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Archiv "Gute wissenschaftliche Praxis: Aktiv gegen Fehlverhalten vorgehen" (27.01.2012)

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A 144 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 109

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Heft 4

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27. Januar 2012

GUTE WISSENSCHAFTLICHE PRAXIS

Aktiv gegen Fehlverhalten vorgehen

Verbindliche Verfahrensregeln sind nötig für das richtige Vorgehen beim Verdacht auf Fehlverhalten. Ein Symposium gab Anregungen für eine bessere Förderung der guten wissenschaftlichen Praxis an den medizinischen Fakultäten.

W

enn hierzulande die Bemü- hungen um die Einhaltung einer guten wissenschaftlichen Pra- xis in der Medizin verstärkt werden sollen, lohnt sich ein Blick dorthin, wo dafür bereits die institutionellen Voraussetzungen geschaffen wur- den. Über die Anstrengungen, Prin- zipien der guten wissenschaftlichen Praxis (GWP) an ihrer Hochschule durchzusetzen, berichtete die für Research Integrity zuständige De- kanin der Harvard Medical School, Gretchen Brodnicki, beim interna- tionalen Symposium „Verantwor- tung in der Medizinischen For- schung: Vom Wegschauen zum

Handeln“ am 7. Oktober 2011 an der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Nicht allein Brodnicki als zuständige Dekanin, sondern ein ganzer Apparat kümmere sich pro- fessionell um die „good scientific practice“, darunter zum Beispiel fünf Research Integrity Officers.

Brodnicki sieht die Gefahr, dass aufgrund der zahlreichen bekannt- gewordenen Fälle von Wissen- schaftsbetrug das öffentliche Ver- trauen in die Wissenschaft schwe- ren Schaden nimmt. In ihrer Zeit als Dekanin sei die Zahl der dem Office of Research Integrity (ORI) bekanntgewordenen Verdachtsfälle deutlich angestiegen. Bei etwa 40 Prozent der untersuchten Fälle kön- ne ein Fehlverhalten nachgewiesen werden. Die Harvard Medical School habe für diese Untersuchun- gen ein exakt kodifiziertes Vorge- hen entwickelt:

Vorwurf geht ein von Whistle- blower, Journal etc.

initiale Begutachtung durch das Dekanat: Treffen des Anklägers mit dem Research Integrity Officer.

Bei Entscheidung zur Untersu- chung: Sequestrierung alles mögli- cherweise relevanten Materials so- wie Benachrichtigung des Beschul- digten, Information des Office of Research Integrity

Untersuchung durch eine un- abhängige Kommission (Harvard Medical Faculty)

Übergabe an das standing committee on faculty conduct

Übermittlung der Resultate an das ORI, Empfehlung an den De- kan

Zurückweisung der Vorwürfe oder Sanktionen.

Brodnicki wies bei der vom Stif- terverband für die Deutsche Wis- senschaft geförderten Veranstaltung auf der Grundlage ihrer Erfahrun-

gen auf bestimmte Warnzeichen hin: schlechte Aufbewahrung oder Archivierung von Daten, Fehlen von „misslungenen Experimenten“

in den Aufzeichnungen, mangelhaf- te Schulung der Arbeitsgruppe mit unklaren Zuständigkeiten.

John Galland, einer der Direkto- ren vom Office of Research Integ - rity des US-amerikanischen Ge- sundheitsministeriums, erläuterte die Strategien des ORI, einerseits Wissenschaftler und Institutionen in der Etablierung einer Kultur GWP zu unterstützen, anderseits in- stitutionelle Untersuchungen von vermutetem Fehlverhalten profes- sionell zu begleiten.

Aus den Erfahrungen anderer Länder lernen

Er hob hervor, dass in den USA die Maßnahmen zur Etablierung und Aufrechterhaltung von GWP über die Förderorganisationen reguliert würden. Die National Institutes of Health (NIH) behielten zum Bei- spiel zehn Prozent ihrer Fördergel- der ein und überwiesen diese nur bei Nachweis darüber, dass ein be- stimmter GWP-Maßnahmenkatalog erfüllt worden sei. Dies werde auch vor Ort überprüft. Das ORI werde ebenfalls aktiv bei Verdacht auf Verstöße gegen GWP, wenn die Projekte von den NIH gefördert wurden. Das ORI verfolge pro Jahr etwa 225 Fälle. Bei knapp der Hälf- te gebe es tatsächlich ein Fehlver- halten. 30 Prozent der Fälle betref- fen klinische Studien, der Rest ex- perimentelle Untersuchungen. Ziel der Aktivitäten des ORI sei es, die Gauss-Kurve der wissenschaftli- chen Qualität in der akademischen Medizin nach rechts zu verschie- ben. Es werde nie gelingen, Wis- senschaftsbetrug komplett zu ver- hindern, aber es müsse möglich Es ist nicht immer

gleich Betrug im Spiel: Die Übergän-

ge zur schlechten wissenschaftlichen Praxis sind fließend.

