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Interkulturelle Elternarbeit in der Grundschule

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Academic year: 2021

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Schriftenreihe des Interdisziplinären Zentrums für Bildung und Kommunikation in Migrationsprozessen (IBKM) an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg

Nr. 40 Herausgegeben von

Rudolf Leiprecht, Rolf Meinhardt, Michael Fritsche, Hans-Peter Schmidtke, Ina Grieb

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Imke Robbe

BIS-Verlag der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg

Interkulturelle Elternarbeit in der

Grundschule

Die Zusammenarbeit von Schule und Eltern mit

Migrationshintergrund unter besonderer

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Oldenburg, 2009 Verlag / Druck / Vertrieb BIS-Verlag

der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg Postfach 2541

26015 Oldenburg

E-Mail: bisverlag@uni-oldenburg.de Internet: www.bis-verlag.de

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Inhalt

Einleitung 7

1 Der familiäre Einfluss auf die Entwicklung des Kindes 13

2 Die Zusammenarbeit von Schule und Elternhaus aus

juristischer Sicht 15

3 Kinder mit Migrationshintergrund in der Grundschule 19

3.1 Zur Schulsituation in Deutschland 19 3.2 Der monolinguale Habitus der deutschen Schule 20 3.3 Erstsprachenförderung – Hindernis oder Basis für den

Zweitspracherwerb und den Schulerfolg 23 3.3.1 Pro: Die Interdependenzhypothese nach Cummins 24

3.3.2 Contra: Der Faktor „Zeit“ 26

3.3.3 Der aktuelle Stand der Diskussionen 27

4 Eltern mit Migrationshintergrund in der Grundschule 31

4.1 Barrieren der Zusammenarbeit zwischen Schule und

Elternhaus 31 4.1.1 Die Monokulturaliät der deutschen Schule 32 4.1.2 Vorurteile und stereotype Vorstellungen 33 4.1.3 Sprachschwierigkeiten 34 4.1.4 Unzureichende Informationsvermittlung 35 4.2 Ergebnis: Zurückhaltung aufgrund von Desinteresse? 36

5 Die interkulturelle Öffnung einer Schule 39

5.1 Die Entwicklung eines Leitbildes 39

5.1.1 Inhalte der Ausländerpädagogik 39

(5)

5.2 Interkulturelle Kompetenz 43 5.3 Das Modell einer interkulturellen Schule: Albanischule

Göttingen 44

6 Gegenseitige Transparenz 49

6.1 Informationen von den Eltern und über die Eltern erhalten 49

6.1.1 Wie wird gefragt 49

6.1.2 Was wird gefragt 51

6.2 Eltern informieren 53

6.2.1 Wie wird informiert 54

6.2.2 Worüber wird informiert 60

7 Die Beteiligung der Eltern mit Migrationshintergrund

an der Sprachförderung ihrer Kinder 67

7.1 Ziele des Projekts „Rucksack in der Grundschule“ 68

7.1.1 Die Sprachförderung 69

7.1.2 Die Elternbildung 72

7.2 Der Projektverlauf 77

7.3 Beurteilung des Projekts 79

8 Fazit 85

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Einleitung

Gemeinsam für das Kind …

Eine Reihe von Studien zum Schulerfolg machen auf die Bedeutung der Mitwirkung der Eltern im Schulgeschehen aufmerksam. „Je mehr die Eltern mit dem Schulalltag ihrer Kinder vertraut sind, desto größer scheinen die Chancen, dass ihre Kinder gute Ergebnisse erzielen“ (Burk 2005: 259). Folglich stellt eine gute Partnerschaft zwischen El-ternhaus und Schule eine wichtige Voraussetzung für den Schulerfolg eines Kindes dar. Ausgehend von dieser Erkenntnis ist der Aufbau wirksamer und förderlicher Beziehungen zwischen Elternhaus und Schule von hohem Wert (vgl. ebd.). Es sollte das Ziel einer jeden Schule sein, gemeinsam mit den Eltern auf das einzelne Kind zu schauen und es in das Zentrum gemeinsamer Bemühungen zu stellen (vgl. Schlösser 2004: 34).

Ein spannungsreiches Verhältnis …

Trotz des Wissens über den familiären Einfluss auf die Entwicklung des Kindes und die sich daraus ergebende Bedeutung der Zusam-menarbeit von Schule und Elternhaus, ist ein eher distanziertes Ver-hältnis zwischen den Lehrkräften und den Eltern zu beobachten. Be-sonders spannungsreich scheint dabei die Zusammenarbeit von Schule und Eltern mit Migrationshintergrund1 zu sein. „Lehrkräfte

be-klagen die Schwierigkeiten der Kontaktaufnahme und die geringe Be-teiligung der Eltern mit Migrationshintergrund“ (Burk 2005: 259). Der

1 Der Begriff „Migrationshintergrund“ umfasst in Deutschland lebende Personen mit ausländischer Staatsangehörigkeit sowie Personen mit deutscher Staatsangehö-rigkeit, die einen Migrationshintergrund aufweisen. Dem Merkmal „Menschen mit Migrationshintergrund“ werden somit folgende Personengruppen zugeordnet: 1. zugewanderte Ausländer, 2. in Deutschland geborene Ausländer, 3. eingebürgerte Ausländer, 4. Spätaussiedler, 5. Kinder mit zumindest einem Elternteil, das eines der genannten Merkmale erfüllt. Nach dieser Definition lebten im Jahr 2005 15,3 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland. Dies entspricht 19% der Gesamtbevölkerung. Von diesen 19% hatten 53% die deutsche Staatsangehö-rigkeit und 47% eine ausländische StaatsangehöStaatsangehö-rigkeit (vgl. Statistisches Bundes-amt 2006: 73-76).

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8

Einfachheit halber wird die Zurückhaltung der Migranteneltern2 häufig

als Desinteresse an schulischen Angelegenheiten interpretiert, wäh-rend seitens der Eltern oft das Gefühl, nicht willkommen bzw. nicht kompetent genug zu sein, besteht. Hieraus resultieren Missverständ-nisse und Vorurteile, was die Zusammenarbeit enorm erschwert.

Eine Herausforderung für beide Seiten …

Aufgrund der immer höher werdenden Zahl der Kinder mit Migrations-hintergrund an deutschen Schulen werden Lehrer3 dementsprechend

mit den Eltern dieser Kinder konfrontiert. Unterschiede sprachlicher und kultureller Art lassen die Zusammenarbeit zwischen den Lehrkräf-ten und den MigranLehrkräf-teneltern zu einer besonderen Herausforderung werden. Beide Seiten sind dabei gefordert aufeinander zuzugehen und sich mit Respekt und Anerkennung zu begegnen. Das Ziel be-steht darin, sich gegenseitig als Bereicherung zu verstehen, was bei-derseits die Bereitschaft erfordert, sich anderen Lebensweisen ge-genüber öffnen zu wollen. Eine „wechselseitige Bereicherung braucht erweiterte Einsichten und neue Wege – bei den Eltern wie bei den pä-dagogisch Tätigen“ (Schlösser 2004: 28).

Das Thema dieser Arbeit …

Aus dem eher distanzierten Verhältnis zwischen den Lehrkräften und den Migranteneltern ein Verhältnis zu erreichen, das von einer wech-selseitigen Bereicherung geprägt ist, mag zunächst illusorisch klingen. Die vorliegende Arbeit versucht Wege aufzuzeigen, wie die Zusam-menarbeit zwischen Schule und Eltern mit Migrationshintergrund aus-sehen kann und welche Voraussetzungen notwendig sind, damit eine gute Zusammenarbeit überhaupt entstehen kann. Die Konzentration liegt dabei auf der Zusammenarbeit zwischen Lehrkräften und Migran-teneltern an Grundschulen. Während die Elementarpädagogik die

2 Der Begriff „Migranteneltern“ ist unpräzise, da nicht jede Person mit Migrationhin-tergrund eigene Migrationserfahrungen gemacht hat (siehe Fußnote 8). Dennoch ist der Begriff „Migranteneltern“ im Sprachgebrauch üblich und wird in der Literatur am häufigsten verwendet. Ich bin mir der Ungenauigkeit dieses Begriffes bewusst, verwende ihn jedoch trotzdem, um hinsichtlich des sprachlichen Ausdrucks der vorliegenden Arbeit etwas Abwechslung zu gewährleisten.

3 Aufgrund des Leseflusses wird in der vorliegenden Arbeit das generische Maskuli-num verwendet.

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9 Wichtigkeit der Einbeziehung der Eltern bereits weitgehend erkannt hat, sind Grundschulen hinsichtlich dessen noch verschlossener. Ins-besondere dem Arbeitsfeld der Zusammenarbeit mit Migranteneltern liegt kaum Literatur vor, was den Bedarf dieses Themas zeigt. Auch in der Grundschulzeit haben die Eltern noch einen starken Einfluss auf die Entwicklung der Kinder, weshalb die Zusammenarbeit zwischen den Lehrkräften und den Eltern von so großer Bedeutung ist.

Der Schwerpunkt dieser Arbeit …

Es gibt zahlreiche Möglichkeiten (Migranten-) Eltern in den Schulalltag mit einzubeziehen. Eine dieser Möglichkeiten wird in dieser Arbeit ver-tiefend erläutert. Hierbei geht es um die Beteiligung der Eltern mit Migrationshintergrund an der Sprachförderung ihrer Kinder. In Sprach-förderungskonzepten, in denen sowohl der Erwerb der deutschen Sprache als auch der Erwerb der Erstsprache4 gefördert wird, kann

mit Migranteneltern sinnvoll zusammengearbeitet werden. Eltern mit Migrationshintergrund werden hier als Experten für das Erlernen der Familiensprache erkannt und können somit maßgeblich bei der Erst-sprachenförderung behilflich sein. Es wird das Projekt „Rucksack in der Grundschule“ vorgestellt, um auf diesem Wege zu verdeutlichen, wie Eltern mit Migrationshintergrund an der Sprachförderung der Kin-der beteiligt werden können.

