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Die Terrorbekämpfung im Spannungsverhältnis zu der EMRK / eingereicht von Katharina Justus

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Academic year: 2021

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JOHANNES KEPLER UNIVERSITÄT LINZ Altenberger Straße 69 4040 Linz, Österreich www.jku.at DVR 0093696 Eingereicht von Katharina Justus Angefertigt am

Institut für Völkerrecht, Luft-fahrtrecht und

Internationale Beziehungen

Beurteilerin

Assoz. Univ.-Prof. Mag. Dr. Birgit Haslinger LL. M. (LSE)

März 2020

Die Terrorbekämpfung

im

Spannungsverhältnis

zu der EMRK

Diplomarbeit

zur Erlangung des akademischen Grades

Magistra der Rechtswissenschaften

im Diplomstudium

(2)

EIDESSTATTLICHE ERKLÄRUNG

Ich erkläre an Eides statt, dass ich die vorliegende Diplomarbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel nicht benutzt bzw die wörtlich oder sinngemäß entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe.

Die vorliegende Diplomarbeit ist mit dem elektronisch übermittelten Textdokument identisch.

Linz, 16.03.2020

(3)

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung ... 6

2. Terrorismus ... 7

2.1. Definition „Terrorismus“ ... 7

2.2. Formen von Terrorismus ... 8

2.2.1. Ideologische Einteilung ... 8 2.2.2. Räumliche Einteilung ... 9 3. Terrorbekämpfung ... 10 3.1. Operative Terrorismusbekämpfung ... 10 3.2. Strukturelle Terrorismusbekämpfung ... 11 4. Die Menschenrechte ... 11 4.1. Geschichtlicher Hintergrund ... 11 4.2. Universelle Menschenrechtsübereinkommen ... 12 4.3. Regionale Menschenrechtsübereinkommen ... 13 5. Die EMRK ... 14 5.1. Geschichtlicher Hintergrund ... 14 5.2. Geltungsbereich ... 15

5.3. Das Rechtsschutzsystem der EMRK ... 15

5.3.1. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ... 15

5.4. Ausgewählte Rechte der EMRK ... 16

5.4.1. Das Recht auf Leben (Art 2 EMRK) ... 17

5.4.2. Das Verbot der Folter (Art 3 EMRK) ... 18

5.4.3. Das Recht auf Freiheit und Sicherheit (Art 5 EMRK) ... 19

5.4.4. Das Recht auf ein faires Verfahren (Art 6 EMRK) ... 20

5.4.5. Das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art 8 EMRK) ... 20

6. Eingriffe in die EMRK durch Terrorbekämpfung ... 21

6.1. Terrorprävention ... 21

6.2. Eingreifen bei Anschlägen ... 24

(4)

7. Fazit... 31 8. Literaturverzeichnis ... 32 9. Judikaturverzeichnis ... 35

(5)

Abkürzungsverzeichnis

Abs Absatz

Art Artikel

BVerfG (deutsches) Bundesverfassungsgericht

bzgl Bezüglich

bzw Beziehungsweise

ca Circa

EGMR Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte

EMRK Europäische Menschenrechtskonvention

etc et cetera

FG Festgabe

FS Festschrift

gem Gemäß

Hrsg Herausgeber

lit litera (Buchstabe)

lt Laut Rn Randnummer Rz Randzahl ua unter anderem UN Vereinte Nationen Vgl Vergleiche zB zum Beispiel

(6)

1. Einleitung

Die Kodifikation der Menschenrechte stellt ein herausragendes Kapitel der Menschheitsge-schichte dar. Einen internationalen Konsens darüber zu finden, welche Rechte dem Einzelnen zugesichert werden sollen, wäre noch vor wenigen Jahrhunderten ein undenkbares Unterfangen gewesen. Nun gibt es jedoch eine Anzahl an Menschenrechtskonventionen, die ein Bemühen um die Sicherung von Rechten darstellen. Viele davon sind mehr als ein bemühter Versuch, gehören sie doch zu den wichtigsten völkerrechtlichen Dokumenten überhaupt. Eines der bedeutendsten Dokumente ist die Europäische Menschenrechtskonvention1. Sie wurde bis heute von 47 Staaten

unterzeichnet. Außerdem beinhaltet sie nicht nur die Zusicherung von Rechten, sondern kennt auch ein Rechtschutzsystem.2

Ein weitreichendes Thema und auch eine potenzielle Gefahr für die Menschenrechte stellt der Umgang mit Terrorismus dar. Terrorismus ist zwar kein neues Phänomen, allerdings ist spätes-tens seit den Anschlägen in New York und Washington am 11. September 2001 mit über 3000 Toten ein neues Bewusstsein für seine Gefahren in den Köpfen der Menschen. Die Aktualität hat in den letzten 20 Jahren noch zugenommen, weitere Selbstmordattentate wurden etwa in London und Paris verübt. Das Gleichgewicht zwischen den Menschenrechten und deren Freiheiten einer-seits und ihren Einschränkungen im Namen der Sicherheit anderereiner-seits wurde durch diese An-griffe nachhaltig gestört.3 Die Folge ist ein weitreichendes Netz an Maßnahmen, die den „Krieg

gegen den Terror“ erfolgreich unterstützen sollen. Einschränkungen der Menschenrechte zum Er-mittlungszweck, aber auch als Präventivmaßnahme zur Abschreckung von Terroristen, sind keine Seltenheit. Auch durch Maßnahmen, die sich gegen die Akteure von Anschlägen richten, werden die Menschenrechte regelmäßig beschränkt.

Die vorliegende Arbeit setzt sich daher mit dem Thema der Menschenrechtsverletzungen durch Terrorismusbekämpfung auseinander und setzt den Fokus dabei auf die EMRK. Sie versucht, nicht nur einen Überblick über die Menschenrechte und deren Kodifizierungen zu geben, sondern auch das Thema Terrorismus und seine Bekämpfung aus dem Blickwinkel der EMRK zu beleuch-ten. Dazu werden auch Urteile des EGMR näher erläutert, die diesen Zusammenhang deutlich aufzeigen sollen.

1 Convention for the Protection of Human Rights and Fundamental Freedoms, 4. November 1950, ETS 5. 2 Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention. Ein Studienbuch6 (2016) 3.

3 Bierlein, Wertewandel durch Terrorgefahr – Sicherheitsgewinn durch Freiheitsverlust?, in FG Machacek/Matscher (2008) 51 (59).

(7)

2. Terrorismus

Noch am selben Tag der Terroranschläge des 11. Septembers 2001 auf die Twin Towers und das Pentagon verkündete der damalige US-Präsident George W. Busch den „Krieg gegen den Terror“. Dabei war der Kampf der USA, gemeinsam mit ihren Verbündeten gegen ihre – Anschläge ver-übenden – Feinde gemeint.4 Und doch stellt sich auch heute, fast 20 Jahre später, immer noch

die Frage, was genau unter „Terrorismus“ zu verstehen ist. Der Versuch einer einzigen Definition gestaltet sich nahezu unmöglich.5

2.1. Definition „Terrorismus“

Um die Auswirkungen des Kampfes gegen den Terrorismus auf die Menschenrechte zu analysie-ren, ist zuerst der Begriff „Terrorismus“ näher zu erläutern. Obwohl – oder vielleicht gerade weil – es das Phänomen Terrorismus bereits seit langer Zeit und in vielen verschiedenen Kulturkreisen gibt, konnte sich die internationale Staatengemeinschaft bislang nicht auf eine einheitliche Defini-tion einigen.6

Der Begriff „Terror“ stammt aus dem Lateinischen und bedeutet „Schrecken“7.Erste

Verwendun-gen in der französischen Sprache gibt es seit dem 14. Jahrhundert – seit dem 16. Jahrhundert verwendet man den Begriff auch im Englischen.8 Die heutige, gebräuchliche Verwendung

ent-stand in der Zeit der Französischen Revolution (1789-1799). Damals wurde der „Terror“ ein lega-les Instrument des Staates, um Gewalt auszuüben.9 Die Herrschaft von Maximilien de

Robe-spierre und den Jakobinern nannte man das „régime de la terreur“ 10, sie wurde als

„Schreckens-herrschaft“ 11 gesehen. Heute würde man diese Herrschaft als Staatsterrorismus bezeichnen.

Um-gekehrt wurde jeder, der die eigenen Ansichten mit Zwang und durch Einschüchterung zu verbrei-ten versuchte, als Terrorist bezeichnet.12

In vielen Fällen ist Terrorismus nur eine von verschiedenen Arten der Kriegsführung. Bei der heute gebräuchlichsten Form von Terrorismus handelt es sich allerdings um eine Form, die systematisch als Hauptwaffe eingesetzt wird. Dieser Terrorismus „von unten“ (als Gegenpol zum Staatsterro-rismus) entsteht aus den verschiedensten Gründen in unterschiedlichen Formen. Dabei sind reli-giöse Bewegungen ebenso zu nennen wie soziale Aufstände und politische Revolutionen. Als

4 Steiger, Das völkerrechtliche Folterverbot und der „Krieg gegen den Terror“ (2013) 7.

5 Vgl mit den mehr als 250 Definitionen in Schmid, The Routledge Handbook of Terrorism Research (2013) 99ff. 6 Steiger, Das Ringen um eine rechtliche Definition des Begriffs „Terrorismus“ auf internationaler Ebene, in Odendahl (Hrsg), Die Bekämpfung des Terrorismus mit Mitteln des Völker- und Europarechts (2017) 45, 46.

7Lošek in Stowasser, Latein-deutsches Schulwörterbuch1.(2018) „terror“ 690. 8 Schmid, The Routledge Handbook of Terrorism Research 41.

