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1. EINLEITUNG Gegenstand und Fragestellung

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1. EINLEITUNG

1.1. Gegenstand und Fragestellung

Nein, er war kein „Dichter“, aber ein großer Publizist und ein bedeutender Autor zweiten Ranges, der 1811 in Berlin geborene und 1878 in Frankfurt am Main verstorbene Karl Ferdinand Gutzkow. Fast fünfzig Jahre stand er im Zentrum des literarischen, des kulturellen und letztlich auch des politischen Lebens.

Gutzkow war einer der ersten Autoren, der das Schreiben zu seinem ausschließ- lichen Beruf erkor, von dem er lebte, ohne auf andere Ressourcen zurückgreifen zu können. Gutzkow war ein „Experimentator, Anreger und Vorläufer“ (Peter Hasubek).

1

Er hat die Grenzen zwischen populärer und gelehrter Literatur neu vermessen.

2

Seine zeitanalytischen und religionskritischen Schriften provozier- ten die Herrschenden. Früh geriet er deshalb mit der Zensur in Konflikt. Sein Roman „Wally, die Zweiflerin“ sorgte gar für einen Skandal. Er war als Kritiker gefürchtet und erlangte als Theoretiker des „Roman des Nebeneinander“ Aner- kennung. Schließlich war er einer der produktivsten und vielseitigsten Literaten seiner Zeit. Für Heinrich Hubert Houben sind Gutzkows Werke ein „Tagebuch der Geschichte seiner Zeit“,

3

und Wolfgang Rasch sieht sie als „paradigmatisch“

für die Existenz eines nur auf sich gestellten, modernen, selbstbewussten Be- rufsschriftstellers.

4

Das Erkenntnisinteresse vorliegender Arbeit zielt auf Gutzkows Arrivie- rungsstrategie sowie auf die Frage: Wie etablierte er sich unter den Bedingungen der Zensur als Berufsschriftsteller und Journalist auf dem literarischen Markt?

5

Unter arrivieren wird in dieser Untersuchung „vorwärts kommen, Erfolg haben“

1 Peter Hasubek: Karl Gutzkow. In: Deutsche Dichter des 19. Jahrhunderts. Ihr Leben und Werk. Unter Mitarbeit zahlreicher Fachgelehrter, hg. von Benno von Wiese. 2.

überarb. und verm. Aufl. Berlin 1979, S. 208–228, hier S. 208.

2 Besonders pointiert Helmut Koopmann: Das Junge Deutschland. Eine Einführung.

Darmstadt 1993, S. 95: „[...] da entwickelte sich eine fast grenzenlose Freiheit im Gebrauch alter und neuer Formen, da wurde eine moderne ‚Schreibart‘ proklamiert, die sich nicht an Definitionen ausrichtete, sondern an der Sache selbst.“ Koopmann konsta- tiert eine „Literaturrevolution“: „Die Revolution ereignete sich nicht ersatzweise in der Literatur; die Literatur des Jungen Deutschland war die Revolution, [...].“

3 Heinrich Hubert Houben: Gutzkow-Funde. Beiträge zur Literatur- und Kulturgeschichte des 19. Jahrhunderts, Berlin 1901, S. VII.

4 Wolfgang Rasch (Hg.): Bibliographie Karl Gutzkow (1829–1880). Bd. 1: Primärlitera- tur. Bielefeld 1998, S. 19.

5 Der Begriff wird durchaus ökonomisch begriffen, als eine Art „Kulturwarenprodukti- on“. Vgl. Lutz Winkler: Entstehung und Funktion des literarischen Marktes. In: Ders.:

Kulturwarenproduktion. Aufsätze zur Literatur- und Sprachsoziologie. Frankfurt a. M.

1973, S. 12–75, hier S. 23.

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verstanden.

6

Das betrifft sowohl den materiellen Aufstieg, als auch den öffentli- chen Prestige-Gewinn. Die Zensur war im Vormärz ein charakteristisches und folgenreiches Element des literarischen Lebens.

7

Deshalb soll sie im Zusam- menhang mit Gutzkows Arrivierung im Focus stehen. Sie hatte Auswirkungen auf seine ökonomische Lage und soziale Stellung, das Verhalten seiner Verleger und nicht zuletzt auf das literarische Produkt selbst. Der Skandal um seinen 1835 veröffentlichten Roman „Wally, die Zweiflerin“

8

und das damit verbunde- ne Verbot der „jungen Literatur“

9

durch die Bundesversammlung

10

wird unter

6 Vgl. zur Begrifflichkeit Helmut Bachmaier: Die Konzeption der Arrivierung. Überle- gungen zum Werke Wilhelm Hauffs. In: Jahrbuch der Schillergesellschaft 23 (1979), S.

308–343, hier S. 318. Hier wird aber der historische Kontext völlig ausgeblendet.

Bachmaier arbeitet heraus, dass „Stoffe und Formen bei Hauff wesentlich durch sein soziales bzw. literarisches Selbstverständnis“ geprägt wurden. Weitergehend und unter Einbeziehung des literarischen Lebens untersuchte Susanne Fischer Hauffs literarische Erfolgsstrategien. Siehe dies.: Wilhelm Hauffs Korrespondenzen mit Autoren, Verle- gern und Herausgebern. Aspekte sozialer Tauschbeziehungen im literarischen Leben um 1825. In: Archiv für Geschichte des Buchwesens 37 (1992). Frankfurt a. M. 1992.

Hier lassen sich durchaus Parallelen zwischen Hauff und den Jungdeutschen ziehen.

7 In der Definition von Reinhard Wittmann wird „literarisches Leben“ verstanden als:

„[…] das historische Umfeld, in dem Literatur entsteht, verbreitet und gelesen wird.

Dazu gehören sowohl die am literarischen Kommunikationsprozeß unmittelbar beteilig- ten Faktoren (nämlich Produzenten, Distribuenten und Rezipienten von Literatur), als auch Einflüsse politischer, sozialer, ökonomischer und insgesamt kultureller Art, die von ‚außen‘ her an diesem Prozess mitwirken.“ Siehe R. Wittmann: Die bibliographi- sche Situation für die Erforschung des Literarischen Lebens im 19. Jahrhundert (1830–

1880). In: Ders.: Buchmarkt und Lektüre im 18. und 19. Jahrhundert. Beiträge zum lite- rarischen Leben 1750–1880. Tübingen 1982, S. 232–252, hier S. 233.

8 Karl Gutzkow: Wally, die Zweiflerin. Studienausgabe mit Dokumenten zum zeitgenös- sischen Literaturstreit. Hg. von Günter Heintz. Durchgesehene und ergänzte Ausgabe, Stuttgart 1983 (1979). Zur wirkungsgeschichtlichen Perspektive siehe Erwin Wabneg- ger: Literaturskandal. Studien zur Reaktion des öffentlichen Systems auf Karl Gutzkows Roman „Wally, die Zweiflerin“ (1835–1848). Würzburg 1987. In der Arbeit das kom- plexe Zusammenspiel von gesellschaftlich-politischer Öffentlichkeit und literarischem Leben (S. 15) umfassend dargestellt.

9 Trotz mancher Divergenzen kann bei den im Verbotsbeschluss genannten Schriftstellern (Heinrich Heine, Karl Gutzkow, Heinrich Laube, Ludolph Wienbarg, Theodor Mundt) von einem gemeinsamen Konsens (freilich nur bis 1835) in der ideologischen Orientie- rung, in den Zielvorstellungen, im gesellschaftlichen Aufstiegsmuster, in der professio- nellen Situation und den publizistisch-literarischen Strategien ausgegangen werden.

Gleichwohl gab es keine organisierte Gruppe des „Jungen Deutschland“. Insofern – und nur insofern – war das „Junge Deutschland“ als homogene literarische Schule eine Er- findung der Zensur. Vgl. zu den Gemeinsamkeiten Walter Hömberg: Zeitgeist und I- deenschmuggel. Die Kommunikationsstrategien des Jungen Deutschland. Stuttgart 1975, S. 147. Udo Köster: Literatur und Gesellschaft in Deutschland 1830–1848. Die Dichtung am Ende der Kunstperiode. Stuttgart u.a. 1984, S. 166f. Helga Brandes: Die

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dem Gesichtspunkt beleuchtet, ob er ein „Vehikel des Erfolges“ (Günter Heintz)

11

war. Gemeinhin wird die Zensur in der Selbstdarstellung der Autoren nur als Störfaktor unter dem Aspekt der ideologischen bzw. politischen Gänge- lung gesehen, die es gilt zu umgehen. Und auch für einen erfolgreichen Berufs- schriftsteller wie Karl Gutzkow war der Kampf gegen die Zensur zweifellos von Bedeutung. Aber bei der (gängigen) Annahme, dass die Zensur nur als Hinder- nis bei der Durchsetzung auf dem Literaturmarkt zu bewerten sei, wird überse- hen, dass Gutzkow 1835, durchaus absichtlich, den Skandal provozierte: Zu- nächst mit einer Vorrede zu Schleiermachers „Vertraute[n] Briefe [n] über die Lucinde“

12

und dann mit dem Roman „Wally, die Zweiflerin“ schuf er sich den zweideutigen Ruhm eines „frechen Gotteslästerer[s] und Nuditätenmaler[s]“,

13

als den ihn sein langjähriger Mentor und (spätestens ab 1835) Konkurrent Wolf- gang Menzel bezeichnete. Gegenüber Karl August Varnhagen von Ense, der (in einem verschollenen Brief) offenbar zur Mäßigung geraten hatte, bekannte Gutzkow: „Ich [….] weiß, dass ich noch nichts geleistet habe; aber meine Zu- kunft überseh’ ich […].“ Sie erfordere, dass er als junger Autor für das Publi- kum ein eigenes Profil entwickelt. Er sei daher „nur selbst darauf bedacht […], [s]ein Signalement so prägnant wie möglich“ zu machen.

14

Dazu brauchte er die spektakuläre Normverletzung. Im Falle der Buchveröffentlichungen waren zum Teil die nachträglichen Verbote konstitutive Elemente des Erfolges beim Publi- kum. Und wichtiger noch: Sie sicherten ihm die Aufmerksamkeit von Kollegen und Verlegern. So schrieb er am 7. Oktober 1835 Karl August Varnhagen von Ense:

„Ich versichere Sie, die Dinge haben in Deutschland immer so gestanden, dass man nicht eher berühmt wurde, ehe man nicht eine Zeit lang berüchtigt war.“15

Zeitschriften des Jungen Deutschland. Eine Untersuchung zur literarisch-publizistischen Öffentlichkeit im 19. Jahrhundert. Opladen 1991, S. 19–26.

