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Univerzita Karlova v Praze Filozofická fakulta

Ústav germánských studií

Diplomová práce

Bc. Barbora Baráková

Autobiographisches in Comics und in Literatur

Autobiography in comic books and literature

2015 Vedoucí práce: Prof. Dr. Manfred Weinberg

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Dank an Prof. Dr. Manfred Weinberg für die Leitung dieser Arbeit zu stringenter Argumentationskette und Präzisierung und für zahlreiche Korrekturen.

Děkuji mé rodině za podporu a šťastné dětství s komiksy.

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Prohlašuji, že jsem diplomovou práci vypracovala samostatně, že jsem řádně citovala všechny použité prameny a literaturu a že práce nebyla využita v rámci jiného vysokoškolského studia či k získání jiného nebo stejného titulu.

V Praze dne 30. 11. 2015 Barbora Baráková

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Abstrakt

Tato práce se zabývá literární teorií autobiografie a možností jejího využití pro komiks.

Cílem je pokusit se literární teorii pro komiks modifikovat a v praktické analýze ji aplikovat. Základní teoretický rámec tvoří Autobiografický pakt Philippa Lejeuna a teorie paratextů podle Gérarda Genetta. V praktické analýze vychází tato práce ze srovnání komiksu s literárním dílem, přičemž je využito poznatků, které byly získány v teoretické části. Důraz je kladen na konstruování autobiografického paktu a na para- a metatexty, které se k oběma knihám vztahují.

Klíčová slova

autobiografie, autobiografické prvky, komiks, literatura, paratext, metatext

Autobiographie, autobiographische Elemente, Comic, Literatur, Paratext, Metatext

Abstract

This thesis concerns with the literary theory of autobiography and its use for comics.

The goal is to try to modify literary theory for comics and apply it in practical analysis.

The fundamental theoretical framework constitutes of The autobiographical Pact by Philippe Lejeune and a theory of paratexts according to Gérard Genette. In practical analysis the thesis bases on the comparison of comics with literary work and uses the knowledge acquired in the theoretical part. The emphasis is put on designing of autobiographical pact and on para- and metatexts which are connected to both of the books.

Klíčová slova anglicky

Autobiography, autobiographic elements, comics, literature, paratext, metatext

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Inhaltsverzeichnis

1. EINFÜHRUNG ... 7

2. THEORETISCHER TEIL ... 9

2.1. Begriffe ... 9

2.1.1. Autobiographie, Memoiren, Graphic-Memoirs, Autographics und Autofiktion .. 9

2.1.2. Authentizität ... 12

2.1.3. Der referentielle Anspruch an die Autobiographie und die Interpretation ... 14

2.2. Zur Geschichte der Autorencomics ... 16

2.2.1. Erwachsenen-Comics und Autoren-Comics in Deutschland ... 17

2.3. Lejeunes Der Autobiographische Pakt in Beziehung zur Autobiographie in Comics 20 2.3.1. Erzählen, Erzähler und Fokalisierung in Comics ... 20

2.3.2. Identität: Erzähler = Protagonist = Autor ... 24

2.4. Was sind Paratexte und welche Funktion haben sie in Verbindung mit der Autobiographie? ... 27

2.4.1. Wie unterschiedlich sind die Paratexte im Comic? ... 30

2.4.2. Umschlag und Titelseite in Comics ... 32

3. ANALYSE ... 34

3.1. VIER AUGEN ... 35

3.1.1. BUCHUMSCHLAG UND DER AUTOBIOGRAPHISCHE PAKT ... 36

3.1.1.1. Umschlagsversionen ... 36

3.1.1.2. Klappentexte ... 38

3.1.1.3. Namensidentität ... 40

3.1.1.4. Erzähler ... 42

3.1.2. METATEXTE ... 43

3.1.2.1. HALLO SASCHA ... 44

3.1.3. DER SPRECHENDE HUND ALS TEIL DER AUTOBIOGRAPHIE ... 47

3.1.3.1. Titel ... 52

3.2. ALLE TOTEN FLIEGEN HOCH. AMERIKA ... 54

3.2.1. AUTOBIOGRAPHISCHER PAKT ... 55

3.2.2. METATEXTE ... 58

3.2.3. UMSCHLAG ... 60

3.3. VERGLEICH ... 62

3.3.1. MYTHOS DER EIGENEN BIOGRAPHIE ... 62

3.3.2. REFERENTIELLER ANSPRUCH... 64

3.3.3. ERZÄHLER ... 65

4. FAZIT ... 68

5. QUELLENVERZEICHNIS ... 70

Primärquellen ... 70

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Sekundärquellen ... 70 Online-Quellen ... 72

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1. EINFÜHRUNG

Der Comic unterscheidet sich von der Literatur durch seine Multimodalität. Das Geschehen wird nicht nur mithilfe des Textes sondern auch der Bilder dargestellt.

Lange Zeit wurden die Wege gesucht, wie mit der Multimodalität des Comics umzugehen. Der Comic wurde mit dem Film sowie mit der Literatur verglichen, bevor er sich als selbständige Kunstform etablierte.

Diese Arbeit versucht am Beispiel der Autobiographie zu zeigen, dass die Literaturtheorie an Comics nur teilweise appliziert werden kann. Die Arbeit beschäftigt sich sowohl mit den theoretischen Fragen, die sich hinsichtlich von Autobiographien stellen, als auch mit der praktischen Analyse und dem Vergleich zweier Autobiographien – eines Comics und eines literarischen Textes.

Der Comic wird hier im Unterschied zur Literatur behandelt, dies bedeutet aber nicht, dass er als minderwertig gegenüber der Literatur verstanden wird. Die Literatur wird hier im Sinne der reinen Textualität begriffen, der Comic dagegen als multimodale Kunstform verstanden, dessen einzigartige Verbindung von Text und Bild nicht als Literatur bezeichnet wird. In beiden Teilen dieser Arbeit steht der Comic im Vordergrund, weil das Thema der Autobiographie in Comics noch nicht ausreichend erforscht und systematisiert wurde. Die Grundbasis bildet die Literaturtheorie, die auch bei der Analyse von Comics nutzbar ist, dazu aber jeweils modifiziert werden muss.

Der erste Teil dieser Arbeit widmet sich der Frage der Begriffe, die für die Beschreibung der Autobiographie in beiden Formen benutzt werden oder mit diesen in Verbindung gesetzt werden. Dies betrifft v. a. die Authentizität und den referentiellen Anspruch der Autobiographie. Auch hier werden die literaturtheoretischen Definitionen auf Comic appliziert und weiterentwickelt resp. modifiziert.

Den allgemeinen theoretischen Ausgangspunkt bildet Philippe Lejeunes Der autobiographische Pakt als grundlegende Theorie für die Untersuchung der Autobiographie in der Literatur und seine spezifische Modifizierung für Comics. Die drei Elemente, deren Identität als Grundlage für die Diagnose des Vorliegens einer Autobiographie in literarischen Werken dient, das heißt der Erzähler, der Autor und der Protagonist, müssen für Comic redefiniert werden.

Als ein weiterer Ausgangspunkt wurde das Konzept der Paratexte nach Gérard Genette gewählt. Das Hauptgewicht wird dabei auf solche Paratexte gelegt, die das

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autobiographische Lesen beeinflussen. Es handelt sich v. a. um den Autornamen, den Buchumschlag mit Klappentexten und verschiedene Metatexte.

An die Diskussion der theoretischen Grundlagen knüpft sich die Analyse und der Vergleich des Comics Vier Augen von Sascha Hommer und des literarischen Textes Alle Toten fliegen hoch. Teil I: Amerika von Joachim Meyerhoff an. Diese Bücher wurden aufgrund ihrer thematischen Ähnlichkeit ausgewählt. Es ist interessant zu beobachten, wie sich die Autoren in den unterschiedlichen medialen Konstellationen mit ähnlichen Themen auseinandersetzen. Beide Bücher werden in Bezug auf den autobiographischen Pakt und auf die Paratexte untersucht. In der Analyse versuche ich die Berührungspunkte beider Bücher zu finden und zu vergleichen. Es wird untersucht, wie die Autoren mit den autobiographischen Themen umgehen und wie diese von ihnen reflektiert werden.