4 Mit dem Begriff „Erstsprache“ ist die erste Sprache gemeint, die ein Kind erwirbt (Glück 2000: 192). Diese ist nicht zwangsläufig die Sprache der Mehrheitsgesell-schaft. Kinder mit Migrationshintergrund erwerben weitgehend die Sprache zuerst, die am häufigsten innerhalb der Familie benutzt wird (Familiensprache). Es handelt sich dabei meistens um eine der Sprachen des Herkunftslandes der Familie (Her-kunftssprache). Die Verwendung des Begriffs „Herkunftssprache“ ist jedoch prob-lematisch, da in einem Land häufig mehrere Sprachen gesprochen werden und somit nicht von der einen Herkunftssprache die Rede sein kann. In der Literatur werden die Begriffe Erstsprache und Muttersprache überwiegend synonym ver-wendet. Der Begriff „Muttersprache“ ist jedoch unpräzise, da er impliziert, dass es sich bei der Erstsprache um die Sprache der Mutter handelt. Nur sie ist demnach für den Erwerb der ersten Sprache von Bedeutung.

Aufgrund der Ungenauigkeit der Begriffe Herkunftssprache und Muttersprache werden in der vorliegenden Arbeit die Begriffe Erstsprache und Familiensprache verwenden. In direkten Zitaten aus der Literatur werden die Begriffe Herkunfts-sprache und MutterHerkunfts-sprache ggf. in Anführungszeichen gesetzt.

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Der Verlauf dieser Arbeit …

In den ersten beiden Kapiteln der vorliegenden Arbeit werden grund-legende Aspekte hinsichtlich der Zusammenarbeit von Schule und El-ternhaus thematisiert. Es wird der Frage nachgegangen, warum die Zusammenarbeit überhaupt von so großer Bedeutung ist, indem der familiäre Einfluss auf die kindliche Entwicklung verdeutlicht wird (Kapi-tel 1). Im zweiten Kapi(Kapi-tel wird daraufhin ein Blick in das Grundgesetzt geworfen und geschaut, inwieweit die Zusammenarbeit mit den Eltern verfassungsrechtlich geregelt ist.

Nachdem die Wichtigkeit der Zusammenarbeit herausgearbeitet und die juristische Sicht verdeutlicht wurde, soll es in den Kapiteln drei und vier um die konkrete Situation von den Eltern und Kindern mit Migrati-onshintergrund an deutschen Schulen gehen. Ein alleiniger Blick auf die Situation der Eltern ist nicht ausreichend, weshalb zunächst die Schulsituation der Kinder betrachtet wird (Kapitel 3). Vertiefend wird dabei auf die Bedeutung der deutschen Sprache für den Schulerfolg der Schüler mit Migrationshintergrund erläutert. Im vierten Kapitel wird die Situation der Migranteneltern in der Grundschule thematisiert. Über das Aufzeigen von Barrieren in der Zusammenarbeit zwischen den Lehrkräften und den Migranteneltern, sollen Erklärungen für die Zurückhaltung der Eltern mit Migrationshintergrund gefunden werden. Das fünfte Kapitel erläutert die Wichtigkeit der interkulturellen Öffnung einer Schule. Die Entwicklung eines interkulturellen Leitbildes stellt die Basis für eine gelingende Zusammenarbeit zwischen Schule und Migranteneltern dar. Mit Hilfe der „Albanischule“ in Göttingen wird die interkulturelle Öffnung einer Schule beispielhaft beschrieben.

Im sechsten Kapitel geht es um das A und O jeder Zusammenarbeit – nämlich um die gegenseitige Transparenz. Es ist sowohl für die Lehrer wichtig, Informationen von den Migranteneltern zu erhalten als auch im Gegenzug die Migranteneltern über schulische Belange zu infor-mieren und zu beraten. Ausführlich wird in diesem Kapitel thematisiert, welche Informationen über die Eltern mit Migrationshintergrund für die Lehrer von Bedeutung sein können und worin insbesondere für die Migranteneltern großer Informationsbedarf besteht. Auch das “Wie” spielt in diesem Kapitel eine wichtige Rolle, da gerade aufgrund von möglicherweise bestehenden Sprachschwierigkeiten mit Verständnis- und Kommunikationsproblemen zu rechnen ist.

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11 Das siebte Kapitel beschäftigt sich mit der Möglichkeit der Einbezie-hung der Migranteneltern in die Sprachförderung der Kinder. Wie oben schon erwähnt, wird dafür das Projekt „Rucksack in der Grundschule“ vorgestellt.

In einem abschließenden Fazit wird ein zusammenfassender Über-blick über die Ergebnisse dieser Arbeit gegeben.

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1

Der familiäre Einfluss auf die Entwicklung

des Kindes

Einleitend in das Thema der vorliegenden Arbeit soll zunächst eine Antwort auf die Frage gefunden werden, warum in der Grundschule eine Zusammenarbeit zwischen den Lehrkräften und den Eltern über-haupt von so großer Bedeutung ist. Während im Kindergarten noch viel Wert auf die Mitarbeit der Eltern gelegt wird, scheinen die Eltern in der Grundschule häufig in den Hintergrund zu geraten. ZIMMERMANN und Sprangler (2001: 461–479) erläutern in ihrem Aufsatz „Jenseits des Klassenzimmers“ den Einfluss der Familie auf Intelligenz, Motiva-tion, Emotion und Leistung des Kindes und betonen damit die Wich-tigkeit der Zusammenarbeit zwischen Schule und Elternhaus.

In Leistungssituationen sind nicht nur die intellektuellen Fähigkeiten und das Vorwissen von Schülern entscheidend. Darüber hinaus ist auch das Interesse, die Motivation und die Fähigkeit Emotionen zu regulieren, von wichtiger Bedeutung (vgl. ebd.: 461). Diese Faktoren repräsentieren jedoch keine statischen Fähigkeiten, sondern es han-delt sich um Fähigkeiten und Eigenschaften, die sich entwickeln. Schon frühzeitig wird diese Entwicklung durch familiäre Erfahrungen beeinflusst (vgl. ebd.). Die Familie hat deshalb einen großen Einfluss auf die Entwicklung von Intelligenz, Motivation und Emotionsregulati-on (vgl. ebd.). Frühe soziale Erfahrungen (z. B. Anregung durch Spiel-sachen, elterliches Annehmen, elterliches Engagement) scheinen hin-sichtlich der Schulleistungen und Motivation von großer Bedeutung zu sein (vgl. ebd.: 465). In einer Bochumer Längsschnittstudie zeigten sich in Bezug auf die Schulleistungen positive Zusammenhänge mit elterlicher Anregung und negative Zusammenhänge mit intensiver In-struktion und Kontrolle durch die Eltern (vgl. Trudewind/Wege 1998: 133f).

Eltern nehmen demnach einen wesentlichen Stellenwert hinsichtlich der Entwicklung und Leistungsfähigkeit ihrer Kinder ein. Das Augen-merk ausschließlich auf die Kinder in der Schule zu legen, ist somit nicht ausreichend. Eine Reihe von Studien verdeutlichen, dass die Mitwirkung der Eltern im Schulgeschehen als einer der

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Schlüsselfak-14

toren hinsichtlich der Leistungen der Schüler gesehen werden kann. Die Chancen, dass Kinder in der Schule gute Ergebnisse erzielen, scheinen umso größter, je vertrauter die Eltern mit dem Schulalltag ih-rer Kinder sind (vgl. Burk 2005: 259).Der Kontakt der Eltern zur Schu-le bzw. elterliche Teilnahme und Engagement bei Schulaktivitäten kann demnach indirekt die Einstellungen von Kindern zur Schule und zu Leistung beeinflussen (vgl. Zimmermann/Sprangler 2001: 471). Trotz dieses Wissens wird der Kontakt zwischen Eltern und Schulen in Deutschland nur unzureichend genutzt (vgl. ebd.).

In Anbetracht des starken Einflusses von Eltern auf die Entwicklung und die Leistungsfähigkeit ihrer Kinder, ist es somit wichtig, die Zu-sammenarbeit zwischen Schule und Elternhaus zu fördern. Dies gilt unabhängig davon, ob es sich um Eltern mit oder ohne Migrationshin-tergrund handelt. Seitens der Migranteneltern könnte jedoch ein be-sonderer Bedarf bestehen, Informationen über die Bedeutung des fa-miliären Einflusses zu erhalten. Familien mit Migrationshintergrund haben häufig ein anderes Konzept von Kindheit und orientieren sich an anderen Werten als deutsche Familien der Mehrheitsgesellschaft (vgl. Grimm/Guadatiello 2005: 166). Folglich entsteht ein anderes Bild von Familie und Erziehung. Über ihren starken Einfluss bzw. ihre Mög-lichkeiten hinsichtlich der Entwicklung ihres Kindes sind sich Migran-teneltern möglicherweise gar nicht bewusst. Hier erscheint es somit sinnvoll eine aktive Auseinandersetzung und Reflektion anzuregen, um auf diesem Weg für Aufklärung zu sorgen. In der Schule könnten gezielte thematische Elternabende angeboten werden, in denen die Bedeutung der frühkindlichen Entwicklung und der familiäre Einfluss auf diese, thematisiert werden (siehe Punkt 6.2.2).

Im Folgenden soll nun ein Blick auf die Zusammenarbeit von Schule und Elternhaus aus juristischer Sicht geworfen werden. Aus dem Grundgesetz sind Rechte und Pflichten sowohl für die Schule als auch für die Eltern ableitbar.

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2

Die Zusammenarbeit von Schule und

Elternhaus aus juristischer Sicht

Ein Blick in das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verrät, dass die Zusammenarbeit zwischen Schule und Elternhaus – wenn auch nur indirekt – verfassungsrechtlich geregelt ist. Basierend auf Art. 7 Abs. 1 GG5 und Art. 6 Abs. 2 GG6 ist es möglich, Aussagen über die rechtlichen Grundlagen der Zusammenarbeit von Schule und El-ternhaus zu machen. Art. 7 Abs. 1 GG äußert sich zum staatlichen Bil-dungsrecht. Hiernach steht das gesamte Schulwesen unter der Auf-sicht des Staates, was bedeutet, dass folglich die schulische Erzie-hung Sache des Staates ist (vgl. Achilles 2000: 28). Untrennbar mit Art. 7 Abs. 1 GG verbunden ist das elterliche Erziehungsrecht in Art. 6 Abs. 2 GG. Laut Bundesverfassungsgericht stehen sich dabei staatli-ches Bildungs- und elterlistaatli-ches Erziehungsrecht als gleichrangige Rechtspositionen gegenüber: „Der staatliche Erziehungsauftrag der Schule, von dem Art. 7 Abs. 1 GG ausgeht, ist in seinem Bereich dem elterlichen Erziehungsrecht nicht nach- sondern gleichgeordnet. Diese gemeinsame Erziehungsaufgabe von Eltern und Schule, welche die Bildung der Persönlichkeit des Kindes zum Ziel hat, lässt sich nicht in einzelne Komponenten zerlegen. Sie ist in einem sinnvoll aufeinander bezogenen Zusammenwirken zu erfüllen“ (BVerfGE 34, 165: 86–87). Nach dem Grundgesetz sind Schule und Elternhaus somit zur Zu-sammenarbeit verpflichtet. Gemeinsam tragen sie die Verantwortung für die Erziehung des Kindes.