10 GStA Rep. 77 II, Cen. Sach. Gen., Nr. 74, Bl. 32. Abgedruckt bei Heinrich Hubert Houben: Zeitschriften des Jungen Deutschland. Bibliographisches Repertorium, vierter Bd. Berlin 1909 (Neudruck Frankfurt a. m. 1970), Sp. 439. Vgl. zum Kontext Walter Hömberg: Verhinderte Liberalisierung zwischen Juli- und Märzrevolution (1830–1848).

In: Heinz Dietrich Fischer (Hg.): Deutsche Kommunikationskontrolle des 15. bis 20.

Jahrhundert. München u.a. 1982, S. 97–113.

11 Siehe das Nachwort von Günter Heintz. In: K. Gutzkow: Wally, S. 464.

12 Karl Gutzkow: Schleiermachers Vertraute Briefe über die Lucinde. Mit einer Vorrede von Karl Gutzkow. Hamburg 1835.

13 Wolfgang Menzel: Wally, die Zweiflerin. Roman von Karl Gutzkow. In: Literatur-Blatt.

Stuttgart 1835, Nr. 93 und 94 vom 11. und 14.9.1835, S. 369–372, und S. 373–376. Zi- tiert nach: Karl Gutzkow: Wally, die Zweiflerin. Studienausgabe mit Dokumenten zum zeitgenössischen Literaturstreit. Hg. von Günter Heintz. Durchgesehene und ergänzte Ausgabe, Stuttgart 1983 (1979), S. 274–291, hier S. 278.

14 Zitiert nach Heinrich Hubert Houben: Gutzkow-Funde. Beiträge zur Literatur- und Kulturgeschichte des 19. Jahrhunderts. Leipzig 1924, S. 58.

15 Ebenda.

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Später beschrieb er, wie er nach dem Verbot seines Romans „Wally, die Zweif- lerin“ und während der Gefängnishaft in Mannheim, zu der er wegen „verächtli- cher Darstellung des Glaubens der christlichen Religionsgemeinschaft“ verur- teilt worden war, eine gewisse Genugtuung verspürte:

„Zum erstenmale seit fünf Jahren hatte ich die Wirkung des geschriebenen und ge- druckten Wortes erprobt. Nun war der ‚Erfolg‘ da! Schade, dass der angeschuldigte Roman nur in einer Auflage von 800 Exemplaren gedruckt worden war! Das Dop- pelte, ja das Dreifache des Preises bot man, um ein Exemplar zu bekommen.“16

Es wird daher zu untersuchen sein, inwiefern Gutzkow in seiner Strategie des Arrivierens das Einschreiten der Obrigkeit – also vor allem der Zensur – positiv voraussetzte, und inwiefern er sie zumindest bis 1835 ganz bewusst zum Mit- spieler in seinem komplexen und durchaus gewagten Erfolgskalkül machte. Das Image eines von der Zensur Verfolgten konnte durchaus förderlich sein.

Schließlich gab es einen Markt für oppositionelle Literatur und entsprechend Verleger, die Interesse an dieser Ware hatten.

Um Gutzkows Konflikte mit der Zensur einordnen zu können, ist es auf der anderen Seite notwendig, die politischen und weltanschaulichen Grundlagen und Zwecke der Zensur, sowie deren Organisationsstruktur darzustellen. Zensur, das heißt die Kontrolle der vom Autor zur Veröffentlichung bestimmten oder veröf- fentlichten Meinungsäußerung,

17

war kein sektorales Phänomen. Sie war in der damaligen Zeit eingebettet ist das neuzeitliche Problemfeld von „öffentlicher Meinung“, Meinungssteuerung und Propaganda

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und prägte damit das literari-

16 Karl Gutzkow: Rückblicke auf mein Leben. Hg. von Peter Hasubek. Münster 2006, S.

179.

17 Vgl. Dieter Breuer: Geschichte der literarischen Zensur in Deutschland. Heidelberg 1982, S. 9.

18 Die Reaktion des Staates auf die publizierten Äußerungen der „öffentlichen Meinung“

und die Techniken seines Umgangs mit ihr werden gewöhnlich mit dem Terminus

„Pressepolitik“ belegt. Ähnlich weit gefasst ist die Definition bei M. Lunzern: Der Ver- such einer Presselenkung in Österreich 1848–1870. Wien 1954, S. 3: „Pressepolitik ist die Stellungnahme der Regierung gegenüber der Presse, sei es ihre Behinderung, sei es ihre Beeinflussung oder Ausnützung.“ Der inhaltlich eingeschränkten Definition dieses Begriffs als planmäßige Lenkung der öffentlichen Meinung durch eine Regierung oder einen Staatsmann ist begründet widersprochen worden. Mittlerweile avancierte die Un- terteilung des Begriffs in ‚negative‘ (= restriktive) und ‚positive‘ (= aktive oder kon- struktive) Pressepolitik zur eingeführten Praxis, die früheren Formen der staatlichen Einwirkung auf die Publizistik differenzierter darzustellen und zu beurteilen. Vgl. Man- fred Treml: Pressepolitik zwischen Verfassungstreue und Bundespflicht (1815–1837).

Ein Beitrag zum bayerischen Souveränitätsverständnis und Konstitutionalismus im Vor- märz. Berlin 1977, S. 11f. F. Hoefer: Pressepolitik und Polizeistaat Metternichs. Die Überwachung von Presse und politischer Öffentlichkeit in Deutschland und den Nach- barstaaten durch das Mainzer Informationsbüro (1833–1848). Tübingen 1982, S. 39. Zu den Anfängen aktiver staatlicher Pressepolitik in Preußen siehe Andrea Hofmeister- Hunger: Pressepolitik und Staatsreform. Die Institutionalisierung staatlicher Öffentlich-

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sche Leben. Eine wichtige Bedeutung für diese Arbeit hat deshalb die soziologi- sche Theorie von Zensur. Sie geht von der Geltung bestimmter Normen aus, rückt aber Normenkonstitution und Normenkontrolle als Herrschaftsinstrumente in den Mittelpunkt: Ulla Otto betrachtet Zensur generell als „Herrschaftsinstru- ment“, als „Reaktion der Herrschenden auf unerwünschte literarische Äußerun- gen“ innerhalb des Kampfes um staatliche Entscheidungsgewalt:

„Fest steht, dass jegliche Zensur generell als politischer Integrationsversuch unter negativen Vorzeichen dienen soll. Denn Zensur zielt auf dem Wege kulturellen Ein- flusses kurzfristig auf eine Gestaltung der Öffentlichkeit im Sinne der herrschenden bzw. machtbegierigen sozialen Gruppe ab, während sie langfristig die normative In- tegration der Beherrschten über das der betreffenden Herrschaft zugrunde liegende und deren Bestand sichernde Wertesystem anstrebt. Folglich besteht die eigentliche Funktion der Zensur offenbar darin, eine bestimmte erwünschte kulturelle und damit implizit auch soziale ebenso wie politische Richtung zu propagieren und zu unter- stützen.“19

keitsarbeit bei Karl August von Hardenberg (1792–1822). Göttingen 1994. Lothar Ditt- mer: Beamtenkonservativismus und Modernisierung. Untersuchungen zur Vorgeschich- te der Konservativen Partei in Preußen 1810–1848/49. Stuttgart 1992. Johann Caspar Struckmann: Staatsdiener als Zeitungsmacher. Die Geschichte der Allgemeinen Preußi- schen Staatszeitung. Berlin 1981. Auf den engen Zusammenhang von Zensur und Pro- paganda im Sinne von Meinungsbeeinflussung und politischer Sinnstiftung haben in jüngerer Zeit Wolfram Siemann und Ute Daniel hingewiesen: Historische Dimensionen der Propaganda. In: Propaganda. Meinungskampf, Verführung und politische Sinnstif- tung (1789–1989). Hg. von W. Siemann und U. Daniel. Frankfurt a. M. 1994, S. 7–20.

19 Ulla Otto: Zensur – Schutz der Unmündigen oder Instrument der Herrschaft? In: Publi- zistik 13 (1968), H. 1, S. 11. Otto hat versucht, eine soziologische Phänomenologie der Zensur zu entwickeln, die partikuläre Entwicklungen und Zusammenhänge übergreift.

Vgl. U. Otto: Die literarische Zensur als Problem der Soziologie der Politik. Stuttgart 1968. Diesem Ansatz fühlen sich auch neuere Definitionsversuche verpflichtet, z.B.

Michael Kienzle und Dirk Mende: Geschichte der literarischen Zensur in Deutschland.

Heidelberg 1982, S. 11f.: Hier wird der Zensur folgende allgemein gültige Funktion zu- gewiesen: „Zensur [zielt] auf die Internalisierung von Herrschaftsansprüchen. Zensur- maßnahmen sollen die öffentliche Meinung vor Äußerungen schützen, welche die be- stehende Ordnung gefährden könnten: die Herrschafts-, Autoritäts- und vor allem die Eigentumsverhältnisse. Dabei werden die Unmündigkeit und das Schutzbedürfnis be- stimmter gesellschaftlicher Gruppen gegenüber solchen Äußerungen unterstellt. Von dieser Vorstellung ausgehend, zielt Zensur auf die Entmündigung der Mehrheit der Be- völkerung. Zensurmaßnahmen sollen die öffentliche Erörterung von Konflikten ein- schränken, um Autoritäts- und Loyalitätsverluste einzudämmen und rückgängig zu ma- chen. Angriffe auf sexualmoralische, religiöse und politische Normen werden staatli- cherseits nur abgewehrt, wenn diese Normen herrschaftskonformes Verhalten konser- vieren. [...] Zensurmaßnahmen kulminieren in Zeiten politischer Legitimationskrisen und gesellschaftlicher Veränderungen.“ Ein Desiderat ist eine Phänomenologie der lite- rarischen Zensur, die im geschichtlichen Prozess Normstrukturen und Kontrollmecha- nismen funktional einsichtig macht und das spezifisch literarische Moment der Zensur

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Dieter Breuer ist zuzustimmen, wenn er feststellt: „Im Grunde handelt es sich um das Problem von Normen und Wandel der Normierungen des Sprechens, des Denkens, des Verhaltens nach innen und außen.“

20

Literarische Zensur ist ein zur Norm erhobenes Weltbild, zumindest aber bestimmten gesellschaftlichen Verhaltensmustern verpflichtet.