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2. THEORETISCHER TEIL 2.1. Begriffe

Im ersten Teil dieses Kapitels widme ich mich den Bezeichnungen für Autobiographie in der Literatur und in Comics, die in der Öffentlichkeit sowie in wissenschaftlichen Arbeiten begegnen. Obwohl die Bezeichnungen rein formal sein können, ist es wichtig, sich mit diesen Begriffen vertraut machen. Kurz wird auch der Begriff Autofiktion vorgestellt, der zwischen den Bezeichnungen für faktuale und fiktionale Werke steht.

Im zweiten Teil beschäftige ich mich mit dem Begriff Authentizität, der mit den Vorstellungen über autobiographische Werke verbunden ist und mit seiner Auffassung in Comics. In diesem Teil gehe ich von Elisabeth El Refaies Aufsatz Visual Modality versus authenticity: the example of autobiographical comics1 aus und vergleiche die Definitionen der Authentizität in Comics und in der Literatur.

Der dritte Teil hängt mit dieser Auffassung zusammen und befasst sich mit dem referentiellen Anspruch an die Autobiographie und mit der Interpretation der abgebildeten Realität, weil die Interpretation eine wichtige Rolle bei der Wahrnehmung der Realität in Comics spielt.

Die Begriffe werden immer zuerst in Bezug auf die Literatur erklärt und definiert, und dann wird versucht, sie auf Comics zu applizieren bzw. Im Bezug auf diese zu modifizieren. So können Probleme und Unterschiede direkt angesprochen werden.

2.1.1. Autobiographie, Memoiren, Graphic-Memoirs, Autographics und Autofiktion

Eine erste begriffliche Frage bezieht sich auf die Bezeichnungen wie Autobiographie und Memoiren für die Bezeichnung von literarischen Werken und Graphic-Memoirs, Autographics oder Graphic Novel für Comics. Kann man diese als Synonyme benutzen? Als ein Oberbegriff zu Begriffen wie Autobiographie, Biographie, Memoirs und anderen wird, v. a. im anglo-amerikanischen Diskurs, der Begriff Life Writing benutzt.2

Der Hauptunterschied zwischen der Autobiographie und den Memoiren im klassischen Sinne besteht darin, dass es sich in den Memoiren um „die Einordnung der individuellen Lebensgeschichte in größere Zusammenhänge von öffentlicher oder

1 El Refaie, Elizabeth: Visual Modality versus authenticity: the example of autobiographical comics. In:

Visual Studies, Vol. 25, No. 2, September 2010. S. 162-174.

2 Mittermayer, Manfred: Die Autobiographie im Kontext der „Life-Writing“-Genres. In: Die Biographie – Zur Grundlegung ihrer Theorie. Hrsg.: Fetz, Bernhard. Berlin, New York 2009, S. 69-101.

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geschichtlicher Tragweite“3 handelt. „Es geht um die Darstellung der Teilhabe eines Einzelnen, meist einer Person des öffentlichen Lebens, an solchen Ereignissen, nicht um die Rekonstruktion einer individuellen Entwicklungsgeschichte.“4 Dagegen steht die persönliche Lebensgeschichte in der Autobiographie. „Während die Autobiographie die Genese des Individuums betont, hebt der Begriff Memoiren die Einordnung des beschriebenen Lebens in seine politischen und historischen Kontexte hervor.“5 Die Grenzen zwischen Memoiren und Autobiographie sind aber fließend.

Beide Begriffe wurden dann auch auf Comics mit der Akzentuierung der graphischen Seite übertragen: So entstanden die Bezeichnungen Graphic Memoirs oder einfach autobiographische Comics. Memoir muss, ähnlich wie in der Literatur, nicht nötig die Lebensgeschichte in einer „geschichtlichen Tragweite“ behandeln, sondern hat sich auch bei der Bezeichnung für Autobiographie im engeren Sinne etabliert.

In der Öffentlichkeit erscheint am öftesten immer noch der Begriff Graphic Novel für die Bezeichnung der Comics mit der faktualen sowie der fiktionalen Thematik. Es handelt sich dabei um eine lange ernsthafte Geschichte in der Comic-Form. Diese Bezeichnung wird seit der Erscheinung Will Eisners A Contract with God and other Tenement Stories benutzt. Dietrich Grünewald definiert Graphic Novel oder Bild- Romane als „eine längere, in sich eigenständige und – im Unterschied zur Endlosserie – abgeschlossene Bilderzählung.“6 Gleichzeitig aber bemerkt er, dass der Begriff Graphic Novel immer mehr als Marketing-Begriff benutzt wird, um den „pejorativ-belasteten“7 Begriff Comic zu vermeiden.

Einen weiteren Vorschlag zur begrifflichen Fassungder Autobiographie in Comics bietet Gillian Whitlock mit dem Begriff Autographics an:

By coining the term “autographics” for graphic memoir I mean to draw attention to the specific conjunctions of visual and verbal text in this genre of autobiography, and also to the subject positions that narrators negotiate in and through comics-features of discursive frameworks that Leigh Gilmore discusses in terms of “autobiographics”.8

3 Schwalm, Helga: Memoiren. In: Metzler Lexikon Literatur. Begriffe und Definitionen. Hrsg. von Dieter Burdorf, Christoph Fasbender, Burkhard Moennighoff, Stuttgart, Weimar 2007, S. 489.

4 Ebd.

5 Schwalm, Helga: Autobiographie. In: Metzler Lexikon Literatur. Begriffe und Definitionen. Hrsg. von Dieter Burdorf, Christoph Fasbender, Burkhard Moennighoff, Stuttgart, Weimar 2007, S. 57-58.

6 Grünewald, Dietrich: Die Kraft der narrativen Bilder. In: Bild ist Text ist Bild. Narration und Ästhetik in der Graphic Novel. Hrsg.: Hochreiter, Susanne; Klingenböck, Ursula. Bielefeld 2014, S. 17-51, hier S.

18.

7 Ebd., S. 19.

8 Whitlock, Gillian: Autographics: The Seeing "I" of the Comics. In: Modern Fiction Studies, Volume 52, Number 4., Winter 2006, S. 965-979, hier S. 966.

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Whitlock schlägt weiter den Begriff Autobiographical Avatar für die Bezeichnung der Autor-Figur in autobiographischen Comics vor. Julia Watson schreibt dazu in ihrem Aufsatz Autographic Disclosures and Genealogie sof Desire in Alison Bechdel’s Fun Home:

Whitlock has proposed the provocative term “auto-biographical avatars” to characterize the drawn personae of cartoonists in graphic memoirs, [...]. The term “avatars” recalls the new popular media of unstructured, virtual role-playing environments such as SecondLife, where game players choose visual self-representatives (called avatars), often quite different from themselves, to play roles and interact in virtual space; as such, the avatar implies new possibilities for forging identity in autographics.9

Autobiographical Avatar entspricht in der literarischen Autobiographie dem Protagonisten/Autor. Hervorgehoben wird aber (ähnlich wie bei Whitlocks Begriff Autographics) die graphische Darstellung des Protagonisten, seine bildliche Inszenierung.

In dieser Arbeit werde ich die Begriffe autobiographischer Comic und Autobiographie für die Bezeichnung der behandelten Bücher benutzen. Das Wort Comic sollte ohne pejorative Bedeutung verstanden werden, es handelt sich um eine selbständige Kunstform, die durch die Bezeichnung Comic von den literarischen Werken unterschieden wird.

Zwischen den Bezeichnungen für literarische und Comic-Autobiographien und den Benennungen für fiktionale Texte steht der Begriff Autofiktion. Dieser wurde von dem französischen Autor Serge Doubrovsky zum ersten Mal im Vorwort zu seinem Roman Fils benutzt und wird von ihm als „Fiktion von absolut wirklichen Ereignissen“

verstanden.10 Man kann die Autofiktion zusammen mit Frank Zipfel als eine Kombination von Autobiographie und Roman verstehen.11 Ist es möglich, dass die Autofiktion gleichzeitig den referentiellen und den fiktionalen Pakt abschließt?

