S C H L U S S P U N K T
[76] Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 7½½½½16. Februar 2001
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erzeit wird in recht vielen Masterlisten und Börsen- studien für die Postaktie getrommelt, und auch in der Wirtschaftspresse kommt der Titel durchweg gut weg.Etliche Anlageberater ra- ten Ihnen überdies, die Aktie möglichst schnell zu kaufen – das schlagkräftige Argument wird postwendend gleich mit- geliefert: Die Deutsche Post Networld AG ist ein heißer Aufstiegskandidat für den Deutschen Aktienindex DAX.
Was hat die Aufnahme in einen Aktienindex eigentlich mit einer Kaufempfehlung zu tun, werden Sie sich zu Recht fragen.
Zunächst ist es schon so, dass die Aufnahme in einen re- präsentativen Index einer Ak- tie durchaus einen Schub brin- gen kann. Der Grund: Viele Investmentfonds werden da- nach beurteilt, ob sie was tau- gen oder nicht, wie sie im Ver-
gleich zu einem bestimmten Index abgeschnitten haben.
Bei deutschen Aktien ist diese Messlatte eben in den meisten Fällen genau der DAX, bei Ja- panern wäre es der Nikkei und in den USA der Dow Jones Industrial Index. Das gilt natürlich speziell für mehrere Dutzend Indexfonds, aber auch für andere Gattungen.
In der Praxis heißt das, die Fonds kaufen exakt die Ak- tien der Unternehmen, die im Index vertreten sind, unab- hängig davon, wie viel die AG wirklich „wert“ ist. Ein Gerücht über den Einstieg oder den Rauswurf aus einem solchen Index kann also umso
mehr den Kurs der Aktie posi- tiv oder negativ beeinflussen, je gewichtiger dieser Index ist.
Die Realität ist zuweilen ei- ne andere, erst recht im Falle der Deutschen Post. Besagte Fonds, denen so viel zugetraut wird, haben nämlich seit lan- gem Lunte gerochen und kau- fen die Postaktie schon seit Wochen, wenn sie sich nicht schon bei der Emission reich- lich bedient haben.
Nur so ist es auch zu er- klären, dass die Post seit ihrem Börsengang mit gut zehn Pro- zent Plus eine vergleichweise zufrieden stellende Entwick- lung genommen hat. Wenn die Aufnahme in den DAX
tatsächlich erfolgt, wird sich auf diesem Argumentationsle- vel überhaupt nichts mehr tun, weitere Kursgewinne sind aus diesem Aspekt eigentlich nicht mehr drin.
Bliebe natürlich noch die Fantasie aus der Unterneh- mensstory selbst, könnten Op- timisten einwenden. Wollte man der Werbung glauben, ist die deutsche Post ja ein hoch- modernes Unternehmen, bei dem die Gewinne nur so spru- deln. Diese bunte Botschaft trifft aber keineswegs zu. Der
„hochmoderne“ Logistikkon- zern hat mit strategischen Pro- blemen zu kämpfen. Die Ge- winnmargen in den Wachs- tumsbereichen Express und Logistik liegen immer noch deutlich unter denen der Kon- kurrenz. Der Deutschen Post könnte also durchaus bald die Luft ausgehen. Der Aktie ebenso. Ich würde also eher verkaufen als einsteigen. ✮
Postaktie
Wirklich kein Schnäppchen?
U
nter diesem Titel berich- tete die Münchner Medi- zinische Wochenschrift am 8. September 1886 von ei- nem kuriosen Honorarstreit:„Am 1. März 1882 – so lan- ge spielt die Geschichte schon, ohne bis jetzt zum Austrag gebracht zu sein – betrat in Berlin ein Herr ein Bierlocal in der Elsasser Strasse, liess sich ein Glas Bier geben und vergiftete sich in der Gegenwart der Gäste und des Wirthes. Auf Anord- nung der herbeigeholten Poli- zei liess der Gastwirth durch seine Tochter den in der Nähe wohnenden Dr. Wilde herbei- rufen, welcher nach Verord- nung eines Gegenmittels den Selbstmörder nach der Cha- rité überführen liess. Dort wurde der Lebensmüde wie- der hergestellt, allein den Arzt zu bezahlen, weigerte er
sich standhaft unter dem ei- gentlich ganz plausiblen Ein- wande, dass er die Hülfe des Arztes garnicht gewünscht und auch nicht verlangt habe.
Dr. Wilde reichte darauf seine Liquidation in Höhe von 4 Mark bei dem k.Polizei- präsidium ein, wurde aber da- mit abgewiesen und zwar mit dem Anheimgeben, von Dem jenigen sein Honorar zu for- dern, der ihn habe rufen las- sen. Das war in diesem Falle der Gastwirth, und Dr. Wilde
übergab seine Forderung dem ,Rechtsschutzverein Berliner Aerzte‘, welcher dieserhalb gegen den Gastwirth klagbar wurde. Da nachgewiesen wer- den konnte, dass der Gast- wirth seine Tochter beauftragt hatte, den Arzt herbeizuho- len, wurde der Auftraggeber zur Zahlung des taxmässigen Arzthonorars verurtheilt.
Nunmehr legte sich der ,Verein Berliner Gastwirthe‘
ins Mittel, da es für ihn von principieller Bedeutung war,
ob Gastwirthe bei plötzlicher Erkrankung von Gästen in ihren Localen gehalten sein sollen, für die etwa nothwen- dig werdende ärztliche Hülfe zu haften. Auf Kosten des Gastwirthsvereins wurde die zweite Instanz beschritten, je- doch das erstinstanzliche Ur- theil bestätigt und dem Gast- wirth die Kosten der zweiten Instanz auferlegt.
Damit wollen sich indessen die Herrn Gastwirthe auch noch nicht beruhigen, sondern noch weiter appelliren. Die ganze Affaire schwebt dem- nach schon 4½ Jahre, ohne endgiltig entschieden zu sein.
Der Arzt hat sein beanspruch- tes Honorar noch immer nicht erhalten, dagegen sind bereits 47 Mark und 30 Pfennig Ge- richtskosten entstanden.“
Ob er es nach so viel Är- ger überhaupt noch bekam, wurde nicht mehr berichtet.
Tröstlich ist: Unsere Urgroß- väter kannten auch schon Ho- norarkämpfe, nur die Formen und Summen haben sich ge- ändert. Dr. med. Olaf Ganssen Post Scriptum
Börsebius
Tatort Berlin
Wer bezahlt das Honorar?
Zeichnung: Reinhold Löffler