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Ein Ausnahmezustand namens Goethes „Faust!“

Gedanken zum Faust-Festival Ismaning 2014

Von Raphael T. Musiol

Da hat wohl Jemand eine Idee gehabt. –

Sechs Schulen - eine Woche – der ganze Faust.

Goethes Faust-Drama gilt auch heute noch als das meistgespielte Werk auf deutschen Bühnen.

Aber wo bekommt man dieses Werk der Weltliteratur als Ganzes zu sehen?

Diese Frage mag sich auch der Initiator des Festivals, Klaus Weißinger gestellt haben, als er sich mit sicherlich gehörigem Anteil an Pioniergeist daran machte, ein Festival auf die Beine zu stellen, wie es sonst in seiner Art nichts Vergleichbares gibt.

Das „Faust“-Festival Ismaning 2014 fand vom 22.02. bis 28.02.2014 als einmaliges Schüler- Theater-Projekt statt und bot eine der seltenen Möglichkeiten, Goethes „Faust-Epos“ als gesamtes auf der Bühne erleben zu können.

Beteiligt haben sich sechs Waldorfschulen aus ganz Deutschland mit ihrem jeweiligen Theaterstück der 12. Klasse, welches sich auf das Thema zugeschnitten, mit „Faust“

beschäftigte und den beteiligten Spielgruppen per Losentscheid zugeteilt wurde.

Das heißt, dass eine Klasse jeweils einen Part des Monumentalwerks „Faust I“, bzw. aus den fünf Akten des „Faust II“ übernahm um sich damit intensiv zu beschäftigen.

Die Aufführungen fanden im Festsaal der Rudolf Steiner Schule Ismaning an direkt aufeinander folgenden Tagen, jeweils zwei mal statt.

Einmal abends für die Öffentlichkeit und einmal vormittags ebenfalls für die Öffentlichkeit, aber auch für Schulklassen.

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Begleitend gab es vorbereitende Einführungen in die einzelnen Akte, sowie Themenvorträge über „Die Tragödie des Wissenschaftlers, die „Schönheit als der Erkenntnis Tor“, sowie

„unsere Wirtschaftskrisen und Goethes Faust.“

Engagierte Helfer und Unterstützer aus den Reihen der Ismaninger Waldorfschule und dem Verein zur Förderung der Waldorfpädagogik München e.V. entwickelten und schafften derart gradlinige und professionelle Rahmenbedingungen, dass ein Vergleich mit renommierten Theaterfestivals nicht zu scheuen ist.

Eine enorme und anerkennenswerte Energieleistung.

Wie schafft man es, neben dem normalen Schulalltag, ein derart reichhaltiges und detailgenaues, perfekt durchgeplantes Konzept auf die Beine zu stellen?

Das lässt sich nur mit einem hohen Maß an Bewunderung und Hochachtung für Goethes Gesamtkunstwerk erklären, damit dass sich Jemand einer großen Idee verschrieben zu haben scheint was einen fortdauernden Energieschub zur Folge hat oder wie der Initiator, Klaus Weißinger selbst es schildert:

„Durch Gespräche im Kollegenkreis ergaben sich vielfache positive Rückbesinnungen an eigene „Faust“-Aufführungen in der Schulzeit dass der Reiz groß war, sich der

Herausforderung zu stellen.“

Was hatte nun der Zuschauer zu erwarten?

Sechs vollkommen unterschiedliche Inszenierungen und völlig unterschiedliche

Herangehensweisen und Handschriften von vollkommen unterschiedlichen Regisseuren ermöglichten den größtmöglichen künstlerischen Spielraum.

Auf ein Casting oder der Anforderung auf schriftliche Projektanträge war verzichtet worden.

Auch dort galt, was überall gilt wenn aus einem Wunsch Wirklichkeit werden soll:

Den Weg ebnen, damit etwas ins Rollen kommt.

Die Ismaninger Waldorfschule bot mit ihren räumlichen Bedingungen und einem

kompetenten, leistungsstarken Team eine geradezu ideale Plattform, damit ein ein-wöchiges Theaterfestival einen soliden Boden bekommt.

Hinweisschilder zum Festspielort, ausreichend Parkplätze in unmittelbarer Nähe,

Pausenverpflegung, Übernachtungsmöglichkeiten in allen Varianten, einführende Vorträge in die „Faust“-Themen, an jede Eventualität wurde gedacht und der Besucher fühlt sich ab der ersten Sekunde da er das Gelände betritt heimisch, am rechten Ort und von aufmerksamer Gastfreundschaft begleitet.

