Fachgruppe Ostasien und Südostasien
Leitung: Ralf Moritz (Leipzig)
Folgende Vorträge wurden in der Fachgruppe gehalten:
Maria Rohrer (Freiburg): Zum Verhältnis von Frau und Natur in der Dichtung Tao Yuan¬
mings (365-427 n. Chr.).
Gabriele Goldfuss (Leipzig): Buddhismus zwischen den Welten: Notizen aus dem "Pavil¬
lon der Gleichheit" des Ti Pao-hsien (7-1941).
Olf Lehmann (Leipzig): Zur Assimilierung des Fremden im philosophischen Konfuzia¬
nismus des Mou Zongsan.
Ying Sun (Kassel): Das Ritual als das entscheidende Problem bei der Berührung zwischen China und dem Westen.
Gotelind Müller (Freiburg): Esperanto - "Hoffnung" fur China? Zu einer chinesischen Diskussion im frühen 20. Jh.
Helga Blazy (Köln): Modeme Literatur in Indonesien und Malaysia.
Zum Verhältnis von Frau und Natur
in der Dichtung Tao Yuanmings (365-427 n. Chr.)
Von Maria Rohrer, Freiburg
Die Frage nach dem Verhältnis von Frau imd Nahu im Werk Tao Yuanmings warf vor
kurzem Jacob auf Er untemimmt den Versuch einer psychoanalytischen Deutung des
ersten Naturdichters Chinas.Von der h-aditionellen chinesischen Ym- und Yang-Lehre ausgehend, derzufolge die Natur bzw. die Erde der weiblichen Kategorie Ym zugeordnet wird,^ deutet er Tao Yuanmings Sehnsucht nach der Rückkehr zur Natur als ödipalen Wunsch, die verlorene Einheh mit der Mutter wiederzuerlangen.' Da diese psychoanaly¬
tische Literaturinterpretation letztlich spekulativ ist, möchte ich im folgenden das poetische Werk selbst einer ausführlicheren Betrachtung unterziehen.
Wichtig erscheint zimächst die Frage nach der Präsenz und Bedeutung von Frauen allgemein in der Dichttmg Tao Yuanmings." Bei einer Untersuchung der Lieblings¬
themen und -motive Tao Yuanmings fällt auf, daß die Frau als poetisches Sujet oder als
Adressatin nahezu unbekannt ist.* Die Mehrheh seiner Gedichte sind Themen der
Freundschaft zwischen Männem, seinem Leben in der Einsiedelei sowie Reflexionen
über Leben und Tod gewidmet. Diese Themen werden von häufig wiederkehrenden
Motiven unterstützt: Wein, Vogel, Wind, Wolke, Kiefer und Chrysantheme.'
Wenn man die spärlich anzutreffenden Textstellen, an denen das weibliche Ge¬
schlecht Erwähnung fmdet, genauer imtersucht, ist zudem eine tendenzielle Verunsiche-
mng der Herausgeber wie auch der Kommentatoren bezüghch der Authentizität der
betteffenden Stellen sowie deren Interpretation zu spüren.'
Im Gesamtwerk Tao Yuanmings gibt es nur ein einziges poetisches Werk, in dem
' P. Jacob: Oeuvres completes de Tao Yuan-ming. Paris 1990, S. 47 ff.
Als Textgrundlage für die vorliegende Untersuchung diente Lu Qinli: Tao Yuanming ji. Beijing 1979.
' Die Lehre von Ym imd Yang bildet seit alters eine Grundlage für die Theorie der Geschlechterdiffe¬
renz in China, s. P. B. Ebrey: The Inner Quarters. Marriage and the Lives of Chinese Women in the Sung Period. Califomia 1993, S. 27 f.
' Jacob: op. cit. (Anm. 1), S. 48.
" Siehe M. ROHRER: Das Bild der Frau in der Dichtung Tao Yuanmings (365-427 n. Chr.), erscheint m:
C. Hammer/ B. Führer (Hrsg.): Chinesisches Selbstverständnis und kulturelle Identität - "Wenhua Zhongguo". Dortsmad 1996.
' Siehe M. Rohrer: Das Motiv der Wolke in der Dichtung Tao Yuanmings (365-427 n. Chr.). Wiesba¬
den 1992 (zugl. Diss. Univ. Freiburg, 1991), S. 72.
Ubid,S.3S-4\.
' Ibid, S. 144 ff.