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Emotionale Intelligenz beim Lernen

Thomas GÜlz, Anne C. Frenzel und Reinhard Pekrull

In diesem FallbeispieJ stehen Theorien zur Förderung emotionaler Intelligenz beim Lernen im Vordergrund, Es werden Interventionsmöglichkeiten am Fall "Lisa B."

dargestellt - einer Schülerin, deren emotionale Einstellung gegenüber dem Lernen als ungünstig bezeichnet werden kann.

1 "Lernen ist eben ätzend" - der Fall "Lisa B."

Liga B. besucht die 7. Jahrgangsstufe einer Realschule im Großraum München. So­

wohl in den Haupt- als auch in den Nebenfächern zeigt Lisa mittlere schulische Leis­

tungen. Allerdings haben sich Lisas Noten in der zweiten SclmUahreshälfte ver­

schlechtert., sodass sie im Endjahreszeugnis in insgesamt vier Fächern voraussicht­

lich eine Notenstufe schlechter abschneiden wird als im Zwischenzeugnis. Sie wird somit wohl die Note "befriedigend" im Fach Physik und jeweils die Note "ausrei�

chend" in den Fächern Mathematik, Deutsch und Englisch erhalten.

l....isas Mutter bemerkt bei ihrer Tochter in letzter Zeit häufig, dass diese beim Er­

ledigen ihrer Hausaufgaben "Löcher in die Luft starrt", Mit Sorge beobachtet sie oft regelrechte Wutausbrüche ihrer Tochter beim Lernen. Lisa schlägt dann mit der Faust auf ihren Schreibtisch lind schimpft und jammert vor sich hin; häufig zerknüllt sie auch Papier und wir11 es in die Ecke, wenn Problemc auHreten. Frau 13. hat insge­

samt den Eindruck, dass sich Lisa äußerst unwohl heim Erledigen ihrer Hausaufga­

ben fühlt und schlecht mit diesen negativen Gefühlen umgehen kann. Darüber hinaus ist sie der Meinung, dass sich Lisas Gefühle beim Lernen ncgativ auf ihre schuli­

schen Leistungen aus\virken. Wenn Frau B. ihre Tochter auf' deren Verhalten beim Lernen anspricht, dann ist Lisas Antwort häufig: "Lernen ist eben ätzend".

Beim letzten Elternsprechtag thematisierte Frau 13. im Gespräch mit Lisas Klas­

senleiter das Verhalten ihrer Tochter beim Lernen. Herr K., der das Fach Mathematik in Lisas Klasse unterrichtet, berichtet von Beobachtungen, die im Einklang mit Lisas Verhalten beim Erledigen der Hausaufgaben stehen: Lisa sei zunehmend unaufmerk­

sam, und er ertappe sie vor allem in Einzellernphasen häuf1g bcim Tagträumen. Zu­

dem mache sie aber manchmal auch einen gereizten Eindruck im Unterricht, z. B.

wenn sie inhaltlich berichtigt wird ("Ja, ja, das hütte ich eh gewusst .-. hab mich halt einfach nur vertan"). Lisa sei auch beim Gestöhne und Gcjammer über die Hausau1'­

gabenbelastung in der Klasse immer vorne mit dabei. Kolleginnen und Kollegen hiit­

ten ihn schon auf Lisas zunehmende Gereiztheit angesprochen. Herrn K. sei auch aufgeülilen, dass Lisa selten ein "fröhliches Gesicht" im Mathematikunterricht zei­

ge wobei er sie auf dem Pausenhof als durchaus lebenslustige Schülerin wahr­

nimmt. Ebenso wie Frau B. vermutet Lisas Klassenleiter, dass ihre Leistungsyer­

schlechterungen in Mathematik und auch in den anderen Fächern im Zusammenhang

Zuerst ersch. in: Pädagogische Psychologie in Theorie und Praxis: ein fallbasiertes Lehrbuch / Jörg Zumbach ...

(Hrsg.). Göttingen: Hogrefe, 2008, S. 255-263

Konstanzer Online-Publikations-System (KOPS) URL: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:352-opus-123895

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mit den beschriebenen Verhaltensweisen stehen. Er meint jedoch, dies nicht adäquat beurteilen zu können und empfiehlt Frau B. daher, mit ihrer Tochter eine Schul�

bcrntungsstelle aufzusuchen, um sich dort professionellen Rat zu holen.