Achilles (2000: 29) leitet aus den Grundlagen des Verfassungsrechts ein individuelles und ein kollektives Elternrecht ab. Das individuelle El-ternrecht umfasst vor allem ein Informations- und Beratungsrecht. Da den Eltern die Verantwortung für den Gesamtplan der Erziehung ob-liegt, haben sie das Recht, regelmäßig über wichtige Geschehnisse in der Schule informiert zu werden. „Das Informationsrecht umfasst

5 Art. 7 Abs. 1 GG: „Das gesamte Schulwesen steht unter der Aufsicht des Staates.“ 6 Art. 6 Abs. 2 GG: „Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der

Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.“

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mit allgemein eine Information über die Schule und Bildungsgänge, die Übergänge, die Abschlüsse und die Grundzüge des Unterrichts, der Unterrichtsinhalte und der Leistungsbewertung. Die Eltern sind in diesem Rahmen individuell über Lernentwicklung, Arbeits- und Sozial-verhalten und Leistungsbewertung einschließlich Versetzung und Kurseinstufung ihrer Kinder zu informieren und zu beraten“ (Achilles 2000: 30). Die Informationspflicht der Schule ist besonders in Bezug auf Migranteneltern zu betonen. Eltern mit Migrationshintergrund ver-fügen häufig über unzureichende Informationen über das deutsche Schulsystem. Die Schule steht jedoch in der Pflicht, alle Eltern über die Schule und den Werdegang ihres Kindes zu informieren. Die Schule ist somit herausgefordert, die Informationspflicht trotz mögli-cher Sprach- und Verstehensprobleme der Migranteneltern zu erfüllen (vgl. Burk 2005: 267).

Das kollektive Elternrecht ist eine Fortentwicklung des individuellen El-ternrechts und umfasst die Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte der Eltern z. B. in Form von Elternbeiräten. Im Gegensatz zum indivi-duellen Elternrecht ist das kollektive Elternrecht jedoch nicht aus dem Grundgesetz ableitbar, weshalb es die Aufgabe der einzelnen Bun-desländer ist, über den Umfang der Mitwirkungs- und Mitgestaltungs-rechte der Eltern zu entscheiden. Eine besondere Form des kollekti-ven Elternrechts ist z. B. die Mitarbeit in der Schulkonferenz. Lehrer, Schüler und Eltern sind in diesem Gremium vertreten und erörtern im gemeinsamen Gespräch Fragen und Probleme „ihrer“ Schule (vgl. Achilles 2000: 30f).

Es wird deutlich, dass die Zusammenarbeit mit Eltern nicht in das Be-lieben der einzelnen Schule gestellt werden kann, sondern aus ver-fassungsrechtlichen Gründen jede Schule betrifft (vgl. Burk 2005: 264). So können aus dem Verfassungsauftrag Rechte und Pflichten, aber auch vielfältige Möglichkeiten des Elternengagements abgeleitet werden (vgl. ebd.: 265). In allen Bundesländern gibt es inzwischen verschiedene Formen der Zusammenarbeit, durch die versucht wird, den Auftrag des Zusammenwirkens zwischen Schule und Elternhaus umzusetzen. Achilles (2000: 33) weist jedoch darauf hin, dass die Entwicklung in diesem Bereich noch lange nicht abgeschlossen ist. Nachdem nun einerseits verdeutlicht wurde, warum die Zusammenar-beit zwischen Schule und Elternhaus von so wichtiger Bedeutung ist

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17 und andererseits ein Blick auf die Regelung der Zusammenarbeit aus juristischer Sicht geworfen wurde, soll es jetzt um die konkrete Situati-on vSituati-on den Eltern und Kindern mit MigratiSituati-onshintergrund an deut-schen Schulen gehen. Genauso, wie es nicht ausreicht, das Augen-merk ausschließlich auf die Kinder in der Grundschule zu richten, kann die Situation der Eltern nicht unabhängig von der Situation der Kinder betrachtet werden. Aus diesem Grund wird zunächst die Schulsituation der Kinder erläutert, bevor zu den Eltern übergegangen wird. Vor dem Hintergrund der PISA-Ergebnisse7 wird dabei vertiefend

auf die Bedeutung der deutschen Sprache für den Schulerfolg der Schüler mit Migrationshintergrund eingegangen.

7 PISA steht für: Programme for International Student Assessment (vgl. Bau-mert/Eckhard: 2001).

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Kinder mit Migrationshintergrund in

der Grundschule

3.1 Zur Schulsituation in Deutschland

Die Anzahl von Kindern mit Migrationshintergrund nimmt in unserer Gesellschaft stetig zu. “Mehr als jeder fünfte Heranwachsende in Deutschland kommt aus einer Migrationsfamilie und es muss mit einer Steigerung dieses Anteils insbesondere in den großen Städten der Bundes Republik Deutschlands gerechnet werden” (Röhner (a) 2005: 7). Im Schuljahr 2005/2006 betrug nach Daten des Statistischen Bun-desamtes der Anteil ausländischer8 Schüler in Grundschulen 11,2

Prozent (vgl. Statistisches Bundesamt, Stand 05/07). Der Anteil von Schülern mit Migrationshintergrund liegt bei weitem höher, wobei die meisten Schüler jedoch nicht mehr über eigene

Migrationserfahrun-gen9 verfügen (vgl. Statistisches Bundesamt 2006: 78).

Durch die Schüler mit Migrationshintergrund werden deutsche Schu-len multikulturell. In der schulischen Praxis begegnen sich Schüler un-terschiedlichster kultureller Prägungen und im Unterricht ist eine gro-ße Vielfalt von Sprachen vorzufinden. Aus den Großstädten Hamburg und Essen liegen Untersuchungen vor, dass an Grundschulen eine Vielfalt von ca. 100 verschiedenen Sprachen besteht (vgl. Fürste-nau/Gogolin/Yagmur 2003: 47). Die Lerngruppen in deutschen Schu-len weisen somit eine große sprachliche und kulturelle Heterogenität auf, was für die Lehrer eine beachtliche Herausforderung darstellt.

8 Es handelt sich hier somit um diejenigen Schüler, die eine ausländische Staatsbür-gerschaft besitzen.

9 Der Begriff „Migrationserfahrung“ verdeutlicht die Unterscheidung zwischen Zuge-wanderten (mit eigener Migrationserfahrung) und nicht ZugeZuge-wanderten (ohne eige-ne Migrationserfahrungen). Die Tendenz in Deutschland geht in die Richtung, dass Migration vermehrt an denjenigen Personen mit Migrationshintergrund festzuma-chen sein wird, die über keine persönliche Migrationserfahrung mehr verfügen (z. B. die Kinder eingebürgerter ausländischer Eltern) (vgl. Statistisches Bundes-amt 2006: 76-79).

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Dass der größte Teil der Kinder mit Migrationshintergrund in Deutsch-land geboren oder aufgewachsen ist, wird auf politischer Ebene oft missverstanden. So wird davon ausgegangen, dass das so genannte Sprachproblem, das infolge von Migration nach Deutschland entstan-den ist, mit der Zeit “auswachsen” werde (vgl. Gogolin 2005: 14). Go-golin (2003(b): 23) betont jedoch, dass dies keineswegs der Fall sein wird. Zweisprachigkeit wachse nicht aus, sondern bleibe permanent als Bildungsvoraussetzung erhalten. Nachweislich besteht eine große Loyalität gegenüber den Familiensprachen und die Vitalität der Spra-chen ist hoch. Gogolin führt die Lebenskraft der FamilienspraSpra-chen von Zugewanderten auf viele dafür positive Begleiterscheinungen zurück. So sind die Sprachen in den hiesigen Medien präsent und sie werden durch die Verbreitung technischer Kommunikationsmittel sowie durch die erleichterten Möglichkeiten zur persönlichen Mobilität weiterhin in-tensiv gebraucht (vgl. Gogolin 2003 (b): 22).

Wir werden es somit auch in Zukunft mit einer großen Sprachenvielfalt an deutschen Schulen zu tun haben, da damit zu rechnen ist, dass Kinder mit Migrationshintergrund langfristig in Formen von Zwei- bzw.

Mehrsprachigkeit10 aufwachsen und leben werden (vgl. ebd.: 15).

3.2 Der monolinguale Habitus der deutschen Schule

Wie deutlich wurde, existiert in deutschen Schulen eine große multi-kulturelle und multilinguale Schülerschaft. Aufgrund der Ergebnisse der Pisa-Studie im Jahr 2000 sind die Schüler mit Migrationshin-tergrund ins Zentrum der Diskussionen gerückt. Die Pisa-Ergebnisse haben gezeigt, dass Kinder nichtdeutscher Herkunft im deutschen

10 Da Menschen mit Migrationshintergrund sowohl in ihrer Familiensprache als auch in der Sprache des Aufnahmelandes mit verschiedenen Varietäten, Registern und Stilen konfrontiert werden, ist der Begriff „Zweisprachigkeit“ unpräzise. Passender ist der Begriff „Mehrsprachigkeit“. Jede Sprache besteht aus vielen Sprachvarietä-ten, die alle ihren spezifischen Funktionsschwerpunkt haben. Je nach Kommunika-tionssituation werden unterschiedliche Varietäten erwartet bzw. als angemessen angesehen, d.h. nicht jede Varietät ist für jeden Zweck und Adressatenkreis geeig-net (vgl. Stölting 2005: 236-238). Gogolin (1988: 9f) hat in diesem Zusammenhang den Begriff „lebensweltliche Zweisprachigkeit“ eingeführt und bezieht sich damit auf die spezifischen Potentiale, welche die Schüler nach ihren lebensweltlichen und sprachlichen Erfahrungen in den Bildungsprozess einbringen. Dieser spezifi-sche Sprachbesitz wird gebraucht, um im Einwanderungsland dauerhaft gesell-schaftlich handlungsfähig zu sein.

