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X. Rainer Maria Rilke: Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge

Moderne

Die Literatur der Moderne verzichtet auf das Mimesis-Prinzip des Realismus und nutzt stattdessen die ›Montage‹, um die Konstruiertheit der Texte offenzulegen. Hierbei wird deutlich, dass sich die

›poetische‹ Sprache grundsätzlich von der Sprache des Alltags unterscheidet, obwohl das gleiche Sprachmaterial Anwendung findet: Während das nichtpoetische Sprechen zeichenhaft organisiert ist (Wörter stehen ersatzweise für Dinge), behandelt die Poesie ihr Sprachmaterial als gegenständlich (= unter Relativierung der semantischen Funktionalität). Die Literatur der Moderne ›abstrahiert‹

insofern: Es geht primär um Gestaltung in Sprache, bestenfalls sekundär um Bedeutungen.

Rainer Maria Rilke: Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge (1910)

Rainer Maria Rilkes ›Prosabuch‹ Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge gilt als der erste strikt ›moderne‹ Roman in deutscher Sprache. Daher wird keine nachvollziehbare Handlung erzählt;

der Text besteht vielmehr aus einer unstrukturierten Sammlung von 71 poetischen Reflexionen und Erzählungen aus dem prekären Leben des jungen Dichters Malte Laurids Brigge.

Rilke praktiziert darin eine konsequente Montagetechnik, bei der er ein realistisches Bild vom Paris (Gegenwart! des frühen 20. Jahrhundert mit einem fiktiven Dänemark (Kindheit und Jugend!) verschneidet und Alltagserlebnisse, Reise- und Kindheitserinnerungen, poetologische Reflexionen, fantastische Erzählfragmente und Berichte von historischen Begebenheiten ohne logische Ordnung aneinanderreiht.

Textinterne ›Realität‹ und Fiktionales werden dabei nicht in ihrer Differenz markiert; stellenweise wird Hässlichkeit als ästhetischer Wert eingesetzt. Zur Montagetechnik gehören auch die Realitätsfragmente (z. B. die genaue Nachvollziehbarkeit der Pariser Straßenzüge), die intertextuellen Bezüge in Rilkes Werk, wie z.B. die Systemreferenzen auf Goethes Leiden des jungen Werther (1774), sowie die – partiell − autobiographische Fundierung des Erzählten. Die moderne (= fragmentierte, nicht-organische) Erzählweise des Romans verhindert jeden umfassenden Einblick in die Persönlichkeit des Protagonisten (gewissermaßen ein ›Schreiber-Ich‹) und gibt keinen Aufschluss über sein endgültiges Schicksal.

Der Titel Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge stellt ein selbstreflexives Moment dar, indem er impliziert, dass die Aufzeichnungen von einem Herausgeber in die vorliegende Ordnung gebracht wurden (dafür sprechen auch acht redaktionelle Fußnoten sowie die Schlussbemerkung

›Ende der Aufzeichnungen‹). Dies verweist auf die Vermitteltheit des Textes und zeigt, dass es vorrangig um den Prozess des Schreibens und weniger um dessen Ergebnis geht; die

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fremdsprachlichen Übersetzungen des Titels verweisen hingegen meist auf den Textträger (z.B. The Notebooks of MLB oder Les Cahiers de MLB) und werden der poetischen Konzeption daher nicht vollständig gerecht.

Zitate

Hugo von Hofmannsthal: Poesie und Leben (1896)

»[...] daß das Material der Poesie die Worte sind, daß ein Gedicht ein gewichtloses Gewebe aus Worten ist, die durch ihre Anordnung, ihren Klang und ihren Inhalt, indem sie die Erinnerung an Sichtbares und die Erinnerung an Hörbares mit dem Element der Bewegung verbinden, einen genau umschriebenen, traumhaft deutlichen, flüchtigen Seelenzustand hervorrufen, den wir Stimmung nennen.«1

Arthur Rimbaud: Une saison en enfer (1873)

»Il faut être absolument moderne.«2 Ernst Jandl: rilkes schuh (1975)

»rilkes schuh war einer von zweien [...]«3

Rainer Maria Rilke (17.04.1903 in Viareggio)

»Denn Armut ist ein großer Glanz von Innen«4

Stéphane Mallarmé (zitiert bei Valéry): Poésie et pensée abstraite

»›Ce n'est pas avec des idées, mon cher Degas, que l'on fait des vers. C'est avec des mots.‹«5 Rainer Maria Rilke: Auguste Rodin (1903)

Die Maske des Mannes mit der gebrochenen Nase war das erste Porträt, das Rodin geschaffen hat.

