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Die Beobachtung der Beobachter. Wirkungen und Nebenwirkungen von Controlling in der Organisationspraxis des SGB II

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Die Beobachtung der Beobachter. Wirkungen und Nebenwirkungen von Controlling in der

Organisationspraxis des SGB II

- Beitrag zur Tagung „Steuerung im SGB II“ am 11. und 12. Dezember 2006 in Frankfurt -

Vorbemerkung

Dass Controlling und die damit zusammenhängende Operationalisierung von Zielen, die Er- hebung und Aufbereitung von Daten und die Beobachtung von Zielabweichungen zentrale Elemente einer rationalen Rechenschaftslegung und Steuerung von Leistungen des Sozialge- setzbuches II (SGB II) sind, ist unbestritten. Die Beobachtung komplexer Leistungsprozesse durch zu Kennzahlen verdichtete Daten ist eine Voraussetzung für Transparenz und eine ef- fektive Prozesssteuerung.

In diesem kurzen Beitrag möchte ich jedoch auf die mit einem ausgebauten und stringent im- plementierten Controlling verbundenen Probleme hinweisen und ein starkes Plädoyer für die Einbettung des Controlling in ein reflexives Steuerungsverständnis formulieren. Vereinfacht gesagt: Controlling ist gut, Skepsis gegen ein technokratisch vereinseitigtes Controlling ist notwendig, reflexives Controlling ist besser.

Die nachfolgenden Anmerkungen sind, dies als „disclaimer“ vorweg, sehr von der Situation als Intervention auf der Frankfurter SGB-II-Tagung geprägt. Sie wollen ein wenig dazu bei- tragen, den Kontext für die aktuelle Steuerungsdiskussion sichtbar zu machen. Es sind einige Gedanken, die noch weiter zu vertiefen wären.

Neue Steuerung in der öffentlichen Verwaltung

Lange vor den Hartz-Reformen gab es in den Kommunen eine intensive Auseinandersetzung mit neuen Steuerungsmodellen, die betriebswirtschaftliche Elemente wie das Controlling in die Praxis der öffentlichen Verwaltung einführen wollten.

Zentrale Elemente dieses Reformkonzepts sind:

• Politik muss sich als Auftraggeber von Verwaltung verstehen; Verwaltung als Dienst- leistungsunternehmen, das die Vorgaben der Politik umsetzt. Politik setzt Ziele, Ver- waltung realisiert deren Umsetzung und berichtet an Politik und Öffentlichkeit.

• Traditionelle Verwaltungen sind zu stark verregelt, neigen zu Detailsteuerung und es fehlt ihen deshalb an der Bürgernähe und Flexibilität, die in einer immer komplexeren und sich schnell wandelnden gesellschaftlichen Umwelt erforderlich sind. Deshalb sind ein Abbau zentraler Regelungen und einheitlicher Vorgaben zugunsten von de- zentraler Ressourcen- und Umsetzungsverantwortung notwendig.

• Verwaltungsprozesse sind wirtschaftlich intransparent, eine klare Zuordnung von Aufwänden zu Erträgen ist nicht möglich. Deshalb müssen Verwaltungen ihre Leis- tungen über ein ausdifferenziertes und auf (betriebswirtschaftlichen) Kennzahlen be- ruhendes Controlling transparent und rechenschaftsfähig machen.

• Neue Steuerungskonzepte setzen nicht mehr nur am „Input“ in Form von Stellen- und Haushaltsplänen, sondern vor allem am „Output“, am Ergebnis von Leistungsprozes- sen an. Idealtypisch werden in diesen neuen Steuerungsmodellen für Verwaltungsein- heiten angestrebte Ergebnisse definiert und Ressourcen in Form von Budgets zur Ver-

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fügung gestellt. Die Umsetzung dieser Budgets und die Wege zur Zielerreichung sind den einzelnen Einheiten überlassen. Controlling bekommt damit eine zentrale Stel- lung, da die Messung von Zielerreichung und Ressourcenverbrauch die entscheiden- den Grundlagen für die Steuerung – im Idealfall über Zielvereinbarungen - werden.