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21 Schulsystem benachteiligt sind. Besonders die sprachlichen Schwie-rigkeiten werden als Grund für die Benachteiligung genannt. So wer-den Schüler mit Migrationshintergrund aufgrund von Sprachproblemen häufig an prestigeniedrigere Schulen verwiesen, was deutlich auf eine Chancenungleichheit im deutschen Bildungssystem hinweist. 43% der Schüler mit Migrationshintergrund besuchen eine Hauptschule. Dieser Prozentsatz ist deutlich höher als der, der Schüler, die am Unterricht einer Realschule (27%) oder eines Gymnasiums (20%) teilnehmen (vgl. Deutsches Pisa-Konsortium 2001: 373). Durch die Pisa-Ergeb-nisse wurde die weitreichende Bedeutung sprachlicher Fähigkeiten im Deutschen für den Bildungserfolg somit erneut unterstrichen (vgl. Go-golin 2003: 17). Bereits in den 1980er Jahren macht Klemm (1987: 18ff) auf die bestehende Chancenungleichheit an deutschen Schulen aufmerksam und spricht in diesem Zusammenhang von der Tendenz der Hierarchisierung11. Auernheimer (2003: 8) betont, dass das

Bil-dungssystem sich bisher offenbar nicht ausreichend auf die sprachli-chen Ausgangslagen der Schüler mit Migrationshintergrund eingestellt hat: “Wegen der starken Abhängigkeit des Schulerfolgs von Sozial-schicht und Sprachvermögen, die von der deutschen Schule bisher nicht gelockert wird, sind Migrationsjugendliche von der Ungleichheit der Bildungschancen besonders stark betroffen“ (ebd.). In Deutsch-land ist die deutsche Sprache der Schlüssel zum Bildungserfolg und somit weit mehr als ein reines Verständigungsmittel (vgl. Gogolin 2003(b): 22). Nur, wer die deutsche Sprache beherrscht, ist in der La-ge dem Unterricht zu folLa-gen und ein Kompetenzniveau zu erreichen, das die Teilhabe am gesellschaftlichen und wirtschaftlichen leben er-möglicht (vgl. Deutsches PISA Konsortium 2005: 33). Die häufige An-nahme von Einsprachigkeit als Normalität an deutschen Schulen be-zeichnet Gogolin (1994) als monolingualen Habitus.

Es ist nicht nur die Schule, die auf das Funktionieren in nur einer Sprache fixiert ist, sondern der monolinguale Habitus betrifft die

11 Gleichzeitig zur Tendenz der Hierarchisierung, besteht die Tendenz der

Normali-sierung, was bedeutet, dass sich die schulische Situation der Schüler mit

Migrati-onshintergrund generell in den letzten Jahren kontinuierlich verbessert hat. Den-noch hat sich zugleich die Tendenz der Hierachisierung herausgebildet, was durch eine Überrepräsentation von Schülern mit Migrationshintergrund an Haupt- und Sonderschulen sowie eine Unterrepräsentation an Realschulen und Gymnasien deutlich wird (vgl. Klemm 1987: 18-21).

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samte deutsche Gesellschaft. “Die vorherrschende Perspektive ist die von Monolingualität als dem gesetzten Normalfall, verknüpft mit der Überzeugung, dass das Leben in mehr als einer Sprache die mono-linguale Normalität womöglich gefährde […]” (Gogolin 2005: 2). Stöl-ting (2005: 235ff) macht insbesondere die Entwicklung des deutschen Schulwesens dafür verantwortlich, dass Mehrsprachigkeit als Abwei-chung von der Normalität aufgefasst wird. Über Jahrhunderte hinweg habe die Schule am Verlust von abweichenden Deutschformen mit-gewirkt und das Bewusstsein von den vielen Sprachen in der einen Sprache verdunkelt. Heutzutage überwiegt der Glaube, man funktio-niere einsprachig und somit grundsätzlich anders als Mehrsprachige (vgl. ebd.).

Lebensweltliche Zwei- bzw. Mehrsprachigkeit passt somit nicht in die normierte schulische und gesellschaftliche Sprachenordnung. Dem-entsprechend finden die Familiensprachen der Schüler mit Migrati-onshintergrund nur wenig Beachtung – wenn überhaupt. “Einsprachi-ge Re“Einsprachi-gelschulen sind primär für die Entwicklung und Leistungserbrin-gung in der Unterrichts- und Verkehrssprache verantwortlich und blei-ben gegenüber der Entwicklung anderer Herkunftssprachen zumin-dest indifferent” (Söhn 2005: 8). Zudem gab und gibt es Beispiele, in denen die Familiensprachen von Schülern mit Migrationshintergrund aktiv unterdrückt und ihr Gebrauch im schulischen Kontext verboten wird (vgl. ebd.: Fußnote 10). Es wird folglich von den Schülern mit Migrationshintergrund erwartet, dass sie ihre Familiensprache in der Schule aufgeben und sich an die herrschende Einsprachigkeit anpas-sen. Kinder und Jugendliche erfahren dadurch ihre Mehrsprachigkeit vor allem als problematische Deutschbeherrschung (vgl. Stölting 2005: 240), was dazu führen kann, dass sie ihre Mehrsprachigkeit als Belastung empfinden.

Oft wird von eingewanderten Familien erwartet, dass sie zu Hause mit ihren Kindern mehr oder überhaupt nur Deutsch sprechen (vgl. ebd.: 239). Sicherlich steht außer Frage, dass es aufgrund des bestehen-den monolingualen Habitus an deutschen Schulen wichtig ist, Kinder mit Migrationshintergrund im Erlernen der deutschen Sprache zu för-dern. Da viele Eltern jedoch selber keine guten Deutschkenntnisse besitzen ist es fraglich, ob den Kindern damit geholfen ist, wenn zu Hause mit ihnen Deutsch gesprochen wird. Schließlich ist es für Eltern

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23 leichter die Sprache zu vermitteln, die sie gut beherrschen und in der sie sich spontan emotional ausdrücken können (vgl. ebd.). Dennoch spielen Eltern bei der Sprachförderung ihrer Kinder eine wichtige Rol-le. Die Lehrer sind auf eine gute Kooperation mit den Eltern angewie-sen, da ihr Erfolg weitgehend von deren Unterstützung abhängt. In-wieweit das Kind motiviert ist, die deutsche Sprache zu lernen wird stark durch die Einstellung der Eltern gegenüber der deutschen Spra-che beeinflusst. Wird das Kind von den Eltern motiviert deutsch zu lernen, gehen sie selbst mit gutem Beispiel voran, besuchen sie einen Sprachkurs, sind sie selbst um die Verbesserung ihrer Sprachkompe-tenz bemüht usw. (vgl. Textor 2006a: 14). Später wird auf die Bedeu-tung der Eltern bei der Sprachförderung vertiefend eingegangen (Punkt 6.2.2 sowie Punkt 7).

3.3 Erstsprachenförderung – Hindernis oder Basis für den

Zweitspracherwerb und den Schulerfolg

Wie deutlich wurde, spielt das Beherrschen der deutschen Sprache in unserem Schulsystem eine entscheidende Rolle für den Schulerfolg. „Haben Schulanfängerinnen und Schulanfänger noch kein mutter-sprachliches Niveau im Deutschen erreicht, besteht ohne gezielte Förderung das Risiko, dass sich dieses anfängliche Defizit über die gesamte Schulkarriere hinweg negativ auswirkt“ (Söhn 2005: Aus-gangspunkt). Kinder mit Migrationshintergrund durchlaufen einen an-deren Prozess der Sprachaneignung als einsprachig aufwachsende Kinder. Ihnen fehlt meistens die intensive, kommunikative Interaktion im Deutschen mit kompetenten erwachsenen Sprechern (vgl. Guada-tiello 2005: 39). Dass eine Förderung der Deutschkenntnisse so früh wie möglich unabdingbar ist, liegt somit auf der Hand.

Uneinigkeit herrscht jedoch in Punkto Erstsprachenförderung bzw.

zweisprachiger Erziehung12. Zweisprachige Schulmodelle sind in

Deutschland nur wenig verbreitet. Gängiger ist der freiwillige mutter-sprachliche Ergänzungsunterricht. Da dieser jedoch nur mit wenigen

12 Zweisprachige bzw. bilinguale Erziehung beinhaltet eine Alphabetisierung sowohl in der Erstsprache der Schüler mit Migrationshintergrund als auch in der Landes-sprache. Auch der Fachunterricht wird in beiden Sprachen erteilt. Ein Leitziel zwei-sprachiger Schulmodelle ist die kompetente Zweisprachigkeit in Wort und Schrift (vgl. Söhn 2005: 8).

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Stunden pro Woche und mit unzureichenden Rahmenbedingungen angeboten wird, ist diese Form zweisprachiger Erziehung nicht zu vergleichen mit bilingualen Schulmodellen (vgl. Söhn 2005: 1). Zwei-sprachigkeit wurde lange Zeit als schädlich für die Entwicklung gese-hen und nur „hochbegabten“ Kindern zugebilligt. Man glaubte, dass Zweisprachigkeit zu schlechteren Schulleistungen und zu geringerer Intelligenz führe. Zudem mache die sprachliche Heimatlosigkeit see-lisch instabil (vgl. Niedersächsisches Ministerium für Frauen, Arbeit und Soziales 2002: 32). Die Auffassung, dass eine zweisprachige Er-ziehung positive Auswirkungen auf die soziale wie kognitive Entwick-lung haben könnte, begann sich erst Anfang der 1960er Jahre durch-zusetzen.