9 Schmid, The Routledge Handbook of Terrorism Research 41, 42. 10 Steiger in Odendahl (Hrsg) 47.

11 Laqueur, Terrorismus (1977) 7. 12 Laqueur, Terrorismus 7.

(8)

eines der frühesten Beispiele des Terrorismus „von unten“ sind dabei die Sicarii zu nennen13, eine

streng organisierte Sekte, deren Mitglieder Männer aus niederen Orden waren. Sie nahmen aktiv an den Kämpfen in Palästina in den Jahren 66-73 n. Chr. teil.14

Die Schwierigkeit, einen internationalen Konsens über die Begriffsbestimmung zu finden, wird un-ter anderem durch die unun-terschiedlichen, sich widersprechenden Inun-teressen der einzelnen Staa-ten erklärt. So gibt es zB StaaStaa-ten, die Freiheitskämpfer nicht unter den Begriff „TerrorisStaa-ten“ sub-sumiert sehen wollen. Diese Kämpfer versuchen das Selbstbestimmungsrecht der Völker gewalt-sam durchzusetzen. Andere Staaten hingegen haben ein großes Interesse daran, solche Frei-heitskämpfer als Terroristen zu verfolgen.15

Generell ist Laqueur zuzustimmen, wenn er meint, dass „alle spezifischen Terrorismusdefinitionen

ihre Mängel [haben], einfach weil die Realität stets komplizierter ist als jede Verallgemeinerung.“16

Als vielleicht kleinster gemeinsamer Nenner beim Versuch einer Definition ist wohl die von Thomas Oppermann zu nennen. Sie besagt, dass „Terrorismus im Kern nicht anders [ist] als die

Verneinung einiger der fundamentalsten Prinzipien des Rechtes überhaupt“.17

2.2. Formen von Terrorismus

2.2.1. Ideologische Einteilung

Die verschiedenen Formen können unter anderem anhand ihrer ideologischen Ziele kategorisiert werden. Diese Ziele können die unterschiedlichsten Formen annehmen.

2.2.1.1. Sozialrevolutionärer Terrorismus

Dem sozialrevolutionären Terrorismus folgen häufig Anhänger der marxistischen Idee. Das Ziel dieser Idee ist eine antikapitalistische, sozialistische Ordnung. Es geht hier darum, die Bevölke-rung zu mobilisieren und als „revolutionäres Subjekt“ in die Revolution einzubeziehen, um den Staat umzuformen. Als Beispiel wäre hier die Rote-Armee-Fraktion (RAF) in Deutschland zu nen-nen. 18

2.2.1.2. Vigilanter Terrorismus

Beim vigilanten Terrorismus handelt es sich um einen politisch rechts ausgerichteten Terrorismus, dessen Ziel es ist, die bestehende Ordnung bzw die subjektiv wahrgenommene Ordnung beizu-behalten. Ein Beispiel hierfür stellen die „White Supremecists“ in den USA dar.19

13 Der Name kommt von „sica“: ein kurzes Schwert, das die Sicarii unter ihren Mänteln versteckten und welches ihre bevorzugte Waffe darstellte.

14 Laqueur, Terrorismus 8.

15 Steiger in Odendahl (Hrsg) 45 (46).

16 Laqueur, Die globale Herausforderung (1987) 185.

17 Oppermann, Der Beitrag des Internationalen Rechts zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus, in FS Sch-lochauer (1981) 495 (496).

18 Flügler, Terrorismus und terroristisches Kalkül (2014) 32.

(9)

2.2.1.3. Ethnisch-nationalistischer Terrorismus

Beim ethnisch-nationalistischen Terrorismus ist das erklärte Ziel ein Errichten eines eigenen Staa-tes für eine bestimmte (Volks-)Gruppe. Mit dieser Volkgruppe geht eine starke Identifizierung ein-her. Das Ziel stellt aber auch ein Loslösen von einer Unterdrückung bzw einer Fremdherrschaft dar. Ein Beispiel hierfür ist die Irish Republican Army (IRA), die die Rückkehr von Nordirland zum restlichen Irland forderten.20

2.2.1.4. Religiöser Terrorismus

Ein verstärktes Aufkommen von religiösem Terrorismus ist seit dem Beginn der 1990er Jahre zu beobachten. Obwohl sich religiöse Terroristen einer göttlichen Macht unterwerfen, geht es auch immer um die religiöse Gruppierung in einem weltlichen Kontext. Das Ziel stellt dabei oftmals die Errichtung eines Gottesstaates für alle Gläubigen dar. Als Beispiel ist hier das Terrornetzwerk Al-Qaida zu nennen.21

2.2.2. Räumliche Einteilung

Um ein gewisses Ordnungsschema bei der Klassifikation von Terrorakten zu erhalten, können diese geographisch zugeordnet werden. Für die räumliche Zuordnung werden im Wesentlichen zwei, bzw drei Typen gewählt: „Domestic, global & transnational terrorism“.22

2.2.2.1. Nationaler Terrorismus (domestic terrorism)

Hierbei wird der Gewaltakt auf das Gebiet eines einzelnen Staates beschränkt. Sowohl das Opfer als auch der Täter besitzen dieselbe Staatsbürgerschaft. Zur Abgrenzung und zur Verdeutlichung der Komplexität dient das Beispiel der Gewaltakte von Palästinensern, die außerhalb des Gaza-streifens und des Westjordanlandes durchgeführt werden. Diese Attentate werden zum internati-onalen Terrorismus gezählt, wohingegen Gewaltakte von tschetschenischen Terroristen in Mos-kau als nationaler Terrorismus gelten.23

2.2.2.2. Internationaler Terrorismus (global terrorism)

Gewaltakte werden als internationaler Terrorismus beschrieben, wenn Täter und Opfer unter-schiedlichen Staaten angehören oder wenn ein Terrorist im Ausland aktiv wird. Konkret könnte man diese Art nochmal unterteilen. Manche Terroristen verüben zwar internationale Anschläge, haben dabei aber staatsinterne Ziele im Blick. Andere agieren im eigentlichen Sinn als internatio-nale Terroristen mit weltweiten Zielen aber auch weltweiten Gründen (dies nennt man auch

trans-nationaler Terrorismus).24

2.2.2.3. Transnationaler Terrorismus

Diese Form von Terrorismus kann zwar als Unterform des internationalen Terrorismus gesehen werden (siehe oben, Punkt 2.2.2.2.), aber eben auch als eigene Form. Zusätzlich kommt noch die Internationalisierung der Terroristen hinzu. Als Beispiel dient hier Al-Qaida, ein Terrornetzwerk,

20 Flügler, Terrorismus und terroristisches Kalkül 33; Steiger, Das völkerrechtliche Folterverbot und der „Krieg gegen den Terror“ 8, 9.

21 Flügler, Terrorismus und terroristisches Kalkül 34f; Steiger, Das völkerrechtliche Folterverbot und der „Krieg gegen den Terror“ 10.

22 Die Differenzierung folgt der von Flügler; Vgl Flügler, Terrorismus und terroristisches Kalkül 29ff. 23 Flügler, Terrorismus und terroristisches Kalkül 29.

(10)

das international agiert, internationale Agenden hat und ihre Mitglieder ebenso international re-krutiert.25

3. Terrorbekämpfung

Nicht nur die Definition des Begriffes „Terrorismus“ bereitet Schwierigkeiten. Auch die Art und Weise, wie Terrorismus häufig bekämpft wird, führt zu umfassenden und weitreichenden Erläute-rungen. Es fehlt an einem internationalen Konsens darüber, auf welche Art und in welcher Form die Terrorbekämpfung geführt wird. Dabei fehlt es bereits an einem Konsens der grundsätzlichen Art. So gäbe es die Möglichkeit mit zivilen und damit polizeilichen Methoden gegen den Terroris-mus vorzugehen oder aber die Möglichkeit militärische Methoden zu wählen26.27

3.1. Operative Terrorismusbekämpfung

Als operative Terrorismusbekämpfung bezeichnet man jene Maßnahmen, die gegen bestehende Strukturen ankämpfen. Sie kümmert sich darum, Personen festzunehmen und damit die Planung und Durchführung von Anschlägen zu verhindern. Diese Maßnahmen sind sowohl national als auch international durchführbar. Dazu werden spezielle Anti-Terror-Maßnahmen getroffen, aber auch Polizeibeamte, Zollbehörden, Strafverfolgungsbehörden und Gerichte, das Militär und der Zivil- und Katastrophenschutz, Finanz- und Wirtschaftsbehörden involviert. In diesen Bereichen spielen immer mehr staatliche und internationale Felder hinein, die immer stärker mit Maßnahmen zum Kampf gegen den Terror gerüstet werden. Diese Felder sind Migration, Datenschutz, Verkehr etc. Einige der typischen Maßnahmen, die zur operativen Terrorbekämpfung gesetzt wurden, sind: der Ausbau von Videoüberwachung aber auch die Verschärfung von Sicherheitskontrollen in öf-fentlichen Bereichen, die stärkere Überwachung des Luftverkehrs, stärkerer Schutz vor biologi-schen aber auch chemibiologi-schen Waffen, eine Verschärfung von Visa- und Einreisebestimmungen, die Erweiterung der Sicherheitsmerkmale auf Reisedokumenten zur Sicherung vor Fälschungen, Ausweisungen, Abschiebungen und Auslieferungen von verdächtigen Personen mit ausländi-schen Pässen, ein Verbot von Propaganda für Terrororganisationen. Des Weiteren sind die Ein-führung von Internetkontrollen und der Schutz von Datensystemen, Sanktionen (Androhung und Durchführung) gegen Staaten, Gruppierungen und Individuen, die der Unterstützung von Terror-gruppen verdächtigt werden und Maßnahmen zur Sperrung von Finanzquellen typische Maßnah-men.28

25 Flügler, Terrorismus und terroristisches Kalkül 31. 26 Steiger in Odendahl (Hrsg) 45 (47).

27 Die folgende Differenzierung folgt Schneckener; Vgl Schneckener, Transnationaler Terrorismus (2006) 198ff. 28 Schneckener, Transnationaler Terrorismus 198-200.