Natürlich lassen sich, das war auch den Promotoren der „neuen Steuerungsmodelle“ klar, die aus dem Privatsektor stammenden Konzepte nicht eins-zu-eins auf eine öffentliche Verwal- tung übertragen. Die Bindung durch Recht, aber die politische Dimension öffentlicher Ver- waltung sind wichtige Momente, die sich nicht in betriebswirtschaftliche Rationalität auflösen lassen (wahrscheinlich ist das auch ganz gut so). Der Idee einer strikten Trennung von politi- scher Auftraggeberfunktion und der Verwaltung als einem politikfreien und nur den Prinzi- pien von Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit verpflichteten Umsetzungsapparaten, die in manchen Konzepten der „neuen Steuerung“ vertreten wurde, ist sicher nicht ganz realitätsge- recht. Insofern ist es durchaus folgerichtig, dass das „neue Steuerungsmodell“ der Verwaltung in den Kommunen selten oder nie vollständig und ungebrochen umgesetzt worden ist1. Hinzu kommt eine weitere Schwäche dieser Modelle durch den Zeitpunkt ihre Einführung – diese erfolgte oft in Situationen haushalterischer Engpässe und sinkenden bzw. stagnierenden Einnahmen. Dadurch wurde eine Einengung auf kurzfristige „Einsparpotentiale“ begünstigt – eine auch im Bereich der Steuerung der SGB III und SGB II Umsetzung nicht unbekannte Erscheinung.

Grenzen von Controlling

Insbesondere im Bereich der Planung und Produktion sozialer Dienstleistungen wurde von vielen Seiten auf die Engführungen und blinden Flecke eines rein betriebswirtschaftlichen Steuerungsmodells hingewiesen. Die Quantifizierung von Leistungen und Wirkungen ist bei komplexen sozialen Zusammenhängen überaus voraussetzungsvoll und immer nur in gewis- sen Grenzen möglich. Kennzahlen reduzieren Komplexität, beinhalten aber auch die Gefahr von Informationsverlust.

Will man nicht in die radikale Gegenposition einer vollständigen Ablehnung der Leistungs- messung und Steuerung über Kennzahlen verfallen, bleibt nur, Controlling als Teil eines um- fassenden Fach- und Steuerungskonzeptes für den jeweiligen Bereich zu sehen, in dem die Möglichkeiten und die Grenzen von Quantifizierbarkeit und der Informationswert von einge- setzten Kennzahlen bestimmbar sind. Ein fachlich so geläutertes Controlling- und Steue- rungskonzept braucht also als Grundlage eine genaue Kenntnis der hinter den Kennzahlen stehenden Realprozesse und ein Wirkungsmodell, das die Zusammenhänge von Maßnahmen der Verwaltung , die Interaktion mit den beteiligten „Kunden“ und deren komplexe Wechsel- Wirkungen abbildet. Ohne ein solches Wirkungsmodell kann Steuerung nicht funktionieren.

Im sozialen Feld sind dafür sozialwissenschaftliche Grundlagen ebenso notwendig wie das Erfahrungswissen lokaler Experten - letztere wahrscheinlich am wichtigsten.

Was bilden die Zahlen ab, wie wird gemessen, wer liefert die Daten in welchem Format, wel- che Interessen hat der Datengeber, welche Informationen werden von Kennzahlen abgeschnit- ten?

