584 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 36⏐⏐4. September 2009
M E D I Z I N
Sicherheit bei Rohdrogen möglich
Die dubiose Qualität chinesischer Fertigarzneimittel be- ziehungsweise Nahrungsergänzungsmittel ist nichts Neu- es. Diese ist jedoch kein Privileg pflanzlicher Arzneimit- tel, sondern ein allgemeines Qualitätsproblem einiger asiatischer Länder, das genauso chemische Arzneimittel (Heparin) und Nahrungsmittel (Melamin) betrifft.
Generell ist bei chinesischen Fertigarzneimitteln größte Vorsicht geboten, obwohl es durchaus auch chi- nesische Firmen gibt, die gute Qualität liefern, und zum Beispiel von der australischen Arzneimittelbehörde au- ditiert werden. Die Qualität kann vom abgebenden Apo- theker jedoch nicht garantiert werden. Unser Zentrum bekommt auch immer wieder Anfragen von Laien, die als Tourinsten während Chinareisen Arzneimittel er- worben haben. Wir können nur nachdrücklich vom Konsum abraten.
Anders sieht es bei pflanzlichen Arzneirohdrogen aus, die prüfbar sind und für die valide Zertifikate vor- liegen müssen. Das Einhalten der Grenzwerte muss ga- rantiert und die Identität bestätigt werden. Damit ist in Deutschland der Bezug pflanzlicher chinesischer Roh- drogen von ordentlicher Qualität ohne Weiteres möglich – nötiges Apothekerfachwissen vorausgesetzt. Speziali- sierte Apotheken haben sich zum Beispiel in der „Ar- beitsgemeinschaft deutscher TCM-Apotheken“ zusam- mengeschlossen.
Ein Problem stellt freilich der Bezug über das Inter- net dar. Leider wird die EU-Direktive 2004/24/EC zur Zulassung traditioneller Arzneimittel unangemessen ri- gide ausgelegt, sodass sie für Arzneimittel ohne Patent- schutz schon aus finanziellen Gründen nicht zu erfüllen ist. Somit weichen die Firmen auf den Graumarkt der Nahrungsergänzungsmittel oder in die Illegalität aus.
Der Vertrieb über das Internet ist letztlich unkontrollier- bar. Statt Verbrauchersicherheit wird so das Gegenteil erreicht. Pragmatische Zulassungsbedingungen ähnlich wie in der Schweiz oder Australien wären ein notwendi- ger Schritt. DOI: 10.3238/arztebl.2009.0584a
LITERATUR
Mueller D, Weinmann W, Hermanns-Clausen M: Chinese slimming cap- sules containing sibutramine over the internet—A case series [Sibutra- min in chinesichen Schlankeitskapseln. Eine Fallserie]. Dtsch Arztebl Int 2009; 105(13): 218–22.
Dr. med. Axel Wiebrecht
Centrum für Therapiesicherheit in der Chinesischen Arzneitherapie (CTCA) Bundesallee 141, 12161 Berlin
E-Mail: axel.wiebrecht@gmx.de
Schlusswort
Herrn Wiebrechts Kommentar verstehe ich als Zustim- mung, dass sich Fertigarznei- und Nahrungsergänzungs- mittel dubioser Qualität auf dem Markt befinden und der Internetvertrieb eine Kontrolle erschwert. In diesem Zu- sammenhang sei auf die mit dem Artikel zeitgleich er- schienene Pressemitteilung des BfArM hingewiesen (1).
Bei dem Präparat, über das wir berichteten, handelt es sich um ein als „rein pflanzlich“ beworbenes Produkt, dem absichtlich ein synthetischer Arzneimittelwirkstoff ohne Deklaration in hoher Dosierung zugesetzt wurde.
Das Produkt erfüllt damit weder die Kriterien für ein „tra- ditionelles Arzneimittel“ (inhaltlich) noch für ein Fertig- arzneimittel (äußerlich). Es wird fälschlich als Nahrungs- ergänzungsmittel deklariert und unterliegt dadurch kei- nem Zulassungsverfahren. Diese Praxis ist meines Erach- tens nicht Folge der EU-Direktive zur Zulassung traditio- neller Arzneimittel und damit auch durch „pragmatische“
Zulassungsbedingungen nicht zu verbessern.
Die Giftinformationszentren haben eine deutliche Zu- nahme von Vorstellungen in den Notdienstambulanzen aufgrund von klinischen Überdosierungszeichen und Arz- neimittelwechselwirkungen nach Einnahme von harmlos anmutenden Schlankheitskapseln registriert. In den Asser- vaten wurde Sibutramin als in Deutschland zulassungs- pflichtiger Wirkstoff in nahezu doppelter Tagesdosis nachgewiesen. Darüber wurden die Überwachungsbehör- den informiert (Toxikovigilanz). Ziel unseres Beitrags ist es, auf die Möglichkeit des Konsums derartiger Präparate hinzuweisen, um bei entsprechenden Symptomen durch eine gezielte Anamnese danach forschen zu können, gege- genenfalls Giftinformationszentren zu konsultieren und eine toxikologische Analytik zu veranlassen. Phytothera- peutika sollten keinesfalls pauschal diskreditiert werden.
Ebenso ist eine pauschale Diskreditierung chinesischer Fertigarzneimittel weder beabsichtigt noch Gegenstand unseres Beitrages. Der Forderung nach einer validen Zer- tifizierung mit einer vollständigen Deklaration der In- haltsstoffe (und einer zuverlässigen pharmakologi- schen/pharmazeutischen Prüfung) schließe ich mich an.
DOI: 10.3238/arztebl.2009.0584b
LITERATUR
1. Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte. Pressemitteilung 04/09: BfArM warnt vor einem dubiosen Produkt zur Gewichtsabnahme aus dem Internet. www.bfarm.de (23.05.2009).
2. Mueller D, Weinmann W, Hermanns-Clausen M: Chinese slimming cap- sules containing sibutramine over the internet—A case series [Sibutra- min in chinesichen Schlankeitskapseln. Eine Fallserie]. Dtsch Arztebl Int 2009; 105(13): 218–22.
Dr. med. Dieter Müller
Giftinformationszentrum Nord; Universitätsmedizin Göttingen Robert-Koch-Straße 40, 37075 Göttingen
E-Mail: dmueller@med.uni-goettingen.de
Interessenkonflikt
Die Autoren beider Diskussionsbeiträge erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors be- steht.
zu dem Beitrag
Sibutramin in chinesischen Schlankheitskapseln Eine Fallserie
von Dr. med. Dieter Müller, Prof. Dr. rer. nat. Dipl.-Chem. Wolfgang Weinmann, Dr. med. Maren Hermanns-Clausen in Heft 13/2009