(11)

3.2. Strukturelle Terrorismusbekämpfung

Strukturelle Terrorismusbekämpfung zielt darauf ab, die Entstehungsbedingungen des Terroris-mus bzw seine Existenzbedingungen zu bekämpfen. Damit ist die Bekämpfung, sowohl seiner Ursachen als auch des begünstigenden Umfelds, gemeint. Dazu werden Maßnahmen getroffen, die in diplomatische aber auch sicherheits-, entwicklungs-, finanz-, kultur- und wirtschaftspoliti-sche Bereiche eingreifen. Diese Anstrengungen fokussieren sich auf den Nährboden, der Terro-risten schafft – dies ist eine mitunter jahrzehntelang andauernde, präventive Arbeit. Grundsätzlich sind viele dadurch geschaffene Maßnahmen auf nationaler, aber ebenso auf internationaler Ebene auch aus allgemeinen Gründen sinnvoll. In Hinblick auf eine nachhaltige Terrorbekämp-fung sind diese Maßnahmen jedoch elementar.Zu solchen Maßnahmen gehören zB das Schlich-ten von Bürgerkriegen und RegionalkonflikSchlich-ten. Dies ist eine Lehre der Anschläge vom 11. Sep-tember 2001. Aus regionalen Konflikten können sich globale Gefährdungen ergeben (Beispiel Af-ghanistan).29 Wichtig ist außerdem auch die Erweiterung und Intensivierung des interkulturellen

Dialogs. Dabei geht es um Aufklärungsarbeit und Dialogsuche, um das Frustrationspotenzial ein-zudämmen.30 Weiters ist die Stärkung von internationalen Normen und Regimes eine wichtige

Maßnahme. Damit einhergehend sind sowohl die Weiterentwicklung des Völkerrechts als auch die Stärkung der Rolle der internationalen Organisationen bei der Terrorismusbekämpfung von großer Bedeutung.31 Zusätzlich stellt die nachhaltige Stärkung der staatlichen Struktur eine

struk-turelle Maßnahme dar – ohne eine starke staatliche Organisation sind andere nachhaltige Maß-nahmen nicht durchsetzbar. Staatliches Handeln muss in seiner Legitimität erhaben sein. Dies gilt besonders gegenüber anderen innerstaatlichen Strukturen und Organisationen, die an seiner Stelle einspringen, um für Sicherheit und Ordnung zu sorgen.32

4. Die Menschenrechte

4.1. Geschichtlicher Hintergrund

Dem Völkerrecht unterliegt die Regelung der Beziehung zwischen Völkerrechtssubjekten. Völker-rechtssubjekte sind grundsätzlich einzelne Staaten. Davon abgesehen, besteht für den Heiligen Stuhl, das Internationale Komitee vom Roten Kreuz und die internationalen Organisationen eine partielle Völkerrechtssubjektivität.33

Die Beziehung zwischen natürlichen oder juristischen Personen und den Staaten, wird primär durch nationales Recht und eben nicht durch internationales Recht geregelt. Den natürlichen und

29 Schneckener, Transnationaler Terrorismus 215. 30 Schneckener, Transnationaler Terrorismus 222, 223. 31 Schneckener, Transnationaler Terrorismus 223. 32 Schneckener, Transnationaler Terrorismus 225.

(12)

juristischen Personen, denen im Laufe der letzten Jahrzehnte durch Menschenrechtserklärungen immer weitere Schutzrechte zugesagt wurden, kommt allerdings ein völkerrechtlicher Rechts-schutz zu, wenn dieser durch einen völkerrechtlichen Vertrag festgelegt wurde. Dies ist allerdings eine relativ neue Entwicklung der Rechtsgeschichte.34

Zu den Vorläufern des modernen Menschenrechtsschutzes zählen die ersten menschenrechtli-chen Dokumente, wie die Erklärung der Rechte der Mensmenschenrechtli-chen und Bürger (1789)35 in Frankreich.

Diese beruht auf den Ideen von Philosophen wie Locke, Raine und Rousseau.36 Wie bereits in

der ersten Menschenrechtserklärung der Neuzeit, der Virginia Bill of Rights von 177637,

beinhal-tete auch die französische Erklärung ein universales Verständnis von Rechten, die bereits von Geburt an jedem Menschen gegeben sind. Dabei ist jedoch zu beachten, dass in jenen Erklärun-gen diese angeborenen Rechte keineswegs für jeden Menschen galten. Die Menschenrechte wa-ren in der französischen Erklärung eher als (Staats-) Bürgerrechte zu sehen. Im Fall der Bill of Rights war die Phrase „alle Menschen sind von Natur aus in gleicher Weise frei und unabhängig und sie besitzen bestimmte angeborene Rechte […]“ (Art 1) noch viel enger zu sehen – sowohl Sklaven und indigene Völker als auch ein Großteil der Frauen wurden durch diese Grundrechte nicht begünstigt.38

Bis zu den Schrecken des Zweiten Weltkrieges herrschte ein internationaler Konsens darüber, dass die eigenen Staatsangehörigen nach eigenem Ermessen behandelt werden können. Erst danach wurde die internationale Dimension der Wichtigkeit von Menschenrechten erkannt. Mit Inkrafttreten der UN-Charta39 erreichten die Menschenrechte durch eine umfassende

Kodifizie-rung den Status eines völkerrechtlichen Regelungsgegenstandes.40

4.2. Universelle Menschenrechtsübereinkommen

Die Judenverfolgung der Nationalsozialisten während des Zweiten Weltkrieges startete eine De-batte über die Möglichkeit und Notwendigkeit einer universellen Menschenrechtserklärung in der internationalen Gemeinschaft. Diese führte zur Kodifizierung der Achtung vor Menschenrechten in Art 1 der Charta der Vereinten Nationen 1945.41 Unter der Leitung von Eleonore Roosevelt und

34 Shaw, International Law8 (2017) 215.

35 Déclaration des Droits de l'Homme et du Citoyen de 1789, https://www.legifrance.gouv.fr/Droit-francais/Constitu-tion/Declaration-des-Droits-de-l-Homme-et-du-Citoyen-de-1789 (abgefragt 15.03.2020).

36 Heintze in Epping/Heintschel von Heinegg (Hrsg) 693.

37 The Virginia Declaration of Rights 1776, https://www.archives.gov/founding-docs/virginia-declaration-of-rights (ab-gefragt 15.03.2020).

38 Kälin/Künzli, Universeller Menschenrechtsschutz. Der Schutz des Individuums auf globaler und regionaler Ebene (2019) 4.

39 UN General Assembly, International Bill of Human Rights, A/RES/217/A-(III) (1948). 40 Heintze in Epping/Heintschel von Heinegg (Hrsg) 693.

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René Cassin entstand eine rechtlich unverbindliche Deklaration: Die Allgemeine Menschenrecht-serklärung vom 10. Dezember 194842. Es war vorgesehen, die unverbindliche Deklaration Schritt

für Schritt zu einem verbindlichen Völkerrechtsvertrag zu wandeln.43 Die Vorbereitungen für

die-sen Prozess dauerten länger als ursprünglich geplant. Schlusdie-sendlich wurde jedoch am 16. De-zember 1966 in der Generalversammlung der Vereinten Nationen das Ergebnis des Kodifikations-prozesses durch Beschluss ohne Gegenstimmen angenommen.44 Durch die bisherige Resolution

konnte keine Rechtsbindung erzeugt werden. Diese entstand mit den beiden Pakten: dem Inter-nationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR)45 und dem Internationale Pakt über

wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPwskR)46.Zehn weitere Jahre später, erfolgte 1976

ihre 35. Ratifikation – diese letzte Ratifikation war für das Inkrafttreten notwendig. Gemeinsam mit der Allgemeinen Menschenrechtserklärung stellen sie den Grundrechtskatalog der UN dar, die „International Bill of Rights“.47

4.3. Regionale Menschenrechtsübereinkommen

Bei den regionalen Menschenrechtsübereinkommen und deren Einfluss ist zwischen den einzel-nen Übereinkommen zu differenzieren. In Bezug auf den Einfluss ist die Europäische Menschen-rechtskonvention48 besonders hervorzuheben. Ihr kommt eine so große Bedeutung zu, dass sie

sogar im Vergleich zu den universellen Menschenrechtskonventionen eine deutlich prominentere Stellung einnimmt.49

Allerdings übt auch die amerikanische Menschenrechtskonvention in den lateinamerikanischen Ländern einen großen Einfluss aus. Die Interamerikanische Menschenrechtskonvention (AMRK) vom 22. November 196950 wurde zwar von Venezuela und Trinidad und Tobago wieder

aufge-kündigt und von den USA, Kanada und einigen karibischen Staaten erst gar nicht ratifiziert, aller-dings verfügt sie über eine Rechtsschutzeinrichtung und einer großen Bedeutung in den übrigen amerikanischen Ländern.51

Bei regionalen Menschenschutzübereinkommen ist noch die Afrikanische Charta der Rechte der Menschen und der Völker („Banjul-Charta“) vom 26. Juni 198152 zu nennen. Diese wurde von der

42 UN General Assembly, International Bill of Human Rights, A/RES/217/A-(III) (1948). 43 Heintze in Epping/Heintschel von Heinegg (Hrsg) 696.

44 Heintze in Epping/Heintschel von Heinegg (Hrsg) 700.

45 UN General Assembly, International Covenant on Civil and Political Rights, A/RES/2200A(XXI) (1966).

46 UN General Assembly, International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, A/RES/2200A(XXI) (1966). 47 Kälin/Künzli, Universeller Menschenrechtsschutz 43.

48 Convention for the Protection of Human Rights and Fundamental Freedoms, 4. November 1950, ETS 5. 49 Kälin/Künzli, Universeller Menschenrechtsschutz 53.

