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Archiv "Nach der Regierungserklärung: Was ist wichtig, und was ist wichtiger" (02.04.1987)

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DE Ui:SCA-1.ES

ÄRZTEBLATT

In der Regierungserklärung von Bundeskanzler Helmut Kohl vor dem 11. Deut- schen Bundestag hatte auch das Gesundheitswesen seinen Platz. Klein und fein, könnte man sagen. In der Debatte zur Regierungserklärung wurde ihm so- gar breiter Raum gewidmet. Bei näherem Hinsehen bleibt freilich nicht viel.

Die Bundesregierung scheint ei- nen Heidenrespekt vor den Lobby- isten zu haben. Vor dem Bundestag (bei der Debatte zur Regierungser- klärung am 19. März) sprach sich Bundesarbeitsminister Norbert Blüm selbst Mut zu, „um den tau- sendfüßigen Lobbyismus zu besie- gen". Die bösen Lobbyisten werden ihr gefürchtetes, schändliches Werk indessen erst beginnen können, wenn sie wissen, was die Bundesre- gierung und die Regierungsparteien denn nun in Szene setzen wollen.

Was also sagt der Bundeskanz- ler zu der vielberufenen Strukturre- form? Das einschlägige gesundheits- politische Kapitel der Regierungser- klärung ist so kurz, daß es hier wört- lich dokumentiert werden kann:

„Zu den vordringlichen Aufga- ben der Sozialpolitik zählt die Re- form unseres Gesundheitssystems.

Dabei stehen wir vor erheblichen strukturellen Problemen: Überver- sorgung in vielen Bereichen, aber auch Versorgungsdefizite. Es fehlen Anreize, sich wirtschaftlich und ver- antwortungsbewußt zu verhalten.

Sparsamkeit wird nicht belohnt, Verschwendung wird häufig leicht gemacht. Wir wollen den hohen Lei- stungsstand der gesundheitlichen Versorgung bewahren. Wir brau- chen daher eine Generalüberholung der sozialen Krankenversicherung mit dem Ziel erhöhter Wirtschaft- lichkeit bei vertretbaren Beitragssät- zen. Eine umfassende Strukturre- form im Gesundheitswesen wird deshalb unverzüglich eingeleitet.

Die Bundesregierung wird dazu noch in diesem Jahr einen Gesetz- entwurf vorlegen. Eine besondere Aufgabe für die gesamte Gesell- schaft ist die soziale Sicherung bei Pflegebedürftigkeit, die angesichts der vielfältigen Probleme und ihrer finanziellen Dimensionen nur schrittweise gelöst werden kann.

Wir wollen die häusliche Pflege so unterstützen, daß Pflegebedürftige so lange wie möglich in ihrer ver- trauten Umgebung bleiben können.

Die steuerlichen Hilfen für Schwerstpflege und für private Vor- sorge sollen verstärkt werden."

Blüm:

Überversorgung abbauen, Unterversorgung ausgleichen

Nun, des Bundeskanzlers Sache ist die große Linie, so auch hier. De- tails sind eher vom zuständigen Fachminister, dem für Arbeit und Sozialordnung, zu erwarten. Nor- bert Blüm faßte sich vor dem Bun- destag freilich gleichfalls auffallend kurz. Für die Krankenversiche- rungsreform — von einer Strukturre- form des Gesundheitswesens war nicht die Rede — kündigte er „Um- schichtungen" an, indem Überver- sorgungen abgebaut werden, um Unterversorgungen ausgleichen zu können. Es gebe zum Beispiel zu viele

Krankenhausbetten und zu we- nig

Pflegebetten. Blüm erneuerte auch ein weiteres altes Bekenntnis:

„Nicht alles, was uns lieb und teuer

ist, muß von Krankenversicherungs- beiträgen bezahlt werden." Man müsse sich auf einen „Grundkern"

der Krankenversicherung verständi- gen, der solidarisch abgedeckt wer- de. „Das Kunststück wird nur sein", philosophierte Blüm, „sich zu entscheiden: was ist wichtig, und was ist wichtiger?"