In diesem Werke ist seine Art, durch ein Gesicht zu gehen, schon ganz ausgebildet, man fühlt seine unbegrenzte Hingabe an das Vorhandene, seine Ehrfurcht vor jeder Linie, die das Schicksal gezogen hat, sein Vertrauen zu dem Leben, das schafft, auch wo es entstellt.6

Rainer Maria Rilke an Clara Rilke (19.10.1907)

1 Hofmannsthal, Hugo von: Der Brief des Lord Chandos. Schriften zur Literatur, Kunst und Geschichte.

Herausgegeben von Mathias Mayer. Stuttgart 2000. Poesie und Leben (36-44), hier S. 39.

2 Rimbaud, Arthur: Une saison en enfer. In: Rimbaud, Arthur: Œuvres complètes. Édition établie, présentée et annotée par Antoine Adam. Paris 1972, S. 91-117, hier S. 116

3 Jandl, Ernst: rilkes schuh. In: Jandl, Ernst: die bearbeitung der mütze. gedichte. Darmstadt / Neuwied 1978, S. 18.

4 Rilke, Rainer Maria: Das Stunden-Buch. Drittes Buch: Das Buch von der Armut und vom Tode. In: Rilke, Rainer Maria: Werke. Kom mentierte Ausgabe in vier Bänden. Herausgegeben von Manfred Engel, Ulrich Fülleborn, Horst Nalewski, August Stahl. Band I: Gedichte. 1895-1910. Herausgegeben von Manfred Engel und Ulrich Fülleborn.

Frankfurt am Main / Leipzig 1996, S. 231-252, hier S. 244.

5 Valéry, Paul: Poésie et pensée abstraite. In: Valéry, Paul: Oeuvres I. Édition établie et annotée par Jean Hytier. Paris 1957, S. 1324-1339, hier S. 1234.

6 Rilke, Rainer Maria: Auguste Rodin. Wiesbaden 1949, S. 48f.

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»[...] die ganze Entwicklung zum sachlichen Sagen, die wir jetzt in Cézanne zu erkennen glauben [...]«7

Rainer Maria Rilke: Ich komme aus meinen Schwingen heim (1899)

»Die Zeit ist wie ein welker Rand an einem Buchenblatt.

Sie ist das glänzende Gewand, das Gott verworfen hat, als Er, der immer Tiefe war, ermüdete des Flugs

und sich verbarg vor jedem Jahr, bis ihm sein wurzelhaftes Haar durch alle Dinge wuchs.«8

Hugo, Victor: Préface [zu Cromwell] (1827)

»[...] la muse moderne verra les choses d’un coup d’œil plus haut et plus large. Elle sentira que tout dans la création n’est pas humainement beau, que le laid y existe à côté du beau, le difforme près du gracieux, le grotesque au revers du sublime, le mal avec le bien, l’ombre avec la lumière.«9

Rainer Maria Rilke: Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge (1910)

»Ich bin achtundzwanzig, und es ist so gut wie nichts geschehen. Wiederholen wir: ich habe eine Studie über Carpaccio geschrieben, die schlecht ist, ein Drama, das Ehe heißt und etwas Falsches mit zweideutigen Mitteln beweisen will, und Verse. Ach, aber mit Versen ist so wenig getan, wenn man sie früh schreibt.«10

»Dieser junge, belanglose Ausländer, Brigge, wird sich fünf Treppen hoch hinsetzen müssen und schreiben, Tag und Nacht: ja er wird schreiben müssen, das wird das Ende sein.«11

Rilke an Lou Andreas-Salomé (28.12. 1911)