Die Autofiktion kann verschiedene Formen sowie Funktionen annehmen. In Fils erscheint die Fiktion in zwei Punkten: Die paratextuelle Bezeichnung des Werkes als Roman und die Erzählweise, die nicht chronologisch sondern assoziativ verläuft. Nach Doubrovsky ist nicht das Geschehen fiktional, sondern gerade die Konstruktion des Erzählens. Diese Konstruktion ist aber nicht nötig fiktionsspezifisch, sondern kann auch

9 Watson, Julia: Autographic Disclosures and Genealogie sof Desire in Alison Bechdel’s Fun Home. In:

Graphic Subjects. Critical Essays on Autobiography and Graphic Novels. Ed: Chaney, Michael A.

Wisconsin 2011, S. 123-156, hier S. 125.

10 Zipfel, Frank: Autofiktion. Zwischen den Grenzen von Faktualität, Fiktionalität und Literarität? In:

Grenzen der Literatur. Zu Begriff und Phänomen des Literarischen. Hrsg.: Winko, Simone; Jannidis, Fotis; Lauer, Gerhard. Berlin 2009, S. 285-314, hier S. 285.

11 Ebd., S. 286.

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im autobiographischen Schreiben erscheinen. Andere Paratexte, wie z. B. Doubrovskys Äußerungen zu seinem Buch, weisen auf den autobiographischen Status dieses Buches hin.12

Es werden zwei Definitionen der Autofiktion unterschieden. In der breiten Definition wird die Autofiktion als „eine Art fiktionaler Erzählung, in der eine der fiktiven Figuren den Namen des Autors trägt“13 verstanden. Solche Erzählungen greifen oft in den Bereich des Phantastischen über. Die zweite Definition bestimmt den autofiktionalen Text nach Darrieusecq als ambig: Dem Leser werden sowohl der autobiographische als auch der Fiktionspakt angeboten und er kann nicht entscheiden, welche der beiden gültig ist.14 Nach Zipfel wechselt der Leser während der ganzen Lektüre von einem Pakt zum anderen.

In dem praktischen Teil dieser Arbeit versuche ich zu klären, ob das Konzept der Autofiktion auch bei der Analyse nutzbar ist und ob es beim Vergleich der literarischen und Comic-Autobiographien hilfreich sein könnte. Dieser Begriff kann auch als Ausgangspunkt für weitere Untersuchungen von autobiographischen oder semi- autobiographischen Büchern dienen und ist z. B. bei Analyse eines Comics mit phantastischen und gleichzeitig autobiographischen Zügen nutzbar.

2.1.2. Authentizität

Mit der Autobiographie wird eine Vorstellung von Authentizität verbunden. Sie ist im Metzler Lexikon Literatur folgendermaßen definiert:

Die Echtheit bzw. Zuverlässigkeit einer überlieferten Äußerung oder eines Textes. […] Die Wahrhaftigkeit a) des subjektiven Selbstausdrucks oder b) des objektiven Weltbezugs im literarischen Text. Als literatur-theoretischer Begriff bezieht sich Authentizität einerseits auf den glaubwürdigen Ausdruck der Autor-Subjektivität im literarischen Text, andererseits auf dessen „unverfälschten“ Darstellungsbezug zur außerliterarischen Wirklichkeit. Die Genieästhetik des 18. Jhs. prägt den A.s Begriff im Sinne eines ursprünglich-echten Subjektausdrucks in der Dichtung. Neben diese subjektive A. tritt in der Ästhetik des 20.

Jhs. die Bedeutung einer „höheren“ objektiven („ästhetischen“) A. als Vollzug gesellschaftlich-geschichtlicher „Wahrheit“ in der Kunst. Die neuere Forschung versteht A.

vermehrt als Darstellungseffekt und fragt anstelle der Behauptung subjektiver Autor- Präsenz nach den Bedingungen und Verfahren ihrer textuellen Erzeugung oder

„Inszenierung“ (z. B. in Autobiographie oder Brief).15

Bei der Definition kann man nicht nur sehen, wie sich der Begriff im Laufe der Zeit entwickelt hat, sondern auch die zwei Pole dieses Begriffes – die objektive und die subjektive Authentizität. Die Frage nach der Authentizität in der fiktionalen Literatur

12 Autofiktion, S. 298-299.

13 Ebd., S. 302-303.

14 Ebd., S. 304-305.

15 Deupmann, Christoph: Authentizität. In: Metzler Lexikon Literatur. Begriffe und Definitionen. Hrsg.

von Dieter Burdorf, Christoph Fasbender, Burkhard Moennighoff, Stuttgart, Weimar 2007, S. 57.

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und in der Autobiographie richtet sich nach den Autoren des Handbuch-Artikels in der letzten Zeit mehr auf die Frage der Inszenierung als auf die Frage der objektiven Wahrheit und der objektiven Beziehung zur Realität. Die Authentizität wird als

„Darstellungseffekt“ verstanden, authentisch ist also nicht unbedingt mit wahrhaftig synonym.

Elizabeth El Refaie beschreibt in ihrem Aufsatz Visual modality versus authenticity16, wie die Authentizität bei den visuellen Medien allgemein und bei den Comics im Besonderen, wahrgenommen wird. Sie unterscheidet zwei Auffassungen der visuellen Authentizität. Zusammen mit den Soziologen Gunther Kress und Theo van Leeuwen sagt sie, dass

at the moment, the dominant standard by which visual modality is judged in Western societies is […] a form of naturalism that assesses reality on the basis of how much an image corresponds with what one would see with the naked eye.17

Dies bezieht sich in der Literatur auf die objektive Authentizität, wie sie im Metzler Lexikon Literatur beschrieben wird. Auf der anderen Seite handelt es sich nach El Refaie beim Comic um einen speziellen Fall, weil die Erwartungen hinsichtlich Realität von Comics andere sind als bei literarischen Texten:

[…] viewing of comics is partly shaped by previous experiences and expectations of how the world will be presented in this genre. For instance speech balloons and motions lines are such established feature of comics that their inclusion in a particular work is unlikely to cause readers to view an artist’s style as non-naturalistic, even though they diverge so fundamentally from ordinary perceptions.18

Die zweite Möglichkeit ist „producer-oriented forms of authenticity”, oder die subjektive Authentizität in der Literatur:

In this case, the authenticity of an image is linked not so much to a privileged relationship with reality, but rather to the claimed integrity of the image producer, who is very aware of and makes no attempt to hide the fact that all representation necessarily involves selection, perspective and interpretation.19

Dazu gehört auch die Tatsache, dass ein Autor in einem Werk mehrere visuelle Stile verwenden kann, „to indicate the different perspectives or states of mind of a narrator“20. So wäre die erste Theorie nur schwer applizierbar – der Grad des Naturalismus kann in verschiedenen Bildern eines Werkes, sogar einer Seite unterschiedlich sein.

16 Visual modality versus authenticity.

17 Ebd., S. 164.

18 Ebd., S. 168.

19 Ebd., S. 165.

20 Ebd., S. 169.

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Die Authentizität in autobiographischen Comics sollte daher eher als subjektive Authentizität verstanden werden. Die Bilder müssen nicht nötig realistisch aussehen, um als authentisch beurteilt zu werden. Damit hängt auch die subjektive Interpretation der Realität nach dem Autor zusammen, welche in dem nächsten Teil weiter besprochen wird.

2.1.3. Der referentielle Anspruch an die Autobiographie und die Interpretation

Nach Lejeune erheben die Autobiographie und die Biographie

genauso wie der wissenschaftliche oder der historische Diskurs den Anspruch, eine Information über eine außerhalb des Textes liegende „Realität“ zu bringen und sich somit der Wahrheitsprobe zu unterwerfen. Sie streben nicht nach bloßer Wahrscheinlichkeit, sondern nach Ähnlichkeit mit dem Wahren. Nicht nach dem „Realitätseffekt“, sondern nach dem Bild des Wirklichen.21

Wie kann dieser referentielle Anspruch mit der bildlich dargestellten Weltrepräsentation verbunden werden? Die dargestellte Realität ist mit der subjektiven Interpretation des Autors verbunden. Falls der Leser dieses „subjektive Wahrnehmen“ der Realität akzeptiert, kann er auch die dargestellte Welt als die subjektiv wahrgenommene Realität akzeptieren. Die Bilder müssen dabei kein Hindernis bilden. Dies hebt auch El Refaie hervor:

Autobiographical comics, for instance, never claim to offer a direct, mimetic representation of the world, but rather an interpretation of events as they are experienced by the artist, with aspects that are quite obviously and deliberately exaggerated, adapted or invented.22

Der Autor wird als eine vermittelnde Instanz zwischen der im Comic dargestellten Welt und dem Leser verstanden. So ändert sich auch die Beurteilung der vermittelten Realität: „Consequently, the reference point for the judgement of truthfulness in graphic memoirs is not really ‘as it is’, but reality as it is subjectively perceived by the individual artist.”23 Nach El Refaie ist gerade Comic ein Paradebeispiel für die subjektive oder „producer-oriented“ Form von Authentizität.

