DT\521957DE.doc PE 340.330
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EUROPÄISCHES PARLAMENT
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2004
Ausschuss für Industrie, Außenhandel, Forschung und Energie
4. Februar 2004
ARBEITSDOKUMENT
über den Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH), zur Schaffung einer Europäischen Agentur für chemische Stoffe sowie zur Änderung der Richtlinie 1999/45/EG und der Verordnung (EG) Nr. .../.... {über persistente organische Schadstoffe}
Ausschuss für Industrie, Außenhandel, Forschung und Energie
Berichterstatterin: Elly Plooij-van Gorsel
PE 340.330 2/6 DT\521957DE.doc
DE
Einleitung
Seit der ersten Richtlinie des Rates über chemische Stoffe (Richtlinie des Rates 67/548/EWG) haben sich die gemeinschaftlichen Regelungen betreffend chemische Stoffe erheblich
entwickelt und umfassen heute über 40 Richtlinien, die miteinander verbunden sind, einander ergänzen oder bisweilen auch im Widerspruch zueinander stehen. Eine Klärung und
Vereinfachung dieser Regelungen war daher längst überfällig. Ihre Berichterstatterin begrüßt insbesondere die Vereinfachung der Regelungen mit dem vorliegenden Vorschlag, die vielen kleinen und mittelgroßen Unternehmen zugute kommen wird, welche 98% der Hersteller chemischer Stoffe und Endnutzer ausmachen, sowie die weitere Harmonisierung sowohl der Regelungen selbst als auch der Durchführungsbestimmungen, die verstärkt zur Schaffung gleicher Wettbewerbsbedingungen auf dem Binnenmarkt führen wird, und die Zentralisierung der Registrierung, die die Transparenz verbessern und für einen unbedingt notwendigen Informationsfluss vom Hersteller zum Endnutzer sorgen wird.
Ihre Berichterstatterin unterstützt die Ziele dieses Vorschlags (nachfolgende REACH genannt) und beglückwünscht die Kommission zu dem großen Fortschritt, den dieser Vorschlag bedeutet. Zugleich jedoch gibt sie ihren Befürchtungen über die mangelnde Konzentration und die ungenügende allgemeine Praktikabilität des Vorschlags Ausdruck.
Der Anwendungsbereich der vorgeschlagenen Verordnung ist sehr groß und wird sich auf die gesamte gemeinschaftliche verarbeitende Industrie auswirken. Es ist daher von
entscheidender Bedeutung, dass die künftigen Rechtsvorschriften deutlich und transparent sind, damit die Unternehmen wissen, woran sie sich halten und wie sie vorgehen müssen. Sie müssen ferner praktikabel sein, damit die Beschlüsse in angemessenen Fristen gefasst und die Unternehmen nicht mit unnötigen Kosten und bürokratischen Arbeiten belastet werden. Und schließlich müssen die vorgeschlagenen Bestimmungen auf europäischer Ebene einheitlich durchgeführt und von einer starken, unabhängigen Agentur verwaltet werden.
Ihre Berichterstatterin hegt insbesondere Bedenken im Hinblick auf die Wettbewerbsfähigkeit der verarbeitenden Industrie in der EU. Nach REACH werden in der Gemeinschaft ansässige Hersteller unlauterem Wettbewerb seitens der Hersteller aus Drittländern ausgesetzt sein, für die nicht dieselben teuren Registrierungsvorschriften für in den Herstellungsprozessen verwendete Stoffe gelten. Das System muss sorgfältig so angelegt sein, dass in
angemessenem Umfang Entscheidungsfreiheit im Hinblick auf die Produktionsprozesse und die Wahl der Grundstoffe bleibt, und zwar sowohl auf die vielen unschädlichen Stoffe als auch im Hinblick auf die Stoffe, bei denen die Risiken kontrolliert und eingegrenzt werden.
Nach Auffassung Ihrer Berichterstatterin muss die Verordnung sich in höherem Maße auf die Gefahrenbewertung und das Gefahrenmanagement richten und auf einer Regelung basieren, die eine Abstufung der Anforderungen an Prüfungen und Daten gestattet, damit Stoffe, deren Ungefährlichkeit feststeht, von kostspieligen strengen Analyseverfahren ausgenommen werden und sich die Ressourcen auf Stoffe konzentrieren können, die zu Bedenken wirklich Anlass geben. Nur dann kann das System als kosteneffektiv betrachtet werden.
