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Archiv "Hexachlorcyclohexan — Gift in den Lebensmitteln?Die HCH-Immissionen im hessischen Ried und in Hamburg-Moorfleet sowie ihre toxikologische Beurteilung" (11.09.1980)

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ÜBERSICHTSAUFSATZ

1. Einleitung

Im Jahre 1977 traten in der Milch von Kühen auf Weiden im hessischen Ried erhöhte Gehalte an Hexachlor- cyclohexan (HCH) auf. Von Januar 1979 an nahm sich die Tagespresse dieser Sache an, die bis heute den hessischen Landtag, die Ministerien der hessischen Landesregierung und die Firma, die in ihrem Zweig- werk Gernsheim bis in die frühen siebziger Jahre HCH produzierte, die E. Merck AG. in Darmstadt, beschäf- tigt.

Im Frühling 1979, wenige Wochen nach der öffentlichen Diskussion der Vorfälle im hessischen Ried, wurden in den Vierlanden bei Ham- burg ebenfalls Kontaminationen der Milch durch HCH festgestellt. Sie wurden mit den dort ansässigen HCH-Produzenten, der Celamerck AG. in Hamburg-Moorfleet, einer Tochter von C. H. Boehringer Sohn/

Ingelheim, in Zusammenhang ge- bracht.

Hier soll nun der Versuch gemacht werden, die Hintergründe zu erhel- len, aus denen heraus die beiden Immissions-Vorfälle verständlich werden. Außerdem soll eine toxiko- logische Bewertung der Immission vorgenommen werden. — HCH wird als Insektizid vor allem in der Land- wirtschaft verwendet.

2. Chemie

Von den acht theoretisch möglichen Stereoisomeren werden fünf bei der Photohalogenierung von Benzol ge- bildet; sie werden mit griechischen Buchstaben Alpha bis Epsilon be- zeichnet (Tabelle 1).

Insektizide Wirkung haben die Al- pha-, Gamma- und Delta-Stereoiso- meren; dabei ist das Gamma-Stereo- isomere etwa hundertmal wirksamer als die beiden anderen, eben die Al- pha-. und Delta-Stereoisomeren. Das bedeutet, daß das Gamma-Stereo- isomere in einem aufwendigen Rei- nigungsverfahren abgetrennt wer- den muß. Das ist aufgrund der un- terschiedlichen Löslichkeitseigen- schaften der Stereoisomeren mög- lich.

Angesichts der geringen Ausbeute (Tabelle 1) verwundert es nicht, daß bei der Produktion große Mengen von zunächst nutzlosen HCH-Stereo- isomeren anfallen.

Die Produktionsrückstände enthal- ten daneben noch höher chloriertes Hepta- und Oktachlorcyclohexan.

Außerdem bleibt unverändertes Benzol zurück.

Die großen Mengen an Abfallstoffen wurden in einem später entwickel- ten Verfahren aufgearbeitet. In ihm

Hexachlorcyclohexan (HCH) wird als Insektizid, vor allem in der Landwirtschaft, verwen- det. Die Erfahrung lehrt, daß dabei immer wieder Kontami- nationen in Lebensmitteln auftreten können. So sind 1977 in der Milch von Kühen, die im hessischen Ried auf der Weide standen, erhöhte Ge- halte an HCH aufgetreten. Der Weg, auf dem die HCH-Deriva- te in die Milch gelangten, ist nicht alltäglich. Eine ähnliche Kontamination von Milch und Gemüse durch HCH ergab sich im Frühjahr 1979 in der Nähe Hamburgs.

wird das HCH-Gemisch thermoly- tisch in Trichlorbenzol übergeführt, das ist das Ausgangsprodukt für die Synthese von Trichlorphenol. Dieses Herstellungsverfahren ist bereits in einem früheren Beitrag*) abgehan- delt worden.

Die Diskussion der möglichen Bela- stung unserer Umwelt mit Dioxinen und Dibenzofuranen, unvermeidli- chen, aber außerordentlich toxi- schen Nebenprodukten bei der Syn- these und dem Abbau halogenierter Aromaten, muß einer gesonderten Darstellung vorbehalten bleiben.

Die Stereoisomeren von HCH sind praktisch nicht oder nur in geringem Umfange wasserlöslich, dagegen lassen sie sich in organischen Lö- sungsmitteln gut lösen. Außerdem zeichnen sie sich durch einen hohen Dampfdruck aus; mit anderen Wor- ten, handelt es sich um Substanzen, die mit steigenden Temperaturen zunehmend flüchtig sind.

Der Dampfdruck für Gamma-HCH wird mit 0,03 Torr bei 20°C angege- ben. Dadurch ist die kurze Wir- kungsdauer von Gamma-HCH, vor allem in warmen Ländern, begrün- det.

*) Forth, W.: 2,3,7,8-Tetrachlorodibenzo-1,4- Dioxin (TCDD): Das Unglück von Seveso, Dtsch. Ärzteblatt 74 (1977) 2617-2626.

Hexachlorcyclohexan — Gift in den Lebensmitteln?