Es wird also zu untersuchen sein, inwiefern Gutzkow gegen die staatlich sanktionierten Normen verstieß. Hierzu werden unter anderem die einschlägigen preußischen Zensurakten (siehe Quellenlage, Kap 1.3.) ausgewertet. Sie geben Aufschluss darüber, warum Gutzkow in so eklatanter Weise mit den Zensurbe- hörden in Konflikt geriet, was zensiert wurde und welchem Ziel die Zensurmaß- nahmen dienten. Immerhin galt „Wally, die Zweiflerin“ staatlichen Stellen als

„frechste Verunglimpfung des Christenthums“.

21

Für Fürst Metternich waren Gutzkow und die Jungdeutschen Revolutionäre, „materielle und ideelle Höllen- maschinen“,

22

deren Zweck es sei, „die gesamte bürgerliche Gesellschaft in ih- ren Grundlagen zu zerstören“.

23

Insofern stehen nicht die literarische Qualität seiner Arbeiten im Focus, sondern die ideellen und ideologischen Orientierun- gen, die in seiner Literaturproduktion zwischen 1830 und 1847 zum Ausdruck kamen. Schließlich wird zu klären sein, inwieweit die Zensur im Fall Gutzkow ihr Ziel erreichte, oder ob die Zensur letztlich nicht sogar das beförderte, was sie eigentlich verhindern wollte.

Wenn Zensur „die historisch gleichaltrige Parallel- und Folgeerscheinung der Literatur als Einflussfaktor in der Gesellschaft“

24

ist, dann wird der zensori- sche Eingriff nicht allein vom Textinhalt einer inkriminierten Schrift her ver-

noch stärker an den Texten selbst bestimmt. Otto beschränkte sich bei ihrem Versuch auf die Bestimmung der sozialen Funktionen von Literatur.

20 D. Breuer: Geschichte der literarischen Zensur in Deutschland, S. 11f. Siehe auch Wolf- ram Siemann: Normenwandel auf dem Weg zum „modernen“ Zensur. In: John McCart- hy/Werner von Ohe (Hg.): Zensur und Kultur. Zwischen Weimarer Klassik und Weima- rer Republik mit einem Ausblick bis heute (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 51). Tübingen 1995, S. 63–86.

21 So heißt es in dem Gutachten des Oberzensurkollegiums, das schließlich zum Verbot des Buches in Preußen führte. GStA Rep. 77 II, Nr. 29, Bl. 7. Abgedruckt unter ande- rem bei Ludwig Geiger: Das junge Deutschland und die preußische Zensur. Nach unge- druckten archivalischen Quellen. Berlin 1900, S. 58.

22 Siehe den Brief von Metternich an preußischen Minister Wilhelm Fst. zu Sayn- Wittgenstein vom 31.10.1835. Zitiert nach Otto Draeger: Theodor Mundt und seine Be- ziehungen zum Jungen Deutschland. Marburg 1909, S. 145f.

23 Siehe den Brief von Metternich an Wittgenstein vom 17.11.1835. Zitiert nach: Neue Quellen zur Geschichte Preußens im 19. Jahrhundert. Hg. und bearbeitet von Hans- Joachim Schoeps. Berlin 1968, S. 185.

24 Ulla Otto: Die literarische Zensur als Problem der Soziologie der Politik. Stuttgart 1968, S. 146. Otto begreift die Literaturzensur als „autoritäre Kontrolle aller menschlichen Äußerungen, die innerhalb eines bestehenden gesellschaftlichen Systems mit der Be- mühung um sprachliche Form geschrieben werden“ (Ebenda, S. 6).

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ständlich, sondern auch von der funktionellen Bedeutung, die (literarische) Kommunikation bzw. die „öffentliche Meinung“ in der damaligen Zeit einnahm.

Begriff und Prozess der „politischen bürgerlichen Öffentlichkeit“ sowie der „öf- fentlichen Meinung“ hat Franz Schneider 1966 in eine bis heute akzeptable De- finition gefasst:

„Politische bürgerliche Öffentlichkeit deutet sich primär als der vom Bürgertum er- zeugte und besonders von publizistischen Institutionen getragene Kommunikations- bereich, in dem politische Meinungen und Tatsachen evident, d.h. allgemeiner Kenntnisnahme offenbar werden. In diesem Bereich entwickelt sich jener Synkre- tismus von Einzelstimmen, der ‚öffentliche Meinung‘ genannt wird.“25

„Öffentlichkeit“ im modernen Sinne entstand im 18. Jahrhundert durch die Ent- faltung einer neuen politischen Presse, in der dichteren Gruppierung von Schriftstellern,

26

einer Erweiterung des lesenden Publikums

27

und seiner Organi-

25 Franz Schneider: Pressefreiheit und politische Öffentlichkeit. Studien zur politischen Geschichte Deutschlands bis 1848. Berlin, Neuwied 1966, S. 12, S. 52ff. Nach wie vor grundlegend: Jürgen Habermas. Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft. Unveränd. Nachdr., 4. Aufl. Frankfurt a.

M. 1995. Als wichtige politologisch-ideengeschichtliche Darstellung siehe Reinhard Koselleck: Kritik und Krise. Ein Beitrag zur Pathogenese der bürgerlichen Welt. Frei- burg/München 1969. Schneiders Arbeit baut auf Habermas’ und Kosellecks mehr theo- retischen Studien auf und füllt sie mit empirischer Kleinarbeit. Zu den Begriffen „Öf- fentliche Meinung“ und „Öffentlichkeit“ siehe auch Lucian Hölscher: Öffentlichkeit und Geheimnis. Stuttgart 1979, S. 105ff., S. 136ff. Ders.: Öffentlichkeit. In: Geschicht- liche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutsch- land. Hg. von O. Brunner, W. Conze, R. Koselleck, Bd. 4. Stuttgart 1978, S. 413–467.

Auf Preußen bis 1819 bezogen Ulrike Schömig: Politik und Öffentlichkeit in Preußen.

Entwicklung der Zensur- und Pressepolitik zwischen 1740 und 1819. Würzburg 1988, S. 6ff. Aus der Fülle der älteren Standardliteratur Wilhelm Bauer: Die öffentliche Mei- nung und ihre geschichtlichen Grundlagen. Ein Versuch. Tübingen 1914, bes. S. 67ff.

Ernst Mannheim: Die Träger der öffentlichen Meinung im 18. Jahrhundert. Hamburg 1958. Ricarda Mischke: Die Entstehung der öffentlichen Meinung im 18. Jahrhundert.

Hamburg 1958. Ulla Otto: Die Problematik des Begriffs der öffentlichen Meinung. In:

Publizistik 11 (1966), S. 99–130.

26 Hans H. Gerth: Bürgerliche Intelligenz um 1800. Zur Soziologie des deutschen Frühli- beralismus (Phil. Diss. 1935). Neu hg. von U. Herrmann. Göttingen 1976, S. 61. Zahlen bei Johann Goldfriedrich: Geschichte des deutschen Buchhandels. 4 Bde. Leipzig 1886–

1913, hier Bd. 3, S. 249f. Über die Entstehung des Typus „freier Schriftsteller“ seit Mit- te des 18. Jahrhunderts hat Haferkorn eine ausführliche Darstellung vorgelegt: Hans Jürgen Haferkorn: Zur Entstehung der bürgerlich-literarischen Intelligenz und des Schriftstellers in Deutschland zwischen 1750 und 1800. In: Deutsches Bürgertum und literarische Intelligenz 1750 bis 1800. Hg. von Bernd Lutz. Stuttgart 1974, S. 113–275.

27 Zum sozialhistorischen Kontext der „Kommunikationsrevolution“ insgesamt Rolf En- gelsieg: Analphabetentum und Lektüre. Zur Sozialgeschichte des Lesens in Deutschland zwischen feudaler und industrieller Gesellschaft, Stuttgart 1983. Ders.: Der Bürger als Leser. Lesergeschichte in Deutschland 1500–1800. Stuttgart 1974.

(8)

sation in Sozietäten

28

sowie einem aufblühenden Buchhandel.

29

Hinzu kam ein Vereinswesen, in dem sich auch die zunehmende Politisierung der Gesellschaft spiegelte, weit über das Bildungsbürgertum hinaus.

30

Ein neuer Stand von Be- rufsschriftstellern, zu dem eben auch Gutzkow gehörte, begann sich in den städ- tischen Zentren der Bürokratie und des Gesellschaftslebens zu bilden.

31

Der freie Schriftsteller, löste den ständischen ab und stellte sich, wie Haferkorn feststellt,

„als ein universaler Typ dar, der in sich das Amt des Dichters mit den Funktio- nen des Tagesschriftstellers, Redakteurs, Herausgebers, Kritikers, Literaturwis- senschaftlers und Dramaturgen verband“.

32

Auch Gutzkow hat im Verlauf seines Lebens alle diese Funktionen übernommen, was Theodor Fontane zu der spötti- schen Bemerkung verleitete: Gutzkow sei ein „brillianter Journalist, der sich das

‚Dichten‘ angewöhnt“ habe.

33

Tatsächlich war Gutzkow ein typischer Vertreter der modernen Schriftstellergeneration, für den die Grenzen zwischen Literatur und Journalismus fließend waren. Diese Flexibilität war einerseits Ausdruck von Gutzkows Kunstverständnis und andererseits notwendig, um auf dem literari- schen Markt bestehen zu können.

Die sich in Deutschland herausbildende politische Öffentlichkeit erhielt ins- besondere durch die Pariser Revolution im Jahr 1830 neue Impulse. Sichtbares Zeichen der Aufbruchstimmung liberaler und nationaler Kräfte war schließlich

28 Marlies Prüsener: Lesegesellschaften im 18. Jahrhundert. In: Archiv der Geschichte des Buchhandels 13 (1973), S. 531–594. Ulrich Im Hof: Das gesellige Jahrhundert. Gesell- schaft und Gesellschaften im Zeitalter der Aufklärung. München 1982, hier besonders S. 123–133. Richard van Dülmen: Die Gesellschaft der Aufklärer. Zur bürgerlichen Emanzipation und aufklärerischen Kultur in Deutschland. Frankfurt a. Main 1986, hier bes. S. 81–119. Otto Dann (Hg.): Lesegesellschaften und bürgerliche Emanzipation. Ein europäischer Vergleich. München 1981. Klaus Gerteis: Bildung und Revolution. Die deutschen Lesegesellschaften am Ende des 18. Jahrhunderts. In: AKG 53 (1971), S.

127–139.