Politisch wie wissenschaftlich ist das Für und Wider zweisprachiger Erziehung umstritten. Sowohl den Kritikern als auch den Befürwortern zweisprachiger Unterrichtsmodelle geht es um die Verbesserung der schulischen Leistungen von Schülern mit Migrationshintergrund. Un-abhängig von ihrer Familiensprache sollen sie die gleichen Chancen haben, schulische Erfolge zu erreichen, wie ihre einsprachigen Mit-streiter. Einig sind sich beide Seiten auch hinsichtlich der Bedeutung der Verkehrssprache. So vertreten sie die Ansicht, dass der Bildungs-erfolg aller Schüler von der Beherrschung der Mehrheitssprache ab-hängig ist (vgl. Söhn 2005: 1). Es ist somit weitgehend unumstritten, dass der Erwerb von Deutschkenntnissen ein vorrangiges Ziel darstel-len muss (vgl. Stanat/Müller 2005: 23). Weniger Einigkeit besteht da-gegen in Bezug auf die Art und Weise, wie dieses Ziel am besten er-reicht werden kann. Hier konzentrieren sich die Diskussionen über Fördermaßnahmen für Schüler mit Migrationshintergrund vor allem auf die Frage, welche Bedeutung der Erstsprache für den Zweit-spracherwerb zukommt. Es ist umstritten, ob die Förderung der Erst-sprache (L1) förderlich oder hinderlich für den Erwerb der Zweitspra-che (L2) und dadurch für den gesamten Schulerfolg ist. Die beiden Hauptargumente in der Diskussion sollen im Folgenden dargestellt werden.

3.3.1 Pro: Die Interdependenzhypothese nach Cummins

Das wichtigste Argument zugunsten einer zweisprachigen Erziehung kommt aus der Sprachwissenschaft und wurde 1978 von JIM

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25 CUMMINS13 aufgestellt. Mit seiner Interdependenzhypothese, auch

Transferhypothese genannt, versucht er die förderliche Wirkung hoher

Kompetenzen in der Erstsprache auf den Zweitspracherwerb zu ver-deutlichen. Laut Cummins (1982: 39) sind kognitive und linguistische Fähigkeiten verallgemeinerbar und lassen sich von der einen Sprache auf die andere transferieren. Entscheidend dabei ist, wie weit das kognitive Niveau in der L1 zu dem Zeitpunkt entwickelt ist, an dem das Kind intensiv mit der L2 konfrontiert wird (z. B. zum Zeitpunkt des Schulbeginns). “Das vorausgegangene hohe Niveau der Entwicklung in der L1 ermöglicht die Entwicklung ähnlicher Kompetenzen in der L2“ (ebd.: 39). Wenn somit die kognitiven und linguistischen Kompe-tenzen in der L1 schon fortgeschritten sind, können sie auf die L2 übertragen werden, was das Erlernen der L2 erleichtert. Für diejeni-gen Kinder hingediejeni-gen, deren Fähigkeiten in der L1 nicht so gut ent-wickelt sind, wird ein intensiver Kontakt mit der L2 in den ersten Schuljahren die Weiterentwicklung der L1 hindern. Dies wiederum be-einträchtigt die Entwicklung der L2 (vgl. ebd.).

Die Hypothesen von Cummins (1982) bewirkten in der bildungspoliti-schen Diskussion ein Umdenken. Es entstanden Ansätze und Model-le, die sich zum Ziel setzten, die Familiensprachen der Kinder in die Bildungsinstitutionen mit einzubeziehen und zu fördern (vgl. Jampert 2002: 82). Weitgehend wurde die Interdependenzhypothese so aus-gelegt, dass die Spracherziehung von Kindern mit Migrationshin-tergrund konsekutiv erfolgen sollte – d.h. die Erstsprache zu stabilisie-ren bevor der Erwerb einer Zweitsprache einsetzt (vgl. Rösch 2001: 28f). Diese Auslegung wird durch den Verweis auf die Gefahr einer

doppelten Halbsprachigkeit14 gestützt. Eine Missachtung dieser

Spra-chenfolge hätte zur Folge, dass keine der beiden Sprachen altersent-sprechend ausgebildet wird (vgl. ebd.). Rösch macht jedoch auch auf

13 Cummins beruft sich mit seinen Thesen u. a. auf die Arbeiten von Skutnabb-Kangas (1981), die das Sprachniveau von finnischen Migrantenkindern in Schwe-den in ihrer Erstsprache und in der schwedischen Sprache untersuchte (vgl. Jam-pert 2002: 81f).

14 Der Begriff „doppelte Halbsprachigkeit“ auch „Semilingualismus“ genannt, bedeu-tet, dass sowohl in der Erstsprache als auch in der Zweitsprache nur eine niedrige Kompetenz erreicht wird. Des Weiteren gibt es den „dominanten Bilingualismus“ (wenn nur eine der beiden Sprachen muttersprachlich beherrscht wird) und den „additiven Bilingualismus“ (wenn hohe altersgemäße Kompetenzen in L1 und L2 erreicht und beibehalten werden) (vgl. Söhn 2005: 7).

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26

die Entwicklung von der konsekutiven zur koordinierten Auslegung der Interdependenzhypothese aufmerksam (vgl. Rösch 2001: 28f). Das Prinzip der Koordination beider Sprachen bedeutet, dass die Kinder beide Sprachen nebeneinander durch eine personen- und situations-gebundene Sprachtrennung erwerben (vgl. ebd.). Hinsichtlich einer Untersuchung zur zweisprachigen Erziehung in Berlin im Elementar- und Primarbereich hat sich die koordinierte Förderung beider Spra-chen bewährt (vgl. ebd.: 41).

Basierend auf der Interdependenzhypothese, sprechen sich somit Be-fürworter zweisprachiger Erziehung für bilinguale Schulmodelle bzw. für Unterricht in der Erstsprache aus. Die Förderung der Erstsprache ist ihrer Ansicht nach gerechtfertigt, da aufgrund des stattfindenden Transfers von L1 auf L2 der Erwerb der Zweitsprache erleichtert wird und gute Kenntnisse in der Zweitsprache wiederum die Chancen auf einen möglichen Schulerfolg erhöhen.

3.3.2 Contra: Der Faktor „Zeit“

Die Gegner bilingualer Schulmodelle sind der Meinung, dass eine Förderung der Erstsprache negative Auswirkungen auf den Zweit-spracherwerb und somit auf den gesamten Schulerfolg hat. Das Hauptargument gegen bilinguale Erziehung bezieht sich auf den Fak-tor Zeit. Die Lernleistungen sind von der Lernzeit abhängig, die ein Schüler aktiv mit der jeweiligen Sache verbringt (time on task15) und

dies ist der entscheidende Faktor für Lernerfolg. Demnach ist der Un-terricht in der Erstsprache, der erhebliche zusätzliche Lernzeit in An-spruch nimmt, nur auf Kosten des Erlernens der Landessprache

15 Der Aspekt der aktiven Lernzeit hat seinen Ursprung im „Modell schulischen Ler-nens“ von J.B. Carroll (1963). Carroll nennt eine Reihe von Faktoren, mit denen Lernerfolg vorhergesagt oder erklärt werden kann. Die Variablen des Modells sind: 1. die zugestandene Lernzeit (Lerngelegenheit); 2. die Zeit, die ein Schüler bereit ist, mit dem Lernen einer Aufgabe aktiv zu verbringen (timke on task); 3. die benö-tigte Lernzeit für eine spezielle Aufgabe unter optimalen Bedingungen (Begabung); 4. die Qualität des Unterrichts; und 5. die Fähigkeit, dem Unterricht zu folgen (Mi-schung von allgemeiner und verbaler Intelligenz). Die Variable time on task hat sich für die Vorhersage von Lernerfolg als besonders effektiv erwiesen. Außerdem kann die aktive Lernzeit, sowie auch die zur Verfügung gestellte Lernzeit und die Qualität des Unterrichts, von außen stärker beeinflusst werden als die anderen Va-riablen des Modells und ist deshalb für die Planungen zur Unterrichtsgestaltung besonders interessant (vgl. Carroll 1973: 244).

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27 lich (vgl. Hopf 2005: 242). Studien verweisen auf eine Lerndauer von bis zu 10 Jahren, bis Schüler mit Migrationshintergrund einen Sprach-stand erreicht haben, welcher mit dem ihrer deutschsprachigen Mit-schüler vergleichbar ist (vgl. ebd.: 243). Vor diesem Hintergrund der erheblichen Lernzeit sollte anstelle einer Erstsprachenförderung mehr Zeit für die Förderung der Zweitsprache zur Verfügung stehen: “Wenn die Lernerfolge der Schüler[innen und Schüler] mit Migrationshin-tergrund in den Schulfächern und, damit in engem Zusammenhang stehend, in der Verkehrssprache verbessert und nach Möglichkeit auf das Niveau der Schüler[innen und Schüler] ohne Migrationshin-tergrund angehoben werden sollen, muss die verfügbare und die akti-ve Lernzeit vor allem für die Verkehrssprache in erheblichem Umfang vermehrt werden” (ebd.: 245).

Die Gegner bilingualer Schulmodelle plädieren somit für eine Intensi-vierung des Zweitsprachenunterrichts anstelle des Unterrichts in der Erstsprache. Unterricht in der Erstsprache wirkt sich aufgrund der zu-sätzlichen Lernzeit negativ auf den Zweitspracherwerb aus und ver-bessert somit nicht den Schulerfolg der Schüler mit Migrationshin-tergrund. Aus dieser Perspektive betrachtet, gibt es für die Gegner bi-lingualer Schulmodelle keinen Grund, den Erwerb der Erstsprache zu fördern.

3.3.3 Der aktuelle Stand der Diskussionen

Die im Jahr 2005 durchgeführte Studie zum Thema “Zweisprachiger Schulunterricht für Migrantenkinder” von JANINA SÖHN hat ergeben, dass bilinguale Schulmodelle bzw. Unterricht in der Erstsprache weder positive noch negative Auswirkungen auf die L2-Kompetenz und die Schulleistungen der Schüler mit Migrationshintergrund haben. Unter-richt in der Erstsprache stellt somit weder ein Hindernis für den Zweit-spracherwerb dar, noch ist er dazu in der Lage, den Zweitspracher-werb zu erleichtern. Die beiden Hauptargumente in der Diskussion um die Bedeutung der Erstsprachenförderung hinsichtlich des Zweit-spracherwerbs und des Schulerfolgs können somit beide nicht bestä-tigt werden (vgl. Söhn 2005: 64).