Die HCH-Immissionen im hessischen Ried und

in Hamburg-Moorfleet sowie ihre toxikologische Beurteilung

Wolfgang Forth

Aus dem Pharmakologischen Institut

(Vorstand: Professor Dr. med. Wolfgang Forth) der Ludwig Maximilians Universität München

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Heft 37 vom 11. September 1980

2169

(2)

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3 CL,, ich'

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• CI CI

(technisch)

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CI

3. Die HCH-Immission im hessischen Ried

1977 erstmals festgestellt, wurde 1979 in der Tagespresse darüber be- richtet, daß Milch aus landwirt- schaftlichen Betrieben der Ried-Ge- meinden Gernsheim, Biebesheim und Allmendfeld HCH-Gehalte auf- weise, die über den von der Höchst- menge-Verordnung zugelassenen Grenzwerten liegen. Als Verursacher wurde die Firma Ernst Merck vermu- tet, in deren Zweigwerk Gernsheim bis 1972 Gamma-HCH produziert wurde. Rund 20 milcherzeugende Betriebe waren bis zum Sommer 1979 als betroffen ausgemacht wor- den. Die nähere Analyse der Milch ergab, daß vor allem eine Kontami- nation mit Beta-HCH, daneben aber auch Alpha-HCH, vorlag. Alpha- und Beta-Stereoisomeren verhielten sich wie 1:10. Der Gehalt an Gamma-HCH war so gering, daß eine Verunreini- gung mit dem Pflanzenschutzmittel durch unsachgemäße Anwendung in der Landwirtschaft ausgeschlos- sen werden konnte. Da die Produk- tion von technischem HCH lange eingestellt war, mußte die Immission schon in Zeiten erfolgt sein, die lan- ge vor der Erstentdeckung lagen.

Dabei bestehen mehrere Möglich- keiten:

O Die Immission erfolgte über die Wasserführung in diesem Gebiet.

• Die Immission muß auf anderem Wege erfolgt sein, zum Beispiel durch Austritt von HCH aus den De- ponien oder durch Verwehungen bei der Anlage der Deponien.

Ehe die Frage des Immissionsweges aufgeklärt werden soll, muß ein kur- zer Rückblick über die Behandlung der Produktionsrückstände der Fir- ma Merck erfolgen. Sie wurden in den frühen fünfziger Jahren zu- nächst auf dem Werksgelände gela- gert. Es häuften sich große Mengen eines weißen Pulvers an, die im Jar- gon der Werksangehörigen als

„Monte Jacutino" bezeichnet wur-.

den. Wegen der Geruchsbelästigun- gen der Werksangehörigen und der Anwohner konnte diese Regelung nicht länger beibehalten werden.

Deshalb entschloß man sich im Ver- lauf der sechziger Jahre zur Lage- rung in Abfallgruben. Die amtliche Genehmigung erfolgte aufgrund der damals gültigen gesetzlichen Be- stimmungen. Zunächst waren das

die Bestimmungen des Wasserhaus- haltsgesetzes, wonach Stoffe nur so gelagert werden durften, daß eine Verunreinigung des Grundwassers mit schädlichen Folgen ausge- schlossen war. Dies wurde vor allem dadurch sichergestellt, daß die Soh- le der Abfallgruben oberhalb eines in der Gegend jemals beobachteten Höchstwasserstandes angelegt wur- den. Weitere Deponien von Hexa- produktionsrückständen wurden auch bei der Anlage eines werksei- genen Parkplatzes unter Berück- sichtigung gewisser Auflagen be- hördlich genehmigt. Es ist anzumer- ken, daß das hessische Abfallbeseiti- gungsgesetz erst im Jahre 1971 in Kraft getreten ist; von diesem Zeit- punkt an wurde die Lagerung von Abfällen genehmigungsbedürftig.

Soweit sind die Sachverhalte zwi- schen den zuständigen Behörden und dem Verursacher nicht strittig;

abweichende Meinungen gibt es in- des hinsichtlich des Ausmaßes der damals vorgenommenen Deponie- rung von HCH-Rückständen.

Das Gelände wurde in der folgenden Zeit durch Analyse des Wassers in den Fabrikbrunnen sowie im Wasser aus Versuchsbohrungen um das

Tabelle 1: HCH-Stereoisomeren (technisches HCH), die bei der Photohalogenierung entstehen

Alpha Beta Gamma Delta Epsilon

Ausbeute (%) 60 12 15 6 3

lsomeren-Verhältnis

(Epsilon-HCH=1) 20 4 5 2 1

CI

Die Extraktion von Gamma-HCH mit Methanol ergibt 99% reines Gamma-HCH

Aufarbeitung des HCH-Abfalles: HCH (technisch) Hitze

Cl

CI

Trichlorbenzol wird zu Trichlorpheno/ verarbeitet.

2170 Heft 37 vom 11. September 1980

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

(3)

Aktuelle Medizin

HCH-Immissionen

Werk sowohl von den Behörden wie von der Firma untersucht. Die Meß- ergebnisse lassen keinen Schluß auf eine Verunreinigung des Grundwas- sers zu. Eine Ausnahme machte der HCH-Gehalt (0,2 mg/kg im Sommer 1979) in einem Fabrikbrunnen, der sich in der Nähe eines Kristallisier- beckens der alten Produktionsstätte befindet. Dieses Kristallisierbecken hatte einen Riß, durch den HCH während der damaligen Produktion in den Boden gelangen konnte.

Gegen die Annahme, daß die HCH- Immission über das Grundwasser er- folgt sein könnte, spricht auch die Zusammensetzung der HCH-Stereo- isomeren, die in der Milch einen zehnfach höheren Beta-HCH-Anteil im Vergleich zum Alpha-HCH-Anteil aufweisen.