Auch in diesem Falle bestätigt sich dass es passender, einladender Räumlichkeiten bedarf damit Kreativität sich entfalten kann.

Ein ausladender, hoher Festsaal mit ansteigender Bestuhlung gibt den Blick auf eine interessante Bühnenarchitektur frei.

Die Bühnenkonstruktion gewährt zunächst einmal ein Optimum an Platz da auf das gängige

„Guckkastenprinzip“ verzichtet wurde und präsentiert sich sowohl von der Fläche her, wie auch von der gewählten Stufenhöhe her so optimal, dass man als Zuschauer den Eindruck von enormer Perspektive hat und sich in einem Amphitheater wähnt.

Außer wenigen kleinen Bühnenelementen ist die Bühne „nackt“, gewährt ein Optimum an Platz; nur den Bühnenhintergrund ziert eine gigantische, moderne Leinwandkonstruktion welche, vom Hintergrund her beleuchtet binnen Sekunden komplett in absolut jede nur denkbare Farbgebung gewandelt werden kann.

Eine clevere und innovative Herangehensweise an Bühnengestaltung, welche jedoch vermutlich nicht billig zu haben ist.

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Wie auch immer: Bei der Präsentation der „Faust“-Bühnendichtung statt aufwändiger Kulissenschieberei den Fokus auf dezentes und vor allem farbiges Bühnenlicht zu setzen, wird sich als stilsicheres Mittel erweisen.

Der Kartenvorverkauf wurde ausschließlich über einen externen städtischen Ticketservice abgewickelt begann bereits 4 Monate zuvor und endet bei sämtlichen Abendvorstellungen mit dem Resultat: Komplett ausverkauft.

Wie kann ein angeblich so unspielbares, schwer verständliches, kompliziertes und

inhaltsschweres Theaterstück sogar in unserer heutigen Zeit die auch im Theaterbetrieb auf den ersten Blick gesehen nicht darauf aus ist in die Tiefe zu schürfen, eine solche Sogwirkung entfachen?

Es ist zu vermuten dass all Dasjenige, was nach Goethes eigenen Worten in die Erzählung

„hineingeheimnist“ wurde darauf wartet, entdeckt zu werden.

Die Vorstellungen in den darauffolgenden Tagen werden Resultate und Antworten bringen.

Festspieleröffnung am ersten Abend mit „Faust“ erster Teil, dargeboten von der 12. Klasse der Freien Waldorfschule Wendelstein bei Nürnberg.

Das Foyer dicht gedrängt mit Besuchern aller Altersklassen, vornehmlich älterer Jahrgänge und es ist zu vermuten, dass die Faust-Tagung neben den Gesprächsgruppen für Schüler an den Nachmittagen, auch Begegnungsplattform für die fachspezifische Zuhörerschaft bietet.

Das Regieteam Michael Barz und Jacek Klinke, beide Absolventen des Michael Tschechow Studios Berlin, bringen an diesem Abend eine deutlich puristische Interpretation auf die Bühne.

Ein Tisch, ein Stuhl, viel mehr Gegenstände kommen in dieser Version nicht zum Einsatz.

Der Fokus liegt auf dem einzelnen Darsteller und der Herausforderung, wie er jeweils mit der gestellten Aufgabe umgeht. Intelligent eingesetzte Lichteffekte verhelfen den einzelnen Szenen zu gewünscht magischer Atmosphäre. Das Anliegen für Ensemblearbeit steht klar im Vordergrund, so dass es keinen einzelnen „Faust“-Darsteller gibt, der den Abend durchträgt, sondern die Hauptakteure wechseln in fast jeder Szene.

Dies raubt dem Zuschauer die Möglichkeit sich mit einer Figur identifizieren zu können und stellt eine Herausforderung dar, sich innerlich schnell auf neue Situationen einzustellen.

Die beiden Hauptrollen wurden unter jeweils vier Darstellern aufgeteilt und drei unterschiedliche „Gretchen“-Besetzungen sind an diesem Abend zu sehen.

Exemplarisch sei hier der Faust-Darsteller aus dem Studierzimmer erwähnt, Moritz Häussler, der Goethes kraftvolles Versmaß in einer umwerfend und beeindruckend reifen

aussagekräftigen Form vorträgt. Eine definitiv außergewöhnliche Form der Darstellung.