29 Zentral ist die Arbeit von Reinhard Wittmann: Geschichte des deutschen Buchhandels im Überblick. 2. durchges. Aufl. München 1999. Siehe außerdem J. Popkin: Buchhan- del und Presse im napoleonischer Deutschland. In: Archiv der Geschichte des Buchhan- dels 26 (1986), S. 285–296. Helmut Kiesel/Paul Münch: Gesellschaft und Literatur im 18. Jahrhundert. Voraussetzungen und Entstehung des literarischen Marktes in Deutsch- land. München 1977, S. 113.

30 Vgl. als paradigmatische Studie zum vormärzlichen Vereinswesens Cornelia Foerster:

Der Preß- und Vaterlandsverein von 1832/33. Sozialstruktur und Organisationsformen der bürgerlichen Bewegung in der Zeit des Hambacher Festes. Trier 1982. Sowie der Überblick von Otto Dann (Hg.): Vereinswesen und bürgerliche Gesellschaft in Deutsch- land. München 1984.

31 H. H. Gerth: Bürgerliche Intelligenz um 1800, S. 61.

32 H. J. Haferkorn: Zur Entstehung der bürgerlich-literarischen Intelligenz, S. 128.

33 Zitiert nach Wolfgang Rasch: Nachwort. Karl Gutzkow in Berlin. In: Karl Gutzkow.

Berlin – Panorama einer Residenzstadt. Hg. und mit einem Nachwort von Wolfgang Rasch. Berlin 1995, S. 204.

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am 27. Mai 1832 das „Hambacher Fest“ mit mehr als 20.000 Teilnehmern. Auch ein bedeutender Teil der Literatur wurde politisch, kehrte sich gegen die Vor- herrschaft des Ästhetischen, gegen das Zeitlose, das Innerliche. Sie wollte Ten- denz und Kritik sein, sich dem Zeitgeist öffnen, progressiv und emanzipatorisch.

Einer derjenigen, auf den die Revolution wie einer Art Initialzündung wirkte, war der damals 19-Jährige Student Gutzkow.

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Geradezu seismographisch nahm er die Spannungen und Gegensätze in Staat und Gesellschaft wahr. Der Wunsch als Zeitschriftsteller zu arbeiten, war auch mit dem Wunsch verbunden, eine freie, demokratische (Gegen-)Öffentlichkeit zu etablieren. „Amphibienartig le- ben wir halb auf dem Festlande der Politik, halb in den Gewässern der Dicht- kunst“, so beschrieb Gutzkow in einem Brief an Ludwig Börne vom 14. Sep- tember 1835 seine Lage als moderner Schriftsteller.

35

Sein literaturpolitisches Programm, der Versuch, die Kunst und das Leben miteinander zu verknüpfen und das Schreiben auf die Wirklichkeit zu beziehen, bedeutete eine Herausfor- derung für die Etablierten. Es brachte ihn mit der Zensur und mit dem traditio- nellen literarischen System gleichermaßen in Konflikt.

Bereits die von der Aufklärungsbewegung

36

getragene Forderung nach öf- fentlicher Kritik der bisher unangefochtenen Autoritäten Religion und Regie- rung

37

hatte die Arkanpostulate des monarchischen Staates und sein Monopol auf politische Information beträchtlich erschüttert.

38

Zudem hatten die Befrei- ungskriege gegen Napoleon 1813/15, die zum ersten Mal nicht als Kabinetts-, sondern zum Teil als Volkskrieg geführt wurden, tief greifende Folgen für die gesellschaftliche Kommunikation. Die Rolle der Presse im Sinne einer Mobili- sierung der Bevölkerung gegen Napoleon hatte Erwartungen an politische Teil- habe und Pressefreiheit geweckt, die von den Herrschenden aber nicht eingelöst bzw. nach einer gewissen Zeit gerade in Preußen wieder zurückgenommen wur-

34 Walter Dietze zufolge wurde die Pariser Revolution für die junge Generation zum „ent- scheidenden Moment ihres Lebens […], ja ihre gesamte politische und literarische Kon- zeption ist nur auf Grund und im Rahmen der Nachwirkungen vorstellbar, […].“ Siehe Walter Dietze: Junges Deutschland und deutsche Klassik. Zur Ästhetik und Literatur- theorie des Vormärz, 3. Aufl. Berlin 1962, S. 123.

35 Zitiert nach Heinrich Hubert Houben: Jungdeutscher Sturm und Drang. Ereignisse und Studien. Leipzig 1911, S. 108.

36 Zum Aufklärungsbegriff Hans Erich Bödeker/Ulrich Herrmann: Aufklärung als Politi- sierung – Politisierung der Aufklärung. Fragestellungen. In: Dies. (Hg.): Aufklärung als Politisierung – Politisierung der Aufklärung. Hamburg 1987, S. 3–9, hier bes. S. 4f. und 6f. Zur Aufklärungsforschung siehe ferner die Sammelbände: Franklin Kopitzsch (Hg.):

Aufklärung, Absolutismus und Bürgertum in Deutschland. München 1976. Peter Pütz (Hg.): Erforschung der deutschen Aufklärung. Königstein/Ts. 1980. Siehe auch Werner Schneiders: Hoffnung und Vernunft. Aufklärungsphilosophie in Deutschland. Hamburg 1990.

37 Vgl. J. Habermas: Strukturwandel der Öffentlichkeit, S. 49.

38 Zum Informationsmonopol und der Arkanhaltung des „absolutistischen“ Staates vgl. F.

Schneider: Pressefreiheit, S. 86ff.

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den. Spätestens nach den „Karlsbader Beschlüssen“ zeichnete sich die Oppositi- onshaltung einer liberal bestimmten „öffentlichen Meinung“ gegenüber restaura- tiven Bestrebungen im Deutschen Bund ab. Während die Liberalen – zu denen auch Gutzkow

39

gerechnet werden muss – das „System der vollen Öffentlich- keit“ als Bürgerrecht, als Mittel zur Auswahl einer Führungselite, als Medium der Aufklärung und Erziehung des Volkes sowie als Garantie der staatlichen Einheit vehement einforderten,

40

verwiesen die Konservativen auf seine Unste- tigkeit und Gefährdung durch Manipulationen.

41

Das Ziel konservativer Kreise war es, die Vernunft aus dem öffentlichen Räsonnement zu lösen und sie an die herrschende Elite, den Souverän und die Verwaltung zu binden.

Sie sollte, mittels „staatsbürgerlicher Integration von oben“,

42

zur öffentli- chen Meinung „popularisiert“ werden und nicht, wie es die Liberalen wünsch- ten, aus der Gesellschaft heraus entfaltet den Rahmen für das staatliche Handeln abstecken und die Grenzen der Gesetzgebung bestimmen.

39 Gutzkows Liberalismus bildet den ersten thematischen Komplex des Bandes Karl Gutz- kow: Liberalismus – Europäertum – Modernität. Hg. von Roger und Martina Lauster (Vormärz-Studien 6). Bielefeld 2000. Die politische Einstellung des Autors unterschei- det ihn, wie es in der Einleitung heißt, „deutlich vom Mainstream des deutschen Libera- lismus“ (S. 9): Gutzkow gebe sich nicht, „mit dem nationalistischen Denken zufrieden, das für Deutschland einen ‚dritten Weg‘ zwischen westlich-parlamentarischer Demo- kratie und östlichem Despotismus postuliert, nämlich den der konstitutionellen Monar- chie. Für ihn bleiben die Westorientierung der 1830er Jahre, die südwestdeutsche, von Frankreich ausgehende Tradition und damit das Ideal eines Systems verbindlich, dessen Priorität in der Emanzipation der Staatsbürger liegt.“

40 Vgl. z. B. C. Th. Welcker: Artikel „Öffentlichkeit“. In: C. v. Rotteck/C. Th. Welcker (Hg.): Staatslexikon, Bd. 12. Altona 1841, S. 252–309, hier S. 290–296. Vgl. etwa Rai- ner Schimpf: Der „Freisinnige“ und der Kampf der badischen Liberalen für die Presse- freiheit 1831/32. In: Die Anfänge des Liberalismus und der Demokratie in Deutschland und Österreich 1830–1848/49. Hg. Von Helmut Reinalter. Frankfurt a. M. 2002, S.

157–190. Auch Gutzkow schrieb kurze Zeit für den „Freisinnige[n]“.

41 Kritisch-analysierende Beiträge zur Geschichte des deutschen Konservativismus seit 1815 finden sich in: Dirk Stegmann/B.-J. Wendt, P.-Chr. Witt (Hg.): Deutscher Konser- vativismus im 19. und 20. Jahrhundert. Bonn 1983. Generell und mit Überblicken über die neuen politischen Bewegungen, auch über den Konservativismus: Thomas Nipper- dey: Deutsche Geschichte 1800–1866. Bürgerwelt und starker Staat. München 1994, S.

313–319. Reinhard Rürup: Deutschland im 19. Jahrhundert 1815–1871. Göttingen 1984. Über die Entstehung der christlichen Parteien in Deutschland und Europa: Hans Maier: Revolution und Kirche. Zur Frühgeschichte der christlichen Demokratie. Mün- chen 1973. Grundlegend zum Konservativismus: Panajotis Kondylis: Konservativismus.

Geschichtlicher Gehalt und Untergang. Stuttgart 1986. Karl Mannheim: Konservativis- mus. Ein Beitrag zur Soziologie des Wissens. Frankfurt a. M. 1984. Klaus Epstein: Die Ursprünge des Konservativismus in Deutschland 1770–1806. Aus dem Englischen von Johann Zickler. Frankfurt a. M./Berlin 1973.

42 F. Schneider: Pressefreiheit, S. 279.

(11)

Auf die veränderten Strukturbedingungen und den expandierenden literari- schen Markt reagierten die preußischen Zensurbehörden mit immer neuen Ge- setzen und Richtlinien. Hervorstechendes (inhaltliches) Merkmal war ein schichtspezifisches, das heißt, nach sozialen Klassen gestaffeltes Vorgehen.

43

Es gab eine klare Trennung in „Mündige“ und „Unmündige“. Dass oppositionelle Autoren wie Gutzkow die Grenzüberschreitung bewusst vornahmen, und dass sie durch Strategien der Diskursvermischung eine Breitenwirkung für Themen des Elitediskurses suchten, ist offensichtlich. Es wird aus Autorenperspektive zu untersuchen sein, ob diese Diskursvermischung tatsächlich ein breites Publikum ansprach, das heißt Gutzkow Aufmerksamkeit und hohe Auflagen bescherte, und ob sie eine Wirkung im Sinne seiner literaturpolitischen Intention erzielte.

Aus Perspektive der staatlichen Kontrollorgane wird zu fragen sein, inwiefern die staatlichen Behörden ihre Verfolgung mit der Diskursvermischung begrün- deten. Weitere Fragestellungen ergeben sich aus dem Forschungsstand.