Demgegenüber ist festzuhalten, daß in den Rückständen der Alpha-HCH- Anteil den von Beta-HCH um rund das Vierfache überwiegt. Wäre die Immission über das Wasser erfolgt, dann müßte die Kontamination der beiden Stereoisomeren etwa in die- sem Verhältnis gefunden worden sein.

Die Umkehrung des Verhältnisses der Stereoisomeren in der Milch wird als Indiz für einen anderen Im- missionsweg betrachtet. Bei der De- ponierung, der eine Überführung der auf dem Werksgelände offen gelagerten Produktionsrückstände vorausging, kam es vielfach zu Ver- wehungen, die schon in den sechzi- ger Jahren zu Regreßansprüchen von Betreibern landwirtschaftlicher Betriebe an die Werksleitung der Fir- ma E. Merck geführt haben.

Geht der Abbau des alpha-stereoiso- meren HCH im Boden sehr rasch vor sich, so persistiert das Beta-Stereo- isomere außerordentlich lang. Die Halbwertszeit von Alpha-HCH wird mit einem Jahr veranschlagt, die des Beta-HCH mit über 10Jahren. Da aber Beta-HCH im Verhältnis zu allen an- deren HCH-Stereoisomeren im Orga- nismus ebenfalls eine viel längere Persistenz aufweist, ist die Frage nach dem Immissionsweg nicht end- gültig zu beantworten.

Es wäre denkbar, daß im Laufe der Zeit zwar außerordentlich geringe Mengen der HCH-Rückstände mit dem Grundwasser in die Futterpflan- zen und von da aus in die Milch gelangt sind. Die Umkehrung der Anteile der Alpha- und Beta-Stereo- isomeren wäre demnach eine Folge der Diskriminierung durch den Stoffwechsel. Dieser Interpretation steht allerdings die Tatsache entge- gen, daß im Wasser keine oder nur geringe HCH-Mengen bestimmt wer- den konnten. Wie anders als durch Verwehung wäre es auch zu erklä- ren, daß Kontaminationen der Milch mit HCH nicht nur in rechtsrheini- schen Gemeinden, sondern auch linksrheinisch in Hamm (Rheinland- Pfalz) beobachtet wurden. Die Mög- lichkeit einer Verdampfung von HCH-Rückständen aus den Depo- nien, vor allem bei hohen Außentem- peraturen, ist zwar nicht auszu- schließen; sie kann aber schwerlich das Ausmaß der Immission quantita- tiv erklären.

Gegenwärtig wird von allen Kennern der Situation die Verwehungstheo- rie als die wahrscheinlichste Erklä- rung für die HCH-Immission im hes- sischen Ried betrachtet. Dement- sprechend haben die Behörden bis- lang auch die Beseitigung der Depo- nien nicht angeordnet, weil die Ge- fahr erneuter Verwehungen, die da- mit verbunden wäre, sehr hoch ein- geschätzt werden muß.

4. Die HCH-Immission in Hamburg-Moorfleet

Seit 1951 wird im Werk Hamburg- Moorfleet der Firma C. H. Boehrin- ger Sohn/Ingelheim Gamma-HCH auf dem Wege der Photohalogenie- rung (Tabelle 1) synthetisiert. Zu- nächst wurden auch hier die nicht unbeträchtlichen Produktionsrück- stände auf dem Werksgelände offen gelagert. In dieser Zeit kam es hin und wieder zu Verwehungen der HCH-lsomeren in der unmittelbaren Nachbarschaft des Werkes. Noch in den fünfziger Jahren wurde jedoch mit der Entwicklung eines Verfah- rens begonnen, um die HCH-Rück- stände zur Produktion des Herbizids

2,4,5-T weiterzuverarbeiten (Tabel- le 1 und DEUTSCHES ÄRZTEBLATT [1977] 2617-2626). Ende 1972 waren alle angesammelten HCH-Produk- tionsrückstände aufgearbeitet.

Mitte März 1979 wurde in einigen landwirtschaftlichen Betrieber) in den Vierlanden HCH-Rückstände in Lebensmitteln festgestellt, die mit den Höchstmengen-Verordnungen nicht vereinbar waren. Die daraufhin eingeleitete Untersuchung ergab, daß die Vierlande, mit Ausnahme ei- nes Gebietes in der unmittelbaren Nähe des Werkes, frei von Kontami- nationen waren. Die Produkte der kontaminierten Areale wurden für den Verkauf gesperrt.

Die Prüfung der Zusammensetzung der HCH-Stereoisomeren ließ jedoch sehr schnell den Schluß zu, daß die älteren Verwehungen nur für einen Teil der Kontamination verantwort- lich sein konnten. Vor allem in den oberirdischen Anteilen von Blattge- müse fand sich ein sehr hoher Anteil an Alpha-HCH, der im wesentlichen auf die unvermeidliche Immission während der laufenden Produktion zurückgeführt werden muß. Es ist auch festgestellt worden, daß in eini- gen landwirtkhaftlichen Betrieben die Milch mit HCH kontaminiert war.

Dabei konnte in Einzelfällen nachge- wiesen werden, daß die Kontamina- tion auf nicht sachgerechten Um- gang mit HCH-haltigen Pflanzen- schutzmitteln zurückzuführen war.

In einem Fall besteht keine andere Erklärung als die der HCH-Immis- sion aus der laufenden Produktion.