Jeder Satz nachvollziehbar, erlebbar, verständlich.

Dies trifft auch beispielsweise auf den Darsteller des Erdgeistes zu, Jeremias Hawran: „Du gleichst dem Geist den du begreifst, nicht mir!“ Woher nehmen einzelne Schüler den Mut die Kraft der Sprache wirken zu lassen, sich was zu trauen, sich ganz dem Moment hinzugeben, so dass der Funke über die Bühnenrampe hinaus überspringt!

Woher kommen diese Bildekräfte im sprachlichen Ausdruck. Geht so etwas automatisch nach der Schulzeit verloren? Wie lassen sie sich erhalten?

Die Walpurgisnacht Szene mit ihrem Irrlichter-Gefunkel wird mit dem Einsatz von Taschenlampen recht bieder dargeboten und erhält wiederum eine Aufwertung durch den Einsatz von passenden Scheinwerfer-Lichteffekten welche dieser „Hexenweihe“ zu atmosphärischem Ausdruck verhelfen.

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Jonas Giersberg (Faust) Thilo Stümpfel (Mephisto)

Die berühmte Kerkerszene erscheint dramaturgisch etwas missglückt weil sie sich unnötig in die Länge zieht und den Darstellern lange Texte aufbürdet welche diese weder durchdringen, noch veranschaulichen können.

Hier hätte aus weniger, mehr werden können. Schüler sind sehr wohl in der Lage, anspruchsvolle Texte zu greifen und erlebbar zu machen. Das haben Einzelne an diesem Abend mehrfach unter Beweis gestellt.

Es bedarf jedoch dramaturgisch geschickter Führung und Anleitung durch erfahrene

Regisseure und Theaterpädagogen, damit die Schüler eine Chance bekommen, sich mit ihren Rollen und Texten zu identifizieren und zu verbinden.

Es ist zu vermuten, dass die zur Verfügung stehende Zeit im Missverhältnis zu den eigentlichen künstlerischen Anforderungen stand.

Eines wird nach dem Betrachten dieser „Faust“-Version durch die Schüler deutlich:

Jeder der „Faust“-Protagonisten an diesem Abend macht etwas Gebürdetes, Gebeuteltes, Gelähmtes und Verzweifeltes sichtbar.

Welche Vermutung folgt daraus? Mit „Mephisto“ im Schlepptau muss jeder Schritt eines jungen Menschen in die heutige Welt eine ungeheure Herausforderung und Last sein.

Diese Erkenntnisse liefern sicher interessanten Gesprächsstoff für die täglich stattfindenden Gesprächsgruppen während der Festivalwoche.

Der Applaus fällt wohlwollend aus, dauert lange an und würdigt diese „Faust“-Version des ersten Teiles, welche 4 Stunden dauerte und von 2 Pausen unterbrochen wurde.

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Mattea Schorr (Gretchen) und Jonas Giersberg (Faust)

Am nächsten Abend: „Der Tragödie Zweiter Teil,“ 1. Akt, „Anmutige Gegend“ bis „Finstere Galerie.“

Dargeboten von der 12. Klasse der Waldorfschule in Halle/Saale, dessen Umsetzung bereits in den ersten Sekunden dadurch auf sich aufmerksam macht, dass die Akteure wie wild durch den Saal und über die Bühne springen und dabei ein Trinklied der Punkband „Die Toten Hosen“ grölen welches die Band erstmals auf Ihrer Single „Totenkopf“ veröffentlichte:

„Eisgekühlter Bommerlunder...und dazu, ein belegtes Brot mit Schinken...“

Die Lautstärke und Wildheit dieser Zeilen fährt mit einer Brachialgewalt durch den andächtigen Saal, wie ein außer Kontrolle geratener Rodelschlitten im Eiskanal.

So schläft garantiert Niemand ein. Aber bestand denn darauf Anlass zum Verdacht...?

Eigentlich bietet der Goethe-Text ausreichend Anlass um wach zu bleiben, bzw., es zu werden.

Jedenfalls stellt die Haller Gruppe mit dem Regieteam Ralf Bockholt, einem Spezialisten für Kinder- und Jugendtheater sowie mit Heidi Janetzky, einer sogenannten „Lachyoga“-

Lehrerin, eine eigenwillige Interpretation des Faust Stoffes vor, in dem als erstes das

„Vorspiel auf dem Theater“ aus dem „Faust 1. Teil“ zu sehen ist.