50 American Convention on Human Rights, ILM (1970), 673ff. 51 Kälin/Künzli, Universeller Menschenrechtsschutz 57.

(14)

1963 gegründeten Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) beschlossen (seit 2002 AU - Afri-can Union). Für eine Überwachung der Menschenrechte sorgt die Afrikanische Kommission für Rechte der Menschen und Völker (AfKRMV).53 Die Kommission entscheidet allerdings für sich

selbst, welche Fälle untersucht werden. Für den arabischen Raum ist auch noch die Arabische Charta für Menschenrechte54 relevant. Diese wurde im Jahr 1994 von der Arabischen Liga

verab-schiedet und im Jahr 2004 mit Hilfe von Hinweisen des Hohen Kommissars für Menschenrechte überarbeitet.55 Im Vergleich dazu fehlen in Asien regionale Menschenrechtskonventionen

weitge-hend.56

5. Die EMRK

Wie bereits erwähnt, stellt die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK)57 die wichtigste Konvention in Europa dar. Die EMRK ist als Vertreter des

regionalen Menschenrechtsschutz das älteste Vertragswerk seiner Art58 und wurde vom

Europa-rat am 4. November 1950 verabschiedet.59

5.1. Geschichtlicher Hintergrund

Am 5. Mai 1949 wurde der Europarat mit Sitz in Straßburg gegründet. Es handelt sich beim Euro-parat um eine internationale Organisation der demokratischen Staaten Europas. Grundlage für seine Entstehung war das Bemühen um die Sicherung des Friedens in Europa und einer umfas-senden, politischen Einigung. Der Europarat umfasst inzwischen insgesamt 47 Staaten. Diese Mitgliedsstaaten sind nicht nur alle westeuropäischen Länder, sondern auch nahezu alle mittel- und osteuropäischen Länder.60

Zu den Aufgaben des Europarats nach Art 1 lit a seiner Satzung gehört es, eine engere Verbin-dung zwischen den Mitgliedstaaten zu schaffen, zum Schutz und zur Förderung ihrer Ideale und Grundsätze.61 Im Zuge der Erfüllung dieser Zielsetzung ist die Schaffung der EMRK 1950 als

„größte Errungenschaft des Europarats“ zu sehen.62 Die EMRK wurde nicht nur von den

Mitglieds-staaten vollständig ratifiziert, der Beitritt zur EMRK ist heute auch Voraussetzung für die Aufnahme eines Staates in den Europarat.63 Obwohl es anfangs Zweifel an der Bedeutung der EMRK gab,

so übt sie einen großen Einfluss auf die Rechtsbildung in den Mitgliedsstaaten aber auch bei der

53 Kälin/Künzli, Universeller Menschenrechtsschutz, 59. 54 Arab Charter on Human Rights, HRLJ 18 (1997) 151ff.

55 Arab Charter on Human Rights 2004, Boston University International Law Journal 24 (2006) 147ff. 56 Kälin/Künzli, Universeller Menschenrechtsschutz 53.

57 Convention for the Protection of Human Rights and Fundamental Freedoms, 4. November 1950, ETS 5. 58 Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention 1.

59 Convention for the Protection of Human Rights and Fundamental Freedoms, 4. November 1950, ETS 5. 60 Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht11 (2019) 18.

61 Statute of the Council of Europe, 5. Mai 1949, ETS 1. 62 Fischer/Köck/Karollus, Europarecht4 (2002) 94. 63 Fischer/Köck/Karollus, Europarecht104.

(15)

Grundrechtsbildung der Europäischen Union aus. Sie trug und trägt bis heute maßgeblich zur Bildung von Grundrechtsstandards in Europa bei.64

5.2. Geltungsbereich

Gemäß der EMRK ist es den Mitgliedstaaten überlassen, wie die aus ihr entstehenden völker-rechtlichen Verpflichtungen umgesetzt werden. Allerdings muss dafür gesorgt werden, dass das nationale Recht nicht gegen die Konvention verstößt, sondern mit ihr vereinbar ist. Ziel ist es, dass Behörden und Gerichte die Konvention gemäß der Auslegung des Gerichtshofs anwenden kön-nen. Dabei steht die EMRK in manchen Staaten (zB in Österreich) in Verfassungsrang. In Deutschland ist sie im Rang eines Gesetzes, allerdings wird sie auch vom BVerfG bei der Ausle-gung von Grundrechten berücksichtigt.65

Wie in Art 1 EMRK beschrieben, sichern die „hohen Vertragsparteien“ allen, „ihrer Hoheitsgewalt“ unterstehenden Personen bestimmte Rechte und Freiheiten zu. Daraus ist zu schließen, dass die unterzeichnenden Staaten, die aus der EMRK Verpflichteten und die ihrer Staatsgewalt unterste-henden Personen die Berechtigten sind. Man hat hier keine Einschränkung auf den Aufenthalt, den Wohnsitz oder gar die Staatsbürgerschaft gewählt. Entscheidend ist die Hoheitsgewalt, von der die Person betroffen ist.66 Eine staatliche Verletzung der Rechte und Freiheiten kann durch

positives Tun, durch Duldung aber auch durch Unterlassung erfolgen.67 Die Verpflichtung richtet

sich grundsätzlich nach dem staatlichen Handeln auf dem Territorium des Mitgliedsstaates.68

5.3. Das Rechtsschutzsystem der EMRK

In den Abschnitten II und III der EMRK wird das Individualbeschwerdeverfahren an den Europäi-schen Gerichtshof für MenEuropäi-schenrechte (EGMR) geregelt. Das Beschwerdeverfahren bietet die Möglichkeit, gegen Maßnahmen der Terrorbekämpfung vorzugehen, die gewährleistete Rechte der EMRK beschränken.

5.3.1. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte

Das Rechtsschutzsystem der Europäischen Menschenrechtskonvention wurde mit dem 11. Pro-tokoll im Jahr 1998 grundlegend erneuert. Zuvor bestand das System über 40 Jahre lang aus drei Organen (der Menschenrechtskommission, dem Gerichtshof und dem Ministerkomitee des Euro-parats). Das Verfahren startete mit der Prüfung der Zulässigkeit einer Beschwerde durch die Eu-ropäische Kommission für Menschenrechte. Diese fertigte bei Zulässigkeit einen Bericht an, über die Frage, ob eine Konventionsverletzung stattgefunden hatte. Damit konnte sich in weiterer Folge

64 Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht 19.

65 Mayer-Ladewig/Kulick in Mayer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer (Hrsg), EMRK4 (2017) 31. 66 Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention 128.

67 Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention 130. 68 Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention 134.

(16)

der Gerichtshof mit der Beschwerde befassen. Wurde dieser allerdings nicht innerhalb von drei Monaten angerufen, so wurde das Ministerkomitee zuständig, um zu prüfen, ob eine Verletzung stattgefunden hatte. Mit dem Inkrafttreten des Protokolls wurde die Menschenrechtskommission abgeschafft. Das Ministerkomitee beschäftigt sich seit dem Zeitpunkt in seiner neuen Rolle im Rahmen der EMRK mit der Überwachung der Einhaltung der Urteile des Gerichtshofs gem Art 46 Abs 2 EMRK.69

5.3.1.1. Das Beschwerdeverfahren

In den Art 33 bis 46 EMRK wird das Beschwerdeverfahren geregelt. Mit der Staatenbeschwerde gem Art 33 EMRK kann der Gerichtshof durch Mitgliedstaaten angerufen werden. Das bedeutet, dass ein (oder mehrere) Konventionsstaat(en) eine Beschwerde gegen einen anderen Konventi-onsstaat erheben kann bzw konnen.70 Art 34 EMRK ermöglicht dagegen natürlichen Personen,

nichtstaatlichen Organisationen oder Personengruppen im Rahmen der Individualbeschwerde ei-nen Rechtsschutzweg.

Das Beschwerdeverfahren beginnt mit dem Einlangen einer Beschwerde beim Gerichtshof. Der Präsident des Gerichtshofs weist die Beschwerde dann einer Sektion zu. Im Sinne der Art 34 und 35 Abs 1 EMRK sind die Prozessvoraussetzungen (die Partei- und Prozessfähigkeit des Beschwerdeführers, dessen Opfereigenschaft, die Erschöpfung des innerstaatlichen Rechts-wegs, die Wahrung der Beschwerdefrist) zu prüfen. Die Beschwerde wird sodann inhaltlich auf ihre Zulässigkeit gem Art 35 Abs 2 und 3 EMRK geprüft.71

5.4. Ausgewählte Rechte der EMRK

Die EMRK beinhaltet in Abschnitt I (Art 2 bis 14) die folgenden Grundrechte: das Recht auf Leben, das Verbot der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe, das Ver-bot der Sklaverei und Zwangsarbeit, das Recht auf Freiheit und Sicherheit, die Verfahrensgaran-tien im Recht auf ein faires Verfahren, das Verbot rückwirkender Strafgesetze, das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, der Wohnung und des Briefverkehrs, Gedanken-, Ge-wissens-, und Religionsfreiheit, die Meinungsäußerungsfreiheit, die Versammlungs- und Vereini-gungsfreiheit, das Recht auf Eheschließung, das Recht auf eine wirksame Beschwerde und das Diskriminierungsverbot. In den verschiedenen Zusatzprotokollen wurden die garantierten Rechte erweitert.72

Im Rahmen der Terrorbekämpfung werden besonders das Recht auf Leben, das Verbot der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe, das Recht auf Freiheit und Sicherheit, die Verfahrensgarantien im Recht auf ein faires Verfahren und das Recht auf Achtung

69 Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention 41.

70 Mayer-Ladewig/Kulick in Mayer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer (Hrsg) Art 33 Rz 1. 71 Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention 55,56.

(17)

des Privat- und Familienlebens, der Wohnung und des Briefverkehrs regelmäßig von Staaten be-schränkt.