Auch wenn es nun so scheint, als habe die Erstsprachenförderung praktisch keinen Nutzen, gibt es dennoch Argumente, die für eine Förderung der Erstsprache sprechen. So besteht die eigentliche

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Leis-28

tung von Modellen zweisprachiger Erziehung darin, dass Kinder zu-sätzlich in ihrer Familiensprache lesen und schreiben lernen. Eine Al-phabetisierung in der L1 bedeutet eine Zusatzkompetenz von hohem Wert. Mehrsprachige Schüler in einsprachigen Regelschulen erwer-ben diese zweisprachige Kompetenz nicht (vgl. ebd.: 65). Des Weite-ren spielt die emotionale Bedeutung der Familiensprache eine wichti-ge Rolle. Unterricht in der Erstsprache “unterstützt den Erhalt der Erst-sprache, die seit der frühen Kindheit für die emotionalen Bindungen in der Familie prägend war und weiterhin für die Kommunikation inner-halb von Zuwandererfamilien bedeutend bleibt“ (ebd.: 10). In ihrer Familiensprache erwerben Kinder Identität, was ihre Persönlichkeits-entwicklung unterstützt. Das Kind lernt mit Hilfe der Erstsprache sei-nen Gefühlen, Bedürfnissen und Interessen eisei-nen sprachlichen Aus-druck zu verleihen, wodurch die Erstsprache ein Teil seiner Selbst wird (vgl. Niedersächsisches Ministerium für Frauen, Arbeit und Sozia-les 2002: 38). Für eine ungestörte Identitäts- und Persönlichkeitsent-wicklung scheint die Erstsprache also absolut notwendig zu sein (vgl. Röhner (b) 2005: 65). In diesem Zusammenhang spielt ebenso der Aspekt der Wertschätzung eine wichtige Rolle. Das Kind erfährt über die Sprache, die ihm in der Familie begegnet, Anerkennung und Wert-schätzung. Wie zuvor schon deutlich geworden ist, führt der monolin-guale Habitus in deutschen Schulen eher dazu, dass Kinder mit Migrationshintergrund ihre Mehrsprachigkeit als Belastung empfinden (siehe Punkt 2.2). Würden die Kinder in der Schule jedoch erfahren, dass ihre Familiensprachen auch hier von Bedeutung sind, kann diese Anerkennung positive Auswirkungen auf ihre Selbstbildentwicklung haben (vgl. Söhn 2005: 11).

Studien haben zwar gezeigt, dass eine Förderung der Erstsprache keine Auswirkungen aufden Zweitspracherwerb hat, aber wie deutlich wurde, gibt es dennoch wichtige Argumente, die für eine zweisprachi-ge Erziehung sprechen und den Wert der Erstsprachenförderung be-tonen. Bis heute fehlt es jedoch sowohl im Bereich der Zweitsprachen-förderung als auch im Bereich der Förderung der Erstsprachen an überzeugenden und zukunftsweisenden Konzepten (vgl. Siebert-Ott 2003: 164). Die Eltern der Kinder mit Migrationshintergrund können jedoch genau in diesem Bereich eine zentrale Rolle übernehmen. Ins-besondere Kindertagesstätten haben diesen Ansatz bereits erkannt und beziehen die Eltern vermehrt in die Erstsprachförderung ein – in

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29 Grundschulen ist dies weniger der Fall. Mit Hilfe des Projekts „Ruck-sack in der Grundschule“ wird im späteren Verlauf der Arbeit ein Sprachförderprogramm beschrieben, bei dem sowohl die Kinder als auch die Eltern mit Migrationshintergrund von Bedeutung sind (siehe Punkt 7).

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4

Eltern mit Migrationshintergrund in

der Grundschule

4.1 Barrieren der Zusammenarbeit zwischen Schule

und Elternhaus

Lehrer beobachten eine Passivität und Zurückhaltung von Seiten der Migranteneltern, die sich vor allem durch die nur sporadische Teil-nahme an Elternabenden und anderen Schulveranstaltungen zeigt. Auch das Interesse der Eltern am Schulgeschehen scheint sich in Grenzen zu halten. Burk (2005: 260) führt die Zurückhaltung und Dis-tanz der Migranteneltern zum Einen auf sprachliche und kulturelle Barrieren zurück, zum Anderen auf das Empfinden der Eltern, in schu-lischen Belangen wenig kompetent zu sein. Eltern berichten zudem von dem Gefühl, nicht willkommen zu sein (vgl. ebd.).

Die zentralen Barrieren zwischen Schule und Migranteneltern sollen im Folgenden dargestellt werden, um auf diesem Weg die Situation von Migranteneltern an deutschen Schulen zu verdeutlichen. Hierbei ist zu bemerken, dass die Barrieren bei der Zusammenarbeit mit El-tern nicht allein MigrantenelEl-tern betreffen. „Das Verhältnis zwischen Elternhaus und Schule ist traditionell spannungsreich“16 (ebd.: 259).

Durch die sprachlichen und kulturellen Schwierigkeiten ist lediglich

16 Für die bestehende Distanz zwischen Schule und Elternhaus liegen die Wurzeln im 18. und 19. Jahrhundert. Im 18. Jahrhundert bildete sich neben dem elterlichen ein staatlicher Erziehungsauftrag heraus. Die allgemeine Schulpflicht wurde eingeführt, wodurch alle Eltern aufgefordert waren, ihr Kind zur Schule zu schicken, unabhän-gig davon ob sie auf ihr Kind als Arbeitskraft angewiesen waren oder nicht. Es herrschte Unverständnis unter den Eltern, gegen den Staat waren sie jedoch machtlos. „Der Staat hatte die Kontrolle im Unterricht, die Eltern das Monopol in der Erziehung ihrer Kinder“ (Kuhle 2000: 19). Diese strikte Trennung von Unterricht und Erziehung führte zur Entfremdung zwischen Elternhaus und Schule. Rechtli-che Möglichkeiten zur Mitwirkung im Schulalltag gab es für die Eltern nicht. Erst 1919 wurde in der Weimarer Reichsverfassung die rechtliche Grundlage der Mit-bestimmung in der Schule geschaffen (vgl. ebd.). Schon hier waren sich die Eltern untereinander jedoch oft uneinig und hatten unterschiedliche Erwartungen an die Schule. Bereits damals zeigten sich somit Ansätze der noch heute bestehenden heterogenen elterlichen Erwartungen (vgl. ebd.: 20).

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32

eine weitere Dimension zu den schon bestehenden Problemen hinzu-gekommen (vgl. ebd.: 260).

Allgemein ist darauf hinzuweisen, dass alle Migranteneltern einen un-terschiedlichen Migrationshintergrund haben, weshalb auch ihr Ver-halten in der Schule sehr vielfältig sein kann. So wird beispielsweise in der Göttinger Untersuchung zur schulischen Situation zugewanderter Kinder und Jugendlicher, auf die im Verlauf dieses Punktes des Öfte-ren Bezug genommen wird, häufig zwischen den ausländischen Fami-lien und AussiedlerfamiFami-lien einerseits und der ersten und den nachfol-genden Generationen der Arbeitsmigranten andererseits unterschie-den. Wenn auch in dieser Arbeit meist allgemein von Migranteneltern bzw. von Eltern mit Migrationshintergrund die Rede ist, sollten den-noch mögliche Unterschiede und Differenzen bewusst bleiben.

4.1.1 Die Monokulturalität der deutschen Schule

Die bestehende Monokulturalität in deutschen Schulen, die den Schul-alltag für Schüler mit Migrationshintergrund erschwert, stellt ebenso für die Eltern dieser Schüler eine ernstzunehmende Schwierigkeit dar. Die Herkunft und Mehrsprachigkeit der Kinder als auch der Eltern fin-den in deutschen Schulen keine große Beachtung, was von Seiten der Eltern mit Migrationshintergrund oft als Desinteresse und Unverständ-nis für ihre Lebenssituation verstanden wird (vgl. ebd.). Die Monokul-turalität der deutschen Schule gilt als eine der zentralen Barrieren bei der Zusammenarbeit von Schule und Migranteneltern. „Die deutsche Schule erwartet auch heute meist noch ein Kind, das aus einem voll-ständigen Elternhaus kommt, Hausaufgabenhilfe und förderliche Zu-wendung am Nachmittag durch die Familie erfährt, dessen „Mutter-sprache“ und Staatsangehörigkeit deutsch und dessen Religion christ-lich ist“ (ebd.: 263). Selbst von einheimischen Familien ohne Migrati-onshintergrund werden diese Erwartungen immer weniger erfüllt, was deutlich macht, dass die Homogenität, wie sie sich die Schule in Be-zug auf die Kinder und auf die Elternschaft wünscht, in der Realität nicht vorliegt. Ganz im Gegenteil ist die sprachliche, nationale, ethni-sche und kulturelle Heterogenität inzwiethni-schen ein Normalfall in deut-schen Schulen und es ist an der Zeit, Wege zu finden, mit dieser He-terogenität umzugehen. Solange Homogenität das angestrebte Ziel der Schule ist, ist eine Zusammenarbeit mit Migranteneltern nahezu

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33 unmöglich. Es ist erforderlich, dass sich die Schule interkulturell öff-net, wenn eine Zusammenarbeit funktionieren soll. Bereits mehrspra-chige Begrüßungsschilder im Eingangsbereich der Schule können den Migranteneltern das Gefühl vermitteln, willkommen zu sein (siehe auch Punkt 5).

4.1.2 Vorurteile und stereotype Vorstellungen

Verstärkt wird das Problem der Zusammenarbeit durch Vorurteile und stereotype Vorstellungen über die familiäre Situation von Personen mit Migrationshintergrund. So wird oft mit der Zugehörigkeit zur unteren Sozialschicht, was bei Familien mit Migrationshintergrund fast aus-schließlich der Fall ist, ein niedriges Bildungsniveau in Verbindung gebracht. Geprägt von dieser Vorstellung begegnen Lehrer den Kin-dern wie auch den Eltern mit einer niedrigen Erwartungshaltung. Es wird von bildungsfernen Elternhäusern nicht erwartet, dass sie sich mit dem deutschen Schulsystem auskennen oder an der Mitwirkung im Schulgeschehen interessiert sind. Diese Einstellung führt indirekt zu einer generellen Hinnahme des unbefriedigenden Ist-Zustandes hinsichtlich der Zusammenarbeit mit den Migranteneltern (vgl. Pro-jektverbund „Migration und Schule“ 1999: 81).

