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Academic year: 2022

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Auditive Perspektiven 3/2011 - 1

Der New Yorker Komponist Alvin Lucier hat mit seiner kompositorischen Arbeit I am sitting in a room für Stim- me und Tonband (1969) den architektonischen Raum zum Instrument werden lassen. Das Stück zeigt wie kein anderes Werk, wie eine Klangfarbe durch die akustischen Gegebenheiten des Raumes transformiert werden kann. Die Verbalpartitur gibt dabei den Prozeß vor, wie das Stück zu realisieren ist. Außer einem ge- gebenen Raum sind ein Mikrophon, zwei Tonbandge- räte, ein Verstärker und ein Lautsprecher für die Reali- sierung notwendig. Ein Sprecher spricht zunächst den Text auf Tonband. Der aufgenommene Text wird über Lautsprecher in denselben Raum eingespielt und mit Hilfe des Mikrophones auf ein zweites Magnetton- bandgerät aufgenommen. Dieser Kopiervorgang mit- tels Mikrophon, Lautsprecher und Magnettonbandge- rät wird ständig wiederholt. Bei jedem neuen Kopier- vorgang werden nun die akustischen Eigenschaften des Raumes und die der verwendeten Geräte mehr und mehr dazu addiert. Die zunächst klare Sprachauf- nahme verwandelt sich dabei sukzessive. Nach diesen Kopiervorgängen werden die aufgenommenen Ton- bänder chronologisch hintereinander geklebt.

Der Text ist in der Partitur vorgegeben und demons- triert gleichzeitig für den Hörer den Entstehungspro- zeß:

„Ich sitze hier in einem Raum, und es ist nicht der Raum, in dem Sie sich gerade befinden.

Ich nehme meine Sprechstimme auf Tonband auf und werde die Aufnahme immer wieder in den Raum zurückspielen, bis die Resonanz- schwingungen des Raums sich selbst verstär- ken, so daß jede Sprachähnlichkeit, vielleicht mit Ausnahme des Rhythmus, ausgelöscht wird.

Was Sie dann hören, sind die natürlichen, durch die Sprache gegliederten Resonanzschwingun- gen des Raums.

Ich betrachte diese Aktivität weniger als De- monstration eines physikalischen Sachverhalts, sondern eher als ein Mittel, jede Art von Unregel- mäßigkeit zu glätten, die meine Sprache aufwei- sen mag.“1

Die erste Aufführung2 fand 1970 im Guggenheim-Mu- seum in New York statt. I am sitting in a room war da- bei eine akustische Analogie zu der im Museum ge- zeigten Polaroid Image Series von Mary Lucier bzw.

diese eine visuelle Analogie nach dem Tonbandstück:

Nach einem ersten Schnappschuß mit der Kamera wurde ein Foto von einem Foto von einem Foto und so weiter erstellt.

Die Idee eines materialgerechten Komponierens wird bei Luciers Komposition konsequent erfüllt: Die Einbeziehung des Raumes mit seinen akustischen Gegebenheiten und ebenso die der anderen Instru- mente – Mikrophon, Magnettonbandgeräte, Magnet- tonbänder, Verstärker, Lautsprecher – mit ihren jeweili- gen elektroakustischen Eigenschaften. Für den Reali- sationsprozeß der Komposition sind diese Instrumente einerseits notwendig, andererseits werden die akusti- schen Transformationen ausschließlich von diesen In- strumenten bestimmt. Insbesondere kristallisieren sich durch die Kopiervorgänge die Resonanzeigenschaften eines Raumes heraus. Lucier: „Jeder Raum hat eine Melodie, die solange verborgen bleibt, bis sie zum Klingen gebracht wird.“3

Jede Realisation von I am sitting in a room wird an- ders ausfallen, da jeder Raum ein anderer ist. Seit Lu- ciers erster Realisation sind mehrere Versionen erstellt worden, beispielsweise eine schwedischsprachige, die der Komponist Lars-Gunnar Bodin erstellte, und eine deutschsprachige „Berliner Version“ (1986), die Lucier mit dem Autor realisierte.4