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27. Januar 2012 A 145 Die Ergebnisse des Symposiums sind im folgenden Statement zur guten

wissenschaftlichen Praxis zusammengefasst:

Verstöße gegen die gute wissenschaftliche Praxis an medizinischen Fakultäten sind leider häufig, sie sind eine der Ursachen für Probleme bei der erfolgreichen Übertragung von Forschungsergebnissen in am Patienten wirksamen Therapien, und können zu einer Vertrauenskrise der Öffentlichkeit in die Medizin führen.

Dringend geboten ist die Etablierung einer Kultur von guter Wissen- schaftspraxis. Die Aufklärung und Sanktionierung von Betrug sind wich- tig, aber die Prävention muss im Vordergrund stehen.

Eine Vielzahl von Maßnahmen sollte eingeleitet werden, unter an- derem:

– Etablierung von GWP-Curricula in den betreffenden Studiengängen und während der Promotion

– Schaffung von Anreizen für qualitativ hochwertige Forschung, auch wenn sie zu „negativen“ Ergebnissen führt

– strukturiertes Anleiten in wissenschaftlichem Arbeiten, Mentoring – zentrale Originaldatenspeicherung und Sicherstellung der Original- daten bei Einreichung einer Dissertation oder Habilitation

– Aufstellung klarer Verfahrensregeln für die Untersuchung von mög- lichem Fehlverhalten mit Schutz von „Whistleblowern“, transparente und schnelle Durchführung von Untersuchungsverfahren mit angemessener Sanktionierung bei Feststellung von Fehlverhalten

– Professionalisierung durch Einführung von GWP-Büros und Re- search Integrity Officers an den Universitäten.

Eine stärkere Rolle der Förderorganisationen bei der Durchset- zung der Maßnahmen wäre wünschenswert. Die Schaffung einer dem Office of Research Integrity der US Department of Health and Human Services analogen Institution in Deutschland könnte den Einfluss der Förderorganisationen zur Durchsetzung der GWP fokussieren und Maßnahmen an den medizinischen Fakultäten beratend unterstützen und koordinieren.

WAS MUSS GESCHEHEN?

sein, die Qualität und damit die Prä- diktion von medizinischer Wissen- schaft deutlich zu verbessern .

GWP betrifft alle im wissen- schaftlich-medizinischen Kontext Handelnden. Hierzu zählen Stu- denten, junge Ärzte und Postdocs, Projekt- und Arbeitsgruppenleiter, Einrichtungsleiter, aber auch das in der Wissenschaft tätige techni- sche Personal. Für jede dieser Gruppen müssten spezifische An- gebote für die nachhaltige Veran- kerung von GWP gemacht werden.

Es sollten verbindliche Verfah- rensregeln etabliert werden, wie bei Verdacht auf Fehlverhalten vorzugehen ist. Ziel des Symposi- ums war insbesondere, einen Ge- dankenaustausch über Strukturen und Vorgehensweisen zur Förde- rung von GWP an deutschen medi- zinischen Fakultäten zu initiieren und dabei vor allem aus internatio- nalen Erfahrungen zu lernen.

Schlechte wissenschaftliche Pra- xis lässt sich nicht auf ein eindeu- tig betrügerisches Verhalten redu- zieren, die Übergänge sind flie- ßend. Hierzu zählen auch Mängel im Design und in der Auswertung von experimentellen Studien, wie zum Beispiel das Fehlen von ran- domisierter Versuchsgruppen-Zu- ordnung, fehlende oder fehlerhafte Anonymisierung („Verblindung“), Vorabfestlegung von Ein- und Aus- schlusskriterien, selektive Bildma- nipulation oder geringe statistische

Power. Es gibt eine starke Ten- denz zur Veröffentlichung von nur scheinbar vielversprechenden Re- sultaten. In der Folge wird oft eine aufwendige klinische Prüfung be- gonnen, deren negatives Ergebnis bei der Durchführung von präklini- schen Studien mit hoher Qualität eigentlich vorhersehbar gewesen wäre. So ist etwa die durchschnitt- liche statistische Aussagekraft von Experimenten in der translationa- len präklinischen Forschung häu- fig nur wenig über 0.5, sie ent- spricht der Vorhersagekraft eines Münzwurfs.

