Mobilisierung von Reserven unter Stress bei Blauburgunder-Reben
Werner Koblet, Irma Roth, Petra Hoffmann und Peter Weissenbach
Reben sind während ihres ganzen Lebens verschiedenen Stressfaktoren ausgesetzt. Beim Austrieb im Frühjahr verbrauchen die jungen Schosse Reserven, bis deren Blätter selber assimilieren und Kohlenhydrate exportieren.
Frost, Hagel, saugende Insekten, aber auch Pilzkrankheiten zehren an den Stöcken. Ungenügende Lichtverhältnisse und kühle Witterung während der Vegetationszeit beeinträchtigen die Fotosynthese der Blätter und verursachen eine Unterversorgung der Rebe mit Assimilaten. Kühle Herbsttage oder gar Fröste verhindern ein gutes Ausreifen der Trauben. Mit unseren Versuchen wollten wir feststellen, ob und in welchem Ausmass fehlende Blätter durch Mobilisieren der Reserven kompensiert werden können. Uns interessierte ferner welche permanenten Organe (Wurzeln, Stamm, altes Holz) eingelagerte Kohlenhydrate in die reifenden Trauben exportieren.
Material und Methoden
Reben und Lage
Die Versuche wurden mit 7-jährigen Blauburgunder Reben, Klon 2/45 auf der Unterlage 41 B durchgeführt. Die auf Doppelstrecker geschnittenen Reben stehen im Versuchsrebberg Walenstadt auf Kleinterrassen (Abstand 2,5 m) mit einem Stockabstand von 1,2 m. Alle Stöcke hatten in der Regel zwischen 10 und 12 Triebe.
Am 2. Oktober 1995 wurden je 18 Reben wie folgt behandelt:
• Kontrolle, Blätter und Trauben blieben stehen
• Alle Blätter weggenommen, nur Trauben stehengelassen
• Blätter und Trauben weggenommen Analysen
Trauben: Bei Versuchsbeginn am z. Oktober hatten die Trauben im Schnitt 70
°Oechsle. Am 17 und 25. Oktober sowie am 7. November wurde der Zuckergehalt der Trauben gemessen. Bei der Weinlese (7. November) bestimmten wir zusätzlich den Ertrag, das Beerengewicht und die titrierbare Gesamtsäure.
Holz und Wurzeln: Am 7. Dezember 1995 holten wir Proben von Wurzeln, Stamm, Strecker und Jahresruten; die Proben vom Stamm wurden mit einem Holzbohrer entnommen.
Das Holz wurde bei 65 °C getrocknet und mit einer Scheibenmühle gemahlen.
Stärke, Fructose, Glucose und Saccharose wurden mit der HPLC-Methode analysiert. Insgesamt waren es 900 Analysen von Holz- und Wurzelproben.
Wuchs und Fruchtbarkeit: Im folgenden Sommer (1996) wurde die Wuchsstärke der Reben bonitiert und die Fruchtbarkeit der Triebe ermittelt (Anzahl Gescheine pro Trieb).
Resultate
Reifeverlauf der Trauben
Abbildung 1 zeigt den Reifeverlauf der Trauben zwischen dem 2. Oktober und 7.
November 1995. Bei Versuchsbeginn wiesen die Trauben im Durchschnitt 70 °Oe auf. Bis zum 17. Oktober zeigte sich zwischen den Trauben mit und ohne Blätter kein Unterschied. Im Zeitpunkt der Weinlese betrug die Differenz 6 °Oechsle. Die Beeren
der entlaubten Triebe waren im Vergleich zu denen mit Blättern um 0,06 g leichter (Tab. 1).
Ertrag und Qualitätsparameter
Tabelle 1 enthält die Resultate der Trauben von Reben mit und ohne Blättern während der letzten Reifephase.
Erstaunt hat, dass die Trauben ohne Blätter nur 6 °Oechsle weniger zeigten als die mit Blättern. Der Ertrag pro Rebe war etwas grösser bei den entlaubten Reben gegenüber den Kontrollen. Der Unterschied ist aber nicht gesichert. Da sich das Beerengewicht nur unwesentlich änderte, kann die insgesamt gute Qualität von 93,8
°Oe nicht durch den Wasserverlust der Beeren erklärt werden.