Lisa reagiert zunächst ablehnend auf den Wunsch ihrer Mutter, gemeinsam mit ihr zur Schulberatungsstelle zu gehen. Sie begründet ihre ablehnende Haltung damit dass ihre Gefühle beim Lernen ja nicht so wichtig seien. Sie ist davon überzeugt' dass diese nichts mit ihren schulischen Leistungen zu tun haben. Außerdem ll1ein

;

Lisa, sie sei nun mal ein sehr emotionaler Mensch und "gegen Geflihle kann ll1an sich ja ohnehin nicht wehren". Nachdem Frau B. mehrmals bekräftigt, wie wichtig es ihr wäre, zur Beratungsstelle zu gehen, lässt sich Lisa schließlich mit dem Kom�

mental' "Kann ja auch nicht schaden" darauf ein.

Innerhalb eines Monats bekommen die heiden einen Beratungstennin. Usa und ihre Mutter führen ein erstes Gespl'iich mit einer an der Beratungsstelle tätigen Schulpsychologin. Im Rahmen dieses Gesprächs erläutern Lisa und ihre Mutter de�

tailliert den Grund für das Aufsuchen der Beratungsstelle. In eincm zweiten Ge­

spräch kommt die Schulpsychologin zu dem Schluss, dass als Ursachen für Lisas Verhaltcn beim Lernen ihre Peer-Group, ihre Situation im Elternhaus und auch ihre Lchrkräftc an der Schule weitgehend auszuschließen sind.

2 Fragen zum Fall "Lisa B."

I. Von welchen Emotioncn ist Lisas Lernen geprägt?

2.

Inwiefern ist Lisas emotionales Erleben beim Lernen bedcutsam?

3.

Wie beurteilen Sie Lisas emotionale Intelligenz beim Lernen?

4. Welche Möglichkeiten sehen Sie, L,isas emotionale Intelligenz beim L ... ernen im Rahmen einer Intervention zu fördern?

3 Theoretische Einhettung des Falls "Lisa B."

Relevanz emotionalen Erleben.\' im Lern- und Leistlll1g:·;/wl1text. Aus mehreren Grün­

den ist es wichtig, dem cmotionalen Erleben von Lernern ein Augenmerk zu schen­

ken. (1) Zunächst sollte es eines der Ziele unseres Bildungswesens sein, dass Lerner sich in institutionalisierten Bildungseil1l'ichtungen und beim individuellen Lernen subjektiv wohl fühlen (Hascher,

2(04);

negative Emotionen wie Angst, Scham oder Ärger sollten hier möglichst selten auHrctell eine Forderung, wie sie beispielsweise vom Bundesverband Aktion Humane Schule e.V. gestellt wird.

(2)

Im Hinblick auf Lern- lind Leistungscrgebnisse gibt es mittlerweile Evidenz zur Bedeutsamkeit des Einflusses emotionale11 Erlebens beim Lernen auf resultierende Leistungsergebnisse (Pekrull, Goetz, Titz & Perry,

2002).

Emotionell zeigen \Virkung auf Lernen und Leistung, indem sie qualitativ die Motivation und den Lernstrategic-Einsatz beein­

flussen. Darüber hinaus bestimmen sie maßgeblich, wie stark zur Aufgabenbearbei­

tung notwendige kognitive Ressourcen (z. B. Auf111crksamkeit) aktiviert werden.

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r':motionale Intelligenz beim Lernen 257

(3)

Die affektive Einstellung zum L ... ernell ist im Hinblick auf lebenslanges Lernen von zentraler Bedeutung. Wird Lernen als unangenehm erlebt, fallen Entscheidungen für Weiterbildung oder jegliche Neuaneignung von Wissen und Fertigkeiten in der Berufslaufbahn vermutlich negativ aus. Dies ist insbesondere in modernen, sich ra­

pide wandelnden Gcse!lschatlen von Relevanz, da sie ihren Mitgliedern hohe Adap­

tiol1sHihigkeiten lind damit die BereitschaH zur permanenten Weiterbildung abver­

langen. (4) Auch Studienfach- und BerufsentscheidungeIl sind maßgeblich von der affektivcn Einstellung gegenüber dem Lernen geprägt· spezifische StudienHicher bzw. Berufe erfordern ein unterschiedliches Ausmaß an Lernen.

