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B R E N N P U N K T

24 Physik Journal 16 (2017) Nr. 8/9 © 2017 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim

D

iffusionsphänomene und Brownsche Molekularbewe- gung gehören zu den wichtigsten dynamischen Prozessen unserer Umgebung, die unter anderem eine entscheidende Verbindung von makroskopischen und mikrosko- pischen Eigenschaften der Materie herstellen. In seinem „annum mirabilis“ schreibt Einstein 1905 in seiner Arbeit zur Brownschen Mo- lekularbewegung [1]: „Wenn sich die hier zu behandelnde Bewegung … wirklich beobachten läßt, so ist die klassische Thermodynamik schon für mikroskopisch unterscheidbare Räume nicht mehr als genau gültig anzusehen und es ist dann eine exakte Bestimmung der wahren Atomgröße möglich. Erwiese sich umgekehrt die Voraussage dieser Bewegung als unzutreffend, so wäre damit ein schwerwiegendes Argument gegen die molekular- kinetische Auffassung der Wärme gegeben“. Am Ende seines Aufsatzes schätzt Einstein ab, dass Teilchen mit 1 µm Durchmesser in Wasser durch Diffusion in einer Minute etwa 6 µm zurücklegen sollten und fordert die Experimentalphysiker ganz jovial auf, ihre Mikroskope zu benutzen: „Möge es bald einem Forscher gelingen, die hier aufge-

worfene, für die Theorie der Wär- me wichtige Frage zu entscheiden!“

Jean Perrin erwähnt genau diese Einsteinsche Passage sogar expli- zit in seinem Bericht „Movement Brownien et Réalité Moléculaire“, in dem er seine Beobachtungen mit dem Mikroskop schon 1909 im De- tail erläutert [2].

Die Sache mit der Atomgröße ist lange geklärt, ist damit aber auch die Einsteinsche Aufforde- rung abgehakt? Keineswegs, wie kürzlich ein Team von Experimen- talphysikern um Artur Widera in Kaiserslautern, mit theoretischer

Unterstützung von Eric Lutz aus Er- langen, zeigen konnte [3]. Einsteins Theorie basiert auf einem Modell, das sich genauer mit der Langevin- Gleichung umreißen lässt. Dazu ist es erforderlich, eine stochastische Kraft in die Bewegungsgleichungen einzuführen und die makrosko- pischen Eigenschaften mithilfe eines pauschalen Reibungskoeffi- zienten mit einem diffundierenden schweren mikroskopischen Teil- chen zu verknüpfen. Der Ansatz ist ausgesprochen erfolgreich, der Gültigkeitsbereich aber einge- schränkt, denn er bezieht sich auf

Spuren im Gas

In einem Gas aus ultrakalten Atomen lassen sich Stoßprozesse mit einzelnen Atomen verfolgen.

Damit ist es möglich, die Diffusion mikroskopisch zu untersuchen.

Abb. 2 Die räumliche Verteilung der Caesium-Atome (orange) wurde nach fester Diffusionszeit gemessen. Die Dichte des Rubidium-Gases (grüne Kurve: räumliche Verteilung) steigt von oben nach unten an [5]. Die Atome werden als harte Kugeln modelliert. Auf der linken Seite der gestrichelten Linie gibt die Simulation nach der modifizierten Langevin-Theorie (blau) den thermalisierten Anteil der Cs-Spur atome sehr gut wieder.

Rechts davon finden sich die ballistischen Atome, die von der Langevin-Theorie nicht erfasst werden.

Abb. 1 Einzeln präparierte kalte Caesi- um-Atome werden in Richtung einer ge- speicherten Wolke kalter Rubidium- Atome beschleunigt (links). Ein Teil der Atome durchquert die Wolke ungestört,

ein anderer Teil thermalisiert mit dem Gas. Die (positionsabhängige) Knudsen- Zahl variiert mit der Dichte der Rubidi- um-Atome (rechts).