Frühzeitig Fragen des Fehlverhaltens ansprechen Wo präklinische Studien quantita- tiv meta-epidemiologisch und mit systematischen Reviews unter- sucht wurden, fand man einen um- gekehrten Zusammenhang zwi- schen der Qualität einer Studie und der Effektgröße: Präklinische Stu- dien niedriger Qualität zeigen in der Regel wesentlich deutlichere Therapieeffekte als solche von ho- her Qualität. Häufig wäre bei kor- rektem Studiendesign gar kein the- rapeutischer Effekt mehr nach- weisbar.

Notwendig ist eine strukturierte GWP-Erziehung auf allen Karrie- restufen – darauf wies Gerlinde Sponholz vom Berliner Institut für Medizin und Organisationsethik hin. Diese sollte der Tätigkeit und

dem Status des Wissenschaftlers angepasst sein. Besonders wichtig sei dabei die Diskussion von Ver- haltensregeln in den Bereichen, in denen unklar ist, ob ein bestimmtes Verhalten noch korrekt ist oder doch schon unlautere Manipulati- on. Häufig würden insbesondere jüngere Wissenschaftler in solchen Situationen alleingelassen. Spon- holz betonte, wie wichtig das „teaching of the teachers“ sei, also die Multiplikation derjenigen, die GWP unterrichten und damit für eine schnellere Verbreitung sorgen könnten.

Kirsten Hüttemann, Direktorin der Gruppe Personal, Recht, Orga- nisation der Deutschen Forschungs- gemeinschaft, empfahl den mit Fehlverhalten befassten Kommis- sionen, sich nicht zu sehr in den De- tails der Fälle zu verlieren – dies führe zur Verschleppung der Ver- fahren –, sondern sich darauf zu konzentrieren, justiziable Fakten festzustellen. Es sollte eine breite Skala von Sanktionen entwickelt werden. Wenn die Verpflichtung auf gute wissenschaftliche Praxis in den Arbeitsverträgen aller Mitar- beiter in der universitären Medizin enthalten ist, gibt es eine klare Ba- sis für eine Sanktionierung von

Verstößen.

Prof. Dr. med. Ulrich Dirnagl Dr. rer. nat. Volker Bähr Prof. Dr. med. Annette Grüters-Kieslich Charité – Universitätsmedizin Berlin

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LITERATURVERZEICHNIS HEFT 4/2012, ZU:

APALLISCHES SYNDROM, VEGETATIVER ZUSTAND

Unangemessene Begrifflichkeiten

Vorgeschlagen wird, künftig ausschließlich die Bezeichnung

„Syndrom reaktionsloser Wachheit“ (SRW) zu gebrauchen

LITERATUR

1. Laureys S, Celesia GG, Cohadon F et al:

Unresponsive wakefulness syndrome:

a new name for the vegetative state or apallic syndrome? BMC Medicine 2010;

8: 68 http://www.biomedcentral.

com/1741–7015/8/68.

2. von Wild K, Gerstenbrand F, Dolce G, AS/

VS’ Esgo: Guidelines for quality manage- ment of Apallic Syndrome/ Vegetative State. Eur J Trauma Surg 2007(3):

268–92.

3. Dolce G, Quintieri M, Serra S, Lagani V, Pi- gnolo L: Clinical signs and early prognosis in vegetative state: a decisional tree, data- mining study. Brain Inj 2008, 22(7–8):

617–23.

4. Schnakers C, Vanhaudenhuyse A, Giacino J, Ventura M, Boly M, Majerus S, Moonen G, Laureys S: Diagnostic accuracy of the vegetative and minimally conscious state:

clinical consensus versus standardized neurobehavioral assessment. BMC Neurol 2009; 9: 35.

5. Oka N, Uchino Y, Odaki M, Kono M. Life prognosis of patients inpersistent vegeta- tive state. Analysis of the patients hospita- lised in Chiba Ryougo Center. In: Kamiya

K, Kanno T, (eds). TheSociety for Treat- ment of Coma STC. Tokyo, Japan: Neuron- Publishing 2004; 13: 29–35.

6. Address of Pope John Paul II. Life-sustai- ning treatments and VS: Scientific advan- ces and ethical dilemmas. NeuroRehabil 2004; 19: 273–5.

7. Andrews K Medical decision making in the vegetative state: withdrawal of nutrition and hydration. NeuroRehabil 2004; 19:

299–30.

8. Gigli GL, Valente M. The withdrawal of nutrition and hydration in the vegetative state patient: Societal dimension and issues at stake for the medical profession NeuroRehabilitation. 2004; 19: 315–28.

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10. Velez GJ: Death of John Paul II and the basic human care for the sick and the dy- ing. Ethics Med 2005; 21(3): 167–77.

11. Berlusconi accuses president of ,killing‘

coma woman Eluana Englaro. From Times Online February 10, 2009.

12. Terri Schiavo. DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 31.03.05 Komapatientin Terri Schiavo ge- storben. süddeutsche.de 20.03.2005

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