Besonders zu erwähnen: Benjamin Ritter als „Theaterdirektor“ der auch im weiteren Verlauf wie eine Art „Conférencier“ durch den Abend begleitend wird und seine Sache sowohl sprachlich, wie auch innerlich gegriffen, meisterhaft ans Publikum heran trägt.

Das Programmheft der Haller Gruppe trägt die Überschrift: „Das bunte Freudenspiel – erster Akt“ und diese Bezeichnung ist typisch für den weiteren Verlauf.

Die Kostüme sind wild, bunt, kurios, sehen zusammen gesammelt aus, die Akteure tragen ihre Parts behände und mit kindlicher Naivität vor aber außer dem erwähnten Theaterdirektor sucht man nach Klarheit und Verständlichkeit der Sprache eher vergeblich.

Das Trinklied wird im Verlauf des Abends etwa an die 20 Mal und immer weiter gegrölt was einem mehr und mehr auf den Magen schlägt, die ganze Inszenierung setzt auf den Effekt des sich bewegenden Mimen im Kostüm, auf Unterhaltung und Witzigkeit mehr als auf die Tiefgründigkeit der Sprache, was den wirklich aussagekräftigen Stellen wie beispielsweise der Schöpfung des Papiergeldes aus dem Nichts, nicht gut bekommt.

Die Suche nach kultivierter und durchdrungener Sprachqualität hätte hier Bedeutendes bewirken können.

Die Fähigkeit der Spielleiter, originelle Ideen aus den vorhandenen Zeilen umzusetzen, fällt positiv auf.

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So mutet zwar die Idee sehr platt an, die beiden „Helden“ Helena und Paris welche im Stück als pures Symbol, als Illusion erscheinen mit albernen Kasperlepuppen darzustellen, aber es zeigt auch, wie sehr sich die im Stück erscheinende höfische Gesellschaft danach zu sehnen scheint, sich von „Getümmel“, „Wechselgeschrei“ und „Weibergeklatsch“ auf banalste Weise unterhalten zu lassen und die Feierlichkeit des Augenblicks mit respektlosen Kommentaren zu durchschneiden.

Man könnte meinen, Goethe hat in dieser „Helena-Paris-Illusion“ das Fernseh- und

Popkornzeitalter vorweggenommen in dem er hinreißend schöne Menschen erscheinen lässt, welche durch und durch Illusion sind und sich in der Realität als Rauch und Dunst erweisen.

Dieser Kunstgriff Goethes im Verhältnis zur Umsetzung der Gruppe aus Halle, welche die Darstellung als Kasperle-Theater wählte, dürfte ebenfalls reichhaltige Gesprächsthemen für die Zuschauergespräche bieten.

Am nächsten Abend: Goethe, „Faust II,“ 2 Akt.

Dargestellt von der 12. Klasse der Freien Waldorfschule Erftstadt bei Köln.

„Ein Kult von Mond, Meer, und Eros, von Feuer und Erde, vor allem aber der Schönheit, die in den Doriden erscheint und in Galatea gipfelt, sich aussprechend im Zauber der Sprache und der Rhythmen.“ (Faust, Kommentare von Erich Trunz, Hamburg, 1963, S. 563)

Die Leitung für die Entstehung dieser Interpretation übernahm die Regisseurin Heike Beutel welcher die Jugendarbeit durch Workshops der Berufsorientierung in ganz NRW vertraut ist.

Sie versteht diesen 2. Akt des „Faust“ als zirzensisches, karnevalistisches Fest, wo drei Figuren auf der Suche sind: Mephisto, Faust und Homunculus.

An wilden und ungestümen Bewegungsabläufen mangelt es dieser Interpretation nicht.

Wohl aber der Antwort auf die Frage, was dort wohl gesucht werden soll:

Auch hier sagen die Schüler brav ihre Texte auf, aber eine Durchdringung der Sprache oder der Versuch, die Wortkunst Goethes durch besondere Hinwendung zur Sprache verständlicher machen zu wollen, findet nicht statt.

Es bleibt bei einem mehr oder weniger wuseligen „Gaukelspiel.“

Auch hier werden die Protagonisten ständig ausgetauscht, so dass eine Identifikation nicht möglich wird.