Ernotimwle intelligenz beim Lernen. Eine zentrale Rolle für erfolgreichen Kom­

petenz- und Wissenserwerb spielt zweifellos die Intelligenz, also die kognitiven Fä­

higkeiten, zu verstehen, zu abstrahieren und Probleme zu lösen. Seit Ende der 50er .Jahre des vergangenen Jahrhunderts wurden zahlreiche Programme zur Intelligenz­

förderung entwickelt (vgl. Klauer & Phye, 1994 rUr ein Programm im schulischen Kontext). Erst seit ca. 1990 entwickelte sich ein Bewusstsein dafür, dass sieh Denk­

prozesse auch auf emotionale Aspekte des Menschen richten könnten lind diese

"emotionale Intelligenz" Hir erfolgreiches Handeln eine bedeutsame Rolle spielt (Schulze, Freund & Roberts, 20(6). Das Bewusstsein für die Relevanz emotionaler Intelligenz im Hinblick auf menschliches Handeln ist seit der Verötlentlichung des Beitrags "Emotional Intelligence" von Salovey und Mayer (1990) rapide gestiegen.

Bekannt wurde Emotionale lntelligenz auch durch zahlreiche populärwissenschaftli­

che Bücher (z. B. Goleman, 2(00).

Was emotionale Intelligenz beim Lernen anbclangt, so widmet sich die Forschung erst in neuester Zeit diesem Thema. In Anlehnung an den "klassischen" InteJligenz­

begriff als aueh in Anlehnung an aktuelle Definitionen des Konstrukts "Emotionale Intelligenz" (z. 13. Salovcy & Mayer, 1990) verstehen Goetz, Frenzel, I'ekrun und Hall (2006) unter "emotionaler Intelligenz beim Lernen" vor allem die kognitiven Fähigkeiten einer Person zur Perzeption, Rei1exioll lind Regulation von Emotionen beim Lernen. Perzeption meint hierbei das Erkennen der eigenen lern bezogenen Emotionen (I'.. B. Ärger über zu schwierige Aufgaben), Reflexion meint Wissen über diese Emotionen (z. B. Wissen über deren positive oder negative Konsequenzen für das Lernen), und Regulation meint Wissen und Fähigkeiten zur I'.ielorientierlen Mo­

difikation dieser Emotionen.

Förderung emothmuler intelligenz heim Lernen. Im deutschsprachigen Bereich gibt es nur vereinzelte, meist theoretisch schwach fundierte Programme zur Förde­

rLlllg emotionaler Intelligenz von Lernern (vgl. Hofer, 20(0). Zahlreiche, ebenüllls überwiegend praxisorientierte Programmc wurden hingegen seit 1990 in den USA publiziert (Zeidner, Roberts & Matthews, 2002; vgJ. auch Programme im Kontext von "Social-Emotional Learning" [SEL] "" einem UnterrichtsÜtch in den USA; Co­

hen, 20(1). Allerdings konzentrieren sich diese Programme in erster Linie auf Emo­

tionen im sozialen Kontext (z. 13. Lehrer-Schüler-Interaktion).

Um emotionale Intelligenz beim Lernen zu fördern, gilt es entsprechend der oben genannten Definition, die Fähigkeiten zur Perzeption und Reflexion emotionsbezo­

gener Informationen beim Lernen sowie deren zielorientierte Regulation zu optimic­

ren. Goetz et a1. (2006) nennen folgende vier Möglichkeiten, emotionale Intelligenz im Einklang mit der oben genanntcn Definition zu fördern: (1) Vermittlung von \Vis-

(4)

sen über L,ernel11otionen, (2) Vermittlung von Methoden der Sclbstregulation von Lernemotionen,

(3)