Lucier ist vermutlich der erste Komponist, der die akustischen Gegebenheiten des Realraumes zur Transformation des primären Klangmaterials verwen- Martin Supper

Raum als Instrument*

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Martin Supper Raum als Instrument kunsttexte.de 3/2011 - 2

det. La Monte Young und Marian Zazeela sind bei ih- rem Klang-Licht-Environment Dreamhouse (ab 1962) zwar auf die Eigenschaften des Realraumes angewie- sen, doch kann das Prinzip der stehenden Wellen je- dem Raum derart angepaßt werden, daß in verschie- denen Aufführungsräumen klanglich nur ein unwesent- licher Unterschied entsteht […].

Nach der Partituranweisung kann I am sitting in a room auch innerhalb eines Live-Konzerts realisiert werden, d. h., Zuhörer und Performer befinden sich in demselben Raum, in dem die Klangtransformationen geschehen. Wird das Stück wie im eingangs beschrie- benen Falle zuerst auf Magnettonband realisiert und in einer Konzertsituation wiedergegeben, dann gilt der erste Satz des Textes: “I am sitting in a room different from the one you are in now.” Diese Situation, die akustische Übertragung eines Raumes in einen ande- ren Raum, wird im folgenden Abschnitt [des Buches]

thematisiert.

*Erstveröffentlichung

Der Text ist ein Wiederabdruck aus: Martin Supper, Elektroakustische und Computermusik. Geschichte – Ästhetik – Methoden – Systeme, Hofheim: Wolke, 1997, S. 122–123. Mit freundlicher Genehmigung des Autors und des Wolke-Verlags.

Endnoten

1. Zitiert nach: Alvin Lucier, Reflections. Interviews, Scores, Writings / Reflexionen. Interviews, Notationen, Texte (= Edition MusikTexte 3), hg. Von Gisela Gronemeyer und Reinhard Oel- schlägel, Übersetzung von Gisela Gronemeyer, Frank Gertich und Petra Crosby, Köln: MusikTexte, 1995, S. 322f.

2. Mit Aufführung ist ein reines Lautsprecherkonzert gemeint, bei dem das fertig geklebte Magnettonband vorgeführt wird.

3. Alvin Lucier, „Jeder Raum hat eine Melodie“, in: ders., Reflecti- ons. Interviews, Scores, Writings / Reflexionen. Interviews, Nota- tionen, Texte (= Edition MusikTexte 3), hg. Von Gisela Gronemey- er und Reinhard Oelschlägel, Übersetzung von Gisela Grone- meyer, Frank Gertich und Petra Crosby, Köln: MusikTexte, 1995, S. 94–103, hier S. 101.

4. Realisiert für das Festival INVENTIONEN '86/SPRACHEN DER KÜNSTE III, Musik und Sprache, Berlin, 1986.

Zusammenfassung

Musik und Raum:

Supper teilt den Raum in drei Kategorien.

Raum als Instrument

Virtueller und simulierter Raum Bewegung des Klanges im Raum

Autor

Martin Supper ist Professor für Elektroakustische Mu- sik und Klangkunst an der Universität der Künste Ber- lin. Studium der Informatik, Linguistik und Musikwis- senschaft an der Technischen Universität Berlin. Ab 1980 zwei Jahre DAAD-Stipendiat am Instituut voor Sonologie der Rijksuniversiteit Utrecht. Dort Studium der Computermusik und Elektroakustischen Musik bei Gottfried Michael Koenig. Diplom in Informatik, Promo- tion in Musikwissenschaft. Leitet seit 1985 das UNI.K / Studiofür Klangkunst und Klangforschung an der Fakultät Musik und ist Studiengangsleiter des postgra- dualen Studienganges Sound Studies am Zentralinsti- tut für Weiterbildung. Beides an der Universität der Künste Berlin.Verschiedene Veröffentlichungen, u. a.

zu Elektroakustischer Musik und Computermusik (Wolke 1997).

Titel

Martin Supper, Raum als Instrument, in: kunsttexte.de/auditive_perspektiven, Nr. 3, 2011 (2 Seiten), www.kunsttexte.de.

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