Lehrer werden oft nur unzureichend über die Lebenswelt und Hinter-gründe von Migration informiert bzw. sie informieren sich selbst nicht genügend. Inhalte, wie die Kontaktaufnahme und Kommunikation mit den Migranteneltern werden nur wenig thematisiert. Generell verfügen Lehrer nur über geringe Informationen in Bezug auf die Familien mit Migrationshintergrund in Deutschland (vgl. Burk 2005: 260). In der Regel fällt es einer hiesigen Lehrerin/einem hiesigen Lehrer leicht, z. B. die Lebenssituation einer deutschen Mittelschichtsfamilie ohne Migrationshintergrund nachzuvollziehen. Sich jedoch in die Situation einer Familie hineinzuversetzen, deren Lebenswelten der Lehrkraft nicht vertraut sind und deren Verhaltensweisen fremd erscheinen, ist wesentlich schwieriger (vgl. Böhm 2001: 18). Umgekehrt ist es für die Migranteneltern ebenso schwer, das deutsche Schulsystem zu ver-stehen, da in ihrem Herkunftsland möglicherweise ein ganz anderes Verständnis von Schule besteht, mit dem auch eine spezifische Rol-lenverteilung verbunden sein könnte. So wird in der Untersuchung zur schulischen Situation von zugewanderten Kindern und Jugendlichen

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34

in Göttingen deutlich, dass die Integration der Eltern in das Schulge-schehen in vielen anderen Ländern nicht bekannt ist und die Eltern auf das, was in der Schule passiert, keinen Einfluss haben (vgl. Pro-jektverbund „Migration und Schule“ 1999: 82).

Aufgrund der gegenseitigen Unwissenheit hinsichtlich der Kultur und Schulstruktur sowie der mangelnden Transparenz hinsichtlich der Er-wartungen an die Eltern bzw. an die Schule werden Vorurteile und ste-reotype Vorstellungen auf beiden Seiten verstärkt. Es ist verständlich, dass es bei der Kommunikation zwischen dem Lehrer und den Eltern aufgrund von möglichen diskrepanten Lebensweisen schnell zu Un-verständnis und MissUn-verständnissen kommen kann. In Fortbildungen für die Lehrer wird zudem oft ein statischer Kulturbegriff17 vermittelt,

wodurch Sitten und Gebräuche der Familien mit Migrationshintergrund als unveränderbar angesehen werden (vgl. Burk 2005: 260). Auch in-nerhalb einer Kultur oder Gruppierung unterscheiden sich jedoch die Familien, weshalb die gemachten Erfahrungen mit einer Familie nicht auf andere Familien desselben Landes übertragbar sind. Kulturen sind vielschichtig und dementsprechend gilt es Stereotype zu vermei-den (vgl. Textor 2006a: 14). Es ist somit absolut notwendig, mehr über die kulturellen Hintergründe der Eltern in Erfahrung zu bringen, um auf diesem Weg mehr Verständnis für die individuelle Lebenssituation ei-ner Migrantenfamilie zu bekommen und eventuell vorhandene Vorur-teile und Stereotype zu revidieren (siehe auch Punkt 6.1).

4.1.3 Sprachschwierigkeiten

Wie ihre Kinder verfügen auch die Eltern oft nur über mangelnde Deutschkenntnisse, was die Zusammenarbeit zwischen Schule und Migranteneltern zu einer besonderen Herausforderung macht. Zuge-wanderte Eltern verfügen über unterschiedliche Sprachstände im

17 Der statische Kulturbegriff versteht Kulturen als einheitliche und unveränderbare Größen. Menschen sind entsprechend ihrer Kultur in ihrem Denken und Handeln völlig festgelegt und weisen bestimmte Eigenschaften und Fähigkeiten auf (vgl. Leiprecht 2004: 15). Dem gegenüber steht der dynamische Kulturbegriff. Hier sind Kulturen „als für Veränderung, Anpassung und Überlagerung offene Systeme zu betrachten“ (ebd.) Hervorzuheben ist ihre Unabgeschlossenheit und Prozesshaf-tigkeit (vgl. ebd.). Zudem wird davon ausgegangen, dass „die Grenzen der beson-deren Lebensweisen einer Gruppe oder einer Gesellschaft keineswegs eindeutig, sondern eher diffus sind“ (ebd.).

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35 Deutschen, was sich auf den Kontakt, die Kommunikation und die Mitwirkung im Schulgeschehen auswirkt (vgl. Schlösser 2004: 33). In der Göttinger Untersuchung zur schulischen Situation zugewanderter Kinder und Jugendlicher werden die unzureichenden Deutschkennt-nisse als die größte Hürde bei der Zusammenarbeit mit den Migrante-neltern dargestellt. Aufgrund der Sprachbarriere kommen notwendige Beratungsgespräche oft erst gar nicht zustande und sie sind häufig der Grund für das totale Fernbleiben der nichtdeutschen Eltern vom Schulgeschehen (vgl. Projektverbund „Migration und Schule“ 1999: 80). Genauso können jedoch auch Lehrer ein ähnliches Unbehagen verspüren und deshalb ebenfalls Gesprächssituationen aus dem Weg gehen (vgl. Böhm 2001: 20). Schwellenängste können somit sowohl auf Seiten der Migranteneltern als auch auf Seiten der Lehrer vorhan-den sein und sind unter anderem auf mangelnde Sprachkenntnisse zurückzuführen. Dolmetscher werden lediglich sporadisch herangezo-gen. Stattdessen findet der Kontakt zur Schule häufig über die Kinder der Eltern statt, die dann als Dolmetscher fungieren (vgl. Projektver-bund „Migration und Sprache“ 1999: 89). Besonders bei Migrantenel-tern mit großen Sprachproblemen, wie es bei Flüchtlingsfamilien der Fall sein kann, ist eine starke Passivität und Zurückhaltung beobacht-bar, obwohl sie an sich ein großes Interesse am schulischen Erfolg ih-rer Kinder haben. In der Untersuchung zur schulischen Situation von Kindern und Jugendlichen in Göttingen wird zwischen Flüchtlingen, Aussiedlern und Arbeitsmigranten unterschieden. Die letzteren haben laut dieser Untersuchung geringere Verständigungsprobleme, wo-durch ein direkter Kontakt zu den Lehrern möglich ist. Zudem sind sie aktiver am Schulgeschehen beteiligt, was auf die besseren Kommuni-kationsmöglichkeiten zurückgeführt wird (vgl. ebd.: 93). Dennoch ist die Sprachbarriere eines der größten Probleme bei der Zusammenar-beit von Schule und Eltern mit Migrationshintergrund. Die Schule ist demzufolge gefordert einen Weg zu finden, mit der Mehrsprachigkeit der Migranteneltern umzugehen (siehe auch Punkt 6.2).

4.1.4 Unzureichende Informationsvermittlung

„Gerade für Migranteneltern – aber nicht nur für diese – ist es oft schwierig, das deutsche Schulsystem zu erfassen“ (vgl. Amt für multi-kulturelle Angelegenheiten 2003: 23). Wie bereits erwähnt, besteht in den Köpfen vieler Migranteneltern ein anderweitiges Verständnis von

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Schule, was die Zurückhaltung am Schulgeschehen erklären kann (siehe Punkt 3.1) (vgl. Projektverbund „Migration und Schule“ 1999: 82). Bildung und schulische Erziehung wird in einigen Herkunftslän-dern ausschließlich als eine Aufgabe der Schule verstanden und die Institution Schule als ein Organ des Staates lässt häufig weder Einmi-schung noch Beeinflussung zu (vgl. ebd.: 86). Diese andere Prägung von Schule kann durchaus das Verhalten der Migranteneltern in schu-lischen Angelegenheiten beeinflussen. Durch mangelndes Wissen darüber, wie die Institution Schule in Deutschland funktioniert und welches pädagogische Leitbild an der jeweiligen Schule herrscht, be-finden sich Migranteneltern in einer Position, die es ihnen kaum er-möglicht, aktiv zu werden. Ebenso fehlt es häufig an grundlegenden Informationen über die Mitwirkungsmöglichkeiten der Eltern an Schu-len, womit Burk (2005: 260) die Unterrepräsentanz der Eltern mit Migrationshintergrund in den schulischen Gremien erklärt. Die Schwierigkeiten bei der Verständigung zwischen den Lehrern und den Migranteneltern erschweren zudem eine gute Aufklärung über das deutsche Bildungssystem und die Mitwirkungsmöglichkeiten zu ge-währleisten. Tendenziell herrscht sehr viel Unwissenheit über das deutsche Schul- und Bildungswesen. Notwendig ist somit eine Inten-sivierung der Informations- und Aufklärungsarbeit über die Institution Schule sowie über die Rechte und Handlungsmöglichkeiten der Eltern (vgl. Projektverbund „Migration und Schule“ 1999: 83). Wird bei Infor-mationsveranstaltungen keine Rücksicht auf die Sprach- und Verste-hensprobleme von Eltern genommen, erfüllt die Schule nur bedingt ih-re Informationspflicht (siehe Kapitel 2). Später wird vertiefend erläu-tert, welche Themen insbesondere für Eltern mit Migrationshin-tergrund interessant sein dürften und welche Möglichkeiten der Einbe-ziehung bestehen (siehe Punkt 6.2).

4.2 Ergebnis: Zurückhaltung aufgrund von Desinteresse?

Es ist deutlich geworden, dass es durchaus mögliche Erklärungen für die Zurückhaltung und Distanz von Migranteneltern an deutschen Schulen gibt. Familien mit Migrationshintergrund befinden sich gene-rell in einer schwierigen Position, da die Institution Schule primär auf die Unterrichtung deutscher Kinder der Mehrheitsgesellschaft ausge-richtet ist und sie vielfach mit kulturellen und sprachlichen Problemen

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37 zu kämpfen haben. Zudem ist vielen Migranteneltern das deutsche Schulsystem fremd und es mangelt an Informations- und Aufklärungs-arbeit. Zusätzlich erschweren Vorurteile und stereotype Vorstellungen, in den Köpfen der Lehrer über die Lebensweise von Migrantenfami-lien, die Zusammenarbeit.