»… aber niemand als Du, liebe Lou, kann unterscheiden und nachweisen, ob und wieweit er mir ähnlich sieht: Ob er, der ja zum Teil aus meinen Gefahren gemacht ist, darin untergeht, gewissermaßen um mir den Untergang zu ersparen […].«12

Rainer Maria Rilke: Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge (1910)

»So, also hierher kommen die Leute, um zu leben, ich würde eher meinen, es stürbe sich hier. Ich bin ausgewesen. Ich habe gesehen: Hospitäler. Ich habe einen Menschen gesehen, welcher schwankte und umsank. Die Leute versammelten sich um ihn, das ersparte mir den Rest. Ich habe

7 Rilke, Rainer Maria: Brief an Clara Rilke. In: Rilke, Rainer Maria: Briefe. Herausgegeben vom Rilke-Archiv in Weimar in Verbindung mit Ruth Sieber-Rilke besorgt durch Karl Altheim. Band I. Frankfurt am Main 1987, S. 195- 197, hier S. 195.

8 Rilke, Rainer Maria: Ich komme aus meinen Schwingen heim. In: Rilke, Rainer Maria: Werke. Kommentierte Ausgabe in vier Bänden. Herausgegeben von Manfred Engel, Ulrich Fülleborn, Horst Nalewski, August Stahl. Band I:

Gedichte. 1895-1910. Herausgegeben von Manfred Engel und Ulrich Fülleborn. Frankfurt am Main / Leipzig 1996, S. 185f. (v. 33-41)

9 Hugo, Victor: Préface [zu Cromwell]. In: Hugo, Victor: Théâtre complet I. Préface par Roland Purnal. Èdition établie et annotée par J.- J. Thierry et Josette Mélèze. [Paris] 1963 (Bibliothèque de la Pléiade 166), S. 416.

10 Rilke, Rainer Maria: Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge. Herausgegeben und kommentiert von Manfred Engel. Stuttgart 1987, S. 19.

11 Rilke: Malte Laurids Brigge (Anm. 10), S. 24.

12 Rilke, Rainer Maria: Brief an Lou Andreas-Salomé. In: Rilke, Rainer Maria: Briefe. Herausgegeben vom Rilke- Archiv in Weimar in Verbindung mit Ruth Sieber-Rilke besorgt durch Karl Altheim. Band II. Frankfurt am Main 1987, S. 299-304, hier S. 300.

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eine schwangere Frau gesehen. Sie schob sich schwer an einer hohen, warmen Mauer entlang, nach der sie manchmal tastete, wie um sich zu überzeugen, ob sie noch da sei. Ja, sie war noch da.

Dahinter? Ich suchte auf meinem Plan: Maison d'accouchement. Gut. Man wird sie entbinden – Man kann das. Weiter, rue Saint-Jacques, ein großes Gebäude mit einer Kuppel. Der Plan gab an Val-de-Grâce, Hôpital militaire.«13

»Ich lerne sehen. Ich weiß nicht, woran es liegt, es geht alles tiefer in mich ein und bleibt nicht an der Stelle stehen, wo es sonst immer zu Ende war. Ich habe ein Inneres, von dem ich nicht wußte.

Alles geht jetzt dorthin. Ich weiß nicht, was dort geschieht.«14

»Habe ich es schon gesagt? Ich lerne sehen. Ja, ich fange an. Es geht noch schlecht. Aber ich will meine Zeit ausnutzen.

Daß es mir zum Beispiel niemals zu Bewußtsein gekommen ist, wieviel Gesichter es giebt. Es giebt eine Menge Menschen, aber noch viel mehr Gesichter, denn jeder hat mehrere. Da sind Leute, die tragen ein Gesicht jahrelang, natürlich nutzt es sich ab, es wird schmutzig, es bricht in den Falten, es weitet sich aus wie Handschuhe, die man auf der Reise getragen hat. Das sind sparsame, einfache Leute; sie wechseln es nicht, sie lassen es nicht einmal reinigen. Es sei gut genug, behaupten sie, und wer kann ihnen das Gegenteil nachweisen? Nun fragt es sich freilich, da sie mehrere Gesichter haben, was tun sie mit den anderen? Sie heben sie auf. Ihre Kinder sollen sie tragen. Aber es kommt auch vor, daß ihre Hunde damit ausgehen. Weshalb auch nicht. Gesicht ist Gesicht.«15

