Für ein paar Stunden war in der Berliner Friedrichs- stadt um den Gendarmen- markt wieder alles wie zu Heines Zeiten. Er hatte 1821 notiert: „Wenn Sie vom Bran- denburger Tor nach dem Kö- nigstor gehen, hören Sie . . . ewig dieselbe Melodie, das
Lied aller Lieder, den ,Jung- fernkranz‘“. In der U-Bahn und in der Friedrichstraße wurde gesummt, geträllert, gepfiffen: eben dieser „Jung- fernkranz“, der Jägerchor oder Maxens Arie. Webers
„Freischütz“, auf den Monat genau 175 Jahre nach seiner Welttaufe, ist brandaktuell – vor allem hier, am alten Schauspielhaus, dem Ort der Uraufführung.
Anno 1817 hatte der Komponist zur Volkssage vom „Wilden Jäger“ die erste Arie notiert, im Mai 1821 in der benachbarten Berliner Behrensstraße die letzte hin- zugefügt. Zum 18. Juni 1821 wurden die Theaterzettel ge- druckt. Im Schauspielhaus fand um 18 Uhr das national- musikalische Spektakel statt – sechs Jahre nach der antina- poleonischen Schlacht von Belle-Alliance. Weber stand selbst am Pult. Prominenz im Publikum: E. T. A. Hoffmann (43), Heine (24) und der blut- junge Mendelssohn (12). Der preußische Hof hatte Wo-
chen zuvor den „Freischütz“
zur Eröffnung des neuerbau- ten Schinkelschen Schau- spielhauses abgelehnt und Goethes „Iphigenie“ vorge- zogen. Weber jedenfalls konnte dann „lärmenden Ap- plaus“ im Tagebuch notieren, das Publikum im Schauspiel- haus habe
„viele da ca- pos“ ver- langt.
Just an diesem histo- rischen Ort fand die Festauffüh- rung zum 175. Ge- burtstag von Webers Hit statt. Tausen- de Zuhörer, mit Regen- capes versorgt, füllen Tribü- nen und Parkett auf dem Gen- darmenmarkt, in der ersten Reihe ein Nachfahr des Kom- ponisten. Während auf spär- lichst dekorierter Bühne vor dem Orchester (Leitung: Ralf Weikert) die Protagonisten Max und Agathe (Thomas Moser/Inga Nielsen) unter deutsch-romantischem Ge- weihdekor Liebe in der Erb- försterei vorführen, ballen sich brandenburgische Som- merwolken malerisch hoch über der „Wolfsschlucht“.
Geschichte geht über den Gendarmenmarkt: hier hörte Mozart seine „Entführung“.
Hier spielte Iffland den Na- than. Hier wurden Paganini, Offenbach – und nazitreue Mimen nebst Görings Emmy gefeiert. Hier wurde Kultur geboren und zerstört: 1945 zündete die SS das halbzer- störte Haus an. Wiedereröff- net 1984 als Konzerthaus, steht es zwischen den beiden wiedererbauten Domen – und gläsernen Kapital- palästen. Bernd Juds
A-2163 Deutsches Ärzteblatt 93,Heft 34–35, 26. August 1996 (59)
V A R I A FEUILLETON
175. Geburtstag des „Freischütz“
Festliches
„Open Air“-Konzert
Das Schauspielhaus am GendarmenmarktZeichnung: Bernd Juds