In dieser Hinsicht sollte erwähnt werden, dass die chemische Industrie in der EU in den vergangenen 25 Jahren eine Vielzahl von Initiativen ergriffen hat, um ihre Umweltleistungen zu verbessern und die Sicherheit ihrer Verfahren und Produkte zu erhöhen.
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Vereinfachung, Anwendungsbereich und Erstellen einer Rangfolge
Der vorliegende Vorschlag kombiniert die geltenden Bestimmungen bezüglich „neuer Stoffe“
(Stoffe, die nach 1981 auf den Markt kamen) und „Altstoffe“ (vor 1981 auf den Markt gekommene Stoffe) mit den Bestimmungen über Beschränkungen für die Vermarktung und die Verwendung bestimmter gefährlicher Stoffe und Zubereitungen in einer neuen
Verordnung. Während nach den geltenden Regelungen nur neue Stoffe geprüft und registriert werden müssen, so sind nach REACH solche Angaben für sämtliche Stoffe vorgesehen – für neue ebenso wie für bereits auf dem Markt befindliche. Mit REACH wird auch der Grundsatz der „umgekehrten Beweislast“ eingeführt als das einzige Leitprinzip, wonach es dem
Importeur, Hersteller oder Endnutzer obliegt, die Sicherheit nachzuweisen, nicht aber den Behörden, das Risiko aufzuzeigen.
Für Stoffe, die bereits bei Inkrafttreten von REACH auf dem Markt sind, wird eine Hierarchie von Registrierungsfristen eingeführt, die sich nach der Gefahrenkategorie des Stoffes oder nach der Menge, in der er hergestellt oder eingeführt wird, richten. Karzinogene oder mutagene Stoffe der Kategorie 1 und 2 (krebserregende Stoffe und Stoffe, die die menschliche DNA verändern oder die menschliche Fruchtbarkeit schädigen) müssen innerhalb von drei Jahren nach Inkrafttreten der Verordnung registriert werden. Die Registrierung aller anderen Stoffe richtet sich nach der hergestellten Menge: 3 Jahre für
>1.000 Tonnen pro Jahr je Hersteller/Importeur, 6 Jahre für 100-1000 Tonnen und 11 Jahre für 1-100 Tonnen.
Nach Auffassung Ihrer Berichterstatterin ist diese Rangfolge nach Quantität zu grob. Priorität sollte eher im Hinblick auf Prüfung und Registrierung großer Mengen sehr riskanten
Materials und auf der Grundlage leicht zugänglicher Information (z.B. technische
Datenblätter zur Materialsicherheit) gelten. Zum zweiten sollten Stoffe, die auf den Markt gebracht werden, Priorität vor solchen haben, die bei Produktionsprozessen verwendet werden.
Registrierungs- und Datenanforderungen
Jeden chemischen Stoff, der in Mengen von über 1 Tonne pro Jahr in der EU hergestellt wird oder in sie eingeführt wird, muss der Hersteller oder Importeur bei der Europäischen Agentur für chemische Stoffe (nachfolgend „Agentur“ genannt) registrieren lassen. Für alle Stoffe, die in Mengen über 10 Tonnen jährlich hergestellt oder importiert werden, muss eine
Stoffsicherheitsbeurteilung, die in einem Stoffsicherheitsbericht dokumentiert wird, erstellt und der Agentur vorgelegt werden. Der Stoffsicherheitsbericht muss alle bekannten
Verwendungen des betreffenden Stoffes behandeln, die hinreichend deutlich im Datenblatt dokumentiert sein müssen, das dem Produkt zu anderen Anwendern in der Lieferkette folgt.
Der Lieferant ist dafür verantwortlich, dass alle Verwendungen, die von den nachgeschalteten Anwendern, die er beliefert, mitgeteilt werden, enthalten sind. Wenn ein Anwender jedoch eine spezielle Verwendung gegenüber dem Lieferanten nicht offen zu legen wünscht, kann er seinen eigenen Stoffsicherheitsbericht erstellen und diesen der Agentur vorlegen, die ihn vertraulich behandeln wird. Die sehr umfassenden Registrierungsanforderungen – grundsätzlich müssen sämtliche Stoffe registriert werden – haben den unglücklichen und ungewollten Nebeneffekt, dass Hersteller von der Nutzung umweltfreundlicher
Herstellungsverfahren abgehalten werden können. Es ist sicherzustellen, dass z.B. die Verwendung wiederaufbereiteter Abfälle, natürlicher Materialien und wiederaufbereiteter
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oder extrahierter Zubereitungen durch REACH nicht behindert wird.