Vermittlung VOll Kontrollüberzeugungen zu Lernemotiol1cn und (4) Vermittlung von Valenzüberzeugungen zu L .. ernel11otionen. Während sich die As�

pckte (I) lind (2) auf Wisscn über Emotionen (Perzeptioll, Reflexion) lind Methoden der Emotionsregulation beziehen, zielen die Aspekte

(3)

und (4) auf die Motivation zur Erhöhung emotionaler Intelligenz:

I. Zur Vermi//lung von W;ssen über Lernemo!ionen kann mit Lernern beispiels�

weise (a) darüber diskutiert werden, was man unter dem Begriff "Emotion" ver�

steht. Darauf aufl)auend kann (b) das emotionsbezogene Vokabular erweitert werden. Ein umfangreiches Emotionsvokabular kann Lernern helfen, in dif1ercn�

zierter Weise über Emotionen zu sprechen und zu diskutieren. Zur Ka1eg()risie�

rLlng der Vielfältigkeit emotionalen Erlebens im Sinne einer Komplexitätsreduk�

tion kann es für Lerner hilfreich sein, ihnen (c) Taxonomien emotionalen Erle�

bens zu veranschaulichen. Schließlich sollte den Lernern auch (d) Wissen zu Lern- und Leistungswirkungen von Emotionen vermittelt werden, beispielsweise

\\lissen darüber, wic positive und negative Emotionen die Art und Weise ihres Denkens und Problemläsens beeinllussen (siehe Pekrun et al., 2(02). So können positive Emotionen holistisch-flexibles Problem lösen fördern� während negative Emotionen eher mit detailorientierten, rigiden ProbJcmlöscstrategien einhergc�

hen.

2. Es gibt zahlreiche Ade/hoden der 5'e1bs/regulafhm von Lernemohonen, die Ler�

!lern vermittelt werden können. "Emotionale Selbstregulation" hat die Funktion, cmotionale Ist-Zustände (z. B. Hoffnungslosigkeit) in emotionale Soll-Zustände (z. B. Hof1hung) zu überführen. Beispiele für solche Methoden sind das Einneh­

men von Metaperspektiven (z. B. Distanzierung von einer Emotion durch deren Betrachtung auf der Metaebene; Zulassen und Akzeptieren negativer Emotionen), der Einsatz von Entspallnungstechnikell und Selbstinstruktionsmethoden (Selbst­

kommunikation), die Erzeugung von Emotionen, die mit negativen GeHihlen in�

kompatibel sind (z. B. Humor) oder Um-Interpretationen der Situation (z. B. als weniger bedcutsam). Eine häufig praktizierte, jedoch mit gesulldheits- lind lcis­

tungsschädlichen Nebcnwirkungen einhergehende und letztlich wenig wirksame Methode zur emotionalen Selbstregulatioll ist auch Alkohol-, Nikotin- und Mcdi­

kamcntenkonsum.

3.

Kon/ro11überzeugungen zu Lernernofionen, d. h, die Überzeugung, seine Emo�

tionen "im Griff zu haben", bceinl1ussell Emotionserwartungen, prospektiv emo­

tionale Zielsetzungen, die Anwendung von Strategien der Emotionsregulation und damit zukün1liges emotionales Erleben, Zur Vermittlung der Kontrollierbar�

keit emotionalen Erlebens können zum Beispiel Methoden des Reattributi­

onstrainings

(z. B. Perry, 1991) in adaptierter Weise durchgeführt oder als Instruktionsgrund­

lage verwendet werden. Es können auch Ergebnisse der Angsttherapie berichtet werden, die eindringlich veranschaulichen, wie stark Menschen Einfluss auf ihr emotionales Erleben nehmen können (Pekrun & Götz, 2006; siehe auch den Bei­

trag "Kontroll-Wert-Modell der PrLifullgsangst" in diesem Band). Ziel el11otions­

orientierter Reattributionstrainings ist es, lernbezogenes emotionales Erleben als potenziell kontrollicrbar zu interpretieren,

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259

4. Zur Vermittlung VO/1 Valenzüberzeugungen zu Lerncrnoliol1cn ist es eventuell hilfreich, mit Lernern über die Wichtigkeit von Emotionen für subjektives Wohl­

befinden beim Lernen zu sprechen (Hascher, 20(4) sowie über die Bedeutung von Emotionen rür die Gesundhcits- und Persönlichkeitsentwicklung, bcndlichen ErJ()lg und die Qualität von Lernen und Leistung (Pckrun et al., 20(2). Auch die Valenz von Emotionen in leistungsbezogellen außerschulischen Kontexten (z. B, am Arbeitsplatz; Abraham, 2006) kann then1atisiert werden.