Es gilt, besonders den Art 15 EMRK zu erwähnen: Dieser regelt das Abweichen von den in der EMRK gewährten Rechten im Falle eines Krieges oder eines Notstandes. Die Erlaubnis der Ab-weichung wird im Abs 1 EMRK durch einen Erforderlichkeitsvorbehalt(„jedoch nur, soweit es die Lage unbedingt erfordert“) begrenzt. Abs 2 beschränkt die Notstandsklausel noch weiter und de-finiert dabei ein „notstandsfestes Minimum“. Dies bedeutet, dass von den Art 3 EMRK (Verbot der Folter), Art 4 Abs 1 EMRK (Verbot der Sklaverei und Leibeigenschaft) und Art 7 EMRK (keine Strafe ohne Gesetz) in keinem Fall abgewichen werden darf.73 Allerdings bestimmt Art 15 Abs 2

EMRK noch, dass von Art 2 EMRK (Recht auf Leben) bei Todesfällen infolge rechtmäßiger Kriegs-handlungen abgewichen werden darf. Diese KriegsKriegs-handlungen sind am Maßstab des Völker-rechts zu messen.74 Art 15 EMRK schreibt außerdem in seinem Abs 3 EMRK vor, dass der

Ge-neralsekretär des Europarats ausreichend und rechtzeitig informiert werden muss. Die Information muss ohne vermeidbare Verzögerung geschehen. Zudem muss er sowohl über den Beginn des Notstandes als auch über die Beendigung der getroffenen Maßnahme informiert werden.75

5.4.1. Das Recht auf Leben (Art 2 EMRK)

Das Recht auf Leben ist in Art 2 EMRK geregelt. Schon der Platz an der Spitze weist auf die Wichtigkeit des Rechtes hin. Wie bereits oben erläutert ist das Recht auf Leben eines der funda-mentalen, notstandsfesten Rechte in der Konvention. Dabei ist zu beachten, dass soziale oder volkswirtschaftliche Überlegungen sowie das Geschlecht, die Hautfarbe, die sexuelle Orientierung oder sonstige Merkmale für den Schutzbereich irrelevant sind. Der Schutzbereich betrifft das menschliche Leben, jedenfalls von der Geburt bis zum Tod.76

Der Konventionsstaat ist hier nicht nur durch Unterlassen, sondern auch durch ein positives Tun gefordert. Er wird durch Art 2 EMRK dazu verpflichtet, menschliches Leben wirksam zu schützen. Der Staat ist unter anderem dazu aufgerufen, wirksame Präventivmaßnahmen zu erlassen (ua strafrechtliche Vorschriften mit abschreckender Wirkung) und dabei ein Gerichtssystem einzurich-ten, dass Tötungen aufklären kann und Schuldige zur Verantwortung zieht.77

Des Weiteren steht der Staat im Einzelfall auch in der Pflicht, sogenanntes „Organverschulden“ zu vermeiden. Damit ist eine vorgelagerte Schutzpflicht gemeint, die sowohl Polizei- als auch Mi-litäroperationen betrifft. In der Praxis kommt es besonders zur Tötung aufgrund von Schusswaffen

73 Mayer-Ladewig/Lehner in Mayer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer (Hrsg) Art 14 Rz 1. 74 Johann in Karpenstein/Mayer (Hrsg), EMRK2 (2015) Art 15 Rz 12.

75 Mayer-Ladewig/Schmaltz in Mayer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer (Hrsg) Art 15 Rz 11. 76 Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention 164, 165.

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der Polizei, Armee oder anderen Sicherheitskräften zu Eingriffen in das Grundrecht. Die Operati-onen des Staates müssen daher auf eine Art und Weise geplant und durchgeführt werden, die menschliches Leben soweit wie möglich schützen.78

5.4.2. Das Verbot der Folter (Art 3 EMRK)

Das Verbot der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe ist in der EMRK in Art 3 geregelt. Damit nimmt es gemeinsam mit dem Recht auf Leben einen der vorderen Plätze im Schutzsystem der EMRK ein. Er schützt die psychische und die physische Integrität. Staatliches Handeln darf nicht in diese Bereiche eindringen.79 Zum sachlichen

Anwendungsbe-reich ist zu sagen, dass Art 3 EMRK vor Folter sowie unmenschlicher oder erniedrigender Be-handlung oder Strafe schützt. Strafen sind dabei Maßnahmen mit Sanktionscharakter, Behand-lungen alle sonstigen Formen des staatlichen Handelns. MisshandBehand-lungen müssen ein Mindest-maß an Schwere erreichen. Für die Definition des Begriffes „Folter“ als schwerste Form der Miss-handlung, hat der EGMR die Begriffsbestimmung im Art 1 des UN-Übereinkommens gegen Fol-ter80 herangezogen und immer weiter konkretisiert. Unter Berücksichtigung aller Umstände eines

Falles kann schon die Androhung von Folter selbst Folter sein – dabei kommt es auf die Gesamt-merkmale des Falles an. Auch wenn es für die einzelnen Begriffe jeweils verankerte Definitionen in der Rechtsprechung des EGMR gibt, so ist doch festzuhalten, dass es besonders beim Verbot der Folter immer auf den Einzelfall ankommt.81

Es ist auch zu erwähnen, dass die Rechte der Art 2 und Art 3 EMRK eine erweiterte Schutzpflicht begründen. Durch ständige Rechtsprechung ist es dadurch zur Begründung bzw Bestätigung des Refoulement-Verbots (Soering-Prinzips) gekommen.82 Dieses besagt, dass keine Person an ein

Land ausgeliefert werden darf, wenn sie dort Folter, unmenschlicher Behandlung oder dem Tod ausgesetzt werden würde. Diese Entscheidung hatte auch weitreichende Folgen was den Um-gang mit Terroristen angeht. Selbst wenn eine Person rechtskräftig als Terrorist verurteilt wurde, so ist es den Staaten nicht gestattet diese Person in ihr Herkunftsland auszuweisen, sofern die Person in dem Land in Gefahr stünde, getötet oder gefoltert zu werden.83

Für Art 3 EMRK gibt es keine zulässige Ausnahme oder Einschränkung.84 Somit stellt auch die

Terrorbekämpfung keine zulässige Ausnahme dar. Auch wenn der EGMR bereits zuvor anerkannt

78 Schübel-Pfister in Karpenstein/Mayer (Hrsg) Art 2 Rz 38; Vgl EGMR 04.06.2012, 18299/03 und 27311/03,

Finogenov and others/Russia. Auf dieses Urteil wird in Punkt 6.2.1. näher eingegangen.

79 Mayer-Ladewig/Lehnert in Mayer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer (Hrsg) Art 2 Rz 1.

80 UN General Assembly, Convention against Torture and Other Cruel, Inhuman or Degrading Treatment or Punish-ment, A/RES/39/46 (1984).

81 Sinner in Karpenstein/Mayer (Hrsg) Art 3 Rz 5-8. 82 EGMR 7.07.1989,14038/88, Soering/UK, Rn 91.

83 Vgl Nowak, Das Folterverbot – Der Beitrag von Rudolf Machacek und Franz Matscher zur Interpretation von Art 3 EMRK, in FG Machacek/Matscher (2008) 326, 327; Vgl Arden, Human Rights and Terrorism, in FS Wildhaber (2007) 27.

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hat, dass der Schutz vor terroristischen Straftaten eine Schwierigkeit für Staaten darstellt85, so gilt

das Folterverbot absolut und damit auch im Fall einer allgemeinen Gefahr für den Konventions-staat.86

5.4.3. Das Recht auf Freiheit und Sicherheit (Art 5 EMRK)

Das Recht auf Freiheit und Sicherheit ist in Art 5 EMRK geregelt. Dabei wird in dessen Abs 1 S 2 und Abs 2 bis 5 festgelegt, unter welchen Umständen eine Freiheitsentziehung gerechtfertigt sein kann. Abs 5 EMRK bestimmt zusätzlich noch einen Anspruch auf Schadenersatz für Personen, deren Recht auf Freiheit und Sicherheit unrechtmäßig beschränkt wurde. Art 5 EMRK ist im Fall eines Notstandes aufgrund der Bestimmung des Art 15 EMRK nicht geschützt, das heißt, er kann außer Kraft gesetzt werden.87

Zu den allgemeinen Voraussetzungen der Freiheitsentziehung gehört, dass sie gemäß innerstaat-lichem Recht rechtmäßig sein muss. Allerdings muss das innerstaatliche Recht auch qualitativen Anforderungen gerecht werden. Dazu muss es mit den Grundsätzen der Konvention übereinstim-men. Zudem verlangt der EGMR einen Mindeststandard bei der Rechtssicherheit. Dies bedeutet, dass die Rechtsanwendung vorhersehbar sein muss, damit Willkür vermieden werden kann.88 Der

Begriff der Sicherheit stellt dahingegen keinen eigenen Schutzbereich dar. Man sollte darin die Betonung der Rechtssicherheit verstehen. Daher hat der EGMR bisher nur auf die Sicherheit bei willkürlicher Freiheitsentziehung verwiesen (insbesondere bei „Verschwindenlassen“ von Perso-nen durch Staatsorgane). Man kann der Bestimmung daher kein Recht auf Sicherheit, das Ein-griffe in andere Rechte rechtfertigen könnte, entnehmen.89

Im Fall des Art 5 EMRK hat sich der EGMR bereits häufiger mit staatlichen Maßnahmen gegen den Terrorismus beschäftigen müssen. Er hat auch hier anerkannt, dass terroristische Straftaten die Behörden vor besondere Probleme stellen.90 Der Gerichtshof hat dabei festgestellt, dass auch

für Personen, die für Terroristen gehalten werden, dasselbe gilt: Auch sie dürfen nicht ohne wirk-same Kontrolle durch staatliche Gerichte und den EGMR inhaftiert werden. Insbesondere ist es nicht erlaubt das Recht auf Freiheit des Einzelnen gegen das Interesse des Staates – nämlich die Bevölkerung vor terroristischer Bedrohung zu schützen – abzuwägen.91 Grundsätzlich ist

Terro-rismus ein strafrechtliches Vergehen und damit ein ausreichender Grund für eine Inhaftierung. Allerdings sind Personen, die auf dieser Grundlage verhaftet werden, so bald wie möglich einem Richter vorzuführen.92

85 EGMR 13.12.2012, 39630/09, El-Masri/The former Yugoslav Republic of Macedonia, Rn 195. 86 EGMR 1.06.2010, 22978/05, Gäfgen/Germany, Rn 107.