Von der Werksleitung ist angekün- digt worden, daß zum Ende des Jah- res 1979 ein neuer Abluftwäscher in Betrieb genommen worden sein wird, der die Immission von HCH noch weiter senken wird. Es ist an- zumerken, daß die Immissionen aus dem Abluftschornstein zu keinem Zeitpunkt die behördlich zugelasse- nen Mengen überschritten haben.

Der Hamburger Vorfall ist von einer interessanten juristischen Frage be- gleitet. Sie schließt sich an das Ge- bot, die kontaminierten Lebensmit- tel aus dem Handel zu ziehen. Die Höchstmengenverordnungen zielen

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 37 vom 11. September 1980 2171

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HCH-Immissionen

nämlich auf die zulässigen Rück- standsmengen von Insektiziden ab (Gamma-HCH sowie HCH-Stereoiso- meren außer Gamma-HCH), die im sachgerechten landwirtschaftlichen Gebrauch unvermeidlich sind. Sie sind also nicht unter dem Gesichts- punkt einer primär toxikologischen Risiko-Analyse festgelegt worden.

Dementsprechend enthalten die Höchstmengenverordnungen auch keinerlei differenzierte Angaben über Alpha- oder Beta-Stereoisome- ren von HCH, die im Fertigprodukt Gamma-HCH, das zur Anwendung gelangt, nur in verschwindend ge- ringen Mengen enthalten sind. Gera- de aber Alpha-HCH und Beta-HCH sind die Hauptbestandteile der HCH- Kontamination im Gemüse in den Vierlanden. Nach rein juristischen Überlegungen scheint das Verbot der Vermarktung des kontaminier- ten Gemüses mit Hinweis auf die Höchstmengenverordnung nicht haltbar zu sein. Trotzdem ist das Verbot zunächst eine vernünftige Entscheidung. Natürlich hat das Vermarktungsverbot den betroffe- nen Landwirten erhebliche Verluste zugefügt, die von der Firma Boehrin- ger/Ingelheim ausgeglichen wurden;

die Firma hat allerdings darauf Wert gelegt, daß damit keinerlei Schuld- anerkenntnis verbunden ist.

5. Die Wirkungen

von Hexachlorcyclohexan

5.1 Toxokinetik von

Hexachlorcyclohexan im Organismus

Alle HCH-lsomeren werden auf- grund ihrer hohen Fettlöslichkeit oral durch die Lungen und perkutan gut aufgenommen; das gilt insbe- sondere für ölige Lösungen von HCH. HCH wird rasch im Körperfett beziehungsweise in fettreichen Or- ganen deponiert. Werden Alpha-, Beta-, Gamma- und Delta-HCH im Tierversuch gemeinsam verfüttert, dann ist die Akkumulation für Beta- HCH am stärksten, die für Gamma- und Delta-HCH am geringsten. Die Anreicherung von Alpha-, Gamma- und Delta-HCH ist nach 4 bis 6 Wo- chen im Gleichgewicht, diejenige für

Beta-HCH jedoch erst nach etwa 12 Wochen (1, 12)*).

Die Stereoisomeren von HCH wer- den nur in geringstem Umfange un- verändert im Urin und Kot der Tiere wieder ausgeschieden. Die Haupt- ausscheidungsprodukte sind Konju- gate der hydrolysierten beziehungs- weise unveränderten Verbindungen mit Glucuronsäure und mit Schwe- felsäure (3, 19). Nach Gabe von Al- pha-HCH ist konjugiertes 2,4,6- Trichlorphenol das Hauptausschei- dungsprodukt (13). 70 bis 80 Prozent der Metaboliten werden im Tierver- such mit dem Urin, 20 bis 30 Prozent mit dem Kot ausgeschieden (12).

Während die Ausscheidung von Al- pha-, Gamma- und Delta-HCH im Tierversuch nach einer einmaligen Dosis innerhalb von 3 Wochen prak- tisch beendet ist, hält sie nach einer Gabe von Beta-HCH mehr als 14 Wo- chen an. Beta-HCH persistiert also auch im Organismus länger als die anderen HCH-Stereoisomeren (1).

HCH geht in die Muttermilch über.

Zwischen mütterlichem und kindli- chem Organismus ist das Gleichge- wicht der HCH-Verteilung offen- sichtlich zu Lasten des ersteren ver- schoben: im Nabelschnurblut von Föten sowie in deren Leber fanden sich geringere HCH-Mengen als im Blut und in der Leber des Muttertie- res (11, 23).

5.2 Die Wirkung von Gamma-HCH am Menschen

Gamma-HCH wird vor allem als Schädlingsbekämpfungsmittel ein- gesetzt: Lindan®, 666®, Jacutin®, HCH®, Gammexan®, Pecusanol®.

Während HCH früher auch in größe- rem Umfange zur Wurmbekämpfung benutzt wurde, existiert heute nur noch ein Präparat in der Roten Liste, das Gamma-HCH enthält: Vemedi- cal®-Suppositorien. Sie enthalten 1 mg Gamma-HCH in einem Supposi- torium; diese Dosis ist unbedenk- lich.

Als tödliche Dosis werden 100 bis 150 mg/kg Gamma-HCH betrachtet.

Die Dosis ist für technisches HCH, das heißt für das Stereoisomerenge-

misch von HCH, wie es in der Pro- duktion anfällt, rund viermal höher.