1 Siehe dazu: Claus Reis, Matthias Schulze-Böing (Hg.): Planung und Produktion sozialer Dienstleistungen. Die Herausforderung „neuer Steuerungsmodelle“. Zweite Auflage, Berlin 2000: Edition Sigma; Jörg Bgumil u. a. : Zehn Jahre Neues Steuerungsmodell. Eine Bilanz kommunaler verwaltungsmodernisierung. Berlin 2007: edition sigma

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Solche und ähnliche Fragen gehören zu einem vernünftigen Umgang mit Controlling und den gemessenen Indikatoren. Fehlt dieser Rückbezug auf die komplexere Realität hinter den Kennzahlen, werden Controllingkonzepte schnell zu einer virtuellen Pseudorealität, die sich

„selbstreferentiell“ kurzschließt, der aber die Deckung durch Realprozesse abhanden kommt.

Zur pathologischen Degeneration von Organisationen kommt es dann, wenn selbstreferentiel- le Zahlenwelten, die Pseudowelt von Charts und Kurven Überhand über einen reichen und differenzierten Erfahrungsbezug von Wirkungen und Wechselwirkungen in der lokalen Praxis bekommen. Wenn Leistungen nicht mehr auf die Lösung realer Probleme gerichtet sind, son- dern auf die Erzeugung bestimmter Messergebnisse in Controllingsystemen, läuft etwas falsch.

Kritische Punkte beim Controlling der Arbeitsmarktpolitik

Die aktuelle Diskussion um die Steuerung der Arbeitsmarktpolitik könnte von der kritischen Rezeption der neuen Steuerungsmodelle der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts in den (Kommunal-)Verwaltungen durchaus einiges lernen.

Es ist keine neue Erkenntnis, dass Kennzahlen selektiv sind. So gibt etwa der im Bereich des Controllings im SGB II gegenwärtig sehr zentrale Indikator der „Integrationen“ wenig Aus- kunft über die Qualität dieser Integrationen, über ihre Nachhaltigkeit, über die Qualität der entsprechenden Arbeitsplätze usw. Auch Nebenwirkungen bleiben unsichtbar. So kann eine strikte „work first“-Politik bei Jugendlichen zwar zu kurzfristigen Integrationen in einfache Tätigkeiten führen. Dies kann jedoch auch der Einstieg in eine marginalisierte Berufsbiogra- phie sein, während die Zuweisung in geförderte Ausbildungsmaßnahmen zwar zunächst keine Integration im Sinne des Controllingsystems produziert, aber langfristig bessere Beschäfti- gungschancen schaffen kann. Letzteres ist offensichtlich im wohlverstandenen Sinne des SGB II und damit gesamtgesellschaftlich nachhaltiger und damit sinnvoller, wird im Controlling aber als geringerer Erfolg verbucht. Es ließen sich viele weitere Beispiele für problematische Steuerungswirkungen von allzu eng auf wenige Kennzahlen ausgerichtete Controllingsysteme finden.

Ein zu enges Controllingkonzept kann zudem zu fatalen Rückkopplungen in der Praxis füh- ren, wenn die Menschen im gesteuerten System beginnen, sich auf einige wenige Kennzahlen zu konzentrieren, diese – auch durch entsprechende „incentives“ unterstützt - mit Macht zu beeinflussen versuchen und nicht beobachtete Nebenwirkungen vernachlässigen.

Gerade in der Arbeitsmarktpolitik gibt es eine Fülle von Beispielen, die zeigen, dass zu eng gesetzte Ziele zwar möglicherweise helfen, vorhandene Energien auf einzelne Aktionen zu konzentrieren und kurzfristige statistische Effekte zu erreichen, jedoch blind für potentielle Langfristschäden und für Konflikte im sozialen Umfeld machen.

Will man dies vermeiden, sollten Controllingkonzepte hinreichend differenziert angelegt sein, also sensitiv sein sowohl für soziale Effekte im „sozialen Feld“ eines Gemeinwesens als auch für mittel- und langfristige Wirkungen von arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen.