Berühmte Zitate von Mephisto wie: „Versinke denn! Ich könnt´auch sagen: Steige! S´ist einerlei. Entfliehe dem Entstandenen, in der Gebilde losgebundne Reiche!“ welche an sich durch die Worte selbst eine magische Kraft erzeugen, werden wirkungslos aufgesagt.

Mehr Gestaltung und Ausdruck in der Sprache hätte man sich bei diesen kolossalen Goethe’schen Wortschöpfungen sehnlichst gewünscht.

Die Schöpfung eines künstlichen Menschen wie es Goethe in der Homunkulus Gestalt darstellt und damit die Thematik der Embryonal- Genforschung, Klon- und

Duplizierungsthematik vorwegnimmt, wird von den Schülern grandios veranschaulicht:

Die zerbrechliche Gestalt steigt aus einer Gruppe die sich rhythmisch wie eine Zentrifuge bewegt, quasi aus dem Nichts empor. Eine sehr treffend und phantasievoll gewählte Art, den kleinen Menschenklon der gerne Mensch wäre, auf die Bühne zu bringen.

Ansonsten fallen in dieser Inszenierung weder sprachliche, noch schauspielerische, noch szenische Ideen auf.

Zur Halbzeit des Festivals: Die 12. Klasse der Waldorfschule Hunsrück-Saar spielt den 3. Akt aus Goethes „Faust.“

Auszüge aus den Aufzeichnungen der Schüler über die Probenarbeit:

...Um 08:30 Uhr begannen wir mit Sprach- und Atemübungen, welche unsere Aussprache, Präzision und vieles mehr verbesserten. Die Mittagspause war um 13:00 Uhr und dauerte eine Stunde. Danach wurde unermüdlich weiter geprobt bis 19:00 Uhr...“

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Diese Zeilen sind sehr aufschlussreich für alles, was an diesem Abend von der Klasse aus dem Hunsrück zu sehen sein wird:

Vom ersten Moment an präsentiert sich die Klasse als Einheit und präsentiert Goethes lange und schwierige Textpassagen von Helena die sich mit ihren Freundinnen am Strande Trojas befindet, in gekonnter, gut vorbereiteter, ausdruckstarker und stilsicherer Form.

Die Inszenierung übernahm Catherine-Ann Schmid, eine erfahrene Schauspielerin die selbst jahrelang in den Rollen des Gretchen oder der Helena an großen Häusern zu sehen war und nun ihre Erfahrungen an die Jugendlichen weiter gibt.

Obwohl man es im 3. Akt des Dramas mit extrem langatmigen Textpassagen zu tun bekommt, passiert das Gegenteil dessen, was man erwarten könnte: Der Zuschauer wird weder überstrapaziert, noch gelangweilt sondern bekommt es mit einem sehr gut eingespielten und gut vorbereiteten Spiel-Team zu tun was in der Lage ist, vor allem in den Sprechchören, eine atemberaubende Kraft und Überzeugung zu entfalten.

Auch die Bewegungskunst ist nicht vernachlässigt worden.

Die Darstellerinnen im Sprechchor sind ständig in Bewegung, tänzeln, reagieren miteinander und versprühend mit ihrer Lust an Bewegung eine Lebendigkeit und Frische, die sich

unmittelbar auf den Zuseher überträgt.

Da hat eine 12. Klasse eine Herausforderung bekommen, sich ihr gestellt und keine Mühen gescheut.

Das Ergebnis ist mehr als beindruckend. Auch der dramaturgische Bogen wurde klug gewählt. Anstatt in der Intensität abzufallen oder nachzulassen steigert sich der starke 30- köpfige Sprechchor von Strophe zu Strophe als würde er einem hymnischen Höhepunkt zueilen.

Nicht nachlassen. So lässt sich Gänsehaut erzeugen. Und diese entsteht auch. Je länger und schwieriger die Textpassagen von Goethe werden, desto inbrünstiger und intensiver verbinden sich die Schüler in diesem Sprechchor mit der Sprache, erheben sich, schreiten sprechend mit fester und akzentuierter Stimme bis vorne an die Rampe um in einem perfekt gesprochenen und leidenschaftlich herausgerufenen Finale zu enden, voller Hingabe:

„Sorglich ist noch ein und andrer, doch vermehrt er die Tumulte, denn um neuen Most zu bergen, leert man rasch den alten Schlauch!“ Da klappert nichts, haspelt nichts. Das Resultat einer großartigen Energieleistung, deren Zusammenhalt in der Gruppe während der

Erarbeitungsphase sich in einer überzeugenden Bühnendarbietung widerspiegelt.