Der Bundesarbeitsminister sprach ferner die zunehmenden Be- lastungen der aktiven Beitragszahler durch die Rentner an. Er nannte das Problem, ohne aber eine Lösung an- zudeuten: „Die Kosten der Kran- kenversicherung der Rentner wach- sen schneller als die Beiträge . . . Je- der Beitragszahler hat das im Jahr mit tausend DM Beitrag ausgleichen müssen. Das wollen wir nicht än- dern. Es gehört zur Generationenso- lidarität, daß die Jungen für die Al- ten einstehen. . ."

Blüm wünschte sich nicht nur Mut gegenüber den Lobbyisten, sondern auch Phantasie, „um neben den ausgelatschten Trampelpfaden der Gewohnheit neue Wege zu fin- den". Doch welche? Offenbar weiß der kluge Reimeschmied Eugen Roth weiter. CSU-Sprecher Kurt Faltlhauser zog ihn zu Rate. „Was bringt den Doktor um sein Brot? a) Gesundheit und b) der Tod. Drum hält der Arzt, auf daß er lebe, uns zwischen beiden in der Schwebe."

So Roth laut Faltlhauser. Und die Nutzanwendung für die Strukturre- form? Das sei eben das Ziel der Re- form: Anreize dafür zu schaffen, daß der Patient nicht aus ökonomi- schen Gründen in diesem Schwebe- zustand gehalten werden müsse.

Dafür soll die Selbstverwaltung sorgen, Faltlhausers Credo: nicht der Gesetzgeber soll Deckelungen vorschreiben, die Selbstverwaltung

wird das alles schon reibungsloser machen. Sie soll dazu den nötigen

Spielraum und die Steuerungsinstru- mente bekommen.

Faltlhauser

setz- te sich auch nachdrücklich für stabile

Nach der Regierungserklärung

Was ist wichtig,

und was ist wichtiger

Dt. Ärztebl. 84, Heft 14, 2. April 1987 (17) A-889

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A + A

Die gesundheitspolitische Debatte beschränkte sich auf zwei Punkte: Abtreibung und AIDS, und sie war gekennzeich- net vom ausgeprägten Mißtrauen der Oppositionssprecherinnen ge- genüber Vorhaben der Bundesre- gierung. Die Ministerin für Ju- gend, Familie, Frauen und Ge- sundheit Prof. Dr. Rita Süssmuth verteidigte nachdrücklich das von der Koalition angekündigte Bera- tungsgesetz zum § 218. Die Bera- tung der Frauen müsse auch die Hilfen umfassen, die den Frauen während und nach der Schwan- gerschaft zur Verfügung stünden.

Laut Frau Süssmuth bedürfen die Ärzte für die Beratung einer fach- lichen Schulung (Fortbildung), die über das Medizinische hinaus auch das Psychologische, Soziale und Sozialrechtliche umfasse.

Der FDP-Sprecher Dr. Burkart Hirsch bestätigte ausdrücklich, am § 218 werde in der gegenwär- tigen Form festgehalten; das be- deute aber nicht, etwa nicht für eine optimale Beratung zu sor- gen. Beratung dürfe andererseits aber auch nicht zur Gängelei füh- ren.

Das wiederum, ja noch Schlimmeres argwöhnten Frau Schmidt (Nürnberg) von der SPD und Frau Heike Wilms-Kegel von den Grünen. Frau Schmidt sieht

in den Beratungsplänen eine Aus- höhlung der sozialen Indikation und eine existentielle Bedrohung der gegenwärtigen Beratungsstel- len; Frau Wilms-Kegel befürch- tet, die Beratungsstellen sollten diszipliniert werden. Und selbst die Ärzte sollten, so argwöhnt sie, nun von oben zu Zwangsin- doktrinations-Kursen verpflichtet werden.

Ein besonderes Ärgernis war den beiden Sprecherinnen der Oppositionsparteien die Ankün- digung, Schwangerschaftsabbrü- che dürften künftig nur dann über die Krankenkasse abzurechnen sein, wenn die Ärzte ihrer Melde- pflicht genügten. Frau Schmidt glaubt, der Kassenpatientin wer- de dadurch mit finanziellem Druck ein legaler indizierter Schwangerschaftsabbruch verwei- gert. Frau Wilms-Kegel: Das wer- de lediglich bewirken, daß mehr schwarz abgetrieben werde.