»Aber die Frau, die Frau: sie war ganz in sich hineingefallen, vornüber in ihre Hände. Es war an der Ecke rue Notre-Dame-des-Champs. Ich fing an, leise zu gehen, sowie ich sie gesehen hatte. Wenn arme Leute nachdenken, soll man sie nicht stören. Vielleicht fällt es ihnen doch ein.

Die Straße war zu leer, ihre Leere langweilte sich und zog mir den Schritt unter den Füßen weg und klappte mit ihm herum, drüben und da, wie mit einem Holzschuh. Die Frau erschrak und hob sich aus sich ab, zu schnell, zu heftig, so daß das Gesicht in den zwei Händen blieb. Ich konnte es darin liegen sehen, seine hohle Form. Es kostete mich unbeschreibliche Anstrengung, bei diesen Händen zu bleiben und nicht zu schauen, was sich aus ihnen abgerissen hatte. Mir graute, ein Gesicht von innen zu sehen, aber ich fürchtete mich doch noch viel mehr vor dem bloßen wunden Kopf ohne Gesicht.«16

»Dieses ausgezeichnete Hôtel ist sehr alt, schon zu König Chlodwigs Zeiten starb man darin in einigen Betten. Jetzt wird in 559 Betten gestorben. Natürlich fabrikmäßig. Bei so enormer Produktion ist der einzelne Tod nicht so gut ausgeführt, aber darauf kommt es auch nicht an. Die Masse macht es. Wer giebt heute noch etwas für einen gut ausgearbeiteten Tod? Niemand.«17

»In den Sanatorien, wo ja so gern und mit so viel Dankbarkeit gegen Ärzte und Schwestern gestorben wird, stirbt man einen von den an der Anstalt angestellten Toden; das wird gerne gesehen.

Wenn man aber zu Hause stirbt, ist es natürlich, jenen höflichen Tod der guten Kreise zu wählen, mit dem gleichsam das Begräbnis erster Klasse schon anfängt und die ganze Folge seiner wunderschönen Gebräuche. Da stehen dann die Armen vor so einem Haus und sehen sich satt. Ihr Tod ist natürlich banal, ohne alle Umstände. Sie sind froh, wenn sie einen finden, der ungefähr paßt.

13 Rilke: Malte Laurids Brigge (Anm. 10), S. 7.

14 Rilke: Malte Laurids Brigge (Anm. 10), S. 8.

15 Rilke: Malte Laurids Brigge (Anm. 10), S. 9.

16 Rilke: Malte Laurids Brigge (Anm. 10), S. 10.

17 Rilke: Malte Laurids Brigge (Anm. 10), S. 11.

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Zu weit darf er sein: man wächst immer noch ein bißchen. Nur wenn er nicht zugeht über der Brust oder würgt, dann hat es seine Not.«18

»Wenn ich nach Hause denke, wo nun niemand mehr ist, dann glaube ich, das muß früher anders gewesen sein. Früher wußte man (oder vielleicht ahnte man es), daß man den Tod in sich hatte wie die Frucht den Kern. Die Kinder hatten einen kleinen in sich und die Erwachsenen einen großen.

Die Frauen hatten in ihm Schooß und die Männer in der Brust. Den hatte man und das gab einem eine eigentümliche Würde und einen stillen Stolz.«19