Eine wichtigere Rolle als die Wahrhaftigkeit oder Verifizierbarkeit spielt nach El Refaie in den Comics die Zuverlässigkeit, welche im Prozess des Lesens (und auch beim Reflektieren von Paratexten bzw. von anderen bekannten Tatsachen über den Autor) immer wieder gewonnen werden muss. Zusammen mit Charles Hatfield24 spricht die Autorin über dem Begriff ironic authentication oder authentication through artifice:

21 Lejeune, Philippe: Der autobiographische Pakt. Frankfurt am Main 1994, S. 39-40.

22 Visual Modality versus authenticity, S. 171.

23 Ebd., S. 171.

24 Hatfield, Charles: Alternative Comics: An Emerging Literature. Jackson 2005.

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„In brief, ironic authentication makes a show of honesty by denying the very possibility of being honest.”25 Indem der Autor durch seine Zeichnungen eine eigene Realität schafft und dabei mehr Aufmerksamkeit auf den Stil als auf die Beziehung zur realen Welt richtet, schafft er paradoxerweise das Gefühl der Zuverlässigkeit.

In fact, paradoxically, a style that draws more attention to itself may actually strike the reader as more rather than less authentic. This is because ostentation can be used to create a new sense of truthfulness by deliberately foregrounding and calling attention to the artificiality of all representation.26

Die Authentizität des Geschehens in Comics hängt also nach El Refaie nicht so sehr mit der realen Welt oder mit den Vorstellungen der Leser von dieser Welt zusammen, sondern mit dem Gefühl der Zuverlässigkeit der dargestellten Realität. Dieses Gefühl wird nicht durch realistische Bilder hervorgebracht, sondern entsteht im Laufe der Lektüre und hängt mit dem Stil des Autors und mit seiner subjektiven Interpretation der Ereignisse zusammen. Die Zuverlässigkeit steht in enger Verbindung mit der Persönlichkeit des Autors bzw. des impliziten Autors27 und seiner Erfassung der Welt.

Es ist gerade die betonte Künstlichkeit, die nach El Refaie dem Leser hilft, die dargestellte Realität als authentisch zu akzeptieren.

25 Alternative Comics, S. 125-126.

26 Visual modality versus authenticity, S. 171.

27 Impliziter Autor wird hier nach Tilmann Köppe verstanden: „Er ist vielmehr das ‚Bild‘ eines bestimmte Werte vertretenden Autors, wie es sich aus der Gesamtheit des Werkes ergibt.“ Mehr dazu Köppe, Tilmann: Impliziter Autor. In: Metzler Lexikon Literatur. Begriffe und Definitionen. Hrsg. von Dieter Burdorf, Christoph Fasbender, Burkhard Moennighoff, Stuttgart, Weimar 2007, S. 344-345.

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2.2. Zur Geschichte der Autorencomics

Bei der Auseinandersetzung mit der Autobiographie in Comics, ist es wichtig zu verstehen, welche Stellung die Autoren in seiner Geschichte hatten und welcher Weg zur Etablierung der Autobiographie führte. Die ersten Comics erschienen in den Zeitungen seit Ende des 19. Jahrhunderts und in den frühen Jahren des 20. Jahrhunderts, und ihre Autoren hatten fast keine Macht über ihre Herstellung. Über die Entwicklung der Handlung entschieden in der Regel die Herausgeber und teilweise auch das Publikum. Auch während der Zeit der Superheldencomics (in den späten 1930er Jahren) arbeiteten die Autoren in Kollektiven oder anonym. Die Stärkung der Autorrolle kam erst mit den Underground-Comics der 1960er Jahre in Amerika, die als Vorstufe der heutigen autobiographischen Comics betrachtet werden.28

Die ersten Autorinszenierungen erscheinen aber schon am Anfang des 20. Jahrhunderts mit den Comics von George Herriman oder Fontaine Fox. Es tauchen Motive wie ein Autor, der an seinem Tisch sitzt und auf Inspiration wartet, oder eine Vermischung der Figurenwelt und der Welt des Autors auf.29 Die Selbstinszenierung erscheint am Anfang nur in der Form von Paratexten; es gibt keine Comic-Geschichten, die eine Autorfigur beinhalten.30 Trotzdem können die Autorinszenierungen als Vorstufe für die Autobiographien betrachtet werden. Obwohl der Protagonist/Autor, der seine Geschichte erzählt, noch nicht erscheint, versuchen die Autoren sich in den Comics selbst zu inszenieren und so die Autorrolle in den Vordergrund zu stellen.

In den USA begann sich in den 1960er und 70er Jahren die Tendenz durchzusetzen, sich von den auf dem Markt dominierenden Super-Helden Comics zu distanzieren. Es entstand der handwerklich produzierte Underground-Comic, der sich durch seine Themenwahl von dem Superhelden-Comic und der Massenkultur unterschied, und dessen Begründer Robert Crumb mit seinen Comics The Many Faces of R. Crumb und The confessions of R. Crumb ist.31 Crumb tritt in diesen Comics als Autor und andere Figuren auf und betont die Kontrolle des Autors über das Geschehen im Strip; er relativiert gleichzeitig die Authentizität der Autobiographie, indem er sich

28 Stein, Daniel: Was ist ein Comic-Autor? Autorinszenierung in autobiografischen Comics und Selbstporträts. In: Comics – Zur Geschichte und Theorie eines populärkulturellen Mediums. Hrsg. von Stephan Ditschke, Katerina Kroucheva, Daniel Stein. Bielefeld 2009, S. 201 – 237, hier S. 205.

29 Ebd., S. 224.

30 Ebd., S. 207.

31 Becker, Thomas: Genealogie der autobiografischen Graphic Novel. Zur feldsoziologischen Analyse intermedialer Strategien gegen ästhetische Normalisierungen. In: Comics – Zur Geschichte und Theorie eines populärkulturellen Mediums. Hrsg. von Stephan Ditschke, Katerina Kroucheva, Daniel Stein.

Bielefeld 2009, S. 239 – 264, hier S. 245.

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als übertriebene Cartoonfigur darstellt. Crumb inszeniert sich ironisch als Anti-Held (im Unterschied zu den Superhelden-Comics). „Er stellt einen spielerischen Umgang mit dem Autobiographischen, eine Selbstinszenierung des Autors mit den Mitteln der grafischen Literatur dar.“32

In den 70er Jahren entwickelt sich der Underground-Comic auch in Europa, in Frankreich um die Magazine Métal hurlant und À Suivre. Paul Mougin, der Chefredakteur von À Suivre, sagte dazu: „Wir wollen eine andere Form von Comics anbieten, wirkliche Comic-Romane, die in Kapitel unterteilt sind.“33

In den 80er Jahren kam es zur Wandlung von Themen, die sich einer konfrontativen Gesellschaftskritik zuwandten, zu persönlichen und nachdenklichen Geschichten. „Der bekannteste amerikanische Comic-Autor ist in diesem Zusammenhang Art Spiegelman, dessen Maus den Übergang zwischen den Underground-Comics und den autobiografischen Autorencomics markiert.“34 Der Unterschied zwischen Spiegelman und Crumb besteht darin, dass Spiegelman sich selbst nicht mehr nur ironisch abbildet, was den ersten Schritt zu den autobiographischen, ernsthaften Selbstdarstellungen in Graphic Memoirs darstellt.35

Auf die Durchsetzung der Autorrolle in Comics in Amerika und Frankreich reagiert auch die deutsche Comic-Szene, in der sich das autobiographische Genre durchzusetzen beginnt.