Die akut toxischen Dosen sind für Alpha-, Beta-, Delta- und Epsilon- HCH im Tierversuch niedriger als die, die für Gamma-HCH ermittelt wurden. Das gilt nicht für die Prü- fung der chronischen Toxizität der HCH-Stereoisomeren; vor allem in seiner Auswirkung auf das Leberge- wicht und die Gewichtsretardierung der Tiere erweist sich das Beta-HCH als zehn- bis sechzehnmal wirksa- mer als das Gamma-Stereoisomere und als acht- bis zehnmal wirksamer als das Alpha-Stereoisomere (Litera- tur siehe bei 6).

Das akute Vergiftungsbild konnte wiederholt bei exponierten Perso- nen und insbesondere bei Kindern beobachtet werden. Es ist gekenn- zeichnet durch zentrale Krämpfe, Herzversagen, Zyanose und Atem- not. Bei der Sektion wird oft eine fettige Degeneration der Leber ge- funden. Auffallend sind die nekroti- schen Veränderungen der End- strombahn in Lunge, Niere und Ge- hirn. Begleitsymptome sind Mydria- sis und Hyperglykämie (Katechol- amin-Ausschüttung durch chlorierte Kohlenwasserstoffe?) (5, 16).

Nach chronischer Zufuhr von HCH werden gastrointestinale Beschwer- den sowie Veränderungen im EKG und eine gesteigerte Senkungsreak- tion beobachtet. Erwiesen ist außer- dem nach längerdauernder Exposi- tion gegenüber hohen Konzentratio- nen die Ausbildung von Knochen- marksschäden: aplastische Anämie, Agranulozytose, Panmyelopathie (Literatur siehe bei 6). Als Ursache werden teils direkte toxische Schä- den, teils allergische Reaktionen an- genommen.

Die früher weit verbreiteten HCH-be- dingten Dermatosen sind weitge- hend zurückgegangen, seit nur mehr das hochgereinigte Gamma- HCH eingesetzt wird. Die Ausbil- dung der Dermatosen konnte mit den höher chlorierten Verunreini- gungen, dem Hepta- und dem Ok-

*) Die in Klammern stehenden Ziffern bezie- hen sich auf das Literaturverzeichnis.

2172 Heft 37 vom 11. September 1980 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Aktuelle Medizin

HCH

-

Immissionen

Tabelle 2: HCH-Konzentration im Blut von exponierten Personen im hessischen Ried — Mittelwerte in mcg kg HCH-Stereoisomeren

n gesamt Alpha- Beta- Gamma- Quelle

HCH HCH HCH

nicht exponierte

Personen 12 6,6 3 1,7 1,9 ( 6)

exponierte Personen 36 15,6 2,6 11,4 1,7 (6)

(Höchstwert 48)

exponierte Personen

(Australien) 185

nicht exponierte Personen (Japan);

Plasma-Werte

29

176 58

(Höchstwert 242!)

tachlorcyclohexan in Verbindung gebracht werden. Sie sind vor allem in den Gelenkbeugen und Körperfal- ten aufgetreten, die durch eine stär- kere Schweiß- und Hautfeuchtig- keitsbelastung gekennzeichnet sind (Literatur siehe bei 6).

Schwer zu beurteilen sind nach wie vor Leberschädigungen und Schädi- gungen des peripheren und zentra- len Nervensystems, die nach lang- dauernder massiver Exposition auf- traten. Dabei handelt es sich immer um Mischexpositionen, bei denen die Abgrenzung gegenüber der gleichzeitig erfolgten chronischen Vergiftung mit Lösungsmitteln nicht einfach ist (zusammenfassende Lite- ratur siehe bei 6).

5.3 HCH-Konzentration im Blut exponierter Personen des hessischen Ried

Die Konzentrationen im Blut von Personen, die im hessischen Ried nachgewiesenermaßen HCH-konta- minierte Nahrungsmittel zu sich ge- nommen haben, sind in Tabelle 2 wiedergegeben. Gegenüber nicht exponierten Personen ergibt sich ein um das 2,4fache höherer mittle- rer Gehalt des Blutes an allen HCH- Stereoisomeren; er ist durch einen höheren Gehalt des Blutes an Beta- HCH verursacht. Die Blutwerte sind

mit keinerlei klinischen Symptomen korrelierbar gewesen. Aus den in der Literatur zahlreich vorhandenen Un- tersuchungen sind in der Tabelle 2 zwei herausgegriffen worden. Dabei handelt es sich um HCH-exponierte Personen in Australien beziehungs- weise nicht-exponierte Personen in Japan; bei der letztgenannten Grup- pe wurde die HCH-Bestimmung im Plasma durchgeführt. In beiden Fäl- len ergaben sich höhere Mittelwerte für den Gesamt-HCH-Gehalt. Er ist bei der japanischen, nicht exponier- ten Personengruppe besonders hoch. Der Höchstwert in der japani- schen Gruppe war mit 242 Rg/kg rund fünfmal höher als der höchste gemessene Wert im Blut eines Expo- nierten aus dem hessischen Ried.

Auch bei diesem Japaner wurden keine subjektiven oder objektiven Zeichen einer HCH-Vergiftung beob- achtet. Die bisher vorliegenden Er- fahrungen in den Betrieben, in de- nen Gamma-HCH hergestellt wird, und in denen die Beschäftigten jetzt über 20 Jahre überwacht werden, besagen, daß bei der Einhaltung der gewerbehygienisch vorgeschriebe- nen Maßnahmen keine Beeinträchti- gungen des Gesundheitszustandes aufgetreten sind, es sei denn, es ist zu einer längerdauernden Einwir- kung hoher HCH-Konzentrationen gekommen, weil die entsprechen- den Vorschriften nicht eingehalten worden sind.