Evaluierung
Zwei Arten der Evaluierung sind vorgesehen, die Stoffbewertung und die Dossierbewertung.
Die Dossierbewertungen werden von der zuständigen Behörde des Mitgliedstaats
vorgenommen, in dem die Herstellung stattfindet oder der Importeur seinen Sitz hat. Für neue Stoffe gilt eine Frist von 120 Tagen, während Phase-in-Stoffe innerhalb von 8-15 Jahren nach Inkrafttreten der Verordnung je nach Tonnage evaluiert werden.
Bezüglich Stoffbewertungen müssen die Mitgliedstaaten fortlaufende Bewertungspläne erstellen, die sich über 3 Jahre erstrecken und die Stoffe nennen, die bewertet werden sollen.
Damit soll den Mitgliedstaaten ermöglicht werden, Ressourcen für die Bewertung von Stoffen, die eine Gefährdung für die Umwelt oder die Gesundheit darstellen können, zu planen und bereitzustellen. Die zu bewertenden Stoffe werden von dem Agenturausschuss der Mitgliedstaaten bestimmt.
Ihre Berichterstatterin möchte auf die folgenden zwei Punkte hinweisen:
1. Auch wenn die Agentur für die Registrierung von Stoffen zuständig ist und eine Vollständigkeitskontrolle der vorgelegten Informationen durchführt, bleibt die Evaluierung und somit die Hauptverantwortung für die Einhaltung der Datenvorschriften bei den Behörden der Mitgliedstaaten. Dieses Prinzip ist im Widerspruch zur zentralen Absicht gemeinsamer Regelungen, da es die Gefahr unterschiedlicher Datenanforderungen in den verschiedenen Mitgliedstaaten erhöht. Außerdem besteht die Gefahr, dass die Beitrittsländer nicht rechtzeitig über genügend Sachkunde zur Erledigung dieser Aufgabe verfügen. Ihre Berichterstatterin ist der Auffassung, dass die Agentur für sämtliche Verfahren nach REACH zuständig sein sollte.
Dies wird die Wirksamkeit der Verordnung erhöhen und auch Homogenität und
Kompatibilität sicherstellen. Aufgabe der Behörden der Mitgliedstaaten sollte sein, den Unternehmen bei der Vorbereitung der Dossiers, der Beschaffung der Bewertungsdaten und der Anwendung behilflich zu sein.
2. Die Datenanforderungen für einen bestimmten Stoff richten sich nach dessen
Tonnage. Wie wiederholt in diesem Arbeitsdokument ausgeführt, ist die Menge allein für die Risikobewertung ein zu grober Faktor und würde zu viel nutzlose Dokumentation über ungefährliche Stoffe erzeugen. Ein zielgerichteterer Ansatz wäre, das Gefahrenpotential eines Stoffes auf der Grundlage von Menge, Eigenschaften und Verwendung vor Feststellung der Datenanforderungen zu bewerten. So verfahren u.a. ECETOC bei seiner zielgerichteten Gefahrenbewertung und das von den niederländischen Behörden benutzte SOMS-Modell.
Zulassung und Substitution
Mit der Zulassung soll sichergestellt werden, dass die Verwendung besonders problematischer Stoffe kontrolliert erfolgt oder diese Stoffe durch andere Stoffe ersetzt werden. Bereits der Zulassung unterliegende Stoffe sind CMR-Stoffe der Kategorie 1 und 2, persistente
bioakkumulative und toxische Stoffe (PBT) und sehr persistente und sehr bioakkumulierbare chemische Stoffe (vPvBs).
Die weitere Verwendung problematischer Stoffe erfordert eine Zulassung. Die Zulassung wird von der Kommission erteilt, wenn nachgewiesen werden kann, dass die mit einem Stoff
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verbundenen Gefahren hinreichend kontrolliert werden. Kann dies nicht nachgewiesen
werden, kann eine Zulassung erteilt werden, wenn die sozioökonomischen Vorteile die Gefahr für die menschliche Gesundheit und die Umwelt aufwiegen und es keine passenden
Alternativen oder Technologien gibt.
Nach Auffassung Ihrer Berichterstatterin ist die Einbeziehung persistenter,
bioakkumulierbarer und toxischer chemischer Stoffe sowie sehr persistenter und sehr bioakkumulierbarer chemischer Stoffe verfrüht. Die Kriterien, die zur Bestimmung dieser Stoffe verwendet werden, stehen noch längst nicht fest, was es erschwert festzulegen, auf welcher Grundlage das Zulassungsverfahren beruhen und für welche speziellen Stoffe das Verbot gelten soll. Da unklar ist, welche Stoffe eine Zulassung erfordern, und da die Beweislast bei dem Hersteller/Importeur bleibt, wird Rechtsunsicherheit herrschen.