Der halbe Saal applaudiert stehend und zeigt seine Anerkennung durch laute Bravo-Rufe.

Das es nicht zu kompletten Standing-Ovations kommt dürfte daran liegen, dass auch bei dieser Darbietung große Abstriche in der Qualität gemacht werden müssen. Nur diesmal an völlig anderer Stelle. Die Inszenierung strotzt nicht gerade vor phantasievoller Einfälle.

Genau genommen, fallen gar keine auf. Die Darsteller stehen brav da und sagen ihre Texte auf. Nur der erwähnte Sprechchor entfaltet seine herausragende Kraft. Wie auch das gesamte Konzept auf die Wirkung und Qualität der Sprache ausgerichtet ist und diese Entscheidung erweist sich für eine „Faust“-Aufführung als äußert sinnvoll.

Die Kostüme fallen sehr hausbacken und märchenhaft aus und erinnern eher an Kostüme von

Theatervorstellungen aus den letzten Jahrzehnten des ausgehenden 19. Jahrhunderts.

In dieser Inszenierung scheint der Kreativität und eigenen Phantasieentfaltung der Schüler keine besondere Bedeutung beigemessen worden zu sein aber es sei nicht vergessen, dass der Zuschauer den Eindruck mit nach Hause nimmt, an diesem Abend einer Aufführung

beigewohnt zu haben, bei welcher mit großem Elan und Liebe zur Sprache vorgegangen wurde und die betreffende 12. Klasse von einer sehr erfahrenen Fachkraft mit Sinn für Sprachwirksamkeit und Sprachkunst angeleitet wurde. Erfreulich.

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Jamie Schmitt als Helena

Es sollte nicht vergessen werden was sich im Programmheft der Klasse aus dem Hunsrück wiederfindet, auf kreativen Unternehmergeist schließen lässt und für ein hervorragend operierendes Orga-Team spricht:

Im Programmheft sind zahlreiche lokal ansässige Unternehmen abgedruckt und diese tragen durch ihren finanziellen Beitrag ebenfalls zum wirtschaftlichen Gelingen dieser

außergewöhnlichen Unternehmung bei.

Der Tragödie Zweiter Teil, 4. Akt wird von der 12. Klasse der Waldorfschule Hildesheim aufgeführt.

Da der Rezensent nicht dem gesamten Festival bewohnen konnte, hier nur einige Eckdaten:

Die Spielleitung hatte Katrin Bretschneider, als Musiklehrerin an der Hildesheimer Schule tätig und nach eigenen Angaben, schon seit frühester Jugend „theater-verrückt.“

Aufschluss über die Entstehung der Probenarbeit geben die Schilderungen der Schüler:

...“am Mittwoch konnten wir nicht proben, da wir eine Deutschklausur schrieben. Die eine Gruppe sollte schon mal alleine loslegen. Donnerstag sei Schulfeier und Frau Bretschneider müsse deshalb zwischendurch nochmal weg. Anschließend sei noch Biologieunterricht. Am Freitag könnten wir dann wieder um 10:00 Uhr anfangen. Was für ein chaotischer Start!“

Und Weiter: ..“In den Einzelproben haben wir eine Szene intensiver unter die Lupe genommen. Wir haben uns mit unseren Figuren und ihren Gefühlen und Ängsten aufeinandergesetzt. Für das Verständnis der Rolle war das sehr hilfreich.“

Assoziationen von Schülern zu verschiedenen Themengebieten des vierten Aktes:

„Geld, was ist das überhaupt? – Jeder Mensch hat etwas mit Geld zu tun. Es regiert die Welt und schafft Ungerechtigkeit. Also ist es unmoralisch und grausam. Es macht uns von sich abhängig. Papiergeld ist eine Erfindung des Menschen. Ist Geld wichtig? Kann man auch ohne leben? Gibt es eine Alternative zum Geld? Wenn ich Existenzangst habe, würden auch 5 Millionen Euro auf meinem Konto dieses Gefühl nicht grundsätzlich ändern.“

Statement einer Schülerin: „ Für mich ist es eher schwierig, mich auf etwas Neues

einzulassen, mit dem ich mich absolut nicht identifizieren kann (z.B. die Kriegsszene). Ich kann nicht aus mir heraus kommen, nicht weil es mir peinlich wäre, sondern vielmehr, weil ich mich nicht damit identifizieren kann. Mir fällt es schwer, in den Körper einer anderen Person zu schlüpfen, die mir nicht ähnelt.“

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Zum Abschluss der Aufführungsreihe, die Rudolf Steiner Schule Ismaning.