Im Bereich des SGB II ist deshalb eine integrierte Sichtweise erforderlich, die neben Kontext- und Arbeitsmarktindikatoren auch Sozialindikatoren und Aspekte der sozialräumlichen Aus- wirkungen von Arbeitsmarktpolitik umfasst. Controlling im SGB II muss also in gewisser Form interdisziplinär und bezogen auf die politischen Handlungsfelder integrativ angelegt sein.

Dafür ist es wichtig, die Sichtweisen der Sozialplanung, der Jugendhilfe, der Stadtentwick- lung und anderer lokaler Handlungsfelder aufzunehmen.

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Zielbildungsprozess und ihre Abbildung im Controlling

Das SGB II operiert, wenn man das Gesetz ernst nimmt, in einem Zielsystem mit mehreren Dimensionen (etwa soziale Integration, Aktivierung, Arbeitsmarktintegration, Grundsiche- rung), das eine entsprechend differenzierte Zielbildung erfordert, die lokal verankert ist.

Für die einzelnen Ziele sind auch die je geeigneten Indikatoren zur Messung zu entwickeln und ihre Brauchbarkeit – auch für ein Benchmarking - zu prüfen.2

Wenn man eine so gegebene Mehrzielorientierung akzeptiert, sollte man allerdings nicht er- warten, dass sich diese in einem widerspruchsfreien und eindeutigen Zielsystem abbilden lässt. Spannungen und Widersprüche der verschiedenen Ziele untereinander sind unvermeid- lich und im in einem gewissen Rahmen durchaus zu akzeptieren. Sie müssen eine rationale Steuerung keineswegs behindern oder unmöglich machen. Gute Steuerung und gutes Ma- nagement zeichnet sich gerade dadurch aus, dass es in der Lage ist, mit Ambivalenzen umzu- gehen, eine ganzheitliche, systemische Sichtweise zu pflegen und in der Praxis eine situati- onsgerechte Balance zu finden, in der die Ziele in der jeweils konkreten Bedeutung und Ge- wichtung ins Verhältnis gesetzt werden.

Neben dem völlig legitimen Zielbildungsprozess des Bundes sollte es deshalb aktive Zielbil- dungsprozesse auf der lokalen Ebene durch Kommunen, lokale Institutionen und Akteure der Zivilgesellschaft geben.

Diese Zielbildungsprozesse sind dann auch eine gute Basis für ein Benchmark unter den SGB II Umsetzungseinheiten.

Die soziale Dynamik von Controlling

Ein weiterer Gesichtspunkt scheint mir wichtig, wenn es um den klugen Einsatz von Control- ling geht.

Wie man aus der Soziologie weiß, beinhaltet die Gleichsetzung sozialer Organisation mit technisch manipulierbaren Maschinen, die viele Rationalisierungskonzepte immer wieder inspiriert hat, eine grundlegende Fehleinschätzung der Eigendynamik sozialer Systeme. Auch der Taylorismus in Industrie und Verwaltungsorganisationen musste erfahren, dass es einen

„subjektiven Faktor“ gibt, dass Rationalisierungsstrategien immer wieder auf Gegenstrategien stoßen und dass sich Autonomiespielräume in Arbeitsorganisationen selten ohne die Strafe verborgener, aber oft sehr gravierender Fehlfunktionen eliminieren lassen.

In der soziologischen Systemtheorie hat man sich schon lange von der der naiven Ambition verabschiedet, soziale Systeme technokratisch planen und steuern zu können. Soziale Systeme sind „nicht-trivial“, es gibt keine eindeutige Zuordnung von Input und Output, von Steue- rungsbefehl und tatsächlichem Handeln.