87 Mayer-Ladewig/Harrendorf/König in Mayer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer (Hrsg) Art 5 Rz 1. 88 Mayer-Ladewig/Harrendorf/König in Mayer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer (Hrsg) Art 5 Rz 16-18. 89 Elberling in Karpenstein/Mayer (Hrsg) Art 5 Rz 5.

90 EGMR 23.03.2016, 47152/06, Blokhin/Russia, Rn 166.

91 EMRK 19.02.2009 (GK), 3455/05, A. and Others/the United Kingdom Rn 171. 92 Vgl Arden in FS Wildhaber (21) 27.

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5.4.4. Das Recht auf ein faires Verfahren (Art 6 EMRK)

Art 6 EMRK ist – bezogen auf seine praktische, rechtliche und symbolische Relevanz – als fun-damentales Rechtsprinzip die wohl wichtigste Norm der EMRK. Das trifft deshalb zu, weil es als „living instrument“ die Gewährleistung von grundlegenden Verfahrensgarantien in den Konventi-onsstaaten bietet, aber auch, weil es ein Spiegel der gemeinsamen rechtsstaatlichen Tradition der Vertragsstaaten ist.93

Das Recht auf ein faires Verfahren betrifft nicht nur die Garantie eines unparteiischen Richters, sondern auch den Zugang zu den Gerichten – zudem die Garantie eines fairen und öffentlichen Verfahrens sowie einer Entscheidung innerhalb angemessener Frist. Dies spiegelt die Subsidia-rität des Systems wider. Darunter ist zu verstehen, dass es den staatlichen Gerichten vorbehalten ist, Schutz gegen Menschenrechtsverletzungen zu leisten. Dabei sind auch die Bestimmungen des Art 13 EMRK (Recht auf wirksame Beschwerde) und des Art 35 Abs 1 EMRK (Erschöpfung aller innerstaatlichen Rechtsbehelfe als Zulässigkeitsvoraussetzung für Individualbeschwerden) zu beachten. Es handelt sich hier um eine positive Handlungspflicht, die Vertragsstaaten sind also verpflichtet, Rahmenbedingungen zu schaffen, die ein faires Verfahren ermöglichen.94

Eine Auslieferung oder Ausweisung kann auch gegen Art 6 EMRK verstoßen. Dies ist besonders bei Terrorfällen zu beachten. Ein Verstoß kann zutreffen, wenn der Beschwerdeführer nachweisen kann, dass ihn im Aufnahmeland eine „flagrante Rechtsverweigerung“ (also ein offensichtlich un-faires Verfahren) treffen könnte. Dabei ist keine Abwägung bzgl der Gründe für die Auslieferung bzw Ausweisung vorzunehmen. Wenn ein Zielland allerdings ebenso ein Konventionsstaat ist, so ist dieser Maßstab nicht vorzunehmen.95 Ein solcher Verstoß ist zum Beispiel anzunehmen, wenn

im Zielland durch Folter erlangte Beweise vor Gericht zugelassen werden.96

5.4.5. Das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art 8 EMRK)

Art 8 EMRK fasst den Schutz von vier Rechten zusammen. Diese sind das Recht auf Privat- und Familienleben, auf Wohnung und auf Korrespondenz. Der Staat darf in dieses Recht – mit Aus-nahme der Bestimmung in Abs 2, die besagt, dass ein Eingreifen aufgrund von gesetzlich vorge-sehenen und für die nationale oder öffentliche Sicherheit […] notwendigen Gründen möglich ist – nicht eingreifen. So trifft die Konventionsstaaten die Pflicht, diese Rechte zu schützen. Die Staaten treffen auch positive Handlungspflichten. Diese bestehen darin, Schutzverfahren für Opfer zu schaffen, damit sie sich in einem fairen Verfahren gegen Eingriffe zur Wehr setzten können. Au-ßerdem sind in gewissen Fällen auch Strafgesetze zu erlassen.97

93 Meyer in Karpenstein/Mayer (Hrsg) Art 6 Rz 1.

94 Mayer-Ladewig/Harrendorf/König in Mayer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer (Hrsg) Art 6 Rz 2. 95 Mayer-Ladewig/Harrendorf/König in Mayer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer (Hrsg) Art 6 Rz 166. 96 EGMR 17.01.2012, 8139/09, Othman (Abu Quatada)/the United Kingdom, Rn 267.

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6. Eingriffe in die EMRK durch Terrorbekämpfung

Im Kampf gegen den internationalen Terrorismus werden die unterschiedlichsten Maßnahmen gesetzt.98 Manche sollen eine präventive Wirkung haben, bei anderen geht es um das staatliche

Verhalten gegenüber Terroristen, während sie einen Anschlag verüben. Oft geht es auch um die Behandlung von Terrorverdächtigen, zB deren Haftbedingungen. In all diesen Situationen kann es zu Einschränkungen der Menschenrechte kommen. Ob diese Maßnahmen rechtmäßig sind, kann gemäß den Bestimmungen der EMRK vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) geprüft werden.99

6.1. Terrorprävention

Um Terroranschläge zu verhindern, setzen die Staaten auf Präventivmaßnahmen. Diese können diverse Bereiche des (öffentlichen) Lebens betreffen. Hierbei wird häufig in das Recht auf Achtung des Privatlebens (Art 8 EMRK) eingegriffen. Im Kampf gegen den Terrorismus werden mitunter bestimmte Formen der Überwachung genutzt. Die dabei gesammelten Informationen sollen dazu beitragen, Terroranschläge zu verhindern, aber auch dabei helfen, Terrorverdächtige zu überfüh-ren und sie strafrechtlich zu belangen. Dazu gibt es eine Entscheidung des EGMR von 1978 die besagt, dass es unter außerordentlichen Umständen im Interesse der nationalen Sicherheit, zur Aufrechterhaltung der Ordnung oder zur Verhütung von Straftaten notwendig sein könne, Gesetze zu erlassen, die eine Überwachung von Post und Telekommunikation erlauben.100

Des Weiteren können durch präventive Schutzmaßnahmen auch andere Freiheiten, wie zB die freie Meinungsäußerung (Art 10 EMRK) betroffen sein. Dahingehend hat der EGMR in einem Falle entschieden, dass das – wenn auch nur über einen kurzen Zeitraum geschehene – Veröf-fentlichungsverbot einer Zeitung eine Verletzung des Art 10 EMRK darstellt. Dieses Verbot be-gründete sich in einem Anti-Terror-Gesetz.101

Gesetze mit Maßnahmen zur Terrorbekämpfung stellen eine häufige Präventivmaßnahme dar. Allerdings ist bei Erlass eines solchen Gesetzes ein Vorgehen im Rahmen der EMRK zu beach-ten. Im Fall Gillian und Quinton gegen das Vereinigte Königreich102 behaupteten die

Beschwerde-führer eine Reihe von Verletzungen ihrer Rechte (Art 5 EMRK, Art 8 EMRK, Art 10 EMRK und Art 11 EMRK). Diese Verletzungen entstanden durch eine polizeiliche Maßnahme, die aufgrund eines Anti-Terror-Gesetzes erfolgte. Der Fall stellt hervorragend dar, wie es durch den Erlass von Gesetzen, die die Bevölkerung vor Terrorattacken schützen sollen, zu einem Eingriff in die Rechte

98 Auf die Art der Maßnahmen wird weiter oben näher eingegangen (Punkt 3 „Terrorbekämpfung“).

99 Auf das Verfahren vor dem EGMR wird ebenso weiter oben (Punkt 5.3 „Das Rechtschutzsystem der EMRK“) ge-nauer eingegangen.

100 EGMR 6.09.1978, 5029/71, Klass and Others/Germany. 101 EGMR 20.10.2009, 14526/07, Ürper and Others/Turkey.

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ebenjener Bevölkerung kommen kann. Er wurde am 12. Jänner 2010 aufgrund einer Beschwerde von zwei britischen Staatsbürgern (Kevin Gillan und Pennie Quinton) entschieden. Das Urteil erging durch eine Kammer von sieben Richtern.103

Zwischen 9. und 12. September 2003 fand eine Waffenausstellung („Defence Systems and Equipment Internation Exhibition“) in Docklands, East London statt. Diese wurde von Protesten und Demonstrationen begleitet. Am 9. September wurde der Beschwerdeführer Kevin Gillan auf dem Weg zu einer Demonstration von der Polizei aufgehalten und durchsucht. Die zwei Polizisten stoppten ihn, als er mit seinem Rucksack auf dem Rad zur Demonstration fuhr. Ihm wurde mitge-teilt, dass er auf Basis der Bestimmung in § 44 Terrorism Act 2000 angehalten wurde. Diese Be-stimmung berechtigte die Polizisten zur Durchsuchung von Gegenständen, die für terroristische Aktivitäten verwendet werden können. Allerdings wurde nichts Relevantes gefunden. Herr Gillan wurde für ca 20 Minuten angehalten, ihm wurden ausgedruckte Informationen zur Demonstration abgenommen und er durfte sich anschließend wieder auf den Weg machen.104

Frau Pennie Quinton wurde etwas später angehalten. Als Journalistin wollte sie die Demonstration filmen. Sie wies sich mit ihrem Presseausweis aus. Trotzdem wurde sie durchsucht und ihr wurde mitgeteilt, sie solle das Filmen einstellen. Ihr wurde ebenso mitgeteilt, dass sie auf Basis der Best-immungen der §§ 44 und 45 des Terrorism Act 2000 angehalten und durchsucht werde. Das Pro-tokoll wies die Anhaltezeit als fünf Minuten aus, Frau Quinton meinte es wären eher 30 Minuten gewesen. Sie fühlte sich nach eigener Aussage nach der Anhaltung eingeschüchtert und konnte aus diesem Grund nicht mehr als Journalistin an der Demonstration teilnehmen.105

Die Beschwerdeführer strebten eine gerichtliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Polizeimaß-nahme an. Die Beschwerden wurden in der Folge vom Divisional Court, dem Court of Appeal und einstimmig vom House of Lords (8. März 2006) abgewiesen.106

Die Durchsuchungsmaßnahme gemäß des Terrorism Acts 2000 beinhaltete ein dreistufiges Ver-fahren: Eine Autorisierung konnte von bestimmten höherrangigen Polizeibeamten erteilt werden. Damit konnte eine Durchsuchungsmaßnahme in einem bestimmten Gebiet (zum Beispiel ein Stadtgebiet in London) durchgeführt werden. Daraufhin war der Secretary of State von der Auto-risierung in Kenntnis zu setzen. Dieser konnte die AutoAuto-risierung innerhalb von 48 Stunden geneh-migen. Falls sie nicht genehmigt wurde, verlor die Autorisierung ihre Wirkung. Den letzten Verfah-rensschritt bildete die Durchführung der Maßnahme. Diese war auf die Suche von Gegenständen

103 EGMR 12.01.2010, 4158/05, Gillan and Quinton/the United Kingdom, Rn 1. 104 EGMR 12.01.2010, 4158/05, Gillan and Quinton/the United Kingdom, Rn 7, 8. 105 EGMR 12.01.2010, 4158/05, Gillan and Quinton/the United Kingdom, Rn 9.