4 Antworten zum Fall "Lisa ß."

4.1 Lisas Emotionen beim Lernen

Bei Lisas Gdtihlcn beim Lernen handelt es sich primär um negative Emotionell ("ät­

zend", "selten ein ,f1'öhlichcs Gcsicht"'). Ihre Äußerungen und Verhaltensweisen deuten auf' das Erleben von Langeweile hin ("Löcher in die Luft starren", Tagträu­

me), Ärger (Papier in die Ecke werfen, Jammern, Gestöhne) und Wut: (mit Faust auf den Tisch schlagen, "gereizt").

4.2 Relevanz von Lisas emotionalem Erleben heim Lernen

Lisas emotionales Erleben beim Lernen ist ein wichtiger Aspekt ihres subjektiven Wohlbefindens und sollte schon deshalb im Fokus erzieherischen Handeins stehen.

Darüber hinaus beeinflussen Emotionen die Lernqualität, indem sie Einfluss auf die Motivation (z. B. intrinsische vs. extrinsische Motivation), die QualitUt der zum Ein­

satz kommenden Lernstrategien (z. B. Obcrtlächen- vs. Tiefenstrategien) und die Ak­

tivierung kognitiver Ressourcen (z, B. Ausmaß an Aufmerksamkeit) nehmen. Lisas negative Emotionen beim Lernen sind somit insgesamt als 1cistungsschädlich zu be­

zeichnen und sollten daher modifiziert werden, Es ist vermutlich davon auszugehen, dass Lisa sich in ihrer Freizeit wenig mit den in der Schule zu lernenden Themen be­

schäftigt, da sie negative affektive Einstellungen zu diesen hat. Beispielsweise wird sie Mathematik wohl wenig als "Werkzeug" bei der Lösung von Alltagsproblemen ansehen und einsetzen. Falls sich Lisas negative affektive Einstellungen gegenüber dem Lernen im Laufe ihrer Schulzeit vel1estigen, so ist im Hinblick auflebenslanges Lernen zu beHirchten, dass Lisa sich nach Beendigung der Schulzeit wenig eigenini­

tiativ f01't- und weiterbilden wird, Eine zentrale Voraussetzung fHr lebenslanges Ler­

nen, nämlich ein gewisses Ausmaß an Lernfreude, ist derzeit bei Lisa nicht gegeben.

Des Weiteren ist anzunehmen, dass ihre negative affektive Einstellung gegenüber dem Lernen ihre Berufsentscheidung beeinflusst --- Lisa wird sich evtL im Zweifels­

fall fUr einen Weg entscheiden, der mit wenig Lernaufwand einhergeht

(6)

260 Götz Frcilzel & Peknm

="---_._ ... _ ... _._ ... "-_. __ .... =�=

4.3 Lisas emotionale Intelligenz beim Lernen

Emotionale Intelligenz beim Lernen meint die Ftihigkeiten zur Perzeption und Rcnc�

xion emotionsbezogener Informationen beim Lernen sowie deren zieloriclltierte Re­

gulation. Was Lisas (a) EmolionsjJerzepfhm anbelangt) so erkennt sie, dass ihre El11o�

tionen beim Lernen primär negativer Natur sind. Allerdings drückt sie diese Em()tio�

nen verbal undi1Terellziert aus ("ützcnd"). Es scheint bei Lisa ein Mangel im cmoti_

ollsbezogenen aktiven Wortschatz vorhanden zu sein. Klare Defizite bestehen bei Lisa im Hinblick auCdie (b) HmOliof!snf'ex;on: Sie glaubt, dass ihre Emotionell beim Lernen in keinem Zusammenhang mit ihrer Lernqualität und resultierenden Leistun_

gen stehen. Das heißt, Lisa scheint kein adäquates Wissen über die Wirkungen nega­

