Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 109|
Heft 3|
20. Januar 2012 A 91 Ein kleines Molekül, das eben-falls den Sehzyklus moduliert, ist ACU-4429. Im Mausmodell hat die Substanz die Akkumulation von A2-E verhindern können. In einer Phase-I-Studie an 125 gesunden Probanden wird momentan die Ver- träglichkeit von ACU-4429 getestet.
Die US-amerikanische Gesundheits- behörde FDA hat der weiteren Tes- tung der Substanz aufgrund des gro- ßen Bedarfs an einer Therapie oder zumindest einer Progressionspräven- tion jetzt „fast track“-Status gewährt – die klinische Testung verläuft also beschleunigt und nicht unter ganz so vielen Regularien wie üblich.
Geradezu kühn erscheint der An- satz, einen Stoff operativ in den Glaskörper einzusetzen, der konti- nuierlich – wie ein klassischer in- traokularer Medikamententräger – nicht nur die Netzhaut schützende Faktoren abgibt, sondern sogar im Auge produziert. Auf diese Weise wird die Wirksamkeit eines Ciliary Neutrophic Factor (CNTF) unter- sucht, der zur Apoptose führenden Einflüssen „Paroli“ bietet.
Unter der Bezeichnung Encapsu- lated Cell Technology (ECT) haben Bioingenieure in den USA ein Im- plantat entwickelt, das aus einer sechs Millimeter langen und knapp einen Millimeter dicken, semiper- meablen Polymerkapsel besteht.
Diese wird im Rahmen eines etwa 20-minütigen Eingriffs (Vitrekto- mie) in den Glaskörper des Auges
eingebracht und soll dort circa drei Jahre verbleiben. Im ECT befinden sich genetisch veränderte Zellen von menschlichem retinalen Pig- mentepithel. Diese Zellen produzie- ren CNTF, der kontinuierlich durch die kleinen Poren des Implantats abgegeben wird und das Absterben von Netzhautzellen verhindern soll.
Zelluntergang verlangsamt Dass dieses Prinzip klinisch durch- aus funktionieren kann, belegen jetzt erste mit ECT an Patienten mit Makuladegeneration vorgenomme- ne Studien. In einer Gruppe von 51 an trockener AMD leidenden Pa- tienten eines Durchschnittsalters von rund 75 Jahren wurde jeweils ein ECT implantiert oder eine Scheinimplantation vorgenommen.
Nach zwölf Monaten zeigte sich bei den Betroffenen, deren schon ge- schädigte Netzhaut durch den Zell- träger kontinuierlich mit CNTF ver- sorgt wurde, eine deutliche Ver- langsamung des Zelluntergangs.
Ein stabiles Sehvermögen hatten 96 Prozent der Patienten mit dem Implantat und 75 Prozent der Unbe- handelten. Es sei wie bei einer Bä- ckerei, die jeden Morgen frisches Brot anbietet – mit diesem Ver- gleich stellte Baruch Kuppermann von der University of California in Irvine die Neuheit vor. Über den Preis der „Backwaren“ kann mo- mentan nur spekuliert werden.
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Dr. med. Ronald D. Gerste
Bei der trockenen Form der altersbe- dingten Makuladegeneration kommt es im Bereich der Netzhaut zu einer verstärkten Ablagerung von Stoff- wechselendprodukten, die sich oft- mals in sogenannten Drusen zusam- menlagern. Der Stoffwechsel der Netzhaut ist bei Makuladegeneration an den betroffenen Stellen also ver- schlechtert. Aber auch Durchblu- tung und Nervenfunktionen sind oft- mals verändert. Man spricht hierbei auch von Funktionsstörungen im Re- tinalen Pigmentepithel, einer Zell- schicht, die unter den Sehzellen
liegt und für deren Versorgung zu- ständig ist.
Anfangs führt dies zu immer stärker werdenden Funktionseinbußen und später zum Zelltod im Bereich der äu- ßeren Netzhaut- und Aderhautschich- ten (geografische Atrophie – trockene
„Spätform“). Die Degeneration schreitet immer weiter fort, was dann meist den Untergang des zentralen Sehens be- deutet. Es besteht grundsätzlich das Risiko, dass eine trockene Makulade- generation in eine feuchte Form über- geht. Weitere Informationen unter www.makuladegeneration.org/
TROCKENE MAKULADEGENERATION
DURCHTRENNTER SEHNERV
Seidenfasern als Gerüst
Biomaterial ermöglicht regeneratives Wachstum in Zellkulturen.
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ird der Sehnerv durchtrennt, erblinden die Betroffenen bisher unabwendbar. Gemeinsam mit Wissenschaftlern aus den USA und Frankreich haben Forscher der Universitätsaugenklinik Leipzig nun ein Material entwickelt, das verletz- ten Nerven zum Wachstum verhel- fen könnte: elektrisch gesponnene Seidenfasern, nur wenige Millions- tel Millimeter dick. Insbesondere wenn sie mit Wachstumsfaktoren versehen werden, so Prof. Dr. med.Thomas Claudepierre und Kollegen (Advanced Functional Materials 2011; 21: 4232–4242).
Für ihre Versuche nutzten die Forscher Zellkulturen von Netz- hautnervenzellen der Ratte, die sie – um die Zerstörung des Nervs zu simulieren – in ein schädigendes Medium setzten. Wie sich zeigte, konnten die Zellen trotz der widri- gen Bedingungen an parallel ange- ordneten Seidenfäden auf einem Deckgläschen entlang wachsen. Die Ausläufer von Nervenzellen, die an diesen speziell funktionalisierten Seidenfäden wuchsen, erzielten im Vergleich zu den Versuchen mit
„normalen“ Seidenfäden die zwei- bis dreifache Länge.
Zum elektrischen Spinnen von Seidenfäden wird eine Flüssigkeit mit dem Seidenprotein „Fibroin“ in eine Spritze geladen und durch das Anlegen einer starken Spannung elektrostatisch aufgeladen. Anschlie- ßend wird die Flüssigkeit als feiner Strahl zu einer negativ geladenen, rotierenden Kollektorspule geleitet.
Um den Seidenfaden in paralleler Anordnung „einzufangen“, befes- tigten die Wissenschaftler auf der Spule kleine Deckgläschen. „Unser Ziel ist die Entwicklung eines 3-D-Gerüsts, das an der Stelle einer Nervenschädigung implantiert wird“, erklärt Claudepierre. zyl