metaanalyse (8) zeigt, dass bei Parkinson-Demenz und De- menz mit Lewy-Körperchen die AH zu einer Verbesserung der kognitiven Leistungsfähigkeit und der Alltagsfertigkeiten sowie zu einer Abnahme von Verhaltensstörungen führen.

Die Behandlung ist nicht mit einer Verstärkung der moto- rischen Beeinträchtigungen verbunden. Es kam jedoch in allen Studien wegen anderer Nebenwirkungen zu mehr Be-

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Kasten:

Empfehlungen zu Acetylcholinesterasehemmern (AH) gemäss S3-Leitlinie «Demenzen» (1)

� Die höchste verträgliche Dosis ist anzustreben.

� Man soll sich bei der Auswahl des AH primär am Neben- und Wech- selwirkungsprofil orientieren, da keine ausreichenden Hinweise für klinisch relevante Unterschiede in der Wirksamkeit der verfügbaren Substanzen vorliegen.

� Die Umstellung auf einen anderen AH ist zu erwägen, wenn Zweifel an einem günstigen Verhältnis von Nutzen zu Nebenwirkungen auf- treten.

� Ein AH ist bei guter Verträglichkeit im leichten bis mittleren Sta- dium fortlaufend zu geben.

� Die Behandlung mit einem AH ist auch bei Progredienz ins mittlere bis schwere Krankheitsstadium fortzuführen, da das Absetzen des AH mit einem Risiko für klinische Verschlechterung assoziiert ist.

Ein Absetzversuch soll nur dann vorgenommen werden, wenn Zwei- fel an einem günstigen Verhältnis von Nutzen zu Nebenwirkungen auftreten.

� Auch eine Erstbehandlung mit AH bei Patienten im schweren Krank- heitsstadium ist in Betracht zu ziehen.

(3)

handlungsabbrüchen in den Verumgruppen. Diese Patienten werden – ähnlich wie jene mit frontotemporaler Demenz – zumeist von Neurologen oder Psychiatern behandelt.

Bei frontotemporaler Demenz geben die S3-Leitlinien keine medikamentöse Empfehlung. Ähnlich wie bei Parkinson-De- menz und Demenz mit Lewy-Körperchen führt eine sympto- matische Behandlung mit Neuroleptika häufig zu starken Nebenwirkungen, sodass medikamentöse Behandlungsalter- nativen erwogen werden sollten (9). s Prof. Dr. Georg Adler

Institut für Studien zur Psychischen Gesundheit (ISPG) Richard-Wagner-Strasse 2

68165 Mannheim

E-Mail: adler@ispg-mannheim.de

Interessenlage: Der Autor deklariert Beraterhonorare der Firmen Lilly, No- vartis und Biogen.

Dieser Artikel erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 9/2019. Die leicht bearbeitete Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autor.

Literatur:

1. Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nerven- heilkunde (DGPPN) und Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN):

S3-Leitlinie Demenzen (1. Revision), 2015, www.awmf.org

2. Kröger E et al.: Adverse drug reactions reported with cholinesterase inhibitors: an analysis of 16 years of individual case safety reports from VigiBase. Ann Pharmacother 2015; 49: 1197–1206.

3. O’Regan J et al.: Cholinesterase inhibitor discontinuation in patients with Alzheimer’s disease: a meta-analysis of randomized controlled trials. J Clin Psychiatr 2015; 76: e1424–e1431.

4. Bohlken J et al.: Pharmacotherapy of dementia in Germany: results from a nationwide claims database. Eur Neuropsychopharmacol 2015; 25:

2333–2338.

5. Wattmo C et al.: Longitudinal associations between survival in Alz- heimer’s disease and cholinesterase inhibitor use, progression, and community-based services. Dement Geriatr Cogn Disord 2015; 40(5-6):

297–310.

6. Lin YT et al.: Association between acetylcholinesterase inhibitors and risk of stroke in patients with dementia. Sci Rep 2016; 6: 29266.

7. Chen YD et al.: Efficacy of cholinesterase inhibitors in vascular dementia:

an updated meta-analysis. Eur Neurol 2016; 75: 132–141.

8. Matsunaga S et al.: Cholinesterase inhibitors for Lewy body disorders: a meta-analysis. Int J Neuropsychopharmacol 2015; 19(2), pii: pyv086.

9. Drach LM, Adler G: Medikamentöse Alternativen zu Antipsychotika bei Demenzkranken mit Verhaltensstörungen. Psychopharmakotherapie 2010; 17: 264–273.

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