tiver Emotionen auf Lernen und Leistung zu besitzen. Sie scheint, laut Lisas Mutter, auch kaulll Fiihigkeitell zur (c) Emo{ionsregulalion, d. h. zur zieloricntierten Modifi�

kation ihrer Emotionen zu besitzen,

Lisa denkt, dass ihre Emotionen beim Lernen nicht kOlltrollicrbar sind ("gegcn Gefühle kann man sich ja ohnehin nicht wehren"). Auch schreibt sie ihnen infolge ihres defiziUiren Wissens über ihre Lern- und Leistungswirkungen eine geringe Va­

lenz im Hinblick auC Lernen und daraus resultierende Leistung 7.U. Wohl aufgrund dieser geringen subjektiven Kontroll- und Valenzüberzeugungen ist Lisa wenig mo­

tiviert, etwas an ihren negativen lernbezogencll Emotionen zu verändern. Insgesamt ist zu vermuten, dass Lisas emotionale Intelligenz beim Lernen als auch ihre Motiva­

tion, diese zu steigern, gering sind,

4.4 Förderung von Lisas emotionaler Intelligenz beim Lernen

Lisas emotionale Intelligenz beim Lernen könnte entsprechend der drei Teilaspekte dieses Konstrukts, nämlich der Perzeption, Reilexion und Regulation von Emotio­

nCI\ gefördert wcrden. Darüber hin�lUs wäre es wichtig, L .. isas Motivation zur Steige­

rung ihrer emotionalen Intelligenz beim Lernen zu erhöhen. Dies kann durch eine Vermittlung von Kontroll- und Valenzüberzeugungen zu Lernemotionen geschehen.

Einige über die im Folgenden exemplarisch dargestellten Fördermöglichkeiten hi­

nausgehende Methoden finden sich bei Goetz ct aL (2006) und bei Pckrun und Götz (2006).

Perzcpfhm. Mit Lisa sollte zunächst darüber gesprochen werden, was man unter

"Emotionen" versteht und wie sich diese bei Menschen äußern. Grundlage Hir ein solches Gespräch könn1cn unterschiedliche Definitionen des Begriffs "Emotion"

scin, wie sie sich in der umül11greichen Emotionslitera(ur finden lassen (z. B. GHo, Euler & Mandl, 20(0), Lisas emotionsbezogenes Vokabular könnte anhand von Ge­

sprächen über die "emotionalen Aussagcn" von Kunstwerken erweitert werden.

Auch populäre Lieder könnten beispielsweise im Hinblick auf ihre emotionalen Aus­

sagen verwendet werden. Schließlich könnte man mit Lisa über das cmotionale Erle­

ben von RomanfIguren oder Personen in Filmen diskutieren. Ein Bcispiel für eine Erweiterung des Emotionsvokabulars im Rahmen eines extracurricularen Programms ist das Promoting Alternative Thinking Strategies-Programll1 (PATHS) von Green­

berg, Kusche, Cook und Quamma (1995). Aufbauend auf der Erweiterung des Emo-

(7)

Emotionale Intelligenz beim L�rnen. 261

tionsvokabulars sollte Lisa ermutigt werden, ihr emotionales Erleben beim Lernen differenzierter zu berichten .- beispielsweise indem sie basierend auf' ihren Erinne­

rungen an eine als besonders negativ erlebte L ... ernsituation ihre diesbezüglichen Ge­

fühle möglichst detailliert beschreibt.

R(/le.riorJ.

Lisa könnte dazu angeregt werden, die gemeinsam mit ihr erarbeiteten Emotionsbegriff'e inhaltlich zu ordnen, d. h. eine Emotionstaxonomie aufzustellen, die dann mit in der Emotionsliteratur vorgestellten Taxonomien verglichen wird (siehe Otto, Euler & Mandl, 2000). Ein Beispiel ist die Kalcgorisicrung nach Walson und Tellegen (1985) bezüglich der Dimensionen Aktivalion (z. B. Freude als aktivie­

rende Emotion, Hoffnungslosigkeit als deaktiviercnde Emotion) und Valenz (z. B.