Aufführung des Fünften Aktes Faust II, „Offene Gegend“ bis „Bergschluchten.“

Lassen wir einen Schüler über den Probenalltag zu Wort kommen, Joshua Ullmann:

„Unser Eurythmielehrer Herr Krischer beteiligt sich an dem Theaterspektakel und entwickelt Eurythmieformen und Ausdrucksarten mit uns Schülern und der 5. Klasse. Wenn wir einen besonders guten Tag erwischen, kann es durchaus vorkommen, dass die ganze Klasse von ihm auf ein Weißwurstfrühstück eingeladen wird! Wenn man sich also auf die schöne und

produktive Stimmung einlässt, hört man von Frau Zweiniger (Spielleitung) die

unglaublichsten Geschichten über im Internet bestellte Requisiten und Kostüme für unser Theaterstück. Mit leuchtenden Augen erzählen sie einem von Theaterfeuern in rostigen Wannen und Lichteffekten, die jedes Rockkonzert alt aussehen lassen...“

Kilian Förster (Faust) über seine Tätigkeit als Hauptdarsteller: „Es ist nicht einfach, da einige Sätze anfangs scheinbar keinen Sinn ergeben und man unter anderem den exakten Wortlaut erkennen muss. Bei einem prosaischen Text hingegen kann man ohne Probleme auch mal einige Wörter verändern.“

Die Schülerin Anna Friedel: „Faust hat keinen einheitlichen Charakter. Er vereinigt eine Anzahl extremer Eigenschaften: Er ist hochintelligent, hat sogar geniale Züge, ist äußerst emotional und aufbrausend, fühlt sich gottähnlich und bricht im nächsten Moment verzweifelt zusammen...“

Dominik Meisel (Mephisto) Kilian Förster (Faust) Foto: Florian Flade

Eine weitere innovative Projektidee seitens des Initiativteams der Ismaninger Waldorfschule verdient es ebenfalls vorgestellt zu werden:

Das gesamte Projekt wurde auf einer Internet-Crowdfunding Plattform nebst einem

Projektfilm im Vorfeld präsentiert und es wurde um Spenden gebeten ohne die ein Projekt in dieser Größenordnung niemals machbar wäre.

Das Besondere: Auch die Herstellung und Umsetzung des Projektfilms wurde von den Schülern in Ismaning mit Pioniergeist vorangetrieben und umgesetzt.

Das Ergebnis waren mehr als 6.000,00 € Spendenerfolg.

Alle Aufführungen wurden von mehreren professionellen Kameras aufgezeichnet und es steht eine DVD dieses außergewöhnlichen Projektes zur Verfügung.

DVD-Set erhältlich zum Preis von 26,80 € inkl. MWst. zzgl. Versand bestellbar unter folgender Faxnummer: 089 967536.

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Der Festspielort Rudolf Steiner Schule Ismaning

Welches Resümee lässt sich nach diesem Faust-Schultheater-Festival ziehen:

Zweifellos bieten die mannigfaltigen „Faust“-Themen reichhaltigen Anlass, um miteinander ins Gespräch zu kommen.

Ein junger Mensch der ins Leben, heute mehr denn je ins Wirtschaftsleben, hinein tritt und sich in wachsendem Maße von Zukunftsängsten, von Image- und Kapitalverlust beengt und umgeben sieht, findet neben der Tatsache, dass die „Faust“-Themen in zahlreichen anderen Werken der Weltliteratur auftauchen wie beispielsweise im „Don Giovanni“ sich mit der Tatsache konfrontiert, dass man es bei der „Faust“-Figur mit einem Menschen zu tun hat, der auf ganzer Linie gescheitert ist. „Faust“ als gescheiterter Unternehmer.

Das kann für junge Menschen an der Schwelle zu Berufsentscheidungen abschreckendes Beispiel oder Leitmotiv sein.

Natürlich geht es bei Faust auch immer um die Frage nach Freiheit.

Welcher Mensch hat nicht das Bedürfnis, unabhängig zu sein und sich nicht unterordnen zu müssen. Welcher Berufsstarter möchte heutzutage in ein Unternehmen gehen wo ihm Jemand vorschreibt, was er zu tun und zu denken hat.