Wurzel- und Holzanalysen
Im Laufe des Jahres 1996 wurden die Proben von Wurzeln und Holz der verschieden behandelten Reben analysiert. Die nachfolgenden Tabellen zeigen die Werte der verschiedenen permanenten Organe. Die Buchstaben hinter den Analysenwerten geben an, ob ein statistischer Unterschied von p=0,5 gesichert ist oder nicht. Bei gleichen Buchstaben besteht kein Unterschied.
Die Analysen zeigen, dass bei den entblätterten Reben mit Ausnahme der Saccharose alle andern Kohlenhydratfraktionen tiefer liegen als bei den beiden andern Gruppen. Der Unterschied der Glucosewerte ist jedoch nicht gesichert. Die Saccharose war bei den entblätterten Stöcken höher. Dies lässt auf eine Bereitstellung des <Wanderzuckers» der Saccharose, schliessen. Die entblätterten Reben ohne Trauben mobilisierten kaum oder nur in geringem Umfang Reserven aus den, Wurzeln.
Die Reserven haben sich im Stamm durch die Behandlungen kaum verändert. Einzig die Fructose war bei den Reben, denen wir entweder nur die Blätter oder Blätter und Trauben wegnahmen, gegenüber den Kontrollen statistisch etwas erhöht. Auch die Glucose und Stärke änderte etwas. Eine Interpretation dieser Resultate ist schwierig.
Möglicherweise haben die gestressten Reben Kohlenhydrate aus den Wurzeln mobilisiert und im Stamm eingelagert.
Die entlaubten Stöcke wiesen im Strecker etwas weniger Stärke, jedoch geringfigig mehr Fructose und Glucäse auf als die Kontrollen. Saccharose und der gesamte Gehalt an Kohlenhydraten wurden nicht verändert.
Das Entfernen von Trauben und/oder Blättern hat die Kohlenhydrate wenig verändert. Stärke und Saccharosse haben zum Teil leicht abgenommen, Fructose und Glucose etwas zugenommen. Der Abbau der Stärke in den beiden entblätterten Varianten zugunsten von Glucose und Fructose könnte auf eine erhöhte Mobilitätsbereitschäft hindeuten.
Das Entfernen von Blättern und das Stehenlassen von Trauben hat sich vorwiegend in den Wurzeln auf die Mobilisierung, das heisst auf die Abnahme von Stärke, Fructose und Glucose ausgewirkt. Der Totalgehalt an Kohlenhydraten hat dementsprechend ebenfalls abgenommen. Zugenommen hat der «Wanderzucker», die Saccharose, was auf eine erhöhte Bereitschaft für den Abtransport der Reserven hindeutet. Das Entfernen von Blättern und Trauben hatte bei den Streckern ebenfalls einen leichten «Mobilisationsschub» von Stärke ausgelöst. Die entblätterten Jahrestriebe zeigten gegenüber der Kontrolle einen leicht erhöhten Gehalt an Glucose, Fructose und Totalkohlenhydraten, wobei die Stärke etwas abgenommen hatte. Es scheint, dass die andern permanenten Organe weniger Reserven mobilisieren.
Auswirkungen auf Wuchs und Fruchtbarkeit
Ein Jahr nach den Entblätterungen, im Jahre 1996, haben wir die Wuchsstärke der Reben bonitiert und die Fruchtbarkeit der Jahrestriebe ausgezählt (Anzahl Gescheine pro Trieb). Tabelle 6 zeigt die erhaltenen Resultate.
Die Auszählung der insgesamt 54 Reben hat ergeben, dass die im Vorjahr durchgeführten Behandlungen keinen Einfluss auf Wuchs und Fruchtbarkeit hatten.
Allgemein ist zu sagen, dass die Fruchtbarkeit der Blauburgunder-Reben in Walenstadt unterdurchschnittlich ist.
Zusammenfassung
Der Reifeverlauf entblätterter und nicht entblätterter Trauben zeigt eine geringere Abweichung, als man erwarten würde. Der Unterschied beträgt nur 6 °Oechsle (93 ° statt 99 °Oe). Das leicht verminderte Beerengewicht an entlaubten Trieben kann diese relativ kleine Differenz nicht verursacht haben. Holz- und Wurzelanalysen haben ergeben, dass namentlich die Wurzeln bei einem Entlaubungsstress Stärke, Glucose und Fructose mobilisieren. Andere Speicherorgane tragen wenig bis nichts zum Kompensieren der fehlenden Blätter bei. Die gestressten Reben zeigten im folgenden Jahr keine Beeinträchtigung der Wuchskraft und der Fruchtbarkeit.