Freude als positive Emotion, Hoffhungslosigkeit als negative Emotion). Um Lisa Wissen zu den Leistungswirkungen lernbezogener Emotionen zu vermitteln, wären Taxonomien sinnvoll. die Emotionell untcr andercm bezüglich ihrer Leis­

tungs\virkungen gruppieren. Dics ist z. B. bei der von Pckrun (2000) dargestellten Emotionslaxonomie der Fall. Auch das dort vorgestellte kognitiv-motivationalc Me­

diationsmodell kann hellen, die Erfekte von Emotionen auf Motivation, Lcrn­

strategien und kognitive Ressourcen zu verdeutlichen,

Regulationl• Was die Emotionsregulation anbelangt, so sollte Lisa Wissen über Emotionsregulationsmethoden und deren Anwendung vermittelt werden. Denkbar sind Entspannungstechnikcn (z. B. Atemtechniken, autogencs Training, progressive Muskelrelaxation) oder Selbstinstruktionsn1cthoden (Selbstkommunikation); indem Usa sich beispielsweise selbst sagt: "Dieses Mal versuche ich Ruhe beim Lernen zu bewahren". Hilfreich kann auch sein, wenn sie sich bei gelungener Regulation verbal positiv versWrkt durch Sätze wie "Diesmal ist es mir gelungen, das J...,ernen richtig lo­

cker zu nehmen". Humor ist inkompatibel mit negativen Emotionen - es wäre daher evtl. Hir Lisa hilft·eich, wenn sie lernen könnte, das Lernen etwas "gelassener" zu se­

hen -. und manchmal auch ein wenig über ihren eigenen Ärger zu lachen.

Kontro/lüberzcugung·erl. Lisa könnten Ergebnisse von Studien zur Therapie von Prü1llllgsangst berichtet werden. Die großen Erfolge in diesem Bereich verdeutli­

chen, dass man sich keineswegs mit seinen negativen Gefüh\cn "abfinden" muss, sondern man in der Regel großen Einlluss aur die Entstehung und das Erleben VOll Emotionen hat d, h. man kann Emotionen kontrollieren. Die Kontrollierbarkeit emotionalen Erlebens könnte auch exemplarisch an hand eines diesbezüglichen jmii­

viduellen ErI()lges einer Person verdcutlicht werden, Vielleicht könnten Lisas Eltern mit ihr über Situationen sprechen, in denen cs ihnen selber gelungcn ist, ihre Emoti­

onen "in Schach zu halten".

Valcnzüberzeugungcl1. Zur Verdeutlichung der Relevanz lernbezogenen emotio­

nalen Erlebens könnte Lisa beispielsweise gebeten werden, sich die Art und Weise

I Die hier thematisicrten Regulationsmethoden beschränken sich auf die eJl1otionsorientierte Bewältigung, da diese im Kontext emotionaler Intelligenz als zentral zu bezeichnen sind.

Denkbm' wärcn auch problemorientierte Bewältigung (z. B. Ancignung e1Tektiver Arbeits­

techniken) und meidensorientierte Bewii1tigung (behavioraJc oder mentale Flucht aus der Si­

tuation). Darüber hinaus wäre es grundsätzlich möglich, an den Ursachen negativer Emotio­

nen beim Lernen anzuselzen (z. B. kognitive Einstellungen zum Lernen, Pcer-Einllüsse, Lehrer- und Elternvcrhaltcn).

(8)

262

Götz, Frenzel & Pckrun

des Lernens jeweils einer II-t)hlichcn, stolzen, gelangweilten, ängstlichen oder hoff�

nungslosen Person vorzuste1Jen. E:s könnten Unterschiede in der Motivation, itn Lernstil und in der Aktivation interner und externer Ressourcen diskutiert werden (z. B. Anstrengung als interne und Hilfesuchen als externe Ressource). Lisa könnte dadurch erfahren, dass Emotionell eine wichtige Rolle flir Lernen und Leistung spie�

Icn. PopuWrpsychologischc Bücher zu emotionaler Intelligenz (u. a. Golcman, 2000)

könnten die Grundlage einer Diskussion über die Relevanz emotionalen Erlebens im außerschulischen Leistungsbereich (z. B. Vorstellungsgespräche, Arbeitsplatz) bil�

dcn.

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