[88] Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 110|
Heft 23–24|
10. Juni 2013S C H L U S S P U N K T
KÖRPERBILDER: ÉDOUARD MANET (1832–1883)
„Odaliske mit gelbem Bauch“
N
icht ihrer nackten Schönheit oder sexuell aufrei- zenden Pose galten die hysterischen Beschimp- fungen des Publikums, das 1865 beim Pariser „Salon“Manets „Olympia“ zu sehen bekam. Im Gegenteil: Die Kunstkritiker und Besucher – gewöhnt an die vollen Brüste, ausladenden Hüften, das runde Gesäß und den Schlafzimmerblick in den Aktbildern eines Cabernel oder Ingres – monierten die „Hässlichkeit dieser Oda- liske mit gelbem Bauch“, ihren konturierten Körper mit den durchscheinenden Knochen, der wie „eine ausge- stellte Leiche“ aussehe. Sie deuteten die Schatten auf ihren Händen als Schmutz und schlossen daraus auf die unsittliche Moral der Porträtierten.
In Wirklichkeit jedoch reagierten sie auf den Riesen- bruch mit der Tradition, den Manet sowohl thematisch als auch malerisch beging, als er sein Aktmodell Victo- rine Meurent in kompromissloser Nüchternheit als
„Fille de Maison“, als elegante Prostituierte wie in ei- nem Schaufenster darstellte. Liegende weibliche Akte waren zu der Zeit weit verbreitet, und das Motiv der
„Venus pudica“, die mit ihrer Hand ihre Scham be- deckt, aus der Kunstgeschichte bekannt. Doch Manets gewaltige Provokation lag darin, dass er einem traditio- nellen Bildmotiv den idealisierenden, mystifizierenden
Schleier entzog und eine reale Frau und keine Göttin auf dem Bett platzierte. Zudem ähnelte Victorines Leib in seiner zweidimensionalen Härte und ohne die ge- wohnte Weichzeichnung der Farben fast einer der neu- modischen Fotografien. Die Komposition des Bilds hatte Manet eng an berühmte Akte wie Giorgiones
„Schlummernde Venus“ und Tizians „Venus von Urbi- no“ angelehnt, beide mehr als drei Jahrhunderte älter.
Doch wo Giorgiones Schöne noch in einer idyllischen Landschaft vor sich hin träumte und Tizians liebliche Nackte den Betrachter mit sinnlichem Blick verführte, schaut Olympia abweisend, in sich gekehrt. Mit ihrer selbstversunkenen Souveränität macht die Kurtisane den Zuschauer zum Voyeur. „Es ist unser Blick, der sie beleuchtet, indem er sich der Nacktheit der Olympia öffnet“, so der Philosoph Michel Foucault.
Manet wurde mit seinem revolutionären Aktbild, das dem Pariser Musée d’Orsay gehört und diesen Som- mer zusammen mit der „Venus von Urbino“ im Dogen- palast in Venedig ausgestellt ist, zum Wegbereiter der Moderne. Ahnen konnte er dies allerdings nicht: „Die Beleidigungen prasseln wie Hagelkörner auf mich nie- der. So etwas musste ich noch nie erdulden“, beklagte er sich 1865 bei Charles Baudelaire. Sabine Schuchart
Édouard Manet: „Olympia“, 1863, Öl auf Leinwand, 130 × 190 cm:
Ein Pantöffelchen, das sie kokett über ihren linken Fuß gestülpt hat, ist das einzige Kleidungsstück der nackten Olympia. Ebenso provokativ wie ihr lasziv ausgebreiteter Körper sind ihre Augen, die den Betrachter kühl-distan- ziert herausfordern. Eine dunkelhäuti- ge Dienerin reicht ihr den Blumen- strauß eines im Bild nicht sichtbaren Verehrers. Manets Blick ins Schlafzim- mer einer Kurtisane löste 1865 einen Riesenskandal aus.
© Musée d’Orsay, Dist. RMN-Grand Palais/Patrice Schmidt
AUSSTELLUNG
„Manet. Rückkehr nach Venedig“
Dogenpalast, Piazza San Marco, 1, Venedig;
www.mostramanet.it;
So.–Do. 9–19, Fr./Sa. 9–20 Uhr;
bis 18. August.