Schließlich noch einige Anmerkungen zur zeitlichen Eingrenzung der Arbeit und zum Gang der Untersuchung: Der Schwerpunkt der Untersuchung liegt auf den Jahren 1830 bis 1847. Sie folgt damit Raschs Überlegungen, „dass weder Gutzkows Übersiedelung nach Hamburg Ende 1837 noch seine Hinwendung zum Theater 1839/40 von einschneidender Bedeutung war. Zur entscheidenden Zäsur wird erst die Etablierung Gutzkows als Dramaturg am Hoftheater in Dres- den mit Beginn des Jahres 1847. Der einstmals gesellschaftlich geächtete und gefürchtete ‚Jungdeutsche‘ verliert seinen Schrecken und gewinnt mit seiner neuen Aufgabe enorm an sozialer Reputation.“

44

So schreibt Gutzkow am 20.

Dezember 1846 seiner Frau voller Stolz aus Dresden, dass er nun mit den höchs- ten Kreisen der Gesellschaft in Berührung käme:

„Wie anders das, als in Frankfurt, wo der dümmste Kaufmann gegen mich den Vor- nehmen spielte, wo Herr von Bethmann es für eine Gnade hielt, einem armen Schriftsteller eine Einladung zu schicken. Lumpengesindel das! Generälen, Kam-

43 Vgl. R. Wittmann: Geschichte des deutschen Buchhandels im Überblick. 2. durchges.

Aufl. München 1999, S. 229: Er bezeichnet das Bild eines Buchmarktes, welcher unter allumfassender Repression stand als falsch. „Neben einem großen Bereich fachlicher und wissenschaftlicher Schriften, für den die Zensur so gut wie keine Rolle spielte, ge- dieh ein kaum geringerer und statt auf Konfrontation auf die Entdeckung und Besetzung von staatsfreien Nischen setzte. Denn während die Regierungen argwöhnisch darüber wachten, dass breitere Mittel- oder gar Unterschichten von allen freiheitlichen Tenden- zen in Büchern und Periodika ferngehalten wurden, tolerierten sie zugleich scheinbar unverfängliche, rein kommerzielle Unternehmungen, deren gesellschaftliche Spreng- kraft aber kaum geringer war, weil sie dank billiger Massenauflagen ein enorm großes Publikum erreichen und beeinflussen konnten.“

44 W. Rasch: Bibliographie Karl Gutzkow, Bd. 1, S. 17.

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merherren, Hofmarschällen, Räten wird’ ich in den Gesellschaften vorgestellt und die Frauen drängen sich, mit mir zu reden, Gräfinnen und Baronessen.“45

Der soziale Aufstieg des Jungen aus einfachen Verhältnissen ist geglückt. Kurz zuvor waren seine „Gesammelten Werke“ erschienen. Damit war, so urteilt Carsten Wurm, Gutzkow in „den Stand eines Klassikers erhoben“.

46

Und das, obwohl er – einer der spektakulärsten Zensurfälle des 19. Jahrhunderts – wenige Jahre zuvor noch verfemt war. Innerhalb dieser Zeitspanne müssen drei Phasen unterschieden werden: Die Jahre des Aufstiegs, des Experimentierens, der ideel- len Opposition und schließlich des kalkulierten Tabubruchs von 1830 bis 1835.

Dann das Jahr 1836, also der Krise, wo Gutzkow um seine bürgerliche Existenz bangen musste. Und schließlich die Zeit nach 1836. Sie umfasst das Ende der journalistischen Phase Gutzkows, die Hinwendung zum Theater und seine er- folgreiche Integration in den Kulturbetrieb. Das Jahr 1835 mit Gutzkows „Vor- rede zu Schleiermachers ‚Vertraute[n] Briefe[n] über die Lucinde‘“, dem Roman

„Wally, die Zweiflerin“ und schließlich dem Versuch, mit der „Deutschen Re- vue“ eine eigene, große Zeitschrift zu gründen, markieren den Höhepunkt und im Wesentlichen auch das Ende der jungdeutschen Phase in Gutzkows Schaffen.

Sie machten ihn aber auch bekannt. Deshalb stehen die genannten Schriften und die behördlichen Reaktionen auf diese Schriften im Zentrum der Arbeit. Die vorliegende Arbeit orientiert sich zunächst an dieser zeitlichen Gliederung.

Gutzkow erkannte als einer der Ersten die Chancen des expandierenden lite- rarischen Marktes und versuchte, sie für sich persönlich zu nutzen. Außerdem beteiligte er sich außerordentlich engagiert an den aktuellen Diskussionen zum Buchhandel. Er formulierte innovative Ideen zur Optimierung der Buchwerbung und des Buchabsatzes, stritt um Autorenrechte und kritisierte die „Übersetzungs- fabriken“. Gerade seine Schriften,

47

in denen er sich zur literarischen Öffentlich-

45 Der Brief ist abgedruckt in: Therese von Bacheracht und Karl Gutzkow. Unveröffent- lichte Briefe (1842–1849). Hg. von Werner Vordtriede. München 1971, S. 38.

46 Carsten Wurm: 150 Jahre Rütten & Loening: …mehr als eine Verlagsgeschichte. 1844–

1994. Berlin 1994, S. 42.

47 Seine zentralen Schriften zum Buchhandel und zur literarischen Praxis werden in Kapi- tel 11 der vorliegenden Arbeit untersucht. Hervorzuheben sind folgende Schriften, die auch im digitalen Editionsprojekt Karl Gutzkow <http://projects.exeter.ac.uk/- gutzkow/Gutzneu/gesamtausgabe/index.htm>[Letzter Zugriff am 10.1.2010] veröffent- licht sind: Literarische Industrie. In: Karl Gutzkow: Beiträge zur Geschichte der neues- ten Literatur. Band. 1. Stuttgart: Balz, 1836, S. 9–21. K[arl] G[utzkow]: Ueber eine Re- form des deutschen Buchhandels. In: „Frankfurter Telegraph“ [Neue Folge], Nr. 46, [19.] Juni 1837, S. 361–368. [Karl] G[utzkow]: Ueber Preisherabsetzung im Buchhan- del. In: „Telegraph für Deutschland“ Nr. 195, [7.] Dezember 1838, S. 1553–1558. Wei- tere Auflagen: Unvollständiger und glossierender Wiederabdruck in: Heinrich Hoff:

Karl Gutzkow und die Gutzkowgraphie. Mannheim 1839, S 15–37, 77–78. Und: das Faksimile nach der Ausgabe Mannheim 1839. Heidelberg 1977. [Karl] G[utzkow]: In Sachen des Nachdrucks. In: Telegraph für Deutschland. Hamburg. Nr. 63, [20.] April

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keit geäußert hat, verdienen besondere Beachtung, da er darin zu allen wesentli- chen Entwicklungen auf dem Buchmarkt Stellung nahm. In den Stellungnahmen spiegeln sich Gutzkows komplexe (und zum Teil komplizierte) Beziehungen zu seinen Verlegern, zu seinem Publikum und zu den literarischen Vermittlungsin- stanzen. Sie stellen deshalb neben dem Briefverkehr mit seinen Verlegern einen wesentlichen Schlüssel dar für Gutzkows Selbstverständnis als Berufsschriftstel- ler. Sie sollen deshalb in den Kapiteln 11 und 12 untersucht werden. Zu den Ste- reotypen des Schriftsteller- bzw. Journalistenberufes im 19. Jahrhundert gehört seine schlechte Bezahlung. Auch Gutzkows biographischen Schriften und insbe- sondere die Briefe an seine Verleger zeichnen seine finanzielle Situation über- wiegend in düstersten Farben: So schrieb Gutzkow am 15. Februar 1834 an Cot- ta:

„Ich gestehe Ihnen, dass mich zuweilen eine Art Verzweiflung über die prekäre La- ge des Autors faßt, und ich möchte mich dann in eine mit Dampf getriebene Indust- rie stürzen.“48

Abschließend wird zu untersuchen sein, ob diese Klage gerecht fertig war oder ob sie eher taktische Gründe bei den Verhandlungen über Honorare hatte. Die Höhe der Honorare ist ein guter Indikator für die Stellung, die ein Schriftsteller auf dem literarischen Markt einnimmt.

1.2. Forschungsstand

Karl Gutzkow taucht in jeder (deutschen) Literaturgeschichte auf, aber selten wird er positiv bewertet. Woran liegt das? Folgt man dem sorgfältigen For- schungsreferat von Volkmar Hansen,

49

in dem das Gutzkow-Bild bis etwa 1976 kritisch nachgezeichnet worden ist, fällt die Antwort nicht schwer: Es ist die künstlerische und theoretische „Unzulänglichkeit Gutzkows“, die ihn als Schrift- steller und, wie es Peter Stein formulierte, als „lohnenswertes Objekt der For-

1838, S. 497–504. [Anon.]: Die Deutschen Uebersetzungsfabriken. In: „Telegraph für Deutschland“ Nr. 7, [11.] Januar 1839, S. 49–52; Nr. 8, [12.] Januar 1839, S. 57–59.

Später veröffentlichte Gutzkow noch weitere Schriften, etwa „Illustration und Volks- verdummung“ (1860) und zu den „Eisenbahn-Bibliotheken“ (1855). Sie fallen aber in eine spätere Schaffensphase von Gutzkow und werden deshalb in vorliegender Arbeit nicht berücksichtigt. Aufschlussreich für Gutzkows Positionen sind neben den Arbeiten von Gerhard Friesen der Aufsatz von Christine Haug: „Populäres auch populär vertrei- ben […]“ – Karl Gutzkows Vorschläge zur Reform des Buchhandels und zur Beschleu- nigung des Buchabsatzes. In: Gutzkow lesen! Beiträge zur internationalen Konferenz des Forum Vormärz Forschung. Der Aufsatz wurde neu abgedruckt in: Michael Perrau- din/Helmut Koopmann (Hg.): Nachmärz und Realismus. Bielefeld 2000, S. 189–215.

48 Briefe an Cotta. Hg. von H. Schiller, S. 361f.

49 Volkmar Hansen: „Freiheit! Freiheit! Freiheit!“ Das Bild Karl Gutzkows in der For- schung mit Ausblicken auf Ludolf Wienbarg. In: Literatur in der sozialen Bewegung.

Hg. von Alberto Martino. Tübingen 1977, S. 488–542.

(14)

schung“

50

scheitern ließ. Gutzkow drohte als „widriges Stil-Monstrum“ (Fried- rich Nietzsche) abqualifiziert in der Versenkung zu verschwinden.