Die Situation der Eltern mit Migrationshintergrund an deutschen Schu-len zeigt, dass ihre Zurückhaltung nicht ein prinzipielles Desinteresse bedeuten muss, sondern auch auf Unsicherheiten in Bezug auf das deutsche Schulwesen zurückgeführt werden kann. Interessant ist die Feststellung, dass trotz der Zurückhaltung der Migranteneltern grund-sätzlich keine kulturellen Unterschiede hinsichtlich der Bildungserwar-tungen bestehen. Sowohl deutsche als auch zugewanderte Eltern tei-len die Wünsche und Hoffnungen in Bezug auf die Bildungschancen ihrer Kinder (vgl. Schlösser 2004: 27f). Zu diesem Ergebnis kommt auch die Göttinger Untersuchung zur schulischen Situation zugewan-derter Kinder und Jugendlicher. So besteht ein großes Interesse der Migranteneltern an der schulischen Laufbahn ihrer Kinder (vgl. Pro-jektverbund „Migration und Schule“ 1999: 79f).

Ein Schritt zur Verbesserung der Zusammenarbeit kann bereits darin bestehen, den Migranteneltern mit Interesse und Wertschätzung ge-genüber ihrer Lebensweise zu begegnen. Eine Atmosphäre zu schaf-fen, in der sich die Eltern mit Migrationshintergrund sicher fühlen, kann dabei behilflich sein, ihre Bereitschaft zur Mitarbeit zu stärken (vgl. Böhm 2001: 20). Wie kann jedoch eine solche Atmosphäre in der Schule entstehen? Das folgende Kapitel beschäftigt sich vertiefend mit dieser Frage.

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5

Die interkulturelle Öffnung einer Schule

5.1 Die Entwicklung eines Leitbildes

Um die Zusammenarbeit zwischen Schule und Migranteneltern zu verbessern, ist es notwendig, ein Leitbild zu entwickeln auf dessen Grundlage und Orientierung die Schule interkulturell geöffnet werden kann. Eine interkulturelle Öffnung der Schule, bzw. das Erstellen eines Leitbildes, stellt die Basis für eine erfolgreiche Zusammenarbeit dar. Um ein solches Leitbild erstellen zu können, bedarf es zunächst der Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen pädagogischen Leit-vorstellungen für Unterricht und Erziehung hinsichtlich ethno-kultureller Differenzen. Fragen bezüglich der Inhalte von

Ausländer-pädagogik, Interkultureller Pädagogik und deren Kritik sind in diesem

Zusammenhang von entscheidender Bedeutung.

5.1.1 Inhalte der Ausländerpädagogik

Die schulpädagogische Auseinandersetzung mit den Kindern und Ju-gendlichen mit Migrationshintergrund beginnt erst in den 1970er Jah-ren. Durch die deutlich angestiegene Zahl der „Ausländerkinder“ an deutschen Schulen im Zuge der Arbeitsmigration entsteht ein Prob-lembewusstsein. Lehrer sind mit der Situation meist überfordert und deutsche Eltern sehen den Schulerfolg ihrer Kinder häufig durch die Anwesenheit „ausländischer“ Kinder gefährdet (vgl. Mecheril 2004: 84). Es folgt eine intensive pädagogische Reaktion auf die Arbeitsmig-ration. Pädagogische Ansätze, Konzepte und Strategien werden er-stellt und sind heute als Ausländerpädagogik bekannt. Im Mittelpunkt der Ausländerpädagogik steht das Ausländerkind mit seinen sprachli-chen und kulturellen Defiziten (vgl. ebd.). Von deutscher Seite wird ein Maßstab erhoben, an dem gemessen wird und dementsprechend je-des Anderssein als nicht normal im Sinne von Defizit erscheint (vgl. Krüger-Potratz 2005: 122). Nicht nur im Hinblick auf die Beherrschung der deutschen Sprache werden den ausländischen Kindern Mängel unterstellt. In ihrer gesamten Lern- und Entwicklungsfähigkeit werden sie als hilfsbedürftig empfunden (vgl. Niedersächsisches

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Kultusminis-40

terium 2000: 20). Diese Defizite gilt es mit Hilfe pädagogischer Maß-nahmen auszugleichen, damit die Kinder und Jugendlichen sich er-folgreich am Unterricht und Bildungsangeboten beteiligen können. Neben dem Assimilationsgedanken ist die Ausländerpädagogik auf das so genannte Rotationsprinzip ausgerichtet (vgl. ebd.): Es soll so-wohl die Option für eine längerfristige Verweildauer in Deutschland als auch für eine kurzfristige Rückkehr der Migrantenfamilien mit ihren Kindern in ihr Herkunftsland offen gehalten werden (vgl. ebd.). In die-sem Sinne ist das Angebot muttersprachlichen Unterrichts als Hilfe zur Reintegration im Falle einer Rückkehr in das Heimatland zu verstehen und nicht als „Brücke zur Integration im Aufnahmeland“ (ebd.).

In den 1980er Jahren beginnt eine intensive kritische Auseinanderset-zung mit der Ausländerpädagogik. Es kommt zur Einsicht, dass es sich bei den Schülern mit Migrationshintergrund um keine vorüberge-hende Erscheinung handelt, sondern dass sie ein bleibender Bestand-teil des schulischen Bildungssystems sind (vgl. Mecheril 2004: 85). Zudem wird erkannt, dass die interkulturelle Problematik nicht an eine spezifische Zielgruppe und auch nicht allein an die Migration gebun-den wergebun-den kann (vgl. Krüger-Potratz 2005: 14). Die Gewinnung einer neuen Perspektive im Bereich der Pädagogik wird als Notwendig er-achtet, woraufhin in den 1990er Jahren eine intensive Auseinander-setzung über das Verhältnis von Pluralität, Differenz und Gleichheit beginnt (vgl. ebd.). Unterschiede werden nun nicht mehr als Defizite sondern als Differenzen verstanden, die es gilt anzuerkennen und an-stelle einer assimilativen Angleichung ist von Begegnungen und Pro-zessen des gegenseitigen Verstehens die Rede (vgl. Mecheril 2004: 92). Zudem soll begreiflich werden, dass die Vielfalt von Kulturen in-nerhalb einer Region, eines Landes eine Bereicherung für jedermann sein kann. Die Interkulturelle Pädagogik entsteht und kann als Antwort auf die Ausländerpädagogik verstanden werden. Mittlerweile hat sich die Interkulturelle Pädagogik als eigenständiges erziehungswissen-schaftliches Fachgebiet etabliert (vgl. ebd.: 87).

5.1.2 Inhalte der Interkulturellen Pädagogik

Im Beschluss der Kultusministerkonferenz 1996 wird interkulturelle Bil-dung als ein Bestandteil allgemeiner BilBil-dung betont (vgl. ebd.: 86,93). Dementsprechend ist sie kein Projekt, sondern eine Haltung. Es reicht

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41 nicht, sie zum Gegenstand einzelner Unterrichtsfächer zu machen (vgl. Krüger-Potratz 2005: 30). Interkulturelle Pädagogik „stellt eine Schlüsselqualifikation für jeden Einzelnen und eine Querschnittsauf-gabe in allen erziehungswissenschaftlichen Teildisziplinen und päda-gogischen Tätigkeitsfeldern dar“ (ebd.). Im Gegensatz zur Ausländer-pädagogik richtet sich die Interkulturelle Pädagogik an alle Menschen und ist folglich kein spezielles Konzept für Personen mit Migrations-hintergrund (vgl. ebd.). Ziel ist die kritische Überprüfung und Verände-rung von Deutungsmustern, Einstellungen und Haltungen und zwar sowohl auf Seiten der Majorität als auch auf Seiten der Minorität. Die Kompetenz sowie deren Erwerb, eigene Sichtweisen zu hinterfragen und ggf. zu relativieren oder auch ändern zu können, gehört zum In-halt Interkultureller Pädagogik und ist in allen Bildungseinrichtungen relevant (nicht nur in denen mit einer hohen Anzahl von Schülern mit Migrationshintergrund) (vgl. ebd.: 31). Interkulturelle Kompetenz und interkulturelles Lernen sind zwei Bereiche, denen ein zentraler Stel-lenwert in der Interkulturellen Pädagogik zukommt. Das Verfügen über interkulturelle Kompetenz gilt für pädagogisch Handelnde als Voraus-setzung, um in der Lage zu sein, Bildungsprozesse im Sinne interkul-turellen Lernens zu ermöglichen (vgl. Mecheril 2004: 108) (siehe Punkt 5.2).

Auch auf Konzepte der Interkulturellen Pädagogik wird jedoch bereits kritisch reagiert. So stellt sich bei genauer Prüfung interkultureller An-sätze heraus, dass die meisten weiterhin zielgruppenorientiert sind, nur mit dem Unterschied, dass sie nun auf eine Veränderung der Mehrheitszugehörigen zielen. Diese sollen „Kenntnisse über andere Kulturen erwerben, Toleranz lernen, ihren Ethnozentrismus überwin-den und/oder ihren Rassismus erkennen und bekämpfen“ (Krüger-Potratz 2005: 138). Die Mehrzahl der sich als interkulturell bezeich-nenden Konzepte und Programme zielen auf die Veränderung von Personen, was ebenso den ausländerpädagogischen Konzepten ent-spricht (vgl. ebd.). Stark in die Kritik geraten ist die Interkulturelle Pä-dagogik zudem unter dem Gesichtspunkt der Kulturalisierung18. So ist

fraglich, ob die Ursache von Konflikten innerhalb der Gesellschaft auf

18 Der Begriff „Kulturalisierung“ bedeutet, soziale Verhältnisse, Bevölkerungsgruppen, Zugehörigkeiten und soziale Bindungen mit Hilfe ethnischer Kategorien zu be-schreiben und kulturelle Differenzen hervorzuheben (vgl. Kabis 2002: 3).

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