Nur kurz zu AIDS: Frau Süssmuth bestätigte die Absicht, Aufklärung, Beratung, stationäre und ambulante Hilfen durch ein Sofortprogramm weiter zu ver- bessern. Grünen-Sprecherin Wilms-Kegel warf den Regie- rungsparteien vor, Hysterie ge- schürt zu haben und zu versu- chen, unter dem Vorwand der Seuchenbekämpfung Kontrolle über das Sexualverhalten und über Minderheiten ausüben zu wollen. NJ Beitragssätze ein, wandte sich aber

dagegen, in der Krankenversiche- rung nur noch auf die Kosten zu se- hen. „Wir sehen nicht nur die Ko- sten, sondern den Menschen, der hinter dem Begriff Patient steht."

Wer da nicht in andächtiges Schwei- gen verfällt — der hat seinen Eugen Roth vollständig gelesen.

Neugierige Leser, die nach wie vor nicht so recht wissen, wie die Strukturreform — wenigstens umriß- weise — aussehen soll, mögen jetzt noch auf die FDP hoffen. Tatsäch- lich hat Dieter Julius Cronenberg von der FDP-Fraktion ein kleines Kontrastprogramm zu den regie- rungsseitigen Andeutungen gelie- fert. Alle alten FDP-Lieblinge wur- den von Cronenberg dem Bundestag vorgeführt: Eigenverantwortung, Selbstbeteiligung, Therapiefreiheit, Wettbewerb (einschließlich Bei- tragswettbewerb, zumindest aber Experimentierklausen für die Kas- sen), Durchforstung des Leistungs- kataloges, Kritik am Selbstkosten- deckungsprinzip der Krankenhäu- ser. Man darf gespannt sein, was die Liberalen davon bei den Koalitions- partnern durchbringen können, nachdem sich nach der Regie- rungsbildung wieder die alte Zustän- digkeitsverteilung einzupendeln scheint: der Schrebergarten „Wirt- schaft" für die FDP (sowie die Uni- onsmarktwirtschaftler), der Schre- bergarten „Soziales", inclusive Krankenversicherung für die Union, insbesondere deren Sozialaus- schüsse.

Niemand wird so naiv sein, von der Opposition ein eigenes realisti- sches und durchsetzbares Konzept für die Strukturreform zu erwarten.

Wer wird sich schon freiwillig und angesichts von fünf Landtagswahlen auf ein solches Feld, in dem man sich nur in die Nesseln setzen kann, begeben? Und so beschränkten sich in der Debatte zur Regierungserklä- rung die beiden sozialpolitischen Sprecherinnen der SPD, Anke Fuchs, und der Grünen, die Ärztin Heike Wilms-Kegel, auf Kritik — Kritik vornehmlich an den Absich- ten (ausdrücklich nur von der FDP im Bundestag vorgetragen), Selbst- beteiligungen einzuführen. SPD und Grüne unisono: Mit uns nicht.

Um auch den beiden oppositio- nellen Sprecherinnnen die gebüh- rende Gerechtigkeit widerfahren zu lassen: Auch ihnen ist es, wie ihrem CSU-Kollegen (und sicherlich je- dem) um den Menschen zu tun. Frau Fuchs etwa: „Es darf nicht so blei- ben, daß das Arzthonorarsystem sich nicht am Menschen, sondern an möglichst vielen Einzelleistungen orientiert." Frau Wilms-Kegel, an die Bundesregierung gewandt: „Es ist schon auffällig, daß Ihre Konzep- te zur Einsparung im Gesundheits- wesen immer den Menschen treffen, der krank ist oder es nicht werden möchte. Die Anbieter im Gesund-

heitswesen, insbesondere die Phar- maindustrie, lassen Sie gänzlich un- angetastet. Hinweise auf krankma- chende Arbeits- und Umweltbedin- gungen in unserer Gesellschaft feh- len völlig."

Da freilich ist die Grünen-Spre- cherin Frau Wilms-Kegel nicht ganz genau gewesen. Der Bundeskanzler hat das Thema Umwelt in seiner Re- gierungserklärung wahrlich nicht ausgespart. Wie könnte er auch in dieser unserer heutigen Zeit. In sei- nem Redemanuskript sind genau 70 Schreibmaschinenzeilen der Umwelt gewidmet. Der Reform des Gesund- heitswesens 19. NJ

A-890 (18) Dt. Ärztebl. 84, Heft 14, 2. April 1987

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