5.4 Die teratogene, mutagene und tumorigene Wirkung von HCH Im Tierversuch wurde an Mäusen keine Störung der weiblichen Fertili- tät, wohl aber eine gesteigerte Em- bryotoxizität beobachtet, wenn die Tiere einen Monat vor der Paarung und während der gesamten Träch- tigkeitsperiode mit 5 mg/kg und Tag Beta-HCH behandelt wurden. Auch die pränatale Entwicklung der Jung- tiere wurde nicht beeinflußt. Wenn zusätzlich zu der Basisgabe von 5 mg/kg und Tag Beta-HCH am sech- sten und siebten Trächtigkeitstag 50 beziehungsweise 100 mg/kg Beta- HCH verabreicht wurden, wurde ei- ne verzögerte Entwicklung der Fö- ten und eine gesteigerte intrauterine Sterblichkeit der Embryonen beob- achtet. Die überwiegende Zahl der Mitteilungen über Untersuchungen der mutagenen Wirkung verschiede- ner HCH-lsomeren ist negativ (zu- sammenfassende Literatur siehe bei 6). Dagegen gibt es eindeutige Hin- weise auf ein tumorigenes Potential von HCH. Bei der Prüfung der chro- nischen Toxizität von HCH-Stereo- isomeren fällt auf, daß die Lebern dosisabhängig an Gewicht zuneh- men. Besonders wirksam erscheint Beta-HCH. Diese Wirkung teilt HCH mit anderen Arznei- und Fremdstof- fen, die sich durch induzierende Wirkung auf die sogenannten arz- neistoffabbauenden Enzyme aus-

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 37 vom 11. September 1980

2173

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zeichnen. Die Lebervergrößerung ist morphologisch betrachtet eine Kombination aus Hypertrophie und Hyperplasie (18). Die induzierenden Effekte sind vor allem bei kleinen Nagetieren, insbesondere bei Mäu- sen, gut zu beobachten. Ein beson- ders empfindliches Kriterium ist die mikroskopisch feststellbare Leber- zellvergrößerung. Mit ihr wurden der sogenannte „no effect-level" für Al- pha-HCH mit 0,5 mg/kg und Tag, und für Beta-HCH mit 0,25 mg/kg und Tag, wohlbemerkt bei lebenslanger Zufuhr der Verbindungen, veran- schlagt (4).

Betrachtet man die Entstehung von Tumoren als einen Vorgang, der in mehreren Stufen abläuft (Literatur siehe bei 6), dann lassen sich kanze- rogene Stoffe von sogenannten Pro- motoren unterscheiden; sie zeich- nen sich dadurch aus, daß sie be- reits kanzerogen entartetes Gewebe zur Proliferation anregen, selbst aber keine kanzeröse Entartung des Gewebes verursachen. Zu den soge- nannten Promotoren gehören alle Stoffe, die sich durch die bereits be- schriebene induzierende und das Gewicht der Leber vergrößernde Wirkung auszeichnen. Schon in ei- nem normalen Tier-Kollektiv von Ratten und Mäusen finden sich in einem gewissen Promillesatz prä- kanzeröse Inseln, die morpholo- gisch und histochemisch identifi- ziert werden können. Bei der Unter- suchung von HCH-Stereoisomeren

hat sich gezeigt, daß bei Mäusen vor allem Alpha-HCH als Tumorpromo- tor zu betrachten ist. Auch bei Rat- ten scheint die besondere Wirksam- keit von Alpha-HCH als Promotor nachgewiesen zu sein. Es muß aus- drücklich angemerkt werden, daß es sich bei den hier zur Debatte stehen- den Lebertumoren um eine Tu- morart handelt, die beim Menschen so gut wie nie auftritt (8). Bei gewer- bemedizinischen Untersuchungen sind bisher keine Beobachtungen über eine gesteigerte Krebsmortali- tät anhängig; das gilt auch für ande- re insektizide organische Chlorver- bindungen als HCH (10, 14, 15, 17, 22).

Unter der Voraussetzung, daß für Promotoren Schwellendosen exi- stieren, kann aufgrund tierexperi- menteller Untersuchungen eine Risi- kobeurteilung durchgeführt werden.

Hierzu können noch annehmbare Tagesdosen (ATD) berechnet wer- den; sie entsprechen den von der FAO/WHO vorgeschlagenen ADI- Werten (acceptable daily intake).

Mit derartigen Werten soll die Men- ge eines Stoffes charakterisiert wer- den, die nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand auch bei lebenslan- ger täglicher Einnahme nicht zu ei- ner Beeinträchtigung der Gesund- heit führt. Die ATD-Werte werden aufgrund der Dosen vermittelt, die in chronischen Versuchen an entspre- chenden Labortieren zu keinerlei kli- nisch-morphologisch beziehungs- weise klinisch-chemisch erfaßbaren

Veränderungen geführt haben (no effect-level). Eine mögliche größere Empfindlichkeit des Menschen wird dadurch in die Berechnung der ATD- Werte mit einbezogen, daß die im Tierversuch als unwirksam ermittel- ten Dosen durch einen Sicherheits- faktor (in der Regel = 100) dividiert werden. Für Gamma-HCH ist der ATD-Wert mit 0,0125 mg/kg und Tag festgelegt worden. Weil die anderen HCH-Stereoisomeren nicht als In- sektizide verwendet werden, sind bislang für sie noch keine ATD-Wer- te festgelegt worden. Aus den in der

Literatur vorhandenen Tierversu- chen lassen sich jedoch derartige ATD-Werte ableiten, die für Alpha- und Beta-HCH in der Tabelle 3 zu- sammengefaßt sind.