Vertraulichkeit
Der Verordnungsvorschlag erfordert eine weitgehende Offenlegung und einen Austausch vertraulicher Unternehmensinformationen. Chemische Unternehmen und nachgeschaltete Anwender haben den einzelstaatlichen Behörden sowie der Agentur bei der Registrierung, Bewertung und Zulassung umfangreiche Daten vorzulegen, einschließlich sensibler
Informationen, wie physikalisch-chemische Daten und Beschreibungen der Verwendungen.
Auch wenn die Gefahr verneint werden sollte, dass vertrauliche Informationen aus
einzelstaatlichen Behörden oder aus der Agentur herausgelangen, so gilt doch festzustellen, dass ein Großteil der Informationen, die für die Wettbewerbsfähigkeit eines bestimmten Unternehmens von entscheidender Bedeutung sind, nach dem vorliegenden Vorschlag als nichtvertraulich behandelt werden. In der heutigen wettbewerbsorientierten Welt kann die Veröffentlichung der Kombination „Unternehmensname/ Stoff/Verwendung“ den kleinen und mittleren europäischen Unternehmen erheblich schaden. Eine Veröffentlichung auch der allgemeinsten Beschreibung angewandter Produktionsprozesse kann einem vernichtenden Strom von Nachahmungsprodukten Vorschub leisten.
Es ist verblüffend, dass das gesamte System von REACH auf dem Konzept des öffentlichen Zugangs zu Daten und des Informationsflusses von den Herstellern und Importeuren durch die gesamte Lieferkette beruht, ohne die wichtigen Rechtsprinzipien zu beachten, die den Schutz von Geschäftsgeheimnissen sowohl gemäß dem Gemeinschaftsrecht als auch nach internationalem Recht (beispielsweise TRIPS, Artikel 39) gewährleisten. Eine genauere Definition von als „nichtvertraulich“ betrachteten Daten ist erforderlich. Die gegenwärtigen Offenlegungsverpflichtungen sind für die europäische Wirtschaft gefährlich und
unverhältnismäßig im Hinblick auf die Ziele des Vorschlags.
Nach Ansicht Ihrer Berichterstatterin muss REACH gesunde Sicherungsmechanismen dafür enthalten, dass vertrauliche Daten über Produktionsprozesse sowie F&E nicht offengelegt werden. REACH schreibt Unternehmen vor, solche Informationen zu liefern, es sollte aber auch ebenso vorgeschrieben sein, dass diese Informationen hinreichend geschützt werden.
Die Aufgaben der Europäischen Agentur für chemische Stoffe
Die vorgeschlagene Schaffung einer zentralen europäischen Agentur für chemische Stoffe und die Aufgaben dieser Agentur sind ein Kern des REACH-Systems. Die Schaffung dieser Agentur wird von Ihrer Berichterstatterin begrüßt. Gleiche Wettbewerbschancen auf dem Binnenmarkt für chemische Erzeugnisse kann nur gewährleistet sein, wenn sich die
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gemeinschaftliche Politik im Bereich der chemischen Stoffe auf einer echten
gemeinschaftlichen Ebene vollzieht. Ihre Berichterstatterin ist daher der Auffassung, dass REACH über wirksame, zentrale und transparente Entscheidungsfindungsprozesse verwaltet wird, die von einer unabhängigen Zentralagentur unterstützt und koordiniert werden. Die vorgeschlagene Europäische Agentur für chemische Stoffe sollte daher nicht nur Befugnisse auf Registrierungsniveau, sondern auch auf sämtlichen anderen Entscheidungsfindungsebenen von REACH haben, einschließlich der Bewertungsebene, die im Vorschlag weitgehend bei den Mitgliedstaaten verbleibt. Daher sollte die Zusammensetzung der
Sachverständigenausschüsse (z.B. für Gefahrenbewertung und sozioökonomische Analyse) mehr auf Sachkenntnis basieren als sich an der Nationalität orientieren. Ein gemeinsames europäisches Organ mit unabhängigen Fachleuten, transparenten Verfahren,
Rechtspersönlichkeit und Beschwerdeinstanz ist die beste Garantie für Transparenz und gleiche Wettbewerbschancen im Bereich der chemischen Stoffe, und zwar jetzt wie in Zukunft.