2.2.1. Erwachsenen-Comics und Autoren-Comics in Deutschland

Joachim Kaps beschäftigt sich mit der Entwicklung der Erwachsenen-Comics in der Bundesrepublik Deutschland.36 Er sieht die Wurzeln der Erwachsenen-Comics in der BRD in den Satire- und Humor-Seiten der deutschen Presse.37 In den 1980er Jahren entstanden in der BRD die Erwachsenen-Comics, die sich mehr und mehr auf zwischenmenschliche Beziehungen oder innere Entwicklungsprozesse ohne humoristische Brechung konzentrieren.38

Daß solche Comics, die den individuellen Bereich betonen, gerade in den 80er Jahren nach und nach ein festes Publikum für sich gewinnen konnten, kann mit dem bei den

32 Was ist ein Comic-Autor?, S. 210-211.

33 Knigge, Andreas C.: Zeichen-Welten. Der Kosmos der Comics. In: Comics, Mangas, Graphic Novels.

Hrsg. von Heinz Ludwig Arnold, München 2009, S. 5 – 34, hier S. 27.

34 Was ist ein Comic-Autor?, S. 213.

35 Ebd., S. 218.

36 Kaps, Joachim: Das Spiel mit der Realität. Erwachsenen-Comics in der Bundesrepublik Deutschland.

Marburg 1990.

37 Ebd., S. 285.

38 Ebd., S. 259.

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humoristischen Comics bereits beobachteten Trendwechsel von der politischen Agitation zur Auseinandersetzung mit dem Alltag kleiner überschaubarer Subkulturen in Einklang gebracht werden.39

Mit der Etablierung des Comics in Deutschland beschäftigt sich auch Stephan Ditschke in seinem Aufsatz Zur Etablierung des Comics als Literatur. Er betont die schwierige Situation der Comics in Deutschland, die immer als minderwertige Literatur wahrgenommen wurden. Anfangs des 21. Jahrhunderts begann sich die Situation zu verändern, und der Comic bekam mehr und mehr Raum in literarischen Rezensionen.40 Ditschke setzt diese Tatsache in Zusammenhang mit den Übersetzungen der Graphic Novels Persepolis von Marjane Satrapi und Blankets von Craig Thompson, sowie der Comic-Reportage Palästina von Joe Sacco. So „wurde der Diskurs über Comics in mehrfacher Weise an den Diskurs über Literatur angeschlossen“41.

Ditschke nennt verschiedene Gründe dafür, warum der Comic in dem Bereich der Literatur behandelt wird. Einer davon ist, „dass immer mehr Comics längere abgeschlossene und für sich stehende Erzählungen sind und nicht mehr als Teil einer Serie publiziert werden“42. Die Form eines Buches betont den literarischen Anspruch solcher Werke. Damit hängt auch das Behandeln des Comics im Rahmen der Literaturseiten in Zeitungen zusammen. „Wenn Comics auf der Literaturseite besprochen werden, umgeben von Literatur-Rezensionen, dann – so wird nahegelegt – muss es sich bei Comics ebenfalls um eine Form von Literatur handeln“43. In den Rezensionen werden Comics mit den literarischen Genres benannt (wie z. B. Reportage oder Roman). Solche Comics werden aber immer als eine Ausnahme bezeichnet und es wird zwischen diesen „literarischen Comics“, und dem Comic-Mainstream unterschieden. Nach Ditschke handelt es sich bei Comics um ein „erzählendes Medium“44. So greifen die Rezensenten nach denselben Kriterien wie bei der Literatur, und nur selten wird der graphische Teil der Comics beschrieben.45

Mit der Etablierung des Comics im literarischen Betrieb und mit seinem Anspruch auf Literarizität begann sich auch die Comic-Theorie zu entwickeln. Daher ist diese von der Literaturwissenschaft nicht einfach trennbar. Der Comic gehört schon von

39Das Spiel mit der Realität, S. 260-261.

40 Ditschke, Stephan: Comics als Literatur. Zur Etablierung des Comics im deutschsprachigen Feuilleton seit 2003. S. 265-280, hier S. 265-267.

41 Ebd., S. 267.

42 Ebd., S. 270.

43 Ebd. S. 271.

44 Ebd. S. 272.

45 Ebd., S. 272-273.

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seiner Form her in den literarischen Bereich, und auch die Bezeichnung (Graphic) Novel zeigt den literarischen Anspruch. Deshalb geht auch die Comic-Theorie von den Begriffen der Literaturtheorie – genauer: der Erzähltheorie – aus, obwohl diese nicht immer völlig geeignet sind, wie auch weiter in dieser Arbeit gezeigt wird.

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2.3. Lejeunes Der Autobiographische Pakt in Beziehung zur Autobiographie in Comics

Philippe Lejeune definiert die Autobiographie als „rückblickende Prosaerzählung einer tatsächlichen Person über ihre eigene Existenz, wenn sie den Nachdruck auf ihr persönliches Leben und insbesondere auf die Geschichte ihrer Persönlichkeit legt.“46 Er betont den Namen des Autors, welcher entweder offenkundig auf dem Buchumschlag steht und mit dem Namen des Protagonisten und des Erzählers identisch ist, oder die Autobiographie wird implizit auf der Ebene der Verbindung Autor-Erzähler anlässlich des autobiographischen Pakts festgestellt. Dieser Pakt kann zwei Formen annehmen: der Titel lässt keinen Zweifel darüber, dass die erste Person auf den Namen des Autors verweist (Autobiographie, Geschichte meines Lebens...), oder es tritt der Erzähler im einleitenden Abschnitt des Textes, „in dem er dem Leser gegenüber Verpflichtungen eingeht, dergestalt als Autor auf, dass der Leser auch dann keinen Zweifel darüber hegt, dass das ‚ich‘ auf den Namen auf dem Umschlag verweist“.47 Inwieweit sind diese Regeln nun auch auf Comics applizierbar?

Comics muss man immer in Bezug auf ihre Multimodalität verstehen: Sie bestehen nicht nur aus dem verbalen, sondern auch aus dem bildlichen Teil. Deshalb kann Lejeunes Theorie nur zum Teil appliziert werden. Um zu versuchen, den autobiographischen Pakt in Comics festzustellen, kläre ich im Folgenden zunächst die Spezifika des Erzählens und des Erzählers in Comics.

In den ersten Comics(-Strips) verläuft das Geschehen ausschließlich in der Form der Dialoge, die in den Sprechblasen abgebildet sind. Wie aber im Kapitel Zur Geschichte der Autorencomics gezeigt wurde, kommen im Laufe der Zeit auch die Autoren mit ihren Selbstinszenierungen und die Erzähler, v. a. in Form von Erzählblöcken, die weiter unten ausführlicher besprochen werden, in Comics vor.

2.3.1. Erzählen, Erzähler und Fokalisierung in Comics

Die erste Frage, die man sich stellen muss, ist: Kann man überhaupt von einem Erzählen in Comics ausgehen? Wenn ja, in welchem Sinne?

Dietrich Grünewald stellt sich diese Frage in seinem Aufsatz Erzähler und Erzählen in der Bildgeschichte48. Er betont die Tatsache, dass durch Bilder eigentlich

46 Der autobiographische Pakt, S. 14.

47 Ebd., S. 28-29.

48 Grünewald, Dietrich: Erzähler und Erzählen in der Bildgeschichte.

http://www.comicgesellschaft.de/2013/03/26/dietrich-grunewald-erzahler-und-erzahlen-in-der- bildgeschichte/, vom 30. 8. 2013.

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nicht erzählt, sondern gezeigt oder präsentiert werde. Gleichzeitig akzentuiert er die Rolle des Betrachters/Lesers, der das in Sequenzen Gezeigte zu einer sinnvollen („narrative[n], kausal akzeptierte[n], prozessuale[n], zeitliche[n]“49) Struktur verbindet:

„Das Bild erzählt nicht im eigentlichen Sinne, es zeigt uns etwas, das wir im Kopf deutend verlebendigen.“50 Wie in Film „wird kein Geschehen, kein Ablauf erzählt, sondern es werden Situationen gezeigt, die erst der Betrachter im Prozess der deutenden Aneignung im Kopf zu einem Prozess verbindet.“51.