51

Doch seit etwa zehn Jahren erlebt das literarische Werk Gutzkows eine beachtliche Re- naissance. Ein an der University of Keele 1997 durchgeführtes Symposium gab den Anstoß zur Gründung einer internationalen Arbeitsgruppe, die sich mit der Edition der Werke und Briefe Karl Gutzkows beschäftigte.

52

Zur gleichen Zeit wurde das sehr weitläufige und verstreut publizierte Werk Gutzkows von Rasch erstmals bibliographisch erfasst. Die häufigen Verlagswechsel und die Praxis des Autoren, seine mehrbändigen Großromane mehrfach zu überarbeiten, sowie sein zahlenmäßig kaum überschaubares journalistisches Werk, hatten dazu ge- führt, dass die Texte und Schriften bis in die 90er Jahre des 20. Jahrhunderts weder wissenschaftlich noch bibliographisch erschlossen waren. Erst Wolfgang Rasch hat mit seiner Gutzkow-Bibliographie diese, die Forschung nachhaltig hemmende Misere behoben.

53

Die Bibliographie dokumentiert zudem ein- drucksvoll die Breite und Vielseitigkeit von Gutzkows Werk.

50 Peter Stein: Probleme der literarischen Proklamation des Politischen. Karl Gutzkow im Jahre 1835. In: Das Junge Deutschland. Kolloquium zum 150. Jahrestag des Verbots vom 10. Dezember 1835. Hg. von Joseph A. Kruse und Bernd Kortländer. Hamburg 1987, S. 134–154, hier S. 134.

51 Bereits kurz nach seinem Tode mutmaßte Theodor Fontane: „Sein Name wird bleiben, aber von seinen Werken nichts“. Zitiert nach: K. Gutzkow: Liberale Energie. Eine Sammlung seiner kritischen Schriften. Ausgewählt und eingeleitet von Peter Demetz.

Frankfurt a. M. 1974, S. 9. Weitere zeitgenössische und aktuelle Urteile über Leben und Werk Karl Gutzkows finden sich auf der Internet-Seite <http://projects.exeter.- ac.uk/gutzkow/Gutzneu/person/index.htm> [Letzter Zugriff am 8.1.2010].

52 Weitere Informationen über die projektierte Internet-Edition: <http://www.ex.ac.uk/- german/gutzkow/Gutzneu/index.htm> [Letzter Zugriff am 8.1.2010]. Grundidee der als

„edition in progress“ entstehenden Gutzkow-Ausgabe ist es, eine dem neuesten Stand der Editionsphilologie entsprechende Gesamtausgabe der Werke und Briefe nach und nach der Öffentlichkeit vorzustellen. Alle Texte und Kommentare werden sukzessiv im Internet veröffentlicht; sie stehen damit für die weitere Erarbeitung und Verfeinerung der Kommentare schon frühzeitig zur Verfügung. Parallel zur Veröffentlichung der Texte und Kommentierungen im Internet gibt der Oktober Verlag in Münster Textbände heraus, die auch die herkömmliche Lektüre gewährleisten. Zu den Beiträgen der Konfe- renz siehe Karl Gutzkow: Liberalismus – Europäertum – Modernität (Vormärz-Studien, Bd. 6), Hg. von Roger Jones und Martina Lauster. Bielefeld 2000. Die „Gutzkow- Welle“, die seitdem rollt, lässt sich mit einer Erweiterung des Literaturbegriffes, der sich in der Germanistik vollzogen hat erklären. Ebenda, S. 8: „War es für mehr als ein Jahrhundert das Schicksal des Autors, dass seine Werke mit Kategorien des ästhetischen

‚Höhenkamms‘ gemessen und für mangelhaft befunden wurden, so erweisen sie sich jetzt als hervorragende Quellen für eine kulturwissenschaftlich orientierte Literaturwis- senschaft.“

53 Wolfgang Rasch (Hg.): Bibliographie Karl Gutzkow (1829–1880). Bd. 1: Primärlitera- tur; Bd. 2: Sekundärliteratur. Bielefeld 1998.

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Auch wegen der verbesserten Zugänglichkeit seiner Schriften und Briefe, gibt es nun eine neu entfachte Beschäftigung mit dem Autor und insbesondere mit seinem Werk.

54

Ob Gutzkow jedoch „ein verkanntes modernes Genie war, das im europäischen Vergleich bestehen kann“ (Rolf Vollmann),

55

muss hier nicht entschieden werden. Seine wichtige Stellung auf dem literarischen Markt des 19. Jahrhundert ist evident.

56

Umso erstaunlicher ist es, dass Gutzkows Arri- vierungsstrategie noch nie im Kontext mit den kulturellen, sozialen, ökonomi- schen und nicht zuletzt (zensur-)politischen Rahmenbedingungen der Vormärz- Jahre untersucht wurde. Zwei weitere Defizite der Gutzkow-Forschung, die auch die vorliegende Arbeit betreffen, sind das Fehlen einer umfassenden Biographie Gutzkows

57

sowie von Untersuchungen über die autobiographischen Schriften Gutzkows.

58

Zunächst zum Themenkomplex Zensur: Eine ausgezeichnete Übersicht über den Stand der Zensurforschung stammt von dem Germanisten Klaus Kanzop.

59

Er informiert über Genese und Systematik des Begriffs Zensur, über Zensurge- schichte in den Medien Buchdruck, periodische Presse, Theater, Film und Leih- bibliothek. Kanzop stellt unter dem Aspekt der Normenkonstitution und Nor- menkontrolle die Geschichte der Indices verbotener Bücher und der kirchlichen und säkularen Amtsautoritäten mit Zensurrecht dar. Er vergleicht das traditionell

54 So sind etwa eine Reihe neuer Dissertationen veröffentlicht worden: u.a. von Norbert Trobitz: Der Literaturkritiker Karl Gutzkow. Düsseldorf 2003; Ute Promis: Karl Gutz- kow: Romanautor und kritischer Pädagoge. Bielefeld 2003.

55 Siehe Einleitung in: K. Gutzkow. Liberalismus – Europäertum – Modernität. Hg. von R.

Jones und M. Lauster, S. 15.

56 Weitere Arbeiten und Aufsatzsammlungen zu Karl Gutzkow in: Gutzkow lesen! Beiträ- ge zur internationalen Konferenz des Forum Vormärz-Forschung vom 18. bis 20. Sep- tember 2000 in Berlin, Hg. von Gustav Frank/Detlev Kopp (Vormärz-Studien, Bd. 8).

Bielefeld 2001.

57 Eine „Chronik“ findet sich bei Karl Ferdinand Gutzkow: Schriften. Materialien. Hg.

von Adrian Hummel und Thomas Neumann. Frankfurt a. Main 1998, S. 389ff. Die Ar- beit von Armin Gerhardt [Ders.: Journalist und Gelegenheitsdichter. Marburg 2003] ist eine biographische Skizze, die jedoch für wissenschaftliche Zwecke kaum brauchbar ist, da sie auf Belegstellen und einen Anmerkungsapparat verzichtet.

58 Einen ersten Ansatz liefert Peter Hasubek: ‚Rückblicke‘ auf die „Knabenzeit“. Zur Au- tobiographie Karl Gutzkows. In: Gutzkow lesen! Beiträge zur internationalen Konfe- renz des Forum Vormärz-Forschung, S. 299–325.

59 Klaus Kanzop: Zensur, literarische. In: Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte, 2. Aufl., hg. von Werner Kohlschmidt und Wolfgang Mohr. Bd. 4. Berlin/New York 1984, S. 998–1049. Einen nützlichen Überblick bietet auch D. Breuer: Stand und Auf- gaben der Zensurforschung. In: „Unmoralisch an sich ...“. Zensur im 18. und 19. Jahr- hundert. Hg. von Herbert G. Göpfert und Erdmann Weyrauch. Wiesbaden 1988, S. 37–

60. Eine gute, aktuelle Zusammenfassung der Diskussionen um Zensur als „Kulturphä- nomen“ findet sich bei Beate Müller: Über Zensur: Wort, Öffentlichkeit und Macht. Ei- ne Einführung. In: Zensur im modernen deutschen Kulturraum. Hg. von Beate Müller.

Tübingen 2003, S. 1–30.

(16)

negative Zensorbild mit dessen alternativen historischen Erscheinungsformen und arbeitet die genuin literaturhistorischen Aspekte der Zensur heraus, etwa literarische Kanonbildung und Textauswahl, fiktive Titelei als Schutzmaßnahme gegen Zensur, Textvarianten infolge oder in Voraussicht der Zensur (Selbstzen- sur), Zensur als literarisches Thema, das Problem des historischen Wandels von Zensurnormen, Verhältnis von Meinungsäußerung und Kunstwerk sowie die Frage des Jugendschutzes. Kanzop umreißt damit zugleich künftige Forschungs- felder und resümiert: „Eine vergleichende Zensurgeschichte zeichnet sich nur in Ansätzen ab.“ Sie könnte „letztlich nur in interdisziplinärer Zusammenarbeit gedeihen“.

60

Tatsächlich ging die Zensurforschung bis heute getrennte Wege. Vor allem Historiker, Literaturwissenschaftler, Soziologen und Juristen näherten sich weit- gehend unabhängig voneinander und mit unterschiedlichen Ansätzen und Schwerpunkten dem Thema. Grundlegend für die vorliegende Arbeit sind die bereits genannten Überblicksdarstellungen der Literaturhistoriker Dieter Breuer und Edda Ziegler

61

, der Publizistikhistoriker Heinz-Dietrich Fischer und Jürgen Wilke

62

, des Rechtshistorikers Ulrich Eisenhardt

63

und der Buchhistoriker Her- bert Göpfert und Reinhard Wittmann

64

. Sie leisteten – jeder aus seiner spezifi- schen Fachperspektive – erste Synthesen oder legten wichtige Bausteine für eine bisher noch fehlende Geschichte der Zensur vor.

60 Ebenda, S. 1003.

61 Dieter Breuer: Geschichte der literarischen Zensur in Deutschland. Heidelberg 1982.

Edda Ziegler: Literarische Zensur in Deutschland 1819–1848. Materialien, Kommenta- re. München/Wien 1983.

62 Heinz-Dietrich Fischer (Hg.): Deutsche Kommunikationskontrolle des 15. bis 20. Jahr- hunderts. München/New York/London/Paris 1982. Jürgen Wilke (Hg.): Pressefreiheit.

Darmstadt 1984.