»Das war damals, als von Zeit zu Zeit Männer fremdlings, mit geschwärztem Gesicht, ihn in seinem Bette überfielen, um ihm das in die Schwären hineingefaulte Hemde abzureißen, das er schon längst für sich selber hielt. Es war verdunkelt im Zimmer, und sie zerrten unter seinen steifen Armen die mürben Fetzen weg, wie sie sie griffen. Dann leuchtete einer vor, und da erst entdeckten sie die jäsige Wunde auf seiner Brust, in die das eiserne Amulett eingesunken war, weil er es jede Nacht an sich preßte mit aller Kraft seiner Inbrunst; nun stand es tief in ihm, fürchterlich kostbar, in einem Perlensaum von Eiter wie ein wundertuender Rest in der Mulde eines Reliquärs. Man hatte harte Handlanger ausgesucht, aber sie waren nicht ekelfest, wenn die Würmer, gestört, nach ihnen herüberstanden aus dem flandrischen Barchent und, aus den Falten abgefallen, sich irgendwo an ihren Ärmeln aufzogen.«20

»Ich fühlte, daß die eine von den Händen mir gehörte und daß sie sich da in etwas einließ, was nicht wieder gutzumachen war. Mit allem Recht, das ich auf sie hatte, hielt ich sie an und zog sie flach und langsam zurück, indem ich die andere nicht aus den Augen ließ, die weitersuchte. Ich begriff, daß sie es nicht aufgeben würde, ich kann nicht sagen, wie ich wieder hinaufkam. Ich saß ganz tief im Sessel, die Zähne schlugen mir aufeinander, und ich hatte so wenig Blut im Gesicht, daß mir schien, es wäre kein Blau mehr in meinen Augen. Mademoiselle −, wollte ich sagen und konnte es nicht, aber da erschrak sie von selbst, sie warf ihr Buch hin und kniete sich neben den Sessel und rief meinen Namen; ich glaube, daß sie mich rüttelte. Aber ich war ganz bei Bewußtsein. Ich schluckte ein paarmal; denn nun wollte ich es erzählen.

Aber wie? Ich nahm mich unbeschreiblich zusammen, aber es war nicht auszudrücken, so daß es einer begriff. Gab es Worte für dieses Ereignis, so war ich zu klein, welche zu finden. Und plötzlich ergriff mich die Angst, sie könnten doch, über mein Alter hinaus, auf einmal da sein, diese Worte, und es schien mir fürchterlicher als alles, sie dann sagen zu müssen. Das Wirkliche da unten noch einmal durchzumachen, anders, abgewandelt, von Anfang an; zu hören, wie ich es zugebe, dazu hatte ich keine Kraft mehr.« 21

»Und nun will ich die Geschichte aufschreiben, so wie Maman sie erzählte, wenn ich darum bat.

Es war mitten im Sommer, am Donnerstag nach Ingeborgs Beisetzung. […] Es war die Stunde, da man die Post erwartete, und es fügte sich meistens so, daß Ingeborg sie brachte, […]. Aber an diesem Nachmittag, Malte, da sie wirklich nicht mehr kommen konnte -: da kam sie. […] Und da war ich daran - (mir wird ganz kalt, Malte, wenn ich es denke) aber, Gott behüt mich, ich war daran zu sagen: »Wo bleibt nur -« Da schoß schon Cavalier, wie er immer tat, unter dem Tisch hervor und lief ihr entgegen. […] Zweimal sah er sich nach uns um, als ob er fragte. Dann raste er auf sie zu, wie immer, Malte, genau wie immer, und erreichte sie; denn er begann rund herum zu springen, Malte, um etwas, was nicht da war, und dann hinauf an ihr, um sie zu lecken, gerade hinauf. Wir

18 Rilke: Malte Laurids Brigge (Anm. 10), S. 11f.

19 Rilke: Malte Laurids Brigge (Anm. 10), S. 12.

20 Rilke: Malte Laurids Brigge (Anm. 10), S. 178.

21 Rilke: Malte Laurids Brigge (Anm. 10), S. 82.

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hörten ihn winseln vor Freude, und wie er so in die Höhe schnellte, mehrmals rasch hintereinander, hätte man wirklich meinen können, er verdecke sie uns mit seinen Sprüngen. Aber da heulte es auf einmal, und er drehte sich von seinem eigenen Schwunge in der Luft um und stürzte zurück, merkwürdig ungeschickt, und lag ganz eigentümlich flach da und rührte sich nicht.«22

22 Rilke: Malte Laurids Brigge (Anm. 10), S. 77f.

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