In den autobiographischen Comic wird der Unterschied zwischen einem Erzähler und einem Produzenten der Bildgeschichte als Zeichner betont:

Während der mündliche Erzähler in dieser Rolle tatsächlich präsent ist, der Schreiber nachfühlbar und durch seine fixierten Worte als Erzähler agiert, ist der Produzent der Bildgeschichte eigentlich kein Erzähler, sondern ein Zeiger – ein Zeiger von Bildern, die sich von ihm völlig gelöst haben und darauf angewiesen sind, als autonomes visuelles Angebot von einem Betrachter als Impuls für die Konstruktion einer Erzählung genutzt zu werden.52

Dennoch kann nach Grünewald der Produzent einer Bildgeschichte mit der Erzählerrolle in gleicher Weise spielen wie der Autor eines Textes .

Dabei wird nicht selten Text (Beitext oder in Sprechblase) als Mittel genutzt, um so zu zeigen: hier erzählt jemand (tatsächlich – nämlich in Worten). […] Doch die Einführung von Erzählfiguren (sei es tatsächlich der Autor selbst53, sei es nur ein Spiel mit seiner Person, sei es ein Außenstehender, sei es ein Protagonist) ändert nichts daran, dass das eigentliche Geschehen visuell präsentiert, gezeigt wird und damit ein aufforderndes Angebot an den Betrachter ist, als Co-Autor aktiv zu werden, aus dem Gezeigten und in Schrift Gesagten eine lebendige Handlung im Kopf zu konstruieren.54

Grünewald spricht also nicht über ein Erzählen im engeren Sinne, sondern über ein Zeigen von Geschehen. Das tatsächliche Erzählen erscheint in den Beitexten, sonst wird die Geschichte visuell gezeigt, nicht erzählt.

Martin Schüwer versucht dagegen in seinem Buch Wie Comics erzählen. Grundriss einer intermedialen Erzähltheorie der grafischen Literatur ein weiteres Konzept des Erzählens auch auf Comics zu applizieren, wobei er sich nach einem Vorschlag von Ansgar und Vera Nünning richtet:

Geht man hingegen von einem weiten Begriff von Narrativität aus und beschränkt man sich auf das Merkmal der erzählten Handlung, so zeigt sich, daß auch vermeintlich nichtnarrative Genres wie Comics, Filme und Dramen sehr wohl eine Geschichte

49 Erzähler und Erzählen in der Bildgeschichte.

50 Ebd.

51 Ebd.

52 Ebd.

53 Hier handelt es sich eher um den impliziten Autor, oder eine Selbstinszenierung des Autors. Der Autor selbst kann in der Geschichte selbstverständlich nicht erscheinen.

54 Erzähler und Erzählen in der Bildgeschichte.

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„erzählen“. Folgerichtig weiten viele ErzähltheoretikerInnen den Objektbereich der Erzähltheorie auf Erscheinungsformen des Narrativen in den visuellen Medien aus.55

Nach Schüwer muss „man auch dem bewegten Bild und der starren Bildfolge das Potential [zubilligen], in vollem Sinne narrativ zu sein, und zwar selbst in Abwesenheit einer Erzählstimme“56. Er spricht also auch im Fall von Comics von einem Erzählen;

was den Erzähler betrifft, unterscheidet er aber zwischen dem verbalen (hier handelt es sich um die Erzählblöcke) und dem bildlichen Teil: „So treten in Filmen wie Comics häufig verbale Erzählstimmen auf, die ein Geschehen etwa im Rückblick schildern.

Diese Stimmen wären auch gemäß dem engen Konzept von Narrativität ein legitimer Gegenstand der Erzähltheorie.“57 Auf die Erzählblöcke lässt sich somit Genettes Konzept des Erzählers übertragen, was aber nicht für den bildlichen Teil gilt.58 Man kann eine personalisierbare Erzählerstimme nur in dem verbalen Teil des Comics finden, „[w]as den Bildanteil der Comics betrifft, […] ließe sich statt von einer

‚Erzählillusion‘ viel eher von einer ‚Wahrnehmungsillusion‘ sprechen, also von einer Illusion im Bereich der Fokalisierung, nicht der Narration“59.

Schüwer hält also auch die Wiedergabe des Geschehens in Comics für Erzählen, obwohl „in aller Regel die Erzählstimme über weite Strecken sogar ganz zurück[tritt]

und die Wiedergabe von Ereignissen völlig dem Bild [überlässt]“60. Das Erzählen kann also nach Schüwer auch ohne einen Erzähler weiterlaufen.

Auch Jan-Noël Thon fragt sich in seinem Aufsatz Who’s Telling the Tale? Authors and Narrators in Graphic Narrative nach dem Erzähler und seiner Form in den verbalen und verbal-pictorialen/bildlichen Teilen des Comics.

Evidently, graphic narratives are representations of stories (and their worlds). Just as evidently, not all parts of these stories (and storyworlds) are narrated verbally by a more or less explicitly represented narrator. Still, graphic narratives in general and contemporary graphic novels in particular use various kinds of narrators-as-narrating-characters.61

Er unterscheidet drei Typen der Vertretung des Erzählens: Narratorial representation bezieht sich auf die verbale Narration und wird von einem „narrator-as-narrating-

55 Nünnig Ansgar, Nünnig Vera: Produktive Grenzüberschreitung: Transgenerische, intermediale und interdisziplinare Ansätze in der Erzähltheorie. In: Erzähltheorie transgenerisch, intermedial,

interdisziplinär. Hrsg: Nünning, Ansgar, Nünning, Vera. Trier, 2002, S. 1-22, hier S. 7.

56 Schüwer, Martin: Wie Comics erzählen. Grundriss einer intermedialen Erzähltheorie der grafischen Literatur. Trier 2008, S. 21.

57 Ebd., S. 21.

58 Ebd., S. 389.

59 Ebd., S. 389.

60 Wie Comics erzählen, S. 21.

61 Thon, Jan-Noël: Who’s Telling the Tale? Authors and Narrators in Graphic Narrative. In: From Comic Strips to Graphic Novels: Contributions to the Theory and History of Graphic Narrative. Hrsg.: Stein, Daniel, Thon, Jan-Noël. Berlin 2013, S. 67-99, hier S. 74.

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character“ repräsentiert. Authorial representation ist die verbale Narration, die sich auf

„an authoring character that functions ‚as narrator‘“ bezieht. Und schließlich kommt die non-narratorial representation oder die verbal-pictoriale Narration in Panels oder Panelssequenzen vor, die evident ein Prozess des Schaffens sind, deren Quelle aber nicht repräsentiert wird.62 Während er für die verbale Narration die Terminologie von Genette zur Profilierung des Erzählers (gleich wie Schüwer) benutzt, sucht er für die verbal-pictorialen Teile nach einer anderen Beschreibung. Die Quelle, aus der die bildlichen Teile des Comics stammen, setzt Thon mit dem impliziten Autor oder einem Kollektiv von Autoren gleich. „This has very little to do with the real author(s), but rather with the image of these author(s) that the readers have formed in the process of reading.“63

In den graphic memoirs versteht Thon sowohl die verbale als auch die verbal- pictoriale Narration als authorial representation. Der Autor, falls es sich nur um einen Autor handelt, wie es bei Autobiographien üblich ist, ist hier für beide Teile verantwortlich.

Elisabeth El Refaie vertritt in ihrem Buch Autobiographical Comics. Life writing in pictures64 einen ähnlichen Standpunkt. Anstatt die narratologischen Begriffe „Erzählen“

und „Erzähler“ auf Comics zu applizieren, was sie nicht funktional findet, benutzt sie für die Effekte von visuellen Zeigen („Erzählen“) den Begriff „impliziter Autor“65. „We can discuss both the verbal as the visual features of a particular work in terms of a repository of choices made by an ‚implied author/artist‘.“66 In Comics wird also der implizite Autor sowohl in den verbalen als auch in den bildlichen Teilen gesucht, und der Erzähler bleibt bei Seite.