63 Ulrich Eisenhardt: Wandlungen von Zweck und Methoden der Zensur im 18. und 19.

Jahrhundert. In: „Unmoralisch an sich ...“. Zensur im 18. und 19. Jahrhundert. Hg. von Herbert G. Göpfert u. Erdmann Weyrauch (Wolfenbütteler Schriften zur Geschichte des Buchwesens, 13). Wiesbaden 1988, S. 1–36. Ders.: Die kaiserliche Aufsicht über Buch- druck, Buchhandel und Presse im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation (1496–

1806). Ein Beitrag zur Geschichte der Bücher- und Pressezensur, Karlsruhe 1970.

64 Herbert G. Göpfert: Vom Autor zum Leser. Beiträge zur Geschichte des Buchwesens.

München 1977. R. Wittmann: Buchmarkt und Lektüre im 18. und 19. Jahrhundert. Bei- träge zum literarischen Leben 1750–1880. Tübingen 1982. Ders.: (Hg.): Quellen zur Geschichte des Buchwesens. 10 Bde. in 15 Teilbänden, Bd. 6,1–2: Die Zensur. Mün- chen 1981. Ders.: Geschichte des deutschen Buchhandels. Ein Überblick. München 1991 (2. durchges. Aufl., München 1999).

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Für das frühe 19. Jahrhundert lassen sich acht Faktoren unterscheiden, die im Hinblick auf die Zensur Gewicht erhielten.

65

Wolfram Siemann hat sie fol- gendermaßen umrissen:

Von ihrem politischen Aspekt her betrachtet, war die Zensur eingebettet in die Herausbildung des modernen, zentralistischen Territorialstaates, auf dessen Boden die politisierte Staatsbürgergesellschaft entstand.

Ihre rechtliche Dimension erhielt sie in der Ausbildung des neuzeitlichen bürokratischen Verwaltungsstaates mit seinen eigenen Gesetzen, Instruktionen und Behörden für die Zensur. Wo anfangs ein hoheitlicher Machtanspruch stand, dem etwa Bücherbeschlagnahmung und -verbrennung folgen konnten, gewan- nen formalisierte Verfahren, Instanzenzug, Petitions- und Widerspruchsrecht der Betroffenen Raum.

Von ihrer ökonomischen Seite her zeigte sich Zensur beeinflusst durch den entstehenden literarischen Markt mit selbstständigen Verlagsunternehmen und privaten Leihbibliotheken und mit steigender Buch- und Zeitungsproduktion. Je mehr Titel vorlagen, umso aufwendiger wurde die Zensurarbeit, umso mehr Per- sonal und Bürokratie waren vonnöten. Aber nicht nur die Quantität, sondern auch das breitere Spektrum an Medien und Themen veränderte die staatliche Praxis.

Zensur war zudem abhängig von sozialen Wandlungen: Ein wachsendes bürgerliches Lesepublikum wurde von einer wachsenden Zahl selbständiger Journalisten und Schriftstellern bedient. Diese Journalisten lösten sich von der Abhängigkeit fürstlicher Mäzene oder öffentlicher Ämter und versuchten vom Ertrag ihrer geistigen Produktion auf Honorarbasis zu leben. Zensur hatte ihre geistige Seite, die abhängig von der Entwicklung der Bildung war. Die Zurück- drängung des vorherrschenden Lateins als Gelehrtensprache, der Ausbau des Bildungswesens, die wachsende Alphabetisierung und Lesefähigkeit verbreiter- ten kontinuierlich den Kreis derjenigen, um deren Wohl zu sorgen sich die Zen- sur verpflichtet fühlte.

Eine eigene Dynamik entwickelte die technisch-industrielle Dimension:

Neue Maschinen und Druckverfahren revolutionierten die Auflagenziffern und riefen eine Publikationswelle an Tagesschrifttum hervor, die die überkommene Zensurpraxis zu überrollen drohte, zumindest aber veränderte und schließlich – einhergehend mit politischen Veränderungen – auch überwand.

Die religiös-konfessionelle Abhängigkeit der Zensur war lange Zeit ihre be- stimmende. Auch mit der Verweltlichung der Zensurobjekte im 18. Jahrhundert verlor sie sich nicht und trat noch im 19. Jahrhundert in der weltanschaulich ge- leiteten Aussonderung angeblich sektierischen oder auch antireligiösen und anti- christlichen Schrifttums zutage.

65 Zitiert nach Wolfram Siemann: Ideenschmuggel. Probleme der Meinungskontrolle und das Los Deutscher Zensoren im 19. Jahrhundert. In: Historische Zeitschrift 245 (1987), S. 71–106, hier S. 78ff.

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Schließlich hatte die presse-, buch- oder allgemein die mediengeschichtliche Seite für die Gestaltung der Zensur Gewicht. Die wachsende Bandbreite der Medien schuf immer neue Kontrollprobleme. Die Flugschriften-, Broschüren-, Zeitschriften- und Zeitungsflut des 19. Jahrhunderts, die umlaufenden lithogra- phischen Karikaturen und Bilderbogen – alle diese Medien hinterließen auch bei der Zensur ihre Spuren.

Hinzu kam die doch sehr unterschiedliche Handhabung der Zensur in den einzelnen Staaten des Deutschen Bundes. Einzelstaatliche Zensurpraxis einer- seits, Verlags- und Druckorte sowie Produktion andererseits müssten näher ins Verhältnis gesetzt werden. Eine umfassende Darstellung würde den Rahmen vorliegender Arbeit sprengen. In Hinblick auf Karl Gutzkow wird aber zu zeigen sein, dass die uneinheitliche Pressepolitik im Bund seinen Erfolg oder zumindest sein Überleben als Schriftsteller und Journalist erst ermöglichte.

66

Die Anstöße zur Zensurforschung und Zensurgeschichtsschreibung kamen im ausgehenden 19. Jahrhundert, nachdem die eigentliche Kampfzeit um Presse- freiheit historisch geworden war, von Seiten der Buchhandelsgeschichte, der Verfassungsgeschichte und der Kirchengeschichte. 1913 erschien Johann Goldfriedrichs Darstellung der Bücherzensur in der Zeit von 1805 bis 1889.

67

In dieser ersten recht ausführlichen Arbeit wird das Thema vor allem unter dem Aspekt des überregionalen Kampfes um Pressefreiheit untersucht. Ohne eine systematische Klärung des Zensurbegriffs bleibt der Text als Auftragsge- schichtsschreibung an die Interessen des Börsenvereins gebunden. Da bis heute eine Spezialuntersuchung über die preußischen Zensurverhältnisse im Vormärz fehlt, bleiben grundlegend die noch aus dem 19. Jahrhundert stammende Arbeit

66 Es ist erstaunlich, wie unterschiedlich bisweilen die Urteile über die Wirksamkeit der Zensur sind. Zweifel an der Wirksamkeit der vormärzlichen Zensur äußern zum Bei- spiel Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte 1800–1866. Bürgerwelt und starker Staat. München 1994, S. 335: „[...] die Zensur konnte die Oppositionsliteratur und -publizistik im gesamtdeutschen Kommunikationsnetz nicht wesentlich einschränken;

es gab viele Nischen und Schutzzonen, [...].“ Frank Hoefer: Pressepolitik und Polizei- staat Metternichs. Die Überwachung von Presse und politischer Öffentlichkeit in Deutschland und den Nachbarstaaten durch das Mainzer Informationsbüro (1833–

1848). Tübingen 1982, S. 175. Er konstatiert das gegen Ende immer „augenfälligere Versagen des polizeistaatlichen Pressesystems“ Metternichs. Demgegenüber betonen die vom „Jungen Deutschland“ ausgehenden Autoren bevorzugt den hohen Geistes- druck und die Geschlossenheit des Repressivsystems. Ein Urteil der tatsächlichen Ef- fektivität der Zensur ist letztlich erst aus einer territorial vergleichenden Analyse der Zensurpraxis zu gewinnen. Vgl. die differenzierten Überlegungen bei E. Ziegler: Litera- rische Zensur, S. 125–134.

67 Geschichte des Deutschen Buchhandels. Im Auftrag des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler, hg. von der Historischen Kommission derselben. Bd. 4: Geschichte des deutschen Buchhandels vom Beginn der Fremdherrschaft bis zur Reform des Börsen- vereins im neuen Deutschen Reiche (1805–1889). Von Johann Goldfriedrich. Leipzig 1913 [Neudruck Aalen 1970].

(19)

von Friedrich Kapp „Die preußische Preßgesetzgebung unter Friedrich Wilhelm III.“

68

sowie zum Vollzug der Karlsbader Beschlüsse

69

Franz Schneiders „Pres- sefreiheit und politische Öffentlichkeit“

70

und Reinhard Kosellecks „Zwischen Reform und Revolution“

71

.

Was die Bedeutung der Zensur für das Leben und Werk Gutzkows betrifft, so sind vor allem die Arbeiten Heinrich Hubert Houbens hervorzuheben. So hat Houben in seinem großen zweibändigen Nachschlagwerk „Verbotene Literatur von der klassischen Zeit bis zur Gegenwart“ einen Überblick über den Einfluss der Zensur auf das Leben und Werk Gutzkows geliefert.

72

Houben verstand es dabei, Archivfund bzw. -recherche und anschauliche exemplarische Darstellung zu verbinden, wobei das Anekdotische stark gegenüber dem Wissenschaftlichen hervortritt. Eine theoretisch-systematische Klärung des Zensurphänomens im Rahmen einer politischen Geschichte oder einer Sozialgeschichte der Literatur lag ihm fern. Die historisch gegebene und auch die Gegenwart prägende Bin- dung des Mediums Buch an staatlich-gesellschaftliche Kontrolle war für Hou- ben zwar unaufhebbar, aber dennoch Gegenstand aufklärerisch-kritischer Be- mühung. Dieser aufklärerische Impetus ist wohl auch der Grund dafür, dass er methodisch auf den konkreten Einzelfall zurückging, sich hierbei aber nicht mit

68 Friedrich Kapp: Die preußische Preßgesetzgebung unter Friedrich Wilhelm III. (1815–

1840). Nach den Akten im Königlich Preußischen Geheimen Staatsarchiv. In: Archiv für Geschichte des Deutschen Buchhandels 6 (1881), S. 185–249.

69 Die Genese der Ausnahmegesetze von 1819 behandelt grundlegend Eberhard Büssem:

Die Karlsbader Beschlüsse von 1819. Die endgültige Stabilisierung der restaurativen Politik im Deutschen Bund nach dem Wiener Kongreß von 1814/15. Hildesheim 1974.