Im 21. Jahrhundert zeigen sich mehr und mehr die Grenzen unserer materiellen Welt.

Die Welt erscheint als Vulkan, der seinen Lavastrom voller Objekte und sozialer Unterschiede ausspeit und unsere Träume von einer gerechteren Welt unter sich begräbt.

Ein heutiger junger Mensch an der Schwelle zum Berufsleben braucht überdurchschnittlich viel Energie und mehr Selbstdisziplin als ihm eigentlich eigen ist.

Er muss darauf achten, sein inneres Kind zu schützen – diese Stimme tief in seinem Innern, die ihm früh geraten hat, sich von allen einengenden Autoritäten fernzuhalten.

Ebenso muss er darauf achten, sich nicht vom Durst nach Anerkennung verführen zu lassen.

Zitat „Faust: Wer lehret mich? Was soll ich meiden? Soll ich gehorchen jedem Drang? Ach!

Unsre Taten selbst, so gut als unsre Leiden, sie hemmen unsres Lebens Gang..“

„Faust“, der sich entschlossen hat, mit des „Chaos wunderlichem Sohn“ durchs Leben zu gehen wird die größten Höhenflüge erleben und die größten Abstürze, doch wird er zu keiner Zeit Herr der Lage sein da er die Verantwortung in andere Hände abgegeben hat: In die des Mephisto.

Vielleicht ist dies eines der zentralen Themen der „Faust“-Thematik.

Ein „Faust“-Festival wie es in Ismaning angeboten wurde kann man in seiner Wirkung nicht hoch genug einschätzen.

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Bietet doch eine Plattform dieser Art die Chance für junge Menschen, sich ihrer eigentlichen Fähigkeiten zu besinnen:

Kreativ zu sein, im eigentlichen und umfassenden Sinn um so Antworten zu suchen auf die dringlichen Herausforderungen unserer Zeit.

Was müssen für Bedingungen erfüllt sein, damit Ideen wachsen können?

Eine Idee selber ist weder kontrollierbar noch messbar, zähmbar oder vermarktbar.

Sie überlebt nur, wenn derjenige, der sie hat und sich ihrer annimmt, ein klares Gefühl hat für ihre Notwendigkeit. Wenn er nicht anders kann, als dafür zu sorgen, dass sie Gestalt annimmt.

Um mit den Worten von Albert Einstein zu sprechen: „Eine wirklich gute Idee erkennt man daran, dass ihre Verwirklichung von vornherein ausgeschlossen erschien.“

Es ist bekannt dass Bill Gates im Jahre 1978 prognostizierte, es gäbe keine Zukunft für das Internet.

Ein Beispiel dafür was aus einer Idee werden kann wenn man diese unerschrocken und angstfrei weiter verfolgt hat der Initiator des „Faust“-Festivals Klaus Weißinger mit seiner Realisierung des Projektes mit sicherlich schwierig zu lösenden Rahmenbedingungen, bravourös unter Beweis gestellt.

Interessant wird sein welches Echo dieses Festival hinterlässt und welche weitere Ideen daraus erwachsen.

Ein „Faust“-Festival dieser Art birgt mit Sicherheit ungeheures Potential.

Etwas Vergleichbares sollte alle 4 Jahre wiederholt werden um auch andere Schulen dafür zu begeistern sich mit Weltliteratur auseinanderzusetzen.

Denkbar wäre auch ein Festival, welches Plattform für eigene Dichtungen von Schülern bietet oder Gelegenheit für das Aufführen großer musikalischer Werke.

Ideen gibt es viele.

Allerdings ist die Frage, wie viel Mehrarbeit einem Waldorflehrer zugemutet werden kann und die Frage welche Budgets erarbeitet werden müssen, damit Regisseure und

Theaterpädagogen nicht zum gesetzlichen Mindestlohn arbeiten mit dem Argument, dass schöne Kunst heute Luxusgegenstand ist und eigentlich nicht in der Wertschöpfungskette steht.

Die Tatsache, dass auch von Seiten der Bundesregierung mit Initiativen wie: „Kultur macht stark!“ Versuche unternommen werden, Kultur, Kunst und Bildung für Heranwachsende stärker, nachhaltiger und vor allem professionell geführt im normalen Schulalltag zu verankern macht Hoffnung darauf, dass Initiativen wie das „Faust“-Festival in Ismaning beispielgebend und richtungsweisend sein mögen!

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