Falls man trotzdem zusammen mit Schüwer und Nünning einen breiteren Begriff der Narration akzeptiert, kann man auch im Zusammenhang mit Comics von einem Erzählen sprechen, und die Begriffe der Erzähltheorie auf Comics applizieren.

Trotzdem muss man die Spezifika des „Erzählens“ in Comics in Betracht ziehen. Wie gezeigt wurde, kann der Erzähler in Comics in den verbalen Teilen (in den Erzählblöcken) gefunden werden und in diesem Fall mit den Begriffen der Narratologie problemlos beschrieben werden.

62 Who’s Telling the Tale?, S. 70.

63 Ebd. S. 89.

64 El Refaie, Elisabeth: Autobiographical Comics. Life writing in pictures. Jackson 2012.

65 Autobiographical Comics, S. 57.

66 Ebd., S. 57.

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Die bildlichen Teile werden dagegen mithilfe der Fokalisierung bestimmt.

Wichtig ist dabei im Falle der Autobiographie v. a. die interne Fokalisierung. Schüwer zeigt, „dass es für die Analyse der visuellen Seite von Comics kontraproduktiv wäre, den anhand schriftlicher Erzähltexte entwickelten Begriff der internen Fokalisierung allzu eng auszulegen und ihn etwa auf die exakte Wiedergabe von visuellen Wahrnehmungen und Vorstellungen der Fokalisierungsinstanz zu beschränken.“67 Er spricht in diesem Falle (zusammen mit Gilles Deleuze68) über ein „Mitsein“ mit der Figur. Wie die Kamera im Film, so verschmilzt auch die Perspektive der Bilder in Comics nicht mit der Figur, sondern „ist mit ihr“ und vermittelt dadurch die subjektive Perspektive. Auch Jakob F. Dittmar spricht in seinem Buch Comic-Analyse bei den bildlichen Teilen nicht von einem Erzähler, sondern von einer Ansicht. Er benutzt hier die Begriffe der Film-Theorie und rückt dadurch den Comic näher an das Medium Film heran.69

Zusammen Schüwer werde ich den Begriff Erzählen auch für die Wiedergabe des Geschehens in Comics benutzen, obwohl solches Erzählen auf längere Strecken ohne Erzähler verläuft, und sich die Wiedergabe des Geschehens nur durch Bilder und Dialoge vollzieht. Dabei wird aber zwischen den textuellen und bildlichen Teilen unterschieden, und ein Erzähler wird nur in den Erzählblöcken identifiziert. Die bildlichen Teile werden dagegen dem impliziten Autor zugeschrieben.

2.3.2. Identität: Erzähler = Protagonist = Autor

Es wurde gezeigt, in welcher Weise der Erzähler und der Autor in Comics zu finden sind. Der Erzähler erscheint in Erzählblöcken und tritt üblicherweise für mehrere Seiten zurück. Nicht jeder Comic muss deshalb einen Erzähler beinhalten. Es gibt auch Comics, die ganz ohne Worte oder nur in Dialogen verlaufen. Der (implizite) Autor macht sich dagegen in den bildlichen Teilen sichtbar und führt die Geschichte mithilfe der Bilder weiter.

Was den Protagonisten betrifft, erscheint dieser als Figur sowohl auf der textuellen Ebene (in Form eines Dialogs oder Monologs in Sprech- bzw. Denkblasen), als auch auf der bildlichen Ebene. Er kann als Figur im Bild als die erste Person oder am häufigsten erscheinen, was ihn deutlich zur Hauptfigur macht. Der Leser erkennt ihn aber vor allem durch die Verbindung von Bild und Text, welche spezifisch für Comics

67 Wie Comics erzählen, S. 392.

68 Siehe dazu Deleuze, Gilles: Das Bewegungs-Bild. Kino I. Frankfurt am Main 1997.

69 Dittmar, Jakob F.: Comic-Analyse. Konstanz 2008, S. 81.

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ist. Die Handlung verläuft immer auf beiden Ebenen und lässt den Protagonisten im Zentrum der Geschichte stehen.

Wie lässt sich eine Identität zwischen dem Autor, dem Erzähler und dem Protagonisten in Comics, mit Berücksichtigung ihrer Multimodalität, feststellen?

Die Verbindung des Protagonisten und des Erzählers kommt im Text direkt vor, wobei sich der Protagonist selbst als Erzähler bezeichnet, oder die direkte Rede kann von einer Sprechblase in den Erzählblock übergehen. So zeigt der Comic, welche der Figuren als Erzähler gelten kann. Im Unterschied zu anderen Figuren kann der Leser auch seine Gedanken in den Denkblasen sehen. Die Identität zwischen dem Protagonisten und dem Erzähler ist auch dank der bildlichen Ähnlichkeit der beiden sichtbar, falls der Erzähler als Figur in der Handlung auftritt.

Ähnlich wie Philippe Lejeune hinsichtlich literarischer Autobiographien hervorhebt, kann der Leser auch in Comics eine Identität zwischen dem Namen des Autors und des Protagonisten feststellen. Dies kann auf der textuellen Ebene in Sprechblasen durch Anrede des Protagonisten durch eine andere Figur in einem Dialog geschehen. Wie in den literarischen Autobiographien können die Situation und die Zeit, wann dies geschieht, sehr unterschiedlich sein. So kann die Namensidentität längere Zeit verschleiert bleiben.

Eine weitere Möglichkeit, wie die Identität zwischen dem Autor und dem Protagonisten festzustellen ist, ist durch verschiedene Paratexte gegeben. In Comics findet man spezifische Paratexte auf der Ebene des Bildes und zwar unterschiedliche Selbstinszenierungen des Autors. Diese können z. B. auf Blogs, in den privaten Zeichnungen oder auch auf dem Umschlag eines anderen Buches erscheinen. Auf dem Umschlag kommt es zu einer direkten Verbindung zwischen dem Namen des Autors, seinen Lebensdaten (in der Form einer kurzen Charakteristik des Autors) und dem Bild (seiner Selbstinszenierung). So kann eine Ähnlichkeit zwischen dem Autor in seinen Selbstinszenierungen und dem Protagonisten in dem konkreten Buch festgestellt werden. Üblicherweise findet sich auf der Titelseite bei Comic-Büchern neben dem Titel und dem Namen des Autors auch ein Bild. Die Titelseite ist also mehr als in der Literatur, wo über sie v. a. der Verleger entscheidet, von den Autoren bestimmt. Bei den Autobiographien kann also schon hier eine Selbstinszenierung des Autors vorkommen, oder der Umschlag kann das Autobiographische des Comics noch nicht zu erkennen geben.

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Schließlich kommt die Verbindung des Erzählers mit dem Autor nur indirekt durch den Protagonisten vor. Aus der Identität zwischen dem Protagonisten und dem Erzähler und der Identität zwischen dem Protagonisten und dem Autor konstruiert man logisch auch die Identität zwischen dem Erzähler und dem Autor.

Für Lejeune ist die Autobiographie keine Vermutung, sondern das Feststellen der Identität als einer Tatsache.70 Oben habe ich über die Ähnlichkeit der bildlichen Inszenierungen geschrieben. Das Bild ist kein Foto, man kann also die Identität nicht sicher feststellen. Die Ähnlichkeit kann dem Leser aber ein Signal geben, dass es sich möglicherweise um eine Autobiographie handelt, gehört aber nach Lejeune in den Bereich des autobiographischen Romans, welchen er streng von der Autobiographie unterscheidet.71 Sollte daher zwischen der Autobiographie (Bereich des Feststellens der Identität) und dem autobiographischen Comic (Bereich der Ähnlichkeit) unterschieden werden? Die Ähnlichkeit der bildlichen Darstellungen als ein Signal für Autobiographie kann eine der Modifizierungen des autobiographischen Paktes für den Comic sein.

70 Der autobiographische Pakt, S. 39.

71 Ebd., S. 26.

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2.4. Was sind Paratexte und welche Funktion haben sie in Verbindung mit der Autobiographie?

Gérard Genette beschäftigt sich in seinem Buch Paratexte. Das Buch vom Beiwerk des Buches mit allen Texten oder anderen Elementen, die zum Buch gehören und dadurch die Lektüre mehr oder weniger beeinflussen.