70 F. Schneider: Pressefreiheit, S. 254–274.

71 Reinhard Koselleck: Preußen zwischen Reform und Revolution. Allgemeines Land- recht, Verwaltung und soziale Bewegung von 1791 bis 1848. 2. berichtigte Aufl. Stutt- gart 1975, S. 415ff. Siehe auch Kurt Koszyk: Deutsche Presse im 19. Jahrhundert. Ge- schichte der deutschen Presse, Teil II. Berlin 1966, S. 54ff. Ursula Giese: Studie zur Geschichte der Pressegesetzgebung, der Zensur und des Zeitungswesens im frühen Vormärz. Auf Grund bisher unveröffentlichter Dokumente aus den Wiener Archiven.

In: Archiv für Geschichte des Buchwesens 6 (1966), Sp. 341–546. Nichts Neues bringt die Magisterarbeit von Claudia Schleich, die im Wesentlichen nur die Gesetzesvor- schriften zusammenfasst und zum Vollzug eigentlich nichts schreibt. C. Schleich: Der Vollzug der Ausnahmegesetze von 1819. FU Berlin 1987. Wenig ergiebig ist zudem Herbert Müllenbach: Die Entwicklung der Preßfreiheit in Preußen, insbesondere in der Rheinprovinz. Vom Wiener Kongreß bis zur Preußischen Verfassung vom 31. Januar 1850. Diss. phil., Freiburg 1935. Offenbar verschollen ist die Arbeit J. Kornow: Die Entwicklung der Zensurverwaltung in Preußen vom Wiener Kongreß bis 1848. Eine Studie zur preußischen Verwaltungsgeschichte, Dipl.-Arbeit Potsdam [o.J.].

72 Heinrich Hubert Houben: Verbotene Literatur von der klassischen Zeit bis zur Gegen- wart. Ein kritisch-historisches Lexikon über verbotene Bücher, Zeitschriften und Thea- terstücke, Schriftsteller und Verleger, Bd. 1, Berlin 1924; Bd. 2, Bremen 1928. Benutzte Ausgabe ist der reprogr. Nachdruck, Hildesheim 1965. Zu K. Gutzkow, Bd. 1, S. 250–

329.

(20)

dem bloßen „Abdruck dokumentarischen Materials an Akten und Briefen“ zu- frieden gab, sondern dieses kritisch darstellte.

73

Dabei ist in Hinblick auf Gutz- kow deutlich eine Sympathie gegenüber dem Autor festzustellen, der vor allem als „Opfer“ der Zensur erscheint. Die Zensurakten wurden nicht in Hinblick auf Zensurkriterien und -normen ausgewertet. Dies soll in der vorliegenden Arbeit nachgeholt werden.

74

Weitgehend überholt sind durch Houbens recht material- reiche Untersuchungen die Arbeiten von Ludwig Geiger.

75

Wichtig für die vorliegende Arbeit ist zudem die Frage, inwiefern die Zen- sur für bestimmte Schreibstrategien und einen bestimmten Schreibstil ursächlich war. Grundsätzlich ist festzustellen, dass Gutzkows Stil und Medienauswahl nicht nur Ausfluss einer bestimmten Mentalität und seiner Situation als Berufs- schriftsteller war, sondern dass auch die Zensur einen wichtigen Einfluss auf seine Schreibstrategien hatte. Insofern sollen seine Schriften auch auf den Ver- such hin untersucht werden, Meinungskontrolle zu unterlaufen.

76

Ein Desiderat der Gutzkow-Forschung ist eine Untersuchung zu den Aspekten Selbstzensur

77

73 Ebenda, Bd. 2, S. 5f.

74 Aufschlussreich ist zudem H. Houben: Jungdeutscher Sturm und Drang. Ergebnisse und Studien. Leipzig 1911. Es handelt sich hierbei um eine reich dokumentierte Darstellung der literarischen Produktion und Rezeption zwischen 1830 und 1840 unter dem Aspekt der verschärften staatlichen und gesellschaftlichen Kontrolle.

75 Ludwig Geiger: Das Junge Deutschland und die preußische Censur. Nach ungedruckten archivalischen Quellen. Berlin 1900. Ders.: Das Junge Deutschland. Studien und Mittei- lungen. Berlin 1907.

76 Zu Gutzkows subversiven Kommunikationsstrategien siehe Helga Brandes: Die Zeit- schriften des Jungen Deutschland. Eine Untersuchung zur literarisch-publizistischen Öf- fentlichkeit im 19. Jahrhundert. Opladen 1991, hier bes. S. 233ff. Walter Hömberg: Li- terarisch-publizistische Strategien der Jungdeutschen und Vormärz-Literaten. In: Deut- sche Literatur. Eine Sozialgeschichte, Bd. 6: Vormärz. Biedermeier, Junges Deutsch- land, Demokraten 1815–1848. Hg. von Bernd Witte Reinbek/Hamburg 1980, S. 83–98.

Ders.: Zeitgeist und Ideenschmuggel. Die Kommunikationsstrategien des Jungen Deutschland, Stuttgart 1975. Hannelore Burchardt-Dose: Das Junge Deutschland und die Familie. Zum literarischen Engagement in der Restaurationsepoche. Frankfurt a. M.

u.a. 1979, hier bes. S. 195–199. Zum „kriminellen Stil“ Gutzkows und zur „Auseinan- dersetzung mit der Behörde auf der Ebene des Stils “ siehe Takanori Teraoka: Stil und Stildiskurs des Jungen Deutschland. Hamburg 1993, hier bes. S. 44–67.

77 Vgl. zur Problematik der Selbstzensur K. Kanzop: Zensur, literarische, S. 1001f.: „Sie muß definiert werden als die vom Autor entgegen seiner ursprünglichen Intention im Wissen der Geltung einer fremden Norm (und im Bewusstsein der Sanktion in Falle ih- rer Nichtbeachtung) vorgenommene Korrektur einzelner Stellen eines Werkes (und ge- legentlich auch die Unterdrückung des ganzen Werkes), d.h. bei einer Selbstzensur ist die Zensur von Seiten der normmächtigen Instanz noch nicht erfolgt. Das Werk wird aber in der Vorstellung der Kontrolle durch diese Instanz geschrieben. Dadurch unter- scheidet sich die Selbstzensur auch von der gewöhnlichen Korrektur auf Grund der vom Autor selbst gesetzten Maßstäbe. Beweisbar ist sie nur durch entsprechende werkexter- ne Äußerungen des Autors und durch Varianten im Umfeld der Textgenese eines Wer-

(21)

und Verlegerzensur. Ab 1837 ist bei Gutzkow der verstärkte Wunsch zu be- obachten, sich mit den „hohen Behörden zu befreunden“.

78

Dies hatte auch Aus- wirkungen auf seine Arbeiten, wie exemplarisch am Beispiel seiner „Briefe aus Paris“

79

herausgearbeitet werden soll.

Die einzelnen Phasen von Gutzkows journalistischen und literarischen Schaffens lassen sich auch anhand seiner Verleger ablesen. So war der „zensur- anfällige“ Gutzkow für Verleger wie Julius Campe und Carl Friedrich Löwen- thal attraktiv, während er zum Beispiel für Heinrich Brockhaus erst nach seiner jungdeutschen Phase tragbar wurde.

80

Auch waren die Einflüsse der Verleger auf das Produkt recht unterschiedlich. Es wird in der Folge (Kap. 12) darzulegen sein, wie sich die staatliche Zensur auf das Verhältnis Autor-Verleger auswirkte.

Mittlerweile sind so viele Briefe von Gutzkow an seine Verleger veröffentlicht, dass sich daraus ein recht gutes Bild zeichnen lässt.

81

Vor allem Gerhard Friesen hat anhand von Gutzkows Briefen dessen Verhältnis zu seinen Verlegern, zu seinem Beruf und seinen Honoraren materialreich untersucht – ohne jedoch den Aspekt der Zensur zu berücksichtigen.

82

Gleichwohl sind Friesens Arbeiten sehr

kes; fremde Normen können allerdings schon so weit internalisiert sein, dass sie keine Variantenspuren hinterlassen, dann fehlt das entscheidende Textkriterium für die An- nahme oder Behauptung einer Selbstzensur.“

78 K. Gutzkows Brief an Tzschoppe, 15. 3. 1836. Zitiert nach O. Draeger: Theodor Mundt, S. 166

79 K. Gutzkow: Briefe aus Paris. Theil 1–2. Leipzig 1842. Der fünfte bis siebte Brief sind zudem editiert bei <http://projects.exeter.ac.uk/gutzkow/Gutzneu/gesamtausgabe/BaP/- BaP.htm> [Letzter Zugriff am 8.1.2010].

80 Die Zensur als ein charakteristisches und folgenreiches Element des literarischen Mark- tes wurde exemplarisch von Hanns Peter Reiser untersucht. Ders.: Literatur unter der Zensur. Die politische Lyrik des Vormärz. Stuttgart 1975. Gutzkow wird in dieser Ar- beit nicht erwähnt, gleichwohl erfahren wir einiges über die Marktbeziehungen seiner Hamburger Verlegers Julius Campe unter dem Einfluss staatlicher Repression. Vgl. zur Widerstandspraxis des Buchhandels E. Ziegler: Literarische Zensur in Deutschland 1819–1848, S. 141–150. Dies.: Julius Campe. Der Verleger Heinrich Heines. Hamburg 1976, S. 32–36. Zur Zensur als Einschränkung des Marktes siehe Udo Köster: Literatur und Gesellschaft in Deutschland 1830–1848. Die Dichtung am Ende der Kunstperiode.

Stuttgart u.a. 1984, S. 57–62.

81 Siehe W. Rasch: Bibliographie Karl Gutzkow, Bd. 1, S. 593ff. Die Werke werden im Verlauf der Arbeit genauer vorgestellt.

82 Gerhard K. Friesen: „Der Verleger ist des Schriftstellers Beichtvater“. Karl Gutzkows Briefwechsel mit dem Verlag F. A. Brockhaus 1831–78. In: Archiv für Geschichte des Buchwesens, 28 (1987), Sp. 1–211. Friesen würdigt in seiner detaillierten Einleitung die Verdienste des Verlagshauses Brockhaus und stellt sodann die wechselvolle und kom- plizierte Beziehung zwischen dem produktiven, nie mit dem Verleger zufriedenen Autor und dem Verlag dar. Die sehr sorgfältige Edition versammelt 231 von 2 269 erhaltenen Briefen und Dokumenten dieser über vierzigjährigen Korrespondenz, mit Schwerpunkt auf den Jahren 1849–69. Text und Edition schließen sich an die 1978 vorgelegte Unter- suchung „Karl Gutzkow und der Buchhandel: Zu seiner Auffassung vom Schriftsteller-

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