Rb-Gas Cs-MOT

diffundierendes

Cs-Atom ungestörtes Cs-Atom Cs-Atom

x

y z

r

Dipolfalle

100 102

0 20 40 60 80 100 120 140 05

10 15 20 25 30 35

101

Rb-Dichte in 1012 cm–3 Knudsen-Zahl Kn

Position z in µm

100 80 60 40 20 0

160 120 80 40 0 200 160 120 80 40 0

–0,2 –0,1 0,0 0,1 0,2 0,3 0,4 Position z in mm

6,0 4,5 3,0 1,5 0,0 30 24 18 12 6 0 32 24 16 8 0

n in 1012/cm3n in 1012/cm3n in 1012/cm3

Anzahl Cs-AtomeAnzahl Cs-AtomeAnzahl Cs-Atome

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B R E N N P U N K T

© 2017 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Physik Journal 16 (2017) Nr. 8/9 25 schwere Partikel, die in einer dich-

ten Umgebung leichter Teilchen, d. h. mit hoher Stoßrate, diffundie- ren. Ist also alles andere ein Fall für die Boltzmann-Gleichung, die als Integro-Differentialgleichung be- kanntermaßen unhandlich ist?

Die Experimentatoren sind der Einsteinschen Aufforderung erneut gefolgt und haben mit einem ganz ähnlichen Konzept die Diffusion einzelner Caesium-Atome in einem ultrakalten Gas von Rubidium- Atomen beobachtet und analysiert [3]. Sie erschließen damit – ganz im Geist der Einsteinschen Abschät- zung, dass die Brownsche Bewe- gung im Mikroskop zu sehen sein müsste – neue Parameter-Bereiche, die quantitative Aussagen über die Gültigkeit bzw. Erweiterbarkeit der Langevin-Theorie erlauben. Insbe- sondere lässt sich die so genannte Knudsen-Zahl K = λ/L, das Verhält- nis der freien Weglänge λ der Cae- sium-Atome zur charakteristischen Dimension L des Systems (hier der Durchmesser der optisch gespei- cherten Rb-Wolke), über große Bereiche durch einfache Variation der Rb-Dichte kontrollieren (Abb. 1).

Die kalten Atome bewegen sich mit Geschwindigkeiten von rund 10 mm/s, die Stoßraten erfolgen auf einer Zeitskala von 0,1 ms – das sind gute Bedingungen, um die Dy- namik kalter Atome zu beobachten.

Auch sind die Cs-Atome nur 1,5- mal schwerer als die Rb-Atome des Stoßmediums, das Cs-Spur atom und die Rb-Atome seiner Umge-

bung haben also ganz ähnliche kinetische Eigenschaften.

Im Experiment werden einzel- ne Cs-Atome präpariert und mit optischen Dipolkräften in Rich- tung der kleinen kalten Rb-Wolke beschleunigt. Die beiden Spezies lassen sich vollständig unabhängig voneinander kontrollieren und detektieren. Nach festgelegten Ent- wicklungszeiten wird die Dynamik abgebrochen. Dazu gilt es, die Be- wegung des Cs-Atoms als Funktion der Wartezeit mit einem optischen Gitter instantan einzufrieren und anschließend mit hoher Empfind- lichkeit und Auflösung auszulesen.

Die vielfache Wiederholung des Experiments liefert das Datenmate- rial, um theoretische Vorhersagen zu überprüfen. Die Messdaten zeigen eine bimodale Verteilung:

Ein Teil der Cs-Atome durchquert die Rb-Wolke ungestört, der andere Teil führt nach einem „Initialstoß“

eine diffusive Bewegung aus (Abb. 2).

Noch ein schöner Aspekt: Das einzelne Cs-Atom lässt sich als mi- nimal-invasives Thermometer für die Rb-Wolke verwenden [4]. Man misst dazu – im Mittel über viele Versuche – die Verteilung der kine- tischen Energie der thermalisierten Cs-Spuratome.

Die detaillierte Analyse zieht für Simulationen des diffusiven Anteils erneut die Langevin-Gleichung heran, allerdings mit einer kleinen Modifikation: Der Reibungskoeffi- zient hängt von der Geschwindig- keit des diffundierenden Atoms

1) Diesem Thema wid- met sich beispielweise der SFB/TR 185 OSCAR Open System Control of Atomic and Photonic Matter in Kaiserslautern und Bonn.