5.5 Versuch einer

Risikoabschätzung für die im hessischen Ried und in Hamburg-Moorfleet exponierten Personen

Die behördlich festgesetzte Höchst- menge an HCH-Stereoisomeren au- ßer Gamma-HCH ist in der Milch zum Beispiel 0,1 mg/kg Milchfett. In der Milch einiger Kühe im hessi- schen Ried wurden sechsmal höhe- re Werte an Beta-HCH-Gehalt gefun- den: der Alpha-HCH-Gehalt betrug nur rund ein Zehntel des Gehaltes an Beta-HCH und kann deshalb für unsere Überlegungen vernachläs- sigt werden. Gemessen an der

Tabelle 3: Die Abschätzung einer duldbaren Konzentration (DK) von HCH-Stereoisomeren in der Milch (nach 6)

Gewicht (kg)

tägliche Zufuhr von Milchfett (g/Tag)

Säugling 5

18

Kleinkind 20

24

Erwachsener ATD') (mg/kg und Tag) 70

34 DK im Milchfett (mg/kg)

Alpha-HCH 1,4 4 10 0,005

Beta-HCH 0,7 2 5 0,0025

1) ATD = annehmbare Tagesdosis; im Tierversuch bei chronischer, lebenslanger Zufuhr ermittelt.

2174 Heft 37 vom 11. September 1980

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

(7)

Untersucher:

Schulte u. Acher 1970 Gamma-HCH Gesamt-HCH

0,03 Beta-HCH

0,54 Alpha-HCH

Rappel u. Warblinger 1973/74 Schulte u. Acher 1975 Heeschen et al. 1973/74 Heeschen et al. 1976 1,1

0,09

0,03 0,56

0,10

0,28

0,09 0,09

0,09 0,09

Tabelle 4: Rückstände von HCH-Stereoisomeren in der Frauenmilch. Untersuchungen in der Bundes- republik seit 1970 (nach 2); Werte in mg/kg Milchfett

Tabelle 5: Gehalte an HCH (gesamt) in verschiedenen Nahrungspflanzen (nach 7). Die Werte geben die Anzahl der Proben in verschiedenen Konzentrationsbereichen von HCH in Prozent am gesamten Kollektiv n wieder

HCH-Konzentrationsbereich (mcg/kg)

n > 300

3 0 10 0 0 0 38

19 21 39 16 27

45 53 28 54 25 19

21 21 57 28 31 7

< 20 20-60 60-300

31 26 5 18 44 74 Nahrungspflanze

Kopfsalat Eisbergsalat Sellerie Kohlrabi Weißkohl Blumenkohl

Aktuelle Medizin HCH-Immissionen

Höchstmengenverordnung war der HCH-Gehalt in der Milch also viel zu hoch. Diese Höchstmengen sind je- doch, wie bereits oben dargelegt wurde, unter der Voraussetzung festgesetzt worden, daß die Rück- stände aus der Anwendung hochge- reinigten Gamma-HCHs (vergleiche Tabelle 1) aus der Landwirtschaft stammen; sie sind nicht unter der Abwägung eines toxischen Risikos der Kontamination festgelegt wor- den. Für die Beurteilung eines mög- lichen gesundheitlichen Risikos der exponierten Personen müssen die bereits erwähnten ATD-Werte heran- gezogen werden. Die Zufuhr von HCH-Stereoisomeren erfolgt im we- sentlichen mit kontaminierter Milch beziehungsweise kontaminiertem Gemüse.

HCH-Zufuhr mit kontaminierter Milch Bei der Berechnung sind die in Ta- belle 3 verzeichneten Körpergewich- te von Säuglingen, Kleinkindern und Erwachsenen zugrunde gelegt wor- den. Dabei wurden ein mittlerer Fett- gehalt der Milch von 4 Prozent und die täglich eingenommene Milch- menge berechnet als Milchfett in Gramm/Tag angenommen (Tabelle 3). Mit diesen Werten kann aufgrund der sogenannten ATD-Werte der Höchstgehalt festgelegt werden, der an Alpha- beziehungsweise Beta- HCH in einem Kilogramm Milchfett enthalten sein kann, ohne daß auch bei langdauernder Zufuhr gesund- heitliche Schäden zu befürchten sind. Die ATD-Werte sind wohlge- merkt für eine lebenslange Zufuhr

bei Labortieren ermittelt worden.

Die höchsten in der Milch von Kühen aus dem hessischen Ried gemesse- nen Werte für Alpha-HCH waren 0,05 mg/kg und für Beta-HCH 0,56 mg/kg Milchfett. Der Vergleich mit den er- rechneten, noch zulässigen Konta- minationen (= duldbare Konzentra- tion, DK) ergibt, daß lediglich für Säuglinge der gemessene Wert an Beta-HCH in der Milch in die Gefah- renzone gerät. Es ist interessant, daß die Bestimmungen der HCH-Ge- halte in der Muttermilch, die seit 1979 systematisch durchgeführt wurden, durchaus Werte ergeben haben, die in der gleichen Größen- ordnung liegen wie diejenigen, die kürzlich in der Milch im hessischen Ried gemessen wurden (Tabelle 4).

