Deutsches ÄrzteblattJg. 99Heft 458. November 2002 AA2969
S E I T E E I N S
D
ie rot-grüne Bundesregierung will den gesundheitlichen Ver- braucherschutz stärken. Das ist nicht ganz einfach, wie die Empfehlung des bayerischen Sozial- und Ge- sundheitsministers Eberhard Sinner zeigt, der eindringlich vor einem un- kontrollierten Bezug von Arznei- mitteln aus dem Internet warnt.Obwohl der Versandhandel und die Internetbestellung von rezept- pflichtigen Arzneimitteln in Deutsch- land (noch) nicht erlaubt sind, haben im Jahr 2001 bereits 68 000 Patienten bei Doc Morris in den Niederlanden Präparate per Internet geordert. Um- satz: rund fünf Millionen Euro bereits im Startjahr der Versandapotheke jenseits der deutschen Grenze. Vor allem die bisher nicht beherrsch-
baren erhöhten Gesundheitsrisiken beim Versandhandel müssen ausge- schaltet werden. Denn über das In- ternet sind Präparate auch aus nicht kontrollierbaren Quellen zu bezie- hen. Der bayerische Gesundheitsmi- nister stellte zu Recht fest: „Gesund- heitsrisiken entstehen beispielswei- se dann, wenn der angegebene Stoff nicht oder in zu geringer Kon- zentration enthalten ist oder zur Streckung toxische Stoffe beige- mischt werden.“
Erfahrungsgemäß werden insbe- sondere Präparate mit einem hohen Marktwert oder großem Marktvolu- men gefälscht. Ein hohes Risiko, an eine Fälschung zu geraten, besteht etwa bei den zum Muskelaufbau an- gebotenen Anabolika und Wachs-
tumshormonen. Erst kürzlich tauch- te hierzulande eine Fälschung des Wachstumspräparats „Corpormon 4 UI“ des japanischen Herstellers Nikken/Infar auf. Statt des angege- benen Wirkstoffes Somatropin ent- hielt die Fälschung ein Schwanger- schaftshormon mit gänzlich anderen Wirkungen.
Gegen Kriminalität im Internet und gegen Fälschungen wirksam vorzugehen ist sehr schwierig. Auch wenn zusätzlich zu den bestehenden Kontrollbehörden neue teure Insti- tutionen zur Überwachung des Ver- sandhandels und eine praktikable Sicherheitsstruktur aufgebaut wer- den – ein lückenloser, absoluter Schutz der Verbraucher wird Utopie bleiben. Dr. rer. pol. Harald Clade
Arzneimittel-Versandhandel
Verbraucherschutz D
ass der Schuss nicht nach ganzhinten losgegangen ist, hat auch der Bundeskanzler verhindert. Die Krankenkassen sollten sich „nicht ins Abseits“ stellen, sondern über eigene Einsparungen, etwa bei den Verwaltungskosten, nachden- ken, hatte Gerhard Schröder am 2. November beim Parteitag der NRW-SPD in Essen gesagt. Die Verantwortlichen der Krankenkas- sen verstanden die Warnung. Die Deutsche Angestellten-Kranken- kasse und die Barmer würden ihre Beiträge nicht im Hauruck-Verfah- ren erhöhen, hieß es am 3. Novem- ber unisono nach Sondersitzungen der Verwaltungsräte in Hamburg be- ziehungsweise Wuppertal. Mit dem Kanzler wollte man es sich dann doch nicht verscherzen.Auch andere Krankenkassen kündigten vorerst
stabile Beitrage an. Ulla Schmidt dürfte dies mit Erleichterung aufge- nommen haben. Es wäre ja auch zu dumm gewesen, wenn sie selbst mit ihrer Ankündigung, den Kranken- kassen mit Wirkung zum 7. Novem- ber höhere Beitragssätze verbieten zu wollen, Beitragserhöhungen – und dann auch noch vorgezogene – initiiert hätte.
Neben der Drohung des Kanzlers haben aber auch die von der Bun- desgesundheitsministerin nachträg- lich eingeräumten Ausnahmen vom Beitragsstopp entscheidend dazu beigetragen, dass die meisten Kran- kenkassen zunächst stillhalten wol- len. Eine Krankenkasse könne auch künftig den Beitrag erhöhen, wenn anderenfalls ihre Leistungsfähigkeit bedroht sei, hatte Schmidt in einem Interview gesagt. Keine Kranken-
kasse müsse zahlungsunfähig wer- den oder Kredite aufnehmen. Dies bedeutet aber nichts anderes, als dass finanziell angeschlagene Kran- kenkassen auch im kommenden Jahr noch ihre Beiträge erhöhen dürfen.
Krankenkassen, die ihre Beiträge anheben wollen, werden zwar künf- tig mehr Skrupel haben, dies zu tun, können aber auf ihre drohende Zah- lungsunfähigkeit verweisen. Denn womit, wenn nicht mit finanziellen Engpässen, haben die Krankenkas- sen bisher ihre Beitragssatzsteige- rungen gerechtfertigt? Wer mehr Ef- fizienz will, sollte deshalb auf mehr Wettbewerb statt auf mehr Staat set- zen und notfalls auch in Kauf neh- men, dass nicht alle 370 Kranken- kassen dem Wettbewerbsdruck ge- wachsen sind. Jens Flintrop