Ein literarisches Werk besteht ausschließlich oder hauptsächlich aus einem Text, das heißt (in einer sehr rudimentären Definition) aus einer mehr oder weniger langen Abfolge mehr oder weniger bedeutungstragender verbaler Äußerungen. Dieser Text präsentiert sich jedoch selten nackt, ohne Begleitschutz einiger gleichfalls verbaler oder auch nicht-verbaler Produktionen wie einem Autorennamen, einem Titel, einem Vorwort und Illustrationen.

Von ihnen weiß man nicht immer, ob man sie dem Text zurechnen soll; sie umgeben und verlängern ihn jedenfalls, um ihn im üblichen, aber auch vollsten Sinn des Wortes zu präsentieren. […] Dieses unterschiedlich umfangreiche und gestaltete Beiwerk habe ich […] als Paratext des Werkes bezeichnet.72

Diese Paratexte können unterschiedliche Formen annehmen, aber auch unterschiedliche Funktionen haben. Nach Genette sind die Paratexte meistens selbst Texte, können aber auch andere Erscheinungsformen annehmen: „bildliche (Illustrationen), materielle (alles, was zu den typographischen Entscheidungen gehört, die bei der Herstellung eines Buches mitunter sehr bedeutsam sind) oder rein faktische. […] Etwa das Alter oder das Geschlecht des Autors […] oder das Datum des Werkes.“73 Die Paratexte können simple Informationen mitteilen, aber auch eine Absicht übermitteln oder eine Interpretation anregen. Die Paratexte können auch die Gattung benennen, wobei

„manche Gattungsangaben (Autobiographie, Geschichte, Memoiren) bekanntlich einen zwingenderen Vertragswert (‚Ich verpflichte mich, die Wahrheit zu sagen‘) als andere [haben]“.74

Der wichtigste Paratext, der das autobiographische Lesen steuert, ist der Name des Autors. Der Name des Autors auf dem Buchumschlag soll mit dem Namen des Erzählers und des Protagonisten übereinstimmen, damit der autobiographische Pakt abgeschlossen wird. Der Name erfüllt dadurch eine Vertragsfunktion:

Sie ist bei der Belletristik nicht vorhanden oder nur schwach, weitaus stärker hingegen bei allen Arten von referentiellen Schriften, bei denen sich die Glaubwürdigkeit der Aussage oder ihrer Weitergabe weitgehend auf die Identität des Zeugen oder Berichterstatters stützt.

Dadurch sind Pseudonyme oder Anonyme bei Werken historischen oder dokumentarischen Charakters recht selten anzutreffen, erst recht wenn der Zeuge in seine Erzählung selber impliziert ist. Den Höchstgrad dieser Implikation stellt natürlich die Autobiographie dar.75

72 Genette, Gérard: Paratexte: Das Buch vom Beiwerk des Buches. Frankfurt/New York 1989, S. 9 – 10.

73 Ebd., S. 14.

74 Ebd., S. 17, 18.

75 Paratexte, S. 44.

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Lejeune führt aber noch eine zweite Möglichkeit dieses Vertrags ein, und zwar, wenn der Name des Erzählers/Protagonisten nicht genannt wird, dennoch aber das Buch von dem Autor eine „Autobiographie“ oder „Geschichte meines Lebens“ genannt wird.76 Der Name spielt aber immer die wichtigste Rolle; falls dieser fehlt, kann der Leser von einer Autobiographie ausgehen, deren Vorliegen aber nicht feststellen, und das Buch gehört daher in den Bereich des autobiographischen Romans.77

Gérard Genette macht aber darauf aufmerksam, dass sich der Autorenname irgendwo zwischen dem Text und den anderen Außentexten befindet. Der Gattungsvertrag entsteht nicht nur durch die Beziehung zwischen dem Text und dem Autorennamen, sondern durch die Beziehungen unter allen Paratexten, die zum Text gehören. Es kann dadurch geschehen, dass sie „von einem längeren oder späteren Paratext […] wohl oder übel wieder in ihr Feld zurückgeführt werden“, wie z. B. bei

„manchen verschleierten Autobiographien, in denen der Autor seinem Helden nicht den eigenen Namen verleiht […], und die dadurch den Status der Autobiographie im strengen Sinn einbüßen“78.

Weitere Paratexte, die das autobiographische Lesen beeinflussen, können sowohl vom Autor als auch vom Verleger stammen. Es geht um Vorwort, Waschzettel und verschiedene Metatexte wie Kommentare vom Autor oder Interviews.

Der Waschzettel oder Klappentext ist eine „Drucksache, die Angaben über ein Werk enthält. […] Ein kurzer Text (üblicherweise zwischen einer halben und einer ganzen Seite), der durch ein Resümee oder jedes andere Mittel auf meistens lobende Weise das Werk beschreibt.“79 Diese Waschzettel befinden sich meistens auf dem Buchumschlag und können auch eine Gattungsangabe beinhalten. Zu unterscheiden sind die Waschzettel, die direkt vom Autor stammen, und die, die von Journalisten oder Verlegern stammen. Die Autorenwaschzettel können spielerisch über das Buch informieren, oder können den Text weiterentwickeln. Die Journalistenwaschzettel beinhalten, wie schon bei Genette eingeführt wurde, meistens ein Lob oder die Beschreibung eigener Gefühle bei der Lektüre.

Die Vorworte können entweder vom Autor stammen, wobei er eine Gattungsangabe machen, eine Anleitung zur Lektüre geben oder einfach Vorbemerkungen formulieren und sich dadurch direkt an den Leser außerhalb des

76 Der autobiographische Pakt, S. 28-29.

77 Ebd., S. 26.

78 Paratexte, S. 45.

79 Ebd., S. 103.

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eigenen Textes wenden kann. In Vorworten kann der Autor z. B. wiederholen, dass es sich um eine „wahre Geschichte“ handelt, was nicht nur bei faktualen, sondern auch bei den fiktionalen Werken vorkommt.80 Umgekehrt kann das Vorwort auch einen Fiktionsvertrag beinhalten, der dem Leser versichert, dass die Ähnlichkeit mit der Wirklichkeit nur zufällig sei.81 Das Vorwort kann dem Leser weitere Empfehlungen zur Lektüre und „Information darüber – falls uns das interessiert – wie der Autor gelesen zu werden wünscht“82, geben. Im Vorwort können weiter Informationen über die Entstehung des Werkes oder über den Kontext stehen. Bei den Autobiographien können das z. B. die Anlässe zum Schreiben einer Autobiographie sein, die der Autor dem Leser klar machen möchte. Genette führt weiter die Nachworte an, die im Unterschied zu den Vorworten den Vorteil haben, dass „der Autor [bei] beiderseitiger Kenntnis der Sache epilogieren könnte: ‚Jetzt wissen Sie genauso viel wie ich, also unterhalten wir uns‘“.83

Sowohl Vorwort als auch Nachwort müssen nicht vom Autor stammen, sondern können auch vom Verleger oder von einer dritten Person verfasst werden oder anonym sein. Genette bezeichnet diese als allographe Vorworte.84 Wie ändert sich dann ihre Funktion? Sie können über die Entstehung des Werkes oder über das Leben des Autors informieren, wobei es sich oft um posthume Vorworte handelt. Weiter stellen die allographen Vorworte den Text oft in den Kontext des Gesamtwerks seines Autors.

Natürlich können sie auch einfach als eine Empfehlung zur Lektüre gelten.85 Wie ändert sich aber ihre Funktion bei den Autobiographien? Inwieweit lässt sich der Leser von einem allographen Vorwort beim autobiographischen Lesen beeinflussen? Die allographen (und dies betrifft am deutlichsten die posthumen) Vorworte können dem Text etwas Fremdartiges hinzufügen. Sie legen dem Leser schon eine Interpretation nahe und beziehen sich dabei auf eine neue Autorität, die außerhalb der Beziehung Autor-Text-Leser steht. Indem sich der Adressat ändert, ändert sich auch die klassische Beziehung zwischen dem Text und dem Leser.

80 Paratexte, S. 200.

81 Ebd., S. 209.

82 Ebd., S. 203.

83 Ebd., S. 228.

84 Ebd., S. 251.

85 Ebd., S. 251-263.

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