Dazu kommt, dass Menschen von Interessen geleitet sind, sich an Werten orientieren und re- flektieren, was man mit ihnen in Organisationen anstellt. Werden sie beobachtet, beobachten sie, dass sie beobachtet werden und beurteilen dann, ob ihnen die Beobachtung durch Instan- zen mit Steuerungsambitionen nützen oder schaden könnte und wie sie sich möglichst schad-

2 Vgl. dazu etwa: Nicola Düll: Die lokale Dimension der Europäischen Beschäftigungsstrategie Stärken: Indika- toren für die regionale und lokale Ebene und die Sozialwirtschaft , Machbarkeitsstudie im Auftrag der Europäi- schen Kommission, Brüssel, München 2004

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los aus den Zwängen eines hierarchisch verankerten und ja in der Regel auch sanktionsbe- wehrten Beobachtungssystems ziehen können.

„Doppelte Kontingenz“ ist ein Begriff, mit dem man in der Soziologie versucht hat, dieses Verhältnis sozialer Akteure zueinander zu fassen. Absichten und Ziele sind nie völlig transpa- rent, insbesondere reagiert jeder Akteur auf die Handlungen des anderen in einer nicht völlig berechenbaren Art und Weise. Die Beobachtung des einen durch den anderen wird vom ande- ren wiederum beobachtet. Die Beobachtung wird beobachtet3.

Übersetzt auf unser Thema heißt das, ein Controllingsystem mit seinen Kennzahlen und viel- fältigen Praktiken der Kommunikation von Kennzahlen, der Sanktionierung von Zielabwei- chungen usw. wird von den praktisch Handelnden beobachtet. Es ist wahrscheinlich, dass sie ihr Handeln und ihre Prioritäten daran ausrichten. Das, was auf dem „Bildschirm“ der Con- troller erscheint, bekommt über kurz oder lang auch besondere Priorität in der Praxis. Man weiß, was gemessen wird und richtet sich daran aus. Es kann dann durchaus die Versuchung geben, genau die Daten zu liefern, die das Controlling will, selbst wenn man weiß, dass die gemessenen Wirkungen nicht nachhaltig sind oder mit bedeutenden Effekten außerhalb des eigenen Zuständigkeitsbereiches verbunden sind.

Wird der Druck des Controlling übergroß, ist opportunistisches Verhalten nur menschlich.

Man arbeitet für die Statistik und befüllt die Systeme so mit Daten, dass die gewünschten Werte in den Statistiken auftauchen. Statistikskandale haben sicher viele Ursachen. Einige davon sind aber mit Sicherheit nicht in der Fehlbarkeit von Mitarbeitern, sondern im Steue- rungssystem selbst und in der von ihm perpetuierten Organisationskultur zu suchen. Ein zu enges und stur implementiertes Controllingkonzept provoziert geradezu Missbrauch und Ma- nipulation.

Reflexive Steuerung

Auch die aktuellen Steuerungskonzepte in der Bundesagentur für Arbeit sind meiner Meinung nicht vor der Gefahr gefeit, Steuerungspraxis technokratisch zu verkürzen und damit um den angestrebten Erfolg besserer Dienstleistungen am Arbeitsmarkt zu bringen.

Die Angleichung an die Kommunikationsform der Unternehmensberater mit der dort vor- zugsweise verwendeten simplifizierenden Darstellungsform von Power-Point-Präsentation, in denen komplexeste Sachverhalte zu wenigen Spiegelstrichschlagworten zusammenschnurren bringt nicht nur Zeit- und Präzisionsgewinne. Sie kann durchaus das Denken färben und taub für Zwischentöne machen4. Die Welt wird zum Chart, das Management sozialer Dienstleis- tungsorganisationen zum Pilotieren im „Cockpit“.