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gerichtet, die im Zusammenhang mit terroristischen Aktivitäten verwendet werden. Allerdings war für die Durchsuchung kein Verdacht notwendig.107

Der Beschwerdeführer kritisierte bereits vor dem House of Lords die gesetzliche Grundlage der Polizeikontrolle. § 44 Abs 3 Terrorism Act 2000 ließ eine Autorisierung dann zu, wenn sie „zweck-dienlich“ („expedient“) war. Das House of Lords sah in diesem Begriff eine breite Auslegungsmög-lichkeit. Es meinte, es sei nicht von dem engen Sinn des Wortes auszugehen, im Gesetz seien nämlich andere, effektive Beschränkungen der Befugnisse vorgesehen: Eine Autorisierung darf nur von einem hochrangigen Beamten erteilt werden. Diese hat sich auf die Reichweite eines Polizeidistrikts zu erstrecken. Eine Bewilligung ist auf maximal 28 Tage beschränkt. Wenn sie nicht vom Secretary of State genehmigt wird, tritt sie nach 48 Stunden wieder außer Kraft. Der Secretary of State kann die Autorisierung beschränken. Eine erneute Bewilligung hat wieder das-selbe Verfahren zu durchlaufen. Der Secretary of State hat mindestens einmal im Jahr dem Par-lament einen Bericht über die Anwendung des Gesetzes vorzulegen. Die Rechtsschutzmöglich-keiten umfassen bei Kompetenzüberschreitung die Klage gegen die autorisierenden Beamten, den Secretary of State und den Beamten, der die Kontrolle durchführt.108

Die Beschwerdeführer behaupten ihre Anhaltung, die sich auf die §§ 44 bis 47 Terrorism Act 2000 stützte, würde sie in ihren durch die EMRK geschützten Rechten und Freiheiten beschränken. Konkret würde es sich dabei um die Art 5 EMRK (Recht auf persönliche Freiheit), Art 8 EMRK (Recht auf Achtung des Privatlebens), Art 10 EMRK (Meinungsäußerungsfreiheit) und Art 11 EMRK (Versammlungsfreiheit) handeln.109

Der Gerichtshof stellte fest, dass bei Prüfung der Durchsuchungsmaßnahme Art 8 EMRK an-wendbar ist. Dabei bezog er sich auf die Definition im Urteil Foka v. Turkey110, in der er bereits

festgestellt hatte, dass jede von Behörden durchgeführte Personendurchsuchung in das Privatle-ben des Betroffenen eingreift. Besonders ging er darauf ein, dass es sich hier um eine Durchsu-chung nach einer Bestimmung handelt, nach der eine Anhaltung jederzeit und überall stattfinden kann. Er grenzte dies explizit von einer Anhaltung und Durchsuchung bei einer Flughafenkontrolle ab (die Bestimmung sei gerade aus dem Grund bedenklich, weil eine Durchsuchung jederzeit und überall stattfinden könne). Ein Eingriff in dieses Grundrecht wurde schlussendlich bejaht. Es wurde ausgeführt, dass nur bei Vorlage einer gesetzlichen Grundlage, einem legitimen Ziel und der Notwendigkeit in einer demokratischen Gesellschaft, ein solcher Eingriff auch gerechtfertigt ist.111

107 EGMR 12.01.2010, 4158/05, Gillan and Quinton/the United Kingdom, Rn 28 -34. 108 EGMR 12.01.2010, 4158/05, Gillan and Quinton/the United Kingdom, Rn 16. 109 EGMR 12.01.2010, 4158/05, Gillan and Quinton/the United Kingdom, Rn 3. 110 EGMR, 24.06.2008, 28940/95, Foka/Turkey, Rn 74-79.

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Der Gerichtshof führte in seinem Urteil des Weiteren aus, dass die Bestimmungen zur Autorisie-rung der Maßnahme, sowie zur Anhaltung und Durchsuchung gemäß den §§ 44 und 45 Terro-rism Act 2000 weder ausreichend umschrieben noch der Rechtsschutz gegen Missbrauch ausrei-chend bestimmt war. Dies hatte zur Folge, dass sie auch nicht gesetzmäßig war. Daher lag eine Verletzung des Art 8 EMRK vor.112

Ob die Maßnahme eine Freiheitsentziehung im Sinne des Art 5 EMRK darstellte, wurde nicht voll-ständig geklärt. Das Element des Zwangs (denn hätten die Beschwerdeführer sich von der Durch-suchungsmaßnahme entfernt, so wären sie mit Strafen belegt worden) sei ein Indiz dafür, dass eine Freiheitsentziehung vorlag. Es wurde von den Richtern allerdings einstimmig entschieden, dass unter dem Gesichtspunkt der Verletzung des Art 8 EMRK, diese Frage nicht geklärt werden musste.113 Aufgrund der Ausführungen zu Art 8 EMRK, sah der Gerichtshof keine Veranlassung,

die Verletzungen nach Art 10 und 11 EMRK zu prüfen.114

6.2. Eingreifen bei Anschlägen

Das Eingreifen bei Anschlägen, um einen gerade stattfindenden Angriff zu beenden oder vielleicht noch zu verhindern, zwingt Staaten mitunter dazu, tödliche Gewalt einzusetzen. Das Recht auf Leben (Art 2 EMRK) garantiert auch den Schutz von Terrorverdächtigen und Terroristen.115 Wenn

eine Aktion also auch ohne tödliche Gewaltanwendung erfolgen hätte können, so ergibt sich aus dem Tod der Terroristen eine Verletzung der gewährten Rechte der Konvention.116

Besonders große Aufmerksamkeit erhielt in diesem Zusammenhang der Fall Finogenov und an-dere gegen Russland. 117 Hierbei handelt es sich um ein Geiseldrama, das sich in Russland

ab-gespielt hat. Die Geiselnehmer waren Terroristen, die Befreiung der Geiseln erfolgte durch Ein-greifen des Staates. Der EGMR behandelte diesen Fall, da in Frage gestellt wurde, ob das Han-deln des Staates im Zuge der Befreiungsaktion und im Anschluss daran, gegen die Konvention verstieß.118

Am Abend des 23. Oktobers 2002 nahmen mehr als 40 Terroristen der tschetschenischen sepa-ratistischen Bewegung mehr als 900 Menschen im Dubrovka-Theater in Moskau als Geiseln. Zu-sätzlich zu den Maschinengewehren gab es Sprengfallen und 18 Selbstmordattentäter, die zwi-schen den Geiseln positioniert waren.119 Der Fall Finogenov und andere gegen Russland wurde

112 EGMR 12.01.2010, 4158/05, Gillan and Quinton/the United Kingdom, Rn 87. 113 EGMR 12.01.2010, 4158/05, Gillan and Quinton/the United Kingdom, Rn 56, 57. 114 EGMR 12.01.2010, 4158/05, Gillan and Quinton/the United Kingdom, Rn 90.

115 Auf das Recht auf Leben wird weiter oben näher eingegangen (Punkt 5.4.1. „Das Recht auf Leben (Art 2 EMRK)“). 116 EGMR 27.09.1995 (GK), 18984/91, McCann and Others/the United Kingdom.

117 EGMR 4.06.2012, 18299/03 und 27311/03, Finogenov and others/Russia. 118 EGMR 4.06.2012, 18299/03 und 27311/03, Finogenov and others/Russia, Rn 3. 119 EGMR 4.06.2012, 18299/03 und 27311/03, Finogenov and others/Russia, Rn 8.