Diskussion
Das Entblättern der Reben nach dem Einsetzen der Beerenreife hat zu einer relativ geringen Einbusse von Zucker (6 °Oechsle) geführt. Analysen der betreffenden Wurzeln und anderen verholzten Organen der Reben haben gezeigt, dass namentlich Stärke und zum Teil auch Glucose und Fructose der Wurzeln, zur Kompensation der fehlenden Blätter mobilisiert worden ist.
Die andern Speicherorgane der Reben haben weniger bis keine Reserven für die Traubenreife mobilisiert. Frühere Versuche mit radioaktivem C02 haben bei Riesling X Silvaner-Reben ergeben, dass ein Rückfluss vom alten Holz in die Trauben stattfand. (Kohlet und Perret 1982). Holzanalysen nach Entblätterungsversuchen im Jahr 1989 mit .Blauburgunder-Reben haben ebenfalls bestätigt, dass ein Rückfluss von Kohlenhydraten aus dem alten Holz in die Trauben möglich ist (Koblet et al.
1994),
Unter kontrollierten Bedingungen mit Topfreben im Phytotron konnten Candolfi- Vasconcelos et al. 1994 das Mobilisieren von Reserven aus den Wurzeln unter Stressbedingungen bestätigen. Ausführliche Literatur zum Mobilisierungsvermögen gestresster Reben findet man in diesen drei Publikationen. Murisier u. Aerny (1994) weisen in ihren Untersuchungen auf die grosse Bedeutung der Wurzeln als Speicherorgan hin. Überlastete Reben lagern weniger Kohlenhydrate ein und zeigen in der Folge oft Chlorose.
Die Rebe hat einem grossen Potential an Stresseinflüssen zu begegnen (Koblet et al. 1996). Nicht nur das Mobilisieren von Reserven kann fehlende Blätter teilweise ersetzen, sondern es sind weitere Kompensationsmechanismen bei Teilverlust von Blättern vorhanden: Verstärktes Geizenwachstum, grössere Fotosyntheseleistung der verbleibenden Blätter und späterer Blattfall.
In den nächsten Jahren sind weitere Untersuchungen geplant, den Zusammenhang zwischen jeweils verfügbaren Zuckern in oder auf der Rebe und den Hefearten in
«Clustern» zu studieren.
Wieweit die Besiedlung von verschiedenen Heferassen auf der Rebe mit den verfügbaren Zuckern im Zusammenhang steht, ist Gegenstand weiterer Forschungsarbeiten. Die heutigen Kenntnisse zeigen, dass die Besiedlung nicht ungeordnet erfolgt (Gafner et al. 1996).
Abb. 1:
Blauburgunder Walenstadt:
Beerengewicht und Oechslegrade
Abb. 2:
Versuchsrebberg Walenstadt.
Abb. 3:
Traubenreife ohne Blätfer.
Literatur
Candolfi-Vasconcelos M.C., Candolfi M. und Koblet W.: Retranslocation of carbon reserves from the woody storage tissues into the fruit as a response to defoliation stress during the ripening period in Vitis vinifera L. Planta 192, 567573, 1994.
Gafner J., Hoff mann P., Iselin F, Schütz M. und Viviani A.: Die Hefeflora im Rebberg und während der Weinbereitung. Agrarforschung 3, 373-376, 1996.
Koblet W. und Perret P.: Wanderung, Einlagerung und Mobilisaton von Kohlenhydraten in Reben. Wein-Wiss. 37, 368-382, 1982.
Koblet W. und Perret R: Die Bedeutung des alten Holzes für Ertrag und Qualität bei Reben. Wein-Wiss. 40, 228-237, 1985.
Koblet W, und Candolfi-Vasconcelos M.C., Zweifel W. und Howell G.S: Influence of leaf removal rootstock and training system an yield and fruit composition of Pinot noir grapevines. Am. J. Vitic. Enol. 45, 181-187, 1994.
Koblet W., Candolfi-Vasconcelos M.C. und Keller M.: Stress und Stressbewältigung bei Weinreben. Bot. Helv. 106, 73-84, 1996.
Murisier F und Aerny J.: Influance du niveau de rendement de la vigne sur les reserves de la plante et sur la chlorose. Rev. Suisse 26, 281287, 1994.
Weitere Literaturhinweise in den erwähnten Publikationen SZOW 97 S.114