Prof. Dr. Dieter Me- schede, Institut für Angewandte Physik, Universität Bonn, Wegelerstr. 8, 53115 Bonn

ab. Die gute Übereinstimmung von Theorie und Experiment weist darauf hin, dass in der Tat der ge- schwindigkeitsabhängige Reibungs- koeffizient der Langevin-Gleichung die Physik der Stoßprozesse gut wiedergibt, wenn die Geschwindig- keit des diffundierenden Teilchens von derselben Größenordnung ist wie die der Hintergrundpartikel.

Das Team um Artur Widera stößt mit diesem Experiment ein Tor auf, um weitere ungewöhn- liche Diffusionsprozesse auf der Ebene mikroskopischer Teilchen bis hinein in den „echten“ Quan- tenbereich zu studieren, in dem die de Broglie-Wellenlänge der Stoß- partner ihren Abstand übersteigt.

Der offene, dissipative Charakter des hier untersuchten Systems bietet ein breites Feld auch für die Analyse von Nicht-Gleichgewichts- systemen im Grenzbereich von klassischer und Quantenphysik.1) So bleibt festzustellen: Möge es den Forschern gelingen, weitere für die Theorie der Wärme wichtige Fra- gen experimentell zu entscheiden!

Dieter Meschede [1] A. Einstein, Ann. Phys. 322, 549 (1905) [2] J. B. Perrin, Ann. Chim. Phys. 18,

5 (1909)

[3] M. Hohmann et al., Phys. Rev. Lett. 118, 263401 (2017)

[4] M. Hohmann et al., Phys. Rev. A 93, 043607 (2016)

[5] M. Hohmann, Thermometry and Diffu- sion with Single Impurity Atoms in an Ultracold Gas, Dissertation, TU Kai- serslautern (2016)

Relativistische Sternbahnen Für die Bahnen der Sterne, die dem Schwarzen Loch im Zentrum unserer Milchstraße am nächsten kommen, las- sen sich relativistische Abweichungen nachweisen. Dazu werteten Wissen- schaftler aus Köln, Bonn und Prag Infra- rot-Daten des VLT und anderer Tele- skope aus den letzten 20 Jahren neu aus. Die relativistischen Effekte beein- flussen die Form der Bahnen nur um wenige Prozent, sodass erst seit dem Einsatz adaptiver Optiken ausreichend exakte Positionsdaten vorliegen. Die Analyse ergab auch exaktere Werte für die Masse des Schwarzen Lochs und seinen Abstand zur Erde.

M. Parsa et al., ApJ 845, 22 (2017)

Nickel verantwortlich für Magnetfeld Nickel und Eisen unterscheiden sich deutlich bei den hohen Temperaturen und dem großen Druck, die im Erdkern herrschen. Das könnte laut Würzburger und Wiener Physikern erklären, wie das Erdmagnetfeld entsteht. Die Wärme- leitfähigkeit eines reinen Eisenkerns ist so hoch, dass keine Konvek tionsströme auftreten sollten. Diese sind aber eine Voraussetzung des gängigen Modells vom Geo-Dynamo. Aufwändige Simula- tionen unterschiedlicher Fe-Ni-Legie- rungen zeigten, dass die im Erdkern vermuteten 20 Prozent Nickel ausrei- chen, um die Ströme in Gang zu setzen.

A. Hausoel et al., Nat. Commun. 8, 16062 (2017)

Charmant im Doppelpack

Theoretisch war bereits vorhergesagt worden, dass es Baryonen geben muss, die aus zwei schweren Charm-Quarks bestehen. Nun ist es der LHCb-Kollabo- ration gelungen, ein solches Teilchen experimentell nachzuweisen: Das Bary- on Ξ++cc hat eine Masse von 3621 MeV und setzt sich aus zwei c-Quarks und einem u-Quark zusammen. Sein Zerfall in das Baryon Λc+ und drei leichte Mesonen zeigte sich bei Kolli sionen von Pro- tonen mit einer Schwerpunktsenergie von 13 TeV. Inzwischen wurden solche Signaturen auch in älteren Daten bei 8 TeV Schwerpunktsenergie gefunden.

R. Aaij et al. (LHCb collaboration), Phys. Rev. Lett. accepted

K U R Z G E FA S S T

Referenzen

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