Psychiatrie
Biografischer Zugang
Ewald Rahn, Angela Mahnkopf:
Lehrbuch Psychiatrie für Studi- um und Beruf. 3., aktualisierte und erweiterte Auflage, Psychiatrie- Verlag, Bonn, 2005, 765 Seiten, ge- bunden, 46 A
Das Buch richtet sich an alle Berufsgruppen, die in der Psychiatrie arbeiten. Der Stoff ist didaktisch gut aufbe- reitet und deckt den gesam- ten Bereich der Psychiatrie ab. Übungen und Fragen for- dern den Leser zu einer Be- schäftigung mit dem Gele- senen auf. Der Inhalt ist auf dem aktuellen Stand des psych- iatrischen Wissens. Natür- lich – und das gilt für alle um- fangreichen Werke – kann man auf jeder Seite etwas fin- den, zu dem sich Einwände erheben wollen, wo eine Stu- die nicht erwähnt wird oder sich der Wunsch nach mehr oder weniger aufdrängt.
Aber darauf soll das Au- genmerk nicht gerichtet wer- den, sondern auf das, was die Autoren als das Besondere dieses Buches nennen: den biografisch-verstehenden Zu- gang zum psychisch kranken Menschen. Dieser sei vor- zugsweise bei den „erlebnis- reaktiven Störungen“ langfri- stig der entscheidende. Dem ist beim Anblick der sonsti- gen bloß statistisch-syndro- mal orientierten Veröffentli- chungslandschaft zuzustim- men. Allerdings scheint es, dass die Autoren ihre Absicht nicht hinreichend einlösen.
So bleibt zum Beispiel die Darstellung der Fallbeispie- le meist in der Schilderung
der sozialen Biografie, der Lebenssituation und der be- wusstseinsnahen aktuellen Konflikte stecken. Versuche, die Symptomatik auf dem Hintergrund dynamischer und persönlichkeitsstruktureller Zusammenhänge zu verste- hen, sind selten. Dies über- rascht nicht, wenn man sieht, dass sich die theoretische Erörterung psychologischer Zusammenhänge auf bewusst- seinspsychologische und lern- psychologische Theorien zen- triert. Speziell werden psycho- analytische Theorien weit- gehend nicht zur Kenntnis genommen oder des Öfteren zu knapp oder missverständ- lich erwähnt.
Dies spiegelt sich auch im Literaturverzeichnis wider, welches kaum neuere Arbei- ten zur Psychoanalyse und Psychosomatik (einschließlich der Wirksamkeitsforschung) enthält. Damit geraten die Fallbeispiele zu einfachen bio- grafischen Berichten, die eben nicht zu einem die Biografie verstehenden Zugang weiter- entwickelt werden. Dazu wäre es notwendig, über bewusst- seinsnahe Selbstbeschreibun- gen der Patienten zu den tiefe- ren interaktionellen, motiva- tionalen, dynamischen und strukturellen Zusammenhän- gen vorzudringen.
Damit ähnelt das Buch in- haltlich vielen anderen, welche mehr oder weniger umfang- reich die seelischen Störungen syndrom- und ICD-orientiert darstellen. Hermann J. Joosten
Jüdische Ärzte
Ein deutscher Lebensweg
Lorenz Peter Johannsen: Kinder- arzt Karl Leven. Lebensspuren – Todesspur. Reihe: Jüdische Me- moiren, Band 13, Hentrich &
Hentrich, Teetz, 2005, 354 Seiten, 15 Abbildungen, gebunden, 24 A
Mit dem Sonderzug DA 22 wurden der Dürener Kinder- arzt Dr. med. Karl Leven und seine Familie am 15. Juni 1942 in das Vernichtungslager So- bibor in Polen deportiert.
Wahrscheinlich wurde die jü- dische Familie direkt nach ih- rer Ankunft dort ermordet.
Präzisere Angaben gibt es nicht mehr; nach Angaben des Internationalen Roten Kreuzes gilt die Familie seit- dem als verschollen.
Im Jahr 1995 beginnt der Dürener Kinderarzt Lorenz Peter Johannsen, sich intensiv mit dem Lebensweg seines ehemaligen Berufskollegen
zu befassen. Über Jahre hin- weg trägt er alle verfügbaren Informationen zur Biografie des am 7. Juni 1895 in Düren geborenen Karl Leven zu- sammen. Im Zuge seiner Re- cherchen reist der Autor nach England, Israel und Polen. Er beschränkt sich nicht auf eine biografische Rekonstruktion im engeren Sinne, sondern entscheidet sich für eine kon- textuelle Erzählweise, das heißt, die Schilderung von Le- vens Lebensweg ist eingebet- tet in die Darstellung der Zeitumstände, Wiedergabe wichtiger Quellentexte sowie eigener Impressionen aus der Zeit der Recherche. Das so Erreichte nennt Johannsen einen Werkstattbericht, wo- mit in der Regel auf etwas Unfertiges hingewiesen wer- den soll. Dies kann man ge- trost als Understatement be- zeichnen, denn seine Lebens- geschichte des Kinderarztes Karl Leven ist gerade des- halb, weil sie sich dieser Stil- mittel bedient, auf dem neue- sten Stand biografischer Dar- stellung. Sie erhält dadurch eine Intensität, die zumindest genauso stark nachzuwirken vermag wie steinernes Ge- denken an den millionenfa- chen Mord der Deutschen an den europäischen Juden.
Thomas Gerst
Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 16⏐⏐21. April 2006 AA1071
B Ü C H E R
Dermatologie
Psychosomatische Hintergründe
Wolfgang Harth, Uwe Gieler:
Psychosomatische Dermatolo- gie. Springer Medizin Verlag, Heidelberg, 2006, X, 310 Seiten, 95 Abbildungen, 46 Tabellen, ge- bunden, 79,95 A
Das Buch beschäftigt sich auf spannende Weise mit einem Aspekt in der Dermatologie, der zunehmend Beachtung findet – dem Zusammenhang von Psyche und Haut.
Im ersten Teil des Buches werden umfassend spezifi- sche Erkrankungsbilder aus diesem Formenkreis vorge- stellt, unterteilt in Hauter-
krankungen mit primär psy- chischer Genese, multifakto- riellen Dermatosen und se- kundär psychischen Störun- gen und Komorbiditäten.
Daran anschließend werden spezielle dermatologische Gebiete, wie zum Beispiel die Allergologie oder die Andrologie, unter einem psy- chosomatischen Blickwinkel betrachtet und die möglichen psychodynamischen Kon- zepte erläutert sowie die der- matologische und die even- tuell notwendige psycho- therapeutische Intervention dargestellt. Hierbei werden die zentralen Botschaften in farblich markierten Merksät- zen hervorgehoben.
Im letzten Teil des Bu- ches werden praktische
Tipps und Tricks im Um- gang mit psychosomati- schen/dermatologischen Pa- tienten gegeben. Diese rei- chen von der Vorstellung der psychosomatischen Dia- gnostik über die Psycho- pharmakologie bis hin zu speziellen Strukturkonzep- ten bei der Behandlung die- ser Patienten, wie zum Bei- spiel die Liaisonsprechstun- de, ambulante Praxismodel- le oder aber die psychoso- matische Tagesklinik.
Dies ist ein lesenswertes Fachbuch sowohl für den niedergelassenen Dermato- logen als auch für den Arzt in der Klinik, um die psychoso- matischen Hintergründe von Hauterkrankungen zu ver- stehen. Steffen Gass