Durchaus nicht übel meinende Kritiker des neuen Managementstils in der BA weisen auf eine Kultur der Zahlenfixierung und Zahlengläubigkeit hin, die qualitative Momente zunehmend

3 Siehe dazu: Niklas Luhmann: Soziale Systeme. Frankfurt am Main 1984: Suhrkamp; stärker anwendungsorien- tiert: Helmut Willke: Systemtheorie, 3, Grundzüge einer Theorie der Steuerung komplexer Sozialsysteme. Zwei- te Auflage, Stuttgart 1998: UTB

4 Dass der inzwischen fast unmerklich in fast allen professionellen Milieus dominant gewordene Stil der Darstel- lung mit Hilfe von Power-Point die Gefahr der Gewohnheit starker Vereinfachung von Argumenten, zur Unfä- higkeit, komplex zu denken und zudem zu gefährlichen Verlusten von Informationen und Zwischentönen bis hin zu technischen Desastern führen kann, hat Edward R. Tufte in einem inzwischen recht bekannten Papier gezeigt.

Vgl. Edward R. Tufte: The cognitive style of Power-Point. Pitching out corrupts within. Ceshire (Conneticut) 2006: Graphics Press LLC

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überlagert oder ausblendet. Stefan Sell sprach in kritischer Zuspitzung von einem „metastasie- renden Zahlenfetischismus in der BA“, den es wieder zurückzubauen gelte5.

Was im Bereich des SGB III mit einem vergleichsweise einfach geschnittenen Aufgabenfeld in dieser Hinsicht vielleicht noch tolerabel sein kann, würde im SGB II zum Desaster. Dem sollten alle Beteiligten entgegenwirken.

Die Alternative kann aber auch hier nicht sein, Controlling generell und betriebswirtschaftli- che Kennziffern im Besonderen abzulehnen. Die Transparenz von Leistungsprozessen, Er- gebnisorientierung und die Grundsätze von Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit sind auch und gerade im SGB II wichtig. Ein adäquates Steuerungssystem sollte allerdings

• hinreichend breit fundiert sein; es sollte über einen Kennziffernapparat verfügen, der Informationen zu allen relevanten Zielen (Sozialintegration, Aktivierung, Arbeits- marktintegration und Grundsicherung) liefert,

• durch eine dialogorientierte Praxis vor Ort ergänzt werden, in der qualitative und (noch) nicht messbare Sachverhalte (u. a. Feedback im sozialen Umfeld, Kundenreak- tionen, qualitative Beobachtungen, Wahrnehmungen von Mitarbeitern) angemessene Bedeutung haben,

• in den Werten einer Organisation verankert und immer wieder mit diesen Werten rückgekoppelt werden. Ohne eine explizite und aktiv kommunizierte Wertbasis sind Steuerungssysteme stets in der Gefahr, mechanistisch zu degenerieren und durch man- gelnde Akzeptanz in den Organisationen unwirksam zu werden.

Für die Führungskräfte im SGB II beinhaltet dies, sich ständig über die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen von Controllingkennziffern Rechenschaft abzulegen, nicht in die Falle eines begriffslosen Reporting zu laufen und vor allem Augen und Ohren für Informationen zu öff- nen, die man nicht im „Cockpit“ ablesen kann, für die man das Fenster aufmachen oder in den sozialen Raum gehen muss. Reflexive Steuerung heißt, den Nutzen von Kennzahlen und stringentem Controlling erkennen, aber auch zu wissen, dass Kennzahlen nur im Kontext Sinn machen, dass sie Information verdichten, aber auch Information ausblenden.

Reflexive Steuerung schätzt Eindeutigkeit und präzise Definitionen, weiß aber auch, dass die soziale Wirklichkeit oft wenig eindeutig und zu komplex für einfache Modelle ist. Steuerung in diesem Sinne pflegt einen gelassenen Umgang mit widersprüchlichen Zielen und unter- schiedlichen Wahrnehmungsperspektiven.

Sozialwissenschaftliche Kompetenz kann dafür durchaus nützlich sein. Unverzichtbar jedoch ist Sinn für Praxis und lebendige Erfahrung – gerade bei denen die führen, steuern und mana- gen. .

5 Stefan Sell: Modernisierung und Professionalisierung der Arbeitsvermittlung , Gutachten der Friedrich-Ebert- Stiftung. Bonn 2006: FES, S. 145

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