Trotz der Tatsache, daß die Gehalte

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Heft 37 vom 11. September 1980 2175

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HCH

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Immissionen

an Beta-HCH in der Milch durchaus an die berechneten Höchstmengen heranreichen, ergab sich bisher kein Anhalt für eine Gefährdung der Säuglinge; bislang sind einfach noch keine Schädigungen nachge- wiesen worden. Das könnte darauf zurückzuführen sein, daß die aus- schließliche Aufnahme von Milch- produkten nur auf eine limitierte Zeitspanne von etwa einem Jahr be- schränkt ist. Danach nimmt die Ge- fährdung durch das Wachstum und das größere Körpergewicht ab.

HCH-Zufuhr

mit kontaminiertem Gemüse

Der HCH-Gehalt im Gemüse variiert erheblich mit den verschiedenen Sorten (Tabelle 5). Unter Zugrunde- legung einer bestimmten Mischkost kann man den mittleren HCH-Gehalt mit rund 60 mcg/kg HCH veranschla- gen (7). Aufgrund dieser Zahlen las- sen sich wieder; duldbare Kon- zentrationen au:2.- iadrückt in mg/kg Gesamt-HCH be;_ogen auf ungewa- schenes Gemüse (Frischgewicht) er- mitteln; sie sind in der Tabelle 6 zu- sammengefaßt. Diese Zahlen sind mit der Einschränkung zu verwen- den, daß bestimmte Anteile der Isomeren-Zusammensetzung nicht überschritten werden. Die tatsäch- lich in einigen Gemüsesorten ge- messenen Gesamtgehalte an HCH- Stereoisomeren besagen jedoch, daß nur in einigen wenigen Fällen die Grenzkonzentration erreicht wurde, oberhalb der ein Verzehr des Gemüses aufgrund der vorgelegten Berechnungen nicht mehr ratsam erscheint (Tabelle 5).

Schlußfolgerungen

Versucht man aufgrund der hier dar- gelegten Zusammenhänge eine vor- läufige Bewertung der Vorfälle im hessischen Ried und in Hamburg- Moorfleet, dann kommt man zu dem Schluß, daß nach dem heutigen Er- kenntnisstand keine Gesundheits- schäden zu erwarten sind. Diese Be- wertung beruht auch auf der Annah- me, daß im Zusammenhang mit der HCH-Kontamination keine weitere, die Schadwirkung verstärkende oder modifizierende bisher noch un- bekannte Komponente im Spiel war.

Das immer dichter werdende Netz der behördlichen und betrieblichen Überwachung läßt die Hoffnung zu, daß in Zukunft ähnliche Immissio- nen und Steigerungen von Rück- ständen gesundheitsgefährdender Stoffe in Lebensmitteln immer ra- scher erfaßt werden können. Die adäquaten und raschen Reaktionen der verantwortlichen Behörden set- zen allerdings eine reibungslose Kooperation aller Beteiligten voraus.

Hierzulande wird oft mit einigem Stolz auf das sogenannte Verursa- cher-Prinzip hingewiesen, nach des- sen Spielregeln allfällige Schadens- vorkommnisse geregelt werden. Es handelt sich sicherlich um ein gutes Rechtsprinzip. Man kann bei ihm aber nicht stehenbleiben. Es mag ein Zukunftstraum sein, dennoch müßte allmählich eine gewisse Raumordnung Platz greifen, die den Realitäten unserer Industriegesell- schaft besser Rechnung trägt. So kann man sich fragen, ob künftig in der unmittelbaren Umgebung che-

mischer Fabriken, die unvermeidlich Immissionen verursachen, landwirt- schaftliche Betriebe angesiedelt sein sollten. Es bietet sich an, all- mählich die Siedlungsstruktur so aufzulockern, daß zwischen derarti- gen Betrieben und gegebenenfalls auch als Wohngebieten ausgewiese- nen Flächen bestimmte Schutzzo- nen als Grüngürtel eingezogen wer- den, die überdies so bepflanzt wer- den können, daß Wachstum und Ge- deihen der dort angesiedelten Pflan- zen gewissermaßen Monitor-Effekte für bestimmte Immissionen abgeben können, vorausgesetzt, daß bis da- hin auch so etwas wie eine Toxikolo- gie der Pflanzen existiert.

Literatur

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Anschrift des Verfassers:

Professor Dr. med. Wolfgang Forth Pharmazeutisches Institut der Ludwig Maximilians Universität Nußbaumstraße 26

8000 München 2 Tabelle 6: Rechnerische Festlegung einer duldbaren Konzentration

(DK) von HCH-Stereoisomeren in Nahrungspflanzen (nach 7); Werte in mg/kg Gemüse Frischgewicht (ungewaschen)

Alpha-HCH') Beta-HCH 2) Gamma-HCH 3 )

0,30 0,06 0,75

1) Der Anteil an Alpha-HCH am Gesamt-HCH muß > 2/3 sein; der Beta-HCH-Anteil muß

> 1/io sein.

2) Der Anteil an Beta-HCH muß > 2/3 sein.

3) Der Anteil an Gamma-HCH muß > 9/m sein; jeweils nur b.darf auf Alpha- und Beta-HCH entfallen.

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Referenzen

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