(25)

durch zwei Beschwerden eingebracht. Die erste Beschwerde brachte Herr Pavel Alekseyevich Finogenov gemeinsam mit sechs anderen Personen am 26. April 2003 ein. Die zweite Be-schwerde brachte Frau Zoya Pavlovna Chernetsova mit 56 anderen Personen am 18. August 2003 ein.120 Die Beschwerdeführer gaben an, dass während des Geiseldramas in Moskau

über-schießende Maßnahmen von Seiten der Behörden gesetzt wurden. Die getroffenen Maßnahmen waren damit ausschlaggebend für den Tod der Angehörigen der Beschwerdeführer. Einige der Beschwerdeführer waren bei dem Geiseldrama anwesend und gaben an, zusätzlich noch selbst Opfer von psychischen und physischen Folgen geworden zu sein, die dem Handeln der Behörden zuzurechnen seien.121 Sie gaben auch an, die Behörden hätten es verabsäumt, die

Rettungsmis-sion auf eine Art zu planen, die die Risiken für die Geiseln minimiert hätte. Außerdem seien die Untersuchungen nach dem Geiseldrama zu möglichen Fehlerquellen nicht nur ineffektiv gewesen, die Beschwerdeführer hätten dazu auch keine Möglichkeit gehabt, um sich gegen diese Ineffekti-vität zu wehren. So gestalteten sich auch die zivilrechtlichen Möglichkeiten schwierig.122

Im Lauf der Tage der Geiselnahme war es einigen Journalisten erlaubt das Gebäude zu betreten. Die Terroristen forderten den Rückzug der russischen Truppen aus der tschetschenischen Re-publik und direkte Verhandlungen bezüglich der dortigen politischen Führung. Nach diesen Ge-sprächen akzeptierten die Terroristen Lebensmittel und Getränke für die Geiseln und ließen auch einige wieder frei.123 Allerdings wurden auch Geiseln von den Terroristen exekutiert.124 Innerhalb

von kurzer Zeit nach Bekanntwerden der Geiselnahme wurde ein Krisenstab eingerichtet. Dieser unterstand Herrn P., dem Leiter der nationalen Sicherheitsagentur.125 Es wurden verschieden

Krankenhäuser in Bereitschaft gesetzt, alle Mitarbeiter der Notfallambulanzen mussten sich dau-erhaft bereithalten.126 Außerdem wurden fünf Krankenwägen und weitere Notfallwägen ständig in

unmittelbarer Nähe des Theaters positioniert. Des Weiteren waren Sanitäter und Psychologen für die Bedürfnisse der Angehörigen der Geiseln bereitgestellt.127

Am Morgen des 26. Oktober 2002 wurde ein Narkosegas128 über das Ventilationssystem des

Ge-bäudes in den Zuschauerraum geleitet. Sowohl die Terroristen als auch die Geiseln konnten das Gas riechen und sehen. Als die Terroristen das Bewusstsein verloren, stürmte eine Spezialeinheit das Gebäude. Die Attentäter wurden im bewusstlosen Zustand erschossen, manche auch wäh-rend sie Widerstand leisteten.129 Es ist nicht bekannt, wie hoch die Zahl der befreiten Geiseln 120 EGMR 4.06.2012, 18299/03 und 27311/03, Finogenov and others/Russia, Rn 1.

121 EGMR 4.06.2012, 18299/03 und 27311/03, Finogenov and others/Russia, Rn 3. 122 EGMR 4.06.2012, 18299/03 und 27311/03, Finogenov and others/Russia, Rn 3. 123 EGMR 4.06.2012, 18299/03 und 27311/03, Finogenov and others/Russia, Rn 9. 124 EGMR 4.06.2012, 18299/03 und 27311/03, Finogenov and others/Russia, Rn 11. 125 EGMR 4.06.2012, 18299/03 und 27311/03, Finogenov and others/Russia, Rn 16. 126 EGMR 4.06.2012, 18299/03 und 27311/03, Finogenov and others/Russia, Rn 18. 127 EGMR 4.06.2012, 18299/03 und 27311/03, Finogenov and others/Russia, Rn 19.

128 2003 wurde bekannt gegeben, dass es sich bei dem Gas um eine Mischung von Fentanyl-Derivaten handelte. Vgl. EGMR 4.06.2012, 18299/03 und 27311/03, Finogenov and others/Russia, Rn 101.

(26)

genau war, da manche sich nach der Befreiung nicht bei offiziellen Stellen meldeten. Es waren wohl mehr als 730 Personen. Allerdings wurde eine große Anzahl von Geiseln durch das Gas an ihrer Gesundheit geschädigt. Laut Bericht vom 31. Dezember 2002 sind 114 Personen noch im Theater verstorben, 21 Personen starben während der Evakuierung bzw auf dem Weg ins Kran-kenhaus und sechs Personen verstarben im KranKran-kenhaus. Diese Zahlen sind jedoch je nach Be-richt und Zählweise unterschiedlich. Viele der befreiten Geiseln erlitten ernsthafte Beeinträchti-gungen. So verlor eine der Beschwerdeführerinnen ihr Gehör.130

Die Beschwerdeführer gaben an, dass die Evakuierung der Geiseln chaotisch verlief. Es gab nicht genügend Krankenwägen, die Geiseln wurden in Stadtbussen in Krankenhäuser gebracht, aller-dings ohne Begleitung von Sanitätern oder sonstigem medizinischen Personal. Außerdem wurden die Krankenhäuser nicht über das Gas informiert und waren somit nicht ausreichend ausgestat-tet.131

Dieser Darstellung widersprachen die Behörden. Sie gaben an, es waren im Vorfeld der Befrei-ungsaktion 100 weitere Krankenwägen angefordert worden. 458 Teams waren aufgefordert wor-den vor Ort zu sein. Innerhalb von einer Stunde und 15 Minuten war das Theater vollständig eva-kuiert.132

Am 23. Oktober 2002 eröffnete die Staatsanwaltschaft Moskau ein Strafverfahren wegen des ter-roristischen Aktes und der Geiselnahme.133 Im Oktober 2003 wurde entschieden, die Planung und

die Durchführung der Rettungsaktion nicht zu untersuchen. Die Untersuchung ergab, dass fünf Personen während der Geiselnahme starben. Die Befreiungsaktion hatte den Tod von 125 Per-sonen mit sich gebracht. Laut Bericht konnte jedoch zwischen der Befreiungsaktion und den To-desursachen kein kausaler Zusammenhang hergestellt werden.134

Der Gerichtshof hielt in seinem Urteil fest, dass er keine Verletzung des Art 2 EMRK feststellen kann, wenn es um die Nutzung des Gases und die Befreiungsaktion an sich geht. Dies lag darin begründet, dass dem Gericht nicht jede einzelne Krankheitsgeschichte in Verbindung mit den De-tails zu den Todesursachen der verstorbenen Geiseln zur Verfügung stand. Zudem war nicht klar, wie stark das Gas die Personen beeinträchtigt hatte, wie der Gesamtzustand war, zu welcher Uhrzeit die befreiten Geiseln das Krankenhaus erreichten oder welche Medikamente bis dahin

130 EGMR 4.06.2012, 18299/03 und 27311/03, Finogenov and others/Russia, Rn 25. 131 EGMR 4.06.2012, 18299/03 und 27311/03, Finogenov and others/Russia, Rn 25. 132 EGMR 4.06.2012, 18299/03 und 27311/03, Finogenov and others/Russia, Rn 26. 133 EGMR 4.06.2012, 18299/03 und 27311/03, Finogenov and others/Russia, Rn 30. 134 EGMR 4.06.2012, 18299/03 und 27311/03, Finogenov and others/Russia, Rn 98, 99.

(27)

verabreicht wurden. Diese und andere wichtige Details waren nicht verfügbar. Und was für viele Geiseln eine wahrscheinliche Reaktion war, traf wohl nicht für alle Geiseln zu.135

Der Gerichtshof macht jedoch auch deutlich, dass es sich zwar nicht für jede einzelne Feststellung der Verantwortlichkeit zuständig fühlt, sehr wohl aber dafür, ob der Staat seine internationalen Verpflichtungen der Konvention erfüllte.136 Deshalb stellte er eine Verletzung des Art 2 EMRK

aufgrund der mangelhaften Durchführung der Befreiungsaktion fest. Er führte dazu aus, dass – obwohl ein gewisses Maß an Chaos bei einer solchen Aktion wohl unvermeidbar sei – in diesem Fall die Befreiungsaktion wohl nicht ausreichend vorbereitet gewesen sei. Die Kommunikation zwischen den einzelnen verantwortlichen Stellen sei nicht zufriedenstellend gewesen. Gerade auch der Mangel an medizinischer Versorgung und Ausrüstung am Einsatzort und die logistische Herangehensweise waren eindeutig vorwerfbar.137

Dabei betonte der Gerichtshof, dass es sich hier nicht um die Frage handle, ob die Untersuchung des Terroraktes an sich erfolgreich gewesen sei. Es wurde allerdings in Zweifel gestellt, ob die Untersuchung des staatlichen Handelns ebenso zielführend geschah.138 Die Papiere des

Krisen-stabs wurden allesamt zerstört, wobei es hierfür keine befriedigende Begründung gab139, es

wur-den nicht alle Mitglieder des Stabes befragt140 und das Team, das die Untersuchung durchführte,

war auch nicht unabhängig141. Auch aufgrund der mangelhaften Durchführung der strafrechtlichen

Untersuchung der Befreiungsaktion, stellte der Gerichtshof eine Verletzung des Art 2 EMRK fest.142

6.3. Terrorverdächtige

Wenn es um die Behandlung von Terrorverdächtigen geht, dann oftmals um ihre Rechte während der Untersuchungshaft aber auch um ihre Rechte im Prozess. Des Weiteren ist auch die Behand-lung von verurteilten Terroristen während der Haft mit der EMRK in Einklang zu bringen.

Die Bedingungen müssen ua mit dem Recht auf ein faires Verfahren (Art 6 EMRK) und dem Ver-bot der Folter (Art 3 EMRK) übereinstimmen. ZB darf ein bereits rechtskräftig verurteilter Terrorist nicht an einen anderen Staat ausgeliefert werden, falls ein begründeter Verdacht besteht, dass er in dem anderen Staat Misshandlungen ausgesetzt wird.143

135 EGMR 4.06.2012, 18299/03 und 27311/03, Finogenov and others/Russia, Rn 263, 264. 136 EGMR 4.06.2012, 18299/03 und 27311/03, Finogenov and others/Russia, Rn 265. 137 EGMR 4.06.2012, 18299/03 und 27311/03, Finogenov and others/Russia, Rn 266. 138 EGMR 4.06.2012, 18299/03 und 27311/03, Finogenov and others/Russia, Rn 274. 139 EGMR 4.06.2012, 18299/03 und 27311/03, Finogenov and others/Russia, Rn 279. 140 EGMR 4.06.2012, 18299/03 und 27311/03, Finogenov and others/Russia, Rn 278. 141 EGMR 4.06.2012, 18299/03 und 27311/03, Finogenov and others/Russia, Rn 281. 142 EGMR 4.06.2012, 18299/03 und 27311/03, Finogenov and others/Russia, Rn 282. 143 EGMR 28.02.2008, 37201/06, Saadi/Italy.

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